Cela, Camilo José Pascual Duartes Familie

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Übersetzung aus dem Spanischen von George Leisewitz überarbeitet von Gerda Theile-Bruhns unter Mitwirkung des Autors

 

ISBN 978-3-492-99112-4

© für diese Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2018

© Camilo José Cela

© Heirs of Camilo José Cela, 2002

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »La Familia de Pascual Duarte« bei Editorial Aldecoa, Madrid 1942

Deutschsprachige Ausgabe:

© Verlags-AG Die Arche, Zürich, 1960, 1989

Covergestaltung: Zero Media GmbH

Covermotiv: FinePic, München

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

 

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Ein Brief, der das Manuskript ankündigt

Herrn

Joaquín Barrera López

Mérida

 

Sehr geehrter Herr Barrera!

 

Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen mit diesem an sich schon nicht kurzen Brief noch eine lange Erzählung übersende. Da ich aber von all den Freunden des Herrn Jesús Gonzalez de la Riva (dem Gott verziehen haben möge, ebenso wie er gewißlich mir vergeben hat) nur noch Ihre Anschrift im Kopf habe, wende ich mich an Sie, um das Geschriebene loszuwerden. Der Gedanke allein, daß ich so etwas habe niederschreiben können, verzehrt mich, und ich möchte vermeiden, daß ich in einem Augenblick der Niedergeschlagenheit – Gott gebe mir noch viele davon – die Blätter vernichte und so anderen unmöglich mache, aus dem zu lernen, was ich nicht begriff, ehe es zu spät war.

Ich will es Ihnen etwas näher erklären. Es ist mir leider nicht verborgen, daß die Erinnerung an mich verflucht sein wird. Ich möchte deshalb mein Gewissen, soweit möglich, mit diesem öffentlichen Bekenntnis erleichtern. Das ist keine geringe Buße, und ich will dazu einiges aus meinem Leben erzählen, dessen ich mich noch entsinne. Erinnerung war nie meine Stärke, und ich weiß, daß ich wahrscheinlich viel Interessantes vergessen habe; dennoch habe ich mir vorgenommen, das zu erzählen, was mir nicht aus dem Sinn will und was die Hand zu Papier zu bringen sich nicht sträubt. Denn es gab auch einiges, was ich wohl erzählen wollte. Dabei war mir aber so elend zumute, daß ich vorzog, es zu verschweigen und der Vergessenheit zu überantworten. Als ich dieses Bekenntnis niederzuschreiben begann, gab ich mir Rechenschaft darüber, daß es etwas in meinem Leben gab, nämlich mein Ende, das Gott kurz machen möge, wovon ich nichts würde berichten können. Darüber habe ich viel nachgegrübelt und kann Ihnen, bei den wenigen Augenblicken, die mir noch bleiben, versichern, daß ich mehr als einmal glaubte, mein Vorhaben aufgeben zu müssen, da mir einfach nicht einfallen wollte, wo der Schlußstrich zu ziehen sei. Doch meinte ich, es sei am besten, erst einmal zu beginnen und den Schluß zu lassen bis zu dem Zeitpunkt, wo Gott mein Leben zu beenden denkt. So habe ich es denn auch getan. Heute aber, wo ich der Hunderte von Seiten, die ich mit meinem Geschreibe angefüllt habe, bereits überdrüssig zu werden beginne, höre ich nun endgültig damit auf und überlasse es Ihrer Einbildungskraft, sich auszumalen, was noch kommt. Das dürfte Ihnen nicht schwerfallen, denn abgesehen davon, daß es sicher nur noch wenig ist, glaube ich nicht, daß mir zwischen diesen vier Wänden noch viel Neues begegnen wird.

Als ich niederzuschreiben begann, was ich Ihnen jetzt zusende, quälte mich der Gedanke, daß damals irgend jemand schon darum wissen mußte, ob ich meine Erzählung würde bis zu Ende führen können, oder wo ich hätte abbrechen müssen, weil ich die Zeit falsch bemessen hatte, die mir zur Verfügung stand. Diese Gewißheit, daß alles, was ich tat, mir schon vorgezeichnet war, in bereits vorausbestimmten Furchen ablief, raubte mir fast den Verstand. Heute, nahe schon dem anderen Leben, habe ich mich damit abgefunden. Möge Gott mich seiner Vergebung für wert befinden.

 

Ich bin etwas ruhiger geworden, nun ich all das niedergeschrieben habe, und für Augenblicke quält mich sogar das Gewissen weniger. Ich baue darauf, daß Sie verstehen werden, was ich besser ungesagt lasse. Es ist richtiger, wenn niemand davon erfährt. Heute reut es mich, meinen Weg verfehlt zu haben. Aber in diesem Leben bitte ich niemanden mehr um Gnade. Wozu auch? Es ist vielleicht besser, sie tun mit mir, was sie vorhaben. Denn es ist mehr als wahrscheinlich, daß ich in meine schlechten Gewohnheiten zurückfallen würde, täten sie es nicht. Auch um Straferlaß will ich nicht nachsuchen, denn zu viel Schlechtes hat mich das Leben gelehrt, und ich bin zu weich, den Trieben zu widerstehen. Es geschehe also, wie es im Buch des Himmels geschrieben steht.

Empfangen Sie, sehr geehrter Don Joaquín, zugleich mit diesem Bündel beschriebener Blätter die Bitte, mir zu verzeihen, daß ich mich an Sie wandte, und nehmen Sie diese Bitte um Vergebung an, die ich an Sie richte, als seien Sie Don Jesús selbst.

 

Ihr untertänigster Diener

Pascual Duarte

 

Klausel aus dem eigenhändigen Testament des Joaquin Barrera Lopez

der ohne Erben verstarb und sein Vermögen den dienenden Nonnen vermachte

Viertens: Ich befehle, daß das mit Bindfaden verschnürte Paket Papiere in meiner Schreibtischschublade, das in roten Lettern die Aufschrift »Pascual Duarte« trägt, unverzüglich ungelesen den Flammen überantwortet wird, da sein Inhalt zersetzend ist und gegen die guten Sitten verstößt. Wenn es aber das Schicksal will, daß ohne böse Absicht das Paket während achtzehn Monaten dem ihm bestimmten Schicksal entgeht, so befehle ich dem Finder, es vor Zerstörung zu bewahren, es als sein Eigentum zu betrachten und nach seinem Gutdünken damit zu verfahren, vorausgesetzt, daß er nicht anderer Ansicht ist als ich.

– – – – –

Gegeben zu Mérida (Badajoz) und auf dem Sterbebett am 11. Mai 1937

 

Kapitel 1

Ich bin nicht schlecht, Herr, wenn es mir auch nicht an Gründen fehlte, es zu sein. Alle, die wir sterblich sind, tragen bei der Geburt die gleiche Haut. Und dennoch gefällt es dem Schicksal, wenn wir älter werden, uns zu verändern, als seien wir aus Wachs, und uns auf verschiedenen Wegen demselben Ziele, dem Tode, zuzuführen. Es gibt Menschen, die dürfen auf Blumen wandeln, während andere den Weg der Disteln und Dornen gehen müssen. Jene erfreuen sich eines steten Blicks und lachen ihrem Glück mit unschuldsvollem Gesicht entgegen. Die anderen sind den erbarmungslosen Sonnenstrahlen der Ebenen ausgesetzt und runzeln die Stirn, wie das kleine Raubzeug in der Verteidigung. Ein großer Unterschied ist zwischen dem, der sich schminkt und mit Kölnisch Wasser abreibt, und dem, der sich mit dem Schmuck von Tätowierungen begnügen muß, die nachher nicht mehr zu beseitigen sind …

Vor vielen Jahren schon – es sind mindestens fünfundfünfzig her – bin ich auf die Welt gekommen, in einem Dorf tief in der Provinz Badajoz. Zwei Meilen von Almendralejo war das Dorf entfernt, hingeduckt auf eine staubige Landstraße, völlig eben und schnurgerade wie ein Tag ohne Brot, endlos und gerade wie die Tage von einem, der zum Tode verurteilt ist, so grenzenlos lang, wie Sie zu Ihrem Glück es sich gar nicht vorstellen können …

Das Dorf war heiß und sonnig, ziemlich reich an Olivenbäumen und Schweinen (mit Verlaub!), seine Häuser so weiß gestrichen, daß mir heute noch die Augen schmerzen, wenn ich daran zurückdenke, mit einem Dorfplatz, der ganz mit Steinplatten ausgelegt war und einem schönen Brunnen mit drei Rohren mitten auf dem Platz. Als ich das Dorf verließ, war schon seit ein paar Jahren kein Wasser mehr aus den Rohren geflossen. Und doch, wie leicht, wie elegant erschien uns allen der Brunnen mit der Figur des nackten Kindes obendrauf und dem Rand des Brunnenbeckens, geriffelt wie die Pilgermuscheln. Am Dorfplatz lag die Bürgermeisterei, groß und rechteckig wie eine Tabakskiste, mit einem Turm in der Mitte und in dem Turm eine Uhr, weiß wie eine Hostie, deren Zeiger immer auf neun standen, als wenn das Dorf die Uhr nur zur Zierde brauchte. Im Dorfe gab es natürlich gute Häuser und schlechte. Die letzteren waren, wie das bei allen Dingen so ist, in der Mehrzahl. Eines, das zweistöckig war und Don Jesús gehörte, war ganz besonders schön, mit seinem Empfangszimmer, das ganz mit Fliesen ausgelegt war und voller Blumentöpfe stand. Don Jesús war immer sehr für grüne Pflanzen. Mir kam es vor, als habe er seiner Haushälterin befohlen, die Geranien, Heliotropen, die Palmen und Minzen mit der gleichen Zärtlichkeit zu pflegen, als seien es seine Kinder. Denn die Alte lief immer mit einem Schöpflöffel in der Hand herum und begoß die Töpfe mit einer Miene, für die ihr die Pflanzen ohne Zweifel dankbar waren, so üppig wucherten sie, so grün waren sie. Das Haus von Don Jesús lag auch am Dorfplatz, und es unterschied sich von allen anderen, abgesehen durch all das Schöne, von dem ich schon erzählte, besonders in einem Punkt, in dem ihm alle anderen überlegen waren; und das trotz des vielen Geldes, das der Herr sonst bedenkenlos ausgab: in der Hausfront, die in der natürlichen Farbe des Steines gehalten war, was doch so gewöhnlich aussieht. Es war gar nicht geweißt, wie das des Ärmsten im Dorf. Nun, er wird seine Gründe gehabt haben. Über dem Portal war ein Wappen in den Stein gehauen, das, wie man sich erzählte, großen Wert besaß. Es stellte zwei alte Ritterköpfe dar, mit Helm und Federbusch, von denen der eine nach Osten, der andere nach Westen schaute, als wollten sie den Anschein erwecken, sie wachten über das, was von der einen oder anderen Seite kommen könnte. Hinter dem Platz an der Seite, wo das Haus von Don Jesús lag, war die Kirche mit ihrem steinernen Turm und der kleinen Glocke, deren Klang ich nicht beschreiben kann, den ich aber jetzt im Ohr habe, als würde sie hier um die Ecke geläutet … Der Glockenturm war ebenso hoch wie der Uhrturm, und im Sommer, wenn die Störche kamen, dann wußten sie immer, in welchem Turm sie das Jahr zuvor ihr Nest gebaut hatten. Der lahme Storch, der noch zwei Winter überlebte, war aus dem Nest vom Glockenturm, von wo er als ganz kleines Tier einmal heruntergefallen war, weil er sich vor dem Sperber erschreckt hatte.

Mein Haus lag außerhalb des Dorfes, etwa zweihundert große Schritte vom letzten der eigentlichen Siedlung entfernt. Es war eng und alle seine Räume lagen zu ebener Erde, meinem Stande entsprechend. Aber ich habe es doch lieb gewonnen, und es gab sogar Zeiten, wo ich stolz darauf war. In Wirklichkeit war das einzige, was sich vom Haus sehen lassen konnte, die Küche, der erste Raum, den man betrat, immer sauber und tadellos geweißt. Der Fußboden war zwar nur aus Lehm, aber er war so schön festgetreten, und die Kieseln darin gaben ein so feines Muster ab, daß er in nichts den vielen anderen nachstand, die der Besitzer auszementieren ließ, weil er sich fortschrittlich dünkte.

Der Herd war groß und sauber. Um den Rauchfang herum lief ein Gestell mit Keramik darauf als Zierde, Krügen mit blau aufgemalten Bildern, Tellern mit blauen oder orangefarbenen Zeichnungen. Einige davon zeigten ein Gesicht, andere eine Blume, wieder andere einen Namenszug oder einen Fisch. An den Wänden hing Verschiedenes: ein sehr hübscher Kalender, der ein junges Mädchen zeigte, das sich in einem Boot Luft zufächelte, und unter dem in Buchstaben von Silberstaub zu lesen war »Modésto Rodríguez«, feine Spezereien, Mérida (Badajoz), dann ein Bildnis in Farben vom »Espartero« im Torerokostüm, und drei oder vier Fotografien, die einen klein, die anderen größer, von, ich weiß nicht, wem. Ich sah sie immer am gleichen Platz hängen, und ich habe nie daran gedacht, danach zu fragen. Auch eine Weckuhr hatten wir an der Wand hängen, und das will etwas heißen. Sie funktionierte immer, wie Gott es befahl. Dann war da noch ein Nadelkissen aus rotem Plüsch, in dem einige hübsche Nadeln mit farbigen Glasknöpfen steckten. Die Einrichtung der Küche war so knapp wie sie einfach war: drei Stühle, davon einer besonders gut mit gedrechselter Lehne und geschwungenen Beinen und einem Rohrsitz. Ein Tisch aus Tannenholz mit einer Schublade, der für die Stühle etwas niedrig war, aber doch seinen Dienst tat. In der Küche ließ es sich gut sein. Sie war bequem, und im Sommer, wenn der Herd nicht brannte, war es auf den Herdsteinen köstlich frisch, wenn wir gegen Abend die Türen weit öffneten. Im Winter war es durch die Glut fein warm. Manchmal, wenn man aufpaßte, glimmte sie die ganze Nacht über weiter, und wie unterhaltend war es, unsere Schatten an der Wand zu sehen, wenn ein paar Flammen hochschlugen! Sie kamen und gingen, mal langsam, mal sprunghaft, wie im Spiel. Ich erinnere mich, daß sie mir als kleines Kind Furcht einflößten, und noch jetzt, als Erwachsener, läuft es mir den Rücken herunter, wenn ich an jene Ängste zurückdenke.

Es verlohnt sich nicht, den Rest des Hauses zu beschreiben, so armselig war es. Wir hatten noch zwei Wohnräume, wenn man sie, angesichts der Tatsache, daß sie bewohnt wurden, so nennen will, und den Stall, von dem ich heute manchmal nicht weiß, warum wir ihn so nannten, so leer und vernachlässigt war der Raum. In einem der Zimmer schliefen meine Frau und ich, in dem anderen meine Eltern, bis Gott oder vielleicht der Teufel sie sich holten. Nach ihrem Tode stand der Raum immer leer, anfangs, weil niemand da war, der ihn hätte bewohnen können, und später, als jemand da war, weil dieser Jemand immer die Küche vorzog, die heller war und nicht so zugig. Wenn meine Schwester zu Besuch kam, schlief sie immer dort, und auch die Kinder, wenn welche da waren, strebten dorthin, sobald sie der Mutterbrust entwachsen waren. In der Tat waren die Wohnräume nicht sehr sauber und auch nicht gut gebaut Andererseits konnte man sich nicht beklagen: sie boten, was die Hauptsache ist, Schutz vor den Wolken der Weihnachtszeit, und man war in ihnen, soweit man es verdiente, vor der stickigen Hitze des Augusts sicher. Der Stall war das Schlimmste. Er war düster und dunkel, und an seinen Mauern klebte der gleiche Geruch nach totem Tier, der an den Felswänden im Monat Mai emporsteigt, wenn die verendeten Tiere zu verwesen anfangen und dann von den Raben gefressen werden …

Seltsam, wenn ich als junger Bursche diesen Geruch vermißte, stand ich Todesängste aus. Ich entsinne mich jener Reise nach Madrid, wo ich mir die Gärten ansehen wollte. Den ganzen Tag, den Gott geschaffen hatte, war ich nicht in Stimmung und sicherte wie ein Jagdhund. Als ich mich abends in der Herberge niederlegte, drang mir der Geruch meiner Manchesterhose in die Nase. Das Blut erhitzte mir den ganzen Körper … Ich schob das Kissen beiseite, legte den Kopf auf die zusammengerollte Hose und schlief danach wie ein Stein.

Im Stall hatten wir einen abgetriebenen und mageren Schindesel stehen, der uns bei der Erntearbeit half. Ging es uns gut, was, um bei der Wahrheit zu bleiben, nicht immer der Fall war, hielten wir auch zwei oder drei Schweine (mit Verlaub!). Hinter dem Hause war ein Gehege, eine Art Hof, nicht allzu groß, aber es tat uns gute Dienste. Darin war ein Brunnen, den wir später zuschütten mußten, da das Wasser schlecht war.

Hinter dem Gehege lief ein Bach entlang. Er war nie sehr voll, oftmals halb trocken, schmutzig und stinkig wie eine Rotte Zigeuner. Man konnte in ihm schöne Aale fangen, und ich habe das auch an manchem Nachmittag getan, um mir die Zeit zu vertreiben. Meine Frau, die trotz allem noch Witz hatte, sagte immer: die Aale seien so rund, weil sie dasselbe äßen wie Don Jesús, nur einen Tag später. Ging ich zum Angeln, so verflogen mir die Stunden rasch, daß es fast immer spät am Abend war, ehe ich meine Siebensachen zusammenpackte. Dort in der Ferne, wie eine flache und dicke Schildkröte, wie eine aufgerollte Schlange, die sich vom Boden zu lösen fürchtet, steckte Almendralejo nach und nach seine Lichter an … Seine Bewohner ahnten gewiß nicht, daß ich geangelt hatte und gerade in dem Augenblick zusah, wie in ihren Häusern die Lichter aufflammten, und mir dabei vorstellte, daß viele von ihnen Dinge sagten, die ich mir einbildete oder von Dingen sprachen, die mir gerade in den Sinn kamen. Die Bewohner der Städte leben mit dem Rücken zur Wahrheit und geben sich oft nicht einmal Rechenschaft darüber, daß zwei Meilen von ihnen entfernt, mitten in der Ebene, ein Landmann sich damit unterhält, an sie zu denken, während er die Angelrute zusammenlegt und den Korb mit sechs oder sieben Aalen darin vom Boden aufnimmt …

Dennoch hielt ich das Angeln immer für einen eines Mannes wenig würdigen Zeitvertreib. Ich verbrachte meine Mußestunden meist auf der Jagd. Im Dorfe hatte ich den Ruf, dabei nicht ungeschickt zu sein, und bei aller Bescheidenheit muß ich ehrlich sagen, daß die, die so redeten, nicht weit von der Wahrheit weg waren. Ich hatte einen Hühnerhund – die Chispa –, die tückisch und wild war, sich mit mir aber gut verstand. Manchen Morgen bin ich mit ihr bis nach Charca gegangen, anderthalb Meilen vom Dorf entfernt, der portugiesischen Grenze zu, und nie bin ich mit leeren Händen nach Hause gekommen. Auf dem Rückweg lief die Hündin voran. Sie erwartete mich stets am Kreuzweg. Dort lag ein runder, oben abgeplatteter Stein, wie ein niedriger Sessel. Ich entsinne mich seiner so gern wie irgendeines Menschen. Ja, ich denke lieber an ihn zurück wie an viele von jenen … Er war breit und ein wenig ausgehöhlt. Wenn ich mich draufsetzte, rutschte mir ein wenig der Hintern weg (Verzeihung!), und ich saß dann so bequem, daß ich nur ungern fortging. Lange und oft habe ich auf jenem Stein am Kreuzweg gesessen, mir ein Lied gepfiffen, die Flinte zwischen den Beinen, eine Zigarette im Mund und in die Gegend geschaut. Dann setzte sich die Hündin vor mir auf die Hinterpfoten, neigte den Kopf ein wenig zur Seite und sah mich mit ihren lebhaften braunen Augen an. Sprach ich mit ihr, spitzte sie, als wollte sie mich besser verstehen, ein wenig die Ohren. Schwieg ich, so nutzte sie die Gelegenheit, Heuschrecken zu jagen oder sich noch bequemer auszustrecken. Verließ ich den Stein, so mußte ich, ohne daß ich wußte warum, immer wieder dorthin zurückblicken, als hieße es Abschied nehmen. Und dann kam ein Tag, wo er mir so traurig über mein Fortgehen erschien, daß mir nichts anderes übrig blieb als umzukehren und mich wieder niederzusetzen … Die Hündin nahm wieder ihren Platz vor mir ein und schaute mich unverwandt an. Heute weiß ich, daß sie den Blick eines Beichtvaters hatte, forschend und kalt, wie ihn die Luchse haben sollen … Ein Zittern durchlief meinen Körper. Es war wie ein elektrischer Schlag, der mir durch die Arme hinaus wollte. Die Zigarette war mir ausgegangen, die einläufige Flinte zwischen meinen Beinen ließ sich leise streicheln. Die Hündin verfolgte mich mit starrem Blick, als sähe sie mich zum ersten Male, als wolle sie mich im nächsten Augenblick für schuldig erklären. Ihr Blick erhitzte mir das Blut in den Adern. Es mußte der Augenblick kommen, wo ich hätte nachgeben müssen. Es war heiß, drückend heiß, und ich mußte meine Augen wegdrehen, bezwungen von dem nadelscharfen Blick des Tieres … Ich legte an und schoß, lud und schoß noch einmal. Die Hündin hatte dunkles, klebriges Blut, das langsam in der Erde versickerte.

Kapitel 2

Von meiner Kindheit habe ich nicht gerade schöne Erinnerungen. Mein Vater hieß Esteban Duarte Diniz, war Portugiese, groß und dick wie ein Berg, und in seinen vierziger Jahren, als ich klein war. Er war braun gebrannt und hatte einen phantastischen, hängenden, schwarzen Schnauzbart. Man sagt, daß als junger Mensch sein Bart sich nach oben drehte. Aber seit er im Gefängnis gesessen hatte, war es mit seiner Haltung vorbei, die Kraft des Bartes ließ nach, und er mußte ihn bis zum Grabe nach unten hängend tragen. Mir flößte er großen Respekt ein und nicht wenig Angst. Ich ging ihm ans dem Wege, wo ich nur konnte und paßte auf, nicht mit ihm zusammenzustoßen. Er war grantig und brüsk und duldete keinen Widerspruch, eine Eigenschaft, die ich aus guten Gründen achtete. Denn wenn er in Wut geriet, was häufiger als nötig geschah, erhielten meine Mutter und ich aus dem nichtigsten Anlaß die fürchterlichsten Prügel. Meine Mutter trachtete danach, sie ihm zurückzugeben, um ihn so zu bessern. Ich konnte sie angesichts meiner jungen Jahre nur resigniert hinnehmen. Wenn man so klein ist, ist man doch sehr zart!

Nie habe ich gewagt, ihn oder meine Mutter zu fragen, wie lange er gesessen hat. Ich hielt es für klüger, keinen Tanz heraufzubeschwören; das kam schon ganz von selbst und mehr als genug. Auch hatte ich es gar nicht nötig zu fragen, denn es fehlt ja nie, am allerwenigsten in einem so kleinen Dorfe, an mitleidigen Seelen und Leuten, denen es nicht an der Zeit gebrach, mir alles brühwarm zu erzählen. Er war wegen Schmuggel verurteilt worden, den er offensichtlich jahrelang betrieben hatte. Aber ebenso wie der Krug nur so lange zum Brunnen geht, bis er bricht, kein Beruf ohne Schattenseiten ist, und der kürzeste Weg nicht immer der beste, so verfolgten ihn eines schönen Tages, als er vermutlich gar nicht daran dachte und seiner Sache allzu sicher war, die Grenzpolizisten, kamen ihm auf die Schliche und steckten ihn ein. Vertrauensseligkeit ist eben der Ruin des Tapferen. All dies muß aber schon lange her sein, denn ich besinne mich darauf nicht. Vielleicht war ich auch noch gar nicht auf der Welt.