Über Kathleen Collins

Foto: Douglas Collins

 

KATHLEEN COLLINS1942 in New Jersey geboren, war früh politisch aktiv und setzte sich 1962 für das Wahlrecht der Schwarzen in Georgia ein. Sie ist eine Pionierin des afroamerikanischen Films. Ihre größten Erfolge erlebte sie jedoch nicht mehr. Kathleen Collins starb 1988 an Brustkrebs. Erst 27 Jahre später feierte Losing Ground, Collins’ filmisches Meisterwerk, seine umjubelte Premiere in New York, ein Jahr später erschienen ihre Storys in den USA.

Einfach, sich selbst zu schaden,

Gutes zu tun, etwas Gutes für sich selbst,

Dagegen ist sehr schwierig.

Kathleen Collins

»Okay, die Wohnung ist im fünften Stock, kein Fahrstuhl, drei Zimmer vorne, Badewanne in der Küche, Kakerlaken an den Wänden, das Klo ein Kabuff mit Buntglasfenster. Licht? Kein Problem, Licht gibt’s ohne Ende! Es ist das größte Haus in der Straße, ringsum nur Dächer und Sonne. Okay, leuchten wir die Nacht ein. Ich will einen Spot auf dem großen Doppelbett, das fast den ganzen Raum einnimmt. Und einen kleinen auf dem mit Jute bespannten Nachttisch. Okay, jetzt ein Licht auf den Schreibtisch mit den vielen Notizbüchern, Papieren und dem ganzen Kram. Gut so. Dann ein Spot auf das Sofa, das eigentlich nur aus ein paar Kissen besteht. Gut. Und jetzt ein schöner weicher Tupfer auf den jungen Mann, der am Schreibtisch seine Gedichte verfasst oder liest. Und noch einer auf die junge Frau, die am Herd steht und Kakerlaken erschlägt. Okay, jetzt Licht von hinten auf die beiden, wenn sie in dem großen Doppelbett unter der blauweißen Decke liegen. Sieht gut aus.

Während die beiden schlafen, legen wir einen Spot auf das Foto, das die junge Frau lächelnd auf dem

(Mann)

»… mein Leben ist eine lange Improvisation. Ich kenne nicht viele Musiker, die ein so vielseitiges Repertoire haben … wie ein Dichter mit dem siebten Sinn für die Zeichen der Zeit habe ich meinen Token für die Subway gezahlt und mich auf den Weg gemacht. Launisch war ich schon immer. Als Kind habe ich mich oft im Schrank versteckt … ich hatte keine Lust auf die kleinen Scheißer. Ich war nie ein angenehmer Zeitgenosse … zu launisch … eine echte Plage, die wie eine Fliege dreist durchs Leben spaziert, abgestoßen von der freudlosen Angepasstheit der Erwachsenen. Weil du mich wie einen Gott verehrst, hast du von Anfang an meine Launen geschluckt und sie dir als bedeutsame Kapriolen der Seele schöngeredet, dabei habe ich immer nur gemacht, was ich wollte. Ich bin launisch, verdammt, und rastlos, und im Leben gibt es schon genug Tage ohne Musik. Ich kann mich nicht dafür entschuldigen, dass ich dich so wenig liebe. Nur Träumen wohnt die süße Logik inne, die ich anerkenne … Träumen

(Frau)

»… als mich mein Mann zum ersten Mal verließ, mietete ich eine kleine Blockhütte im Wald, um mich in der Einsamkeit zu erholen. Ich nahm nur einen Koffer mit, ein Foto von mir, auf dem ich ruhig und schwermütig aussah, ein paar Zeichnungen zum Aufhängen und meine Geige. Ich hatte vor, jeden Tag im Fluss hinter der Hütte schwimmen zu gehen, lange Spaziergänge im Wald zu machen und Geige zu üben. Eigentlich wollte ich den ganzen Sommer bleiben, am Ende waren es nur drei Tage. In diesen drei Tagen ging ich morgens schwimmen, spielte bis mittags Geige, aß etwas und ging anschließend im Wald spazieren. Danach war ich ziemlich verschwitzt und setzte in der Hütte Wasser für eine Katzenwäsche auf, dann kochte ich mir Tee. Am dritten Tag, als ich nach meinem Spaziergang wieder Wasser aufsetzen wollte, fing der Petroleumkocher Feuer. Ich rückte den Flammen mit einer Decke zu Leibe, aber sie hatten schon den halben Raum erfasst. Eine ganze Weile stand ich da und überlegte, was ich tun könnte.

Ich hatte einen Onkel, der sich in den Schlaf weinte. Ja, diese Geschichte ist wirklich wahr, und sie ging schlecht aus. Eines Nachts weinte er sich nämlich in den Tod. Er war noch keine vierzig. Ein ehemaliger Sportler von olympischem Format. Im Haus meines Vaters hängen noch die goldenen Trophäen, die er irgendwann bei den Olympischen Spielen in England gewann. Er war ein schöner Mann. Schwarz. Und Marlon Brando wie aus dem Gesicht geschnitten. In meiner Familie erzählt man sich, mein Onkel und Marlon Brando seien sich eines Tages in Philadelphia auf der Straße begegnet und verblüfft über die Ähnlichkeit stehen geblieben. Er war ziemlich hell, hellbraun, und hatte die grüblerische Brando-Miene, den finsteren Zug um Mund und Augen, den verdrossenen, ruhelosen Blick. Er war mein Lieblingsonkel. Diese Geschichte lässt sich kaum erzählen, ohne die Requisiten der Rasse einzusetzen. Ich habe gesagt, er war schwarz. Ein Held der Aschenbahn. Ein Marlon-Brando-Doppelgänger. Er hatte außerdem eine hinreißend schöne Frau, die aufgrund ihrer gemischten Herkunft unbeschreiblich hell, fast weiß

Ich sah ihn nur einmal in diesen Jahren: Im Sommer- haus meiner Eltern, wo ich nach der Geburt meines ersten Kindes ein paar Wochen verbrachte. Er kam zur Tür herein, als ich die Treppe hinunterging. Für mich sah er aus wie immer, nur das Grüblerische in der Brando-Miene trat stärker hervor. Der traurige, düstere Ausdruck hatte Falten auf seiner Stirn und unter den Augen hinterlassen, und seine Mundwinkel zeigten noch ein bisschen mehr nach unten.

Aber diese tiefe Traurigkeit faszinierte mich, vielleicht weil ich noch jung genug war, um Leid anziehend zu finden. Dann geschah etwas Sonderbares. Mitten in der Nacht weckte er mich auf, riss mich

Ich folgte seiner Bitte.

Wir blieben die ganze Nacht auf, und er weinte ununterbrochen, abgesehen von kurzen, klaren Momenten, in denen er leise über meine Tante sprach, dass sie sich als dumm und faul entpuppt habe, ihm keine richtige Hilfe sei; dass er es zu nichts gebracht habe, sich nie auf andere habe verlassen können. Und er konnte weinen! Er gab sich seinem Schluchzen hin, ließ sich von seiner Trauer überwältigen, als wäre das Leben eine riesige Tränenquelle, in die man nur eintauchen konnte, indem man weinte! Mein Vater, der durch uns wach geworden war, kam herunter, außer sich vor Wut, dass sein Bruder mir derart zusetzte.

Ich sah ihn nie wieder. Als der Anruf mit der Nachricht von seinem Tod kam, saß ich mit meinen Eltern beim Essen. Mein Vater war tief erschüttert. Das erste seiner sieben Geschwister war gestorben. Dabei war sein Bruder das jüngste Kind gewesen, der Kleine, von allen am meisten geliebt, gehätschelt und verwöhnt. Ich bot meinem Vater an, ihn zum Haus meines Onkels zu fahren. Unterwegs erzählte mein Vater von seinen letzten Lebensjahren, den Jahren, in denen er das Bett überhaupt nicht mehr verließ. Jede Nacht hielt er die anderen (denn irgendwie