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Seit 1993 begeisterte die Kabarettistin Usch Hollmann mit ihrer münsterländischen Kunstfigur „Lisbeth“ mit Radiokolumnen und Auftritten ein größeres Publikum. In der Folge sind ihre bei Solibro erschienenen „Lisbeth-Büchskes“ zu regionalen Bestsellern geworden: „Hallo Änne, hier is Lisbeth …“ (1996), „Wat is uns alles erspart geblieben!“ (1998) und „Dat muss aber unter uns bleiben!“ (2006). Es folgten „Spekulatius und Springerle“ (2002), „Stoffel lernt spuken/Stoffel lärt spöken“ (2004), „Aber das wär’ doch nicht nötig gewesen!“ (2008), „Stille Nacht light.“ (2012) Viele Jahre trat die Kulturpreisträgerin des Kreises Steinfurt auch mit ihrer Kabarettgruppe „Fünf freche Frauen“ Aktuell liest sie auch aus fremden literarischen Werken.

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Markus Böwering arbeitet als Komponist, Texter, Produzent, Manager, IT-Creator und Sänger. Schon im Alter von 13 startete er als Sänger mit einer ersten Band. Später entfaltete er sein musikalisches Talent mit Soul unter dem Künstlernamen Aga Sono. Er landete mehrere Hits (so mit „Take good Care of my heart“, Platz 5 der deutschen Dance-Charts). Es folgten TV- und Bühnenauftritte auch im Ausland und weitere Hits (1991 A.G.A „Good Emotions“ oder 2016 Sander Kleinenberg ft. Gwen McCrae „Can you feel it“ und 2018 Sander Kleinenberg ft. George McCrae „Colours in the sun“). Als Coach förderte er den berühmten Musiker Sander Kleinenberg. „Wasserschloss zu vererben“, geschrieben mit Usch Hollman, ist sein erster Roman. Weitere Romane sind in Vorbereitung.

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1. Jöricke, Frank: Mein liebestoller Onkel, mein kleinkrimineller
Vetter und der Rest der Bagage. Solibro Verlag 1. Aufl. 2007
ISBN 978-3-932927-33-1 / gebundene Ausgabe
ISBN 978-3-932927-36-2 / Broschur-Ausgabe
eISBN 978-3-932927-53-9 (epub)

2. Barski, Klaus: Prügel für den Hausbesitzer
Tatsachenroman eines Immobilienspekulanten
Solibro Verlag 1. Aufl. 2012; ISBN 978-3-932927-48-5
eISBN 978-3-932927-52-2 (epub)

3. Barski, Klaus: Sweet Florida Keys. Abenteuerroman
Solibro Verlag 1. Aufl. 2014; ISBN 978-3-932927-78-2
eISBN 978-3-932927-89-8 (epub)

4. Barski, Klaus: Lebenslänglich Côte d’Azur. Roman
Solibro Verlag 1. Aufl. 2018; ISBN 978-3-96079-049-5
eISBN 978-3-96079-050-1 (epub)

5. Barski, Klaus: Exil Ibiza. Roman
Solibro Verlag 1. Aufl. 2018; ISBN 978-3-96079-051-8
eISBN 978-3-96079-052-5 (epub)

6. Usch Hollmann / Markus Böwering: Wasserschloss zu vererben.
Ein Münsterlandroman
Solibro Verlag 1. Aufl. 2018; ISBN 978-3-96079-055-6
eISBN 978-3-96079-056-3 (epub)

eISBN 978-3-96079-056-3

1. Auflage 2018

© SOLIBRO® Verlag, Münster 2018

Alle Rechte vorbehalten.

Covergestaltung: Michael Rühle

Umschlagfotos: © Elena Schweitzer/Shutterstock.com (Tür); © maleevsw//Shutterstock.com (Schloss)

Autorenfoto (S. 2 links): Hermann Willers; Autorenfoto (S. 2 rechts): Michael Koch / Reggie Femi for Gomuto LLC, Chicago

www.solibro.de             verlegt. gefunden. gelesen.

Aber hier, wie überhaupt,
kommt es anders, als man glaubt
.

Wilhelm Busch

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3 – Zwanzig Jahre später –

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

1.

„Ach, ihr mit eurem überholten Standesdünkel.“ Claudia von Wallburg, zu aufgebracht, um still zu sitzen, stößt ihren Stuhl rückwärts von sich, geht zum großen Gartenfenster und zieht mit energischem Griff den schweren Damastvorhang zur Seite. Nur widerwillig setzt sie sich danach erneut an den Frühstückstisch. Ihre Eltern, Fürst Raimund und Fürstin Henriette, verfolgen den Wutausbruch der Tochter schweigend, aber mit missbilligenden Blicken.

„Das sollte sich eigentlich längst sogar bis in die Abgeschiedenheit dieses alten Gemäuers herumgesprochen haben: Man kann heute auch ohne Adelstitel ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft werden. Ein von oder zu vor dem Namen? Vergesst es, das macht längst nicht mehr den Eindruck, von dem ihr beide immer noch träumt. Von solchen Märchen lassen sich bestenfalls noch die Leserinnen von Frauenzeitschriften einlullen, um sich beim Friseur und in Zahnarztpraxen die Wartezeit zu verkürzen. Im modernen Big Business zählen Qualitäten, nicht Titel. Ein goldenes Krönchen auf der Visitenkarte? Dass ich nicht lache! Aber ihr denkt immer noch, damit würden sich automatisch Tür und Tor zu einer glanzvollen Karriere öffnen.“

Claudia köpft mit einem gezielten Hieb ihr Frühstücksei und streut mit mehrfachem Schwung viel zu viel Salz auf den flüssigen Dotter.

Fürstin Henriette ergreift in liebevoller Besorgnis die peinlich exakt gefaltete Serviette des Fürsten und hilft ihm, diese wieder in den silbernen, mit dem fürstlichen Monogramm derer von Wallburg verzierten Serviettenring zu schieben, worum er sich mit fahrigen Gesten vergeblich bemüht hatte. Mit offensichtlicher Anstrengung erhebt er seine altersrostige Stimme.

„Ich verbitte mir diesen Ton, besonders an einem so herrlich sonnigen Herbstmorgen. Du benimmst dich wieder einmal wie eine pubertäre Vorstadtgöre und keinesfalls so, wie es unserem Stande entspricht.“

„Wie es unserem Stande entspricht!“ Claudia äfft den Tonfall des Vaters nach, stößt das durch zu viel Salz ungenießbar gewordene Ei von ihrem Teller in die Mitte des Tisches und schüttelt verständnislos den Kopf.

„Unserem Stande! Lächerlich! Was ist denn noch so besonders an ‚unserem Stande‘? Die meisten Adeligen sind verarmt oder zumindest bis zum Hals verschuldet. Viele müssen ihre Wasserschlösser und alten Herrensitze zu Hotels oder Museen umbauen oder es zulassen, dass neugierige Touristen auf Filzlatschen für Eintrittsgeld bis in die privaten Schlafzimmer schlurfen, damit die Eigentümer ihre Schlossmauern nicht aus lauter Finanznot den Abrissbirnen ausliefern müssen, – das heißt, ohne die gnädige Zustimmung der strengen Scharfrichter des Denkmalamtes dürfen sie ja selbst das nicht einmal.“

Die Tochter hämmert, die Hände zu Fäusten geballt, auf den Tisch.

„Vater, ich kann es nicht glauben, dass du immer noch der Überzeugung bist, die ‚von altem Adel‘ seien etwas Besonderes. Wir, die Wallburger, sind nur insofern anders als der Rest derer, die im Gotha verzeichnet sind, weil wir noch nicht verarmt sind, da du unseren Besitz umsichtig verwaltet hast, wofür ich dir wirklich dankbar bin. Aber was das Thema ‚Adel kommt von edel‘ betrifft – die Zeiten haben sich gründlich geändert. Es gibt genügend Beispiele dafür, ich brauche keine Namen zu nennen. Ihr müsst allmählich lernen, das zu akzeptieren. Adel verpflichtet nicht mehr. Weshalb also muss ich unbedingt einen Adeligen heiraten?“

Ein heftiger Hustenanfall schüttelt den Körper des alten Herrn, sodass die Fürstin sich einschaltet, nachdem sie ihrem Mann ein Glas Wasser gereicht hat.

„Weil Vater es sich wünscht, das weißt du sehr wohl. Und weil Adel nach wie vor und immer noch verpflichtet, auch wenn du anderer Meinung bist. Adel verpflichtet auch zu einem gepflegten Umgangston, darum ersuche ich dich jetzt dringend, dich in deiner Wortwahl zu mäßigen, umso mehr, als es dir wieder einmal gelungen ist, Vater in einer Weise zu provozieren, dass er …“

Sie legt dem Fürsten in großer Besorgnis den Arm um die Schultern.

„Liebster, Claudia hat sich von ihrem gestrigen Fest noch nicht wieder erholt. Das Treffen mit ihren Freundinnen aus der Abiturklasse hatte sich sehr in die Länge gezogen. Sie ist etwas übermüdet und meint es nicht so, wie es jetzt klingt … sie ist unsere Tochter, von deinem und meinem Blut, sie wird Wort halten und Michael Graf Lauenstein heiraten. Eine von Wallburg hält, was sie einmal versprochen hat.“

Fürst Raimund greift nach der kostbaren, mit Rosen bemalten Meißner Pillendose und entnimmt ihr eine Anzahl von Tabletten, die er ebenso wie ein Glas Wasser mit zitternden Händen zum Munde führt. Er wirft seiner Frau unter schweren Lidern einen unsicheren Blick zu.

„Ich fühle mich heute nicht in der Verfassung, dieses immer wiederkehrende Thema ein weiteres Mal ergebnislos zu erörtern. Ich habe das Bedürfnis, mich noch einmal hinzulegen. Würdest du bitte Dr. Mittmann anrufen und fragen, ob er – hoffentlich noch heute Vormittag – hier vorbeikommen kann? Und er möge das neue Herzpräparat mitbringen, von dem er bei seinem letzten Besuch gesprochen hat.“

Mühsam, aber um Haltung bemüht, erhebt er sich vom Tisch und geht, den hilfreich angebotenen Arm seiner Frau dankbar ergreifend, durch die Halle zu der geschwungenen Holztreppe, die in die oberen Stockwerke von Schloss Wallburg führt.

Die Fürstin streift ihre Tochter noch einmal mit einem vorwurfsvollen Blick, ehe sie den Gatten nach oben begleitet.

Claudia bleibt allein am Tisch sitzen. Wütend zerbröselt sie ihren Toast und wirft das silberne Frühstücksmesser in den Brotkorb.

Agnes Dahlmann, die Haushälterin, steckt ihren Kopf durch die Türe des angrenzenden Wirtschaftsraumes.

„Kann ich schon abräumen?“

Claudia sieht sie hilfesuchend an. „Komm rein, Dahlmann, hast du das gehört? Ja, ja, ja, es stimmt, ich habe versprochen, Michael zu Lauenstein zu heiraten, aber eigentlich nur, weil Papa es sich sehnlichst wünscht – er hat sich ja immer einen Sohn gewünscht. Ich als das einzige Kind meiner Eltern bin leider nur eine Tochter geworden – so ein Pech aber auch! Aber weil es bei den beiden nicht zu einem Sohn aus eigenem Fleisch und blauem Blut gereicht hat, muss wenigstens ein Schwiegersohn her, und zwar ein standesgemäßer. Ja, ich habe versprochen, ihn zu heiraten, aber sie haben mir auch etwas versprochen. Als ich vor Wochen mit meinem durchaus akzeptablen Abiturzeugnis nach Hause kam, hatte ich mir gewünscht, dass ich zur Belohnung für ein Jahr in die USA darf, um mein Englisch zu verbessern. Und wenn ich mein Versprechen halte, kann ich erwarten, dass sie ihres auch halten. Sie müssen mich vor der Hochzeit noch für ein Jahr von der Leine lassen, aber nun kämpfe ich schon seit einer halben Ewigkeit darum, dass ich mich endlich um einen Flug kümmern darf, weil …“

Den Blick in den sonnigen Garten gerichtet, atmet sie tief durch.

„Dahlmann, du hast es eben sicher gehört, was Mama gesagt hat: ‚Eine von Wallburg hält, was sie verspricht‘. Aber bei ihnen ist seit Monaten von ihrem Versprechen überhaupt nicht mehr die Rede. Jetzt sind sie wieder beleidigt abgezogen und nach oben gegangen. Ja, ja, ja, ich weiß, dass Mama sei Jahren schwer depressiv ist, ich nehme so gut ich kann auch Rücksicht darauf, auch wenn ich manchmal Zweifel habe, ob sie sich nicht – aus mir natürlich unbekannten Gründen – in diese Krankheit flüchtet. Und auch daran habe ich mich gewöhnen müssen, dass Papa immer mal wieder kurz vor dem Herzstillstand steht und keine noch so geringe Belastung überleben würde.“

Agnes Dahlmann will etwas einwenden, aber Claudia ist nicht zu bremsen.

„Und deshalb darf ich gar keinen Gedanken mehr äußern, der seiner Denkweise auch nur im Mindesten widerspricht. Wann immer es ihnen geboten scheint, ziehen sie sich kurz vor dem „Ende“ zurück, nehmen übel und lassen mich mit schlechten Gewissen sitzen. Dahma, wenn du wüsstest, wie sehr ich mich danach sehne, diesen Zwängen wenigstens für ein Jahr zu entkommen – bevor ich in den nächsten goldenen Käfig gesperrt werde. Am liebsten würde ich gleich morgen in den Flieger in die USA steigen.“ Sie ergreift einen Zipfel des Tischtuches und wischt sich mit ungeduldiger Geste ein paar Tränen aus dem Gesicht.

„Und sie bringen mich immer wieder zum Heulen, auch wenn ich gar nicht heulen will. Das muss auch mal aufhören.“

Die Haushälterin hat begonnen, das benutzte Geschirr aufeinanderzustapeln. Doch ehe sie damit in die Küche geht, stellt sie es noch einmal ab und nimmt Claudia in den Arm.

„Laudi, mein kleines Mädchen.“ Unversehens sind beide in die Anrede aus Claudias Kindertagen verfallen: Dahma und Laudi. Sie streicht der weinenden Prinzessin liebevoll übers Haar.

„Vielleicht solltest du versuchen, einen etwas weniger rebellischen Tonfall anzuschlagen, wenn du mit deinen Eltern sprichst. Dein Vater ist in der Tat schwer herzkrank und deine Mutter hat es nicht gerade einfach mit ihm. Was ihre zeitweiligen Anfälle von Depressionen betrifft, so finde ich, dass sie sich dennoch sehr tapfer hält.“

Das „kleine Mädchen“ schlägt die Hände vors Gesicht.

„Jajaja, und deshalb brauchen sie unentwegt Schonung und Nachsicht und müssen wie rohe Eier behandelt werden … Dahma, ich brauche auch manchmal Schonung und Rücksichtnahme, aber daran denkt niemand, und ich …“

Claudia beginnt hemmungslos zu schluchzen.

„Ich kann hier doch nicht ein ganzes Jahr untätig herumsitzen oder womöglich Monogramme in die Aussteuerwäsche sticken, bis Michael sein zweites Staatsexamen gemacht hat. Denn ehe er das nicht in der Tasche hat, denkt er nicht ans Heiraten. Und überhaupt – ich versteh ihn manchmal nicht – er ist so ehrgeizig, hat nur sein Studium und seinen zukünftigen Beruf im Kopf, träumt von einer glanzvollen Anwaltskarriere, von interessanten Fällen und …“

Agnes Dahlmann unterbricht sie.

„Kind, sei nicht ungerecht. In der heutigen Zeit ehrgeizig zu sein, ist kein Fehler, sondern ein Muss. Auch ihm als Adeligem fällt nichts in den Schoß, das weißt du selbst. Und – ich dachte immer, du liebst ihn?“

„Ach, Dahma – Liebe, das ist ein großes Wort. Ja, er ist nett, er ist anständig, er sieht gut aus, die Lauensteins sind reich, er ist ganz bestimmt das, was man eine gute Partie nennt. Alle Mütter mit Töchtern im heiratsfähigen Alter wünschen sich einen solchen Schwiegersohn – und ich mag ihn ja auch, aber …“ Sie stockt.

„Was, aber?“

„Ich verzehre mich nicht nach ihm, ich bekomme keine ‚Schmetterlinge im Bauch‘ in seiner Nähe – Mama sagt, das käme erst in der Ehe, aber ob Mama das jemals erlebt hat, das mit den Schmetterlingen im Bauch? Ob die Verbindung mit Papa nicht womöglich auch eine Ehe aus Standesgründen war? Dahma, warst du eigentlich mal verliebt?“

Die so Angesprochene streicht nachdenklich die Tischdecke glatt.

„Ja, war ich – und wie!“

„Oh, erzähl mal – wer war das, wie hieß er? Und warum hast du ihn nicht geheiratet?“

Claudia wischt mit dem Handrücken die letzten Tränen ab und sieht ihre „Dahma“ erwartungsvoll an.

„Er hieß Richard und war der Sohn eines Professors – und ich war die Tochter eines Tischlermeisters. Solche Standesunterschiede waren in meiner Jugend nicht zu überbrücken. Das hat sich bis zum heutigen Tage doch etwas gelockert, aber …“

„Das denkst du“, unterbricht Claudia. „Schön wär’s. In normalen, also in bürgerlichen Gesellschaftsschichten, hat es sich vielleicht etwas gelockert, aber in ‚unseren Kreisen‘, wie meine Mutter zu sagen beliebt, gibt es noch haufenweise Ewiggestrige, die der Ansicht sind, kostbares blaues und ordinäres rotes Blut dürfe man nicht mischen. ‚Lila Blut tut niemand gut‘, das ist doch einer ihrer Standardsätze.“

Nach einer Pause fährt sie resigniert fort:

„Deswegen sind meine Eltern auch so versessen darauf, dass ihre einzige Tochter einen Blaublütigen heiratet. Und Papa will endlich einen Sohn haben. Er hat es mich oft genug deutlich spüren lassen, wie sehr er es bedauert, dass ich nur ein Mädchen geworden bin. Ach, Dahma, du durftest nicht nach deinem Herzen heiraten, aber ich darf auch nicht frei entscheiden. Standesunterschiede und Standesdünkel gibt es auch heute noch, sonst müsste ich doch nicht diesen guten, lieben, ehrgeizigen und langweiligen Michael zu Lauenstein heiraten. Vater fiele tot vom Stuhl, wenn ich ihm eines Tages einen Bürgerlichen als künftigen Schwiegersohn präsentieren würde. Und Mutter würde mich enterben – sie hat ja bei uns das ganze Geld und die Ländereien, auf die Onkel Edwin, Mutters blöder Bruder, so erpicht ist. Das ist ja auch einer der Gründe, weswegen ich Michael heiraten soll: Dass unser Geld mit dem der Lauensteins verschmilzt, dass Michael und ich viele Kinder bekommen und dass Onkel Edwin, dieser Nichtsnutz mit seinen riskanten Finanzgeschäften, in die Röhre kuckt. Aber erzähl mir weiter von deinem Richard, in den du verliebt warst – war auch er in dich verliebt?“

„Nein, nein, und er war auch nie mein Richard, denn er hat ja gar nicht wissen können, wie es in mir aussah. Wir haben nur ein einziges Mal eher zufällig zusammen getanzt und danach hat er mich geküsst, aber mehr so bussibussi-mäßig. Und seitdem habe ich mich nach ihm ‚verzehrt‘, wie du es nennst, monatelang, und ich hatte die von dir erwähnten ‚Schmetterlinge im Bauch‘, wenn ich ihn nur von Weitem gesehen habe.“

„Arme Dahma, aber hättest du keinen anderen heiraten können? Du warst doch sicher hübsch früher. Bist es ja heute noch … du könntest noch heute einen Mann finden.“

„Ach, Kind, mit 45 Jahren denkt man nicht mehr unbedingt ans Heiraten. Nein, ‚verzehrt‘ habe ich mich nur nach Richard, dem Unerreichbaren. Und dann stand ja eines Tages diese Anzeige in der Zeitung, dass auf Schloss Wallburg die junge Fürstin Henriette eine zuverlässige Kinderfrau für die Betreuung der neugeborenen Prinzessin Claudia braucht – und weil ich ohne ‚Schmetterlinge im Bauch‘ niemanden heiraten wollte, bin ich ledig geblieben und eure Dahlmann und deine Dahma geworden – und das habe ich nie bereut. Besonders nicht deinetwegen, denn dadurch, dass deine Mutter andere Aufgaben übernehmen musste, bist du meine Laudi geworden. Du konntest lange keinen K-Laut sprechen. ‚Dahma, Dahma, Laudi Arm!‘ Das war immer so süß, wenn du nach mir gerufen hast.“

„Das möchte ich noch heute manchmal rufen“, murmelt Claudia und drängt sich in die Arme der Haushälterin.

„Du hast diesen Richard also nicht einmal geküsst … willst du damit sagen, dass du nie … also du hast nie … Dahma, bist du womöglich noch – Jungfrau?“

„Aber Claudia, so etwas fragt man doch nicht … so etwas würde ich dich bei all unserer Vertrautheit nie fragen.“

Agnes Dahlmann ist rot geworden. Sie schiebt Claudias von sich und streicht wieder mit fahrigen Händen über die längst tadellos geglättete Tischdecke.

„Aber du dürftest mich so etwas ruhig fragen“, wendet Claudia lebhaft ein, „Denn du kennst mich, seitdem ich lebe, also immerhin seit fast 19 Jahren. Du kennst mich besser, als meine eigene Mutter mich kennt – ich habe ‚Dahma‘ gebrabbelt, noch bevor ich „Mama“ sagen konnte, und deshalb verrate ich es dir ungefragt: Ich bin keine Jungfrau mehr. Setz dich hin, bevor du vor Schreck umfällst.“

Dahlmann lässt sich sichtlich erschüttert auf den nächsten Stuhl fallen. „Aber Claudia, ich …“

„Dahma, ich war die letzte Jungfrau in unserer Abiturklasse, alle konnten irgendwann von ihren erotischen Ersterfahrungen berichten, nur ich nicht – das war ja schon fast peinlich.“

„So etwas erzählt ihr euch gegenseitig? In meiner Jugend … Laudi, du machst mich sprachlos.“

„Ach, Dahma.“ Claudia verfällt immer wieder in den Kosenamen aus längst vergangenen Kindertagen.

„Diesbezüglich stand ich nicht wirklich unter dem Druck meiner Klassenkameradinnen – ich hätte mir jederzeit einen Liebhaber ausdenken können, um mich damit zu brüsten. Wer weiß, ob die anderen nicht auch dann und wann geflunkert haben. Notfalls hätte ich auch fröhlich gelogen. Nein, den eigentlichen Druck hat Vater ausgeübt.

‚Ist mit dir und Michael in jeder Beziehung alles in Ordnung?‘, fragte er manchmal. Anfangs wusste ich gar nicht, was genau er meinte, dann hakte Vater nach. ‚Ich meine – ist Michael ein richtiger Mann?‘ Wenn er sich getraut hätte, würde er wohl gefragt haben: ‚Ist dein Zukünftiger gut im Bett? Ist er imstande, der Vater meiner Enkel zu werden?‘ Dann hätte ich ihm wahrscheinlich ins Gesicht gesagt: ‚Ja, Vater, deine Sorgen sind unbegründet – er ist imstande, aber er bringt mein Blut nicht zum Kochen und er benutzt Kondome, weil wir erst nach seinem Examen heiraten und Kinder haben wollen – wir tun alles, damit ihr nicht wegen einer vorzeitigen Schwangerschaft eurer Tochter in den Schlagzeilen der bunten Blätter auftaucht und euer tadelloser Ruf einen Knacks bekommt – zufrieden?‘ Natürlich habe ich nie so reagiert, wohlerzogen und artig wie ich im Grunde bin, aber dass Michael mein Blut nicht zum Kochen bringt, dass ich mich nicht nach ihm ‚verzehre‘, das stimmt leider.“

„Oh, mein Schätzchen, mein Herzenskind.“ Agnes Dahlmann wiegt ihre „Laudi“ in den Armen wie in längst verflossenen Kindertagen.

„Aber wenn wir schon beim Thema sind, dann verrate ich dir noch etwas: Seit vorgestern weiß ich, wie es sein kann, wenn ein Mann nicht wie Michael pflichtgemäß, aber unbeholfen ‚den Druck aus dem Kessel lässt‘, sondern wenn jemand es schafft, echte Leidenschaft in einem zu wecken. Welches Gefühl dich überkommt, dass du nahe daran bist, den Verstand zu verlieren. Wenn du nicht nur Schmetterlinge im Bauch hast, sondern … ach, ich will dir nicht verspätet den Mund wässerig machen, arme Dahma, die du so etwas nie erlebt hast. Ich habe es erlebt – ob es aber ein Glück oder ein Segen ist, wird sich zeigen. Nur – wer der ‚Bösewicht‘ war, der mir den Pulsschlag lustvoll erhöht und die Blutzufuhr zum Herzen so beschleunigt hat, dass ich befürchtete, ohnmächtig zu werden – das werde ich niemandem erzählen, nicht meinen besten Schulfreundinnen und auch nicht meiner lieben treuen Dahma.“

Die Haushälterin schweigt zunächst, fast peinlich berührt und zögert, ehe sie ihre Scheu überwindet und eine Frage stellte, die ihr auf der Zunge brennt:

„War der ‚Bösewicht‘ wenigstens standesgemäß?“

Claudia lächelt. „Keine Auskunft!“

„Aber – wirst du Michael zu Lauenstein trotzdem heiraten?“

„Ja, ich bin eine brave, folgsame Tochter, eine von Wallburg, die ihr einmal gegebenes Versprechen halten wird, aber vorher will ich noch ein wenig von der Welt sehen, auch wenn …“

Die rufende Stimme der Fürstin unterbricht das Gespräch der beiden.

„Dahlmann, könntest du bitte kommen?. Ich muss Dr. Mittmann anrufen und möchte nicht, dass mein Mann in der Zwischenzeit alleine ist.“

Dahlmann windet sich aus Claudias Armen.

„Ich komme, Fürstin, bin sofort bei Ihnen.“

„Mutter, ich könnte auch …“

Die Fürstin reagiert abweisend.

„Meine liebe Claudia, deine Gesellschaft ist Vater in seiner momentanen gesundheitlichen Verfassung nicht anzuraten, wie du dir unschwer denken kannst, besonders nicht nach der Standpauke, die du uns eben überflüssigerweise gehalten hast. Nein, nein, Dahlmanns Obhut ist ihm auf jeden Fall zuträglicher.“

Claudia liegt eine bissige Antwort auf der Zunge, aber Dahlmann bedeutet ihr zu schweigen.

„Lass es gut sein, Laudi,“ murmelt sie halblaut. „Und was unser voriges Gespräch betrifft …“ Sie legt den rechten Zeigefinger auf ihre geschlossenen Lippen und flüstert im Vorbeihuschen: „Ich werde schweigen wie ein Grab.“

„Ich weiß es zu schätzen, liebe, liebe Dahma.“

Unwillig wendet Claudia sich an ihre Mutter.

„Wenn ich hier also unerwünscht und überflüssig bin, dann gehe ich in den Stall zu Avra und ihrem Fohlen. Die Pferde freuen sich über meine Anwesenheit und sind dankbar für ein paar Streicheleinheiten – im Gegensatz zu manchen Menschen.“

Die Miene der Fürstin verfinstert sich.

„Du kannst dir deinen schnippischen Unterton sparen. Im Übrigen würde auch Vater sich über ein paar Streicheleinheiten seiner einzigen Tochter freuen, aber diese …“ Sie vollendet den Satz nicht, sondern bedeutet Dahlmann, ihr ins Schlafzimmer des Fürsten zu folgen.

Claudia beherrscht sich nur mühsam. Sie schließt die Augen für einen kurzen Moment und atmet tief durch.

„Dann muss ich mir wohl schon wieder reumütig an die Brust schlagen: Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa …“, murmelt sie halblaut, schluckt aber eine bissige Antwort herunter, um weiteren Unfrieden zu vermeiden. Dann geht sie entschlossenen Schrittes durch den Garten zu den Hofgebäuden, in denen auch der Reitstall untergebracht ist. Ihr Pferd Avra begrüßt seine Herrin schon von Weitem mit einem sanften, aber hörbaren Schnobern.

2

„Na, wem gilt denn diese freudige Begrüßung?“

Der alte Gärtner des Fürsten schaut interessiert um die Ecke.

„Claudia, welch nette Überraschung am frühen Morgen. Ich habe dich lange nicht gesehen.“ Er wischt seine schwieligen Hände an der Schürze ab und streckt Claudia seine Rechte entgegen.

„Herzlichen Glückwunsch nachträglich zum bestandenen Abitur. Deine Eltern werden stolz und erleichtert sein, dass es so gut gelaufen ist. Meine Frau und ich waren es jedenfalls, als unser Harald damals diese erste von vielen Hürden genommen hatte.“

Claudia nimmt die Gratulation lächelnd entgegen.

„Danke, Onkel Weggi. Ja, das Abi habe ich geschafft, aber das ist ja schon fast eine Ewigkeit her.“

Seit Kindertagen, als der Name Wegener für sie noch zu schwierig auszusprechen war, benutzt Claudia diesen Namen, und Onkel Weggi nennen ihn seitdem auch einige der anderen Angestellten des Fürsten. Dieser seinerseits, ebenso wie Fürstin Henriette, spricht ihn weiterhin förmlich mit „Herr Wegener“ an. Auch dass der Gärtner Claudia gegenüber das vertrauliche Du benutzt, hatte der Fürst zu unterbinden versucht, aber Claudia hatte darauf bestanden, von ihrem „Onkel Weggi“ geduzt zu werden. „Onkel Edwin sagt ja auch du zu mir und Onkel Weggi ist viel netter als Onkel Edwin.“ Damit war für Claudia der Fall erledigt, und Fürst Raimund hatte sich widerwillig damit abfinden müssen.

Claudia schüttelt ihm kräftig die Hand.

„Wie geht es Harald übrigens? Studiert er nicht Jura in Marburg? Ich habe ihn lange nicht mehr gesehen. Wenn ich richtig rechne, muss er schon bald sein erstes Examen machen?“

Der Gärtner grinst. „Das erste Examen? Prinzessin, der hat sein Zweites schon mit Bravour abgelegt und arbeitet seit einem halben Jahr als Rechtsanwalt in einer Anwaltskanzlei in Münster. Wenn du mal einen tüchtigen Spezialisten für Erbschaftsangelegenheiten brauchen solltest, dann kannst du auf ihn zählen,“

„Ach, das ist gut zu wissen“, unterbricht Claudia ihn lachend, „Mein Vater ist im Moment so wütend auf mich, dass er womöglich durchaus in Erwägung zieht, mich zu enterben.“

Sie hält inne und fährt dann fort:

„Nein, das würde er schon deshalb nicht tun, weil unser ganzer Besitz nach seinem und Mutters Tod an Mutters Bruder ginge, an Onkel Edwin, das schwarze Schaf der Familie. Und der würde Haus und Hof in kürzester Zeit herunterwirtschaften oder verzocken – nein, da setzt er doch lieber mich als Alleinerbin ein. Aber auch wenn ich Haralds Rat als Anwalt hoffentlich nie in Anspruch werde nehmen müssen, würde ich ihn gerne einmal wiedersehen. Ist er schon verheiratet?“

Voll Stolz berichtet der alte Wegener umständlich und fast ein bisschen ausufernd von den Erfolgen seines Sohnes. Nein, verheiratet sei er nicht, aber er habe eine Freundin und …

Einen Hustenanfall vortäuschend, verabschiedet Claudia sich abrupt von ihm, weil Peter von Gliesen, der junge Veterinär, den Fürst Raimund vor einiger Zeit eingestellt hatte, im Eingang des Stalls erscheint. Gerade ihm will sie jetzt lieber nicht begegnen. Sie versucht in Richtung Ausgang zu flüchten, als Baron von Gliesen sich ihr in den Weg stellt und sie nach kurzer, korrekter Begrüßung bittet, für einen Augenblick mit in sein Büro zu kommen. Es sei da in Bezug auf irgendwelche fragwürdigen Abrechnungen des Heu liefernden Bauern etwas zu klären.

Beklommen und mit beschleunigtem Herzschlag entspricht Claudia seiner Aufforderung.

In von Gliesens Büro angekommen, fehlen beiden zunächst die Worte, bis Claudia, Interesse an der angeblich fragwürdigen Rechnung vortäuschend, zu sprechen beginnt.

„Was ist mit …“

Der Baron unterbricht sie.

„Claudia, was uns da vorgestern passiert ist – das darf sich nicht wiederholen.“

Er senkte die Stimme zu kaum mehr als einem Flüstern. „Nein, es darf sich nicht wiederholen. Bitte versteh mich recht: Ich liebe meine Frau – es würde ihr wehtun, wenn sie es erfahren würde, aber ich möchte ihr nicht wehtun. Claudia, dich habe ich an jenem Abend auch geliebt, du warst so … ich konnte mich nicht beherrschen.“

Er nimmt Claudias Hände.

„Ich hätte den Rotwein im Schrank lassen sollen. Er hat uns wegen der Geburt von Avras Fohlen in eine so euphorische Stimmung versetzt, dass wir …“

Er lässt ihre Hände los und beginnt, mit gehetztem Schritt das kleine Büro hin und her zu durchqueren.

„Du bist so jung und schön und begehrenswert und heiter und unbekümmert und … die Gefühle haben mich einfach überwältigt. Meine Frau ist seit Monaten so verändert, so melancholisch, so wenig heiter und schon gar nicht unbekümmert. Aber ich habe ihr Treue versprochen und meine es ernst damit.“

Er schließt die Augen und spricht leise weiter, wie zu sich selbst.

„Sonja und ich schlafen nur noch miteinander in der Hoffnung, ein Kind zu zeugen. Unser Beischlaf ist zu einer Pflichtübung geworden. Wir leiden beide darunter … ihr verzweifelter Wunsch nach einem Kind ist übermächtig, aber es klappt nicht bei uns.“

Er schweigt und schlägt die Hände vors Gesicht.

Claudia geht auf ihn zu und nimmt ihn vorsichtig und scheu in den Arm.

„Du hast recht, Peter, es darf und es wird sich nicht wiederholen, auch wenn es atemberaubend schön war. Ich verdanke dir ein Erlebnis, das ich so nicht erwartet hatte. Auch mich haben die Gefühle überwältigt – Gefühle, die ich bis dahin nicht kannte. Wir werden den Abend als unser beider Geheimnis hüten, denn auch ich habe Michael Treue versprochen, wenn auch noch nicht – wie du – vor dem Traualtar.“

Sie streicht ihm übers Haar, zieht mit schüchterner Hand den glatten blonden Scheitel nach und versucht ein unsicheres Lächeln.

„Vielleicht solltet ihr beide bei einer nächsten Gelegenheit denselben Wein trinken, der uns dermaßen in Stimmung versetzt hat, dass wir …“

Sie lässt ihn los, schüttelt ‚nie wieder‘ flüsternd den Kopf und wendet sich einem Stapel Papier auf seinem Schreibtisch zu. „Was also ist mit dieser ominösen Rechnung?“

Peter Gliesen geht zu seinem Bürostuhl, nachdem er Claudia einen freundschaftlichen Kuss auf die Stirn gedrückt hat.

„Du wirst also künftig nicht mehr mit schlechtem Gewissen versuchen, mir auszuweichen so wie eben?“

„Wir werden uns ohnehin nur noch selten sehen, ich fliege nämlich für ein Jahr nach Amerika, auch wenn ich dafür bei meinen Eltern noch Überzeugungsarbeit leisten muss. Ich habe eine Stelle als Au-pair in Aussicht und hoffe, bei einer amerikanischen Familie mit Kindern mein Englisch noch verbessern zu können. Wer weiß – vielleicht kann ich damit Michael in seiner zukünftigen Anwaltspraxis eines Tages dienlich sein, denn er will sich auf Europarecht spezialisieren, und sein Englisch ist nicht halb so gut wie meines. Also – her mit der Rechnung!“

„Ach, das war doch nur ein Vorwand, dich vom alten Wegener weg und in mein Büro zu locken. Ich musste mit dir sprechen, weil ich ein schlechtes Gewissen habe wegen des vorgestrigen …“

Er sucht nach einem passenden Wort.

„Man nennt das wohl einen Seitensprung, oder? Ich wollte, ich könnte ihn ungeschehen machen, das musst du mir glauben.“

Claudia sieht nachdenklich hinaus in den noch immer herbstlich blühenden Garten. Ihr Blick schweift zu der alten steinernen Brücke, die die Gräfte überspannt. Jenseits, vor der dunklen Taxushecke, leuchten unzählige Dahlien und Gladiolen in der Morgensonne, und an der Backsteinmauer der Remise stehen üppige Reihen mit weiß- und blaublühendem Rittersporn Spalier.

„Bring deiner Sonja einen Strauß Rittersporn mit – blau ist die Farbe der Treue, denn im Grunde bist du deiner Frau trotz allem treu. Ich möchte diesen Abend nicht vergessen, Peter, denn er hat in mir eine neue Saite zum Klingen gebracht. Aber ich werde in deiner Gegenwart nicht mehr darüber sprechen. Und nun möchte ich Avra nicht länger warten lassen.“

Sie klopft mit dem Fingerknöchel Abschied nehmend dreimal auf die Tischplatte und verlässt das Büro in Richtung Reitstall.

„Avra, meine Schöne, lass uns ein bisschen ausreiten und den goldenen Oktober genießen – jaja, dein Fohlen darf mit.“

Sechs Wochen später.

Eine SMS:

„Lieber Peter, könntest du bitte morgen gegen 18 Uhr MEZ diese auf dem Display angegebene Nummer anrufen? Ich muss dich dringend sprechen. C.“

3

– Zwanzig Jahre später –

„Ist das nicht ein wundervoller Frühlingstag, Dahlmann? ‚Nun will der Lenz uns grüßen‘ – haben wir früher in der Schule gesungen … Man wird ein anderer Mensch, wenn endlich die Sonne scheint – und sie wärmt sogar schon. Fühlst du es auch?“

Fürstin Henriette steht in der offenen Gartentür des Frühstückszimmers von Schloss Wallburg und legt den Kopf in den Nacken, der milden Sonne entgegen. Unter der Rotbuche blühen wie jedes Jahr die blauen Zwerghyazinthen in üppiger Fülle.

„Der Blumenteppich wird jedes Jahr etwas breiter, hast du das auch beobachtet? Als mein Mann noch lebte, war er längst nicht so ausladend. Schade, dass er diese Pracht nicht mehr erleben kann.“

Agnes Dahlmann räumt weiter den Tisch ab und trägt das Geschirr in die Küche, ehe sie sich neben die Fürstin stellt und ebenfalls in den Park schaut.

„Ja, Fürstin, die Sonne hat schon richtig Kraft … ich werde den Sonnenhut vom Dachboden holen. Sie sollten ihn aufsetzen, wenn Sie nach draußen gehen. Man holt sich um diese Jahreszeit schnell einen Sonnenbrand. Sie haben übrigens vor lauter Frühling Ihre Tabletten vergessen, hier, nehmen Sie sie jetzt, ehe ihre Stimmung wieder umschlägt.“

Die Haushälterin reicht der Fürstin ein Glas Wasser und die alte Meißner Pillendose mit den Medikamenten.

„Ach, Dahlmann, wenn ich dich nicht hätte … nein, meine Tabletten darf ich nicht vergessen. Manchmal bin ich schon stark versucht, sie abzusetzen, aber wenn ich damit riskiere, wieder so eine Psychose zu bekommen wie vor zwei Jahren – nein, ich werde brav sein und sie weiterhin schlucken … sieh mal da drüben, auf der anderen Seite der Gräfte, ist das nicht der alte Wegener? Was macht er denn da? Ach, er kümmert sich um den abgeblühten Rhododendron, dabei fällt ihm das Strecken und Bücken auch schon schwer. Aber er will ja um nichts in der Welt in Rente gehen. Der Park ist ihm nach wie vor Lebensinhalt. Welch ein Glück für mich. Ohne euch beide wäre ich in dem großen Haus einsam und alleine.“

„Das dürfen Sie nicht sagen, Fürstin. Sie haben doch auch Claudia und Michael und vor allem Ihre Enkelin, Esther. Übrigens, hat die nicht in der nächsten Woche Geburtstag? Wird sie nicht sogar 18 Jahre alt und damit volljährig?“

„Gut, dass du mich daran erinnerst, Dahlmann, ich möchte ihr so gerne irgendetwas Ausgefallenes schenken, denn der 18. Geburtstag ist in der Tat etwas Besonderes, nicht wahr? In unserer Jugend wurde man erst mit einundzwanzig Jahren volljährig, erinnerst du dich? Ich weiß noch, dass ich an dem Tag von meiner Mutter eine wunderschöne Perlenkette bekommen habe. Warum habe ich die eigentlich so lange nicht mehr getragen? Echte Perlen müssen getragen werden, sonst verlieren sie ihren Schimmer, aber seit Fürst Raimund vor vier Jahren starb …“

Wehmütig betrachtet sie ihre Hand mit den beiden Eheringen. Plötzlich kommt ihr ein Gedanke.

„Ob ich die Kette an Esther weiterverschenke? Sie könnte sie an ihrem Geburtstag tragen, Dahlmann, was meinst du?“

Dahlmann äußert vorsichtige Bedenken.

„Wenn Sie mich so fragen – Esther ist ja doch eher etwas … etwas flippig, möchte ich es nennen, und zu ihren bunten Schlabberkleidern passen die niedlichen bunten Glasperlenketten vom Flohmarkt eigentlich besser als wertvolle echte Tiefseeperlen, oder?“

„Ja, du hast wieder mal Recht. Vielleicht sollte ich sie ihr erst zum Abitur in drei Wochen schenken … Was haben wir eigentlich Claudia damals geschenkt, als sie ihr Abi bestanden hatte? Kannst du dich daran erinnern?“

Agnes Dahlmann spielt mit den Bändern ihrer Schürze.

„Oh ja, das weiß ich noch. Sie haben ihr nach langen erbitterten Diskussionen erlaubt, die heiß ersehnte Au-pair-Stelle in Amerika anzutreten. Fürst Raimund war dagegen und Sie hatten es seinerzeit auch bereut, ihr diese Auszeit als Belohnung für ihr glänzend bestandenes Abitur versprochen zu haben. Aber Claudia hat nicht lockergelassen. Die Reise in die Staaten, das war Ihr Abiturgeschenk an sie. Das Kind war so glücklich, als sie in den Flieger stieg …“

„Und sie war völlig verändert, als sie nach knapp einem Jahr schon wieder zurückkam. Nicht nur, dass sie zugenommen hatte, was wohl an der für uns Europäer eher ungewohnten amerikanischen Küche gelegen haben mag. Und die überzähligen Pfunde waren ja auch schnell wieder verschwunden. Bei der Hochzeit mit Michael war sie jedenfalls gertenschlank und hübsch wie eh und je, aber irgendwie verändert. Das fiel sogar meinem Mann auf. Sie war eigenartig mild und fügsam geworden, längst nicht mehr so aufmüpfig wie vorher. Wir haben uns oft gefragt, was sie wohl so verändert haben mag. Hat sie sich dir gegenüber auch nicht geäußert?“

Agnes Dahlmann schüttelte den Kopf.

„Nein, sie hat auch mir nie viel von ihrem Amerikaaufenthalt erzählt, obwohl ich sie mehrfach gebeten hatte, mir zum Beispiel von dem so häufig zitierten ‚way of life‘ der Amerikaner zu berichten. Aber es kam nicht viel dabei heraus. Es habe häufig ‚Fast Food‘ gegeben und dazu Cola, das Lieblingsgetränk der Amerikaner, deshalb habe sie auch so zugenommen. Und sie hat ihr Fahrrad vermisst, in Boston würden auch die kleinsten Entfernungen mit dem Auto erledigt. Stattdessen würde in der Freizeit gejoggt, was das Zeug hält … nein, viel Neues war da nicht zu erfahren.“

„Aber die Familie, deren Kinder sie als Au-pair-Girl zu betreuen hatte, soll doch eigentlich nett gewesen sein, oder nicht?“

„Ja, das habe ich auch so verstanden, besonders das Baby sei so süß gewesen … an dem hat sie wohl gehangen, aber ansonsten waren keine Details aus ihr herauszubekommen. Sie muss sehr unter Heimweh gelitten und viel geweint haben.“

„Wir waren enttäuscht, dass sie so selten angerufen hat – vielleicht deshalb, weil sie nicht zugeben wollte, dass sich dieser Trip doch nicht als das ideale Abiturgeschenk erwiesen hat – obwohl sie es sich so sehr gewünscht hatte. Arme Claudia … Wie gut, dass sie sich sofort nach ihrer Rückkehr ihrem Michael in die Arme gestürzt hat. Ich denke gern an diese Hochzeit zurück. Was für ein schönes Paar sie waren, das sagten alle. Und mein Mann war so glücklich, endlich einen ‚Sohn‘ zu haben, wenn auch nur einen Schwiegersohn.“

„Ja, sie waren ein schönes Paar, ich erinnere mich auch gern an den Tag. So hat sich dann doch alles zum Guten gewendet. Fürst Raimund war später so begeistert von Esther, seiner kleinen Enkelin, auch wenn er sich womöglich auch da wieder insgeheim einen männlichen Erben erhofft hatte – und er hat das Kind trotz seiner immer auffälliger werdenden gesundheitlichen Probleme viele Jahre genießen können. Nicht traurig sein an so einem herrlichen Frühlingstag … Wir sollten lieber darüber nachdenken, was ich heute kochen könnte. Wie wär’s mit frischem Spinat aus dem Treibhaus? Weggi hat schon vor ein paar Tagen voll Stolz berichtet, man könne eine erste Mahlzeit ernten. Also?“

Die Fürstin schenkt ihrer Haushälterin ein dankbares Lächeln.

„Eine gute Idee, Dahlmann, junger Spinat mit Stampfkartoffeln, gerösteten Zwiebelringen und Spiegeleiern. Ich werde im Hühnerstall nachsehen, ob die Hennen schon in Legestimmung sind.“

Sie öffnet die Flügeltür und will gerade die Terrasse betreten, als das Telefon klingelt.

„Soll ich …?“ Dahlmann sieht die Fürstin fragend an.

„Nein, ich gehe schon … Hallo Claudia, guten Morgen … Dahlmann und ich haben gerade von dir gesprochen, und davon, dass Esther nächste Woche Geburtstag hat und dass ich ihr gerne etwas besonders Hübsches schenken möchte … ich weiß nur noch nicht was. Hast du eine Idee? – Ach so, dann kann ich mir ja noch Zeit lassen …“

Sie bedeckt die Sprechmuschel mit der freien Hand und wendet sich zu Dahlmann. „Sie werden nach Juist fliegen und an dem Tag gar nicht zu Hause sein“, informiert sie diese mit flüsternder Stimme.

„Nun, wenn ihr dem Kind damit eine Freude macht, dann ist das sicher eine gute Idee? – Wie sind denn die Wetteraussichten? – Aber baden wird man noch nicht können, oder? – Ach so, das Hotel hat einen Wellnessbereich – Michael nimmt sich extra das Wochenende frei, gut so – nun ja, wenn die einzige Tochter volljährig wird …“

Sie bedeutet Dahlmann mit einer Handbewegung, dass es ein längeres Gespräch werden wird und geht, den Hörer am Ohr, über die Terrasse in den Park. Mutter und Tochter unterhalten sich angeregt und ausführlich.

„Gestern hatte Michael einen neuen Klienten, einen Amerikaner, dem Michaels Kanzlei empfohlen worden war, weil seine Frau – also ich – ein ausgezeichnetes Englisch bzw. Amerikanisch spräche und es deshalb keine Verständigungsprobleme geben werde. Da war ich richtig stolz, dass ich Michael auch dieses Mal helfen kann – es wird ein schwieriger und langwieriger Prozess werden, aber …“

Die Fürstin unterbricht.

„Dann war dein damaliges Jahr in Amerika doch keine verplemperte Zeit, oder? Wenigstens konntest du dich sprachlich so sehr verbessern, dass du auch in schwierigen juristischen Fällen dolmetschen kannst. Ansonsten hatten wir immer eher den Eindruck, dass du damals keine glückliche Zeit hattest – du hast jedenfalls nie viel erzählt. Sogar Dahlmann erinnert sich, dass du ein Gespräch über deine Zeit in Amerika nach Möglichkeit vermieden hast. Warum eigentlich?“

„Ach, Mama, klammern wir dieses Thema endgültig aus, es liegt so weit zurück, lassen wir die Vergangenheit ruhen. Ich habe sofort nach meiner Rückkehr Vaters Wunsch entsprochen und Michael geheiratet, damit er endlich einen ‚Sohn‘ hatte, und …“

Wieder unterbricht die Fürstin.

„Soll das heißen, dass du Michael nur Vater zuliebe geheiratet hast? Das kann und will ich nicht glauben, dass diese Ehe für dich ein Opfer war. Nein, Claudia, du warst mit Michael verlobt und hast ihn auch geliebt und, soweit ich das als Mutter erkennen kann, führt ihr eine gute Ehe, seid gesellschaftlich anerkannt, habt keinerlei finanzielle Sorgen, und ein zusätzlicher Beweis von Liebe ist eure Tochter Esther. Mach mir nicht das Herz schwer, indem du das abstreitest.“

„Mutter, bitte, noch einmal – lassen wir das Thema Amerika endgültig in der Versenkung verschwinden, zumal Esther gerade kommt und noch ein paar Worte mit dir wechseln möchte. Aber bitte nicht mehr zu lange, ich erwarte noch einige Anrufe … Bussi.“

„Hallo Großmutter.“

Esthers junge fröhliche Stimme erreicht das Ohr der Fürstin. „Hast du gehört, dass Papa sich zu meinem Geburtstag frei nimmt und wir mit einem Privatflieger nach Juist fliegen? Ist das nicht toll? Nur wir drei? Papa hat sogar versprochen, dass er das ganze Wochenende sein Smartphone abschalten und nicht anrühren wird. Da bin ich ja gespannt, ob er das durchhält … das wäre ein wirklich echtes Geschenk. Was sagst du dazu?“

„Ich freue mich mit dir, Kleines. Apropos Geschenk: Womit könnte denn ich meiner einzigen Enkelin eine Geburtstagsfreude machen? Gibt es da nicht einen vielleicht geheimen Wunsch, den deine Großmutter dir erfüllen könnte? Na? Überleg doch mal …“

„Omilein, also wenn ich mir wirklich etwas wünschen darf … ich habe vor ein paar Wochen bei euch auf dem Dachboden in dem großen Schrank, bei dem die Türe so klemmt, eines von deinen alten Kleidern gesehen, so ein buntes mit ganz großen Blumen darauf und mit einem weiten Rock – das ziehst du bestimmt nie mehr an, aber ich würde es schrecklich gern zu unserer Abiturfeier tragen – wir wollen alle in Kleidern von ‚anno dunnemals‘ erscheinen – und dieses Kleid finde ich so was von süß … bittebitte, Omi, ich passe auch ganz bestimmt auf, dass es nicht kaputtgeht, und …“

Esthers Stimme ist ganz klein und kindlich geworden und endet mit einem großen akustischen Fragezeichen. Die Fürstin kann sich eines Lächelns nicht erwehren.

„Wenn wir dasselbe Kleid meinen, dann sprechen wir von meinem Tanzstundenkleid … das hat mir unsere damalige Hausschneiderin genäht. Es ist aus sogenanntem Georgette, ein Stoff, den es heute fast gar nicht mehr gibt. Meine Mutter fand damals, der Ausschnitt sei für ein junges Mädchen viel zu tief – ich hatte schon zu meiner Tanzstundenzeit einen deutlich erkennbaren Busen – doch die Schneiderin hat meiner Mutter alle Bedenken ausgeredet. Aber sie musste aus einem Rest des Stoffs ein Tüchlein nähen, das man, zu einer Rose gefältelt, mit einer Schmucknadel am Ausschnitt befestigen konnte, um damit das Dekolleté zu verkleinern.“

„Genau, und diese Rose und sogar die altmodische Schmucknadel stecken immer noch an dem Ausschnitt“, fuhr Esthers fröhliche Stimme dazwischen. „Omi, schenkst du mir das Kleid zum Geburtstag? Dann brauchst du dir auch gar nicht mehr weiter den Kopf zu zerbrechen. Und das gilt dann gleich als Abiturgeschenk – wenn ich es denn bestehe und nicht mit Pauken und Trompeten durchrassle, aber es sieht nicht schlecht aus, was meine Vorzensuren betrifft – ach Omilein, bitte.“

„Okay, versprochen, es soll dir gehören und es macht mir Freude, dass du dir etwas wünschst, was mit mir zu tun hat. Ich wollte es übrigens schon lange zusammen mit anderen Kleidern aus dem alten Schrank in einen Theaterfundus geben, denn manchmal werden gerade die Kleider aus jenen Jahren gesucht, aber wenn meine Enkelin sich damit auf ihr Abiturfest traut … umso besser. Übrigens hat Großvater mich damals in dem Kleid kennengelernt.“

„War Großvater etwa mir dir zusammen in der Tanzstunde?“

„Nein, er war ja viel älter als ich – wo er mich in dem Kleid gesehen hat? Bei einem Besuch bei meinen Eltern, er war damals in verschiedenen Adelsfamilien auf Brautschau – seine Zukünftige sollte unbedingt ebenfalls adelig sein. Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Ja, er war ein bisschen sehr standesbewusst. Deswegen hat er ja auch so großen Wert darauf gelegt, dass seine Tochter Claudia, also deine Mama, deinen Vater, Michael zu Lauenstein heiratet. Vielleicht würde er heute das mit der adeligen Herkunft nicht mehr ganz so eng sehen, aber ich bin froh, dass es so gekommen ist, denn sonst hätte ich dich ja nicht, meine einzige Enkelin – und das wäre nun wirklich sehr bedauerlich.“

„Und ich hätte nicht die beiden besten Großmütter der Welt, nämlich dich und Oma Charlotte. Nun siehst du, welch eine wichtige Rolle dein geblümtes Tanzstundenkleid in deinem und meinem Leben spielt – wie lieb von dir, dass du es mir schenken willst. Ach, Großmutter, ich freue mich so auf meinen Geburtstag, endlich einmal zwei ganze Tage mit Papa und Mama, und ganz ohne Smartphone und Laptop!“

Das Gespräch zwischen Großmutter und Enkelin geht noch eine Weile hin und her. Erst als Wegener aus dem hinteren Teil des Parks mit entsprechenden Handzeichen signalisiert, dass er die am offenen Fenster stehende Fürstin um ein Gespräch bittet, beendet diese das Telefonat.

„Hallo, Herr Wegener, welch herrlicher Frühlingstag. Bei dem Wetter sieht man dem ganzen Park deutlich an, dass Sie nicht nur einen, sondern zwei grüne Daumen haben. Sie wollten mich sprechen?“

Der alte Gärtner nimmt die Mütze vom Kopf und versucht, mit der linken Hand seine grauen Haare zu einer Frisur zu glätten. Gleichzeitig zieht er die bislang hinter seinem Rücken versteckte rechte Hand nach vorn und reicht seiner Chefin einen kleinen Strauß aus Zwerghyazinthen, Schlüsselblumen und Leberblümchen.

„Wenn Sie die vielleicht Fürst Raimund aufs Grab bringen würden? Er hat sich über die ersten Frühlingsblüher immer so sehr gefreut.“

Die Fürstin ist gerührt.

„Ach, Sie treue Seele … Nun ist mein Mann schon seit vier Jahren tot, aber die Natur kümmert sich nicht um unsere Trauer und erwacht jedes Jahr zu neuem Leben. Die Zeit vergeht unaufhörlich und …“

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