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Die Herausgeber

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Prof. i. R. Dr. Rainer Benkmann war Inhaber des Lehrstuhls »Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen« am Fachgebiet Sonder- und Sozialpädagogik der Universität Erfurt. Seine Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind Integrations-/Inklusionsforschung in der Schule, inklusionsorientierte Professionalisierung von Lehrkräften, Lehrerhabitus, Sozialisation von Kindern in Armutslagen und Kindeswohlgefährdung.

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Dr. paed. Ulrich Heimlich ist Universitätsprofessor für Lernbehindertenpädagogik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der inklusiven Förderung und Inklusionsforschung sowie im Bereich der präventiven Förderung und Spielpädagogik bezogen auf gravierende Lernschwierigkeiten.

Rainer Benkmann Ulrich Heimlich (Hrsg.)

Inklusion im Förderschwerpunkt Lernen

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-025126-7

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-025127-4

epub:   ISBN 978-3-17-025128-1

mobi:   ISBN 978-3-17-025129-8

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Vorwort der Reihenherausgeber

 

Vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention, die seit 2009 für Deutschland verbindlich gilt, entwickelt sich die Idee der Inklusion zu einem neuen Leitbild in der Behindertenhilfe. Sowohl in der Schule als auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen sollen Menschen mit Behinderung von vornherein in selbstbestimmter Weise teilhaben können. Inklusion in Schule und Gesellschaft erfordert einen gesamtgesellschaftlichen Reformprozess, der sowohl auf die Umgestaltung des Schulsystems als auch auf weitreichende Entwicklungen im Gemeinwesen abzielt. Der Ausgangspunkt dieser Entwicklung wird in Deutschland durch ein differenziertes Bildungssystem und eine stark ausgeprägte spezialisierte sonderpädagogische Fachlichkeit bezogen auf unterschiedliche Förderschwerpunkte bestimmt. Vor diesem Hintergrund soll die Buchreihe »Inklusion in Schule und Gesellschaft« Wege zur selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit Behinderung in den verschiedenen pädagogischen Arbeitsfeldern von der Schule über den Beruf bis hinein in das Gemeinwesen und bezogen auf die unterschiedlichen sonderpädagogischen Förderschwerpunkte aufzeigen. Der Schwerpunkt liegt dabei im schulischen Bereich. Jeder Band enthält dabei sowohl historische und empirische als auch organisatorische und didaktisch-methodische sowie praxisbezogene Aspekte bezogen auf das jeweilige spezifische Aufgabenfeld der Inklusion. Ein übergreifender Band wird Ansätze einer interdisziplinären Grundlegung des neuen bildungs- und sozialpolitischen Leitbildes der Inklusion umfassen. Als Herausgeber fungieren die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats »Inklusion« beim Bayerischen Landtag.

Die Reihe umfasst folgende Einzelbände:

 

Band   1:

Inklusion in der Primarstufe

Band   2:

Inklusion im Sekundarbereich

Band   3:

Inklusion im Beruf

Band   4:

Inklusion im Gemeinwesen

Band   5:

Inklusion im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung

Band   6:

Inklusion im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung

Band   7:

Inklusion im Förderschwerpunkt Hören

Band   8:

Inklusion im Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung

Band   9:

Inklusion im Förderschwerpunkt Lernen

Band 10:

Inklusion im Förderschwerpunkt Sehen

Band 11:

Inklusion im Förderschwerpunkt Sprache

Band 12:

Inklusive Bildung – interdisziplinäre Zugänge

Die Herausgeber

Erhard Fischer

Ulrich Heimlich

Joachim Kahlert

Reinhard Lelgemann

Inhaltsverzeichnis

 

  1. Vorwort der Reihenherausgeber
  2. Einleitung
  3. Ulrich Heimlich & Rainer Benkmann
  4. 1 Zwischen Nachhilfeklassen und inklusiven Schulen – Schulorganisatorische Aspekte der Inklusion bei gravierenden Lernschwierigkeiten
  5. Ulrich Heimlich & Andrea C. Schmid
  6. Vorbemerkung
  7. 1.1 Zur Geschichte der Inklusion bei gravierenden Lernschwierigkeiten
  8. 1.2 Das Konzept der inklusiven Schule – eine aktuelle Perspektive für Schülerinnen und Schüler mit gravierenden Lernschwierigkeiten
  9. 1.3 Inklusion als Schulentwicklungsaufgabe – Potenziale bezogen auf gravierende Lernschwierigkeiten
  10. Schlussbemerkung
  11. Literaturverzeichnis
  12. 2 Zwischen Inklusion und Exklusion – Empirische Aspekte der schulischen Inklusion im Förderschwerpunkt Lernen
  13. Clemens Hillenbrand & Conny Melzer
  14. Vorbemerkung
  15. 2.1 Grundlagen empirischer Forschung zum Förderschwerpunkt Lernen
  16. 2.2 Forschungsstand zur schulischen Inklusion im Förderschwerpunkt Lernen
  17. 2.3 Konsequenzen für Praxis und Forschung
  18. 2.4 Kritischer Ausblick
  19. Literaturverzeichnis
  20. 3 Zwischen individueller Leseförderung und inklusivem Unterricht – Didaktische Aspekte der Inklusion im Förderschwerpunkt Lernen
  21. Franz B. Wember & Michaela Greisbach
  22. Vorbemerkung
  23. 3.1 Schriftspracherwerb
  24. 3.2 Erstlesen
  25. 3.3 Lesen von Texten
  26. 3.4 Über Inklusion und Qualifikation
  27. Literaturverzeichnis
  28. 4 Zwischen individueller Rechenförderung und inklusivem Unterricht – (Fach)didaktische Aspekte der Inklusion im Förderschwerpunkt Lernen
  29. Birgit Werner & Andrea Schäfer
  30. Vorbemerkung
  31. 4.1 Mathematikunterricht, Bildungsstandards und mathematische Kompetenzen
  32. 4.2 Mathematik im Primarbereich
  33. 4.3 Diagnose- und Förderkonzepte im Sekundarbereich I
  34. Schlussbemerkung
  35. Literaturverzeichnis
  36. 5 Zwischen Spezialisierung und Generalisierung in der Lehrerbildung – Professionalisierung für Inklusion im Förderschwerpunkt Lernen
  37. Rainer Benkmann & Magdalena Gercke
  38. Vorbemerkung
  39. 5.1 Inklusionsorientierte Lehrerbildung
  40. 5.2 Basisqualifizierung für alle Lehramtsstudiengänge im Förderschwerpunkt Lernen
  41. 5.3 Sonderpädagogische Qualifizierung für Inklusion im Förderschwerpunkt Lernen
  42. 5.4 Eigenständigkeit oder Inklusion sonderpädagogischer Studiengänge?
  43. Schlussbemerkung
  44. Literaturverzeichnis
  45. Ausblick
  46. Rainer Benkmann & Ulrich Heimlich
  47. Autorenverzeichnis

Einleitung

Ulrich Heimlich & Rainer Benkmann

Der Förderschwerpunkt Lernen umfasst im Jahr 2014 mit knapp 38 % die größte Gruppe innerhalb der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Gleichwohl befinden sich bundesweit mehr als 43 % dieser Schülergruppe in der allgemeinen Schule. Vor dem Hintergrund der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung, die in Deutschland im Jahre 2009 in Kraft getreten ist, gilt nunmehr das inklusive Bildungssystem auf allen Ebenen als neues bildungspolitisches Leitbild. Die hohe Komplexität der Lernschwierigkeiten und Lernbeeinträchtigungen erweist sich dabei nach wie vor als große Barriere auf dem Weg zur Inklusion. Kinder und Jugendliche mit Problemen im Bereich Lesen, Schreiben, Rechnen und auf dem Gebiet der Lerntechniken und -strategien (Lernen des Lernens) kommen zum größten Teil aus sozial benachteiligenden Lebenssituationen. Ihre Grundversorgung in den Bereichen Wohnung, Ernährung, Hygiene und medizinische Vorsorge befindet sich häufig in einem prekären Zustand. Bereits bei Schuleintritt lassen sich bis zu zweijährige Entwicklungsrückstände in den verschiedenen Entwicklungsschwerpunkten wie Kognition, Sensomotorik, emotionale und soziale Kompetenz sowie Sprache feststellen. Sie verlieren meist in den ersten Monaten in der Grundschule schon den Anschluss an den Lernfortschritt der Mitschülerinnen und -schüler. Ohne sonderpädagogische Förderung in der allgemeinen Schule ist die Überweisung in das Sonderpädagogische Förderzentrum bzw. die Förderschule bereits sehr früh vorgezeichnet.

Mit der Schaffung eines inklusiven Bildungssystems eröffnet sich nun die Chance, dass Schülerinnen und Schüler im Förderschwerpunkt Lernen in der allgemeinen Schule verbleiben und ihnen der Weg in eine Förderschule bzw. ein Sonderpädagogisches Förderzentrum erspart bleibt. In heterogenen Lerngruppen werden Zugänge zu Prozessen des Voneinander-Lernens und damit der Unterstützung innerhalb einer Peergroup eröffnet. Sind die Lerngegenstände auf die unterschiedlichen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler konsequent ausgerichtet, so hat dies auch positive Auswirkungen auf die pädagogische Qualität des Unterrichts, was wiederum allen Schülerinnen und Schülern zugutekommt. Sonderpädagogische Förderung erhält in diesem Zusammenhang eine unterstützende Aufgabe, im Förderschwerpunkt Lernen in Form der individuellen Lernförderung. Sowohl im Unterricht als auch in der Einzelförderung ist es erforderlich, einen engen Zusammenhang zwischen Diagnose, Intervention und Evaluation herzustellen. Nur auf der Basis einer gründlichen Förderdiagnostik der individuellen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen kann eine gezielte sonderpädagogische Intervention erfolgen, deren Effekte wiederum über entsprechende Maßnahmen der Evaluation nachzuweisen sind. Aber die Entwicklung der inklusiven Schule beschränkt sich nicht auf Veränderungen im Bereich der Förderung oder im Unterricht. Inklusion erfordert einen Schulentwicklungsprozess, in dem die Kooperation aller Beteiligten, das Schulleben und das Schulkonzept sowie die Vernetzung der Schule mit dem Sozialraum in den Blick genommen werden. Entwicklungseinheit ist in diesem Zusammenhang stets die einzelne Schule, die als System nur in begrenzter Weise von außen oder gar administrativ gesteuert werden kann.

Der Band zur »Inklusion im Förderschwerpunkt Lernen« soll die spezifischen Herausforderungen der Entwicklung des inklusiven Unterrichts und der inklusiven Schule im Förderschwerpunkt Lernen behandeln. Nach einer gemeinsamen Einleitung der Herausgeber des Bandes folgt zunächst eine Betrachtung der schulorganisatorischen Aspekte. Die Aufgabe der Schulentwicklung erhält gerade bezogen auf den Förderschwerpunkt Lernen eine besondere Bedeutung (Beitrag von Ulrich Heimlich und Andrea C. Schmid, image Kap. 1). Der internationale Stand der Forschung zur schulischen Inklusion im Förderschwerpunkt Lernen wird im Beitrag von Clemens Hillenbrand und Conny Melzer (image Kap. 2) zusammengefasst. Das Problem der spezifischen Lernförderung und didaktische Fragen des inklusiven Unterrichts im Förderschwerpunkt Lernen behandeln im Blick auf den Leselernprozess Franz B. Wember und Michaela Greisbach (image Kap. 3) und im Blick auf das Rechnen Birgit Werner und Andrea Schäfer (image Kap. 4). Fragen der Professionalisierung von Lehrkräften für die Inklusion im Förderschwerpunkt Lernen stehen abschließend im Fokus des Beitrags von Rainer Benkmann und Magdalena Gercke (image Kap. 5). Ein Autorenspiegel beschließt den Band. Jedes Kapitel wird durch eine Zusammenfassung eingeleitet, in der die zentrale Fragestellung des jeweiligen Schwerpunkts noch einmal umrissen und der Aufbau des Kapitels beschrieben wird. Eine Schlussbemerkung soll das jeweilige Kapitel abrunden und einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen enthalten. Das Literaturverzeichnis ist jedem Kapitel separat beigefügt.

Das Buch richtet sich an Studierende aller Lehramtsstudiengänge, da sich potenziell alle angehenden Lehrkräfte zukünftig mit dem Thema Inklusion beschäftigen werden. Die Bewältigung von Lernschwierigkeiten bzw. Lernbeeinträchtigungen und die damit verbundenen spezifischen Inklusionsbedarfe im Förderschwerpunkt Lernen werden zukünftig in allen Schulformen zur Aufgabe jeder Lehrkraft. Zugleich gilt es in diesem Prozess für die Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern im Förderschwerpunkt Lernen einzutreten. Gerade angesichts der Komplexität von Lernschwierigkeiten und Lernbeeinträchtigungen ist die Gefahr im Förderschwerpunkt Lernen besonders hoch, dass die erforderliche sonderpädagogische Fachkompetenz in Frage gestellt wird. Zugleich sind Kinder und Jugendliche mit gravierenden Lernschwierigkeiten der großen Gefahr ausgesetzt, dass sie in inklusiven Settings keine spezifische individuelle Lernförderung mehr erhalten. Aus diesem Grund wird es eine entscheidende Frage der Qualitätsentwicklung innerhalb inklusiver Schulen sein, inwieweit es gelingt, die sonderpädagogische Fachkompetenz im Förderschwerpunkt Lernen in die allgemeinen Schulen zu verlagern.

Den Autorinnen und Autoren der Buchbeiträge möchten die Herausgeber ganz herzlich für ihre Mitarbeit danken. In einer Zeit, in der sich die Sonderpädagogik infolge der breiten bildungspolitischen und disziplinären Diskussion um Inklusion in einem tiefgreifenden Wandel befindet und dies kaum Zeit für die Anfertigung längerer Beiträge lässt, ist es umso erfreulicher, dass das vorliegende Buch zustande gekommen ist. Wir freuen uns auch deswegen, weil es aktuellen Stimmen, die die Existenzberechtigung des Förderschwerpunkts Lernen infrage stellen, ihn abschaffen oder mit anderen Schwerpunkten zusammenlegen wollen, überzeugende Konzepte, Forschungsergebnisse und Argumente entgegenhält. Das Buch macht mit Blick auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung in zentralen Bereichen des Faches deutlich, warum der Förderschwerpunkt Lernen weiterhin erhalten werden muss, und zwar nicht nur aufgrund seiner wissenschaftlichen Spezialisierung und seiner über viele Jahrzehnte hinweg gewonnenen Erkenntnisse, sondern auch aufgrund seines Mandats für Kinder und Jugendliche in prekären Lebenslagen.

Jeder Beitrag ist von einer Nachwuchswissenschaftlerin, in einem Fall gemeinsam mit einer Wissenschaftlerin, in den anderen Fällen mit Wissenschaftlern verfasst worden. Sie unterscheiden sich in Alter und Dauer der beruflichen Tätigkeit. Diese Konstellation war beabsichtigt und mit der Hoffnung der Herausgeber verbunden, die Zusammenarbeit der beiden Beteiligten könne die Erstellung ihres Beitrags bereichern. Leserinnen und Leser mögen beurteilen, ob das Ergebnis dieser Kooperation gelungen ist. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit gelten alle Personenbezeichnungen, sofern nicht anders angegeben, für beide Geschlechter.

 

 

 

 

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Zwischen Nachhilfeklassen und inklusiven Schulen – Schulorganisatorische Aspekte der Inklusion bei gravierenden Lernschwierigkeiten

Ulrich Heimlich & Andrea C. Schmid

Aufbauend auf einem historischen Rückblick zur Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit gravierenden Lernschwierigkeiten im Bildungssystem wird das Konzept der inklusiven Schule und sein Potenzial für Schülerinnen und Schüler im Förderschwerpunkt Lernen vorgestellt. Als besonderes Problem erweist sich dabei die Einbeziehung der sonderpädagogischen Fachkompetenz im Förderschwerpunkt Lernen in die allgemeinen Schulen. Dazu ist letztlich ein Schulentwicklungsprozess auf mehreren Arbeiten der pädagogischen Arbeit in Schulen notwendig, damit Schulen sich auch auf Schülerinnen und Schüler mit gravierenden Lernschwierigkeiten einstellen können. Zu dieser Herausforderung des Bildungssystems wird abschließend das Mehrebenenmodell der inklusiven Schulentwicklung vorgestellt und für den Förderschwerpunkt Lernen adaptiert. Nach vorliegenden Erfahrungen aus der Praxis und ersten Ergebnissen aus der Begleitforschung gilt es festzuhalten, dass letztlich jede Schule die Chance haben muss, ihr eigenes inklusives Profil zu entwickeln.

Vorbemerkung

Inklusion beinhaltet eine Umgestaltung des Bildungssystems. Das gilt nicht nur für den Unterricht, sondern für alle Ebenen der pädagogischen Arbeit in Schulen. Insofern ist für die Umsetzung inklusiver Bildung in die Erziehungspraxis eine ökologisch-systemische Perspektive leitend. Inklusion bedeutet nicht nur ein bisschen mehr Diagnostik, etwas intensivere Förderung oder nur einen alternativen Unterricht. Inklusion betrifft die Schule als System. Sie umfasst eine Veränderung der Kooperationsstrukturen ebenso wie die Arbeit am Schulkonzept bzw. am Schulleben und letztlich auch die externe Vernetzung mit dem Sozialraum. Die Erfahrung aus der Praxis der inklusiven Schulen zeigt, dass Inklusion eine Schulentwicklungsaufgabe ist. Der Begriff »Inklusion« wird hier im Anschluss an die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung (United Nations, 2006) in einem engen Verständnis verwendet, das sich vorrangig auf Kinder und Jugendliche mit Behinderung fokussiert. Unter dieser Perspektive gerät die zunehmende Einbeziehung von Kindern mit gravierenden Lernschwierigkeiten in der Geschichte öffentlicher Bildung zu einem Weg der Inklusion, auf dem immer weitere Schritte hin zum Ziel der selbstbestimmten sozialen Teilhabe unternommen werden.

Insofern steht im folgenden Beitrag die Frage im Vordergrund, wie sich inklusive Bildung bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderung schulorganisatorisch umsetzen lässt. Dabei sollen Schülerinnen und Schüler mit gravierenden Lernschwierigkeiten besonders berücksichtigt werden. Während allgemeine Lernschwierigkeiten bei allen Lernenden auftreten können, ist nach wie vor davon auszugehen, dass es eine Gruppe von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gibt, die ihre Lernschwierigkeiten nicht mehr selbstständig bewältigen können. Sie benötigen pädagogische Begleitung und Unterstützung, in gravierenden Fällen auch sonderpädagogische Förderung (Benkmann, 1998; Heimlich, 2016). Insofern kann hier auch von einem sonderpädagogischen Förderbedarf im Förderschwerpunkt Lernen gesprochen werden (Drave/Rumpler/Wachtel, 2000).

Zur Beantwortung der Frage nach der schulorganisatorischen Umsetzung inklusiver Bildung bei gravierenden Lernschwierigkeiten empfiehlt sich zunächst ein historischer Rückblick auf die Anfänge der Inklusion in diesem Bereich (image Kap. 1.1). Gerade im historischen Überblick zeigt sich im Rahmen der Institutionengeschichte, wie sehr bildungspolitische Innovationen von einem »langen Atem« begleitet werden sollten. In den gegenwärtigen Konzepten inklusiver Schulen drohen nun Schülerinnen und Schüler mit gravierenden Lernschwierigkeiten vernachlässigt zu werden, da ihre »Behinderung« nicht wie in anderen Förderschwerpunkten auf Anhieb sichtbar ist und die Lernprobleme häufig mit weiteren Auffälligkeiten im Verhalten und in der Sprachentwicklung einhergehen. Gerade, weil Kinder und Jugendliche mit gravierenden Lernschwierigkeiten häufig aus sozial benachteiligenden Lebenssituationen kommen und im öffentlichen Schulsystem auf eine für sie fremde Umgebung stoßen, bedarf die inklusive Schulentwicklung bei dieser Schülergruppe einer besonderen Akzentuierung, die speziell ihre größtenteils prekäre Lebenslage mitberücksichtigt (image Kap. 1.2). Allerdings enthält das Konzept der inklusiven Schule auch Potenziale für Schülerinnen und Schüler mit gravierenden Lernschwierigkeiten, die es zu nutzen gilt, insbesondere wenn es um die bedeutsamen Prozesse des Voneinander-Lernens geht. Anhand von ersten Erfahrungen aus der Praxis inklusiver Schulen und Ergebnissen aus der Begleitforschung soll abschließend gezeigt werden, wie sich inklusive Schulen als System auf die Bedürfnisse dieser Schülerinnen und Schüler einstellen können (image Kap. 1.3).

1.1       Zur Geschichte der Inklusion bei gravierenden Lernschwierigkeiten

Wer sich mit der Inklusion von Menschen mit Behinderung beschäftigt, könnte den Eindruck gewinnen, dass es sich hier um ein Problem des 20.Jahrhunderts handelt. Die Frage der gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderung ist jedoch so alt wie die Geschichte der Menschheit selbst (zur Ur- und Frühgeschichte: Liedtke, 1996). Besonders in ihren Anfängen überschatten viele dunkle Kapitel den gesellschaftlichen Umgang mit Behinderung. Im alten Ägypten werden Kinder mit Behinderung sofort nach der Geburt getötet oder ausgesetzt. Erwachsene mit Behinderung (z. B. Zwerge, Blinde und Körperbehinderte) sind aber teilweise auch Gegenstand der religiösen Verehrung. Das Alte Testament spiegelt diese zwiespältige Haltung gegenüber Behinderung in ähnlicher Weise (Antor/Bleidick, 2000, S. 60ff.; Wisotzki, 2000, S. 11ff.). In der griechischen und römischen Antike ist das Lebensrecht von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung ebenfalls keineswegs gesichert. Selbst Philosophen wie Aristoteles (384–322 v. Chr.) und ebenso Platon (427–347 v. Chr.) sprechen sich dagegen aus, »deformierte Kinder« überhaupt aufzuziehen (deMause, 2000, S. 47). Die griechische Gesellschaft kennt zu dieser Zeit weder eine gesetzliche noch eine moralische Grundlage für die Verhinderung der Kindstötung. Sowohl Mädchen und als auch Kinder mit Behinderung beiderlei Geschlechts sind von dieser gesellschaftlichen Tolerierung der Tötung insbesondere bei Neugeborenen betroffen. Unabhängig von diesem barbarischen Akt liegt zusätzlich die Sterblichkeitsrate in dieser Zeit auf einem hohen Niveau, so dass die Überlebenschancen von Kindern seinerzeit insgesamt sehr gering sind. Dies verhindert die Entstehung intensiverer emotionaler Bindungen zwischen Eltern und Kindern.

Das ändert sich auch in der römischen Gesellschaft lange Zeit nicht. Die Tötung von »gebrechlichen und missgestalteten« Kindern (v. a. Neugeborenen) hält der römische Philosoph Seneca (4 v. Chr.–65 n. Chr.) für selbstverständlich. Erst im Jahre 374 n. Chr. wird die Kindstötung im römischen Reich verboten (Postman, 1993, S. 20; deMause, 2000, S. 48). Gleichwohl ist es noch lange Zeit notwendig, die Kindstötung öffentlich anzuprangern. Der erste Schritt zur Inklusion von Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft ist somit von der Anerkennung ihres Lebensrechts geprägt.

Die Anfänge der Inklusion liegen wiederum in der Entdeckung der Bildungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung. In dem Maße, wie dieser Nachweis der Bildsamkeit (Ellger-Rüttgardt, 2008) gelingt, werden sie auch in die öffentlichen Bildungs- und Erziehungseinrichtungen einbezogen. Gleichzeitig entwickelt sich dazu bereits die Kritik der Sondereinrichtungen, deren gesellschaftliche Integrationskraft somit von Beginn an bezweifelt wird. Als wahre Fundgrube für eine inklusive Pädagogik erweist sich bis heute die Zeit der Reformpädagogik, die immer wieder die Frage nach inklusiven Bildungsmöglichkeiten aufwirft. Allerdings kommt die Inklusionsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland erst in den 1960er Jahren des vergangenen Jahrhunderts richtig in Schwung, so dass hier in Verbindung mit der Ära der Bildungsreform auch umfassendere Impulse im Bildungs- und Erziehungssektor gesetzt werden können. Zum Ende des letzten Jahrhunderts zeichnet sich schließlich als bildungs- und sozialpolitische Leitvorstellung ein breiter Konsens zur Aufgabe einer selbstbestimmten gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderung ab, wie er in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung (United Nations, 2006) zum Ausdruck kommt. Auch wenn die Geschichte der inklusiven Pädagogik in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig noch nicht geschrieben ist, so wird hier doch davon ausgegangen, dass sich im Rückblick einige größere Phasen unterscheiden lassen. Der Begriff der Integration steht dabei für die in der Vergangenheit festzustellenden Anstrengungen zur Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung in das Bildungssystem. In dieser Perspektiven können auch die Sondereinrichtungen (z. B. »Hilfsschulen«) im Sinne separierter Bildungsinstitutionen als erster Schritt zur Integration gewertet werden. Der Begriff der Inklusion wird hier aufbauend auf der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung ab 2009 für die gegenwärtigen und zukünftigen Bemühungen um ein inklusives Bildungssystem verwendet.

1.1.1     Anfänge der Inklusion bei gravierenden Lernschwierigkeiten

Die Geschichte inklusiver Pädagogik beginnt nach Andreas Möckel (2009, S. 80) in dem Moment, »wenn Kinder mit Behinderung öffentlich beachtet, als Schüler akzeptiert und in öffentlich zugänglichen Schulen unterrichtet worden sind«. Inklusion als pädagogische Aufgabenstellung ist von Anfang an mit der Geschichte der Heil- und Sonderpädagogik eng verknüpft, auch wenn damit sicher kein spannungsfreies Verhältnis beschrieben ist. Der erste Schritt zur Inklusion von Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft bleibt gleichwohl ihre bewusste Einbeziehung in öffentliche Bildungs- und Erziehungseinrichtungen – und d. h. zunächst einmal ihre Aufnahme in Schulen (Sander, 2004). Dieser Schritt kann allerdings immer erst dann vollzogen werden, wenn der Nachweis der Effektivität von entsprechenden Fördermaßnahmen erbracht worden ist. Vielfach sind diese Methoden zunächst einmal buchstäblich zu »erfinden«. Bildungs- und Erziehungsinstitutionen für Menschen mit Behinderung entstehen deshalb in einem zweiten Schritt zum »Schutze bewährter Methoden« (Möckel, 1988, S. 27). In einem umfassenden Sinne sind solche Bildungs- und Erziehungsbemühungen bei Menschen mit Behinderung erst im Zeitalter der Aufklärung zu verzeichnen. Dies gilt besonders für den Einsatz von berufsmäßigen Lehrkräften in dieser Aufgabe (Möckel, 1988, S. 23). Der von Immanuel Kant (1724–1804) formulierte Slogan der Aufklärungsphilosophie vom »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit« beinhaltet im Grunde ein verändertes Menschenbild. Die Fähigkeit, »sich seines eigenen Verstandes zu bedienen«, ist allen Menschen zu eigen und bedingt so auch die Notwendigkeit der Erziehung und Bildung als Voraussetzung für die Menschwerdung des Menschen (Schmid, 1997, S. 19f.). Dieser Optimismus der Aufklärungsphilosophie schafft letztlich auch die Voraussetzung für die ersten Versuche zur Bildung und Erziehung von Menschen mit Behinderung. Behinderung wird fortan nicht mehr als schicksalhafte bzw. »göttliche« Fügung und damit als unveränderlich angesehen. Vielmehr geht man davon aus, dass Menschen mit Behinderung sich entwickeln können und etwas zur Verbesserung ihrer Lebenssituation beitragen können. Hier kommt zugleich der Gedanke der »bürgerlichen Brauchbarkeit« bzw. gesellschaftlichen Nützlichkeit zum Tragen.

Eine erste Bedingung für mehr gesellschaftliche Teilhabe sind sicher grundlegende Formen von Bildung. Am Beispiel von Lernschwierigkeiten sollen nun die Anfänge der Inklusion genauer vorgestellt werden (zur Weiterentwicklung die Übersicht bei Myschker/Ortmann, 1999). Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Behinderung Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts in der Regel am Rande der Gesellschaft stehen und größtenteils in völliger Armut leben. Die »Rettungshausbewegung« schafft für verwahrloste Kinder Bildungs- und Versorgungsangebote. Sie wird deshalb als Ausdruck der »Solidarität mit den Armen« (Möckel, 2009, S. 82) besonders seitens der evangelischen Kirche gesehen (z. B. Johann Heinrich Wichern (1808–1881), der Gründer des »Rauhen Hauses« im Jahre 1833).

Bereits im Mittelalter sind arme und sozial benachteiligte Kinder in sog. »Armenschulen« untergebracht worden, mit denen v. a. die Städte dem Problem des Bettelns Herr werden wollten. Nur wer die »Armenschule« besucht, darf auch in der Stadt betteln, so wird es seinerzeit z. B. in Nürnberg festgelegt (Heimlich, 2016, S. 101). Mit der einsetzenden Industrialisierung entstehen auch Industrie- und Fabrikschulen, in die arme und sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche aufgenommen werden, um sie frühzeitig an die sog. »Arbeitstugenden« heranzuführen (Altstaedt, 1977; Begemann, 1970, S. 85ff.; Konrad, 2007, S. 65). Diese Einrichtungen werden vielfach kritisiert, weil die Schülerinnen und Schüler auch zum Unterhalt der Schule durch ihre Arbeitstätigkeiten beitragen müssen. Einzelne Gemeinden entwickeln allerdings auch ein Stipendien- und Almosenwesen, um benachteiligten Kindern die Teilhabe an Bildung zu ermöglichen (Konrad, 2007, S. 38). Dabei spielen die Kirchen ebenfalls eine wichtige Rolle. Jedoch erst mit Einführung der Schulpflicht in Preußen im Jahre 1717 und den darauffolgenden Bemühungen um einen Ausbau des öffentlichen Bildungswesens wird es möglich, Schülerinnen und Schüler mit gravierenden Lernschwierigkeiten ein regelrechtes Bildungsangebot zu machen. Ihre Einbeziehung in die Elementarschule und spätere Volksschule erweist sich jedoch rasch als große Herausforderung.

Im Jahre 1820 veröffentlicht Traugott Weise (1793–1859), ein Lehrer aus Zeitz im heutigen Sachsen-Anhalt, seine Schrift »Betrachtung über geistesschwache Kinder in Hinsicht der Verschiedenheit, Grundursachen, Kennzeichen und der Mittel, ihnen auf leichte Art durch Unterricht beizukommen« (Klink, 1966, S. 44ff.). Neben Überlegungen zur Einteilung der sog. »Geistesschwäche« und deren Ursachen entwickelt Weise hier erstmalig ein durch den Nachhilfegedanken bestimmtes Unterrichtskonzept für solche Schülerinnen und Schüler, die dem Unterricht der Volksschule nicht folgen können. Er ist jedoch weiterhin dafür, diese Kinder und Jugendlichen am Unterricht der Volksschule teilnehmen zu lassen. Weise richtet sich in seiner Schrift folglich auch direkt an Volksschullehrkräfte. Damit ist in den Anfängen der Geschichte der Lernbehindertenpädagogik (Myschker, 1983, S. 124ff.) zugleich der Anstoß für die inklusive Förderung bei gravierenden Lernschwierigkeiten gegeben. Die Kinder erhalten hier stundenweise zusätzlichen Unterricht und kehren wieder in den Unterricht der Volksschule zurück. Nachhilfeklassen werden ebenfalls in Chemnitz (1835), Halle a. d.S. (1859), Dresden (1867), Gera (1874), Apolda (1875) und Elberfeld (1879) gegründet. Etwa ab 1850 entwickeln sich die Nachhilfeklassen zunehmend zu eigenständigen Sonderklassen und werden dann unter dem Eindruck der Schrift »Schulen für schwachbefähigte Kinder. Erster Entwurf zur Begründung derselben« (1864) des Leipziger Taubstummenlehrers Heinrich Ernst Stötzner (1832–1910) mehr und mehr durch den Gedanken der eigenständigen »Hilfsschule« abgelöst (ab 1881 in Braunschweig und Leipzig, Myschker, 1983, S. 127ff.). Mit den Berliner Nebenklassen und den Mannheimer Förderklassen (beide ab 1898) werden zwar noch einmal intensive Versuche gemacht, eine integrative Alternative zur »Hilfsschule« zu etablieren (Sonderklassen als Bestandteil der Volksschule). Aber an der bildungspolitischen Entscheidung für den weiteren Ausbau der »Hilfsschule« ändern diese Versuche nichts mehr.

Festzuhalten bleibt, dass der Nachweis der Effektivität von Bildungsangeboten für Kinder und Jugendliche mit Behinderung und die daraufhin mögliche Einbeziehung in öffentliche Bildungs- und Erziehungseinrichtungen als erster Schritt zur gesellschaftlichen Inklusion gewertet werden sollte. Die Geschichte der Heil- und Sonderpädagogik ist somit keineswegs nur durch die Bemühungen um eigenständige Sondereinrichtungen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung gekennzeichnet (Möckel, 2007). Dieser Weg der organisatorischen Eigenständigkeit ist vielmehr bereits in den Anfängen Gegenstand heftiger Kontroversen. Die kritischen Stimmen artikulieren sich seinerzeit auch öffentlich.

1.1.2     Kritiker der »Hilfsschule« und Alternativen

Besonders die »Hilfsschule« sieht sich in ihrer Gründungsphase erheblicher Kritik von pädagogischer Seite aber auch von Seiten der Eltern ausgesetzt. Berühmt wird beispielsweise der Fall des Lehrers Louis Esche (1856–1908) aus Braunschweig, der ab 1884 in den 1881 gegründeten »Hilfsschulklassen« von Heinrich Kielhorn (1847–1934) als Lehrer tätig ist. Wegen seiner Kritik an der Konzeption dieser Hilfsschulklassen und deren Ausbau zur eigenständigen »Hilfsschule« wird Esche jedoch im Jahre 1890 wieder in die »Bürgerschule« versetzt. Sieglind Ellger-Rüttgardt (1981) hat die daraufhin einsetzende, teils öffentlich geführte Auseinandersetzung ausführlich dokumentiert. Esche vertritt in einem Aufsatz von 1902 die Konzeption von »Hilfsklassen« in der allgemeinen Schule zur Unterstützung von Kindern und Jugendlichen, die den Anforderungen dort nicht gewachsen sind und setzt sich zeitlebens dafür ein, möglichst viele Kinder vor der Überweisung in die »Hilfsschule« zu bewahren (Ellger-Rüttgardt, 1981, S. 81ff.). Überdies zeigen zahlreiche Elternbriefe und Einsprüche, dass die Eltern keineswegs immer einverstanden sind mit der Überweisung und der Besuch der »Hilfsschule« teilweise mit schulrechtlichen Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden muss (Ellger-Rüttgardt, 1981, S. 69).

Ebenfalls als Kritiker der »Hilfsschule« bekannt wird Johann Heinrich Witte (1846–1908), der nach der Promotion zunächst als außerordentlicher Professor an der Universität Bonn tätig ist und ab 1889 mehrere Stellen als Kreisschulinspektor bekleidet, ab 1897 in Thorn (Westpreußen). In seiner Schrift »Die mehrfach bedenkliche Einrichtung von Hilfsschulen als Schule nur für schwachbegabte Kinder« aus dem Jahre 1901 stellt Witte heraus, dass die Förderung der sog. »Schwachbegabten« zur Aufgabe der Volksschule zählt. Dazu bedürfe es eines »gediegenen gemeinsamen, geistbildenden Klassenunterrichts« und der Vermeidung von überfüllten Klassen (zit. n. Klink, 1966, S. 77). Ihm schwebt wohl im wesentlichen ein Gesamtunterricht im Sinne Berthold Ottos (1859–1933) vor, bei dem die Schülerinnen und Schüler bekanntlich im Wesentlichen fächerübergreifend tätig sind. Besondere Sorge bereitet ihm, dass durch die Einrichtung von »Hilfsschulen« möglicherweise »die Volksschullehrer in dem Eifer, die Schwachen zu fördern, erlahmen und das Geschick sie zu fördern verlieren werden« (zit. n. Klink, 1966, S. 71). Dieser von Witte befürchtete Kompetenzverlust der Lehrkräfte an allgemeinen Schulen kann im historischen Rückblick wohl als bestätigt gelten und ist gegenwärtig immer noch Thema von alternativen Modellen zur Lehrerbildung (Heimlich, 1999a). Ireneus Lakowski (1999) trägt das verfügbare Quellenmaterial zu Witte zusammen und kann anhand von statistischem Material über die Provinzen Westpreußen und Posen für diese Zeit zeigen, dass der größte Teil der Volksschulklassen damals aus 70 und mehr Schülerinnen und Schülern besteht, zusätzlich etwa ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler aus ethnischen Minderheiten stammen bzw. die deutsche Sprache nicht beherrschen und zahlreiche Lehrerstellen zu dieser Zeit nicht besetzt werden können. Die Rahmenbedingungen für die Arbeit in den Volksschulen sind also in dieser Region als extrem schwierig einzuschätzen. Trotzdem entscheidet sich Witte im Wesentlichen aus einem christlichen Weltbild heraus für die Konzeption der integrativen Förderung. Ihm kommt deshalb berechtigterweise die Rolle eines »Vorläufers der Integrationsbewegung in Deutschland« (Lakowski, 1999, S. 337) zu. Allerdings bleiben seine Ideen weitgehend folgenlos und es liegen bislang keine Angaben über seinen weiteren Lebensweg nach dem Jahre 1901 vor (Lakowski, 1999, S. 333).

Auch der Lehrer Armack aus Hamburg nimmt im Jahre 1890 kritisch zur »Hilfsschule« Stellung. Er fordert demgegenüber eine Volksschulbildung, in der die Schülerinnen und Schüler nicht nach ihren Fähigkeiten getrennt unterrichtet werden und erkennt bereits die Bedeutung der Prozesse des Voneinander-Lernens zwischen den Schülerinnen und Schülern (Ellger-Rüttgardt, 1990, S. 41). Dabei formuliert er eine Aussage, die auch heute noch das zentrale Anliegen einer inklusiven Pädagogik treffend zusammenfasst:

»Will man einen Menschen das Schwimmen lehren, so bringt man ihn ins Wasser; soll ein Mensch lernen, mit Menschen umzugehen, so darf man ihn nicht absondern« (zit. n. Ellger-Rüttgardt, 1990, S. 42).

Und es ist bis heute immer wieder zu ergänzen: Das gilt auch für Menschen mit Behinderung! Armack teilt das Schicksal vieler Kritiker der »Hilfsschule« zu dieser Zeit: Seine Äußerungen werden in der öffentlichen Debatte nicht zur Kenntnis genommen.

Einige Kritiker der »Hilfsschule« können ihre alternativen Vorschläge allerdings eine Zeitlang in die Tat umsetzen. Im Gegensatz zum Konzept der »Hilfsschulen« werden beispielsweise in Berlin mit Unterstützung des Magistrats ab 1898 sog. » Nebenklassen« eingerichtet (Myschker, 1983, S. 141f.). Etwa 12–14 Kinder bilden eine Lerngruppe in der Volksschule, die stundenweise in bestimmten Fächern am Regelunterricht teilnimmt, darüber hinaus aber auch eine spezifische Förderung erhält. Das ausdrückliche Ziel der »Nebenklassen« ist die Rückführung der Schülerinnen und Schüler in die Klassen der Volksschulen. Die Lehrkräfte sind ebenfalls in anderen Klassen der Volksschule tätig. Bis zur Jahrhundertwende steigt die Zahl der »Nebenklassen« auf über 50 in 33 Gemeindeschulen an, bis zum Jahre 1907/08 sogar auf fast 150. Unter dem Eindruck der teils heftigen öffentlichen Auseinandersetzung über die Frage »Nebenklasse« oder »Hilfsschule« entscheidet sich die preußische Regierung im Jahre 1911 allerdings endgültig für die Bevorzugung weiterer Hilfsschulgründungen. Der Direktor der Berliner Idiotenanstalt in Dalldorf, Piper, und der Volksschulrektor Hintz gehören seinerzeit zu den schärfsten Kritikern der »Hilfsschule« (Ellger-Rüttgardt, 1990, S. 38). Piper fordert demgegenüber eine Volksschule, die die schwachbefähigten Schülerinnen und Schüler mit den anderen Schülerinnen und Schülern zusammen lernen lässt und so das »Zusammenleben, das Arbeiten, das Spielen mit diesen« (ebd.) und die individualisierte Förderung in den Mittelpunkt stellt. Allerdings scheitern die »Nebenklassen« seinerzeit wohl ebenfalls an überfüllten Volksschulklassen, so dass sich eine Rückführung der Schülerinnen und Schüler als eher problematisch darstellt. Teilweise entwickeln sich die »Nebenklassen« sogar zu mehreren Jahrgangsstufen, die in »Hilfsschulen« umgewandelt werden (Stoellger, 1998, S. 267).

In Mannheim setzt sich der Stadtschulrat Joseph Anton Sickinger (1858–1930) für einen Verbleib von »geistig zurückgebliebenen Schulkindern« in der Volksschule ein (Stadtarchiv Mannheim, 2000). Es werden ab 1901 sog. »Wiederholungsklassen« gegründet (später als »Förderklassen« bezeichnet). Sickinger stellt im Jahre 1898 fest, dass fast ein Drittel der Schülerinnen und Schüler aus den 4., 5. und 6. Klassen entlassen werden, einige sogar aus den 2. und 3. Klassen (Möckel, 2007, S. 140). Gut 70 % verlassen die Volksschulen in Mannheim seinerzeit ohne Abschluss (Stoellger, 1998, S. 267f.). Förderklassen werden nun parallel zu den Volksschulklassen aufgebaut und sind offenbar geeignet, die Zahl der Hilfsschulüberweisungen wirksam zu reduzieren. Außerdem zeigen ärztliche Untersuchungen, dass etwa 40 % der Schüler und Schülerinnen Hörschäden aufweisen, was ab 1912 zur Einrichtung eines entsprechenden Klassensystems für Hörgeschädigte führt. Sickinger kann sein Modell sogar auf der Reichsschulkonferenz im Jahre 1920 vorstellen. Er fordert eine stärkere Differenzierung für die Volksschule und es gelingt ihm, dass die Prinzipien der Mannheimer Förderklassen in den Entwurf für ein Reichsschulgesetz aufgenommen werden. Allerdings scheitert dieser Entwurf und es bleibt damals bei der Verabschiedung des Grundschulgesetzes (Möckel, 2001, S. 110). Nachahmer findet die Mannheimer Konzeption ebenfalls im Charlottenburger Schulsystem (Stoellger, 1998, S. 268f.), im Baseler Kleinklassensystem (Ehinger/Mattmüller, 1986) sowie bei den Diagnose-Förderklassen in Bayern (Breitenbach, 1992). Im Gegensatz zu vielen anderen Projekten mit integrativer Förderung in der allgemeinen Schule haben die Mannheimer Förderklassen wohl nicht nur eine vergleichsweise lange Lebensdauer (vermutlich bis Anfang der 1930er Jahre). Sie können auch überregionale Wirkungen entfalten.

Insgesamt gilt jedoch, dass etwa ab 1910 die »Hilfsschule« als Förderort bildungspolitisch weitgehend durchgesetzt ist und in den Folgejahren weiter ausgebaut wird. Impulse für eine integrative Förderung gehen auf der konzeptionellen Ebene begleitend dazu von den reformpädagogischen Entwürfen dieser Zeit aus.

1.1.3     Reformpädagogik als Quelle inklusiver Pädagogik bei Lernschwierigkeiten

Die Reformpädagogik wird in der gegenwärtigen pädagogischen Geschichtsschreibung nicht mehr als abgegrenzter Zeitraum verstanden (etwa von 1890 bis 1933), sondern vielmehr über einige zentrale Motive definiert. Jürgen Oelkers (1996) hat zeigen können, dass Prinzipien wie Selbsttätigkeit, Anschauung und Schulkritik bereits bei Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) oder Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827) zu finden sind. Auch wenn das Gespräch zwischen Reformpädagogik und Hilfsschulpädagogik zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder unterbrochen ist, so lassen sich doch reformpädagogische Impulse für die Entwicklung einer inklusiven Pädagogik ausmachen. Bezeichnend ist dabei, dass von reformpädagogischen Ansätzen stets auch Hinweise auf integrative Förderkonzepte ausgehen (Hillenbrand, 1994, S. 310). Das gilt sogar für die pädagogische Arbeit in einigen reformpädagogischen arbeitenden Hilfsschulen (Heimlich, 1999b).

In der Zeit von 1902 bis 1904 versucht Johannes Langermann (1848–1923) in Barmen-Carnap (Wuppertal) den Freiraum der »Hilfsschule« reformpädagogisch zu nutzen (Langermann, 1911, S. 7ff.). Zusammen mit einer Lehrerin unterrichtet Langermann in zwei Klassen 40 Mädchen und Jungen im Alter von 8 bis 13 Jahren. Langermann zählt ebenfalls zu den Kritikern der Hilfsschule:

»Welches pädagogische Talent mag wohl auf den genialen Gedanken verfallen sein, alle Ignoranz und alles Elend, anstatt es möglichst zu verteilen, zu sammeln und auf einen Haufen zu werfen, um es dadurch zu – beseitigen?« (Langermann, 1911, S. 416).

Diese recht drastische Stellungnahme zeigt, dass die »Hilfsschule« für Langermann allenfalls als Notlösung akzeptiert wird. Im Grunde bevorzugt er ein integratives Förderkonzept, wenn er z. B. fragt:

»Denn an wem soll denn der Schwache sich aufrichten, wenn nicht an dem Starken? Und umgekehrt: wodurch soll der Keim zur Moralität und Religion entwickelt und geübt werden, wenn nicht durch Hilfeleistung des Stärkeren gegenüber dem Schwächeren« (Langermann, 1911, S. 416).

Entscheidend ist für Langermann die Möglichkeit, ein verändertes Unterrichtskonzept in der »Hilfsschule« zu erproben. Im Mittelpunkt steht dabei der Schulgarten. Er nutzt das Interesse der Schülerinnen und Schüler für die praktische Tätigkeit und zeigt ihnen dabei die Notwendigkeit zum gemeinsamen Lernen. Zahlreiche Unterrichtsvorhaben werden aus dieser fächerübergreifenden Thematik entwickelt (z. B. der Bau eines Pavillons). Aber auch Messen und Wiegen, Rechnen, Lesen und Schreiben leiten sich aus der Gartenarbeit ab. Langermann entwickelt dieses Unterrichtskonzept im Laufe seiner späteren Tätigkeit an der »Stein-Fichte-Schule« in Darmstadt weiter zu einem handlungsorientierten Mathematik- und Sprachunterricht, was allgemein als Ursprung des handelnden Unterrichts (Heimlich, 1999b, S. 37ff.) angesehen wird.

Von 1919 an ist Frieda Stoppenbrink-Buchholz (1897–1993) an einer »Hilfsschule« in Hamburg-Bergedorf für insgesamt dreißig Jahre tätig. Während dieser Tätigkeit praktiziert sie das Konzept der Jena-Plan-Schule nach Peter Petersen, bei dem sie 1939 promoviert (Ellger-Rüttgardt, 1997). Ihr ist die soziale Benachteiligung der »Hilfsschülerinnen und -schüler« bereits bewusst, wenn sie darauf hinweist,

»…daß alle diese Kinder, die je nach der Zusammensetzung einer Hilfsschulklasse etwa 50–75 % ausmachen, in der Normalschule nicht versagt hätten, wären sie in einem guten Haus erzogen worden« (Buchholz, 1939, S. 159).

Sie beschreibt ihre Schülerinnen und Schüler folgerichtig unter einer kompetenzorientierten Sichtweise, in dem sie – völlig im Gegensatz zur damals vorherrschenden Doktrin – nicht die angeblich »konstitutionellen« Defekte des »Hilfsschulkindes« in den Vordergrund stellt, sondern sehr anschaulich die Leistungen der Kinder in den einzelnen Schulfächern (Buchholz, 1939, S. 120ff.) und bezogen auf die »Fähigkeit zur Gemeinschaft« (Buchholz, 1939, S. 146ff.) in verschiedenen sozialen Situationen schildert. Das Versagen des »Hilfsschulkindes« in der Normalschule wird von ihr auch als Problem des Unterrichtskonzepts gesehen:

»Der Klassenunterricht, der Inhalt und Form eines Normalwissens vorschreibt, Zeitpunkt und Dauer von Übermittlung und Einprägung bestimmt, ist für ein Normalkind gedacht, das nie und nirgends existiert. So wirkt der einseitige Klassenunterricht hemmend auf die Entwicklung eines jeden Kindes« (Buchholz, 1939, S. 159).

Ihre eigene Unterrichtspraxis zeichnet sich durch Elemente des Gruppenunterrichts, Kreisgespräche sowie Feste und Feiern aus. Außerdem entwickelt sie mit ihren Schülerinnen und Schülern Materialien zum »Selbstunterricht« (Buchholz, 1939, S. 164ff.), mit denen sie die heutigen Freiarbeitsmaterialien vorwegnimmt. Stoppenbrink-Buchholz führt so in der »Hilfsschule« den Nachweis, dass ein reformpädagogisch konzipierter Unterricht bei »Hilfsschülern/-innen« möglich ist. Von daher ist es naheliegend, wenn sie sich auch der Kritik an der »Hilfsschule« anschließt, die bereits Petersen formuliert hat (Buchholz, 1939, S. 169ff.).

Die »Hilfsschulpädagogik« nimmt diese reformpädagogischen Stimmen aus den eigenen Reihen seinerzeit kaum wahr, stehen sie doch ihrer Begründung für die eigenständige Schulform (Defizite der Kinder, möglichst homogene Lerngruppe) völlig entgegen. Auch die Auseinandersetzung mit den Konzepten der internationalen Reformpädagogik findet von Seiten der »Hilfsschulpädagoginnen und -pädagogen« nicht statt. Einer der Gründe dafür dürfte darin liegen, dass hier bereits erste Entwürfe einer inklusiven Pädagogik geliefert werden.

Aus ihrer Arbeit mit sozial benachteiligten Kindern in der Casa dei Bambini in San Lorenzo (Rom) entwickelt Maria Montessori (1870–1952) ein integratives Förderkonzept, das bis heute auch im heil- und sonderpädagogischen Bereich intensiv genutzt wird (Holtstiege, 1989). Anregungen erhält sie aus den heilpädagogischen Schriften von Jean-Marc Gaspard Itard (1775–1838) und Éduard Séguin (1812–1880) und der von ihnen besonders für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung entwickelten sog. »physiologischen Methode«. Grundlage des Förderkonzeptes ist die Aktivierung der Sinnestätigkeit. Zu diesem Zweck werden schon von Itard und Séguin spezielle Fördermaterialien entworfen. Montessori greift diese Idee auf und schafft ein umfassendes System der Montessori-Materialien. In ihrem »Kinderhaus« beobachtet sie, welche Konzentration Kinder (»Polarisation der Aufmerksamkeit«) erreichen, wenn sie mit geeigneten Materialien (wie den Einsatzzylindern) spielen und lernen dürfen. Das Montessori-Material umfasst inzwischen auch den gesamten Lernbereich Mathematik, Sprache und Sachunterricht bis in die höheren Klassen hinein. Auf dieser Grundlage entwirft Montessori eine Entwicklungspädagogik, die von der Selbsttätigkeit der Kinder ausgeht und letztlich in einen Prozess der »Selbstunterrichtung« mündet. In der so »vorbereiteten Umgebung« lernen die Kinder selbstständig (zur Geschichte des Prinzips Selbsttätigkeit: Heimlich, 1997). Durch die Altersmischung der Spiel- und Lerngruppen in den zahlreichen Montessori-Kinderhäusern und Montessori-Schulen ist das pädagogische Konzept von vornherein auf die Unterschiedlichkeit der Kinder ausgerichtet (Prinzip der Heterogenität). In einem eigenen Fortbildungssystem zum Erwerb des Montessori-Diploms werden bis heute auch die notwendigen pädagogischen Qualifikationen für ein solches Unterrichts- und Erziehungskonzept vermittelt. Montessori-Schulen und -Kinderhäuser haben sich von daher bereits sehr frühzeitig für die integrative Förderung geöffnet. So nimmt beispielsweise die Montessori-Schule der Aktion Sonnenschein e. V. in München bereits seit Ende der 1960er Jahre Kinder mit Behinderung auf (Hellbrügge, 1977). Nachdem zunächst nur an eine Realisierung der Montessori-Pädagogik in privaten Schulen gedacht ist, greifen die Prinzipien und die damit verbundene Ausstattungskonzeption zwischenzeitlich auch auf inklusive Schulen über. Die Montessori-Pädagogik stellt deshalb eine wichtige Grundlage für die Weiterentwicklung der inklusiven Förderung in Kindertageseinrichtungen und Schulen dar (Biewer, 1997). Zugleich besteht eine große Nähe der Montessori-Pädagogik zu den Prinzipien einer Pädagogik bei Lernschwierigkeiten (Klein, 1994; Busch, 1994), wie Anschauung, Handlungsorientierung usf.

Eine ähnliche Bedeutung für die Entwicklung inklusiver Schulen in der Gegenwart hat der Jena-Plan