STERLING NOEL

 

Die fünfte Eiszeit

 

 

 

 

Roman

 

Apex Science-Fiction-Klassiker, Band 22

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE FÜNFTE EISZEIT 

Erstes Buch: DER STURM 

Zweites Buch: DIE FLUT 

 

Das Buch

 

 

Die fünfte Eiszeit beginnt im Jahr 2203 – an einem Septembertag...

Zunächst schneit es unaufhörlich, dann brechen verheerende Stürme los.

Die Menschen sind hilflos – trotz ihrer überlegenen Technik, trotz ihrer Atomgeneratoren, trotz ihrer gigantischen Wohnpaläste, die für die Ewigkeit gebaut sein sollten.

Als die Eismassen sich schließlich zu bewegen beginnen, zerbersten die Wolkenkratzer, stirbt ein Zentrum der Zivilisation nach dem anderen unter den gewaltigen Gletschern.

Nur der Äquatorgürtel bietet noch Überlebensmöglichkeiten – doch auf dem Weg dorthin regiert der Tod.

 

Der US-amerikanische Schriftsteller und Journalist Sterling Noel (* 1903, + 1984) verfasste zwei Science-Fiction-Romane: I Killed Stalin (1951) und We Who Survived (Die fünfte Eiszeit, 1959); letzterer erscheint nun als durchgesehene deutsche Neu-Ausgabe im Apex-Verlag (in der Reihe APEX SF-KLASSIKER): Ein dystopischer SF-Thriller, der fraglos als Inspirationsquelle für Roland Emmerichs Film The Day After Tomorrow (2004) gedient haben dürfte. 

DIE FÜNFTE EISZEIT

 

 

 

   

 

  Erstes Buch: DER STURM

 

 

 

Wer mit den statistischen Erhebungen über die Fünfte Eiszeit vertraut ist - und dieser Personenkreis dürfte nicht klein sein -, dem ist auch die Angabe nichts Neues, dass es etwa 1.000.000 Bewohnern des nordamerikanischen Kontinents und Westeuropas gelang, jenen tödlichen Breitengraden eisiger Kälte, heulender Stürme und unvorstellbarer Schneefälle zu entkommen und den schmalen Äquatorgürtel zu erreichen, auf dem allein noch menschliches Leben möglich ist.

Man kann also annehmen, dass der nachfolgende Bericht der Savage-Gruppe (ursprünglich Harrow-Gruppe genannt) nicht der einzige seiner Art ist; zahlreiche andere Berichte werden die gleichen Leiden und Entbehrungen schildern, werden überliefern, welcher heroischen Taten Menschen fähig sind, die sich plötzlich vor die Notwendigkeit gestellt sehen, in einer Welt zu überleben, die ihnen keine Möglichkeiten mehr zu bieten scheint.

Ich kann mich außerordentlich glücklich schätzen, dass es mir gelang, außer meinen eigenen Tagebüchern auch alle Aufzeichnungen Dr. Gabriel Harrows zu retten, was es mir ermöglicht, meine Darstellung mit vielen detaillierten Angaben zu füllen, die anderswo fehlen mögen.

Der Bericht beginnt mit einem Samstag im September des Jahres 2203 - mit dem Tage, als der erste Schnee fiel, der bald zu einem Alptraum für die gesamte Menschheit werden sollte.

 

2203 war das Jahr, in dem mir gestattet wurde, meinen Abschied bei der Luftwaffe der Republik Nordamerika einzureichen. Der eigentliche Grund für diese Genehmigung war die Tatsache, dass ich als Kommandeur einer Flugkörpergruppe fungierte. Es gab keine Flugkörpergruppen mehr, Flugkörperpiloten waren so veraltet wie Automobile, und selbst die Piloten der Neuen Luftwaffe verdienten diesen Namen kaum noch; elektronische Kontrollstationen sorgten dafür, dass zwischen ihnen und den von ihnen gesteuerten Raketen gewöhnlich mehrere hundert Meilen lagen.

Ich fand mich mit den Tatsachen ab, suchte mir eine Stellung bei der Boren-Industrie in Missouri-Zentral, wo ich die Endmontage der Lopez-Gleichrichter überwachte und schrieb Marge Cousins in Portland-Komplex einen langen Brief, um ihr mitzuteilen, dass die Erde mich ein für alle Mal wiederhabe, dass ich also gewissermaßen verfügbar sei. Ich brauchte drei Seiten, um ihr klarzumachen, was diese Änderung bedeute, und als ich mich mit dem Brief auf den Weg zur Post machte, damit sie ihn am nächsten Morgen erhielte, hatte es zu schneien begonnen.

Natürlich gab der Schnee mir zu denken. Nicht nur mir. Die ganze Welt machte sich seit mehreren Jahren Gedanken über das Wetter; Klagen und düstere Voraussagen rissen nicht mehr ab, seit der Frühling sich mit 27 aufeinanderfolgenden Regentagen eingeführt hatte, die von heftigen Winden und Temperaturen nahe dem Nullpunkt begleitet worden waren. Wenige Wochen fast normaler Verhältnisse waren gefolgt, dann hatten Regen und Kälte wieder die Herrschaft übernommen und während des ganzen Sommers nicht mehr abgegeben.

Die Regierung hatte alles in ihren Kräften Stehende getan, um einer beginnenden Panik Einhalt zu gebieten, konnte aber keinen sichtbaren Erfolg verbuchen. Der Mitte September beginnende Schneefall und die ihn begleitenden Minustemperaturen schlugen dem Fass den Boden aus; die Schreie der Pessimisten ließen sich nicht mehr unterdrücken.

An jenem Samstagnachmittag, der mich auf dem Weg zur Post sah, war dieser Pessimismus allerdings noch nicht augenfällig geworden.

Ich hatte am Morgen einen dringenden Anruf von Elaine Harrow bekommen, zum Essen mit ihr und Dr. Gabriel Harrow auf ihre Farm jenseits des Flusses in Kansas zu kommen. So machte ich mich von der Post auf den Weg zum Gebäude der Handelskammer, auf dessen Dach ich ein ML-Taxi fand. Um sechs Uhr starteten wir, und ich hoffte, in der Geborgenheit des Harrow'schen Hauses Ruhe vor den düsteren Prognosen zu finden, mit denen mich meine Freunde und Bekannten überschütteten. Das war um sechs Uhr am 14. September 2203. Zehn Minuten später landeten wir auf der Düsenlandeplattform der Harrows, und ich watete durch die drei Zoll Schnee zur Tür des Hauses, an der mich Elaine, in einen Arktisdress gekleidet, willkommen hieß. Elaine war eine kleine, dunkelhaarige Frau in den Dreißigern, sah aber aus wie vier- oder höchstens fünfundzwanzig. Selbst der Arktisdress ließ ihre vollkommene Figur ahnen. Sie hatte einen Drink in der Hand, und die Eisstücke klirrten, als sie eine Geste zum Wohnraum machte. Ihre Stirn lag in nachdenklichen Falten.

»Kommen Sie schnell herein, Vic«, forderte sie mich auf. »Haben Sie je ein so verrücktes Wetter gesehen?«

Ich drückte die Tür gegen den wirbelnden Schnee ins Schloss und folgte ihr in den großen, behaglich eingerichteten Wohnraum. Sie ging an ein Wandschränkchen und mixte mir einen Scotch.

»Haben Sie Sorgen?«, fragte ich.

Sie drehte sich um, gab mir das Glas und bedachte mich mit einem fragenden Blick. »Haben Sie die Sechs-Uhr-Nachrichten gehört? Wissen Sie, was Gamberelli erklärt hat?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Der Präsident hat gesagt, dass es keinerlei Grund zu Beunruhigung oder Furcht gäbe. Daß wir unsere Ohren vor den Gerüchtemachern schließen sollen, die da behaupten, es bestünde Gefahr, dass wir alle zwischen riesigen Gletschern eingeschlossen und lebendig begraben werden könnten. Um seine Beruhigungspille zu versüßen, zitierte er Alex Vidal und Duncan Curran, sowie zwei andere Namen, von denen ich nie gehört habe. Erst zum Schluss erwähnte er Gabe. Er sagte: Zu unserem Bedauern gelang es uns in dieser Stunde angeblich drohender Gefahr nicht, die Versicherungen von Männern wie Dt. Gabriel Harrow und Professor John Wheeler Osborne einzuholen. Danach kam der übliche Unsinn - dass es die Pflicht unserer großen Wissenschaftler sei, die Öffentlichkeit über die Tatsachen auf dem Laufenden zu halten und dafür zu sorgen, dass sich keine Unruhe ausbreite Ich habe mich schrecklich geärgert! Mit welchem Recht kritisiert er Gabe und John Osborne in einer öffentlichen Rundfunkansprache?«

»Wo ist Gabe?«, fragte ich.

»Unterwegs.«

»Beruhigen Sie sich«, sagte ich. »Warum haben Gabe und Professor Osborne dem Präsidenten nicht die gewünschte Erklärung gegeben?«

»Wie soll ich das wissen? Gabe wird es Ihnen sagen, wenn er da ist. Was immer für Gründe sie hatten, kein Politiker kann daraus das Recht herleiten«

»Einen Augenblick«, unterbrach ich Elaine. »Kommen wir auf den Kern der Dinge. Unterstützt Gabe dieses Katastrophengerede?«

»Nein - kein Katastrophengerede. Aber er hat eine wohlbegründete Theorie über das, was geschieht, und er denkt nicht daran, Gamberelli und anderen Politikern mit ihren aus der Luft gegriffenen Behauptungen den Rücken zu stärken. Er hält sich seit Wochen mit Jack Osborne und Bob Jordan auf dem Mount Hood auf und hat bestimmt gute Gründe, wenn er sich weigert, in das von oben gesteuerte Beruhigungsgeschwätz einzustimmen.«

»Mag sein. Sind Sie sicher, dass er zum Essen hier sein wird?«

»Natürlich bin ich sicher. Ich habe eben mit ihm gesprochen. Er befindet sich im Augenblick mit einer Jupiter 108 über Cheyenne, wird also in einer knappen halben Stunde hier sein. Aber dieser Gamberelli...!«

 

Dr. Gabriel Harrow war mein Meteorologie-Professor auf der Akademie gewesen und galt schon vor zwanzig Jahren als einer der berühmtesten Wetterwissenschaftler der ganzen Welt. Sicher erinnern sich viele Menschen noch an die Publizität, die er nach seiner Entdeckung der Druckphänomene in großen Höhen erlangte, die nach ihm Harrow-Schwingungen benannt wurden und ihm hohe Auszeichnungen, die Barstow-Medaille und den Nobelpreis, einbrachten.

Er war sieben Jahre in der Privatindustrie tätig gewesen, bevor er im Jahre 21.98, zwei Jahre nach dem Zweiten Chinesischen Krieg, zu Boren in Kansas City gekommen war. Aus dieser Zeit stammte unsere Bekanntschaft, die sich nach meinem Besuch der Akademie zu einer festen Freundschaft entwickelt hatte.

Es ist schwer zu sagen, worauf sich diese Freundschaft gründete, wenn man davon absieht, dass wir beide daran interessiert waren, ein jahrhundertealtes Kartenspiel, Bridge genannt, am Leben zu erhalten und manche Stunde mit diesem Zeitvertreib verbrachten.

Elaine, die Gabes wissenschaftliche Assistentin gewesen war, als er sein Werk über die Harrow-Schwingungen fertigstellte, war ebenfalls zur begeisterten Bridgespielerin geworden, und das beiderseitige Interesse an diesem Spiel hatte mehr als alles andere zur Ehe zwischen den beiden geführt. Mag sein, dass ich mich irre, Tatsache ist jedoch, dass unsere zwei- oder dreimaligen Bridgeabende in jeder Woche dazu beitrugen, unsere Freundschaft zu festigen.

Elaine sagte mir, dass auch Bill Wernecke, Chefingenieur bei der Elektronischen Abteilung von Boren, erwartet wurde; also nahm ich an, dass eine der üblichen Bridgepartien steigen sollte. Wernecke absolvierte, wie auch Gabe es getan hatte, nach dem Packman-Modell die vorgeschriebenen Jahre in der Privatindustrie. Ich fragte Elaine, wann Bill kommen würde, und sie erwiderte, dass er erst später kommen könnte, da er mit einigen Berechnungen für Gabe beschäftigt sei.

In diesem Augenblick hörten wir Gabes Jupiter-Ring auf der Düsenplattform landen. Wenige Minuten später kam er zur Tür herein und begrüßte Elaine mit einem Kuss.

Gabe war groß und hager, kein einziges Haar glänzte auf seinem Schädel. Er hatte eine angenehme Stimme, der man stundenlang zuhören konnte, und war so mit Temperament geladen, dass es ihm schwerfiel, zwei Minuten auf demselben Platz zu verharren.

»Hallo, Vic«, sagte er und streckte mir die Hand entgegen. »Genau der Mann, den ich brauche. Ich habe ein paar wichtige Fragen an Sie, alter Junge.«

»Erst wird gegessen«, bestimmte Elaine. »Fragen kannst du später. Unser Araberpaar hat ab acht Uhr Ausgang, und wenn wir bis dahin nicht fertig sind, muss ich selbst stundenlang in der Küche stehen.«

Wir gingen ins Speisezimmer, wo uns Sarah eine ausgezeichnete Mahlzeit servierte, die von ihrem Mann Ali gekocht worden war. Gabe schwieg während der beiden ersten Gänge und schien völlig mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Elaine hatte mehrmals versucht, ihm von Gamberellis Rundfunkerklärung zu berichten, aber Gabe winkte ab.

Schließlich, als wir beim Nachtisch angelangt waren, wandte Gabe sich an mich und sagte: »Osborne und Jordan haben tüchtige Arbeit auf dem Mount Hood geleistet. Sie haben einen Interferenzmesser installiert, der ihnen die Beobachtung eines dreißig Milliarden Lichtjahre entfernten Dopplereffekts gestattete. Tolle Leistung!«

»Daran arbeiten Sie also auf dem Mount Hood?«, fragte ich.

»Nein«, erwiderte er. Er ließ Messer und Gabel sinken, stand auf und umrundete den Tisch. Neben Elaine blieb er stehen, küsste sie auf die Stirn, dann wandte er sich mir zu, »Wir sind gewissen Dingen auf der Spur«, sagte er. »Eine sensationelle Sache. Wir brauchen vielleicht noch eine Woche für weitere Beobachtungen, dann dürften wir sicher sein.«

»Iss dein Eis, ehe es schmilzt«, sagte Elaine. »Du kannst auch im Sitzen sprechen.«

Gabe küsste sie noch einmal auf die Stirn und kehrte an seinen Platz zurück. Er löffelte hastig das Eis, dann ließ er plötzlich den Löffel sinken. »Wir glauben, dass das Sonnensystem im Begriff ist, in ein ausgedehntes Gebiet kosmischer Trümmer zu treten«, sagte er. »Wir nehmen an, dass wir gerade die Randzone dieses Gebildes aus Staub und Gas passiert haben, und dass die Konzentration mit jedem Tag zunimmt. Was können Sie mir über Höhenstaub sagen, Vic?«

»Nicht viel«, sagte ich. »Ich bin das letzte Mal im Juli mit einem Flugkörper zur Plymouth-Station gestartet, die, wie Sie wissen, nicht bemannt ist. Ich habe keine ungewöhnlichen Beobachtungen machen können. Auf dem Rückflug fielen aber alle Bissel-Stromkreise aus. Auf das, was sie registriert hatten, war also kein Verlass. Nach der Landung stellte ich fest, dass zwei meiner Paxtonröhren den Geist aufgegeben hatten. Meteorstaub dürfte die Ursache gewesen sein, meine Meldung lautete ent- sprechend.«

»Das war im Juli?«

»Am einundzwanzigsten Juli, um genau zu sein. Warum setzen Sie sich nicht mit dem Raumamt in Verbindung? Wenn die Staubkonzentration bekannt ist, dann dort.«

»Irrtum«, sagte Gabe. »Ich bekomme seit Monaten auf meine präzisen Fragen alberne Antworten. Seit die Brüder sich hinter dem Gesetz verstecken können, das dieser Narr Caspar Cable aufgestellt hat, sind sie an Meteorkonzentrationen nicht mehr interessiert. Caspar hat das entscheidende Wort über die Zusammensetzung des Weltraums gesprochen und damit basta. Wer eine Bestätigung des theoretischen Gesetzes durch wissenschaftliche Beobachtung sucht, ist in ihren Augen ein Idiot. Nun, und welche Feststellungen haben Sie davor treffen können? Auffällige Staubkonzentrationen?«

»Nur gelegentliche Ausfälle der Paxtonröhren, aber ich erinnere mich nicht mehr an die einzelnen Daten. Ich werde bei anderen Piloten herumfragen, ob ihnen etwas aufgefallen ist. Welcher Zeitraum interessiert Sie?«

»Vom ersten Tag des Jahres bis heute. Wir brauchen die Bestätigung für ganz bestimmte Phänomene, bevor wir wissen, woran wir sind. Ihr Höhenpiloten seid die einzigen, die uns diese Bestätigungen geben können. Aber wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich kann Ihnen nicht länger als achtundvierzig Stunden geben.«

»Ich hänge mich gleich morgen früh ans Telefon«, versprach ich.

»Teilen Sie mir das Ergebnis bis Montag Mitternacht auf dem Mount Hood mit«, sagte Gabe. »Ich weiß nicht, ob wir in der Lage sein werden, etwas zu tun, zumindest aber wissen wir dann die Wahrheit.«

»Die Wahrheit worüber?«, wollte Elaine wissen.

»Ob wir alle erfrieren werden oder nicht«, erwiderte Gabe. »Und wie wär's jetzt mit einem Drink?«

 

Bill Wernecke landete um 10 Uhr 30 mit einer neuen Karavelle, und wir gingen hinaus, um sie zu besichtigen. Die Bodenheizung war eingeschaltet worden und hatte den Schnee bis zur Landeplattform geschmolzen, aber rechts und links von dem schmalen Pfad hatte er bereits eine Höhe von zehn Zoll erreicht. Es schneite noch immer stark und ohne Unterbrechung.

Die Karavelle war eine der üblichen Ring-Konstruktionen, trug aber einen der neuen Victariumbrenner in der Mittelzelle. Wernecke setzte den Brenner in Betrieb, und wir machten einen schnellen Fünfminutentrip nach Missouri-Zentral.

Auf dem Rückflug fragte Gabe Wernecke: »Was haben die Berechnungen ergeben, Bill?«

»Ungefähr zweiundsiebzig Jahre, je nachdem, welche Konstanten man benutzt«, erwiderte Wernecke.

»Dann brauchen Sie weiteres Zahlenmaterial«, sagte Gabe. »Ich hatte mit hundert Jahren gerechnet.«

Bill zuckte die Achseln. »Ich bin sicher, dass in meinen Berechnungen kein Fehler ist. Zum anderen Problem ist die Antwort negativ. Die Temperaturen werden von Pol zu Pol zwischen plus vier und minus vierzig Grad schwanken.«

Gabe schüttelte verblüfft den Kopf. »Ein solcher Spielraum ist viel größer als erwartet. Ich werde weiteres Material zu diesem Punkt sammeln müssen, Bill.«

»Das Ergebnis stammt aus dem Morley-Computer. Ich habe eine andere Berechnung mit dem Elektronengehirn angestellt, Gabe, und das Ergebnis wird Sie interessieren. Alle Daten, die Sie mir zu beiden Fragen gaben, wurden von mir im Alpha-Beta-Zyklus arrangiert, wobei Zeta die verschiedenen Konstanten darstellte, die Sie mir für die Ausdehnung der kosmischen Wolke nannten. Alle Einzelergebnisse lagen nach dreißig Tagen vor. Das Gesamtergebnis läuft auf folgendes hinaus: Das Absinken der Temperaturen wird in etwa elf Monaten beginnen, vorausgesetzt, dass bis dahin das Gebiet mit der durchschnittlichen Konzentration erreicht ist. Mit anderen Worten - von heute an gerechnet in elf Monaten werden die Temperaturen zwischen einem Maximum von plus vier Grad und einem Minimum von minus vierzig Grad differieren.«

»Wenn die restlichen Daten richtig sind«, sagte Gabe düster. »Warten wir ab, was ich in den nächsten Tagen noch an Daten auf dem Mount Hood bekommen kann. Ich rufe Sie spätestens Dienstagabend wieder an.«

Wir landeten wieder auf der Düsenplattform und zogen uns zu einer zweistündigen Bridgepartie ins Haus zurück. Gabe war nervös wie immer, man merkte ihm an, dass er mit seinen Gedanken nicht beim Spiel war. Nach dem letzten Rubber stellte ich ihm die klare Frage:

»Worum handelt es sich, Gabe? Was wird zweiundsiebzig Jahre dauern? Und wann werden die Temperaturen zwischen den Polen unter den Gefrierpunkt absinken?«

Er stützte die Hände auf die Rückenlehne von Elaines Stuhl und sah mich an. »Es handelt sich um die kosmische Staubwolke«, sagte er. »Die Berechnungen, von denen wir vorhin sprachen, deuten darauf hin, dass wir wahrscheinlich einer neuen Eiszeit entgegensehen. Wir wissen noch nichts Genaues - die Messung der Ausdehnung dieser Wolke ist noch nicht beendet, aber so viel glauben wir schon jetzt sagen zu können, dass es wenigstens zweiundsiebzig Jahre dauern wird, bis wir sie passiert haben. Noch steht uns eine Woche zu Beobachtungen zur Verfügung, bevor wir uns absolute Gewissheit verschaffen können. Ich bin also dafür, dass wir uns bis dahin mit Vorbehalten wappnen.«

»Mit Vorbehalten!«, wiederholte Elaine spöttisch. »Wir sollen also herumsitzen und zu Tode frieren, während ihr eure Beobachtungen anstellt?«

»Du wirst in der kommenden Woche nicht zu Tode frieren. Soviel kann ich dir versprechen, mein Kleines.«

»Würden Sie mir erklären, was eine kosmische Staubwolke mit einer in Eis erstarrten Welt zu tun hat?«, fragte ich.

»Ursache und Wirkung«, sagte Gabe. »Kosmische Trümmer führen zu Eisbildung. Diese Theorie wurde vor mehr als dreihundertfünfzig Jahren entwickelt, wird aber von unseren heutigen Wissenschaftlern abgelehnt. Früher nannte man sie die Treibhaustheorie und erklärte mit ihr die vier Eiszeiten, von denen die Welt vor Jahrmillionen heimgesucht wurde. Die Theorie besagt, dass unsere Atmosphäre, vor allem der Wasserdampf in zwanzigtausend Fuß Höhe, wie ein Treibhausdach wirkt und alle Hitze von der Sonne und aus infraroten Strahlungen speichert, so dass die Erdtemperatur relativ konstant bleibt. Die Temperaturen können also nur gestört werden, wenn sich in dem atmosphärischen Dach über uns eine Änderung vollzieht. Was kann diese Änderung bewirken? Meteore. Treten sie in genügend starker Konzentration auf, so kondensiert sich der Wasserdampf in der oberen Atmosphäre und fällt als Regen oder Schnee herab. Beobachtungen unterstützen diese Theorie. An jedem zwölften oder dreizehnten Januar besteht eine Tendenz zu außerordentlich schweren Niederschlägen, weil, wie jeder Flugkörper oder Rakentenpilot aus Erfahrung weiß, die Erde an diesen Tagen besonders starke Meteorkonzentrationen passiert. Wir nehmen an, dass die Erde in diesem Augenblick ein Gebiet konzentrierter Trümmer durcheilt, das eine explodierte Nova im Weltall zurück gelassen hat. Wir haben Beweise dafür, dass diese Kondensation in großer Höhe wahrscheinlich schon vor hundert Jahren begonnen hat und laufend wächst. Es gibt keine Anzeichen, die auf ein Nachlassen hindeuten, von wenigen Stunden abgesehen, die am Freitagnachmittag beginnen dürften. Mit Sicherheit können wir dagegen annehmen, dass die Niederschläge wenigstens zweiundsiebzig Jahre anhalten werden. In dem Maße, wie die oberen Luftschichten ärmer an Wasserdampf werden, bis er endlich ganz verschwunden ist, sinken die Erdtemperaturen. Wir versuchen festzustellen, wie kalt es werden wird. Es kann sein, dass die von Bill Wernecke errechneten Daten sich als korrekt erweisen, dass wir also Temperaturen zwischen plus vier Grad und minus vierzig Grad bekommen werden. Ich hoffe es jedenfalls, denn dann wissen wir, dass ein Existieren nicht unmöglich sein wird. Ein weiterer Hoffnungsstrahl liegt in der Annahme, dass wir auf diese Temperaturen erst in elf Monaten treffen. Dann stehen wir vor dem Problem, Mittel und Wege zu finden, die uns ein Überleben der ersten fürchterlichen Kälte gestatten, und auf den Erdgürtel auszuweichen, der die Maximalwärme, also plus vier Grad, aufweist. Dieser Gürtel dürfte natürlich am Äquator liegen, vorausgesetzt, dass es keine Störungen im Gleichgewicht der Erdachse gibt. Bevor wir jedoch völlig sicher sein können, müssen wir noch eine Unzahl von Beobachtungen auf dem Mount Hood anstellen.«

»Ich begleite dich auf den Mount Hood«, sagte Elaine. »Ich weigere mich, allein hierzubleiben und in die Panik mitgerissen zu werden, die die Menschen erfassen wird, wenn sie die Wahrheit erfahren.«

»Sie werden sie nicht erfahren«, erwiderte Gabe. »Dafür wird Gamberelli mit seiner Regierung schon sorgen.«

 

Ich verbrachte den Sonntag und den Montag damit, etwa fünfzig enge Freunde, die der nordamerikanischen Luftwaffe angehörten oder angehört hatten, anzurufen und nach ihren Erfahrungen zu befragen. Alles, was dabei herausschaute, waren fünf Meldungen über das Versagen von Paxtonröhren und zwei DX-Registrierbänder, die aufgenommene Verunreinigungen der angesaugten Luft verzeichneten. DX-Geräte waren im Jahre 2203 ebenso veraltet wie Ansaugdüsen. Im Dienst verblieben waren weniger als zwanzig Flugkörper des alten Typs, die noch mit Paxtonröhren arbeiten. Nur fünf von ihnen waren seit dem Ersten des Jahres in Betrieb genommen worden.

Am Montag gegen Mitternacht rief ich Gabe auf dem Mount Hood an. Sein energisches Gesicht erschien auf dem Bildschirm, und seine Augen funkelten erwartungsvoll, als er fragte: »Nun, wie sieht's aus, Vic? Was haben Sie feststellen können?«

»Nicht viel«, sagte ich. »Zwei DX-Bänder und fünf Meldungen über das Versagen von Paxtonröhren.

»Großartig!«, rief er aus. »Geben Sie mir alle Höhen und sonstige Daten und lassen Sie mich einen Blick auf die Bandaufzeichnungen werfen. Ich mache mir Abschriften, die ich dann in Ruhe durchsehe.«

Er brauchte zwanzig Minuten für diese Arbeit, dann brachte er Elaine an den Schirm, und wir unterhielten uns zu dritt.

»Ich habe die Wasserstoffregistrierungen studiert«, sagte sie.

»Wir nähern uns einer großen Wolke, die sich über dreißig Lichtjahre erstreckt.«

»Was bedeutet das?«, fragte ich.

»Wir legen die Ausmaße der Trümmerwolke fest«, erklärte Gabe. »Vor allem aber müssen wir die Staubkonzentration bestimmen. Von diesem Wert hängt alles andere ab.«

»Kann ich noch etwas tun?«, wollte ich wissen.

»Fangen Sie an, Nahrungskonzentrate zu horten«, sagte Elaine. »Wir rechnen mit einer starken Gruppe - achtzehn bis zwanzig Personen. Sie werden also tonnenweise einkaufen müssen.«

»Sehen Sie zu, dass Sie genug für einen Zeitraum von zwei Jahren zusammenbringen«, riet Gabe. »Lassen Sie alles nach Fallon liefern, wo wir uns Ende der Woche treffen. Wie hoch ist der Schnee jetzt bei Ihnen?«

»Offiziell dreißig Zoll«, sagte ich. »Tatsächlich fehlen nicht viel an vierzig Zoll, und es gibt schon zahlreiche Verwehungen, seit der Wind in den letzten vierundzwanzig Stunden an Stärke zugenommen hat.«

»Er wird noch stärker werden, beträchtlich stärker«, sagte Gabe. »In einem Monat werden wir nur noch Hurrikane erleben.«

»Mein Gott«, rief ich aus. »Sollten wir nicht machen, dass wir fortkommen?«

Gabe lachte. »Wohin? Ist Ihnen der Mond sympathischer?«

»Nicht in diesem Winter«, sagte ich. »Ich schaffe herbei, was wir an Nahrungsmitteln brauchen.«

»Ich habe eine Liste der Dinge, die wir benötigen«, sagte Elaine. »Wir schicken Ihnen Geld, oder eine Bankvollmacht, mit der Sie über unser Konto verfügen können, wenn Ihnen das lieber ist.«

»Ich habe genug«, erwiderte ich. »Geben Sie mir die Liste auf dem Kopierkreis durch. Wie steht es mit Reaktorbrennstoff? Lagert genug in Fallon?«

»Mit Brennstoff sind wir zur Genüge versehen«, versicherte Gabe. »Aber ein Ersatzkern könnte von Nutzen sein.«

»Ich vergaß, dass wir mehr Arktisbekleidung brauchen«, schaltete sich Elaine ein. »Besorgen Sie zwei Dress für mich. Weiß.«

Ich blickte auf die Abschrift der Liste, die der Kopierschlitz ausspie. Was darauf stand, sah aus, als reichte es für ein ganzes Leben - ausgenommen die Nahrungsmittel.

»Warum nur für zwei Jahre Vorräte?«, fragte ich Gabe.

Seine Lippen verzogen sich zu einem zynischen Lächeln. »Weil wir nicht mehr brauchen. Wenn wir in zwei Jahren nicht mit unseren Problemen fertig geworden sind, gibt es keine Probleme mehr für uns. In zwei Jahren hat der Schnee eine Höhe von wenigstens einer halben Meile erreicht, und dank der Kompression sind alle unteren Strata zu einem soliden Eiswall geworden. Das Eis steht nicht still, es bleibt in Bewegung. Bis dahin müssen wir längst an der Oberfläche und auf dem Weg zum rettenden Wärmegürtel sein, vorausgesetzt, dass die Stürme nicht jede Bewegung unterbinden.«

»Mein Gott!«, entfuhr es mir. »Und es gibt keinen anderen Ausweg?«

»Ich glaube nicht. Auf Wiedersehen am Samstag!«

 

Am Dienstag erhielt ich von Boren Urlaub auf unbegrenzte Dauer. Ich gab Doble Sons Auftrag für den Marktverkauf von Aktien und Obligationen, die ich im Laufe der Jahre erworben hatte, dann fuhr ich zur N. A. National und ließ mir meine Regierungsanleihen auszahlen. Um 13 Uhr hatte ich 37.000 Louvres in der Hand, 9.000 über dem gesetzlich zugelassenen Betrag, so dass ich schnell mit dem Geldausgeben begann, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten.

Zuerst suchte ich die Cavanaugh Radical auf und bestellte fünf Tonnen Nahrungskonzentrate aller bekannten Arten, am gleichen Nachmittag nach Fallon lieferbar. Nach dieser Bestellung war mein Vermögen um xi 000 Louvres geschmolzen, so dass ich den Rest der Einkäufe in Ruhe erledigen konnte. Mein günstigster Kauf war einer der neuen Kincadium-Reaktoren, nicht größer als eine Handtasche und so konstruiert, dass er während der auf zwanzig Jahre veranschlagten Lebensdauer 23.000 Kelly-Einheiten liefern konnte. In veralteten Leistungsangaben bedeutete dies, dass man einen 100.000-Kilowatt-Generator auf die Dauer von 50 Jahren betreiben konnte.

Um 18 Uhr 30 kehrte ich in meine Wohnung in Killingworth zurück und meldete einen Ruf für Marge Cousins an. Der Bildschirm erhellte sich vorzeitig, und ich sah Marge, die einem kahlköpfigen Mann, der eben den Raum verließ, zuwinkte. Ich hörte, wie sie ihn Alfred nannte. Das ist der Nachteil dieses Bildschirmsystems; man kann überrascht werden, wenn man einmal vergisst, das Gerät abzuschalten.

Gleich darauf füllte Marges strahlendes Gesicht den ganzen Schirm, und sie begrüßte mich herzlich wie immer.

»Haben Sie meinen Brief bekommen?«, fragte ich.

»Ja, ich habe ihn bekommen.«

»Und?«

»Und - was?«

»Heißt das, dass Sie nicht interessiert sind?«

»Natürlich bin ich interessiert, Vic. Es ist nur - im Augenblick kann ich schlecht darüber sprechen.«

»Ich weiß«, sagte ich. »Die Tür ist offen, und Alfred hört zu.«

Sie errötete. »Vic! Wovon reden Sie?«

»Von Alfred. Ich nehme an, er ist Ihr Typ, Marge. Solide, zuverlässig, ein guter Ehemann, der jeden Abend pünktlich nach Hause kommt, damit Sie ihm die Socken waschen und für ihn kochen können. Wirklich, Marge, Sie sind nicht mehr der Leutnant Marge Cousins der Nordamerikanischen Luftwaffe, den ich vor zwei Jahren in Ostindien kannte.«

Sie schüttelte vorwurfsvoll den Kopf und machte ein ernstes Gesicht. »Sie sollten dergleichen nicht sagen, Vic. Wir sind jetzt seit über einem Jahr nicht zusammen gewesen. Sie haben Ihr eigenes Leben geführt, in dem für mich kein Platz war. Jetzt plötzlich erinnern Sie sich wieder an mich und erwarten, dass ich Ihrem Ruf ohne Überlegen folge.«

»Können Sie morgen nach Kansas kommen? Dann werde ich Ihnen alles erklären.«

»Meine Anwesenheit in Portland ist in dieser Woche unbedingt erforderlich, Vic. Hat es nicht bis nächste Woche Zeit?«

»Nächste Woche ist es zu spät, Marge. Sie dürfen nicht später als Samstag kommen.«

»Warum diese Eile nach sechzehn Monaten? Warum haben Sie mich nicht im vergangenen Januar angerufen? Haben Sie vergessen, dass wir zu den Winterfestspielen ans Mittelmeer fliegen wollten?«

»Reden wir nicht mehr darüber«, sagte ich. »Kommen Sie morgen nach Fallon in Kansas, Marge. Ich werde Sie mit einem Geistlichen erwarten, und wir werden heiraten.«

Sie lachte. »Ein Geistlicher!«, rief sie aus. »Sie wissen doch, dass ich mir nichts aus diesem altmodischen Zeremoniell mache. Wenn ich durchaus Ihre Frau werden soll, können wir es über das DW-3 verkünden, wie alle zivilisierten Menschen es tun. Eheschließung durch einen Geistlichen! Ausgerechnet mir das!«

»Also gut«, sagte ich. »Ich richte mich in diesem Punkt nach Ihren Wünschen. Aber bitte, Marge, kommen Sie morgen nach Fallon.«

»Ich werde versuchen, mich so einzurichten, dass ich am Samstag kommen kann«, sagte sie. »Morgen ist völlig ausgeschlossen.«