CHRISTIAN DÖRGE (Hrsg.)

 

 

ENGEL DER HÖLLE

- 13 SHADOWS, Band 13 -

 

 

 

Drei Novellen

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

ENGEL DER HÖLLE (Devil Soul) von Victor Jay 

DIE PUPPE (The Doll) von Algernon Blackwood 

TANZ MIT DEM TEUFEL (Dance With The Devil) von Arthur Winston 

 

Das Buch

 

Mit dem Verschütten der üblen Flüssigkeit kam wieder Leben in die Teufelsanbeter. Einige begannen laute Drohungen zu rufen, andere riefen Beifall. Mitten unter ihnen bewegten sich die Priester; sie trugen Weinflaschen, aus denen die Teilnehmer der Zeremonie gierig tranken. Dann begann die ganze Gesellschaft zu tanzen. Sie tanzten einzeln, in Paaren und in Gruppen. Musik kam von irgendwo - weniger Musik als vielmehr ein gespenstisches, misstönendes Geräusch, das Linc, Dan und dem Professor in den Ohren schrillte. Eine Gruppe Frauen bildete einen Ring um den Kessel und tanzte im Reigen herum. Nach wenigen Minuten tanzten alle; aber es handelte sich um keinen Formationstanz. Sie stampften mit den Füßen, drehten sich wahllos und verrenkten ihre Körper im Rhythmus der Trommeln.

Dieser Tanz nahm immer obszönere Formen an. Paare stürzten gemeinsam und miteinander verschlungen zu Boden. Die Tänzer schienen sich an ihren Bewegungen zu berauschen, wälzten sich schließlich auf der Erde herum und schienen nicht mehr auf die Beine zu kommen.

»Ist das die Sabbatorgie?«, fragte Linc.               

»Nein«, sagte der Professor, »nur das Vorspiel.

 

Die Anthologie ENGEL DER HÖLLE, herausgegeben von Christian Dörge, enthält drei Novellen von Victor Jay, Algernon Blackwood und Arthur Winston und erscheint als dreizehnter Band der Horror-Reihe 13 SHADOWS aus dem Apex-Verlag, die ganz in der Tradition legendärer Heftroman-Reihen wie GESPENSTERKRIMI und VAMPIR-HORROR-ROMAN steht. 

  ENGEL DER HÖLLE (Devil Soul) von Victor Jay

 

 

 

1.

 

 

Das Haus, vor dem sie standen, war zu früheren Zeiten gewiss einmal elegant gewesen.

Auch jener Mann, der nach, ihrem Klingelzeichen die Tür öffnete, war einmal elegant gewesen. Immerhin ging von seiner Erscheinung auch jetzt noch etwas Ehrfurchtgebietendes aus. Obwohl er nur durchschnittlich groß war, wirkte er irgendwie wesentlich größer. Sein Händedruck war fest und sicher. Er war schon alt. Sein Spiegel hatte beobachten können, wie seine Haut nach und nach immer faltiger und zerknitterter wurde, bis er sich schließlich in einen Greis verwandelt hatte, der aber immer noch Würde ausstrahlte. Seine Augen blickten verschmitzt, doch nichtsdestoweniger freundlich.

»Sie erinnern sich gewiss noch an Dan Reilly, Professor«, sagte Linc Adams, auf seinen Freund deutend.

»Ja, ich erinnere mich. Kommen Sie herein.«

»Sehr gern.«

»Gehen wir ins Studio. Ich denke, dort können wir es uns gemütlicher machen.«

Im Kamin flackerte ein kleines Feuer, dessen Schein in den kristallenen Sherrygläsern funkelte.

Die Gäste warteten geduldig, während der Professor die Gläser füllte.

Es war ein Zimmer, wie Linc es liebte. Er fand es so sympathisch wie den Gastgeber und blickte interessiert herum. Auf dem Schreibtisch standen in Leder gebundene Bücher, schon überzogen von der Patina der Zeit, aber zum Betrachten einladend. In den Regalen standen noch weitere Bücher. Es war eine ganze Wand: Shakespeare, Tolstoi in russischer Sprache, Durant und so weiter. Ihre Akten waren sichtbar gewölbt vom häufigen Gebrauch.

Der Raum hatte seinen eigenen Geruch. Es roch nach eilten Büchern, nach Tabak, nach den Tannenscheiten im Kamin und gutem Wein. Es knackte, raschelte und knisterte in dem alten Haus. Es war ein Haus, in dem man an Geister glauben konnte, ohne sie jedoch zu fürchten. Böse Geister gab es hier nicht.

Sie nippten an ihren Sherrygläsern, machten Konversation und erwähnten ein paar gemeinsame Bekannte.

»Lars ist nicht mehr da«, sagte der Professor und meinte einen gemeinsamen Freund.

Mein Gott, dachte Linc überrascht, wie lange war ich schon nicht mehr hier.

»Erzählen Sie mir nun, was Sie bedrückt«, fuhr der Professor fort und kam damit auf den Grund des Besuches zu sprechen.

Linc brauchte einen Moment, um seine Gedanken zu ordnen. »Ich denke, es ist am einfachsten, am Anfang zu beginnen. Wir haben nämlich einen jungen Freund. Dan lernte ihn vor fast zwei Jahren kennen. Er machte uns miteinander bekannt und« - Linc legte eine kurze Pause ein - »wir wurden gute Freunde.«

»Sie sprechen von einem jungen Freund. Soll ich darunter einen sehr jungen Mann verstehen?«

Linc errötete leicht. Er vermied den Blick des Professors und trank einen Schluck Sherry, bevor er antwortete: »Er ist noch nicht zwanzig. Damals war er neunzehn.« Linc räusperte sich und verlieh seiner Stimme einen nüchternen und sachlichen Klang. »Wir kamen gut miteinander aus, wie gesagt; aber dann hatten wir Schwierigkeiten. Ich sah ihn seit gut einem Jahr nicht mehr - bis gestern. Und hier taucht Dan in der Geschichte auf. Dan glaubt, dass Andy in Schwierigkeiten geraten ist. Ich glaube, Dan sollte weitererzählen.«

Dan, der es sich in seinem Sessel bequem gemacht hatte, trank einen Schluck Sherry und beugte sich vor.

»Ich weiß nicht genau, wann ich Andy zum letzten Mal sah. Vielleicht sind es Wochen, vielleicht auch schon Monate her. Eines Tages traf ich einen gemeinsamen Bekannten, der eine Bemerkung über die Gesellschaft machte, in der Andy sich neuerdings befand. Ich erkundigte mich näher und erfuhr, dass er Andy mehrfach in Begleitung sehr merkwürdig aussehender Leute in der Stadt gesehen habe. Dann traf ich Andy ungefähr einen Monat später - in der vergangenen Woche - im Sportclub. Wir unterhielten uns ein wenig, erkundigten uns nach gemeinsamen Bekannten und gingen gemeinsam in den Umkleideraum. Unsere Schränke stehen dicht zusammen. Nun, Andy war immer ein verhältnismäßig religiöser Mensch. Er pflegte immer ein hübsches Kruzifix, eine Reliquie, glaube ich, zu tragen. Ich stellte beiläufig fest, dass er dieses Kruzifix nicht mehr hatte. Vielleicht hat er es im Schrank aufbewahrt, um es nicht zu verlieren, dachte ich. Doch seltsamerweise nahm er es nicht heraus. Aber dann fiel mir noch etwas reichlich Merkwürdiges an ihm auf.« Wieder legte er eine Pause ein und trank einen Schluck Sherry. Er blickte den Professor an, konnte aber in dessen Gesicht keine Reaktion auf seine Geschichte feststellen. »Andy hatte eine Tätowierung. Ein religiöses Zeichen - ein Kreuz und eine Krone. Harmlos also... Doch als er sein Hemd auszog, war diese Tätowierung verschwunden. Nein, nicht verschwunden, sie hatte sich verändert. Aus dem Kreuz war ein Stab geworden, um den sich eine Schlange ringelte, und die Krone hatte sich in einen Totenkopf verwandelt. Ich bekam keinen schlechten Schreck und konnte ihn nicht vor Andy verbergen. Natürlich stellte ich ihm eine entsprechende Frage. Oh, sagte er, das dachte ich mir schon...«

Der Professor hatte sich nach vom gebeugt und nippte an seinem Sherryglas. »Erzählen Sie nur weiter«, forderte er Dan auf.

»Nun ja, diese rätselhafte Tätowierung ging mir nicht aus dem Sinn. Ich rief ihn sogar telefonisch an, weil ich hoffte, im Laufe einer Unterhaltung mehr darüber zu erfahren. Aber er war nie zu Hause. Nun, als ich ihm wieder einmal begegnete, sprachen wir kein Wort miteinander. Er fuhr mit dem Wagen an mir vorbei, und in diesem Wagen saßen zwei von jenen merkwürdigen Leuten, die mein Freund erwähnte. Einen konnte ich nicht erkennen, aber die andere Person war eine mir bekannte Frau.«

»Wenn ich einmal unterbrechen darf«, sagte Linc. »Dan betrieb vor einigen Jahren für die Universität okkulte Forschungen. Ich denke, er hat sich damals auch mit Ihnen unterhalten, Professor.«

»Ja, ich erinnere mich. Sie kamen beide zu mir, und ich machte Ihnen ein paar Vorschläge. Ich hoffe, dass diese Vorschläge sich bewährt haben.«

»Durchaus, Professor, durchaus. Tut mir leid, dass ich das nicht schon erwähnt habe, denn es ist für diese Geschichte von großer Bedeutung. Die Frau, in deren Begleitung

Andy sich befand, hatte ich während meiner diesbezüglichen Arbeit einmal interviewt. Bonita Devlon.«

Der Professor krauste nachdenklich seine Stirn. »Dieser Name ist mir nicht bekannt, aber ich habe mich seit einiger Zeit nicht mehr mit derartigen Dingen beschäftigt.«

»Als ich sie näher kennenlernte, bereute ich es sofort. Sie ist ein Satan - keine von diesen Typen, die Amulette verkaufen oder Handlinien lesen. Das wäre zu wenig. Sie verehrt tatsächlich den Teufel in Person, ganz zu schweigen von Dämonen und bösen Geistern. Als wir unsere Unterhaltung beendet hatten, wollte sie ein paar Geister heraufbeschwören, um ihre Aussagen zu untermauern. Aber ich redete ihr das aus. Ich hatte buchstäblich Angst vor ihr und mache keinen Hehl daraus. Wenn jemand den Teufel erscheinen lassen kann, dann ist sie es.«

»Sie scheint jedenfalls keine Novizin zu sein«, bemerkte der Professor, dessen Interesse im weiteren Verlauf der Unterhaltung zunahm.

»Sie sieht ziemlich jung aus, nicht älter als dreiundzwanzig, vierundzwanzig. Zu jung für den Umgang mit Dämonen.«

»Ja, es sieht so aus, nicht wahr? Nun, dieser junge Mann befindet sich wohl tatsächlich in einer merkwürdigen Gesellschaft. Aber das kann viele durchaus vernünftige Gründe haben. Und Sie haben Bonita Devlon doch selbst einmal näher gekannt, ohne dass Ihnen etwas zustieß. Vielleicht schreibt der junge Mann an einem Zeitungsartikel, wer weiß, und sammelt Material.«

»Das wäre möglich«, gab Linc zu. »Und ich dachte das auch, bis Dan zu mir kam. Aus persönlichen Gründen war ich nicht sehr darauf erpicht, diesen jungen Mann wiederzusehen. Doch Dan machte mir begreiflich, dass es vielleicht dennoch ganz sinnvoll sei. So suchte ich ihn gestern auf. Ich sah Andy und begegnete dieser Bonita Devlon. Vielleicht war es nur reine Hysterie, aber ich hatte ein verdammt ungutes Gefühl.« Er schilderte diese Begegnung und die damit verbundenen Ereignisse.

Als er geendet hatte, hatte der Professor sich in seinem Sessel zurückgelehnt. Seine Finger spielten mit dem Sherryglas, und er beobachtete das im Licht funkelnde Kristall.

»Wie heißt dieser Andy mit dem vollen Namen?«

»Forrest Andrew Forrest.«

»Gehört er zur Familie des gleichnamigen Finanziers, der in dem großen, grauen Haus in Freeman Place wohnt?«

»Ja«, sagte Linc überrascht. »Kennen Sie die Forrests?«

»Nein, ich habe nur von ihnen gehört, bin wohl auch einem Forrest begegnet, aber kaum dem Vater des Jungen. Möglich, dass es ein Großonkel von ihm war.« Der Professor trank sein Glas leer. »Gut, also wenden wir uns diesem jungen Mann zu. Ich bin noch nicht davon überzeugt, dass irgendetwas Besonderes dahintersteckt. Ihre Befürchtungen scheinen - aus Ihrer Perspektive betrachtet - gerechtfertigt zu sein. Vielleicht hilft mir die Intuition - oder vielleicht wird Ihnen eine weitere Begegnung helfen, Ihre Voreingenommenheiten zu zerstreuen. Auf jeden Fall müssen wir stichhaltige Beweise haben. Bitte, reichen Sie mir doch einmal den Chalmer's herüber. Dort drüben auf dem dritten Regal - das dicke Buch.«

Linc stand auf, nahm das gewünschte Buch aus dem Regal und gab es dem Professor, der mit gesenktem Kopf darin zu blättern begann. Es war ein altes Buch; die Seiten raschelten laut in seinen Fingern. »Ja, hier ist es... Devlon, Bonita. Das war es doch, nicht wahr?«

Linc nickte.

»Geboren in England«, murmelte der Professor. »Herkunft unbekannt. Angeklagt wegen Hexerei, verschwunden, tauchte dann in Frankreich auf, zelebrierte eine Schwarze Messe, wurde zum Tode verurteilt, entkam auf unbekannte Weise, wurde zuletzt in Spanien gesehen, dort verhaftet, gefoltert und nach dem Geständnis, den Teufel zu verehren, lebendig begraben.«

»Mein Gott«, wisperte Dan.

Linc starrte auf das Buch im Schoß des Professors und fragte schließlich: »Und die Daten?«

»Geboren 1852, gestorben wahrscheinlich 1888. So kann es nicht dieses Mädchen gewesen sein. Aber es ist ein Zufall, dass der Name der gleiche ist, nicht wahr? Eine Verwandte vielleicht. Aber eine Familie ist nicht erwähnt; so können wir nur Mutmaßungen anstellen. Immerhin ist es merkwürdig, finden Sie das nicht auch?« Er schloss das Buch und machte sich kaum die Mühe, ein Gähnen zu verbergen.«

»Am besten, wir verabschieden uns jetzt«, sagte Linc und stand auf. »Wenn es Ihnen recht ist, kommen wir morgen gegen ein Uhr noch einmal vorbei. Einverstanden? Nein, nein, bleiben Sie nur sitzen, wir finden allein hinaus.«

»Gut, also dann bis morgen. Und ich verlasse mich darauf, dass Sie beide ruhen, so dass Sie Ihre Entschlüsse bei klarem Verstand fassen können. Trinken Sie vor allem nichts, und ich würde auch eine nur leichte Mahlzeit Vorschlägen.« Als sie zur Tür gingen, fügte er hinzu: »Noch etwas.« Sie blieben stehen. »Wie alt ist dieser Andrew?«

»Er wird einundzwanzig.«

»Wann ist das?«

»Am dreißigsten April. Warum?«

Der Professor schüttelte den Kopf. »Oh, nichts, gar nichts. Ich versuche nur, mir ein Bild zu machen.«

Als sie hinausgegangen waren, saß er da und starrte ernsten Gesichts in das Kaminfeuer. Nach einiger Zeit klappte er wieder das Buch auf seinem Schoß auf und wendete die gelblichen Seiten. Sein Zeigefinger zog eine unsichtbare Linie unter die Worte: Hexensabbat, auch als Walpurgisnacht bekannt, 30. April...

Er dachte an seine Pläne für den nächsten Tag. Zuerst musste er sich mit Alfred in Verbindung setzen. Alfred gehörte einer gewissen Kategorie von Geschäftsleuten an, die über den finanziellen Status von allen und jeden informiert waren. Konnte ihm jemand etwas über die Forrests berichten, dann war es Alfred. Aber er musste vorsichtig sein und durfte nicht unnötig Alfreds Neugier schüren, sonst kannte jeder in Alfreds Gruppe die Geschichte und würde seinen Spaß daran haben.

Er versuchte, noch weiter vorauszuplanen, aber das Feuer und der Sherry hatten ihn angenehm schläfrig gemacht. Sein Kinn sank ihm langsam auf die Brust; seine Augenlider begannen zu flackern und schlossen sich endlich ganz.

 

 

 

2.

 

 

Der Professor freute sich über ihren Besuch.

»Kommen Sie herein, kommen Sie herein. Wir sollten einen kleinen Imbiss zu uns nehmen, bevor wir uns auf den Weg machen«, sagte er und führte sie in Richtung des Studios.

»Danke, Professor«, sagte Linc. »Wir hatten schon Kaffee und Pfannkuchen. Ich wusste nicht, dass Sie etwas vorbereitet haben.«

»Nun, ich denke, Sie können noch etwas essen, sei es nur, um einem alten Mann Gesellschaft zu leisten.« Er deutete auf eine kalte Platte und eine Teekanne. »Doch wollen Sie mir zunächst einen Gefallen tun? Ich habe starke Genickschmerzen. Hier ist ein Einreibemittel.« Er gab Linc eine Flasche. »Bitte, reiben Sie damit mein Genick ein.«

»Sehr gern.« Linc öffnete die Flasche und goss ein wenig von der Flüssigkeit in seine Handfläche. Zauberhaselöl, dachte er und schnupperte, als der Professor ihm den Rücken zukehrte.

»Gleich unterhalb des Kragens«, sagte der Professor.

Linc rieb ihm die ölige Flüssigkeit in die Haut.

»Das ist eine gute Kur«, murmelte der Professor, ihm die Flasche wieder abnehmend. »Ich an Ihrer Stelle würde mir nicht die Hände waschen, sondern es in der Haut eintrocknen lassen.« Er wandte sich an Dan und tupfte, ohne zu fragen, etwas Zauberhasel auf seinen Handrücken. »Dann spüren Sie nicht, dass wir danach riechen.« Er nahm am Tisch Platz, deutete auf die kalte Platte und sagte: »So, nun wollen wir uns ein wenig stärken.«

 

Als sie gingen und Linc eine Hand in seine Tasche steckte, fand er darin eine Knoblauchzehe. Er begriff den Zusammenhang. Knoblauch, Zauberhasel und diese belegten Brote waren Schutzmittel gegen das Böse. Sie waren auf eine Begegnung mit einer Hexe vorbereitet und konnten sich, wenn es sein musste, gegen sie zur Wehr setzen.

»Haben wir schon einen Aktionsplan?«, fragte der Professor unterwegs. »Und unter welch einem Vorwand besuchen wir das Haus der Forrests?«

»Ich schlage vor, wir beziehen uns auf Ihre alten interessanten Bücher, Professor. Wir hielten, uns zufällig in der Nähe auf, und ich sprach davon, dass Andy auch ein paar interessante Bücher hat, die Sie sofort zu sehen wünschen. Zugegeben, es ist ziemlich an den Haaren herbeigezerrt, aber ich verlasse mich auf seine guten Manieren. Ich glaube nicht, dass er uns abweisen wird.«

»Sehr gut.« Der Professor nickte. »Wichtig ist, dass wir ins Haus kommen.«

 

Der Mann, der ihr Klopfzeichen beantwortete, war über ihren Besuch keineswegs entzückt. Er hatte die Tür nur einen Spaltbreit geöffnet, so als habe er Angst, sie könnten gleich hineinstürmen, bevor er noch die Tür geschlossen hatte. Er blickte die drei Besucher misstrauisch an. Als Linc sich nach Andy erkundigte, sagte der Mann: »Er hat zu tun«, und wollte die Tür schließen. Doch Linc hatte damit gerechnet und schon seinen Fuß in die Öffnung geschoben.

»Wir werden warten«, sagte er mit fester Stimme. »Mr. Forrest kennt mich sehr gut. Ich glaube nicht, dass er gegen unseren Besuch etwas einzuwenden hat.«

Der Mann blickte ärgerlich auf den Fuß herab und dann in Lincs ausdrucksloses Gesicht. »Warten Sie«, sagte er endlich und ging in der Halle davon.

Linc wartete einige Sekunden und stieß die schwere Tür auf.

»Kommt mit«, forderte er mit gedämpfter Stimme den Professor und Dan auf. »Wenn wir erst einmal drin sind, wird man uns nicht mehr so leicht hinausbekommen.«

Sie traten rasch in die Halle, hörten Stimmengemurmel und sahen sich an. Dann eilte Andy in die Halle und kam, die rechte Hand ausgestreckt, mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf sie zu.

»Linc! Dan! Was für eine Überraschung!« Andy drückte zuerst Linc und anschließend Dan die Hand.

Linc stellte ihm den Professor vor und sagte: »Du musst schon entschuldigen, Andy, aber der Professor ist ein hoffnungsloser Bibliophile. Ich sprach von ein paar Büchern, die du besitzt, und er wollte sie sofort sehen.« Er war froh, dass Andy diese Erklärung durchaus für bare Münze nahm.

»Kommt herein. Ich freue mich über euern Besuch. Was die Bücher betrifft, so gehören sie meinem Vater. Ich werde ihm Bescheid sagen, und er wird sie Ihnen mit Freuden zeigen. Genehmigen wir uns zunächst einen Drink. Ich werde Boult zu ihm schicken.«

Bonita Devlon war im Gesellschaftszimmer. Sie nahmen Platz, während Andy sich um die Drinks kümmerte, Bonita Devlon saß steif da, nur ihre Augen bewegten sich von einem zum anderen.

Andy legte eine Hand auf seine Stirn und verzog das Gesicht.

»Fühlst du dich nicht wohl, Andy?«, fragte Linc.

»Ich leide neuerdings unter Kopfschmerzen, aber sie kommen und gehen.«

»Ich kann mich nicht entsinnen, dass du jemals Kopfschmerzen hattest, Andy«, sagte Linc.

»Ja, das stimmt.«

In diesem Augenblick huschte ein kleiner Hund in den Raum. Er hatte einen merkwürdig geformten Kopf und eine Schnauze mit Zähnen, die ihm trotz seiner geringen Größe ein gefährliches Aussehen verliehen. Der Hund blieb stehen, schnupperte in Richtung der Gäste und trabte dann an Miss Devlons Seite.

Der Professor beugte sich vor, als er diesen hässlichen kleinen Liebling betrachtete. »Wie heißt du denn?«, fragte er. »Mit deinen gefletschten Zähnen siehst du wie ein richtiger kleiner Teufel aus.«

»Ich habe ihm nie einen Namen gegeben«, sagte Miss Devlon kühl. »Wir nennen ihn gewöhnlich Er

Die Aufmerksamkeit des Professors galt noch immer dem hässlichen Tier, »Warte mal«, sagte er, »ich habe etwas für dich.« Er griff in die Tasche und brachte ein Stück Zucker zum Vorschein, das er dem Hund anbot.

Der Hund schnupperte vorsichtig, zog sich dann zurück und ging hinter einem Stuhlbein in Deckung.

»Er scheint mich nicht sehr sympathisch zu finden«, sagte der Professor mürrisch. Er warf das Zuckerstück dem Tier zu, doch erstaunlicherweise schnappte der Hund nicht danach, sondern versuchte schnellstmöglich von der Stelle zu fliehen, auf der das Zuckerstück gelandet war.

»Das verstehe ich nicht«, sagte Bonita Devlon, als sie den Zucker aufhob. Dann verzog sie die Nase und ließ ihn wieder fallen. »Es riecht nach Knoblauch!« Sie blickte den Professor verärgert an.

»Ich muss etwas Knoblauchsalz verschüttet haben«, sagte der Professor schnellgefasst, hob das Zuckerstück auf und legte es in den Aschenbecher, um wieder seinen Platz einzunehmen. »übrigens, Miss Devlon, sind Sie Spanierin?«

Diese Frage - lag es daran, weil der Professor sie so plötzlich stellte? - ließ Bonita Devlon erblassen. »Natürlich. nicht«, sagte sie. »Wie kommen Sie darauf?«

»Oh, ich kann nur hoffen, Sie nicht beleidigt zu haben. Ich sehe in den Spaniern ein besonders stattliches Volk. Oder haben Sie zufällig slawisches Blut in sich?«

»Ja.«

»Oh, das ist sehr interessant. Ich besitze eine Rarität, die, wie man mir sagte, slawischer Herkunft ist.« Ohne eine Bemerkung abzuwarten zog er einen kleinen eisernen Gegenstand aus der Tasche. Er sah wie eine alte sehr verrostete Klinge aus.

Als er den Gegenstand Miss Devlon reichte, wollte sie nicht zugreifen und schien sogar zurückzuschrecken. »Nein, so etwas kenne ich nicht«, sagte sie, den Kopf zur Seite drehend. »Andrew, vielleicht könntest du diesen Gentlemen schon mal ein paar Bücher zeigen, während sie warten. Ich glaube nicht, dass dein Vater etwas dagegen haben wird.«

Doch in diesem Augenblick hörten sie draußen sich nähernde Schritte. Dann traten zwei Männer ein. Einer war groß, ungefähr einsfünfundachtzig, und kräftig gebaut. Sein Kopf war vollkommen kahl, obwohl er noch jung aussah. Sein Gesicht war nicht hübsch zu nennen, aber faszinierend, beunruhigend. Dieser Mann war Walton.

Den zweiten Mann erkannte Linc nicht sofort, doch als er sprach, wusste Linc, dass er Andrews Vater war. Er hatte sich seit Lincs letzter Begegnung mit ihm alarmierend verändert. Der selbstbewusste und reiche Geschäftsmann hatte Gewicht verloren, wie Linc vermutete. Er sah hager und eingefallen aus. Sein Händedruck, der einmal fest und sicher gewesen war, verriet jetzt ein unsicheres Zittern; seine Augen blickten furchtsam in eine ihm offenbar feindlich gesinnte Welt.

Aber Mr. Forrest war sehr höflich - zu höflich, dachte Linc. Er möchte, dass wir uns möglichst rasch wieder verabschieden. Er hat Angst... 

Sie gingen gemeinsam in die Bibliothek, in der sich die wertvollsten Bücher befanden, aber nur der Professor und Andys Vater beschäftigten sich mit den Büchern. Der unheimlich wirkende Mann, der als Mr. Walton vorgestellt worden war, hielt sich in Bonitas Nähe auf.

Der Professor blätterte in den Büchern. Dann ging er, auf dem Weg zur Tür, an Andy vorbei und sagte zu ihm: »Ich glaube mich zu erinnern, Mr. Forrest, dass Sie eine Halskette trugen - ein Amulett vielleicht? Das interessiert mich ebenfalls.«

Linc lächelte. Andys Kragen hätte diese Kette verborgen, selbst wenn er einen Kopfstand gemacht haben würde. Aber der listige Professor hatte richtig geraten.

»Tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht viel darüber sagen.« Andy lockerte seinen Kragen, und sie sahen eine feine Kette mit einem Amulett daran. »Ein Geschenk von Miss Devlon.«

»Ein Liebessymbol«, sagte Bonita Devlon rasch.

Der Professor wölbte eine Augenbraue und sah sie an. »Ah, dann wäre also eine Gratulation angebracht, wie?«

»Ja... Wir sind verlobt und werden heiraten.«

Linc beobachtete Andy, der zu ihm aufblickte, rot wurde und dann den Kopf zur Seite drehte.

»Wir haben Ihre Zeit lange genug beansprucht«, sagte der Professor, als sie wieder in der Halle waren.

Linc war enttäuscht; er wäre gern noch ein wenig geblieben und hätte sich allein mit Andy unterhalten, aber er beugte sich dem Vorschlag des Professors. Wieder wechselte er einen Blick mit Andy; in den Augen des jungen Mannes stand eine Bitte geschrieben - eine Bitte wofür?

 

Im Wagen saß der Professor mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen da. Linc konnte nicht sagen, ob er schlief oder in tiefes Nachdenken versunken war.

Nach kurzer Zeit richtete der Professor sich auf. »Ihre Söhne und ihre Töchter«, murmelte er, als führe er eine frühere Unterhaltung weiter.

»Was meinen Sie damit?«, fragte Linc.

»Das Buch der Psalmen. Einhundertsechs, glaube ich. Und sie dienten ihrem Idol... Sie opferten ihre Söhne und Töchter dem Satan. So ungefähr.«

Die Worte schwebten einen Moment in dem engen Wageninneren wie das feierliche Echo einer Totenglocke.

Der Professor seufzte und starrte geradeaus. »Vielleicht ist es möglich, ihn zu retten. Gewiss können wir es versuchen. Aber das Risiko ist nicht zu unterschätzen. Wenn wir versagen, sind die Konsequenzen für uns alle - Ihr Freund miteinbegriffen - sehr ernst, außerordentlich ernst!«

 

 

 

3.

 

 

 

 

Das Schweigen lastete wie ein Gewicht auf ihnen. Wieder hatte der Professor den Kopf gesenkt. Trotz seiner nagenden Ungeduld störte Linc ihn nicht. Er wusste, dass der Professor im geeigneten Augenblick; alles erklären würde.

Er wartete, bis sie sich wieder in dem beschaulichen Frieden seines Studierzimmers befanden. Dann sagte er; »Ihr Freund befindet sich in ernsten Schwierigkeiten.«

»Dann glauben Sie, dass diese Leute Teufelsanbeter sind?«

»Ohne Zweifel. Und es sind keine Amateure mehr, sondern Vertreter der Schwarzen Magie. Miss Devlon ist eine Hexe und war es schon seit nahezu hundert Jahren.«

Beide, Dan und Linc, starrten ihn gleichzeitig an. Dan sagte: »Ist sie jene Bonita Devlon, die in jenem Buch beschrieben wurde, das Sie uns gestern zeigten?«

Und Linc: »Aber sie sieht doch nicht älter als fünfundzwanzig, sechsundzwanzig Jahre aus!«

»Es gibt Möglichkeiten, physisch jung zu bleiben. Es gibt zahlreiche Geschichten über Personen, die ihre Seelen dem Teufel verkauften, um sich diesen oder jenen Wunsch zu erfüllen.«

»Und Sie nehmen an, dass das bei Miss Devlon der Fall ist?«, fragte Linc.

»Ja, das nehme ich. mit Sicherheit an«, sagte der Professor. »Und diese kleine Kreatur, die sie bei sich hatte, sieht wie ein Dämon aus. Alle Anzeichen von Satanismus sind vorhanden. Beide, sie und die Kreatur, reagierten negativ auf den Knoblauch und die rostige Klinge, die Amulette gegen das Böse... Und das Amulett, das sie Andy gegeben hat, ist ein sehr mächtiges. Solange er es trägt, wird er im Banne des Gebers stehen.«

»Dann müssen wir es ihm abnehmen«, sagte Linc rasch, »und ihn ihr entreißen.«

Der Professor seufzte müde. »Das wird nicht so einfach sein, wie Sie sich das vorstellen. Sie ist sehr mächtig - und sie ist nicht allein! Ihr dämonischer Hund, der Diener und Mr. Walton gehören ihrer Gruppe an. Tut mir leid, aber wir werden diese Fesseln nicht so leicht lockern können.

»Eines wundert mich«, sagte Dan nachdenklich. »Warum das alles? Diente das nur dem Zweck, einen jungen Mann in ihre Netze zu ziehen? Zugegeben, Andy sieht gut aus, und ich kann mir vorstellen, dass Bonita Devlon während der verflossenen hundert Jahre eine ganze Reihe gutaussehender Liebhaber hatte.«

»Das ist eine interessante Frage«, sagte der Professor. Doch dann schwieg er,

Linc nahm an, dass er schon eine Antwort wusste, aber sie einstweilen noch für sich behalten wollte.

»Was Andys Vater betrifft, sagte Linc, »so hatte ich den Eindruck, dass er Todesängste ausstand. Aber Andy ist sein Sohn, und wenn wir uns mit ihm unterhalten und ihm begreiflich machen, in welch einer Gefahr...«

Der Professor schüttelte langsam den Kopf. »Ich denke, wir tun gut daran, in dem Vater des Jungen nicht unseren Verbündeten zu sehen - wenigstens im Augenblick noch nicht. Vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt.«

Linc starrte auf seine verschränkten Hände und sagte schließlich: »Okay. Und was schlagen Sie vor?«

Der Professor seufzte wieder. »Im Moment habe ich noch keine konkreten Vorstellungen, aber vielleicht können wir mit dem beginnen, was sozusagen auf der Hand liegt. Möglich, dass die Opposition von uns überbewertet wurde, oder dass sie uns unterschätzt hat... Warum versuchen Sie nicht, sich allein mit Ihrem Freund zu verabreden?«

»Ich glaube nicht, dass er darauf eingehen wird«, sagte Linc skeptisch.

»Der junge Mann findet Sie doch sympathisch«, sagte der Professor, sich vorbeugend. »Und diese Tatsache kann unter Umständen unsere mächtigste Waffe sein.«

»Sie müssen das wissen, Professor.«

»Warum rufen Sie ihn nicht sofort an? Das Telefon ist in der Halle.«

Linc setzte diesen Vorschlag in die Tat um und wunderte sich, dass am anderen Leitungsende Andy antwortete.

»Hallo, Linc!«, sagte er freundlich und schien froh zu sein, dass jemand angerufen hatte.

»Ich möchte dich heute gern zum Lunch einladen, Andy.«

Es dauerte einige Zeit, bis Andy antwortete: »Heute bin ich leider unabkömmlich.« Dann fügte er rasch hinzu: »Aber wie wär's mit morgen?«

Lincs Herz pochte aufgeregt. »Großartig«, sagte er. »Im Römischen Zimmer um zwölf Uhr dreißig?«

»In Ordnung. Ich werde da sein. Linc...«

»Ja?«

»Nichts. Wir sehen uns dann morgen.« Damit legte er den Hörer auf.

Linc starrte seinen Hörer einen Moment an. Andy hatte versucht, ihm etwas mitzuteilen. Handelte es sich um Bonita Devlon und die anderen?

Er lächelte zufrieden, als er wieder ins Studierzimmer zurückkehrte. »Um zwölf Uhr dreißig im Römischen Zimmer«, meldete er. »Wir sind zum Lunch verabredet.«

Dan grinste. »Großartig. Nun wissen wir wenigstens, dass er ihr nicht völlig verfallen ist.«

Der Professor sagte nichts. Das war zu leicht, dachte er. Seine jungen Freunde machten den groben Fehler, Miss Devlon und ihre Verbündeten zu unterschätzen. Schließlich fragte er: »Was versprechen Sie sich von diesem Lunch zu zweit?«

»Ich will versuchen, ihn zu überreden, mit mir nach Hause zu kommen, damit ich ihm in aller Ruhe begreiflich machen kann, dass ihm von diesen Leuten Gefahr droht. Vielleicht kann ich ihn auch veranlassen, dieses Amulett abzunehmen. Würde das etwas nützen?«