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Wladimir Megre

Anastasia

Die Bräuche der Liebe

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Bisherige Titel von Wladimir Megre zu Anastasia

Band 1:

Anastasia – Tochter der Taiga, Govinda-Verlag

 

ISBN 978-3-906347-65-3, (gebunden)

 

ISBN 978-3-906347-66-0, (Taschenbuch)

Band 2:

Anastasia – Die klingenden Zedern Russlands, Govinda-Verlag

 

ISBN 978-3-906347-71-4, (gebunden)

 

ISBN 978-3-906347-79-0, (Taschenbuch)

Band 3:

Anastasia – Raum der Liebe, Govinda-Verlag

 

ISBN 978-3-906347-74-5, (gebunden)

Band 4:

Anastasia – Schöpfung, Govinda-Verlag

 

ISBN 978-3-906347-75-2, (gebunden)

Band 5:

Anastasia – Wer sind wir?, Govinda-Verlag

 

ISBN 978-3-906347-78-3, (gebunden)

Band 6:

Anastasia – Das Wissen der Ahnen, Verlag “Die Silberschnur”

 

ISBN 978-3-89845-040-9, (gebunden)

Band 7:

Anastasia – Die Energie des Lebens, Verlag “Die Silberschnur”

 

ISBN 978-3-89845-058-4, (gebunden)

Band 8.1:

Anastasia – Neue Zivilisation, Verlag “Die Silberschnur”

 

ISBN 978-3-89845-123-9, (gebunden)

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Publikation darf ohne vorherige Zustimmung durch den Herausgeber in irgendeiner Form oder auf irgendeine Weise – sei es elektronisch, mechanisch, als Fotokopie, Aufnahme oder anderweitig – reproduziert, auf einem Datenträger gespeichert oder übertragen werden.

Titel der Originalausgabe: image (Die Bräuche der Liebe)

Copyright der deutschen Ausgabe Verlag “Die Silberschnur” GmbH

ISBN 978-3-89845-180-2

1. Auflage 2018

Illustrationen: Olga Zeiger

Verlag “Die Silberschnur” GmbH · Steinstraße 1 · D-56593 Güllesheim

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel: Liebe ist ein kosmisches Wesen

2. Kapitel: Entspricht unser Leben dem göttlichen Plan?

3. Kapitel: Warum kommt und geht die Liebe?

4. Kapitel: Hochzeitsbräuche

5. Kapitel: An der Zeugung eines Menschen sind nicht nur zwei Körper beteiligt

6. Kapitel: In den Tiefen der Geschichte

7. Kapitel: Ausradiertes Russland

8. Kapitel: Ein Fehler der Ältesten

9. Kapitel: Das großartige Geschenk des Schöpfers

10. Kapitel: Voreheliche Spiele

11. Kapitel: Der Brauch der Trauung

12. Kapitel: Die Zeugung

13. Kapitel: Wie man den Einfluss der Telegonie überwinden kann

14. Kapitel: Die Psychologie der Entstehung und der Geburt eines Menschen

15. Kapitel: Der Brauch für eine Frau, die ohne ihren Mann ein Kind gebärt

16. Kapitel: Trübe Wolken

17. Kapitel: Von den Sternen zur Erde

18. Kapitel: Auch das Chaos hat seine Bedeutung

19. Kapitel: Treffpunkte Heiratswilliger

20. Kapitel: Trauungen für Frauen mit Kindern

21. Kapitel: Frauen von Welt

22. Kapitel: Anastasias Trauung

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1. Kapitel

Liebe ist ein kosmisches Wesen

Wie aus dem Nichts tauchte vor mir auf der Straße die Gestalt eines Mannes auf. Er stand fast in der Mitte der Fahrbahn, mit dem Rücken zu meinem herannahenden Jeep. Ich nahm sogleich den Fuß vom Gas und schaltete herunter, um den grauhaarigen Mann vorsichtig umfahren zu können.

Als ich nur noch etwa zehn Meter von ihm entfernt war, drehte sich der Alte in aller Ruhe um, und ich trat scharf auf die Bremse.

Vor mir auf der Straße stand Anastasias Großvater. Ich erkannte ihn sofort. Das Grau seiner Haare und seines Bartes passte nicht zum Funkeln seiner jugendlich strahlenden Augen. Dieser scheinbare Widerspruch in seinem Äußeren unterschied ihn deutlich von allen anderen älteren Menschen. Außerdem war mir sein langer, grauer und zeitlos wirkender Mantel aus undefinierbarem Stoff bestens bekannt. Dennoch konnte ich kaum meinen Augen trauen. Wie nur war es diesem Greis aus der abgelegenen sibirischen Taiga gelungen, die Straße von Wladimir nach Susdal in Zentralrussland zu erreichen? Etwa mal per Autostopp und mal auf Schusters Rappen? Wie kann ein sibirischer Einsiedler so mir nichts, dir nichts den Dschungel unserer Reiseformalitäten überwinden? Er hat nicht einmal einen Ausweis oder sonst irgendwelche Papiere.

Geld hätte er sich natürlich besorgen können, und zwar durch den Verkauf von Zedernkernen oder getrockneten Pilzen, wie es bereits seine Enkelin Anastasia getan hat. Doch so ganz ohne Papiere?

Natürlich haben bei uns viele Obdachlose keinen Ausweis, und die Polizei kann noch immer nichts dagegen tun. Doch Anastasias Großvater sieht nicht gerade aus wie ein Obdachloser.

Zugegeben, seine Kleidung ist abgetragen und alt, doch sie ist immer sauber. Auch sonst macht er einen recht gepflegten Eindruck. Sein Gesicht strahlt Klarheit aus, und die leichte Rötung seiner Wangen deutet auf einen gesunden Menschen hin.

Ich saß immer noch wie gelähmt am Steuer meines Jeeps. Also kam er selbst auf mich zu, und ich öffnete ihm die Tür.

“Hallo, Wladimir, fährst du nach Susdal? Nimmst du mich mit?”, fragte mich der alte Mann, als ob nichts gewesen wäre.

“Aber ja, bitte steigen Sie ein. Wie kommen Sie denn hierher? Wie haben Sie nur den langen Weg von der Taiga hierher geschafft?”

“Es spielt keine Rolle, wie ich hierher gekommen bin. Der Grund für meine Reise ist viel wichtiger.”

“Dann wüsste ich gern, warum Sie hier sind.”

“Damit wir beide eine Exkursion durch die echte Geschichte Russlands unternehmen können und du dich nicht mehr über mich ärgerst. So hat es meine Enkelin Anastasia angeordnet. Sie sagte: ‘Es ist deine Schuld, Großväterchen, dass er beleidigt ist.’ Deswegen unternehmen wir nun diese Exkursion gemeinsam. Du bist doch aus diesem Grund nach Susdal unterwegs, nicht wahr?”

“Ja, ich will ein Museum besuchen. Und eingeschnappt war ich damals schon… aber das ist längst vergessen.”

Wir fuhren eine Zeit lang weiter, ohne Worte zu wechseln. Ich erinnerte mich daran, wie kalt meine Abreise aus der Taiga gewesen war. Ich hatte mich von Anastasias Großvater nicht einmal ordentlich verabschiedet. Folgendes war geschehen: Anastasias Großvater schlug mir vor, eine Partei zu gründen und sie die “Heimatpartei” zu nennen.

Eigentlich war dieser Vorschlag nichts Neues, denn bereits seit einiger Zeit setzten sich verschiedene Leute für die Gründung einer Partei ein, die auf Anastasias Ideen beruhte. Viele meinten, dass die Gründung einer solchen Partei notwendig sei, um den Grundstückserwerb für den Bau von Familienlandsitzen zu erleichtern. Außerdem könnten auf diese Weise die Bewohner der Landsitze vor der Vielfalt der möglichen Angriffe seitens der Behörden geschützt werden. Denn leider ist es nun mal so, dass sich keine einzige der bereits existierenden Parteien mit solchen Fragen beschäftigt.

Angesichts der Tatsache, dass es Kräfte gibt, die die Ideen Anastasias, die Menschen, die sich von diesen Ideen angesprochen fühlen, sowie mich und Anastasia mit allen möglichen Mitteln zu diskreditieren versuchen, kam der Vorschlag auf, eine Partei zu gründen, in deren Satzung – unter der Rubrik “Ziele und Aufgaben” – die Schaffung günstiger Bedingungen für den Bau von Familienlandsitzen nicht hervorgehoben werden soll. Und überhaupt sollten darin weder Anastasias Ideen noch die Bücher der Reihe “Anastasia” erwähnt werden.

Es gab Bemühungen, mich davon zu überzeugen, dass andernfalls die beabsichtigte Eintragung der Partei scheitern würde. Also beschloss ich, mich mit Anastasias Großvater über diese Frage, über die erforderliche Struktur der Partei sowie über ihre vordringlichsten Aufgaben und Ziele, zu beraten. Dabei ließ ich mich durch folgenden Gedanken leiten: Wenn er schon so gut die Handlungen der Priester kennt, die immer wieder verschiedenste, Jahrtausende überdauernde soziale Gebilde und Religionen erschaffen haben, dann wird er auch in die geheimen Organisationsprinzipien eingeweiht sein, denen die betreffenden Gebilde ihre lange Existenz verdanken.

Außerdem ist er selbst auch eine Art Priester – und was für einer! Womöglich ist er sogar noch mächtiger als all die Priester, die heute die Welt regieren. In diesem Falle müsste er auch die Prinzipien kennen, nach denen die Priesterorganisation aufgebaut wurde, die ja so manche Religion überdauert hat. In der Tat stellt die Priesterorganisation eine überreligiöse Struktur dar. Sie existiert bis zum heutigen Tage, weil die Priester an der Entstehung etlicher Religionen und weltlicher Strukturen unmittelbar mitgewirkt haben. Diese Tatsache ist aus der Geschichte des alten Ägyptens und anderer antiker Länder klar ersichtlich.

Folglich sollte Anastasias Großvater in der Lage sein, bestimmte Prinzipien der “Heimatpartei” so festzulegen, dass sie dadurch zu einer der stärksten, vielleicht sogar zur allerstärksten Partei wird. Ich war also erfüllt von dem aufrichtigen Bestreben, seine Ratschläge zu hören. Daher wartete ich einen Moment ab, in dem er, wie es mir schien, mal nicht in seine Gedanken vertieft war, und sprach zu ihm:

“Sie haben doch mal die Gründung einer Partei angesprochen. Auch die Leser kommen immer wieder darauf zu sprechen. Doch einige von ihnen schlagen nun vor, in der Satzung der Partei weder Anastasias Ideen noch die Bücher zu erwähnen. Auf diese Weise kann man ihrer Meinung nach Hindernisse bei der Eintragung der Partei umgehen.”

Der grauhaarige alte Mann stand vor mir, stützte sich auf den Stab seines Vaters und schwieg. Genauer gesagt, stand er nicht einfach wortlos vor mir, sondern betrachtete mich mit eindringlichem Blick, als sähe er mich zum ersten Mal. Sein Blick strahlte nicht die gewohnte Gutmütigkeit aus und wirkte eher kritisch.

Als er nach einer längeren Pause schließlich zu reden anfing, spürte ich in seiner Stimme einen Unterton der Geringschätzung:

“So, so, die Eintragung, sagst du. Einen Ratschlag möchtest du also bekommen: Verrat oder nicht Verrat?”

“Wer spricht hier von Verrat? Ich bin gekommen, um mich mit Ihnen darüber zu beraten, auf welche Weise die Eintragung der Partei ohne Hindernisse durchgeführt werden kann.”

“Die Eintragung an sich ist doch kein Selbstzweck, genauso wenig wie die Partei. Ohne Anastasias Ideen zu erwähnen, sagst du also. Und wie sollen dann die Leser erkennen, dass es sich dabei nicht um eine Partei von berechnenden Verrätern, sondern um ihre ‘Heimatpartei’ handelt? Dir wurde vorgeschlagen, eine Art sinnloses Gebilde ohne feste Grundlage, ohne Ideen und ohne Symbole zu erschaffen, durch dessen Präsenz die führende Rolle der Beteiligten in der Gesellschaft über Jahrhunderte gesichert werden soll. Und dann bist du zu mir gekommen, um zu erfahren, ob du auf diesen Rat hören sollst. Du kommst also nicht von selber darauf, dass es sich hier um die einfachste Form einer bösen Falle handelt?”

Ich erkannte, dass ich in eine dumme Lage geraten war, und so stellte ich eine weitere Frage, um mich irgendwie herauszuwinden.

“Eigentlich liegt mir mehr daran, zu erfahren, auf welche Prinzipien wir uns Ihrer Meinung nach beim strukturierten Aufbau der Partei und bei der Festlegung ihrer Aufgaben und Ziele stützen sollten.”

Was dann geschah, brachte mich endgültig aus der Fassung. Ich hatte plötzlich den Eindruck, der Alte ignorierte nicht nur meine Fragen, sondern er begann, mich hochmütig zu verspotten. Zuerst schaute er mich verwundert an, dann räusperte er sich irgendwie gereizt. Schließlich wandte er sich von mir ab, drehte sich wieder zu mir um und sprach:

“Verstehst du denn wirklich nicht, Wladimir, dass die Antworten auf all deine Fragen nicht nur in dir selbst zu finden sein müssen, sondern in jedem Menschen, der beschlossen hat, zusammen mit dir die geplante Struktur aufzubauen. Natürlich, kann ich dir einen Tipp geben. Morgen kommt dann jemand anders mit seinen Vorschlägen, und ihm folgt ein Dritter. So werdet ihr nie zu handeln anfangen. Stattdessen hört ihr euch die Ratschläge verschiedener Menschen an. Die Faulheit eures Verstandes führt euch zuerst nach rechts, dann nach links, einen Schritt nach vorn und wieder zurück. Oder es bleibt euch nichts anderes übrig, als ständig im Kreis zu laufen.”

Besonders seine Bemerkung von der “Faulheit unseres Verstandes” traf mich tief. Seit meiner ersten Begegnung mit Anastasia stand mein Verstand dauernd unter enormer Belastung, und zwar nicht nur am Tage, sondern sogar beim Einschlafen. Vielleicht litt mein Gehirn aufgrund der ständigen harten Arbeit bereits an Überhitzung? Ich hatte acht Bücher geschrieben und über deren Inhalt enorm viel nachdenken müssen. Nicht selten überprüfte ich mehrmals die Korrektheit des Informationsgehalts einzelner Passagen. All dies hätte doch dem Alten bekannt sein müssen.

Ich fühlte mich durch seine Worte immer mehr gekränkt, doch irgendwie gelang es mir, die Fassung zu bewahren und erklärend hinzuzufügen:

“So viele Leute zermartern sich das Hirn, um die verschiedensten Parteien zu gründen: kommunistische Parteien, demokratische Parteien oder auch Parteien der Mitte. Doch wie einmal ein kluger Mann sagte: ‘Wie sehr wir uns auch bemühen, eine gute Partei zu gründen, am Ende kommt dabei immer nur das gleiche alte ZK der KpdSU heraus.’”

“Gut hat er das gesagt. Und ich sage dir noch mal: ‘Die Faulheit eures Verstandes zwingt euch dazu, ständig im Kreis zu laufen.’”

“Was hat das mit der Faulheit des Verstandes zu tun? Vielleicht sind wir nur nicht gut genug informiert.”

“So, so, es fehlt euch also an Information. Und dann kommst du zu mir, um dir welche abzuholen. Ist dein fauler Verstand überhaupt in der Lage, solche Informationen zu verarbeiten?”

Die Kränkung durch seine Worte wurde für mich fast unerträglich, doch ich antwortete ihm, ohne die Beherrschung zu verlieren: “Ja, ich werde es versuchen und mein Gehirn besonders anstrengen.”

“Dann höre mir gut zu. Die Struktur der zu gründenden Partei muss dem Nowgoroder Wetsche* in seiner frühen Phase ähneln. Alles Weitere wird jeder von euch später verstehen.”

Diese Antwort brachte mich nun endgültig auf die Palme. Der Alte wusste doch genau: Alle historischen Dokumente über Russland aus der Zeit vor der Christianisierung existierten nicht mehr. Sie wurden komplett vernichtet. Folglich würde niemand jemals in der Lage sein, Fragen nach der Arbeitsweise des Nowgoroder Wetsche zu beantworten – obendrein auch noch Fragen, die nur die frühe Phase dieser Einrichtung betreffen. Also verspottete er mich jetzt nur. Aber warum? Was hatte ich ihm getan, dass er mich nun so … Es kostete mich einige Mühe, aus Respekt vor seinem Alter mit ruhiger Stimme weiterzureden. Und so sprach ich:

“Es tut mir Leid, dass ich Sie gestört habe. Sie haben sich vermutlich gerade mit etwas Wichtigerem beschäftigt. Ich gehe dann wieder.”

Ich hatte mich bereits von ihm abgewandt, als ich hörte, wie er mir hinterher rief:

“In erster Linie muss es das Ziel und die Aufgabe der ‘Heimatpartei’ sein, Bedingungen zu schaffen, die für die Rückkehr der Liebesenergie in die Familien erforderlich sind. Die Menschen müssen ihre Bräuche und Feierlichkeiten wieder entdecken, die ihnen bei der Erkennung des zu ihnen passenden Lebenspartners helfen können.”

“Was höre ich da?”, wandte ich mich wieder dem alten Mann zu. “Liebe? Sie soll in die Familie zurückkehren? Ich verstehe, dass Sie mit mir nicht über bedeutende Dinge sprechen wollen. Doch warum müssen Sie mich beleidigen?”

“Ich habe nicht vor, dich zu beleidigen, Wladimir. Du bist einfach nicht in der Lage, eine einfache Wahrheit zu verstehen: Wenn du nicht lernst, selbst über wichtige Dinge nachzudenken, dann werden jahrelange Bemühungen erforderlich sein, um dich auf den Weg der Vernunft zurückzubringen.”

“Von welcher Vernunft reden Sie überhaupt? Wissen Sie wenigstens ungefähr, welche Aufgaben und Ziele die Parteien der ganzen Welt in ihren Satzungen haben?”

“Ja, das ist mir ungefähr bekannt.”

“Dann erzählen Sie mir doch mal, was Sie zu wissen glauben. Na, reden Sie schon.”

“Sie versuchen, jeden davon zu überzeugen, dass es ihnen in jedem Falle gelingen wird, den Lebensstandard aller Bürger zu heben und mehr Freiheit für die Menschen zu erreichen.”

“Genau so ist es. Und sie versprechen konkret, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, jeden Menschen mit Wohnraum zu versorgen und die Inflation zu verhindern.”

“Das ist völliger Blödsinn”, murmelte der alte Mann vor sich hin.

“Blödsinn? Ja, es wird mit Sicherheit etwas Blödsinniges entstehen, wenn ich auf Ihren Rat höre und zur Beschreibung der Kernaufgabe unserer Partei in die Satzung die Worte eintrage: ‘Die Partei wird sich mit der Lösung der Frage befassen, auf welche Weise es jedem Menschen gelingen kann, seinen passenden Partner im Leben zu finden.’”

“Und füge bitte hinzu: ‘Die Partei wird dem Volk seine wahre Lebensweise zurückgeben und auch die Bräuche, die die Liebe in den Familien für ewig zu bewahren vermag.’”

“Na, hören Sie mal! Sie haben wohl vor, mich zum Gespött des ganzen Volkes zu machen? Mit der Suche nach zwei zueinander passenden Hälften beschäftigen sich diverse Heiratsvermittlungen, die damit auch noch Geld verdienen wollen. Die Festlegung solcher Aufgaben und Ziele führt nicht zur Gründung einer Partei, sondern zur Eröffnung einer Heiratsagentur. Außerdem ist die Liebe innerhalb der Familien reine Privatsache. Niemand, auch keine Partei, hat das Recht, sich in die inneren Angelegenheiten einer Familie einzumischen. Um die Liebe in den Familien muss sich doch der Staat nicht kümmern!”

“Aber besteht dein Staat nicht zufällig aus einzelnen Familien? Stellen diese Familien etwa nicht das Fundament jedes Staates dar?”

“Na klar, Sie haben absolut Recht. Doch gerade deswegen muss sich der Staat in erster Linie um den wachsenden Wohlstand seiner Familien und der einzelnen Bürger kümmern.”

“Und was dann? Kehrt mit dem wachsenden Wohlstand im Lande die Liebe in die vielen Familien zurück?”

“Das weiß ich nicht. Aber es ist doch angenehm zu glauben, dass alle Staaten sich um den Wohlstand ihrer Bürger kümmern sollten.”

“Wladimir, denk mal darüber nach, ob das Wort ‘Wohlstand’ nicht auch ‘Wohlergehen’ bedeutet. Versuche mal, ganz entspannt die tiefe Bedeutung dieser Begriffe zu ergründen. Hörst du im Klang dieser Worte nicht den Hinweis auf einen Zustand, in dem sich ein Mensch ‘sehr wohl fühlt’? Sind mit diesen Begriffen vielleicht die höchsten Empfindungen eines Menschen gemeint? Denke nach und versuche Folgendes zu verstehen: Nur die Liebe kann jedem Menschen die Erfahrung der höchsten Gefühle bescheren. Kein Geld und keine Schlösser sind dazu in der Lage. Nur das Geschenk des Schöpfers an die Menschen, ein Gefühl, ein Zustand der Liebe, bringt diese Erfahrung mit sich.

Liebe ist ein kosmisches Wesen. Sie lebt, denkt, ist hochintelligent und sehr mächtig. Es ist kein Zufall, dass Gott von ihr entzückt ist und ihre großartige Energie den Menschen schenkt. Daher muss jeder Mensch versuchen, das Wesen der Liebe zu verstehen. Und er braucht sich dafür nicht zu schämen. Sogar auf staatlicher Ebene sollte der Liebe besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Ein Staat, der aus einer Vielzahl von Familien besteht, in denen Kinder in Liebe geboren werden, Familien, die für sich einen Raum der Liebe erschaffen, wird niemals unter den Folgen der Inflation oder der Kriminalität leiden müssen.

Ein solcher Staat wird es nicht mehr nötig haben, einen Teil seiner Kräfte für den Kampf gegen die Propheten zu verschwenden. Denn es wird in dieser Gesellschaft keine Propheten mehr geben. Und alle Propheten, die zurzeit noch schlau herumphilosophieren, werden schließlich verstummen. Egal, ob sie die höchste Wahrheit zu wenig ergründet oder diese gar nicht gekannt haben, Fakt ist, dass sie diese den Menschen gegenüber nie erwähnt haben. Solche Propheten lenkten die Menschen von den wichtigsten Dingen des Lebens ab und führten sie dorthin, wo es keine Liebe gibt.

Die Priester verstanden dies alles genau und duldeten das Fehlverhalten der Propheten.

Über Jahrhunderte praktizierte die Menschheit verschiedene Bräuche, die dem Leben und der Liebe dienten. Es spielt übrigens keine Rolle, ob bei der Entstehung dieser Bräuche der Schöpfer nachgeholfen hat oder ob die Volksweisheit sie so vollkommen gestaltete. In der Tat bewirkten sie bei den Menschen über Jahrhunderte die Entstehung von Zuständen des Wohlempfindens. Sie halfen den jungen Leuten, die Liebe und die Freude für die Ewigkeit zu erlangen. Im Gegensatz zu heute war keiner dieser Bräuche von okkultem Aberglauben geprägt. Sie stellten die höchste Schule und die Prüfung des Universums dar.

Anastasia hat dir bereits vor einiger Zeit von dem jahrhundertealten wedrussischen Brauch der Trauung berichtet. Du hast diesen bisher nur in einem deiner Bücher zu erwähnen vermocht, doch er verdient es, so lange in jedem Buch erwähnt zu werden, bis ihn nicht nur du, sondern jeder Mensch, der gegenwärtig auf dieser Welt lebt, vollends begriffen hat.

Erinnerst du dich, wie sie dir auch von den uralten Methoden der Partnersuche erzählte? Aber auch diese habt ihr noch nicht völlig verstanden. Meine Enkelin meinte nur: ‘Die Bilder, die ich ihnen beschrieben habe, waren wahrscheinlich nicht ausdrucksstark genug.’ Sie nimmt die ganze Schuld auf sich, doch ich sage dir, dass die Faulheit deines bzw. eures Verstandes diese Misere mitbewirkt hat.

Mögen die besten Gelehrten den wedrussischen Brauch der Trauung bis ins kleinste Detail untersuchen. Und glaube mir, Wladimir, sie werden darin keine einzige okkulte oder abergläubische Handlung finden. Ganz sicher nicht. Dieser Brauch ist rationell und treffsicher für die Entstehung fester Liebe erschaffen. Vor seinem Hintergrund erkennst du, wie absurd, okkult und abergläubisch die heutigen Feierlichkeiten sind. Du musst eines begreifen: Anastasia weiß unendlich viel mehr, als sie dir erzählt. Ihre Handlungen und die Logik ihrer Taten verstehen sogar die Priester nicht sofort. Und später wundern sie sich über all das, was meine Enkelin erschaffen hat.

Frage sie und inspiriere sie. Frage sie zum Beispiel, welchen Brauch die Wedrussen bei der Geburt ihrer Kinder praktizierten. Von selber wird sie dir so etwas nicht erzählen. Ihrer Meinung nach sollte man nur über die Themen reden, die dir interessant erscheinen. Doch du weiß nicht, welche großartige, über Jahrhunderte gesammelte Weisheit in diesen uralten Bräuchen verborgen liegt. Sie sind durch das Universum erschaffen worden.

Ein Volk, das die jahrhundertealte Weisheit seiner Vorfahren vergessen hat, verdient in meinen Augen nur Verachtung. Dabei spielt es keine Rolle, ob jeder einzelne Mensch diese Weisheit ohne Einwirkung von außen vergessen hat oder unter dem Einfluss der Priester, die okkulte Wissenschaften beherrschen.

Frage und inspiriere meine Enkelin durch deine Fragen. Doch vorerst sollte es dir gelingen, deine Partei zum Erschaffen der Liebe aufzurufen. Bis dahin ist mein Interesse an deiner Person ziemlich gering. Es ist lästig, dir stundenlang Dinge erklären zu müssen, die offensichtlich sind. Verzeih mir bitte. Ich bin ein alter Mann. Gehe in Frieden. Es bekommt mir nicht, über unangenehme Dinge nachzudenken und zu sprechen.”

Der Alte wandte sich von mir ab und begann, sich langsam von mir zu entfernen. Nun stand ich allein da, und es kam mir so vor, als ob mich jemand angespuckt hätte. Schon ganz am Anfang des Gesprächs fühlte ich mich gekränkt und konnte daher das Gesagte nicht sofort begreifen.

Doch später, als ich wieder zu Hause war, kehrte ich mit meinen Gedanken noch oft zu jenem Gespräch zurück, analysierte es und dachte über die entstandene Situation nach. Ich wollte nicht nur Anastasias Großvater, sondern in erster Linie mir selbst unbedingt beweisen, dass ich meinen Verstand durchaus noch benutze.

In mir brannte das Bedürfnis, seinen Aussagen zu widersprechen oder sie schließlich anzuerkennen.

Der Alte sagte, dass unsere Gesellschaft so lange von sozialen Katastrophen geplagt werden wird, bis die Menschen aufhören, ständig nur auf Ratschläge zu hören, und beginnen, selbst über das Wesentliche in ihrem Leben nachzudenken. Sonst können die Menschen nicht dauerhaft glücklich werden.

Es sieht ganz danach aus, als ob er Recht hätte. Außerdem, so meinte er, gäbe es so etwas wie einen Plan Gottes. Was kann man sich darunter vorstellen? Inwiefern verläuft das Leben der heutigen Menschen nach diesem Plan?

* Wetsche: altslawische Volksversammlung.

2. Kapitel

Entspricht unser Leben dem göttlichen Plan?

Im Operationssaal des Entbindungsheims wurde ein Mensch geboren. Zum Erstaunen der Ärzte war das kleine Kind vollkommen gesund.

Tage und Monate vergingen wie im Fluge. Der Junge besuchte den Kindergarten, danach die Schule und schließlich die Hochschule. “Weise” Erzieher, Pädagogen und Professoren stellten ihn in einer bestimmten Art und Weise auf sein zukünftiges Leben ein. Sie programmierten ihn. Und so kam der junge Mann zu dem Schluss: Das Wichtigste im Leben ist der Besitz von viel Geld, mit dem man sich gutes Essen, ein Dach über dem Kopf, ein Auto und vornehme Kleidung leisten kann. Aus diesem Grunde bemühte er sich, möglichst viel zu arbeiten, manchmal sogar mit Überstunden und Extraschichten.

Augenblick um Augenblick, Jahr für Jahr steuerte er auf sein Ziel zu. In reiferem Alter schaffte er es endlich, so viel Geld zu verdienen, dass er sich eine Zwei-Zimmer-Wohnung und ein gebrauchtes Auto leisten konnte. In der Zwischenzeit hatte er sich verliebt, geheiratet, sich scheiden lassen und erneut eine Familie gegründet. Das Kind aus erster Ehe blieb nach der Scheidung bei der Mutter. Auch mit seiner zweiten Frau gab es Nachwuchs. Doch jenes Kind zog weit in Richtung Norden um und rief ihn nur noch ein bis zwei Mal im Jahr an. Auch sein Rentnerdasein verflog wie im Nu. Der Greis wurde immer öfter krank und musste schließlich sterben.

Dieses traurige Los teilen sehr viele Menschen auf unserem Planeten. Nur eine kleine Minderheit – berühmte Schauspieler, Politiker, Präsidenten und Millionäre – “bringt es im Leben zu etwas”. Solche Prominenten gelten als besonders glücklich, obwohl diese Einschätzung auch nur Illusion ist. Diese Menschen haben in ihrem Leben nicht weniger Sorgen als Otto Normalverbraucher. Auch sie erwartet schließlich das gleiche Schicksal: Alter, Krankheit und Tod. Kann es wirklich sein, dass Gott in Seinem Plan genau dieses Schicksal allen Menschen auf Erden vorherbestimmt hat? Nein!

Der Schöpfer würde Seinen Kindern niemals ein solch grausames und trauriges Schicksal vorherbestimmen.

Unter dem Einfluss gewisser Kräfte hat die Gesellschaft, in der die Menschen miteinander leben, den Plan Gottes ignoriert und sich auf den Weg der Selbstzerstörung und der Selbstquälerei begeben.

Es wird sicherlich Skeptiker geben, die die Existenz des göttlichen Plans bezweifeln. Denn schließlich hat man weder von Wissenschaftlern noch von Politikern über einen solchen Plan gehört.

Religionen deuten Gottes schöpferische Absicht recht unterschiedlich. Außerdem greifen sie dabei immer auf die Hilfe von irgendwelchen Mittelsmännern zurück. Eigentlich sind sie sich nur darin einig, dass Gott existiert.

Philosophen und viele Wissenschaftler glauben an die Existenz einer höheren Intelligenz, die die von uns wahrnehmbare Welt und das irdische Leben erschaffen hat. Und es ist unmöglich, diesem Glauben zu widersprechen. Dazu ist das Miteinander von allem, was in unserer Welt existiert, viel zu intelligent organisiert. Folglich sollte man auch annehmen können, dass die Geschöpfe jenes hochintelligenten Wesens einen ganz bestimmten Zweck haben, dass sie von ewiger Natur sind und dass ihnen eine glückliche Lebensperspektive vorherbestimmt ist. Dies gilt insbesondere für den vom Schöpfer geliebten, nach Seinem eigenen Ebenbild erschaffenen Menschen. Mit anderen Worten: Es gibt eine bestimmte Lebensweise, die der Schöpfer für die Menschen auf unserem Planeten vorgesehen hat, damit der Mensch sich selbst und das Universum auf bestmögliche Weise verstehen kann.

Doch nicht nur Verstehen ist wichtig, sondern auch die ununterbrochene Manifestierung des göttlichen Plans, ergänzt durch unsere eigenen, wunderbaren Schöpfungen. Gott wünscht sich bei Seinen Schöpfungshandlungen immer die Mitwirkung der Menschen, damit Er sich zusammen mit ihnen an der Betrachtung der Schöpfungsergebnisse erfreuen kann.

Zweifellos gibt es einen Plan Gottes. Und es ist nicht nur wenigen auserwählten Menschen möglich, diesen Plan zu ergründen. Jeder, der es sich wünscht, kann ihn kennen lernen. Der göttliche Plan ist nicht mit Buchstaben oder Hieroglyphen auf Papyrusblättern geschrieben. Lebendige, für Gott charakteristische Zeichen in der von Ihm erschaffenen Natur berichten uns von Seinem Plan.

Die Vernunft und der Intellekt der Menschen, die im alten Russland lebten, erlaubten es ihnen, dieses großartige Buch Gottes zu lesen und zu verstehen. Die meisten unserer Zeitgenossen kennen aus Milliarden solcher “Gottes-Buchstaben” dagegen nur einige wenige. Daher werden wir das göttliche ABC neu erlernen müssen.

Das Buch, das ich gerade schreibe, trägt keinen religiösen Charakter. Auch versuche ich nicht, philosophische Betrachtungen in den Vordergrund zu stellen. Dieses Werk ist vielmehr ein Aufruf an alle Menschen, sich der Forschung und der Erkenntnis des göttlichen Plans zu widmen.

Es ist nicht meine Absicht, zu predigen oder andere zu belehren. Ich verspüre lediglich ein Bedürfnis, meine Leser mithilfe von Bräuchen, die von Magiern zur Bewahrung der Liebe in den Familien genau konzipiert wurden, über die Kultur unserer Vorfahren zu informieren und sie alle aufzurufen, ihre eigenen Schlussfolgerungen in diesem Bereich anhand der Aussagen dieses Buches zu korrigieren oder bewusst zu festigen.

Die Motivation für die Veröffentlichung des vorliegenden Materials lieferten mir die Aussagen und die logischen Schlussfolgerungen von Taiga-Einsiedlern und in erster Linie von Anastasia.

Diese Veröffentlichung ist erforderlich, damit jeder Leser die erhaltene Information auf der Ebene seiner eigenen Gefühle nachvollziehen kann und dadurch die Fähigkeit erhält, zusammen mit anderen Menschen in Zukunft nur noch so zu handeln, wie es der wahren Logik des Lebens entspricht. Mein Buch ist ein Ausdruck ständiger Hoffnung, dass unsere Generation durch Nachdenken aus ihrer Passivität erwachen und den Aufbau einer neuen Zivilisation für sich selbst und für die eigenen Kinder beschleunigen wird.

Anastasia hat uns eine Konzeption vorgestellt, bei der es wahrscheinlich nur um den folgenden, ersten Schritt des Programms zur Entwicklung der Menschheit geht: “Eine Gesellschaft, in der die Menschen miteinander leben, muss den Plan Gottes anhand des von Ihm zur Verfügung gestellten Materials erforschen, damit sie ihren Planeten in eine wunderschöne, paradiesische Oase verwandeln kann. Es ist wichtig, eine harmonische und ausgewogene Koexistenz aller Lebewesen zu verwirklichen. Wenn es dem Menschen gelingt, dieses Lebensniveau zu erreichen, dann wird er in sich selbst Möglichkeiten entdecken, auch auf anderen Planeten und in anderen Galaxien Leben zu erschaffen.”

Obwohl Anastasia ein solch gigantisches Konzept vor Augen hatte, schlug sie vor, zunächst Familienlandsitze aufzubauen.

Lasst auch uns mit unseren Nachforschungen zuerst dort beginnen, wo es um allgemein bekannte und, oberflächlich betrachtet, einfache Probleme geht.

3. Kapitel

Warum kommt und geht die Liebe?

Ach, wie groß ist doch die Auswahl an Gedichten und philosophischen Abhandlungen, die diesem Gefühl gewidmet worden sind! Es ist schwierig, ein literarisches Werk zu finden, in dem dieses Thema nicht mehr oder weniger intensiv behandelt worden ist. Fast alle Religionen sprechen über die Liebe. Allen Betrachtungen liegt die Annahme zu Grunde: Dieses großartige Gefühl wurde den Menschen direkt von Gott geschenkt.

Doch die Realität des heutigen menschlichen Daseins lässt das Gefühl der Liebe oft in einem geradezu sadistischen Licht erscheinen.

Wir wollen der Wahrheit ins Gesicht schauen. Es ist eine statistische Tatsache: “Sechzig bis siebzig Prozent aller Ehen werden geschieden.” Bevor es zu einem Zerfall der Familie kommt, leben die beiden ehemals ineinander verliebten Personen noch einige Jahre sinnlos nebeneinander her. Manchmal vergehen diese Jahre nicht ohne Skandale, gegenseitige Beleidigungen und sogar Schlägereien.

Das ursprüngliche, schöne und hinreißende Gefühl vergeht und wird von Jahren voller Bosheit, gegenseitiger Beleidigungen und Hass abgelöst. Am Ende dieses Weges stehen unglückliche Kinder.

Das ist das traurige Ergebnis der heutigen Auffassung von Liebe.

Kann ein solches Ergebnis des menschlichen Lebens als Geschenk Gottes bezeichnet werden? Ganz und gar nicht!

Ist es nicht eher so, dass wir uns selbst von der Lebensart entfernen, die uns Menschen eigen ist? Gerade deswegen verlässt uns die Liebe. Sie möchte uns dadurch mitteilen: “Ich kann unter solchen Bedingungen nicht existieren. Eure Art und Weise zu leben bringt mich um. Schaut euch zwei nur einmal an. Auch ihr seid schon so gut wie tot.”

Ich kehrte in Gedanken immer wieder zu jenem Gespräch mit Anastasias Großvater zurück. Dabei erinnerte ich mich, wie ungewöhnlich die Wortwahl des grauhaarigen Einsiedlers war, als er über die Liebe sprach: “Liebe ist, ihrer Kraft nach, die stärkste kosmische Energie. Sie ist nicht gedankenlos. Gedanken und eigene Gefühle sind ein Teil von ihr. Die Liebe ist ein lebendes, in sich vollkommenes Wesen, ein Lebewesen. Sie wurde nach dem Willen Gottes auf die Erde geschickt. Sie ist bereit, ihre großartige Energie jedem Erdbewohner zur Verfügung zu stellen, damit er in ihr das ewige Leben erlangen kann. Die Liebe besucht jeden Menschen und bemüht sich, ihm den Plan Gottes mit der Sprache der Gefühle mitzuteilen. Doch wenn der Mensch ihr nicht zuhören möchte, sieht sie sich gezwungen, wieder zu gehen. Das geschieht also nicht nach ihrem eigenen Willen, sondern nach dem Willen des Menschen.”

Liebe – welch ein rätselhaftes Gefühl! Kein Mensch, der je auf dieser Erde gelebt hat, ist an der Erfahrung der Liebe vorbeigekommen. Doch dessen ungeachtet ist dieses Gefühl bislang unerforscht geblieben.

Einerseits beschäftigen sich mit dem Thema “Liebe” viele Gedichte, Prosawerke und die meisten anderen Ausdrucksformen der Kunst. Andererseits wird in allen betreffenden Kunstwerken nur die Existenz einer Erscheinung festgestellt, die man Liebe nennt. Bestenfalls werden in ihnen die äußeren Erscheinungsformen der Liebe und die Verhaltensweise der Menschen unter Einwirkung des in ihnen entflammten Gefühls beschrieben. Aber ist es überhaupt so dringend erforderlich, das allen bekannte Gefühl der Liebe näher zu untersuchen?

Eine ungewöhnliche und bisher noch nirgendwo anders bekannte Information aus der sibirischen Taiga zeugt davon, dass solche Nachforschungen unbedingt erforderlich sind. Wir müssen lernen, die Liebe zu verstehen.

Eine der zutreffendsten Antworten auf die Frage, warum die Liebe geht, könnte wohl ganz einfach lauten: “Sie verlässt uns, weil sie auf kein Verständnis in uns gestoßen ist.”

Doch es gab Zeiten, als die Menschen sie gut verstanden.

Urteilen Sie am besten selbst: Bereits vor mehr als zehntausend Jahren verfügten die Wedrussen über Wissen, das ihnen durch bestimmte Handlungen half, die Liebe in ihrem Leben nicht nur zu festigen, sondern auch zu verewigen. Der altwedische Brauch der Trauung stellt eine der erwähnten Handlungen dar.

Nach Veröffentlichung dieses Brauches in einem meiner Bücher neigten viele wissenschaftliche Forscher zu der Behauptung: “Dieser Brauch besitzt die Fähigkeit, die einmal entflammte Liebe in ein ewig andauerndes Gefühl zu transformieren.” Ich verglich ihn mit den Bräuchen verschiedener Völker der Vergangenheit und der Gegenwart und fand immer mehr Bestätigung für meine These: “Der altwedische Brauch der Trauung stellt eine von Volksweisheit durchdrungene, rationelle Handlung dar, die auch vielen heutigen Ehepaaren helfen kann, ewige Liebe zu erlangen.”

Doch lassen Sie uns die einzelnen Aspekte dieses umfangreichen Themas der Reihe nach erörtern. Fangen wir mit dem wichtigsten an.

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Sollte jeder von uns sein passendes “Gegenstück” suchen?

Der Volksmund spricht nicht selten von der “besseren Hälfte” eines Menschen.

Lassen Sie uns die Bedeutung dieses Ausdrucks näher untersuchen. Viele Menschen würden sich mit folgender Definition zufrieden geben: “Es handelt sich hierbei um eine Person, einen Mann oder eine Frau, die in ihrer Geisteshaltung bzw. Lebensauffassung einem bestimmten Menschen sehr ähnlich ist. Dadurch findet der betreffende Mensch diese Person besonders anziehend. Der Umgang mit ihr ist für ihn nicht nur angenehm, sondern erweckt in ihm das Gefühl der Liebe.”

Sollten wir uns nun auf die Suche nach unserer “besseren Hälfte” begeben, oder wird sie uns, durch unser Schicksal vorbestimmt, wie von selbst begegnen?

Über Jahrhunderte gesammelte Erfahrung der Menschheit zeigt uns, dass eine zielgerichtete Suche unerlässlich ist. Dies bezeugt auch eine Vielzahl von Sagen und Legenden, in denen gutherzige, kräftige junge Männer in die Ferne aufbrechen, um nach ihrer Schicksalspartnerin zu suchen.

Es gibt jedoch alte Bräuche, die einen Menschen bei dieser in seinem Leben wichtigsten Suche unterstützen können.

Man darf an dieser Stelle die Existenz anderer uralter Bräuche nicht verschweigen, mit deren Hilfe sich leicht feststellen lässt, ob die getroffene Wahl richtig war oder nicht. Wurde vielleicht der “Seelenpartner”, der vor einem erschienen ist, vom Teufel persönlich geschickt?

Einige dieser Bräuche habe ich in meinen bereits erschienenen Büchern erwähnt. Wenn ich dort von Bräuchen sprach, dann ließ ich mich nicht über allseits bekannte Handlungen aus, sondern beschränkte mich hauptsächlich auf heute nicht mehr bekannte Traditionen. Im vorliegenden Buch werde ich mich auf den Brauch der Trauung konzentrieren und gleichzeitig den Brauch zur Überprüfung der getroffenen Wahl in einem anderen Kontext neu beleuchten.

“Also los! Dann stell uns gleich die wundertätigen Bräuche vor”, wird ein Teil meiner Leser denken. “Wozu brauchen wir irgendwelche Vorbetrachtungen?”

Doch gerade an dieser Stelle ist eine Reihe von Vorbetrachtungen unerlässlich! Wir müssen uns unsere heutige Lage näher anschauen und sie analysieren. Sonst wird es uns nicht gelingen, den großartigen Sinn der Volksweisheit zu verstehen. In unserer Welt ist alles relativ. Daher können wir auf Vergleiche nicht verzichten.

Wir wollen uns also anschauen, welche Lebenssituationen in der modernen Welt die Begegnungen mit dem potenziellen Partner begünstigen und welche sie eher verhindern.

Es klingt wahrscheinlich seltsam, doch gerade in unserem so genannten Informationszeitalter gibt es immer weniger Situationen, in denen zwei zueinander passende Lebenspartner die Gelegenheit haben, einander zu begegnen.

Menschen, die in dicht besiedelten Großstädten wohnen, scheinen mit unsichtbaren Zwischenwänden voneinander getrennt zu sein.

Der Mieter einer modernen Wohnung in einem mehrstöckigen Haus kennt oft nicht einmal seinen direkten Nachbarn persönlich. Menschen, die auf dem Weg zu ihrem Ziel die gleichen öffentlichen Verkehrsmittel benutzen und während der Fahrt sogar dicht aneinander gedrängt stehen müssen, sind gedanklich jeweils in ihre eigenen Probleme vertieft.

Fußgänger, die einander auf der Straße begegnen, beachten ihre Mitmenschen nicht.

In Amerika ist es zum Beispiel verboten, eine Frau eingehend zu betrachten. Dieses Verhalten könnte als sexuelle Nötigung gedeutet werden.

Auf diese Weise wird ein Mensch in seiner Wohnung, unterwegs zur Arbeit oder auf dem Weg zu seiner Ausbildungsstätte praktisch nicht in der Lage sein, seinen passenden Partner zu finden. Nehmen wir sogar einmal an, Ihre berufliche Tätigkeit erfordert viele Kontakte zu anderen Menschen – zum Beispiel als Kassierer im Supermarkt. Doch keiner der Kunden, die an Ihnen vorbeigehen, denkt auch nur daran, Sie kennen zu lernen. Für sie sind Sie nicht mehr als eine notwendige Begleiterscheinung an der Kasse.

Unter dem Dach eines Instituts oder einer Universität versammelt sich eine große Anzahl von jungen Leuten. Hier gibt es zwar die Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen und sogar Paare zu bilden, doch solche Orte sind nicht für Zusammenkünfte von sehr vielen Menschen geeignet, die jeweils den Partner fürs Leben finden wollen. Die Funktion einer Ausbildungsstätte ist, wie es der Name schon verrät, anders definiert.

Derzeit gelten Bars, Restaurants, Diskotheken und Kurorte als die geeignetsten Treffpunkte zum Kennenlernen eines Lebenspartners. Allerdings führen solche Bekanntschaften (sogar diejenigen, bei denen es zu einer Ehe kommt) in der Regel nicht zu einem glücklichen Leben in Liebe und Eintracht. Laut Statistik werden 90 Prozent solcher Ehen wieder geschieden.

Die Gründe hierfür liegen oft in der Vermittlung eines falschen Bildes. Sie wollen wissen, worüber ich hier rede? Ich erkläre es Ihnen gern am folgenden Beispiel.

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Ein falsches Bild

Noch bevor ich Anastasia kennen lernte, unternahm ich eine Kreuzfahrt im Mittelmeer. Dabei befand ich mich an jedem Tag meiner zweiwöchigen Reise während der Mahlzeiten, am Tisch im Speiseraum des Kreuzschiffes, in Gesellschaft von zwei jungen Frauen und eines jungen Mannes, die in einem Planungsinstitut in Nowosibirsk gearbeitet hatten. Die beiden jungen Frauen erschienen jeden Tag im Restaurant und führten neue elegante Kleider und schicke Frisuren vor. Der Umgang mit ihnen war für mich jedes Mal angenehm.

Sie hießen Nadja und Walja und waren immer freundlich und gesprächig. Eines Tages befand ich mich in der Kabine meines Tischnachbarn und sagte zu ihm: “Das sind ja wirklich zwei nette junge Damen, die uns da Gesellschaft leisten. Vielleicht könnten wir mit den beiden noch mehr anfangen?”

Er entgegnete jedoch: “Ich habe überhaupt nicht die geringste Lust, mit diesem Abschaum zu flirten.”

“Wieso denn Abschaum?”

“Wie du ja weißt, arbeite ich mit den beiden im gleichen Institut, und daher kenne ich ihr wahres Gesicht.”

“Na, dann lass mal hören.”

“Erstens sorgen die beiden oft für die Entstehung von Skandalen. Zweitens, muss ich leider feststellen, dass sie unsauber und faul sind. Nur hier bemühen sie sich, auf ihr Äußeres zu achten und den Eindruck zu erwecken, sie seien gutmütig und klug. Es liegt doch auf der Hand, dass sie diese Reise bewusst angetreten haben, um für sich möglichst reiche Ehemänner zu suchen. Hast du bemerkt, wie sie mit den Männer der armenischen Gruppe kokettieren?”

Als ich dann nach der Reise eines Abends meine Bekannten von der Kreuzfahrt im Institut besuchte, konnte ich mich von dem anderen Gesicht der beiden jungen Damen persönlich überzeugen.

Ihr Äußeres war, gelinde gesagt, nicht so wirkungsvoll wie damals auf dem Schiff. Außerdem hatten sich ihre Ausgelassenheit und Gutmütigkeit irgendwohin verflüchtigt. Mit anderen Worten: Sie hatten uns auf dem Kreuzfahrtschiff nur etwas vorgespielt.

Der Wunsch, den Lebenspartner anhand des äußeren Erscheinungsbildes zu finden, ist für viele Männer und Frauen in der heutigen Welt absolut typisch. Aber kommt es zu dieser unheilvollen Erscheinung nicht in Folge des Vergessens anderer Auswahlmethoden? Am Ende werden beide zu Opfern von Lügen.

Ein Mann hat das äußere Erscheinungsbild einer Frau lieb gewonnen. Er schenkt diesem Bild seine Blumen, kauft ihm teure Geschenke und macht ihm sogar einen Heiratsantrag. Doch nach der Hochzeit sieht er plötzlich das reale Bild des von ihm geliebten Menschen. Dieses gefällt ihm gar nicht, reizt ihn nur und ruft in ihm die Sehnsucht nach dem verschwundenen Bild hervor.

In Gegenzug fällt es der Frau plötzlich auf, dass ihr Verehrer, der erst vor kurzem ihr gegenüber noch so gutmütig und aufmerksam war, sie überhaupt nicht liebt und nicht versteht. Was hat diesen Zustand bewirkt? Diese Frage erübrigt sich eigentlich, denn er hat sie ja auch nie wirklich geliebt. Seine Liebe galt ihrem äußeren Erscheinungsbild.

Wie sehr sich das künstliche Bild eines Menschen von dem natürlichen unterscheidet, kann am Beispiel verschiedener Bühnenstars besonders gut beobachtet werden. Das können diejenigen von uns bestätigen, die Gelegenheit hatten, den Stars in ihrer privaten Umgebung zu begegnen.

Einen beträchtlichen Beitrag zu der ganzen Misere leistet die Tatsache, dass viele Frauen nach der Heirat ihr äußeres Erscheinungsbild abrupt ändern.

Besonders wenn sich ein Mann Hals über Kopf in eine Frau verliebt, ist es schwierig zu beschreiben, was genau seine Liebesgefühle hervorgerufen hat. Vielleicht war es ihr straff geflochtener Zopf, ihre Haarfarbe oder ihre Augen. In der Regel wird angenommen, dass das Gefühl der Liebe durch die Gesamtheit aller äußeren und inneren Wesenszüge eines Menschen hervorgerufen wird. Wenn nun eine Frau ihr Äußeres verändert, nimmt sie dadurch ihrem Mann einen Teil von dem weg, was er liebt, und das schwächt seine Liebe automatisch ab. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn nach radikalen Veränderungen der Kleidung, der Frisur und des Make-ups alle um die betreffende Frau herum erklären: “Mensch, wie attraktiv du doch geworden bist!” Die Liebe des Mannes zu der betreffenden Frau wird schwächer, egal ob ähnliche Behauptungen stimmen oder nicht. Sogar wenn der Mann vom neuen Äußeren seiner Frau sehr angetan sein sollte, kann seine Liebe nach einiger Zeit erblassen und sich schließlich ganz auflösen.

Er hat in seinem Leben schon einige Schönheiten gesehen. Viele dieser Frauen waren wesentlich attraktiver als die Frau, die er geheiratet hat; doch er hat sich ausgerechnet in sie verliebt, und zwar in ihr Äußeres, wie es ursprünglich war. Doch gerade dieses Äußere ist nun anders. Könnte man da nicht sagen, dass seine Liebe zu ihrem neuen Äußeren als eine Art “Fremdgehen” betrachtet werden kann? Durch diese neue Liebe wird das alte Äußere verraten.

Warum wechselten die Menschen im Altertum die Art ihrer Gewänder nur ganz vorsichtig?

Gab es vielleicht zu wenige Auswahlmöglichkeiten für Kleidungsstoffe? Nein, Auswahl gab es genug. Nicht nur wurde viel Seide über die Weltmeere gebracht; man war auch selbst in Lage, sowohl dünnes als auch etwas dickeres Leintuch zu weben. Außerdem konnte man auch mithilfe verschiedener Farbstoffe allerlei Muster auf die Stoffe auftragen oder solche Muster sticken.

Hatten die Menschen zu wenig Fantasie? Oder standen ihnen nicht genug finanzielle Mittel zur Verfügung? Fantasie gab es mehr als genug. Jeder Zweite war ein wunderbarer Kunstmaler und Modellierer. Um das zu verstehen, braucht man sich nur die alten Häuser mit ihren prächtigen Holzschnitzereien anzuschauen. Auch konnte jede Frau damals sticken. Und was Geld betrifft, so wurde es nicht für protzige Kleider oder teure Frisuren verprasst – auch wohlhabendere Bürger und selbst ganz Reiche wussten in dieser Hinsicht Maß zu halten.

Sie alle waren Veränderungen ihres Äußeren gegenüber sehr skeptisch und bemühten sich, ihr Erscheinungsbild zu bewahren.

Die heutige Modewelt verändert die äußere Erscheinung der Menschen, insbesondere der Frauen, so schnell, wie die Glasstückchenmuster in einem Kaleidoskop einander abwechseln.