Michael Wildenhain

Träumer des Absoluten

Roman

Klett-Cotta

Impressum

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Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659,

Stuttgart 2008

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: malsyteufel, willich

unter Verwendung eines Fotos von Marijan Murat

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-93757-2

E-Book: ISBN 978-3-608-11056-2

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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Für meine Kinder

Inhalt

mont blanc

GLAUBE

LIEBE

HOFFNUNG

VERRAT

DIE LOGIK DER WAFFEN

ad infinitum

Wenn man allein ist, kann alles sein.

(Raoul)

mont blanc

»Niemand sollte gezwungen sein, das eigene Leben für einen Irrtum zu halten.«

Er stößt die Stöcke in den Schnee, bückt sich nach seinen Schuhen, löst die Gamaschen und schweigt.

Als ich nach einer Weile wieder zu ihm hinüberschaue, hat er aus seinem Rucksack einen kleinen Camcorder geholt, den er einschaltet und mir vom Rand der Felsen aus reicht. In der Hoffnung, die Bergtour bald zu beenden, nehme ich das Gerät mit dem schmalen Display widerwillig entgegen. Überzeugt, Bilder zu sehen, die ich kenne, trifft mich die Aufnahme unvorbereitet. Zu erschrocken, um etwas einzuwenden, starre ich auf den Film, der in schlechter Qualität einen jungen Mann und eine junge Frau zeigt.

Die Hautfarbe der Frau ist dunkler als die des Mannes. Der Mann sitzt neben einem Gleisbett und betrachtet seine Beine. Am linken Fuß trägt er keinen Schuh. Der Strumpf hat ein Loch, die große Zehe blutet. Das rechte Bein des Mannes ist am Oberschenkel abgetrennt. Aus dem zerstörten Stumpf fließt Blut. Der Mann macht keine Anstalten, den Blutfluss zu stoppen. Mit offener Schlagader wird er sterben. Der Frau fehlt die Hälfte ihres Gesichts. Glas, Gewebe, Eisen. Im Hintergrund des Films, der ohne Tonspur aufgenommen ist, sind die aufgerissenen Waggons eines Personenzuges zu erkennen, außerdem Menschen, die sich, teils verletzt, in den Trümmern bewegen. Danach werden die Bilder undeutlich. Der Film endet. Der Himmel ist blau bis zum Meer.

»Der Anschlag auf die Mächtigen dieser Welt wird als Akt der Befreiung absolut gesetzt. Der letzte heilige Krieg gegen die alte Ordnung Europas. Daß sie Schuld auf sich laden, leugnen sie nicht. Aber die Schuld wird sofort mit dem höchsten Einsatz gebüßt. Ihr Mord ist zugleich immer schon Selbstmord.«

Hände, die verloren durch sein Gesichtsfeld kreisen. Wind, der den Schnee über die Felsplatte treibt.

»Nicht mal das.«

Er spricht leise, sodass ich ihn nur mit Mühe verstehe.

»Erst als die spanische Polizei sie in einer Wohnung gestellt hat, sprengen sie sich in die Luft.«

Langsam entledigt er sich seiner Handschuhe, der Jacke, zieht Pullover und T-Shirt über den Kopf, streift Stiefel und Socken von den Füßen, steigt barfuß aus dem Schneeanzug, dann der Skiunterwäsche und legt seine Unterhose neben sich auf den Fels. Unbekleidet, das Schamhaar geschoren, fixiert er mich und sagt: »Nimm bitte meine Sachen mit. Auch die Ski und die Schuhe. Und lass mich hier oben allein.«

GLAUBE

»Das war gegen die Regel, mein arabischer Prinz.«

Nie vorher habe ich den Trainer ähnlich zufrieden gesehen. Passlack, der Vorturner, hält sich die Hoden. Er sagt nichts, sondern stöhnt und krümmt sich auf der Matte.

Ergeben in sein Schicksal steht Tariq vor ihm, während Willi Kufenbach blinzelt und Klaus Wiehsa den Schlüssel des Schranks in der Trainerkabine zuwirft, in dem die Boxhandschuhe hängen. So lautet die Regel des Trainers: Wer sich während des Turntrainings prügelt, wer jemanden vom Gerät stößt oder auf andere Weise willentlich verletzt, muss boxen. Geboxt wird, bis einer der Kontrahenten aufgibt. Ist der absichtlich Verletzte nicht mehr zu einem Kampf in der Lage oder von vornherein unterlegen, vertritt ihn Klaus Wiehsa, schmal, zäh und, obgleich älter, kaum größer und kräftiger als wir. Kein besonders guter Turner, kann er hervorragend boxen und ist neben der Mitgliedschaft in der Turnabteilung seit Jahren auch Mitglied der Boxriege des Vereins.

Noch immer seltsam unbeteiligt lässt sich Tariq die Boxhandschuhe überstreifen und stellt sich in den durch vier Stangen markierten Ring. Als zögere Klaus Wiehsa, das Schauspiel zu beginnen, pendelt er Tariqs Schläge am Anfang aus, ohne zurückzuschlagen, stößt ihm nur zweimal die Führhand gegen Gesicht und Stirn. Erst als Kufenbach mürrisch meint: »Du boxt wie ein Mädchen, Wiehsa« und sich der Angesprochene verblüfft zu seinem Trainer umdreht, erst als Tariq die Lücke nutzt und Wiehsa mit einem Schwinger auf die Augenbraue schlägt, schüttelt der Getroffene kurz den Kopf, duckt sich weg, setzt die linke Führhand auf Tariqs Nase, die zu bluten beginnt, und rammt ihm die Schlaghand unter die Rippen, sodass Tariq strauchelt und auf das Parkett kippt.

In Erwartung, der Kampf sei zu Ende, drehen die ersten sich um. Jallasch, der Diddi, dann mir eine Hand auf den Unterarm legt, hält uns zurück und sagt leise: »Nee. Wartet ma’ lieber noch ab.«

Angestrengt atmend kommt Tariq auf die Knie. Sein Kopf hängt zwischen den Schultern, das Blut tropft neben dem rechten Handschuh aus der Nase auf den Boden und bildet eine Lache. Möglich, dass jeder, ausgenommen Jallasch, damit rechnet, Tariq werde sich langsam erheben. Stattdessen springt er, die Fäuste vorgereckt, mit einem Ruck auf die Füße und schlägt, kaum stehend, das Gesicht blutverschmiert, mit einem Trommelfeuer auf Wiehsa ein, der, niemandem wäre Ähnliches gelungen, ausweicht und den Angriff ins Leere laufen lässt. Nach vorn gerissen von der Wucht der Schläge, senkt Tariq die Fäuste, um das Gleichgewicht wiederzugewinnen, und Wiehsa trifft ihn, die rechte Schlaghand schnellt vor, mit großer Kraft und verblüffend präzise auf die linke Augenbraue, die aufplatzt und wie die Nase sofort zu bluten beginnt.

Ungefähr fünfzehn Jahre später habe ich einen Text, das Typoskript einer Funkreportage, über den Weltmeisterschaftskampf zwischen Sugar Ray Robinson und Jake LaMotta gelesen. Die Reportage enthält einige Sätze, die ich mir wegen des ungleichen Kampfs in der Turnhalle gemerkt habe.

Der klassische Zweikampf bleibt sich immer gleich: ein schmächtiger, behender Mann kämpft gegen ein häßliches Ungetüm – und besiegt es. Die tobende Menge erkennt nicht, daß der angreifende Mann nicht immer der siegende sein muss. Die Menge, die gekommen ist, um Blut zu sehen, sieht Blut, sieht, wie ein Mann zerschlagen wird. Und sie brüllt für das, was sie eigentlich sehen will: das Blut, den Schmerz und die Gewalt.

Niemand kann den Teilnehmern der damaligen Turnstunde vorwerfen, dass sie jener Menge geglichen hätten. Sie bleiben zu Beginn und während des Kampfes und an dessen Ende still und gehen schweigend in die Umkleidekabine, als das Boxen beendet ist. Obwohl ich mir gewünscht hätte, der schmächtige, aber behände Tariq hätte den großen, von vielen gefürchteten Passlack besiegt, ohne dass die Menge zunächst erkannt hätte, dass der angreifende Boxer nicht der siegende sein muss, tritt anstelle des auf einer Gymnastikbank zusammengehockten Vorturners, dem ich den Tritt zwischen die Beine gönne, der schmale Klaus Wiehsa an. Obgleich die Menge nicht gekommen ist, um Blut zu sehen, sieht sie Blut. Denn Tariq, der gegen den Boxer Klaus Wiehsa nicht den Hauch einer Chance hat, steht nach jedem der zahllosen Niederschläge auf, hebt die Fäuste, sofern er genügend Zeit findet, versucht sich zu wehren, wird getroffen, fällt um und steht auf. Nicht allein der Anblick des Gesichts ist entsetzlich – obwohl Tariq blutet, sind die Verletzungen, die sein Gegner ihm zufügt, weit weniger schwer, als bei dem Kampf zu erwarten wäre, denn Klaus Wiehsa dämpft die Kraft seiner Schläge –, vielmehr ist es furchtbar, dem Schwanken und der zähen Mühe, der Überwindung zuzusehen, mit der sich Tariq wieder und wieder aufrichtet und sich oft nur Sekunden auf den Beinen hält.

Als erster fordert Jallasch ihn auf, den Kampf abzubrechen. Doch auch als Passlack den aus verschwollenen Augen vor sich hin Stierenden bittet, aufzugeben, erhebt sich Tariq ein weiteres Mal, fuchtelt mit den Fäusten, wird getroffen und klatscht auf das Parkett. Während er Kraft sammelt, um den Kampf fortzusetzen, nickt Kufenbach dem wartenden Wiehsa zu, der uns von nun an nicht mehr zum Training bringen und den Olympischen Sportclub am folgenden Montag verlassen wird, um zur Boxabteilung des Polizeisportvereins zu wechseln. Wiehsa schlägt Tariq, als der sich hochstemmt, auf die Leber, sodass der Taumelnde in sich zusammensinkt und auf dem Boden liegen bleibt.

Kufenbach zögert, ehe er sich abwendet und den Turnern unsicher zu verstehen gibt, sie mögen die Geräte abbauen und sich danach umziehen. Klaus Wiehsa streift die Handschuhe von den Fäusten, legt sie auf den Boden, holt seine Sachen aus der Umkleidekabine und verlässt die Halle, ohne die blutige Turnkleidung zu wechseln oder sich zu verabschieden. Diddi und ich helfen Tariq, der benommen hoch zur Galerie starrt, setzen ihn auf einen kleinen, lederbespannten Kasten, den Diddi herbeigeschleift hat, und ziehen ihm die Handschuhe aus, während Jallasch mit zwei nassen Lappen aus dem Umkleideraum kommt, die er Tariq auf die geplatzte Braue und in den Nacken legt, um das Nasenbluten zu lindern.

Die übrigen Mitglieder der Turnabteilung schleichen aus der Halle, als hindere sie ein Widerstand. Obwohl Kufenbach die Hände bewegt, als wolle er die Jungen der Turngruppe hinauswedeln, bleiben die meisten mehrfach stehen und blicken sich um, so oft der Trainer auch wiederholt, es sei nichts geschehen.

Gestützt auf Perkowski, seinen Freund und Schatten, und nach wie vor gekrümmt, schlurft Passlack zu einem Blutfleck am Boden, hockt sich hin, zieht sein Hemd über den Kopf und wischt das Blut vom Holzparkett der Halle.

Obwohl ich mich heute frage, wie es möglich gewesen ist, dass sich die Beteiligten so verhielten, wie sie es taten, erscheint mir das Geschehen damals folgerichtig. Allein das Zögern und die geringe Sicherheit des Trainers, ungewohnt und nie in ähnlicher Weise empfunden, erzeugen in mir Zweifel am Verhalten Kufenbachs – Zweifel, die verfliegen, kaum dass der Trainer uns fragt, ob wir Tariq nach Hause bringen.

Auf dem Heimweg erkundigt sich Diddi, obwohl ihm Jallasch den Ellenbogen grob in die Seite stößt, als trete er dem Geschlagenen damit zu nahe, fast unwillig bei Tariq, der nicht mehr blutet, dessen Gesicht aber geschwollen ist und im Licht der Straßenlaternen unheimlich wirkt, wieso er wieder aufgestanden sei.

Tariq muss schlucken, die Lippen befeuchten, bevor er eine Antwort geben kann.

»Es war nach euren Regeln.«

»Aber man kann aufgeben, das darf man.«

Wir sind vor Tariqs Haustür angekommen, als er, weder Jallasch noch Diddi oder ich hätten eine Erwiderung erwartet, plötzlich sagt: »Mein Vater will nicht, dass ich mich ergebe.«

Dann bedankt er sich für die Hilfe.

Während sich Jallasch und Diddi zögernd verabschieden, biete ich Tariq an, ihn nach oben zu bringen. Kaum dass er geklopft hat, öffnet seine Mutter die Wohnungstür und nimmt ihn in den Arm, ohne ein Wort zu sagen.

Am folgenden Sonnabend werde ich von Tariq eingeladen. Meine Eltern müssen an der Beisetzung eines Kollegen meines Vaters teilnehmen. Tariqs Mutter versichert, ich könne bis abends bleiben. Froh, dass mir die Beerdigung erspart bleibt, bin ich dennoch nervös, als ich zum Mittagessen an der Wohnungstür klingle. Tariqs Mutter öffnet. Sie ist jung, ihre Augen sind hell. Ehe Tariq in der Diele auftaucht, sagt sie rasch: »Ich möchte mich bei dir bedanken, Jo. Du hast Tariq geholfen, du bist sein Freund.«

Die Sonne scheint durch eine große, zweiflügelige Tür, und Tariq, der unter dem Rahmen zu mir herüber sieht, lächelt scheu und hebt die Hand. Vom Boxkampf zeugt ein geschwollenes Jochbein und ein Pflaster über der linken Braue.

Wir essen in einem der beiden großen Zimmer, die zur Straße hinausgehen und die durch eine ebenfalls zweiflügelige Tür miteinander verbunden sind. Ein drittes schließt sich über Eck an, ein viertes und ein fünftes im hinteren Teil der Wohnung haben Fenster zum Hof. An keiner Wand, alle Wände sind weiß, es gibt keine Tapeten, hängt ein Bild. Auf keinem Bord, keiner Anrichte, keiner Kommode, nirgends steht ein Foto. Vor dem Zimmer, in dem wir an einem großen, ovalen Tisch Platz nehmen, befindet sich ein Balkon. Das Mittagessen, ein arabisches Gericht, ist aufgetragen. Im Raum nebenan steht ein Flügel. Als wir daran vorbeigehen, frage ich: »Spielst du manchmal?«

»Er spielt selten«, sagt seine Mutter.

Kaum haben wir angefangen zu essen, es gibt keine besondere Einleitung, kein Gebet, Tariqs Mutter nickt mir bloß aufmunternd zu, lehnt sich Tariq auf seinem Stuhl zurück. Abwesend blickt er auf die Speisen, nimmt gleich einem Schlafwandler einen Schluck aus seinem Glas, in dem sich ein zähflüssiges, weißes Getränk befindet, Joghurt oder eine Art Milch, ich trinke Zitronenlimonade, stellt das Glas überraschend sicher neben dem Teller ab und beginnt, mit den Händen und Unterarmen in Kreisen von innen nach außen durch sein Gesichtsfeld zu fahren, während er in Abständen leise Geräusche, die wie ein Seufzen klingen, von sich gibt.

Nicht anders als die Mutter den Zwischenfall beim Turntraining hingenommen hat, schenkt sie dem Vorgang keine Beachtung, sondern isst langsam weiter.

»Du bist gut in Mathematik?«

Als Tariqs Bewegungen ruhiger werden, weniger ausladend, zwinge ich mich, die Mutter anzusehen, ebenfalls zu essen und zu antworten: »Es ist, weil – ich seh die Zahlen vor mir.«

Noch mit niemandem, nicht einmal mit meinen Eltern habe ich darüber gesprochen. Trotzdem kommt es mir ähnlich selbstverständlich vor, der Mutter davon zu erzählen, wie es mich nicht wundert, dass Tariq leise sagt: »Ich auch.«

Eine Weile essen wir schweigend. Obwohl es mich interessiert, ob Tariqs Fähigkeit meiner gleicht, scheue ich mich, ihn zu fragen. Erleichtert, dass er die Hände nicht mehr vor dem Gesicht bewegt und keine Geräusche mehr macht, nur die Gabel schlägt manchmal an den Porzellanteller, vermeide ich es, ihn anzuschauen, anzusprechen, als könne jeder Blick, jedes Wort erneut ein Verhalten auslösen, das mir unangenehm ist. Mir fällt ein vierter Stuhl am Kopfende des Tisches auf und ein viertes Geschirr, das Tariq nun erst zu bemerken scheint. Er runzelt die Stirn, zieht die Schüsseln zu sich heran und häuft eine mittlere Portion auf den leeren Teller, ohne dass die Mutter ihn daran hindert. Im Nachhinein kommt es mir vor, als habe sie mich gemustert, nicht verlegen, eher neugierig, wie ich mich verhalten werde. Vielleicht aufgrund des Blicks, vielleicht auch weil ich das Schweigen bei Tisch nicht mehr ertrage, frage ich: »Kommt noch jemand?«, und denke dabei an Jallasch.

Tariq, der das Essen auf dem vierten Teller sorgfältig anordnet, wendet mir das Gesicht nicht zu, als er entgegnet: »Das ist für meinen Vater.«

Auch jetzt mischt sich die Mutter nicht ein, sondern beendet still ihre Mahlzeit. Ich könnte fragen: Wann kommt er? Nicht einmal die Gerüchte in den Läden am Eck haben einen Vater je erwähnt. Ich esse schweigend weiter und hoffe, Tariq möge das Zimmer bald mit mir verlassen und sich bis dahin verhalten wie andere Jungen, wie Jallasch oder Diddi oder ich.

Den Nachmittag verbringen wir auf dem Gelände des stillgelegten Straßenbahnhofs, in der »stillen Zone«. Tariqs Mutter hat vorgeschlagen, wir sollten nach draußen gehen, und ich bin froh darüber, denn nachdem mir Tariq die Wohnung gezeigt hat und nachdem wir zweimal Schach gespielt haben und er mich zweimal geschlagen hat (»das Spiel kam von den Persern nach Arabien, wusstest du das?«), habe ich nicht weiter spielen wollen.

Kaum dass wir aus dem Haus treten, wirkt Tariq wie befreit. Er sieht mich an, als wolle er fragen: Was schlägst du vor?, und ich sage, ohne zu überlegen: »Ich kenn’ da was. Bisschen unheimlich. Aber gut.« Das erste Mal bemerke ich auf seinem Gesicht ein Lächeln.

Gedeckt von dornigem Gestrüpp übersteigen wir den Zaun, durchstreifen das Gelände und finden an einem der verlassenen Gebäude ein zerbrochenes Fenster. Es genügt ein Blick, um uns zu verständigen. Wir brechen die Scherben aus dem Rahmen und klettern durch die Öffnung in einen langgestreckten Raum, der nach Maschinenöl riecht. Ein Geruch, durch den mir Jahre danach die Großmontage einer Schwermaschinenfabrik, in der ich als Student einige Monate arbeite, vertraut vorkommen wird. Die Stunden, bis wir merken, dass es vor den fast blinden Scheiben der Straßenbahnhallen zu dämmern beginnt, verbringen wir damit, die untereinander verbundenen Gebäude zu erkunden. Als wir in einem der zahllosen Räume altes Werkzeug finden, Schraubstöcke, sogar einen fest montierten, elektrischen Bohrer, der sich in Betrieb nehmen lässt, nachdem Tariq einige Sicherungen in einem aufgebrochenen Sicherungskasten ausgetauscht hat, ist es, als hätten wir einen Schatz gehoben. Ohne dass es uns auffällt, verstreicht die Zeit, während wir hämmern, feilen und bohren, und erst die in der Halle früh einsetzende Dämmerung erinnert uns, aufzubrechen.

Auf dem Gelände ist es noch hell, aber die Wolken weisen dunkle Ränder auf. Als ich Tariq zurück zu der Stelle führen will, an der wir über den Zaun geklettert sind, der Hof dahinter wirkt ruhig, die Betriebe liegen am Wochenende still, treffen wir auf einen Marder, den ich schon vorher häufig beobachtet habe. Vielleicht jagt er inzwischen in der Dämmerung oder nach Sonnenuntergang, sein Fell wirkt noch räudiger als früher.

Ebenso wie während der Stunden, die ich, dem Tier gegenüber, auf dem Gelände verbracht habe, verharrt der Marder auch jetzt, hockt reglos, halb aufgerichtet vor uns, und ich habe den Eindruck, als erkenne er mich wieder.

Tariq fährt zusammen, fasst mich hart am Handgelenk, duckt sich neben mir nieder. Der Marder bewegt sich nicht. Obgleich es rasch dunkler wird, will Tariq nicht gehen. Nach einiger Zeit fragt er mich, ob ich dem Tier schon begegnet sei.

»Oft. Seltsam, oder?«

»Ich glaube, dass er wartet.«

»Worauf?« Indem ich jede abrupte Bewegung vermeide, verlagere ich mein Gewicht auf das andere Bein.

»Dass er stirbt«, sagt Tariq. Er zögert einen Moment, während er meinen verwunderten Blick aus dem Augenwinkel erwidert, mir dann, als schäme er sich, ausweicht. Erneut berührt er meinen Arm, ich zucke zusammen.

»Und warum wartet er mit uns?«

»Weil wir ihm helfen sollen.«

Während des Gesprächs sind wir unwillkürlich lauter geworden, sodass der Marder ohne Eile davonläuft. Ich höre das Geräusch der Krallen auf dem Beton der stillen Zone. Bevor das Tier in der Dunkelheit verschwindet, fügt Tariq, ehe er plötzlich darauf drängt, nach Hause zu gehen, seltsam überzeugt hinzu: »Wir sollen ihm helfen, zu sterben.«

Als Tariqs Mutter uns öffnet, meine ich, eine fremde Frau vor mir zu sehen. Sie trägt einen langen Rock, der orientalisch aussieht, und Bänder im Haar. Schwarz geschminkt wirken die Augen größer als am Tag.

In der geräumigen Küche im hinteren Teil der Wohnung hat sich eine Gruppe ebenfalls junger Männer und Frauen getroffen, die Wein trinken und Oliven essen, Käse, der vom Stück geschnitten wird. Nur Kerzen, auf bauchige Flaschen geklebt, geben Licht und rußen. Keine Musik, aber es wird laut und von vielen gleichzeitig gesprochen.

Das Wort führt ein Mann, der, als er sich erhebt, um die Küche zu durchqueren und eine neue Flasche Wein aus dem Kühlschrank zu holen, hinkt und den ich im Gedächtnis behalte, weil ich ihm kurz darauf erneut begegnen werde. Obwohl ich die Gruppe in der Küche nicht lange beobachte, Tariq ist nur widerwillig gefolgt, und mich die Szenerie an einen Film oder einen Traum erinnert, meine ich später, während der Minuten im Flur eine Reihe mir unbekannter Begriffe gehört zu haben, die sich mir dennoch einprägen. Intellektuell. Solidarisch. Repressive Toleranz. Augenblicke später zieht mich Tariq durch den winkligen Flur zurück in den vorderen Teil der Wohnung und besteht darauf, leise zu sein. Unbeachtet von der Mutter oder den Gästen, setzen wir uns neben dem Flügel an einen nierenförmigen Beistelltisch. Als Tariq mir den Rest Zitronenlimonade vom Mittagessen in ein üppig verziertes Glas gießt, das er aus einer Vitrine genommen hat, sagt er tonlos: »Ich mag es nicht, wenn sie so ist.«

Während wir schweigen, denke ich an meine Eltern, die nie Gäste haben, an Jallaschs Eltern, der Vater bringt manchmal Würste vom Schlachthof mit und die Mutter schenkt mir in der Weihnachtszeit drei oder vier Schokoladennikoläuse, die eine von ihr verleimte rote Mütze mit einer weißen Borte tragen und deren Schokolade staubig schmeckt. Ich versuche, mir die Eltern von Jallasch oder mir in der Küche am Ende der Wohnung vorzustellen, Oliven essend zwischen Kerzen, aber es gelingt mir nicht. Dennoch ist es angenehm, mit Tariq in dem dunklen Zimmer auf die Rückkehr meiner Eltern zu warten.

Als ich sie durch das Erkerfenster die Straße entlangkommen sehe, stehe ich unschlüssig auf. Bevor ich mich auf den Weg in die Küche machen kann, um mich zu verabschieden und durch den früheren Dienstboteneingang den Weg zu unserer Wohnung abzukürzen, murmelt Tariq: »Ich sag schon Bescheid.« Plötzlich bin ich erleichtert, die Wohnung zu verlassen.

Wortlos bringt er mich zur Tür. Am nahen Rathaus schlägt es zehn Uhr, als meine Eltern vom Hof her die Treppe zu Tariqs Wohnung heraufkommen, um mich an der Vordertür abzuholen. Am Dienstboteneingang zu klopfen käme ihnen vor wie eine Demütigung.

Von nun an gehe ich meist mit Tariq nach der Schule heim. Jedes Mal begleiten uns Jallasch und Diddi. Regelmäßig ergibt es sich, dass Jallasch und ich hinter Tariq und Diddi Segel laufen, der großen Wert darauf legt, an dessen Seite zu bleiben. Während Tariq schweigt und es mir vorkommt, als lebe er außerhalb des Unterrichts allein in seinen Gedanken, versucht Diddi beharrlich, sich mit ihm zu unterhalten. Er bietet ihm Kirmeserdbeeren an oder mehlige Mäuse zu einem Pfennig, für die er sein Taschengeld ausgibt und die Tariq, maulfaul, selten zu einer Antwort bereit, immer ausschlägt, ohne dass sich Diddi dadurch entmutigen lässt.

Nur wenn Tariq und ich allein von der Schule nach Hause gehen, redet er von sich aus und ohne dass ich selbst ein Gespräch beginnen muss. Oft sprechen wir über Zahlen, unterhalten uns darüber, welche Farbe welcher Ziffer zuzuordnen sei. »Die Eins ist weiß, die Zwei ist gelb, die Drei eher dunkel-, die Vier hingegen hellgrün, die Fünf blassblau« und so fort, bis zur Zehn, oder Zwanzig. Manchmal erwähnt Tariq Dinge, von denen ich erst auf dem Gymnasium wieder hören werde: das Pascalsche Dreieck, die Fibonacci-Zahlen, die Fermatsche Vermutung, den fehlenden Beweis.

Ich kann mir unter einem mathematischen Beweis ebenso wenig vorstellen wie unter vielen Sachverhalten, die er mit einer Faszination schildert, die mir nicht geheuer ist. Dennoch berührt mich sein Enthusiasmus, seine Leidenschaft reißt mich mit. Während andere Jungen Auto- oder Flugzeugquartett spielen, vergleichen wir Zahlen und deren Eigenschaften. Weil wir mit niemandem darüber sprechen können und den Eindruck haben, es nicht erwähnen zu dürfen, ohne ausgelacht zu werden, habe ich bald das Gefühl, mit jemandem, der ähnlich denkt und empfindet wie ich, einem Geheimbund anzugehören.

An einem Tag nicht allzu lange vor den großen Ferien, wir haben in der Schule einfache Körper, Quader und Würfel, berechnet, beginnt Tariq unvermittelt mit einer Überlegung, die mich beeindruckt. Wenn man zwei Geraden schneidet, erhält man einen Schnittpunkt. Jede Gerade hat eine Dimension, jeder Punkt keine. Wenn man zwei Flächen, genauer: zwei Ebenen im dreidimensionalen Raum, miteinander schneidet, erhält man eine Gerade. Jede (nicht gefaltete und nicht gekrümmte) Ebene im Raum hat zwei Dimensionen. Wenn man zwei Körper, genauer: zwei Räume, in der vierten Dimension schneidet, erhält man eine Fläche, genauer: eine Ebene. Jeder Körper, beziehungsweise der uns vertraute Raum, hat drei Dimensionen. Was muss man schneiden, um einen Körper, genauer: einen dreidimensionalen Raum, als Schnitt zu bekommen?

»Oder«, sagt Tariq, und vor Begeisterung beginnt sein Gesicht zu glühen, »was erhält man, wenn man zwei Punkte miteinander schneidet?«

Unwillig zucke ich die Achseln. Geometrie behagt mir nicht. Zahlen sehe ich vor mir, die Durchdringung von Körpern kann ich mir auch später nie bildlich vorstellen.

»Minus eins«, sagt Tariq, »negativ. Und wenn man die wieder schneidet? Denk mal nach. Oder: Was müsste man miteinander schneiden, um ein Ergebnis mit vier Dimensionen zu erhalten? Nein, besser zwei vierdimensionale geometrische Schnittfiguren, damit man als deren Schnitt einen normalen Körper bekäme? Auf die Art erhält man im nächsten Schritt wieder eine Fläche, danach eine Strecke, bei zwei Ebenen eine Gerade, immer so fort. Aber wenn man umgekehrt, in die andere Richtung, die Richtung höherer Dimensionen denkt?«

Erneut hebe ich die Schultern. Mitgerissen von seiner Begeisterung nimmt er die Erwiderung kaum wahr.

»Es geht immer weiter.« Er ist vor mir stehen geblieben, kurz zuckt die rechte Hand Richtung Gesicht, ohne eine Kreisbahn einzuschlagen. »In beide Richtungen. Stell dir vor, es hat keine Grenzen!«

Nach einer Pause fügt er, überwältigt und berauscht von der ihm ungeheuer erscheinenden Idee, hinzu: »Alles ist möglich, Jochen. Alles.«

Noch heute in der Lage, die Überlegung wiederzugeben, habe ich sie als Kind nur im Ansatz verstanden, obwohl ich von Tariqs Ausführungen wie gebannt war. Ich hatte Hunger. Ich wollte nach Hause. Ich hatte keine Vorstellung von der Unendlichkeit.

Jahre später, als wir uns, erhitzt und dumm, über die Frage des Determinismus zerstreiten, fällt mir das Gespräch wieder ein. Über Monate meine ich, den Schlüssel für Tariqs mathematische Motivation gefunden zu haben. Doch erst als er mir im Besucherraum der Untersuchungshaftanstalt gegenüber sitzt, begreife ich die Dimension des Gedankens.

Während jener Wochen aber, im Frühsommer 1970, bin ich glücklich. Nach einer Weile habe ich das Gefühl, zwei verschiedene Leben zu führen: eines mit Tariq in der Welt des Rechnens, ein anderes in der normalen Welt der Eltern und der Schule. Der Zustand beunruhigt mich nicht, im Gegenteil, er gefällt mir.

Obgleich wir manchmal auch über die Lehrer und Mitschüler sprechen und obwohl Tariq im Unterricht wach wirkt, sich beinahe begierig jede Einzelheit einprägt, das Lernen fällt ihm leicht, scheint mir sein wirkliches Interesse von der Schule und den Schülern kaum berührt. Als lebten er und die anderen getrennt durch eine unsichtbare Wand im nur vermeintlich selben Universum und allenfalls mir gestünde er zu, das Glas oder die Folie zu durchdringen.

Während ich im Verlauf der Unterhaltungen nicht wage, Tariq nach seiner Mutter, schon gar nicht nach seinem Vater zu fragen, kommt er, meist kurz bevor wir uns trennen, mit wenigen Sätzen auf den Nachmittag in der stillen Zone zurück. Jedes Mal erwähnt er den Marder. Und jedes Mal fragt er mich: »Denkst du noch an ihn?«

Jedes Mal nicke ich. Jedes Mal scheint Tariq nicht zufrieden mit meiner Erwiderung, die keine Antwort ist.

Die Zeit der gemeinsamen Heimwege und der Erörterung einfacher zahlentheoretischer Fragen, der Gespräche über regelmäßige und unregelmäßige Folgen, über die Schönheit der Zahlen, endet nicht lange vor Beginn der Sommerferien, als Tariq, ohne es jemandem angekündigt zu haben, an einem Freitagabend erneut in der Turnabteilung des Olympischen Sportclubs bei Willi Kufenbach auftaucht. Der Trainer lässt ihn an der Übungsstunde teilnehmen, als sei nichts vorgefallen.

Eine Woche darauf verspäten sich Jallasch und ich. Wie immer sind die Umkleidekabinen mit Trainingsbeginn abgeschlossen worden. Unschlüssig, ob wir uns bei Kufenbach melden und entschuldigen sollen, schleichen wir hoch zur Galerie und ducken uns hinter die Brüstung.

»Reiß dich zusammen, Segel! Den Bock hierhin!« Das ist die Stimme Willi Kufenbachs.

Noch hält Passlack die anderen zum rascheren Aufbau der Geräte an. Er pfeift und dirigiert und verschafft Diddi Segel, der den Bock so langsam wie möglich über das Parkett bugsiert, einen Aufschub. Kaum haben sie das mächtige Sprunggerät an die richtige Stelle geschoben, boxt mich Jallasch in die Seite.

»Wo is ’n Tariq?«

Ich hebe die Schultern.

»Bock«, sagt Willi Kufenbach und gibt Diddi einen Klaps, »schaffst du.«

Ein weiteres Mal boxt mich Jallasch unruhig in die Seite.

»Wie lange wolln wir warten?«

»Lieber noch ’ne Weile.«

Unter uns ertönt Passlacks Pfiff. »Der Nächste bitte!« In der Halle spuckt Diddi vor sich aufs gebohnerte Parkett. Beharrlich reibt er den rechten, dann den linken Ballen mit einer Mischung aus Speichel und hellgrünem Hallenstaub ein.

»Was wird ’n das?«, fragt Jallasch.

Diddi nimmt Anlauf, erreicht das Federsprungbrett und rennt, ohne abzuspringen, gegen das Turngerät. Getragen vom Schwung, schießt er seitlich am Bock vorbei, presst die Arme auf den Brustkorb und prallt auf das Parkett. Passlack reißt sich die Pfeife vom Hals und hastet zu ihm hin. Er reicht Diddi die Hand. Diddi schlägt sie zur Seite.

»Lass ihn«, knurrt Kufenbach, auf dessen Hals, Gesicht und Stirn rote Flecken wachsen.

Diddi rappelt sich auf, stapft am Bock vorbei, stellt sich an den Anlaufpunkt und spuckt erneut auf den Boden. Die Stirn gegen den Handlauf der Brüstung gepresst, wartet Jallasch am Schacht der Galerietreppe und stößt Luft durch die Zähne. Während ich mich neben ihm auf dem Linoleum niederhocke, höre ich in der Stille das Summen der Neonröhren. Unbarmherzig schmirgeln Diddis Sohlen über das Parkett.

Als er einen Fuß vorsetzt, starrt Passlack wie gebannt auf das verrutschte Sprungbrett. Er kaut an der Trillerpfeife. Die Reckriege erhebt sich. Ehe Diddi den zweiten Fuß nachzieht, huscht ein schlanker Schatten unter der Galerie zwischen den nie genutzten Turngeräten hervor, und Tariq rennt quer durch die Halle auf die Bocksprunganlage zu. Als er abspringt, die Hände in den Bock stemmt und sich zum Handstandüberschlag abdrücken will, fällt Passlack die Trillerpfeife aus dem Mund. Tariq knickt in den Armen ein. Nur mit Mühe gelingt es ihm, nicht seitlich vom Gerät zu kippen, sondern, verdreht, auf allen Vieren, auf der Matte dahinter zu landen, sich abzurollen und aufzustehen, sich umzudrehen und umzusehen und, während sich Diddi in seinem Rücken mit einem ungläubigen Lächeln langsam auf das Parkett setzt, auszuatmen, erleichtert Luft zu holen und leise zu sagen: »Ja.«

»Ausgerechnet du.«

Kufenbach mustert Tariq. Während die Ader auf der dunkelroten Stirn anschwillt, als könne sie gleich platzen, fügt er hinzu: »Was bildest du dir ein?«

Tariq tritt einen Schritt beiseite. Noch immer ist es in der Halle still wie bei einer Andacht. Jallasch und ich bleiben geduckt hinter der Brüstung hocken. Flüsternd sagt Tariq, jeder Junge, jeder Turner der Abteilung sieht ihn an: »Es ergibt keinen Sinn, Bocksprung zu trainieren. Es ist nicht vernünftig.«

Kufenbach fährt sich mit den Fingern über die schweißfeuchte Stirn, wischt sich über die Brauen und betrachtet den Jungen, der vor ihm steht, auf eine Weise, die mich mit den Zähnen knirschen lässt, ehe er gefährlich ruhig erwidert: »Was soll das?«

Während sich in der Halle niemand zu rühren wagt, fügt Tariq unnachgiebig hinzu: »Bock ist kein olympisches Gerät.«

Einen Moment wird jeder in der Halle den Eindruck gehabt haben, Kufenbach werde ihn im nächsten Augenblick schlagen. Stattdessen sagt er, ruhig wie zuvor: »Du bist ein lausiger Turner. Und ein Klugscheißer, mein Junge.«

Mit einem hellblauen Stofftaschentuch wischt er sich den Schweiß von der Stirn und aus dem Nacken. »Für dich ist das Training beendet. Ich verweise dich der Abteilung. Die Meldung zur Bezirksmeisterschaft, die für alle erfolgt ist, ziehe ich in deinem Fall zurück.«

Verblüfft wegen der gewählten Ausdrucksweise und der Beherrschung, zu der Kufenbach fähig ist, schaue ich zu Jallasch hin, der mich ähnlich verwundert anblickt. Keiner der Jungen bewegt sich. Auch Tariq scheint die Reaktion des Trainers nicht vorausgesehen zu haben. Während er nicht weiß, wie er sich verhalten soll, beendet Kufenbach sein ungewöhnlich langes Reden, indem er sagt: »Zieh dich um. Verlass die Halle. Wenn jemand dich begleiten möchte, bitte.«

Keiner der Jungen erhebt sich. Erst als Jallasch und ich zurück in den Schatten kriechen, um uns hinaus auf den Schulhof zu schleichen, hören wir Tariq sagen: »Du solltest stolzer sein, Dietmar.«

Überzeugt, auch Diddi werde die Übungsstunde abgebrochen haben, warten Jallasch und ich vor dem Schulgebäude. Nach ungefähr fünf Minuten schiebt Tariq, der nicht bedrückt wirkt, im Gegenteil, die schwere Schultür auf, und, kaum überrascht uns zu sehen, begrüßt er uns, indem er lacht und die Hand hebt: »Schön, dass ihr da seid.«

Seinem Vorschlag folgend, es ist hell, wir haben Zeit, das Training dauert noch mehr als eine Stunde, gehen wir nicht nach Hause, sondern essen auf dem Heimweg Eis und besuchen, eingeladen von Tariq, der noch nie dort gewesen ist, das Hallenbad am Park.

»Badehosen?«, fragt Jallasch, als Tariq schon gezahlt hat und wir, es ist kaum Publikum im Bad, drei Umkleidekabinen nebeneinander belegt und die Türen verriegelt haben.

»Ja. Nein.« Tariq klappt links von mir die Bank an der Wand herunter, um die Kabinentür zu blockieren.

»Schlüpper?« Jallasch tritt rechts von mir zurück auf den gefliesten Gang.

Noch von der Vorstellung beunruhigt, dass mir die Unterhose beim ersten Sprung vom Startblock über die Knie rutschen wird, höre ich Tariq zögernd fragen, ob nicht auch eine Turnhose möglich sei, und Jallasch rechts von mir antworten, das habe er schon mal versucht, es sei verboten.

Kurze Zeit schweigen beide. Als Jallasch unsicher meint: »Was denkst ’n du dazu, Jochen?«, habe ich einen Einfall. Kaum geäußert, stimmen Jallasch, kichernd, und Tariq, missmutig, zu.

Wir tauschen die Karten gegen einen Eintritt für das Wannenbad, auf das ich seit einiger Zeit neugierig bin, das meine Eltern aber für unhygienisch halten. Diddi, so Jallasch, wasche sich manchmal dort.

Hier herrscht Freitagabend mehr Betrieb als im Schwimmbad, und da die Räume mit den Wannen eher knapp als zahlreich sind, bleiben uns nur eine Kabine mit einer Wanne am Ende des Ganges und eine weitere mit zwei Wannen, die gleich in der Nähe des Eingangs liegt. Ein alter Mann mit mächtigem Brustkorb nimmt uns die Karten ab und gibt uns als Tausch ein Badetuch samt einem groben Waschlappen sowie ein Stück Seife, Kernseife, das er mit einem Messer von einem Block schneidet.

Mit dem Gefühl, einer Anweisung Folge zu leisten, nehmen wir beides entgegen und stehen schließlich vor dem ersten gekachelten Geviert mit den für uns vorgesehenen Badewannen, unschlüssig, wie wir die ungleiche Aufteilung vornehmen sollen. Beklommen, weil zwei von uns die nächste Stunde nackt im selben Raum verbringen werden, blicken wir zu Boden.

»Ich würde gerne …«, sagt Jallasch. Er macht einen Schritt den Gang hinunter in Richtung der Kabine mit der einzelnen Wanne. Während ich unentschlossen und mit der Empfindung, ich stünde in einem Fahrstuhl, der schnell nach unten fährt, die Fugen zwischen den hellen Fliesen mit einem Zeh entlangrutsche, die Schuhe haben wir beim Eintritt ausziehen müssen, meint Tariq unbewegt: »Na, gut.«

Jallasch verschwindet um eine Biegung. Tariq drückt die Klinke und hält die Tür auf. Ich gehe hindurch. Wir entkleiden uns.

Für jeden gibt es im Raum einen Spind. Während ich mich nicht beeile, legt er seine Sachen zügig in die vorgesehenen Fächer. Gesäß und Rücken mir zugekehrt, schlingert er, das Badetuch um die Hüfte geschlungen, in Richtung der einen Wanne, öffnet die Hähne, dreht sich aber, bevor er in das Wasser steigt, noch einmal zu mir um. Auf einem Bein balancierend zerre ich gerade den zweiten Strumpf vom Fuß und stehe in Unterhemd und -hose vor Tariq, der mich ansieht.

Jahrzehnte später werde ich in Budapest eines der alten Mineralbäder besuchen. In dem Teil, der getrennt ist in einen Bereich für Männer und einen für Frauen, tragen die Männer üblicherweise eine Art Lendenschurz anstelle der Badehose, die beim Eintritt abgelegt wird. Ein kurzer, weißer Leinenlappen hängt unterhalb der meist faltigen Bäuche von den Hüften und hinterlässt bei mir den Eindruck von Obszönität, ein Bild, das trotz aller Hässlichkeit nicht unangenehm ist. In gleichem Maß wie der Schurz die verlorene Form der Körper unterstreicht, weist er, als seien die Träger Jungen vor der Entfaltung ihrer Kraft, Jungen, die sich verkleidet hätten, auf das Geschlecht der alten Männer, indem er es vor den Augen der Badenden nur unzulänglich verbirgt.

Tariq lässt das Handtuch von der Hüfte gleiten. Während ich bemerke, dass er beschnitten ist, glaube ich einen Moment, er werde mich berühren. Ich ziehe das Hemd über den Kopf, versuche, das Gleichgewicht zu halten, die Hose beiläufig von den Füßen zu streifen, und staune, wie gelassen Tariq mir zusieht. Ohne die Temperatur des Wassers zu prüfen, gleitet er in die Wanne, lehnt sich zurück und legt den Waschfleck behutsam auf sein Gesicht. Ich bleibe stehen, betrachte ihn verlegen, und erst nachdem ich die Unterwäsche mit übertriebener Wucht in den Spind geworfen habe, steige auch ich in die Wanne. Ich schäme mich meiner Nacktheit auf eine nie vorher empfundene Weise.

Trotz der angenehmen Wärme stellt sich die Ruhe nicht ein, wie Tariq reglos im Wasser zu liegen. Nach kurzer Zeit wasche ich mich und antworte, als er nach dem Grund fragt, dass ich nach Hause müsse. Ohne den Waschfleck von seinem Gesicht zu heben, entgegnet er, er habe Zeit, heute sei sein letzter Tag, morgen fahre er mit seiner Mutter, die diesen Abend bei Freunden feiere, in die Ferien. Erschrocken wende ich ein, es seien noch drei Wochen Schule, er könne doch dem Unterricht nicht bis zum Beginn der Sommerferien fernbleiben. Könne er, sagt Tariq, er fahre in den Libanon, zu seiner Familie.

Ich mühe mich, die Strümpfe über die feuchten Zehen zu ziehen.

»Zu deinem Vater?«

»Nein.«

Tariq nimmt den Waschlappen von der Stirn, setzt sich in der Wanne auf und erhebt sich langsam. Das Wasser perlt an seinem Körper ab, der kaum dunkler ist als meiner, das Glied zwischen den Schenkeln wirkt klein und ungeschützt. Glatt und schwarz kleben die wenigen Schamhaare an der nass glänzenden Haut von Bauch und Leistenbeuge.

»Mein Vater ist tot«, sagt Tariq.

Er greift nach dem groben Stück Seife am Kopfende der Wanne.

»Er ist getötet worden. Von den Juden.«

Statt gemeinsam zu kochen, nehmen meine Eltern mich am ersten Abend des Urlaubs in die Mitte, durchqueren, obgleich mein Vater mehrmals betont, wie müde er sei, die Dünen auf einem Holzsteg, und laufen, vorbei an Möwen und deren Brut, hinunter zum Strand. Kaum öffnet sich der Blick auf die Nordsee, deutet meine Mutter nach rechts. Am Fuß der letzten Düne erkenne ich eine Baude, in der es, so versichert mein Vater, schon auch Fisch gebe, ebenso aber Bouletten, halbe Hähnchen und Currywurst. Während ich sehe, dass meine Mutter trotz der Kopfschmerzen, die sie wegen der langen Bahnfahrt bekommen hat, leise lächelt, genieße ich in Gedanken bereits eine Portion Pommes Frites.

Obwohl mein Vater auf meine am nächsten Morgen vorgebrachte Frage, ob wir mittags erneut an der Baude essen werden, entgegnet, nein, zu Mittag und wohl auch abends äßen wir in einer Einrichtung, die zwar der Arbeiterwohlfahrt gehöre, aber einem Restaurant ähnlich sei, man sitze an Tischen und werde bedient und könne wählen zwischen verschiedenen Gerichten; trotz der Enttäuschung bin ich froh.

Das Restaurant, dessen Fenster während der Wochen dauernd geöffnet bleiben, sodass ein leichter Durchzug entsteht und mir der Salzgeruch des Meeres oft unvermittelt auffällt, besteht aus einem langgestreckten, niedrigen Raum, in dem man Tische und Stühle ohne ersichtliche Ordnung und dennoch so verteilt hat, dass genügend Abstand zwischen den Sitzgruppen bleibt. Die Wände getäfelt und der Boden mit Holzdielen ausgelegt, deren Farbe verblichen ist, habe ich, als ich den Saal betrete, den Eindruck, an einen Ort zu gelangen, wo früher getanzt worden ist. Unwillkürlich blicke ich mich um, und tatsächlich, am entfernten Ende des dämmerigen, nach der Helligkeit des Tages fast dunklen Raums steht auf einer Bühne ein Klavier.

Ich bin der erste Gast, meine Eltern sind im Untergeschoss auf die Toilette gegangen, und so klettere ich auf die stoffbespannte Bühnenrampe. Als ich mich umdrehe, sehe ich gegen das Licht zwei weitere Gäste in den Saal kommen, der eine, im Rollstuhl, wird von dem anderen geschoben. Gäste wohl aus Gewohnheit, streben sie einem Tisch nahe dem Klavier zu und nicken zur Begrüßung, als sie mich bemerken. Da beide der Rampe unterdessen nah genug sind, erkenne ich, dass das Gesicht des Mannes, der im Rollstuhl sitzt, keine Nase hat. Zwischen seinen flachen Wangen zeichnen sich rissige, an den Rändern ausgefranste Nasenlöcher ab. Die Haut unter den Augen ist starr und knotig, die Augenhöhlen sind blutunterlaufen. Der zweite Mann, der den Rollstuhl schiebt, hat statt der Hände zweigliedrige Greifzangen, die, grob und lieblos zugeschnitten, wie Wucherungen wirken. Die linke Hälfte seines Gesichts leuchtet rot. Im Fleisch, das mir wund vorkommt, fehlt ein Auge.

Später, als ich Tariq nach seiner Gesichtsoperation noch einmal treffe, fällt mir die Begegnung wieder ein. Jetzt, ausgestellt auf der Bühne, presse ich die Lider zusammen, und obwohl ich das Bedürfnis habe, zu schreien und von der Rampe zu springen, wende ich mich langsam um und öffne die Augen wieder. Als befände ich mich in einem Traum und könnte jederzeit erwachen, setze ich mich auf den Hocker hinter dem Klavier und beginne, ein einfaches Stück zu spielen, das ich während der letzten Klavierstunden ohne Erfolg habe üben müssen und das mir auf der Bühne nun gelingt.

Es ist still im Speisesaal. Andächtig lauschen die Versehrten. Die Akkorde schweben in der salzgetränkten Luft. Ich habe die Augen erneut geschlossen und entschieden, den Platz bis zum Tag der Abreise nicht mehr zu verlassen, als die Stimme einer älteren Frau, die hinter dem Vorhang hervorgetreten sein muss, behutsam zu mir sagt: »Das klingt schön. Und ich würde dir gern zeigen, an welchem Tisch ihr essen werdet. Mittags und auch abends, wenn ihr wollt.«

»Ja«, erwidere ich.

Und wiederhole, während ich den Deckel des Instruments vorsichtig schließe: »Ja. Gerne.«

Zu den Einrichtungen, die regelmäßig zu besuchen ich gezwungen bin, gehört ein Geschäft für Orthopädieartikel, für Stützstrümpfe, Prothesen und orthopädische Einlagen.

Jedes Mal, wenn ich seit dem Urlaub auf Sylt das Fachgeschäft betrete, um mir neue Einlagen anpassen zu lassen, die ich tragen muss, seitdem ich mit meiner Mutter bei einem Arzt gewesen bin, einem Orthopäden, der mich angewiesen hat, Murmeln mit nackten Zehen vom Boden aufzuheben – jedes Mal, wenn die Glocke ertönt, die Tür sich schließt und ich in dem Laden zwischen am Knie gekappten Unterschenkeln, die medizinisches Schuhwerk tragen, den arm- und kopflosen Oberkörpern mit einem Korsett oder einer Rückenschiene stehe, erinnere ich mich des Speisesaals in dem Heim der Arbeiterwohlfahrt.

Gewöhnlich empfängt mich ein älterer Mann, der wegen seiner unterschiedlich langen Beine am rechten Fuß einen unförmigen Schuh mit einer erhöhten Sohle trägt und dem ich das Rezept geben muss. Danach führt er mich wortlos in ein Hinterzimmer, an das eine kleine Werkstatt grenzt, lässt mich in einer Kabine auf einem Podest Platz nehmen und heißt mich, in dem Kabuff, dessen Wände aus dünnem, grauem Holz bestehen und das nach vorn offen ist, meine Schuhe und Strümpfe ausziehen. Anschließend soll ich zunächst mit dem rechten, dann dem linken Fuß auf einen Holzrahmen treten.

In dem Holzleistenviereck befindet sich eine mäßig gespannte Gummiunterlage, auf der ich still stehen muss, während der Besitzer des Geschäfts mit einem harten Griffel aus Holz oder Metall die Konturen meiner Füße abfährt und den jeweiligen Umriss durch den Druck des stumpfen Stabs auf ein Pauspapier überträgt, entfernt ähnlich dem Kohlepapier, das mein Vater mit einem zweiten Blatt in die Schreibmaschine spannt, um zusätzlich zum Original einen Durchschlag zu erhalten. Auf dem sich unter meinem Gewicht verfärbenden Papier, gespannt in einen zweiten Rahmen, den der Mann vorher unter die Gummilage geschoben hat, zeichnen sich die Füße nicht nur im Umriss ab, die Stellen, an denen der Fuß aufliegt, sind zudem von einem tieferen Blau als jene, an denen mein Fuß gewölbt ist, besonders deutlich zu erkennen sind Ballen, Ferse und Zehen. Nach der so gewonnenen Vorlage fertigt der Besitzer die neuen Einlagen aus Kork und Leder an.

Als ich während der Sommerferien in das Geschäft komme, ungefähr drei Wochen nach der letzten Unterrichtsstunde, scheint mir der kleine Laden im ersten Augenblick leer. Die Glocke ertönt, die Tür schließt, und während ich zwischen einem Sortiment Armprothesen, Leder, Stahl, Holz, die Hände haben Ähnlichkeit mit denen der Skelette im Biologieraum, auf den Besitzer warte, kommt Judith Fischer aus dem hinteren Teil des Ladens, stellt sich hinter den Tresen und lächelt mich an.

Für Momente sehe ich uns zu dritt auf dem Gang in der Schule sitzen, während die übrige Klasse in Religion (»Christenlehre«, Fräulein Schwab) unterrichtet wird. Ich sehe uns, meist schweigend, die Hausaufgaben erledigen, Judith Fischer an der einen, ich an der anderen Seite und Tariq, Tariq Kemal Gabriel al-Fatoum, am Kopfende des überlangen Tisches im Schulflur, und ich höre, wie Jallasch in einer großen Pause leise zu mir sagt: »Die darf sich nie verabreden. Die feiert nie Geburtstag. Und auch kein Weihnachten.«

Obwohl durch das Sonnenlicht geblendet, das von einem Spiegel neben der Registrierkasse zurückgeworfen wird, Licht, das ich vorher nie wahrgenommen habe, kann ich sehen, dass Judith wie üblich errötet, als sie mich erkennt. Doch anders als in der Schule gleicht die Färbung, die ihr Gesicht überzieht, nicht den nervösen Flecken Willi Kufenbachs, die einem Ausschlag ähneln.

»Hallo.« Ich merke, dass ich flüstere, und frage etwas lauter: »Warum bist du hier?«

»Ich helfe meinem Onkel, er ist kein richtiger Onkel, und dafür bekomme ich Geld.«

»Wieso musst du Geld verdienen?«

»Ich muss nicht«, erwidert Judith, »ich möchte. Ich spare für eine Violine, eine Geige. Ich kann nur singen, aber ich würde lieber ein Instrument spielen.«

Sie singt. Sie singt nur einige Takte. Es ist das erste Mal, dass ich sie, zwischen Stützstrümpfen und Schuhen, die mir wie Klumpfüße vorkommen, singen höre. Im Unterricht hat sie bisher allenfalls eine Melodie gesummt oder mit einem Tamburin den Takt für die anderen vorgegeben. Kaum begonnen, bricht der Gesang ab, und Judith, als müsse sie sich schämen, errötet erneut. Sie zuckt entschuldigend die Schultern, und noch bevor ich fragen kann, ob sie nicht fortfahren wolle, erkundigt sie sich schon, warum ich hier sei, und ich schiebe ihr wortlos das Rezept über den Tresen, unter dessen Glasplatte Nagelsets und Bimsstein und Pflaster gegen Hühneraugen oder Warzen zum Verkauf ausliegen.

»Ah.« Judith nickt. »Einlagen. Komm mit.«