Dr. Laurin – 167 – Unsichtbare Tränen

Dr. Laurin
– 167–

Unsichtbare Tränen

Tanjas große Liebe ein Traum – oder Albtraum?

Patricia Vandenberg

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-669-4

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»Tanja Breken!«, rief Dr. Leon Laurin überrascht aus, als eine schlanke, sehr elegant gekleidete junge Frau sein Sprechzimmer betrat.

»Seit drei Wochen Tanja Dallberg«, berichtigte sie ihn mit einem charmanten Lächeln. »Ist die Überraschung gelungen?«

»Die Überraschung ist sogar hundertprozentig gelungen«, erwiderte Dr. Laurin, »und ich darf gleich gratulieren.«

Das tat er allerdings nur mit halbem Herzen, während er dachte, dass sie also auch das erreicht hatte. Ihr war es tatsächlich gelungen, Peter Dallberg zum Standesamt zu zitieren. Nur war es seltsam, dass man davon gar nichts gehört hatte, selbst seine Schwester Sandra nicht, die doch sonst immer bestens informiert war.

»Zum Baby können Sie hoffentlich auch gleich gratulieren«, sagte Tanja fröhlich. »Ich möchte es von Ihnen bestätigt wissen.«

Also das ist der Grund, ging es Leon durch den Sinn, und gar so fröhlich war ihm nicht zumute, als er es Tanja bestätigen konnte, dass sie im zweiten Monat schwanger war.

Tanja dachte gar nicht daran, ihn zu täuschen. »Manche Männer muss man zu ihrem Glück zwingen«, lächelte sie hintergründig, »und Peter ist ein solcher Mann. So ganz geheuer ist es ihm zwar noch immer nicht, Ehemann zu sein, deshalb haben wir auch in England geheiratet, aber ich werde ihn zähmen. Es wird eine Lebensaufgabe sein.«

Ist sie davon tatsächlich überzeugt, oder gaukelt sie sich nur etwas vor?, fragte sich Dr. Laurin. Er war nicht überzeugt, dass es ihr gelingen würde, Peter Dallberg zu zähmen, und irgendwie tat ihm diese schöne, charmante und reiche Tanja leid, die immer bekommen hatte, was sie wollte.

Er hatte sie durch die junge Ärztin Dr. Viola Rotteck kennengelernt, die ein paar Wochen in der Prof.-Kayser-Klinik praktische Erfahrungen gesammelt hatte, bevor sie selbst eine Praxis eröffnete. Es handelte sich um eine Gemeinschaftspraxis mit Tanja Brekens Bruder Victor, mit dem sie auch verlobt war. Heiraten wollten sie nicht, bevor sie nicht erprobt hatten, ob sie Beruf und Privatleben unter einen Hut bringen konnten. Viola dachte da ganz anders als Tanja, wie es nun schien, und Dr. Laurin fragte sich, was die junge Kollegin wohl zu dieser Heirat sagen würde.

Leon hatte also mancherlei Gründe, über Tanja nachzudenken, die ihn so überglücklich verlassen hatte. Von Viola und ihrem Bruder hatte sie nicht gesprochen, nur immer von Peter.

Peter Dallberg war ein berühmter Filmschauspieler. Antonia Laurin wusste über ihn besser Bescheid als ihr Mann, aber sie war erst einmal fassungslos, als Leon ihr berichtete, dass Tanja mit Dallberg verheiratet sei.

»Das kann doch nicht wahr sein«, staunte sie. »Ist ihr denn gar nichts Besseres eingefallen? Sie könnte doch jeden Mann haben.«

*

»Du hast es erreicht«, sagte Tanja zu ihrem frisch angetrauten Mann, »ich bin schwanger. Na, nun freu dich doch, du großer Künstler. Trink die nächste Flasche leer.«

»Du hast es gewollt«, erwiderte er zynisch. »Du warst doch versessen darauf, meine Frau zu werden.«

Sie schleuderte ihre Jacke zu Boden. »Ich Idiotin!«, stieß sie hervor. »Konnte ich nicht vorher erfahren, dass du ruiniert bist, dass du nur hinter meinem Geld her warst? Aber ich lasse mich nicht lächerlich machen. Du wirst den braven Ehemann spielen, oder ich werde dafür sorgen, dass du kein Bein mehr auf den Boden bringst. Viola hat mich vor dir gewarnt, immer wieder gewarnt, aber ich wollte ihr nicht glauben.«

»Sie war doch nur eifersüchtig, weil sie nicht bei mir landen konnte«, sagte er von oben herab.

Tanja kniff die Augen zusammen. »Viola würde dich nicht mal mit der Kneifzange anfassen«, sagte sie. »Und die Tränen, die andere deinetwegen vergossen haben, werden Freudentränen gewesen sein, weil sie schlauer waren als ich.« Sie legte den Kopf in den Nacken. »Nun, ich habe heute mein schauspielerisches Talent bei Dr. Laurin bewiesen, und ich werde es weiterhin beweisen. Ich habe deine Gläubiger befriedigt, und du wirst jetzt das tun, was ich von dir verlange. Du wirst spielen, bis du umfällst.«

»Benimm dich nicht so kindisch, Tanja«, sagte er.

»Kindisch? Ich war kindisch, als ich mich in dich verliebte, ausgerechnet in dich. Ich war kindisch, als ich mit dir in deine Wohnung ging, als du mich mit deinen Drinks betäubtest, um das möglichst schnell zu erreichen, was du wolltest. Ich hätte es mir ja noch anders überlegen können, wenn ich bald erfahren hätte, wie es um deine Finanzen steht, wenn ich die eiserne Jungfrau geblieben wäre.« Sie dreht sich um und ging zur Tür. »Jetzt hasse ich dich, aber du wirst mich nicht mehr loswerden. Du wirst keinen Cent mehr von meinem Geld bekommen, nicht einen einzigen Cent. Du hast dich verkalkuliert, Peter Dallberg.«

»Du Biest!«, rief er ihr nach.

»Du Schuft!«, schrie sie zurück.

Dann verschwand sie in ihren Räumen und schloss die Tür ab.

Tanja und ihr Mann bewohnten ein herrliches Haus. Tanja war darin aufgewachsen – zusammen mit ihrem Bruder Victor. Die beiden hatten eine unendlich glückliche Kindheit und Jugend darin verbracht. Der tragische Tod der Eltern, die vor fünf Jahren bei einem Flugzeugunglück ums Leben kamen, hatte ihr Leben verändert, aber Tanja hatte nie gezeigt, wie tief sie getroffen war. Victor hatte sich ganz vom geselligen Leben zurückgezogen, sein Medizinstudium vollendet und sich nur seinem Beruf gewidmet, um sich dann der ernsten, zurückhaltenden Viola zuzuwenden.

Tanja hingegen hatte sich mehr und mehr in eine Rolle hineingelebt, die ihrem eigentlichen Wesen widersprach. Sie hatte jede Wehmut, jede Erinnerung zu überspielen versucht, bis sie in Peter Dallberg einen Ersatz für den lebensfrohen, geliebten Vater zu finden meinte. Es war die grausamste Enttäuschung gewesen, die ihr widerfahren konnte. Aber so, wie sie nach dem Tod der Eltern ihre wahren Empfindungen verleugnet hatte, so war sie jetzt bereit, dies in der Öffentlichkeit auch zu tun – aber nur in der Öffentlichkeit.

*

»Es ist nicht zu fassen«, sagte Viola zornerfüllt, »sie hat ihn tatsächlich geheiratet.«

»Warum regst du dich auf?«, meinte Victor nachsichtig. »Sie war nun mal versessen auf ihn. Wenn du daran Anstoß nimmst, dass er so viel älter ist, muss ich sagen, dass sie eben eine Vaterfigur braucht.«

»Dallberg und Vaterfigur«, ereiferte sich Viola, »dieser Lebemann, oh, ich bin wütend.«

Und bis sie mal wütend wurde, dauerte es lange und brauchte es viel. Victor Breken hatte es noch nicht erlebt, dass Viola vor Zorn geradezu kochte – so wie jetzt, und er kannte sie immerhin schon vier Jahre. Er hatte Viola gerade da kennengelernt, als er die Eltern verlor, und das war für ihn gut gewesen.

Viola war jetzt achtundzwanzig, sah aber bedeutend jünger aus. Sie war ein sportlicher Typ, und sie betrieb auch manche Sportart sehr intensiv. Sie hatte Victor mitgezogen, der eher zum Phlegma neigte.

»Na, wenigstens haben sie kein Tamtam um die Hochzeit gemacht«, stellte Victor gemächlich fest.

»Er kann doch seine Verehrerinnen nicht verärgern«, sagte Viola spöttisch, »und ich bin sehr gespannt, wie viele Weiber Tanja auf den Pelz rücken werden.«

»Sie ist nicht blind, sie wird schon wissen, was auf sie zukommt. Aber sie braucht ja immer Spannung.« Victor zeigte sich gelassen, unbegreiflich gelassen für Violas Begriffe.

»Er wird Tanja ausnehmen wie eine Weihnachtsgans und sie fallen lassen wie eine heiße Kartoffel«, orakelte Viola mit gereizter Stimme.

»Deine Vergleiche sind unfreundlich, Viola«, meinte Victor leicht pikiert. »Dallberg ist doch kein armer Mann, und wenn es ums Geld geht, verliert Tanja nicht so rasch den Verstand. Sie gerät unserem Vater nach.«

Viola gelangte zu der Überzeugung, dass mit Victor im Augenblick nicht zu reden war. Sie aber machte sich ehrliche Sorgen um Tanja, die sie sehr gernhatte und besser zu kennen glaubte als jeder andere Mensch – Victor eingeschlossen. Sie wusste, dass Tanja zwei Seelen in ihrer Brust trug und dass sie sich nicht gern ins Herz blicken ließ.

Es hatte ihr zu denken gegeben, als Tanja am Morgen anrief und nur ganz kurz erklärte, dass sie und Peter in England geheiratet hätten. Sie hätten beide keine Lust, eine große Fete zu veranstalten. Außerdem müsste Peter morgen schon zu Außenaufnahmen nach Sizilien.

»Dann sehen wir uns«, hatte Tanja gesagt. »Ruf mich an, wenn ihr mal Zeit habt.«

Victor und Viola hatten in ihrer Gemeinschaftspraxis schon recht viel zu tun. Es schien vielen Kranken sympathisch zu sein, einen Arzt für Allgemeinmedizin und eine Orthopädin unter einem Dach zu haben. Und da beide mit dem Geld nicht hatten zu sparen brauchen, waren sie auch auf das Modernste eingerichtet.

Victor hatte einen Doppelbungalow gekauft. In einem wohnten sie, im anderen war die Praxis untergebracht.

Sie hatten auch Glück mit dem Personal gehabt. Die medizinisch-technische Assistentin Renate Höfler war Mitte dreißig, fleißig, still und unauffällig, die Laborantin Ruth Krapf ein flottes, immer gut gelauntes Mädchen, die beiden Sprechstundenhilfen Corry und Helga waren erfreulich zuverlässig. Man hatte sich schnell aufeinander eingespielt. Niemand nahm Anstoß daran, dass Victor Breken und Viola Rotteck unverheiratet unter einem Dach wohnten. Nur Tanja hatte daran Anstoß genommen. Sie, die sonst so extravagant war, war in dieser Beziehung altmodisch.

Besonders deshalb machte sich Viola auch Gedanken über diese plötzliche Heirat.

Natürlich kam für Tanja auch kein Liebesverhältnis infrage, und Viola konnte sich recht gut vorstellen, dass Tanja erst den Trauschein in der Tasche haben wollte, bevor sie mal mit einem Mann eine Nacht verbrachte. Aber hatte es ausgerechnet Peter Dallberg sein müssen?

Viola hatte allen Grund, gegen den Schauspieler eingenommen zu sein. Er hatte sich ihr einmal in einer Weise genähert, die sie abgestoßen hatte. Freilich hatte sie das für sich behalten, weil Victor maßlos eifersüchtig werden konnte. Sie traute Dallberg jedenfalls keine tiefen Gefühle zu.

Auf den Zorn folgte die Resignation. Na gut, wenn Tanja es nicht anders will, es ist ihre Angelegenheit, dachte sie.

Dann musste sie an die Arbeit gehen. Ihre Patienten waren jetzt wichtiger.

*

Über diese Ehe sollten sich noch mehr Leute Gedanken machen. Tanja machte sich keine mehr, und schon gar keine Illusionen. Sie war bis ins Innerste ernüchtert und eiskalt. Als Peter sich von ihr verabschieden wollte, sah sie ihn nur verächtlich an.

»Hoffentlich gibt’s auf Sizilien genügend Whisky und willige Gespielinnen«, sagte sie eisig.

Er drehte sich um. Ein böser Blick traf sie. »Du kannst ja eine Schwangerschaftsunterbrechung vornehmen lassen.«

»Das könnte dir so passen. O nein, das wäre das Letzte. Ich sage es dir noch einmal: Du wirst ausbaden, was du dir eingebrockt hast. Du sollst es jeden Tag bereuen.«

»Du bist ja nicht mehr ganz normal«, fuhr er sie an.

Sie lachte klirrend auf. »Du hast mich angesteckt. Du hast mich verseucht.«

»Wiederhole dich doch nicht dauernd«, sagte er höhnisch, bevor er endgültig ging.

Tanja wurde von Verzweiflung gepackt, als sie allein war. Sie starrte ihr Spiegelbild an und hasste sich. Sie ging hart mit sich ins Gericht.

Was war nur mit ihr? Was war aus ihr geworden seit damals, als sie siebzehn war und zum ersten Mal verliebt? Ja, in Wolf war sie verliebt gewesen, himmelhochjauchzend sogar. Wolf war ein Studienfreund von Victor gewesen. Auf einem Sommerfest hatten sie sich kennengelernt und vier Wochen hatte dann dieses Glück gedauert. Dann kamen die Eltern ums Leben, und etwas war in Tanja zerbrochen. Sie konnte nicht mehr glücklich sein, sie wollte es nicht. Sie wollte nie mehr einen Menschen verlieren, den sie liebte, wollte an niemanden ihr Herz hängen.

Wann immer ihr später ein Mann begegnete, der ihr gefiel, hatte sie sich zurückgezogen in ihr Schneckenhaus. Nichts geben, nichts nehmen, war ihre Devise gewesen. Doch mit Peter Dallberg hatte sie ein gefährliches Spiel begonnen. Sie wusste, wie viele Frauen er sitzen gelassen hatte, und diesmal wollte sie es sein, die ihm eine Lehre erteilte. Aber sie hatte zu hoch gepokert. Sie hatte nicht einkalkuliert, dass er sie, gerade sie, mit allen Mitteln an sich binden wollte. Und dann hatte sie den Grund erfahren. Er brauchte Geld, und sie hatte es. Das Geld, das er mit anderen Frauen vergeudet und am Spieltisch verloren hatte, wollte er sich bei ihr wiederholen – skrupellos.

Immer noch starrte Tanja ihr Spiegelbild an. Sie hatte ihr Gesicht verloren, und dabei konnte sie doch nur sich selbst die Schuld an der ganzen Misere geben.

Viola hatte sie vor Dallberg gewarnt, und sie hatte gewusst, dass diese Warnungen nicht aus der Luft gegriffen waren. Plötzlich empfand sie auch Zorn gegen Viola. Warum heiratete sie Victor nicht? Warum lebte sie nur mit ihm zusammen? Einen anständigeren Mann als Victor gab es doch gar nicht. Tanja empfand es als Beleidigung für ihren Bruder, dass Viola nicht seinen Namen tragen wollte. Breken war ein guter Name. Und Victor liebte Kinder. Er wollte Kinder haben, und er würde ein guter Vater sein.

Ein Peter Dallberg würde niemals ein guter Vater sein. Aber schmücken würde er sich schon mit einem hübschen Kind. Nein, sie wollte kein hübsches Kind zur Welt bringen, kein gesundes Kind.