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Trutz Hardo

Wiedergeburt

Die Beweise

… und die Bebeutung für
ein neues Bewusstsein

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Der Junge, der wieder mit seiner früheren Frau zusammenwohnt

USA · Sunny

Beginnen möchte ich mit einer Geschichte, die mir Dr. Tag Powell, ein mit mir befreundeter amerikanischer Verleger, Seminarleiter und Buchautor, während der Buchmesse in Frankfurt anvertraute.

»Weißt du Tom (so werde ich von meinen Freunden genannt), ich kann dir eine Geschichte über einen Fall von Reinkarnation erzählen, der derart erstaunlich ist, dass er wohl jeden Skeptiker in einen überzeugten Anhänger der Reinkarnation verwandeln würde. Jedoch bin ich nicht befugt, den Namen des Ehepaares und den ihres Sohnes preiszugeben. Ich bin sicher, dass du jenes Ehepaar zumindest vom Namen her kennst, denn er ist ein bekannter Autor und gibt mit seiner Frau in ganz Amerika Seminare und hält Vorträge.« Zu gerne hätte ich den Namen dieses Paares erfahren, aber ich wollte Tag nicht sein Versprechen brechen lassen, das er jenem Ehepaar gegeben hatte. Dennoch fragte ich: »Hält er Seminare über spirituelle Themen wie Reinkarnation oder Astrologie?« »Nein, nein«, unterbrach mich Tag, »er ist ein ›bloody scientist‹ (überzeugter Wissenschaftler), und eines seiner Bücher ist zu einem landesweiten Bestseller geworden. Er ist Inhaber vieler Patente. Seine Frau ist ebenfalls Wissenschaftlerin und Autorin. Beide haben einen Sohn, den ich Michael nennen möchte. Als Baby wollte er unbedingt die Rolexuhr seines Vaters in seinen Händen halten. Er griff immer wieder danach. Als er die ersten Worte sprechen konnte, deutete er auf die Uhr und sagte ›mein‹. Eines Tages, als die Eltern ihn beim Namen nannten, deutete er auf sich und sagte: ›Sunny.‹ Er bestand so lange energisch darauf, Sunny genannt zu werden, bis die Eltern sich darauf einließen und ihn also Sunny nannten. Wenige Monate später sagte der Knirps und deutete auf sich: › Ich Sunny Ray.‹

Die Mutter ließ sich schnell auf diesen Namen ein, bedeutete er doch › Sonnenschein‹, so dass sie ihn von nun an ›mein kleiner Sonnenschein‹ (my little sun ray) nannte. Eines Tages sagte er, dass er eine Frau habe, die Dawn heiße, und dass sie beide in Texas gewohnt hätten. Im jetzigen Zuhause wurde meist nur klassische Musik gehört. Wenn jedoch einmal aus dem Radio ein Country oder Western-Song ertönte, sang Michael mit, ja, er schien sogar die Texte zu kennen. Eines Tages sah sich Michael mit der Mutter ein Buch mit den Abbildungen von Hunden an. Plötzlich deutete er auf einen weißen Spitz und rief aufgeregt: ›Das ist Willy, das ist mein Hund!‹ Die Eltern selbst hatten trotzdem nie ernsthaft daran gedacht, dass ihr Sohn irgendetwas aus einem früheren Leben erzählen könnte.

Einige Zeit später – ihr Sohn war damals sieben Jahre alt geworden – hielt dieses Ehepaar ein Seminar in Texas ab. Eine der Teilnehmerinnen hieß Dawn Ray, und in einer Pause sprach Michaels Vater jene Frau an und fragte sie, ob sie verheiratet sei. Sie verneinte und entgegnete: ›Ich bin seit acht Jahren verwitwet.‹ ›Wie hieß Ihr Mann mit Vornamen?‹ ›Sunny‹, sagte sie. Das Ehepaar schaute sich verwundert an. Sie baten jene Frau, nach dem Seminar doch bitte in ihr Hotel zu kommen, denn sie hätten ihr etwas Wichtiges mitzuteilen. Dort erklärten sie ihr, dass sie einen Sohn hätten, der behauptete, in einem früheren Leben mit einer Dawn Ray aus Texas verheiratet gewesen zu sein. › Hatten Sie eigentlich einen weißen Spitz?‹, fragte Michaels Mutter. ›O ja, es war unser Willy. Sunny und er waren unzertrennlich!‹ Frau Ray war nun ganz erpicht darauf, Michael kennenzulernen. Die Eltern riefen zu Hause an und arrangierten den Flug, so dass der Siebenjährige schon zwei Tage später zu ihnen kommen konnte. Sie hatten ihrem Sohn am Telefon aber nicht verraten, warum er so plötzlich nach Texas fliegen sollte.

Als ihr Sohn landete, brachten sie ihn gleich, wie abgemacht, zu jenem Haus, in dem Frau Ray wohnte. Als diese die Tür öffnete, erkannte der Junge sie sogleich und rief erfreut aus: ›Dawn!‹ Er breitete seine Arme aus und fiel der verdutzten Frau Ray in die Arme, umarmte sie und gab ihr einen dicken Kuss auf die Wange.

Schließlich nahmen alle im Wohnzimmer Platz. Die noch immer skeptische Frau Ray fragte Michael, ob er dieses Haus kenne, doch er verneinte es. Sie erklärte daraufhin, dass sie erst zwei Jahre nach Sunnys Tod in dieses Haus gezogen sei. Daraufhin fragte Michael, ob sie seine Gitarre aufgehoben hätte. Frau Ray war über diese Frage sehr erstaunt, ging zu einem Schrank hinüber und entnahm diesem eine Gitarre, die sie in die ausgestreckte Hand des Jungen legte. Wie ein geübter Gitarrenspieler nahm Michael dieses Instrument in seine Hand, und obwohl die Grifffläche nicht für die Hand eines Siebenjährigen geeignet war, begann er nach einigen Versuchen ein bekanntes Country-Lied zu spielen und dazu zu singen. Dies versetzte besonders seine Eltern in Erstaunen, hatte ihr Sohn ihres Wissens nach doch noch nie Gitarre gespielt. Danach fragte er Frau Ray, die er nur noch Dawn nannte, ob sie auch seine Uhr aufgehoben habe. Sie holte eine Schachtel herbei, in der sich die Uhr befand. Es war eine Rolex, eine genaue Kopie von jener, die sein Vater trug. Dann fragte er sie nach seiner Kamera. Doch die Eltern wollten zuerst von ihm wissen, wie sie aussah. Als er sie beschrieben hatte, holte Dawn jene Kamera hervor, die genau so aussah, wie Michael sie beschrieben hatte. Auch seine Pfeife, die er anschließend haben wollte, musste er zuerst genau beschreiben.«

Tag schloss seine Berichterstattung mit der Bemerkung: »Ich hätte gerne jenem Abend beigewohnt.« »Ich auch«, entfuhr es mir. »Mensch, Tag, das ist wirklich eine tolle Geschichte!« »Aber das Tollste kommt erst noch«, fuhr er fort. »Dawn verkaufte ihr Haus, zog zu jener Familie nach Kalifornien und kümmerte sich um Michael, da seine Eltern doch meistens auf Reisen waren. Später zog sie nach New York. Michael hatte jedoch so große Sehnsucht nach Dawn, dass die Eltern es ihm gestatteten, trotz seiner damals nur vierzehn Jahre zu ihr nach New York zu ziehen, wo sie seitdem zusammenleben.« »Wenn diese Geschichte sich wirklich so oder ähnlich abgespielt haben sollte, dann ist sie eine Sensation ersten Grades«, sagte ich. »So wahr ich hier stehe, Tom, diese Geschichte hat sich wirklich ereignet.«3

Liebe Leserin und lieber Leser, mir ist vor Spannung damals wohl fast der Mund offen stehen geblieben. Vielleicht wäre es Ihnen ebenso ergangen. Und nun nochmals ein Wort an die verehrten Skeptiker, die auf keinen Fall an die Reinkarnation zu glauben geneigt sind und trotzdem diesen Bericht gelesen haben könnten: Jetzt haben Sie noch die Gelegenheit, das Buch schnellstens aus der Hand zu legen, denn sonst könnte es sein, dass Sie zugeben müssten, dass doch etwas an der Reinkarnation dran sein könnte. Den übrigen Leserinnen und Lesern möchte ich aber nun über weitere erstaunliche und nicht anzuzweifelnde Fälle berichten.

Als Neffe wiedergeboren

USA · Joseph

Der Journalist Tom Shroder4 begleitete den Reinkarnationsforscher Professor Ian Stevenson nach Indien und in den Libanon, um sich jeweils vor Ort als objektiver Beobachter über dessen Forschungsarbeit zu informieren. Doch sogar nur wenige Dutzend Kilometer von Stevensons Universität in Virginia entfernt, wartete am Hang der Blue Mountains auf beide ein interessanter Fall, zu welchem der Professor den Journalisten einlud. Stevenson war kein Unbekannter mehr für jene Familie, denn er hatte schon früher den Fall des sich an sein früheres Leben erinnernden Joseph untersucht. Jetzt war dieser neun Jahre alt. Schon als man ihm in jungen Jahren ein Foto des verstorbenen Onkel David zeigte, sagte er, dass dieser wie er selbst aussehe, obwohl keinerlei Ähnlichkeiten erkennbar waren. David war noch als heranwachsender Teenager bei einem Traktorunfall unter die Räder gekommen, die über seinen Brustkorb rollten. Die durch die gebrochenen Brustwirbel eingequetschten Lungen führten zu seinem schnellen und doch qualvollen Tod. Bei dem Wiedergeborenen stellten sich von der Geburt an asthmatische Zustände ein, die ihn auch späterhin daran hinderten, regelmäßig die Schule zu besuchen. Wir wissen aus der Rückführungstherapie, dass die im Tod erlebten Ängste wie auch die körperlichen Schmerzen sich sehr häufig schon im anschließenden Leben wieder bemerkbar machen.

David war zwanzig Jahre vor der Geburt von Joseph gestorben. Er hatte zwei Schwestern: Jenny und Jennifer; Letztere war die Mutter von Joseph. Niemand in der Familie hatte David gegenüber den Namen des verstorbenen Onkels erwähnt. Doch er nannte seine Mutter »Jenny« und seine Großmutter, also Davids Mutter, wie im vorausgegangenen Leben mum. Mit der Zeit erinnerte er sich mehr und mehr an sein früheres Leben. So sagte er einmal zu ihr: »Weißt du noch, als ich und Papa auf das Dach stiegen, um das Dach für dich rot anzustreichen? Meine Füße und Beine waren dann ganz rot verschmiert, und du hast sehr mit mir geschimpft.« Die Großmutter erinnerte sich wieder an dieses seitdem nie wieder erwähnte Ereignis und sagte zu Jenny: »Das war David, der zu mir sprach.«

Als sie einmal mit dem Auto eine bestimmte Strecke fuhren, bemerkte er: »Als ich damals hier aufwuchs, gab es an dieser Stelle noch keine Häuser. Damals war hier noch Wald, in dem wir jagen gingen.« Und an einer anderen Stelle sagte er, dass es dort früher ein Maisfeld gegeben habe, in dem er mit Garth und Stanley Maiskolben geerntet hatte. Und seine Großmutter, Mutter und Tante bestätigten seine Aussagen. Auch als er mit seiner Mutter Schuhe kaufen wollte, bestand er hartnäckig darauf, dass seine Schuhgröße acht sei, obwohl solche Schuhe noch viel zu groß für ihn waren. Um ihn zu beruhigen, kaufte ihm die Mutter dennoch die Schuhe in Größe 8, denn David hatte diese Größe getragen. Zu seiner Tante, seiner früheren Schwester, sagte er schließlich eines Tages: »Warum spielen wir nicht mehr mit der Wäsche auf den Leinen, wie wir es damals gemacht haben?« Und tatsächlich hatten die beiden Schwestern mit David zwischen den aufgehängten Wäschestücken Verstecken gespielt.

Es gibt viele, viele Fälle, in denen sich Wiedergeborene in der eigenen Familie reinkarnieren. Denn in den meisten Fällen darf sich jede Seele für eine Wiedergeburt die Eltern und somit das Land für ein wiederholtes Erdenleben aussuchen. Nur ganz jungen Seelen – also bei solchen, die, wie der griechische Philosoph Pythagoras meint, noch relativ wenige Male reinkarniert waren – werden die Eltern zugeteilt.

Bei denselben Eltern als Zwillinge wiedergeboren

England · Pollock-Zwillinge

Am 5. Mai 1957 wurden in Hexham, England, die elfjährige Joanna und ihre sechsjährige Schwester Jacqueline auf dem Bürgersteig von dem Auto einer durch Drogen halb bewusstlosen Frau überfahren. Obwohl die Trauer der Eltern über den Verlust ihrer einzigen Kinder groß war, konnten sie nach einigen Monaten der Fahrerin in einem Brief vergeben.5

Als Frau Pollock ein Jahr später wieder schwanger wurde, offenbarte ihr nach einer Eingebung der Ehemann, dass sie Zwillinge, zwei Mädchen, zur Welt bringen würde, und diese beiden seien niemand anderes als ihre beiden verstorbenen Töchter. Obwohl Frau Pollock sich daraufhin untersuchen ließ und ihr vom Gynäkologen versichert wurde, dass es sich nicht um Zwillinge, sondern nur um einen hörbaren Herzschlag, also um ein Kind handele, war Herr Pollock weiterhin davon überzeugt, dass seine Eingebung richtig gewesen war.

Und er sollte recht behalten. Am 4. Oktober 1958 wurde Frau Pollock Mutter von zwei eineiigen Mädchen. Die zehn Minuten früher Geborene erhielt den Namen Gillian, die als zweite Geborene den Namen Jennifer.

Als der Vater seine neuen Töchter bewundert hatte, fiel ihm plötzlich eine Narbe auf, die seine verstorbene jüngere Tochter Jacqueline genau an derselben Stelle (oberhalb der rechten Augenbraue) gehabt hatte. Jene hatte sich die Wunde mit etwa drei Jahren bei einem Sturz zugezogen, und es war eine Narbe auf der Stirn zurückgeblieben. Außerdem entdeckte er zu seiner großen Überraschung, dass an der gleichen Körperstelle, an welcher Jacqueline ein daumengroßes braunes Muttermal gehabt hatte, sein jüngstes Zwillingstöchterchen nun ebenfalls solch einen Fleck besaß. All dies waren für ihn Beweise, dass das, was ihm in jener Eingebung mitgeteilt worden war, richtig war, dass nämlich Gillian und Jennifer tatsächlich seine wiedergeborenen ersten Töchter waren. Frau Pollock jedoch, als strenge Katholikin, wies die Lehre von der Reinkarnation immer noch von sich, bis Folgendes passierte:

Als die Zwillinge vier Monate alt waren, zogen die Pollocks an einen anderen Ort, um erst zweieinhalb Jahre später zu Besuch nach Hexham zurückzukehren. Und zu dem Erstaunen der Eltern kannten sich die beiden Töchter in dieser Ortschaft bestens aus. Ohne das Schulhaus sehen zu können, denn es war noch von der Kirche verdeckt, sagte die eine: »Die Schule ist gleich um die Ecke.« Und die andere Tochter wies auf einen Hügel und sagte: »Dahinter war unser Spielplatz. Dort gab es eine Rutsche und eine Schaukel.« Auch auf ihr früheres Haus zugehend, erkannten es beide Schwestern sogleich wieder. Doch noch immer wollte Frau Pollock nicht daran glauben, dass ihre Zwillinge die wiedergeborenen verstorbenen Töchter waren.

Als die Zwillinge vier Jahre alt waren, öffnete Herr Pollock eine seit über drei Jahren verschlossene Kiste, in welcher das Spielzeug seiner ersten Kinder verwahrt war, und legte einiges davon vor die Schlafzimmertür der Zwillinge. Er wollte sehen, ob diese ihre früheren Spielsachen wiedererkannten. Als die Töchter aus dem Zimmer kamen – und die Mutter stand davor, um als Zeugin ihrer Reaktionen dabei zu sein –, hob Jennifer die erste Puppe hoch und sagte: »Oh, das ist Mary! Und (die zweite Puppe hochhebend) das ist meine Susanne! Ich habe sie seit langem nicht mehr gesehen.« Sie nannte damit dieselben Namen, die Jacqueline damals ihren beiden Puppen gegeben hatte. »Die hat uns damals der Weihnachtsmann gebracht.« Und zu Gillian gewandt, deutete sie auf ein anderes Spielzeug und sagte: »Und das ist deine Waschmaschine.« Nun war auch Frau Pollock davon überzeugt, dass ihre Zwillinge wirklich ihre beiden früheren Töchter waren und dass ihre Kirche sich irren musste, indem sie den Glauben an die Wiedergeburt von sich wies. Beide wiedergeborenen Kinder waren zudem übervorsichtig beim Überqueren von Straßen und zeigten Angst vor herannahenden Autos. Die ältere Gillian kämmte besonders gern die Haare von anderen und ganz besonders gern das Haar ihres Vaters – genau diese Vorliebe war auch bei der tödlich verunglückten Joanna zu finden gewesen. Joanna war fünf Jahre älter als ihre Schwester Jacqueline gewesen, doch beide waren schon damals Hand in Hand miteinander herumgelaufen und schienen unzertrennlich. Jacqueline hörte immer auf ihre ältere Schwester, und was jene sagte, war für sie Gesetz. Das gleiche Verhalten tauchte nun auch bei den Zwillingen wieder auf. Die um zehn Minuten Jüngere überließ ihrer Schwester die Entscheidungen und befolgte, was diese ihr sagte. Beide gingen wieder wie vormals Hand in Hand, und wie schon die verstorbenen Schwestern schien die eine nie etwas anderes als die andere zu tun.6

Wären Sie, verehrte Leserin und verehrter Leser, nicht ebenfalls wie Frau Pollock trotz eines eventuell strikten Kirchenglaubens davon überzeugt, dass es die Reinkarnation doch gibt, wenn Sie solche Töchter hätten, die Ihnen den Beweis für die Reinkarnation quasi frei Haus liefern würden? In Tausenden von Fällen – und einige davon werden wir uns noch näher betrachten – haben sich bei Eltern solche und ähnliche Dinge mit ihren Kindern abgespielt. Die meisten Eltern verbieten ihren Kindern jedoch leider, über solche Dinge zu sprechen. Es mag ihnen unheimlich vorkommen, denn das, was die Kinder sagen, widerspricht ihrem Glauben. Auch darf auf keinen Fall etwas von dem Vernommenen nach draußen dringen, denn was könnten dann die Nachbarn von einem denken?

In Indien ist der Glaube an die Reinkarnation weit verbreitet, und man kann offen zu anderen darüber reden, was man in einem früheren Leben erlebt hat. Dennoch verbieten auch in Indien viele Eltern ihren Kindern, Erinnerungen an frühere Leben zu äußern, glauben sie doch daran, dass Kinder, die sich an frühere Leben erinnern, früh sterben oder eventuell Heimweh nach ihrer Familie aus dem vorausgegangenen Leben bekommen könnten und sich, so Letztere wiederaufgefunden werden sollte, mit dieser wieder vereinen möchten.

Schon bevor Professor Ian Stevenson sich daranmachte, die Reinkarnation wissenschaftlich zu erforschen, hat es in Indien in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts einen Fall über eine Wiedererinnerung gegeben, der damals weit über die Grenzen hinaus bekannt geworden ist, da neben den parapsychologisch ausgerichteten Zeitschriften auch andere darüber berichteten. Es handelt sich um den Fall der Shanti Devi.

Die Mutter umarmt ihren Sohn, der älter ist als sie selbst

Indien · Shanti Devi

Obwohl Shanti Devi – am 11. Dezember 1926 in Delhi geboren – als Kind nur wenig sprach, begann sie schon im Alter von drei Jahren davon zu reden, dass ihr Zuhause in Mathura sei, einer Stadt zwischen Neu Dehli und Agra. Als sie vier Jahre alt war, erzählte sie mehr aus ihrem früheren Leben, auch davon, dass sie verheiratet sei. Ihre Schwestern zogen sie mit ihrem angeblichen Ehemann und anderem auf, so dass die Mutter die Kleine, die sich gegen die Schwestern beharrlich verteidigte, oft in Schutz nehmen musste. Shanti erzählte ihr, dass sie aus einem vornehmeren Hause komme und dass ihr jetziges Haus nicht ihr Zuhause sei. Und zu ihrer Mutter gewandt sagte sie: »Du bist nicht meine wirkliche Mutter. Du siehst nicht so aus wie sie.« Sie beschrieb ihr weiterhin, dass ihr Mann früher einen Tuchwarenladen hatte und ihr Haus in Mathura ganz gelb angestrichen sei. Die Eltern wollten all dem jedoch keinen Glauben schenken, doch eines Tages weigerte sich Shanti sogar, das aufgetischte Essen zu sich zu nehmen. Auf die Frage, warum sie nicht essen wolle, antwortete sie: »Ich will satvatisches Essen.« »›Satvatisches Essen?‹ Wo hast du denn diesen Ausdruck her? Niemand hat diesen Ausdruck je gebraucht.« »Dieses Wort gebrauchen wir in Muttra (Mathura). Wir essen kein Fleisch. Es ist nicht recht, dass man Tiere isst. Es ist ein furchtbares Verbrechen. Dennoch essen Menschen Fleisch, jedoch wir essen keines.« Auf die Frage der Mutter hin, wen sie denn mir »wir« meine, entgegnete die Vierjährige, dass sie damit die Familie ihres Mannes meine. »Ich persönlich übernehme es, dass mein Mann nur satvatisches Essen bekommt. Selbst unsere Diener dürfen sein Essen nicht zubereiten. Wenn er von seinem Laden beim Dwarkadhish-Tempel nach Hause kommt, serviere ich ihm das Essen. Vorher schmecke ich es ab. Er möchte es so haben.« Der Vater war einsichtig genug, der Tochter zu gestatten, fortan nur vegetarische Speisen zu essen.

Als die Tochter einmal nicht im Raum war, sagte Frau Bahadur zu ihrem Mann: »Was haben wir wohl in einem früheren Leben angestellt, dass wir jetzt von solch einem schlimmen Karma heimgesucht werden, indem wir mit einer solch geisteskranken Tochter bestraft worden sind?« Und ihr Mann entgegnete: »Wenn es wahr ist, dass sie sich an ein früheres Leben erinnert, dann wartet ein Unglück auf sie. Das sagen schon die alten Schriften.« Er bezieht sich mit dieser Bemerkung auf den Text der vedischen Schriften, in denen es heißt, dass ein Kind, das sich an frühere Leben erinnert, früh sterben werde. Um dies zu vermeiden, verboten Herr Bahadur und seine Frau ihrer Tochter, weiterhin über ihr früheres Leben in Mathura zu sprechen – in der Hoffnung, dass sie somit ihre Erinnerungen daran bald verlieren würde.

Doch Shanti sprach auch weiterhin über ihr früheres Leben – sogar zu Besuchern, die ins Haus kamen. Sie hegte immer die Hoffnung, dass wenigstens einer von diesen ihr Glauben schenken und sie auf ihr Bitten hin nach Mathura bringen möge. Selbst als sie in die Schule ging, machte sie den Mitschülern und den Lehrern gegenüber öfter Bemerkungen, die sich auf ihr früheres Leben bezogen. Ihre Mitschüler machten Scherze darüber, dass sie verheiratet sei und einen Sohn habe. Doch ihr Klassenlehrer, mit der Familie Bahadur verwandt, interessierte sich für ihren Fall und fragte sie nach vielen Einzelheiten. Er bat sie, ihm den Namen ihres früheren Gatten zu nennen. Für eine Hindu-Frau geziemt es sich jedoch nicht, den Namen ihres Mannes zu nennen. So entgegnete sie vielmehr: »Wenn ich ihn sehe, werde ich ihn erkennen.« Als der Lehrer ihr schließlich versprach, sie zu ihm nach Mathura zu bringen, wenn sie ihm den Namen nennen würde, sagte sie schließlich: »Mein Mann heißt Pandit Kedernath Chobey.« Nachdem sie ihm auch noch die volle Anschrift genannt hatte, berichtete er seinem Freund, dem Direktor der Schule, über diese Neuigkeiten, und beide beschlossen, auf gut Glück einen Brief an jene Adresse zu schreiben, der folgendermaßen lautete:

»Hochverehrter Herr!

Ich habe ein Mädchen kennengelernt, das Shanti Devi heißt und in Delhi in dem Stadtteil Chirakhana wohnhaft ist. Sie ist die Tochter des Geschäftsmannes Rang Bahadur Mathur. Sie ist immer noch ein Kind, das noch nicht neun Jahre alt ist, doch sie ist in der Lage, sehr erstaunliche Einzelheiten über Sie zu berichten. Folgendes behauptet sie: ›In meinem früheren Leben war ich eine Chobey aus Mathura. Ich gehörte der Brahmanenkaste an, und mein Ehemann hieß Kedernath. Er hatte einen Laden in der Nähe des Dwarkadhish-Tempels. Die Farbe meines Hauses war gelb. Ich hieß Lugdi Devi.‹ Darf ich Sie, verehrter Pandit, damit belästigen und Sie bitten, mich freundlicherweise darüber in Kenntnis zu setzen, ob an diesen Behauptungen irgendetwas Wahres sein könnte. Hat eine Lugdi Devi existiert? Und lassen Sie mich bitte wissen, wenn es Sie überhaupt gegeben haben sollte.

Möge Gottes Segen auf Ihnen ruhen,

mit größter Ehrerbietung

Ihr Lala Kishan Chand, Direktor der Ramja Schule, Daryganj, Delhi.«

Wie groß war beider Lehrer Erstaunen, als sie einige Wochen später einen Antwortbrief von eben jenem Mann in den Händen hielten, der folgendermaßen lautete:

»Lala Kishan Chand, Direktor der Ramja Schule, Daryganj, Delhi.

Ich war äußerst überrascht und sogar ganz aufgeregt, als ich Ihren Brief las. Das, worüber Sie geschrieben haben, ist absolut richtig. Ich hatte eine Frau, die Lugdi Devi hieß. Sie ist verstorben. Ich habe zudem wirklich einen Laden in der Nähe des Dwarkadhish-Tempels. Wer ist jenes Mädchen, das dies alles weiß?«

Herr Chobey, der wissen wollte, ob jenes Mädchen wirklich seine verstorbene Ehefrau war, hatte einen – wie in dem obigen Brief im Weiteren angekündigt – in Delhi wohnenden Cousin gebeten, das Haus von Shanti Devis Eltern aufzusuchen, um mehr über deren Tochter zu erfahren und Letztere zugleich zu testen, ob sie sich wirklich an ihn und ihr gemeinsames früheres Leben erinnern könne. Als dieser Cousin Shanti nun gegenübertrat, erkannte sie ihn sofort als einen jüngeren Cousin ihres Mannes und nannte ihn beim Namen. Shanti fragte ihn nun nach ihrem Sohn Nabanita Lall, ob er noch lebe und es ihm gut ginge. Sie beschrieb ihm die Räumlichkeiten ihres damaligen Hauses und auch die des Tuchladens, der sich direkt vor dem Dwarkadhish-Tempel befand. Der Cousin ihres früheren Mannes war von all ihren exakten Angaben so beeindruckt, dass er Herrn Chobey nicht, wie mit ihm abgemacht, brieflich über seine Eindrücke berichtete, sondern sogleich zu diesem reiste, um ihm zu sagen, dass Shanti Devi wirklich seine frühere Frau sei.

Von seinem Cousin nun neugierig gemacht, beschloss Herr Chobey, mit seiner jetzigen Frau, dem Sohn aus erster Ehe und seinem Cousin nach Delhi zu reisen, um dieses Mädchen selbst in Augenschein zu nehmen. Als sie dort ankamen, war Shanti gerade in der Schule. Es war vorher abgemacht worden, dass Herr Chobey sich bei Shantis Familie nicht als solcher, sondern als dessen älterer Bruder vorstellen sollte, um das Mädchen wiederum einem Test zu unterziehen und um sicherzugehen, dass dessen Familie eigentlich nicht wissen konnte, wer wirklich gekommen war. So konnten sie die Tochter nicht vorher noch informieren. Als die Achtjährige aus der Schule nach Hause kam, wurde ihr gesagt, dass im Zimmer nebenan Besuch für sie gekommen sei.

Als sie das Zimmer betrat, erkannte sie sofort ihren früheren Ehemann. Ohne ein Wort zu sagen, jedoch mit Freude in den Augen, neigte sie ihren Kopf in scheuem Respekt vor ihm und stellte sich, wie es sich für eine Hinduehefrau in Gegenwart des Gatten gebührt, neben seine Seite. Man fragte sie, warum sie das täte, denn der Mann neben ihr sei doch nur der ältere Bruder von Herrn Chobey. Doch Shanti erwiderte in aller Ruhe: »Nein, er ist mein Ehemann. Ich habe euch immer von ihm erzählt.« Und als ihr Blick nun auf den zehnjährigen Jungen fiel, wusste sie sofort, dass es ihr Sohn war. Sie umarmte ihn und weinte lange. Dann forderte sie ihre Mutter auf, all ihre eigenen Spielsachen herbeizuholen, um sie ihrem Sohn Nabanita zu überreichen. Als diese zögerte, rannte sie selbst los und kehrte wenig später mit all ihren Spielsachen zurück. Obwohl sie etwas mehr als ein Jahr jünger als Nabanita war, konnte jeder in ihren Blicken und in ihren Gesten eine mütterliche Liebe wahrnehmen. Da Shanti von all dem selbst so sehr gerührt war, musste sie öfter weinen und steckte schließlich auch alle Anwesenden mit ihren Tränen an.

Schnell hatte sich in der Nachbarschaft dieses außergewöhnliche Familienzusammentreffen herumgesprochen, so dass sich in kürzester Zeit eine große Anzahl von Neugierigen einfand.

Herr Chobey schlug vor, in einer offenen Pferdekutsche zusammen irgendwo hinzufahren, um dem Trubel zu entgehen. Bei dem Spaziergang gingen Shanti und Nabanita Hand in Hand. Zurückgekehrt, bat die Tochter ihre Mutter, ein Mahl herzurichten, und sie nannte dabei all jene Gerichte und Zutaten, die ihr Mann besonders gerne mochte. Auch erkannte sie ihre früheren Schmuckstücke wieder, die Herrn Chobeys jetzige Frau trug. Nach dem Essen fragte sie ihren Mann, warum er wieder geheiratet hätte: »Hatten wir nicht abgemacht, dass keiner nach dem Tod des anderen wieder heiraten würde?« Herr Chobey, wie später Shantis Vater dem Journalisten Jeffrey Iverson berichtete, blickte verlegen nach unten. Später forderte er Shanti auf, ihm noch mehr über ihr Haus zu erzählen. Und Shanti antwortete: »Im Inneren des Hauses gibt es einen Hof. Dort befindet sich der Brunnen. Ich habe mich oft auf dessen Rand gesetzt, um dort mein Bad zu nehmen.« Noch viele andere Fragen mit Bezug auf ihre frühere Verwandtschaft wurden gestellt. Herr Chobey fragte Shanti beispielsweise, wie es komme, dass sie ihren Sohn sogleich als solchen wiedererkannt habe, denn am Tage ihres Todes war er erst neun Tage alt gewesen. Shanti, wie eine Weise, sagte spontan: »Er ist mein Leben. Mein Leben hat sein Leben wiedererkannt.« Herr Chobey bat darum, dass er sich mit Shanti und seiner Frau zurückziehen könne, denn er wolle mit Ersterer über private Dinge reden. Als er schließlich mit ihr zurückkehrte, verkündete er: »Niemand außer meiner früheren Gattin und ich könnten diese Dinge wissen. Dieses Mädchen ist meine verstorbene frühere Frau Lugdi. Ich habe nicht mehr die geringsten Zweifel daran.«

Und Sie, verehrte Leserin und verehrter Leser, haben Sie noch Zweifel an der Echtheit dieses Erlebnisses? Jedoch ein ausgemachter Kritiker zweifelt alles an, was nicht in sein Weltbild passt, ganz egal, wie glaubwürdig es auch dargestellt sein mag. Dass ein Mensch kritisch ist, ist selbstverständlich löblich, solange er bereit ist, die Dinge genau zu überprüfen und sich dann unvoreingenommen dafür zu entscheiden, was er akzeptieren kann und was nicht. Ein solcher unvoreingenommener Kritiker sollte aber auch den Mut zur Wahrheit haben – und so er einmal etwas als wahr erkannt hat, sich auch dazu zu bekennen. Doch noch ist unsere Geschichte von Shanti Devi nicht zu Ende erzählt …

Die Ereignisse sprachen sich in Windeseile herum. Die Zeitung Indian Press schickte ihre Reporter, und am folgenden Tag konnten Millionen von Lesern über diese Sensation lesen. Von verschiedenen Seiten bedrängte man nun Herrn Bahadur, Shanti Devis Wunsch nun endlich zu erfüllen und sie nach Mathura fahren zu lassen. Doch Herr und Frau Bahadur befürchteten, die Tochter dort an die frühere Familie zu verlieren, weshalb sie strikt ablehnten. Mahatma Gandhi, der sich an diesem Fall von der Rückerinnerung eines Mädchens an ein früheres Leben sehr interessiert zeigte, beschloss nun in eigener Person, Shanti Devi aufzusuchen, um zum einen persönlich die verschiedensten Fragen an sie zu stellen und um zum anderen die Eltern zu bitten, die Tochter nach Mathura reisen zu lassen. Den Bitten eines solchen Mannes, den die Inder schon zu Lebzeiten als eine Gottheit verehrten, konnten sich Herr und Frau Bahadur nicht verschließen. Schließlich wurde sogar ein Komitee gebildet, um diesen Fall wissenschaftlich zu untersuchen. Diesem gehörten fünfzehn ausgesuchte Honoritäten an, unter anderen der Herausgeber einer der größten indischen Zeitschriften, ein Rechtsanwalt und ein Abgeordneter des indischen Parlamentes. Sie entschieden, dass sie Shanti Devi nach Mathura begleiten wollten, um an Ort und Stelle ihre Angaben überprüfen zu können. Sie selbst war in diesem Leben noch nie dort gewesen, und auch ihr Vater versicherte eidesstattlich, nie in Mathura gewesen zu sein.

Am 24. November 1935 – zwölf Tage, nachdem Herr Chobey Shanti in Delhi besucht hatte – bestiegen Shanti Devi, ihre Eltern und das ganze Komitee, begleitet von Journalisten, den Zug, der sie innerhalb von drei Stunden nach Mathura bringen sollte. Im Zug erwähnte die fast Neunjährige, als jemand die augenblickliche Uhrzeit erwähnte, dass in Mathura um diese Zeit die Pforten des Dwarkadhish-Tempels geschlossen würden. Anstatt des Wortes Tor, wie es in ihrer Hindisprache lautete, gebrauchte sie ein Spezialwort, wie es nur in der Gegend von Mathura gebräuchlich war.

Als sie in jener Stadt ankamen, hatten sich Abertausende von Schaulustigen, durch die Zeitungen auf die Ankunft Shanti Devis vorbereitet, vor dem Bahnhof versammelt. Ein großer Mann mit einem Turban auf dem Kopf und einem Stock in der Hand bahnte sich seinen Weg durch die Menge, stellte sich vor das Mädchen und sagte: »Kennst du mich?« Shanti beugte sich in Ehrfurcht herab und berührte seine Füße. Daraufhin erhob sie sich. Zu einem der Komiteemitglieder sagte sie: »Dies ist der älteste Bruder meines Mannes.« Als sie nun in einem offenen Pferdewagen durch die Straßen fuhren, konnte sie genau sagen, welche der Straßen früher noch nicht geteert gewesen waren, und vermochte auch die Häuser zu bezeichnen, die vorher noch nicht dort gestanden hatten. An einer Kreuzung angekommen, stieg sie vom Wagen herunter und führte das Komitee zu ihrem Haus, das von einer riesigen Menge von Menschen umstanden war. Dort wartete ein älterer Mann in der Kleidung eines Brahmanen. Sie verbeugte sich vor ihm und sagte: »Dies ist mein Schwiegervater.« In der Menge entdeckte auch sie den fünfundzwanzigjährigen Bruder und den Bruder ihres Schwiegervaters aus ihrem früheren Leben. Zu ihrem Erstaunen war das Haus jedoch nicht gelb, wie sie es in Erinnerung hatte. Man sagte ihr nun, dass das Haus nach ihrem Tod in den Besitz anderer übergegangen war und dass die neuen Besitzer es in einer anderen Farbe gestrichen hätten. Als man sie durch das Haus führte und sie auf die vielen Veränderungen hinwies, sagte einer der Anwesenden, ob sie wisse, wo die »Jajarie Khann« sei. Dieses Wort wird nur in dieser Gegend gebraucht, es wäre einem Hindumädchen aus Delhi also unbekannt gewesen. Doch Shanti ging zielstrebig die Treppe nach unten und zeigte auf die Toilette.

Am Nachmittag nahm ein Mitglied des Komitees Shanti der Menge wegen auf die Schultern, denn ihre Aufgabe war es nun, ein anderes Haus zu finden, in welchem sie mit ihrem früheren Gatten gewohnt hatte. Ihren Anweisungen folgend wurde sie vor ein Gebäude getragen, von dem sie sagte: »Das ist mein Haus.« Sie führte das Komitee in das Haus, und die Männer gelangten zuerst auf den Innenhof. Dort erschrak sie, als sie den Brunnen nicht mehr dort vorfand, an dem sie sich immer gewaschen hatte. Sie deutete auf eine Stelle und sagte, dass hier der Brunnen gewesen sei. Man hob daraufhin eine Steinplatte aus dem Boden und entdeckte darunter eben jenen Brunnen. Weiterhin geleitete sie das Komitee durch das Haus und bezeichnete die Räume. Und im Schlafzimmer angekommen, deutete sie auf den Fußboden und sagte: »An dieser Stelle habe ich mein Geld versteckt. Wenn ihr hier unter dem Boden nachforscht, werdet ihr eine Kassette mit 150 Rupien finden.« Man öffnete in Anwesenheit von Herrn Chobey, ihrem früheren Mann, die Dielen und fand tatsächlich jene beschriebene Kassette. Doch es befand sich kein Geld darin, worüber Shanti sehr erstaunt war; sie sagte, jemand müsse es von dort entwendet haben. Herr Chobey erklärte ihr nun, dass er es gewesen sei, der nach ihrem Tod die 150 Rupien aus dieser Kassette entnommen hatte.

Danach führte Shanti das Komitee zum Jumna-Fluss, um ihnen zu zeigen, wo sie immer gebadet hatte. Plötzlich zeigte sie auf ein Haus und sagte: »In diesem Haus wohnten meine Eltern.« Sie rannte zu diesem Haus hinüber, und das Komitee musste sich beeilen, um nicht zurückzubleiben. In jenem Haus befanden sich fünfundvierzig Leute, doch Shanti erkannte unter ihnen sofort ihre frühere Mutter und setzte sich auf deren Schoß. Diese alte Frau fragte nun das Mädchen, ob es ihr etwas sagen könne, was sie beide nur von früher her wüssten. Und Shanti erinnerte sie daran, dass die Mutter ihr auf dem Sterbebett versprechen musste, dem Gott Krishna Blumen und Süßigkeiten für sie zu überbringen. Auf die Frage, ob sie dieses Versprechen eingehalten hatte, musste die Mutter jedoch zugeben, es vergessen zu haben. Daraufhin sagte Shanti Devi mit Bedauern: »Warum haben alle ihre Versprechen nicht eingehalten? Warum belügt man die Sterbenden immer?«

Die alte Frau war nach den vielen berichteten gemeinsamen Erlebnissen aus der früheren Zeit davon überzeugt, dass dieses Mädchen ihre frühere Tochter Lugdi war, und umarmte sie immer inniger, und jene begann, ganz fürchterlich zu weinen. Shanti begrüßte auch ihren früheren Vater, der vor Rührung ebenfalls zu weinen begonnen hatte. Schließlich blieb auch bei allen Anwesenden kein Auge mehr trocken. Shantis jetzige Eltern hatten ihre Tochter ebenfalls nach Mathura begleitet und wohnten nun dieser bewegenden Szene bei. Doch Frau Bahadur stand entsetzliche Qualen aus, denn sie glaubte, sich nun sicher zu sein, dass ihre Tochter nicht mehr nach Delhi zurückkehren wolle. Sie hatte ihre frühere Mutter wiedergefunden, und sie umarmten sich, als ob sie sich nie wieder voneinander trennen wollten. Frau Bahadur wandte sich verzweifelt an ihren Mann und sagte: »Sie wollen uns unsere Tochter stehlen. Und ein jeder nimmt an dieser Verschwörung teil.« Doch Shantis frühere Mutter, die die Ängste und Verzweiflung von Frau Bahadur wahrnahm, sagte: »Lassen wir Shanti entscheiden. Sie allein hat das Recht zu sagen, bei welcher Familie sie bleiben möchte.« Und Herr Bahadur, der seine Tochter innerlich schon losgelassen hatte, versuchte, seine Frau zu trösten, indem er sagte: »Es ist Schicksal, meine Liebe, es ist Karma. Wir alle unterliegen diesem Gesetz.«

Alle, die in dem Raum versammelt waren, schauten gespannt auf Shanti, wie sie sich nun entscheiden würde. Diese hatte sich inzwischen wieder gesammelt und ihre Tränen abgewischt. Sie löste sich aus der Umarmung ihrer ersten Mutter und sagte nun im Flüsterton zu dieser und zu ihrem früheren Vater: »Vergebt mir, Mutter Jagti und Vater Chaturbhuj.« Und dann nahm sie die Hand ihrer jetzigen Mutter, und beide gingen durch die Tür nach draußen.

Inzwischen hatten sich diese Ereignisse schnellstens herumgesprochen. Ein jeder, der davon vernommen hatte, wollte dieses Mädchen wenigstens gesehen haben. So kostete es einige Mühen, wieder zum Bahnhof zurückzugelangen.