Achtzehntes Kapitel.

Glaube an Jesus Christus und grüble nicht / folge ihm nach und zweifle nicht.

Inhaltsverzeichnis

Der Geliebte spricht.

Hüte dich / mein Sohn / vor unnützer Neugierde / die nichts als forschen und wieder forschen will in dem unerforschlichen Abgrunde dieses Sakraments. Hüte dich davor / wenn du nicht von dem Wirbel des Zweifels ergriffen und in die abgrundlose Tiefe willst verschlungen werden. Wer die Majestät erforschen will / den zerdrückt ihre Herrlichkeit. Die Allmacht Gottes kann doch gewiß mehr tun / als der Verstand eines Menschen ewig begreifen mag. Doch kann man deshalb die fromme und demütige Untersuchung der Wahrheit / die sich gern will belehren lassen und willig ist / auf der Bahn der gesunden Lehre der Väter zu wandeln / nicht verwerfen.

Selig die Einfalt des Herzens / welcher es gegeben ist / die rauhe Bahn der rastlosen Sucht des Fragens und Streitens zu verlassen und auf dem ebenen / festen Weg der Gebote Gottes mutig voranzuschreiten. Viele haben alles Gefühl der Andacht in sich verloren / indem sie erforschen wollten / was über ihnen ist. Du sollst glauben und im Geiste des Glaubens leben / das ist deine Pflicht; hohe Erkenntnis zu besitzen und tiefen Blick in die Geheimnisse Gottes / das fordert Gott nicht von dir. Wenn du nicht verstehst und nicht begreifst / was unter dir ist / wie wirst du begreifen / was über dir ist? Unterwirf dich deinem Gott / und all dein Dünkel und dein Meinen beuge sich demütig unter die Zucht des Glaubens; und es wird dir soviel Licht der Erkenntnis gegeben / als dir nützlich und nötig ist.

Einige Menschen werden von den Versuchungen wider Glauben und Sakrament hart mitgenommen. Aber daran sind nicht sie schuld / Versuchungen dieser Art kommen nicht selten von dem Feinde des menschlichen Geschlechts. Sei daher nicht bekümmert / laß dich in keinen gelehrten Streit mit deinen eigenen Gedanken ein und zerbrich dir den Kopf nicht mit Auflösungen der unendlichen Zweifel / die der Feind in deine Seele legt / sondern glaube dem Wort Gottes und seinen Heiligen und Propheten; und der arge Feind wird dir Ruhe lassen. Es ist oft gut / daß treue Knechte Gottes durch solche Leiden geprüft werden. Denn die stolzen Ungläubigen und die versunkenen Sünder hat der Feind schon im Besitz und braucht sie nicht mehr erst zu versuchen / aber die gläubigen und andächtigen Freunde Gottes plagt und versucht er auf mancherlei Weise.

Halte du also wie bisher fest am Glauben / der dem Zweifel keinen Raum gibt und das Herz in Einfalt zu Gott erhebt / geh hin zum Sakrament in Demut und in heiliger Ehrfurcht. Und was du nicht begreifen kannst / das stelle kühn und furchtlos dem allmächtigen Gott anheim. Gott betrügt dich nicht; aber wer sich selbst zu viel glaubt und traut / der wird betrogen. Gott wandelt mit denen / die ein einfältiges / gerades Herz haben; er offenbart sich den Demütigen / gibt Verstand den Unmündigen / öffnet den Sinn reiner Seelen und verbirgt seine Gnade vor der Neugierde und dem Stolze der Menschen. Die menschliche Vernunft ist eine menschliche Vernunft / hat wenig Licht und kann leicht irren / aber der rechte Glaube an Gott irret ewig nicht.

Alle menschliche Vernunft und alle vernünftige Erforschung soll eigentlich dem Glauben demütig nachfolgen / soll ihm nicht voraneilen / noch weniger die Rechte des Glaubens mit anmaßender Gewaltsamkeit verletzen. Glaube und Liebe zeigen ihre Wirksamkeit vorzüglich und auf die geheimste Weise in diesem heiligsten und unübertrefflichsten Sakramente. Gott / der Ewige und Unsterbliche / dessen Allmacht ohne Grenze ist / tut große und unerforschliche Wunder im Himmel und auf Erden; und seine wundervollen Werke vermag kein forschender Verstand zu erforschen. Denn wären die Werke Gottes nur so groß / daß sie von der Vernunft des Menschen leicht könnten erforscht werden / so wären sie eben darum nicht groß / nicht wunderbar / nicht unerforschlich und unaussprechlich zu nennen.

Erstes Kapitel.

Folge Christo nach und lerne verschmähen / was vergänglich ist!

Inhaltsverzeichnis

Wer mir nachfolgt / der wandelt nicht in Finsternis / spricht der Herr. Dies sind Worte aus dem Munde Christi / die uns Mut einsprechen / seinem Leben treu nachzuleben / wenn wir wahrhaft erleuchtet und von aller Blindheit des Herzens geheilt werden wollen. Wir sollen also unser erstes Streben daraus machen / in dem Leben Jesu Christi zu forschen.

Die Lehre Christi übertrifft ohne Ausnahme alles / was die Heiligen gelehrt haben; und wer den Geist Christi hätte / der müßte in ihr ein verborgenes Himmelsbrot finden. Da geschieht es aber / daß viele das Evangelium oft hören und dabei fast ohne alle Rührung des Herzens bleiben / weil ihnen der Geist Christi fehlt. Wer die Lehre Christi in ihrer Fülle kennenlernen will / der muß mit allem Ernst darauf dringen / daß sein ganzes Leben gleichsam ein zweites Leben Jesu werde.

Was nützt es dir doch / über die Dreieinigkeit hochgelehrt streiten zu können / wenn du die Demut nicht hast / ohne die du der Dreieinigkeit nie angenehm werden kannst? Wahrhaftig / hohe Worte machen den Menschen nicht heilig und gerecht / sondern ein Leben voll Tugend / das macht bei Gott uns angenehm. Es ist mir ungleich lieber / Reue und Leid im zerschlagenen Herzen zu empfinden / als aus dem Kopfe eine schulgerechte Erklärung geben zu können / was Reue sei. Hättest du die ganze Bibel und die Sprüche aller Weisen im Gedächtnis / hättest aber dabei nicht die Liebe Gottes / seine Gnade nicht im Herzen: wozu hülfe dir all jenes ohne dieses Einzige? O Eitelkeit der Eitelkeiten / alles ist Eitelkeit / außer Gott lieben und ihm allein dienen. Das ist die höchste Weisheit: Durch Verschmähung der Welt zum himmlischen Reich hindurchdringen.

Also ist es Eitelkeit / vergängliche Reichtümer zu sammeln und darauf seine Hoffnungen zu bauen. Also ist es Eitelkeit / nach hohen Ehrenstellen zu trachten und gern sich obenan zu setzen. Also ist es Eitelkeit / den Lüsten des Fleisches sich zu überlassen und Freuden nachzujagen / die uns einst die empfindlichsten Strafen zuziehen werden. Also ist es Eitelkeit / nur immer zu wünschen / daß man lange lebe / und wenig darum sich zu bekümmern / daß man fromm lebe. Also ist es Eitelkeit / das Auge hinzuheften auf das gegenwärtige und nie hinauszublicken auf das kommende Leben. Also ist es Eitelkeit / sein Herz an das zu hängen / was so schnell vorübergeht / und nicht dorthin zu eilen / wo ewige Freude wohnt.

Erinnere dich doch oft an den Spruch des Weisen: Das Auge kann nicht satt sich sehen / nicht satt sich hören das Ohr. Reiß also dein Herz los von den sichtbaren Gütern und erhebe es zu den unsichtbaren. Denn / die ihrer Sinnlichkeit blind folgen / beflecken ihr Gewissen und verlieren die Gnade Gottes.

Zweites Kapitel.

Sei gering in deinen Augen!

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Es ist dem Menschen natürlich / viel wissen zu wollen; aber noch so viel wissen und dabei den Herrn nicht fürchten – wozu nützt es doch! Wahrhaftig / besser ein demütiger Landmann / der seinem Gott dient / als ein stolzer Weltweiser / der sich außer acht läßt und dafür die Laufbahnen der Sterne mißt. Wer sich nach der Wahrheit kennt / der findet sich wohl gering und schlecht in seinem Auge und kann keine Freude daran haben / daß ihn die Menschen loben. Hätte ich die Wissenschaft aller Dinge in der Welt und fehlte mir nur das eine / die Liebe: was nützte mir all dies Wissen vor Gott / der mich nach meinem Tun richten wird?

Laß ab von der überspannten Wißbegier; denn es ist viel Zerstreuung und viel Trug dabei. Die viel wissen / wollen auch den Schein haben / daß sie viel wissen / und hören es gern / wenn man von ihnen sagt: Sieh / das sind weise Männer! Es gibt so viele Dinge in der Welt / deren Erkenntnis der Seele wenig oder nichts einträgt. Und auf etwas anderes sinnen / als was das Heil der Seele fördern hilft / dazu gehört wahrhaftig ein großes Maß von Torheit. Viel Worte machen / das stillet den Hunger der Seele nicht. Aber gut sein und recht tun / das ist das rechte Labsal für unser Gemüt; und ein reines Gewissen schafft uns große Zuversicht vor Gott.

Je mehr du weißt und je besser du es einsiehst / desto strenger wirst du gerichtet werden / wenn dein Leben nicht gerade um so viel heiliger sein wird / als deine Einsicht besser war. Darum trage den Kopf nicht höher / weil du diese Kunst oder jene Wissenschaft besitzest. Eben dies / daß dir so viel Erkenntnis gegeben ist / soll dich mehr furchtsam als stolz machen. Wenn es dir in den Kopf steigen will / daß du so viele Dinge weißt und so gründlich verstehst / so denke dabei / daß es doch ungleich mehr Dinge gibt / von denen du nichts weißt und nichts verstehst. Und wenn du dich in den hohen Einbildungen von deiner Weisheit verstiegen haben solltest / so steige eilig wieder herunter und bekenne lieber deine Unwissenheit. Wie magst du dich auch nur über einen einzigen Menschen erheben: Wozu dies? Es werden doch noch viele in der Welt sein / die gelehrter sind und das Gesetz besser verstehen als du. Willst du etwas Rechtes lernen und wissen / so lerne die große Kunst / gern unbekannt zu sein und dich für nichts halten zu lassen.

Sich selbst nach der Wahrheit erkennen und nach Verdienst verachten zu können / das ist die erhabenste Wissenschaft / das ist die heilsamste Lehre für mich und dich und uns alle. Aus sich nichts machen und andere gern für besser und höher achten / das ist große Weisheit und Vollkommenheit. Und sähest du einen andern öffentlich sündigen oder einen schweren Fall tun / so halte dich deshalb nicht für besser als ihn. Denn sieh / du weißt ja nicht / wie lange du selbst noch im Guten feststehen wirst. Gebrechlich sind wir alle / aber gebrechlicher als du selbst sei in deinem Auge keiner.

Drittes Kapitel.

Von der Lehre der Wahrheit.

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Selig / den die Wahrheit durch sich selbst unterweist / nicht durch Bilder / die verschwinden / nicht durch Worte / die verhallen! Selig / dem sie sich offenbart / wie sie ist! Denn unser Meinen trügt uns oft / und unser Sinn reicht nicht weit. Was nützt es uns denn / daß wir uns den Kopf zerbrechen über Dinge / die verborgen und dunkel sind und uns verborgen und dunkel bleiben dürfen / ohne daß wir deshalb am Tage des Gerichts zur Strafe können gezogen werden? Es ist eine große Torheit / daß wir Dinge / deren Erkenntnis uns nützlich oder gar notwendig ist / außer acht lassen und dafür Dinge / die bloß unsere Neugier reizen und dabei noch uns schaden können / so mühsam erforschen. Da heißt es recht: Augen haben und doch nicht sehen!

Und was liegt uns denn am Ende daran / daß wir all das wissen / was die Schulen von den Gattungen und Geschlechtern der Begriffe zu sagen wissen? Wem das ewige Wort zu Herzen redet / der macht von vielerlei Meinungen sich los. Es kommt doch alles von einem Wort her / und alle Dinge zeugen im Grunde nur von einem Worte / und dies eine Wort ist dasselbe Wort / das im Anfang war und jetzt auch zu uns redet. Ohne dieses Wort findest du keinen gesunden Verstand und kein wahres Urteil. Wer das Eine in allem finden / wer alles auf das Eine zurückführen / wer in Einem alles sehen kann / der mag ruhigen / festen Sinn behalten und den schönen Frieden in Gott nie verlieren. O Wahrheit! Gott! mache mich eins mit dir in ewiger Liebe! Wie oft ekelt mich / so mancherlei zu lesen und zu hören? Denn alles / wonach mein Herz verlangt / ist in dir allein. Schweigen sollen alle Lehrer / stille sein alle Geschöpfe vor deinem Angesichte: rede du allein zu mir!

Je mehr ein Mensch eins mit sich und einfältig in seinem Innersten geworden ist / desto mehr und höhere Dinge lernt er ohne sonderliche Mühe verstehen; denn das Licht des Verstandes kommt alsdann von oben zu ihm. Ein Geist / der rein / einfältig und feststehend in seinem Innersten geworden ist / wird auch durch die mancherlei Geschäfte des Lebens nicht zerstreut; denn er tut alles zur Ehre seines Gottes und arbeitet in sich / all den geheimen Neigungen der Eigenliebe auf immer zu entsagen. Was hindert und plagt dich doch mehr als die Neigung deines Herzens / die noch ihr volles / ungetötetes Leben hat? Der gute Mann / der sich seinem Gott ganz geweiht hat / ordnet zuerst in seinem Inwendigen alles / was er hernach äußerlich zustande bringen soll. Nicht ihn zieht das / was er tut / dahin / wohin ihn die sündhaften Neigungen haben wollen / sondern er zieht und lenkt die Neigungen dahin / wohin sie das Gesetz der gesunden Vernunft haben will. Wer hat wohl einen heißeren Kampf zu kämpfen als der / welcher mit sich selbst im Streite liegt / um sich zu besiegen? Und dies sollte unser eigentliches Geschäft auf Erden sein: sich selbst überwinden und täglich mehr Stärke über sich gewinnen und so täglich im Guten vorwärts schreiten.

Alle Vollkommenheit dieses Lebens hat ihr Unvollkommenes / und all unser noch so lichthelles Forschen hat sein Dunkel. Demütiges Erkennen deiner selbst führt dich sicherer zu Gott als tiefes Graben nach Wissenschaft. Zwar muß man weder das gelehrte Wissen noch das einfache Erkennen einer Sache lästern. Denn es ist ein gutes Ding um das Wissen und Erkennen / und es gehört in Gottes große Haushaltung hinein. Aber ein Gewissen ohne Makel und ein Leben voll Tugend sind unvergleichlich mehr wert als alles Wissen und Erkennen. Und gerade deshalb / weil den meisten Menschen das Vielwissen mehr am Herzen liegt als das Rechtleben / deshalb geraten sie auf so viele Irrwege und schaffen mit all ihrem Wissen und Wissenwollen keine oder nur geringe Frucht.

O wenn sie so rastlos daran arbeiten wollten / hier Laster auszurotten / dort Tugenden zu pflanzen / wie sie sich müde studieren / um ihresgleichen ein neues Rätsel aufgeben zu können: ich denke / es würde nicht so viel Unrecht auf Erden / nicht so viel Ärgernis unter dem Volke / nicht so viel Zuchtlosigkeit in den Klöstern sein! So viel ist gewiß: am Tage des Gerichts wird man uns nicht fragen / was wir gelesen / sondern was wir getan haben; nicht fragen / wie schön wir gesprochen / sondern wie fromm wir gelebt haben. Sage mir doch / wo sind jetzt alle jene Herren und Meister / die du ehemals als große Gelehrte und gewaltige Lehrer auf ihren Kanzeln oder in ihren Schriften gekannt hast? Auf ihren Pfründen sitzen nun andere; und ich weiß nicht / ob diese an ihre Vorgänger noch denken mögen. So lange sie lebten / meinte man wohl / sie wären etwas Großes / aber nun liegen sie in tiefer Vergessenheit.

O wie schnell ist die Herrlichkeit der Welt dahin! Hätten sie ihr Leben mit ihrer bessern Erkenntnis in Übereinstimmung gebracht / o dann hätten sie recht studiert und recht gelesen. Wie viele stürzt doch ihr eitles Wissen / das sie in aller Welt umhertreibt / in das Verderben / weil sie es so wenig sich angelegen sein lassen / Gottes Willen zu tun? Und weil sie lieber groß als demütig sein wollen / so werden sie in ihren Gedanken vollends eitel / lauter Nichts. Es ist doch nur der wahrhaft groß / der Liebe hat. Es ist nur der wahrhaft groß / der in seinen Augen klein ist und alle Gipfel der Weltlehre für nichts halten kann. Es ist nur der wahrhaft weise / der alles Irdische für Unrat hält / um Christum zu gewinnen. Es ist nur der wahrhaft gelehrt / der seinen eigenen Willen verleugnet und Gottes Willen vollbringt.

Viertes Kapitel.

Sei vorsichtig in allem / was du tust!

Inhaltsverzeichnis

Glaube nicht jedem Worte und traue nicht jedem Geiste. Prüfe vielmehr alles / denn die Prüfung ist notwendig / und prüfe es wie vor Gott / mit aller Achtsamkeit und Beharrlichkeit. Prüfe / denn leider glauben und reden wir von andern weit lieber Böses als Gutes / so schwach sind wir. Nicht so der vollkommene Mann! Er glaubt nicht jedem Geschwätz. Denn er kennt den schwachen Sinn der Menschen und weiß wohl / wie sie zum Bösen so geneigt und im Reden so gebrechlich sind.

O es ist große Weisheit / nicht so vorschnell und wie in blinder Hitze zu handeln / auch nicht so fest und unbeugsam auf eigenem Sinn und Dünkel zu bestehen! Auch das ist Weisheit / nicht jedes Menschenwort für wahr zu halten und / was man etwa gehört und geglaubt hat / nicht sogleich nachzuerzählen und in fremde Ohren zu übertragen. Suche dir einen Mann aus / der gewissenhaft und weise ist / und sein Rat sei dir heilig in allem! Gehe lieber zu dem bessern Mann in die Schule als zu deinem Eigendünkel. Gut sein und fromm leben / das macht weise vor Gott und gibt einen bewährten Sinn. Je demütiger und gottergebener du bist / desto weiser wirst du und ruhiger in allem.

Fünftes Kapitel.

Wie man die heiligen Schriften lesen soll.

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Wahrheit muß man in den heiligen Schriften suchen / Wahrheit / nicht Beredsamkeit. Die Heilige Schrift soll in dem nämlichen Geist gelesen werden / in dem sie verfaßt wurde. Es muß dir bei dem Lesen der Schrift weit mehr um das Heilsame der Lehre als um das Feine des Ausdrucks zu tun sein. Und ein Buch / das noch so einfach und kunstlos / dabei aber mit Andacht geschrieben ist / sollst du ebenso gern lesen als ein anderes / in dem alles tiefgedacht und fein ausgedrückt ist. Nie soll das Ansehen eines Schriftstellers dich irre machen / nie sollst du acht darauf haben / ob die großen Gelehrten ihn für ihresgleichen halten oder nicht. Denn die Liebe zur reinen Wahrheit / und nur diese Liebe / soll dich zum Lesen treiben. Frage nicht lange / wer das gesagt habe / sondern sieh nur immer auf das / was da gesagt wird. Denn die Menschen sind morgen nicht mehr / aber die Wahrheit des Herrn bleibt ewig. Und der Herr redet auf mancherlei Weise zu uns / ohne Ansehen der Person. Was uns beim Lesen der Schrift so oft im Wege steht / das ist unsere Neugier. Wir wollen noch grübeln und begreifen da / wo wir weiter nichts tun als vorbeigehen sollten. Wenn das Lesen dich wirklich besser machen soll / so lies mit Demut / mit Einfalt / mit aller Treue gegen die erkannte Wahrheit und laß die eitle Lust / ein großer Gelehrter zu heißen / dich nicht anfechten. Frage gern und höre schweigend / was die heiligen Männer lehren. Laß es dich auch nicht verdrießen / auf die Gleichnisreden der Alten zu horchen. Denn sie werden nicht ohne Ursache vorgetragen.

Sechstes Kapitel.

Von ungeordneten Neigungen.

Inhaltsverzeichnis

Sobald irgendeine Begierde des menschlichen Herzens unordentlich sich gebärdet / sogleich ist der Unfriede da / wird der Mensch uneins mit sich. Der Hochmütige und der Geizige haben niemals Ruhe; wer aber die wahre Demut und die rechte Armut des Geistes besitzt / der hat einen unerschöpflichen Reichtum des Friedens in sich. Wer noch nicht ganz in sich abgestorben ist / der ist schnell versucht und schnell überwunden; jede Kleinigkeit wirft ihn zu Boden / und geringe / schlechte Dinge überwinden ihn. Wer noch schwach im Geiste ist / noch unter dem Gebote des Fleisches steht / noch von dem Hange zu sinnlichen Dingen beherrscht wird / für den ist es ein schweres Stück Arbeit / von irdischen Begierden ganz und auf immer sich loszumachen. Deshalb macht er ein finsteres Gesicht / wenn er sich selbst etwas Angenehmes versagen soll / und bricht leicht in Zorn aus / wenn ein anderer ihm Widerstand tut.

Sobald er aber seine Lust befriedigt hat / so straft ihn das Gewissen auf der Stelle / und die Hand dieses Richters liegt schwer auf ihm. Denn er hat nun seine Leidenschaft befriedigt / und diese Befriedigung kann nicht im geringsten ihm behilflich sein zum Frieden / den er gesucht hat. Also nicht dadurch / daß du wie ein Knecht deinen Begierden nachgibst / sondern dadurch / daß du ihnen Widerstand leistest / findest du den wahren Frieden des Herzens. Kein Friede ist daher in einem Herzen / das dem Gesetze des Fleisches dient oder in äußerlichen Dingen Ruhe sucht; sondern nur in dem Menschen ist Friede / welcher dem Gesetz des Geistes dient und das heilige Feuer auf seinem Herde nicht ausgehen läßt.

Siebentes Kapitel.

Laß keine eitle Hoffnung und keine stolze Einbildung in dein Herz

Inhaltsverzeichnis

Wer auf Menschen oder auf andere Geschöpfe seine Hoffnung baut / der baut auf Luft. Schäme dich nicht / aus Liebe zu Jesus andern Menschen zu dienen / und laß dich gern für arm und gering in dieser Welt ansehen. Vertraue nicht auf dich selbst / sondern Gott allein sei es / auf dem alle deine Hoffnungen ruhen. Tue / was du kannst / und Gott wird deinem guten Willen freundlich beistehen. Vertraue nicht auf deine Wissenschaft / noch auf den listigen Kopf irgend eines Menschen. Setze vielmehr dein ganzes Vertrauen auf die Gnade Gottes / der den Demütigen Hilfe sendet und die / welche frevelhaft auf ihre eigene Macht trauen / zu demütigen weiß / daß sie ihre Ohnmacht fühlen müssen.

Suche deinen Ruhm nicht in Reichtümern / wenn du reich bist / nicht in Freunden / wenn du mächtige Freunde hast; sondern dein Gott / der dir alles Gute / das du schon hast / gegeben hat und der über allen andern Gaben sich selbst noch dir geben will / dein Gott sei auch dein Ruhm. Laß die Größe oder Schönheit deines Leibes dich nicht aufblähen / denn sieh / eine geringe Krankheit zerstört ihn und verwandelt alle Schönheit in Häßlichkeit. Laß auch darüber / daß du etwa so viel Geschicklichkeit und Scharfsinn besitzest / kein eitles Wohlgefallen in dir aufkommen. Denn sieh / sobald du dir selbst wohlgefällst / so mißfällst du Gott / dem alles zugehört / was du von Natur aus Gutes hast.

Achte dich nicht für besser als andere / denn sonst möchtest du in Gottes Augen noch viel schlechter sein als andere; und Gottes Auge kann nie unrecht sehen / es sieht / was im Menschen ist. Erhebe dich auch nicht über andere um deiner guten Werke willen / denn Gott richtet anders als die Menschen. Ihm mißfällt oft / was den Menschen wohlgefällt. Und wenn du auch wirklich etwas Gutes in dir hast / so darfst du doch von andern das Bessere denken / um deine Demut zu festigen und zu sichern. Wenn du allen dich nachsetzest / das schadet dir nicht. Aber sehr schädlich kann es für dich werden / wenn du dich auch nur einem einzigen voransetzest. Wo Demut ist / weilt Friede / wo aber Stolz ist / herrschen Eifersucht und Zorn.

Achtes Kapitel.

Umgang und Vertraulichkeit.

Inhaltsverzeichnis

Öffne dein Herz nicht vor jedem Auge / sondern suche dir einen Mann aus / der den Herrn fürchtet und wahrhaft weise ist / und diesen mache zu deinem Vertrauten in allem / was dir anliegt. Sei nicht oft bei Jünglingen und Fremden. Schmeichle den Reichen nicht und erscheine nicht gern vor den Großen. Geselle dich lieber zu denen / die durch Einfalt und Demut / durch Andacht / Züchtigkeit und Sittsamkeit sich deinem Herzen empfehlen / und rede mit ihnen von Dingen / die erbauen. Flieh den vertraulichen Umgang mit einer Frau und begnüge dich damit / alle frommen Frauen dem Herrn zu empfehlen. Der vertraute Umgang mit Gott und seinen Engeln sei immer der liebste Wunsch deines Herzens / und deshalb meide du den unnötigen Umgang mit Menschen.

Liebe muß man gegen alle im Herzen haben / aber Vertraulichkeit mit jedermann taugt nichts. Oft leuchtet eine ungekannte Person in der Ferne durch das Licht ihres guten Rufs sehr helle / aber wenn sie vor dir steht / da verliert sich der Glanz in deinem Auge. Manchmal glauben wir / es würden andere große Freude daran haben / wenn wir mit ihnen Umgang pflegten. Allein / sobald sie unser zuchtloses Betragen wahrnehmen / so haben sie mehr Mißfallen an unsern Fehlern als Wohlgefallen an ihrer Bekanntschaft mit uns.

Neuntes Kapitel.

Gehorsam und Unterwürfigkeit.

Inhaltsverzeichnis

Es ist nichts Geringes / im Gehorsam zu stehen / unter einem Oberen zu leben und nicht sein eigener Herr zu sein. Es ist auch ungleich sicherer / Untertan zu sein als Obrigkeit. Aber viele sind untertan mehr / weil sie müssen / als weil sie aus dem Trieb der Liebe her es wollen. Und diese haben Plage über Plage / und jede Kleinigkeit ist für sie groß genug / daß sie darüber murren. Du magst dahin oder dorthin laufen / du findest doch nirgends Ruhe als im demütigen Gehorsam unter der Regierung eines Oberen. Zwar denkst du oft: wenn ich an diesem oder jenem Orte lebte; Aber diese Einbildung und der Wechsel des Wohnortes haben schon viele getäuscht.

Es ist wahr / jeder lebt gern nach seinem Sinn und neigt sich denen zu / die mit ihm eines Sinnes sind. Aber wenn Gott in unserer Mitte wohnt / so werden wir / um den Frieden zu erhalten / uns oft gedrungen fühlen / unsre eigene liebste Neigung daran zu geben. Wer ist doch so weise / daß er alles weiß / und alles / wie es ist / vollständig weiß? Darum traue in keiner Sache zu viel auf deine Einsicht / sondern höre gern / was andere Leute davon denken. Ist deine Meinung gut / und du stehst doch um Gottes willen davon ab und folgst einem andern / so wirst du ungleich mehr Nutzen davon haben / als wenn du deinem eigenen Kopfe gefolgt wärest.

Es ist ein wahres Wort / und ich habe es oft sagen hören / es sei ungleich sicherer / sich raten zu lassen / als andern Rat zu geben. Es mag wohl auch dein Urteil hie und da richtig sein / aber wenn du nie nachgeben willst / auch da nicht / wo vernünftige Gründe dir zum Nachgeben raten / so ist es ein sicheres Zeichen / daß du ein eitler Tor und ein unbeugsamer Kopf bist.

Zehntes Kapitel.

Flieh unnötiges Geschwätz und leere Wortmacherei

Inhaltsverzeichnis

Laß / soviel es von dir abhängt / dich nicht in das Getümmel der Welt hineinziehen. Denn sieh / weltliche Händel / in die du dich einmischest / beschweren den Geist / auch wenn du eine gerade / wohlmeinende Absicht dabei haben solltest. Ach / die Eitelkeit befleckt so schnell den schwachen Sinn und nimmt so schnell den freien Sinn des Menschen gefangen. Ich wünschte / daß ich öfter geschwiegen hätte und nicht unter Menschen gewesen wäre. Aber warum reden wir denn so gern und schwätzen miteinander / wo wir doch sehr selten ohne alle Befleckung des Gewissens zum Stillschweigen zurückkehren? Deswegen reden wir so gern miteinander / weil wir in der Unterredung einer bei dem andern Trost und Erquickung suchen und dem Herzen / das von so vielen Gedanken bedrückt ist / gern Luft machen möchten. Und was wir lieben und wünschen oder was uns drückt und drängt / davon reden / daran denken wir gern.

Aber leider ist gar oft all unser Reden eitel und fruchtlos. Denn dieser äußere Trost / den wir selbst uns schaffen / verbaut uns den inneren / den nur Gott geben kann. Darum laßt uns wachen und beten / damit die Zeit nicht ungebraucht dahinfließe. Darfst du reden / und nützt es dir zu reden / nun / so bringe vor / was zur Erbauung dient. Aber weil wir von Jugend auf gewohnt sind / zu tun / was nicht taugt / und immer zu wenig auf unsern Fortgang im Guten bedacht sind / eben darum sind wir in der Wachsamkeit über unsere Zunge so äußerst nachlässig. Dadurch soll aber nicht geleugnet werden / daß ein geistreiches Gespräch über Angelegenheiten des Geistes das geistliche Leben kräftig fördere / besonders wenn Menschen eines Sinnes und eines Geistes in Gott als ihrem Mittelpunkte sich vereinigt haben.

Elftes Kapitel.

Wie man Frieden in sich haben und besser werden kann.

Inhaltsverzeichnis

Wir könnten viel Ruh und Frieden haben / wenn wir Kopf und Herz nicht so sehr marterten mit dem / was andere reden und tun / und was doch unser Gewissen gar nicht berührt. Wie kann der lange in Frieden leben / der sich so gern in fremde Geschäfte mischt / der von außen so viele Anlässe sucht / der so selten oder nur flüchtig sich in sich sammelte? Selig die / welche die rechte Einfalt des Herzens besitzen / denn sie werden viel Frieden haben!

Warum sind doch einige Heilige zu einer so reinen Vollkommenheit und zu einer so hohen Beschaulichkeit gelangt? Weil sie von allen irdischen Begierden sich loszumachen strebten / deswegen konnten sie mit ihrem innersten Gemüte Gott allein anhangen und frei und eins mit sich in sich verbleiben. Uns beherrschen die Leidenschaften in uns / die dem armen Herzen so viel zu schaffen geben / und die vergänglichen Dinge außer uns / die dasselbe Herz in steter Bewegung halten und von einer Empfindung zur andern jagen. Wir erkämpfen auch selten über ein einziges Laster einen vollkommenen Sieg und es fehlt uns durchaus an dem verzehrenden / heiligen Eifer / täglich besser zu werden; deshalb bleiben wir immer so lau oder werden am Ende gar kalt. Wären wir uns selbst ganz abgestorben / wäre unser Innerstes nicht im geringsten in das geheime Spiel der Neigungen verflochten und darin gebunden / o dann könnten auch wir göttlicher Dinge inne werden und von der himmlischen Beschaulichkeit schon hier einen Vorgenuß bekommen. Das größte / das einzige Hindernis sind wir uns selbst / wir sind nicht frei von Leidenschaft und Lüsternheit und haben nicht Mut genug / den schönen Lebensweg der Heiligen zu betreten. Es braucht nur eine kleine Plage an unsre Tür zu klopfen / sogleich ist all unser Mut dahin / und wir sehen wieder nach menschlichen Tröstungen uns um.

Hätten wir den entschlossenen Mut / wie tapfere Kriegsmänner auf dem Schlachtfeld zu stehen / schnell würden wir die Hilfe des Herrn über uns vom Himmel kommen sehen. Denn er will denen / die streiten und auf seine Gnade trauen / so gewiß Hilfe senden / als gewiß ist / daß er uns Anlaß zum Streite werden ließ / damit wir siegen lernen sollen. Wenn wir unsere Fortschritte im Guten nur immer in jene äußerlichen Übungen setzen / so wird unsere Andacht bald zu Ende sein. An die Wurzel müssen wir die Axt legen / damit wir von den ungeordneten Neigungen rein werden und einen stillen Sinn und ungetrübten Seelenfrieden bekommen mögen.

Wenn wir in jedem Jahr nur ein Laster ausrotteten / so würden wir bald vollkommene Männer werden. Aber jetzt zeigt nicht selten sich das Gegenteil: wir müssen gestehen / daß wir in den ersten Tagen unsrer Bekehrung besser und reiner waren / als wir jetzt nach vielen Jahren es sind. Der Eifer im Guten und das Gute selbst sollten mit jedem Tage in uns zunehmen; und jetzt wird es schon als eine Seltenheit angesehen / wenn jemand nur noch einen Funken des ersten Eifers in sich erhalten konnte. Wenn wir nur anfangs ein wenig Gewalt uns antun möchten / so würde in der Folge alles noch einmal so leicht und mit Freude getan sein.

Es ist schwer / wider seine Angewöhnung zu handeln / aber noch schwerer / wider seinen eigenen Willen anzugehen. Doch wenn du geringe / leichte Hindernisse nicht zu beseitigen vermagst / wie wirst du große / schwere Hindernisse aus dem Weg schaffen? Tu deinen Neigungen Widerstand gleich in ihrem Entstehen und mache dich durch frühe Entwöhnung von aller bösen Angewohnheit los / damit aus einer geringen Beschwernis nicht nach und nach eine größere werde. O könntest du begreifen / wieviel du selbst an innerem Frieden gewinnen / und was für große Freude du andern bereiten würdest / wenn du von ganzem Herzen gut sein und recht tun möchtest: o ich denke / du würdest mehr Sorge darauf wenden / immer größere Fortschritte in dem Leben des Geistes zu machen.

Zwölftes Kapitel.

Trübsal nützt uns viel.

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Daß uns Dinge begegnen / die uns lästig und durchaus zuwider sind / das ist für uns selbst sehr gut. Denn sie treiben den Menschen / der aus seinem Herzen geflohen ist / wieder in sein Herz zurück; damit er fühlen lerne, daß er hier in der Verbannung weilt / und daß er seine Hoffnung auf kein Gut dieser Welt gründe. Es ist gut / daß wir Widersprüche erfahren und daß die Menschen nicht gut und auch recht böse von uns denken und reden / wenn wir auch recht tun und im Rechttun gute Absichten haben. Denn das sichert unsere Demut und bewahrt uns vor eitler Ruhmsucht. Und gerade dann werden wir weit mehr als sonst gedrungen / Gott aufzusuchen als den einen Zeugen / der unser Innerstes kennt.

Eben deswegen sollte der Mensch sich ganz an Gott und so fest an Gott allein halten / daß er es nicht nötig hätte / viel Trost bei den Menschen zu suchen. Wenn ein Mensch / der eines guten Willens sich bewußt ist / geplagt oder angefochten oder von bösen Gedanken umhergetrieben wird / dann leuchtet es ihm helle ein / und heller als sonst / daß ihm Gott unentbehrlich sei / und daß er ohne ihn nichts Gutes tun kann. Dann fühlt er nichts als Traurigkeit / dann seufzt und betet er in der heißen Angst seines Herzens. Dann wird er seines Lebens überdrüssig und sähe es gern / daß der Tod käme und die Bande des Leibes löste und ihn zu Christus heimbrächte. Dann lernt er wohl verstehen / daß vollkommene Sicherheit und vollkommener Friede hier in dieser Welt nicht zu finden sind.

Dreizehntes Kapitel.

Widersteh den Versuchungen!

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So lange wir auf dieser Erde leben / können wir nicht ohne Trübsal und Versuchung durchkommen; wie es bei Job heißt: Des Menschen Leben auf Erden ist eitel Kampf und Plage. Deshalb soll jeder bei allem / was ihn zum Bösen reizen kann / sorgsam und im Gebete wachsam sein; denn dieser Feind schläft nicht / sondern geht umher und suchet / wen er verschlinge. Es ist kein Vollkommener so vollkommen / kein Heiliger so heilig / daß er nicht manchmal noch zum Bösen versucht werde. Und ein Mensch sein und von allen Versuchungen frei bleiben / das ist schlechterdings nicht möglich.

Doch gerade die Versuchungen verschaffen dem Menschen nicht selten große Vorteile / wenn sie ihm auch noch so lästig und beschwerlich sein sollten. Denn sie demütigen / reinigen und unterweisen ihn in mancherlei Gutem. Alle Heiligen mußten durch viel Trübsale und Anfechtungen sich hindurchkämpfen / und sind eben nur in dieser großen Kampfschule so gut und groß geworden. Die aber in den Versuchungen nicht auszuhalten vermochten / sind von Gott abgefallen und verworfen worden. Es ist kein Stand so heilig / kein Ort so geheim / daß Versuchung oder Trübsal nicht Eingang fänden.

Der Mensch ist nie ganz sicher vor Versuchungen / solange er hier lebt. Denn wir tragen den Keim der Versuchung in uns selber / weil wir Fleisch und vom Fleische geboren sind. Ist eine Versuchung oder Trübsal überstanden / so kommt eine zweite der ersten oft auf dem Fuße nach; und zu leiden gibt es für uns immer etwas. Denn das große Gut unserer Seligkeit ist uns verloren gegangen. Viele wollen den Versuchungen entlaufen und fallen im Laufen noch tiefer. Durch das Davonlaufen allein können wir nicht überwinden / Geduld und Demut machen uns stärker als all unsre Feinde.

Wer nur so von außen den Versuchungen aus dem Wege geht und nicht in sich die Axt an die Wurzel legt / der richtet im Grunde wenig aus; denn die Versuchungen werden nur desto schneller an ihn herankommen / und die letzten Dinge dann ärger als die ersten sein. Nach und nach / in Geduld und Langmut / wirst du / gestützt auf Gottes Hilfe / leichter überwinden / als wenn du mit Ungestüm und mit starrem Sinn gegen den Feind angehst. Bist du wirklich in Versuchung / so frage um Rat bei denen / die dir raten können. Ist aber dein Bruder in Versuchung / so kehre ja nicht die rauhe Seite gegen ihn heraus / sinne darauf / wie du ihn ermuntern / trösten kannst / und tu ihm alles / wie du wünschest / daß er dir tue / wenn du an seiner Stelle wärest.

Die Unbeständigkeit des menschlichen Gemütes und das geringe Zutrauen zu Gott / das ist der Anfang aller Versuchungen zum Bösen. Denn wie ein Schiff ohne Steuermann von den Wellen hin und her getrieben wird / so wird ein schwacher Mensch / der seinem Vorsatz ungetreu ward / von allerlei Versuchungen hin und her geworfen. Das Feuer prüft das Eisen / die Trübsal den Gerechten. Oft wissen wir selbst nicht / was wir können / aber die Versuchung macht uns offenbar / was wir sind. Wachen / wachen müssen wir / ganz besonders im Anfang der Versuchung. Denn wenn der Feind nicht zur Tür hereingelassen / sondern noch vor der Türschwelle bei dem ersten Anklopfen zurückgeschlagen wird / so hat es mit dem vollkommenen Siege nicht mehr so viel Schwierigkeit. Daher sagte jemand: Laß den Arzt gleich im Anfange der Krankheit rufen; ist einmal die Krankheit durch längere Zeit übermächtig geworden / so kommt alle Arznei zu spät. Anfangs ist es ein einfacher Gedanke / der dich angreift / hernach kommt eine lebhafte / mächtige Einbildung dazu / zur Einbildung gesellt sich die Lust / zur Lust die Begierde / und zuletzt sagt der Wille Ja. So nimmt der Feind nach und nach die ganze Festung ein / wenn man ihm nicht gleich anfangs Widerstand leistet. Und je länger du säumst / Widerstand zu leisten / desto schwächer wirst du / desto übermächtiger dein Feind.

Einige haben im Anfange ihrer Bekehrung große Versuchungen auszuhalten / andere am Ende. Wieder andere haben ihr ganzes Leben hindurch hart zu kämpfen. Einige werden von den Versuchungen mit Schonung und fast freundlich behandelt. Alles geschieht nach der Weisheit und Güte der heiligen Vorsehung / die Stand und Fähigkeit der Menschen wägt und alles zum Heile der Auserwählten vorher bestimmt.

Darum müssen wir / wenn wir versucht werden / den Mut nicht sinken lassen / sondern mit neuem Eifer zu Gott flehen / daß er uns in aller Trübsal zu Hilfe kommen und / nach dem Wort des Apostels Paulus / den Gang der Versuchung lenken und uns einen Ausweg schaffen wolle. Laßt uns also in jeder Trübsal und Versuchung im Gefühle unseres Elends unser Herz erniedrigen unter die allmächtige Hand Gottes. Denn er wird die Demütigen erretten und erhöhen.

Versuchungen und Trübsale sind der Prüfstein / der den ganzen Wert des Menschen und besonders seine Fortschritte im Guten entscheidet / sind die Feuerprobe / die der Tugend neuen Wert verschafft und das verborgene Gute an das Tageslicht hervorzieht. Wenn der Mensch nichts hat / das ihn drückt und beschwert / dann ist es nichts Großes / andächtig und inbrünstig im Geist zu sein. Aber in den Tagen der Trübsal geduldig sein und in Geduld sich fassen können / das läßt große Fortschritte in allem Guten hoffen. Es gibt auch Menschen / die vor großen Versuchungen noch bewahrt und doch in den täglichen / kleinen Anfechtungen oft überwunden werden / damit sie aus den geringen Niederlagen Demut lernen und einst in großen Versuchungen nicht zu viel auf sich selbst trauen mögen / da sie bei geringeren Angriffen so viele Schwächen gezeigt haben.

Vierzehntes Kapitel.

Richte nicht!

Inhaltsverzeichnis

Kehre deinen Blick einwärts und hefte ihn auf dich selber / auf dein Innerstes / und erkühne dich nicht zu richten / was andere tun. Denn wer andere gern richtet / der arbeitet umsonst / verfehlt die Wahrheit öfter / als er sie trifft / und versündigt sich leichter / als er glaubt. Wer aber sich selbst erforscht / sich selber richtet / der arbeitet immer mit Segen. Wie unser Herz gegen eine Sache gestimmt ist / so urteilt unser Verstand von derselben. Den geraden / wahren Anblick der Dinge verlieren wir gar leicht / weil wir uns selbst mehr lieben als die Wahrheit. Wäre Gottes Wohlgefallen immer der einzige Zielpunkt unseres Herzens / so könnten die unangenehmen Eindrücke von außen nicht so leicht uns aus der Fassung bringen. Aber bald zieht uns etwas in uns / das wir selbst nicht wahrnehmen / bald kommt etwas von außen dazu und zieht uns mit fort. Viele suchen in allem / was sie suchen / nur sich selbst / aber sie merken es nicht / daß sie nur sich selber suchen. Sie glauben wohl auch / den inneren / festen Frieden zu haben / so lange alles nach ihrem Sinn und Wunsch geht. Wenn aber die Sache sich gegen ihren Willen dreht / so sind sie im selben Augenblick mit sich entzweit und lassen den Kopf hängen. Und weil doch jeder Mensch seinen eigenen Kopf / und jeder Kopf seine eigene Meinung hat / so entstehen auch unter Freunden und Bürgern / unter Ordensleuten und selbst unter den Andächtigen leider oft genug Mißverständnis und Zwietracht.

Alter Angewöhnungen können wir nur mit äußerster Mühe uns entwöhnen / und niemand sieht es gern / daß man ihn weiter führt / als sein Auge reicht. Wenn du dich mehr auf deine Einsichten und Übungen stützest als auf die Kraft Jesu Christi / der alles untertan sein soll / so wirst du selten und spät genug zur wahren Erleuchtung des Geistes gelangen können. Denn es ist Gottes Wille / daß wir uns ihm in allen Dingen vollkommen unterwerfen und auf den Flügeln der flammenden Liebe über den engen Kreis unsrer eigenen Einsichten hinaus uns sollen erheben lassen.

Fünfzehntes Kapitel.

Von den Werken / die aus Liebe geschehen.

Inhaltsverzeichnis

Böses tun darfst du um keines Menschen willen / und wenn du die ganze Welt gewinnen könntest. Aber aus Liebe zu deinem Nächsten / der Hilfe nötig hat / darfst du hie und da ein gutes Werk kühn und frei unterlassen oder vielmehr das geringere in ein besseres verwandeln. Denn wenn du deinem Nächsten zu Hilfe kommst / so wird dadurch das gute Werk nicht zerstört / sondern in ein besseres verwandelt. Ohne innere Liebe nützt alles äußere Tun nichts. Was aber aus Liebe geschieht / das ist groß / das bringt große Frucht / so gering und ungeachtet es in Menschenaugen immer sein mag. Denn auf der Waage Gottes wiegt das / was dich zum Tun treibt / ungleich mehr als die Tat selber.

O wer viel Liebe hat / der hat viel getan. Wer eines recht tut / hat viel getan. Wer lieber der Allgemeinheit als seinem Eigenwillen dient / hat wohl getan. Oft scheint es Liebe zu sein / was uns treibt und drängt / und ist doch eitel Fleischlichkeit. Denn natürliche Neigung / Eigenwille / Hoffnung auf Wiedervergeltung und Trieb zur Bequemlichkeit mischen sich in unsre guten Werke.

Wer die wahre / vollkommene Liebe hat / der sucht in keiner Sache sich selbst / nur die Ehre seines Gottes will er in allen Dingen gefördert sehen. Er sieht auch keinen Menschen neidisch an / weil er nach keiner Freude jagt / die er nur für sich / und kein anderer mit ihm genießen könnte. Auch ist das / was ihm Freude macht / nicht er selbst / sondern hoch über alle Güter der Erde und über sich selbst hinaus schwingt sein Geist sich hinauf und will nur in Gott selig sein. Er schreibt keinem Geschöpf etwas Gutes zu / sondern führt alles Gute ungeteilt und so ganz / wie es von Gott kam / wieder auf Gott zurück. Denn Gott ist ihm der Brunnen / aus dem alles Gute quillt / und Gott ist ihm der Endpunkt / in dem alle Heiligen Ruhe finden und den höchsten Genuß / der sie selig macht. O wenn jemand aus uns nur ein Fünklein der wahren Liebe in sich hätte / er würde sich des lebendigen Gefühles nicht erwehren können / daß alles Irdische voll Eitelkeit ist.

Sechzehntes Kapitel.

Fremde Fehler / die man nicht bessern kann / muß man ertragen.

Inhaltsverzeichnis

Was der Mensch an sich oder andern nicht bessern kann / das muß er mit Geduld ertragen / bis Gott es anders fügt. Denke nur / daß es so vielleicht besser ist / indem es wenigstens helfen kann / deinen Sinn zu bewähren und dich in der Geduld zu üben / ohne welche unsre guten Werke nicht sonderlich viel Gutes in sich haben. Jedoch mußt du bei allem / was dir im Weg ist / und du nicht beseitigen kannst / zu Gott bitten / daß er dir zu Hilfe komme / und du mit stillem / sanftem Gemüt ertragen lernest / was sich nicht ändern läßt.