SIGRID WOHLGEMUTH

 

Und tschüss

Auf nach Kreta!

 

Roman

Ein Buch aus dem FRANZIUS VERLAG

 

Cover: Perry Payne

Bildlizenzen: Fotolia / Panthermedia / pixabay

Korrektorat/Lektorat: Petra Liermann

Verantwortlich für den Inhalt des Textes

ist die Autorin Sigrid Wohlgemuth

Satz, Herstellung und Verlag: Franzius Verlag

Druck und Bindung: SDL, Berlin

 

ISBN 978-3-96050-042-1

 

 

Alle Rechte liegen bei der Franzius Verlag GmbH

Hollerallee 8, 28209 Bremen

 

Copyright © 2017 Franzius Verlag GmbH, Bremen

www.franzius-verlag.de

 

 

 

 

 

 

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

 

 

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung des Werkes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks und der Übersetzung, sind vorbehalten. Ohne ausdrückliche schriftliche Erlaubnis des Verlages darf das Werk, auch nicht Teile daraus, weder reproduziert, übertragen noch kopiert werden, wie zum Beispiel manuell oder mithilfe elektronischer und mechanischer Systeme inklusive Fotokopieren, Bandaufzeichnung und Daten-speicherung. Zuwiderhandlung verpflichtet zu Schadenersatz. Alle im Buch enthaltenen Angaben, Ergebnisse usw. wurden vom Autor nach bestem Wissen erstellt. Sie erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Verlages. Er übernimmt deshalb keinerlei Verantwortung und Haftung für etwa vorhandene Unrichtigkeiten.

 

 

 

 

Für Birgit und Gitta

 

Glücklich, euch an meiner Seite zu wissen

 

Inhaltsverzeichnis

 

1. Kapitel      8

2. Kapitel

3. Kapitel

Gemüse-Lasagne

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

Rohkostsalat mit Oliven und Schafskäse

7. Kapitel

Thunfisch vom Grill

8. Kapitel

Zaziki

9. Kapitel

10. Kapitel

Gemüseauflauf

Gefüllte Paprika mit Reisbeilage

Tintenfisch in Weinsoße

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

Zucchinibällchen

Schafskäse-Hackbällchen mit Knoblauch

Porree mit Zitronen-Ei-Soße

15. Kapitel

16. Kapitel

Garnelen Saganaki

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

Gemischter Salat mit Hähnchenbrustfilet und Johannisbrotsirup

Lamm Juvetsi

Orangen Halva

21. Kapitel

22. Kapitel

Einfacher Kartoffelsalat

Lamm-Frikassee

Galaktompoúreko (Grießkuchen)

23. Kapitel

24. Kapitel

Grüne Bohnen mit Kartoffeln in Tomatensoße

Feta-Backwerk

25. Kapitel

Omelett mit Thunfisch

26. Kapitel

27. Kapitel

Käsedreieck (groß)

Schokoladenkuchen

28. Kapitel

29. Kapitel

Rosmarin-Kartoffeln

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

Kichererbsen-Taler

Gemüseauflauf mit Gehacktem

34. Kapitel

35. Kapitel

Skordalia

Heriberts Granatapfel-Traum

Nachwort und Danke

Veröffentlichungen des Franzius Verlages:

 

1. Kapitel

 

»Und tschüss!«, sage ich und schleudere einen Briefumschlag auf den Schreibtisch meines Chefs.

»Was haben Sie gesagt, Herr Zopes?« Herr Weißmüller, total verdattert, blickt paralysiert aufs Kuvert.

»Lesen Sie.« Ich schnippe mit den Fingern vor seinen Augen wie ein Hypnotiseur, damit er aus seiner Starre aufwacht, und sage dann nochmals: »Und tschüss.«

Flotten Schrittes eile ich zur Tür und schlage sie, zugegeben etwas heftig, zu. Staubflocken wirbeln vom Gummibaum herab, der im Flur steht. Ein paar von ihnen landen auf meiner Krawatte. Ich zerre den Schlips herunter, schmücke damit die langsam braun werdenden Blätter, denn niemand kümmert sich um den armen Kerl. Nie wieder würde ich einen Kehlkopfquäler um den Hals binden. Gerade als ich in meinem Büro verschwinde, höre ich, wie die Chefbürotür aufgerissen wird. Eilige Schritte hallen durch den Gang. Offenbar ist Weißmüllerchen ins Leben zurückgekehrt. Sehr sogar, denn so flott habe ich ihn selten sprinten gesehen, geschweige denn gehört. Ein extrem sportlicher Typ. Statt seinen Bizeps und Ausdauer zu trainieren, hockt er bis in die späten Abendstunden wie angenagelt auf seinem Hinterteil, um uns, seine Untergebenen, auf die feinste Art zu delegieren. Fällt die Genugtuung aus, vergräbt er sich hinter einem Aktenstapel, wohl auf der gedanklichen Suche nach attraktiven Schikanen. Schon baut er sich vor mir auf.

»Herr Heribert Zopes. Was ist denn mit Ihnen los?«

»Ich gehe.«

»Und morgen sind Sie pünktlich wieder an Ihrem Platz.« Eher ein Befehl, als eine Frage.

»Haben Sie meinen Brief nicht gelesen?«

»Nein.«

»Gekündigt. Fristlos!«

Ich stürme an ihm vorbei in den anliegenden Raum. Schüttle die Kopierpapierpakete aus dem Karton, die daraufhin auf den Boden knallen. Wurscht! Stolz trage ich die erbeutete Kiste ins Büro und packe persönliche Sachen ein. Herr Weißmüller schnauft. Auf seiner Stirn glänzen Schweißperlen.

»Herr Zopes. Nehmen Sie bitte Platz und lassen Sie uns in aller Ruhe darüber reden. Sie können nicht aus heiterem Himmel Ihren Job kündigen. Was ist denn vorgefallen?«

Nun, ich kann den Mann verstehen. Das ist wohl in seinem dreißigjährigen Berufsleben das einschneidendste Ereignis. Abgesehen von seinen Intrigen, die sein jämmerliches Dasein aufhellen. Wahrscheinlich auch privat, denn er gehört zu der Spezies der eingefleischten Junggesellen. Und auf einmal kommt der sonst korrekte Mitarbeiter Heribert Zopes in sein Büro reingeschneit und behauptet mal eben: »Und tschüss.«

Ich möchte nicht abstreiten: ein ziemlich herrisches Auftreten. Im Moment fehlt mir das gewisse Einfühlungsvermögen, der Erwartung eines Jeden an mich gerecht zu werden. In mir brodelt ein Vulkan. Ich will diesen Schritt durchziehen, solange ich die Courage dazu besitze. Dennoch bin ich alles andere als sicher, ob ich den richtigen Weg beschreite. Und schon schmettere ich ihm entgegen:

»Ich hab keinen Bock mehr!«

»Bitte, Herr Zopes, nehmen Sie doch Vernunft an«, fleht Weißmüllerchen.

Vor der geöffneten Tür hat sich inzwischen das gesamte Personal eingefunden. Aus den Augenwinkeln beobachte ich erschrockene, vereinzelt heitere Gesichter. Diese hinterhältigen Schleimscheißer!

Meine Güte, bin ich gut drauf. Ein solches Wort kam in meinem bisherigen Sprachgebrauch nicht vor. Fahr dich runter, Heribert. Das reinste Glücksgefühl, als ich das Kündigungsschreiben dem Weißmüller auf den Tisch geschmissen habe. Nun gewinnt die Schwärze der letzten Wochen Oberhand. Eigentlich ist alles um mich herum in Schwarz getaucht. Ausgenommen mein in Grautönen gehaltenes Büro. Jeder, der mir in die Quere kommt, nervt. An niemandem lasse ich ein gutes Haar.

Nicht alle Kollegen haben etwas gegen mich, auch wenn ich mich ständig von ihnen distanziere. Mein Interesse am Bürotratsch ist gleich Null. Angekreidet wird mir, dass ich die Pausen auf die Minute genau einhalte. Das gehört bereits der Vergangenheit an. Im Augenblick zählt, dass ich meine gesamte Existenz infrage stelle.

Weißmüller gehen die Argumente aus, er wendet sich an seine Mitarbeiter: »Kann mir bitte jemand von Ihnen erklären, was mit Herrn Zopes los ist? Habe ich irgendetwas verpasst?«

»Weißmüller, du versäumst dein ganzes Leben in diesem veralteten Büro, mitten in der Kölner City. Dort unten vor der Tür, nicht hier im achten Stockwerk findet das Leben statt.« Das sollte ich ihm zum Abschied sagen. Schnell entscheide ich mich eines Besseren. Jeder muss selbst wissen, was er aus seinem Leben macht. Für mich ist die Zeit der Veränderungen gekommen. Den ersten Schritt habe ich getan, die Schwärze bekommt dadurch weiße Flecken. Ich räume weiter die Schubladen aus. Die Kollegen zischeln untereinander. Niemand traut sich einen Schritt näher, Weißmüller schüttelt unentwegt den Kopf. Der Geruch abgestandenen Kaffees schwebt in der Luft.

Du kannst Weißmüller nicht in Ungewissheit sterben lassen, denke ich sarkastisch. Ein Vorgesetzter mit einer bestimmenden Art, doch immer nett zu dir. Der beste, nein, mein einziger Chef, seitdem ich im Berufsleben stehe. Ich sehe auf, direkt in seine nervösen Augen.

»Sechser im Lotto!« Ob er mitbekommt, dass ich mir das Lachen kaum verkneifen kann?

Ein Kollege ist im Begriff, sich auf mich zuzubewegen. Ich werfe ihm einen scharfen Blick zu. Daraufhin mischt er sich wieder unter die anderen. Obwohl: Mit dem Mitarbeiter hätte ich mir eine Freundschaft vorstellen können. Nie dazu gekommen. Egal. Aus den Augenwinkeln bemerke ich, dass Weißmüller trocken schluckt, seine Fliege dabei lockert.

»Aber ...«, stottert er, »wieso haben Sie das nicht gleich gesagt. Meinen Glückwunsch. Dafür brauchten Sie nicht eine solche Show abzuziehen, schließlich sind wir all die Jahre gut miteinander ausgekommen. Ich gönne Ihnen den Gewinn.«

Er kommt näher. Hallo! Der will mich jetzt nicht etwa umarmen? Abrupt bleibt Weißmüller stehen. Ihm ist wohl selbst eingefallen, dass wir keine Buddys sind. Richtig! Vorgesetzter und Angestellter; klare Grenzen. Dann sehe ich das missgünstige Schimmern in den Augen meiner Mitmenschen.

»Es war ein Witz!«

Hoffentlich fällt den Neidern alles aus dem Gesicht, ganz besonders den Botoxverseuchten. Diese gehässige Art an mir ist neu. Wieso schleichen sich auf einmal solch boshafte Gedanken in mein Denksystem?

»Herr Zopes, so so, Sie scherzen nur!« Weißmüller fängt sich. »Darf ich den wahren Grund erfahren? Meinen Sie nicht, nach Ihren zweieinhalb Jahrzehnten Betriebszugehörigkeit habe ich ein Anrecht darauf?«

»Ich habe einfach keinen Bock mehr.«

»Bitte?«

»Was ist daran so schwer zu verstehen? Ich sitze fünf Tage in der Woche hier in meinem mausgrau gestrichenen Büro, an meinem grauen Schreibtisch, mit der gleichfarbigen Lampe, an der ich mir mindestens zehnmal täglich den Kopf stoße. Doch ohne künstliches Licht geht im trüben Köln ja nix. Und wenn die Sonne mal scheint, muss ich die leichenblassen Rollos runterziehen, ansonsten unerkennbarer Bildschirm. Das Kantinenessen ist teilweise unter aller Würde.«

Ich schiele auf die Kollegen. Manche stimmen meiner Aussage mit einem Nicken zu, die anderen ziehen eine Grimasse. Niemals zuvor hat mir das Kantinenessen etwas ausgemacht. Nicht gerade »Haute Cuisine«, doch genießbar. Und der Grauton im Büro ist mir, um ehrlich zu sein, einerlei. Einzig und allein von Bedeutung, dass ich mein Arbeitspensum täglich erreiche. Der Anstrich spielt dabei keine Rolle. Ganz zu schweigen von den Möbeln, auf denen sich eh die Aktenberge häufen und die Kolorierung verdecken. Bin selbst verblüfft über meine Ausführungen.

»Das ist kein ausreichender Grund, seinen Job von jetzt auf gleich an den Nagel zu hängen«, meint Weißmüller.

»Ich habe gerade erst mit dem Hinschmeißen angefangen.« Ich hole tief Luft, um genug Atem für meine Rede zu haben. Stocke. Passende Worte bleiben aus, die auf den Punkt genau die Sachlage wiedergeben könnten.

Fakt ist: Ich befinde mich in einem Gefühlschaos. Das kürzliche Fremdgehen meiner Frau: Der erste Auslöser für die Schwärze, die mich seither gefangen hält. Händeringend suche ich einen Ausweg aus dem Dunkel. Den Job zu schmeißen, kam mir nach der letzten schlaflosen Nacht als Fortsetzung der Veränderungen in den Sinn. Der wahre Grund geht weder meinen Chef noch die Kollegen etwas an.

Fertig mit dem Packen. Klemme den Karton unter den Arm und bahne mir einen Weg aus dem Büro. Weißmüller schreitet hinter mir her, hält mich am Arm zurück. Beim Umdrehen steigt mir sein Schweißgeruch in die Nase.

»Kommen Sie in mein Büro. Zusammen finden wir eine Lösung.« Geht voraus, wendet sich um. Wahrscheinlich zur Sicherheit, dass ich ihm folge.

Ich denk nicht daran. Stattdessen stimme ich den Reinhard Mey Song an: »Gute Nacht, Freunde, es ist Zeit für mich zu geh´n.« Und setze nach: »Es liegt nicht an Ihnen oder am Job, sondern ausschließlich an mir persönlich.« Mit Mühe finde ich versöhnliche Worte. »Danke für die Berufsjahre, die wir gemeinsam gemeistert haben.«

Mitarbeiterhälse recken sich, ich habe wohl zu leise gesprochen.

»Tschüss.« Ein Winken, während ich den Karton zwischen Kinn und Hand balanciere. Gehe zum Fahrstuhl, drücke den Knopf. Die Tür der Eingangshalle schließt sich hinter mir. Nie mehr würde ich einen Fuß über diese Schwelle setzen. Ein Schwur. Insgeheim geht mir die Flatter, weil ich keinen blassen Schimmer von meiner Zukunft habe. Nach einigen Metern, vor dem Gebäude, stellt sich eine gewisse Erleichterung ein. Ein Teil der Anspannung fällt von mir ab. Beschwingt, weil ich Mut bewiesen habe, einen derart gewagten Schritt zu gehen. Und das ist erst der Anfang!

2. Kapitel

 

Mein Weg führt mich am Kölner Dom vorbei. Vor dem Haupteingang findet eine Demonstration gegen genmanipuliertes Gemüse statt. Fraglich, ob die Politiker sich wachrütteln lassen, endlich kapieren, was auf dem Spiel steht, oder die Macht des Geldes die Oberhand behält.

Ein Touristenschwarm sammelt sich. Das Auge auf dem Sucher und den Finger am Auslöser, um Fotos von dem eindrucksvollen Bauwerk zu machen. Manche von ihnen machen einen Bogen um die Kundgebungsteilnehmer, um ins Innere des Doms zu gelangen. Ich zwänge mich mitten durch die Menge. Eine junge Frau hält mir eine Broschüre entgegen, redet auf mich ein. Ich wiegle ab. Im Moment fehlt mir das Interesse, auch noch die Welt ändern zu wollen. Ich habe genug mit mir selbst zu tun. Fraglos egoistisch, doch im Augenblick alternativlos.

In einer Nische vor dem Hauptbahnhof neben dem Dom hockt ein Mann, eingewickelt in einen Schlafsack. Ein Schäferhund Mischling liegt daneben. Die Schnauze tief auf dem Boden, sieht er mich mit traurigem Blick an. Vor ihm ein ausgebeulter Hut mit einer Karte: »Magst du mir etwas zum Fressen geben?«

Ich setze den Karton auf den Boden. Streife meine goldene Uhr ab, die ich zum fünfundzwanzigsten Dienstjubiläum erhalten habe, und reiche sie dem Mann. Mein letzter Schritt der beruflichen Befreiung. Verdutzt sieht mich der Mann an, greift allerdings nicht nach der Uhr.

»Nehmen Sie ruhig. Die bringt ein paar Euros beim Pfandverleih. Und kaufen Sie sich und Ihrem Hund davon etwas zu essen. Oder schlafen Sie mal in einer anständigen Unterkunft.« Fest drücke ich ihm das gute Stück in die schmutzige Hand. Ohne auf ein Dankeschön zu warten, hebe ich meine Bürosachen an und bin im Begriff zu gehen. Bleibe jedoch stehen und setze alles ein weiteres Mal ab. »Falls Sie Schwierigkeiten haben, das Ding einzulösen, soll der Händler mich anrufen.« Nicht, dass der arme Kerl meinetwegen in den Knast kommt, weil Diebstahl angenommen wird. Aus der Anzuginnentasche ziehe ich meine Visitenkarte und einen Stift. Schreibe eine kurze Notiz. Die reiche ich ihm.

»Danke«, flüstert er.

Eilig verschwinde ich in Richtung Gleise. Mein Zug steht zur Abfahrt bereit. Der Schaffner ist gerade dabei, das Signal zu geben. In letzter Sekunde springe ich hinein. Sofort schließt sich die Tür. Schnell bringt die Bahn mich meinem langjährigen Zuhause näher. Die letzten Meter laufe ich zu Fuß. Ein Umzugswagen parkt am Straßenrand. Ich lege einen Schritt zu, winke dem Fahrer.

»Sie sind früh dran«, keuche ich.

Der Mann grüßt, indem er seine Mütze kurz lüftet. Sein Beifahrer steigt aus. »Na, dann wollen wir mal.« Spuckt in die Hände, reibt sie aneinander. Die beiden folgen mir ins Haus.

»Nur die Möbel, an denen Zettel hängen. Alles andere bleibt.«

Sofort fangen sie an, die Teile hinauszutragen. Im oberen Stockwerk schlüpfe ich aus dem Anzug in bequeme Jeans und Sweatshirt. Helfe den Packern. Nach wenigen Stunden ist der Laster voll beladen. Das Innere des Hauses gleicht einem Lochmusterpullover, einige Maschen sind abhandengekommen. Ich schreite durch die Räume. Nehme am Ende meiner Besichtigung vom Küchentisch einen Block und schreibe folgende Worte darauf: »Und tschüss!«

Als letzte Tat ziehe ich meinen Ehering vom Finger und klebe ihn mit Tesafilm daran. Die Nachricht deponiere ich im Kühlschrank vor einer Flasche Wein. Zum letzten Mal an diesem Tag schließe ich eine Tür, ohne mich umzusehen. Auf meiner imaginären Liste in Sachen Lebensveränderung kann ich einen weiteren Punkt als erledigt abhaken. Der Weg zum Licht am Ende des Tunnels ist somit verkürzt. Ich steige in meinen BMW und fahre dem Umzugswagen hinterher.

 

3. Kapitel

 

Gemütlich sitze ich beim Nudelgericht. Der Duft mediterraner Kräuter schwebt in der Luft.

 

***

 

Gemüse-Lasagne

 

Zutaten für 4-6 Personen

1 Päckchen Lasagne-Platten

1 Aubergine

2 Zucchini

1 Dose Mais

1 grüne Paprika

1 rote Paprika

5 sonnengereifte Tomaten

1 ½ rote Zwiebeln

250 g Ziegenhartkäse (oder zum Überbacken

Geeigneter Käse nach Wunsch)

250 g Edamer

7 Esslöffel Olivenöl

Salz, Pfeffer, Oregano, Basilikum, Paprikagewürz

 

Zutaten für die Creme

1 Liter Milch

100 g Mehl

250 g geriebener Ziegenhartkäse

3 Eier

5 Esslöffel Öl

Prise Muskat

20 g Paniermehl

 

Zubereitung der Creme

5 Esslöffel Öl erhitzen, das Mehl einrühren, ganz leicht braun werden lassen. Ganz wichtig: Das Rühren nicht vergessen! Milch hinzugeben und auf kleiner Stufe aufkochen lassen. Geriebenen Käse unterrühren, drei Eier zügig in der Creme verarbeiten. Kräftig rühren. Nach 20 Sekunden von der Herdplatte nehmen und mit einer Prise Muskat würzen, umrühren.

Creme über die Schichten der Gemüse-Lasagne-Platten geben. Das Paniermehl darauf verstreuen. (Wer möchte, kann Butterflocken auf der Schicht verteilen.)

Ofen auf 180 Grad vorheizen. Die Lasagne circa 45 Minuten backen, bis die obere Schicht goldbraun ist.

 

Zubereitung der Lasagne

Zwiebeln schälen und in kleine Stücke schneiden. Im Olivenöl glasig anbraten. Aubergine, Zucchini waschen und in kleine Stücke schneiden. Dann zu den Zwiebeln geben.

Auf kleiner Stufe köcheln lassen, bis dem Gemüse das Wasser entzogen ist. Dose Mais öffnen, das Wasser abschütten und dann den Mais zum anderen Gemüse hinzufügen. 2 Minuten köcheln lassen.

Mit Salz, Pfeffer und Paprika würzen.

Die Lasagne-Platten in eine mit Öl eingeriebene Auflaufform geben. Mit dem Schöpflöffel eine Lage Gemüse darauf verteilen.

Rote und grüne Paprika waschen und in Spalten schneiden. 1/3 auf das Gemüse geben, dann mit Oregano und Basilikum (je nach Bedarf) würzen. Ziegenhartkäse und Edamer mischen und einen Teil über das Gemüse geben.

Mit den folgenden zwei Schichten genauso verfahren. Jede Schicht separat würzen, gerne auch noch mit Pfeffer und Paprikagewürz. Beim Salzen beachten, dass der Käse dem Gericht bereits Salz spendet.

Die Tomaten waschen und in Scheiben schneiden. Auf die letzte Schicht der Lasagne-Platten geben. Würzen.

 

***

 

Ich trinke gekühltes Frühkölsch aus der Flasche und schaue dabei auf die Kölner Metropole. Mein neues Domizil liegt im zehnten Stockwerk, in schwindelerregender Höhe. In den letzten Tagen habe ich reichlich geschuftet, um die Wohnung angenehm zu gestalten. Habe die Zimmer nach meinem Geschmack eingerichtet und Neues mit den Möbeln aus der alten Wohnung gemischt. Ich trage den Teller in die Küche und betrachte die sündhaft teure Standuhr. Luxuserwerb bei einem Antiquitätenhandel. Der hohe Anschaffungspreis schert mich einen Dreck, denn bis auf Isoldes gut gefülltes Geschäftskonto habe ich alles leer geräumt. Das Geld habe ich in den Spontankauf der Eigentumswohnung, die Antiquität und ein paar Kleinigkeiten gesteckt. Einen Teil habe ich aufs neu eröffnete Konto eingezahlt, den Rest in hochverzinste Aktienfonds angelegt. Auch wenn das ein gewisses Wagnis beinhaltet. Doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Dadurch, dass ich meinen Job an den Nagel gehängt habe, bin ich kein geringeres Risiko eingegangen. Mit den Euros auf meinem Konto würde ich für einen längeren Zeitraum über die Runden kommen. Nicht gerade unvermögend in die Ehe gestartet.

Im Grunde steht es mir zu, nun davon zu leben. Bei der Eheschließung hatten wir uns für einen Gütertrennungsvertrag entschlossen. Damals aus geschäftlichen und steuerlichen Gründen, heute kommt er mir zugute. Die Uhr schlägt acht. Behalte ich recht, wird mein Handy bald seine Melodie von sich geben. Im Stillen habe ich mit mir selbst eine Wette abgeschlossen. Einsatz: Tiramisu und einen Espresso zum Nachtisch.

Wer sagt`s denn! Pünktlich erklingt Mozarts kleine Nachtmusik. Den Sound werde ich ändern, der passt nicht mehr zum neuen Heribert.

»Was gibt’s?«, höre ich meine Noch-Ehefrau Isolde fragen. Den Hintergrundgeräuschen nach befindet sie sich im Flughafengebäude.

»Schön, dass du deine Mailbox abgehört hast.«

»Mach ich immer.«

»Aber das erste Mal, dass du zurückrufst, wenn ich draufgesprochen habe.«

»Und, was ist so wichtig? Ich bin gleich zu Hause.«

»Ist deine Reise gut verlaufen?«

»Einige Abschlüsse in der Tasche.« Stolz schwingt in ihrer Stimme.
»Meinen Glückwunsch.« Ich trinke einen Schluck Bier.

»Also, was ist oder wo bist du?«

»In meiner Wohnung.«

»Stell schon mal den Wein kalt.«

Obwohl meine Betonung auf »meiner« lag, schrillen bei Isolde anscheinend keine Alarmglocken.

»Schon erledigt, öffnen musst du dir die Flasche selbst.«

»Bist du unterwegs?«

»Nein, ich wohne nicht mehr mit dir zusammen.« Ob dies nun klar und deutlich bei ihr ankommt?

»Lass die Witze, ich bin vom Flug total müde. Gerade steuert ein Taxi auf mich zu. Wir sehen uns gleich.«

Sie hat mich weggedrückt. Ich kann mir genauestens vorstellen, wie Isolde den Fahrer herbeiwinkt und ihm ein bezauberndes Lächeln schenkt. Abwarten ist angesagt. Ich spähe wieder auf die Standuhr. Das Taxi braucht ungefähr fünfunddreißig Minuten zur Wohnung. In der Zeit schaffe ich es locker, meine gewonnene Wette zu vertilgen.

 

»Bist du von allen guten Geistern verlassen?«, schnauzt Isolde durchs Telefon.

»Schmeckt der Wein?«

»Woher weißt du, dass ich ...«, stottert sie.

Damit nehme ich ihr den Wind aus den Segeln. Innerlicher Triumph. Langsam finde ich Gefallen am neuen Heribert.

»Isolde, ich bin siebenundzwanzig Jahre mit dir zusammen gewesen. Du brauchst nach jeder Geschäftsreise erst mal eine Flasche gut gekühlten Wein. Obwohl das eine Sünde für den teuren Burgunder ist. Egal ... Wenn du nicht als erstes am Kühlschrank gewesen wärest, hättest du überlegt, ob bei uns eingebrochen worden ist.« Ich lache.

»Äh ... Und was soll das Ganze?«

Ich höre, wie der Spätburgunder durch ihre Kehle fließt. Sie hat sich gut im Griff.

»Na dann Prost, auf meine wiedergewonnene Freiheit.« Ich stoße mit einer neu geöffneten Flasche an den Hörer. Wahrscheinlich zu heftig.

»Spinnst du?«, schreit sie.

»Ich bin ganz klar bei Verstand.«

»Heribert! Sag mir endlich, was hier abgeht.«

»Bist du blind oder stellst du dich nur blöd an? Das bin ich von dir überhaupt nicht gewohnt. Es ist doch wohl offensichtlich, dass ich ausgezogen bin.«

»Aber warum?«

»Fragst du im Ernst, warum?«

»Ja!«

»Jürgen, Hannes, Ludwig, André und wie heißt der noch, der jetzt mit dir auf Reisen war?«

»Du hast einen Knall!«

»Echt?«

»Du willst mir doch nicht allen Ernstes weismachen, dass du die Wohnung zerstückelt hast, weil ich meinen Assistenten in die Staaten mitgenommen habe. Ich war schließlich wochenlang dort, um Verträge abzuschließen. Da brauche ich einen Mitarbeiter an meiner Seite, dem ich die Formalitäten aufs Auge drücken kann. Ach, was mache ich hier eigentlich, es gibt überhaupt keinen Anlass, mich zu rechtfertigen!«

»Auch nachts?« Mit großem Vergnügen bohre ich weiter.

»Heribert! Hör auf mit deiner ständigen Eifersucht. Das Thema haben wir seit Jahren durch!«

»Echt?«

»Was soll dauernd dieses blöde ‚echt’?«

»Dein dir assistierender Rotfuchs war am Telefon, als ich dich im Hotel angerufen habe, um nachzufragen, ob du gut gelandet bist.« Stille! »Hallo, bist du noch da?«

Sie räuspert sich. »Das sagt gar nichts aus.«

»Stimmt. Doch er hat mir klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass er erleichtert ist, weil ich es nun weiß. Er hat diese Heimlichtuerei der letzten zwei Jahre satt.«

»Echt?«

»Ich dachte, das Wort ist blöd.«

»Heribert, das mit Toni ist nicht so, wie du denkst.« Versöhnlich kommt ihre Stimme rüber, sie will mich damit geschmeidig machen.

Ich kenne ihre Tour. Zu oft hat sie dieses Spiel mit mir getrieben. Und ich Trottel bin jedes Mal darauf reingefallen. Mir fehlten die Beweise, nun lagen sie vor.

»Ach nee? Und wie ist es dann?« Dieses Mal bleibe ich hart.

»Ich liebe ihn nicht.«

»Das arme Tonilein.«

»Hör auf mit dieser ironischen Tour. Ist das deine neue Masche?«

»Ist dir lieber, wenn ich ihn Rotfuchs nenne?«

»Heribert!« Ihre Stimme überschlägt sich.

»Ich bin nicht taub. Wenigstens streitest du deine Affäre nicht ab.« Trockene Kehle, ich kippe den Rest vom Kölsch in mich hinein.

Isolde atmet hastig, bleibt jedoch stumm. Kein Widerwort, keine Entschuldigung, nichts? Es kotzt mich an. Obwohl ich es vorher wusste, trifft es mich, dass meine Vermutung sich bewahrheitet hat. Ich möchte nur noch eins, sofort auflegen, aber mit Stolz und nicht als gehörnter Ehemann.

»Mein Kaffee wird kalt. Tschüss.«

Ich gebe zu, es ist eine Lüge, der Espresso gehört längst der Vergangenheit an, so wie jetzt auch Isolde. Ihr klagender Aufschrei ist unüberhörbar, als ich das Gespräch wegdrücke. Zu spät, Isolde, zu spät!

 

Vollbracht! Aus Heribert, dem immer korrekten Controller, Ehemann in allen Lebenslagen, wird Heribert, der Rebell, auf der Suche nach Abenteuern und dem Sinn des Lebens. Heribert, der aus der Schwärze heraustreten wird, hinein in ein sonniges Leben. So stelle ich es mir vor. Bis jetzt bin ich extrem angespannt gewesen und habe zugleich gespürt, dass diese herablassende Art nicht zu meinem Wesen passt. Dennoch ist es unmöglich gewesen, mich dagegen zu wehren. Nun hoffe ich, mit wachsendem Abstand mein Gleichgewicht wiederzufinden.

Im Erdgeschoss befindet sich ein Reisebüro. Die Angestellte legt mir Kreta ans Herz. Ein Lastminute-Arrangement. Single-Club an der Ostküste. Gebucht!

 

4. Kapitel

 

Ausgerechnet zur Rushhour muss ich los zum Flughafen. Erwartungsgemäß herrscht auf dem Zubringer stockender Verkehr. Zähflüssig, meinem bisherigen Leben gleich. Ich schaue aus dem Fenster, eine Regenwolke zieht über uns hinweg. Der Taxifahrer stellt einen Musiksender ein. Eben erklingt »Because I’m happy, clap along if you feel like that’s what you wanna do ...”

Genau! Ein Zeichen von oben. Schicke ein Stoßgebet zum trüben Himmel: Mögen endlich alle schwarzen Töne aus meinem weiteren Dasein verschwinden. Ganz glaube ich ja nicht daran, aber eines ist gewiss: In wenigen Stunden werde ich auf Kreta landen und die Sonne genießen dürfen.

Mit den Füßen wippe ich im Takt der Musik, stelle meinen Handyklingelton auf »Happy« um. Der Fahrer verwickelt mich in ein Gespräch über das verrückte Wetter Mitte Juni. Desinteresse, verweile weiterhin beim aufmunternden Song. Als der Mann dann darüber quatscht, was für eine Messeausstellung in Köln-Deutz angesagt ist und dass er dadurch Überstunden zu leisten hat, klinke ich mich gänzlich aus. Wahrscheinlich fällt ihm meine Interessenlosigkeit auf. Sein scharfer Blick trifft mich durch den Rückspiegel. Er dreht die Anlage laut. Herbert Grönemeyer. »Liebe ab und an, weil man nichts vorausschauen kann« tönt mir entgegen.

Grönemeyers Worte nehmen mich gefangen. »Fernweh nach Wiesen, Eis, Strand, Wasserfällen. Mir tut’s im Kern weh. Will ganz weit weg, nur weg. Fernweh. Nach Monsun, Regenzeit, Stromschnellen. Bevor ich hier am Rad dreh, ohne Sinn und Zweck.« Der Typ singt mir aus der Seele. Bin aufgewühlt. Mein erster Flug, seit Jahren. Der Fahrer lässt mich am Terminal raus und rauscht davon, ohne sich für das großzügige Trinkgeld zu bedanken. Mir soll’s recht sein. Er hat Druck. Sein Problem, er könnte den Job schmeißen. So wie ich. Stressfrei setze ich meinen Weg fort. Urlaub. Weit weg von all dem, was mich seit Wochen gefangen hält. Erleichtert, alles hinter mir zu lassen, abzuschütteln und die Sonne zu genießen. Ganz sicher werde ich in der Erholungsphase den wahren Heribert finden, einen dazu leicht aufgefrischten.

Am Abfertigungsschalter dudelt mein Handy.

»Erstaunlich, dir ist meine Nummer bekannt?«, meine ich, nachdem ich gesehen habe, dass es sich um Isolde handelt.

Da ist er wieder, der sarkastische Heribert. Diese Art zu reagieren zeugt sicherlich vom tief in mir steckenden Schmerz. Ich versuche mich auf Isolde zu konzentrieren, obwohl der Wunsch besteht, das Telefon zu zerdeppern.

»Heribert, hör endlich auf, dich über mich lustig zu machen. Dieser Stil passt nicht zu dir.«

»Ich habe gerade keine Zeit. Was willst du?«

»Der holländische Platzvermieter für unseren Wohnwagen hat angerufen und gesagt, dass der Caravan samt Vorbau nicht mehr da ist. Mit anderen Worten: Uns wurde unser Urlaubsdomizil geklaut. Na, was sagst du jetzt?«

Zum Glück kann sie nicht sehen, wie ich meine Augen verdrehe.

»Es war immer dein Wunsch, dort die beste Zeit des Jahres zu verbringen. Ich wollte in den Süden. Durch deine ständigen Dienstreisen wurde das allerdings von dir jedes Mal gestrichen.«

»Du gehst ziemlich gelassen mit dem Diebstahl um.«

Aufklärungszeit. »Nicht gestohlen, veräußert. Die Anmeldung lief auf meinen Namen. Und nun lass mich, ich habe zu tun.«

»Verkauft? Ich glaub es nicht! Hast du noch alle Tassen im Schrank?«

»Nicht alle, ein paar habe ich dir gelassen.«

»Toll, Heribert. Du bist einfach so total cool geworden.«

Das ist zweifelsfrei ironisch gemeint. Ich gehe nicht darauf ein. Schaue zum Schalter, damit der nicht geschlossen wird, bevor ich eingecheckt habe.

»Was hast du sonst noch alles während meiner Abwesenheit veranlasst?«, fragt sie genervt.

»In den drei Wochen? Einiges, du wirst schon selbst darauf kommen. War’s das?«

Durch den Lautsprecher erklingt eine Ansage und unterbricht unser Gespräch für einen Moment.

»Sag jetzt nicht, dass du am Flughafen bist«, faucht Isolde.

»Richtig erkannt.«

»Wohin fliegst du?«

»Es geht dich zwar nichts mehr an, aber bevor du mir keine Ruhe lässt und ständig anrufst: Ostküste Kreta, Club Delphino.«

Stille.

»Single-Club.«

Totenstille.

»Bist du noch da?«, frage ich.

Gespräch beendet. Ich schiebe das Smartphone in die Hosentasche. Vor mir wartet eine Gruppe Frauen. Ich schätze sie auf fünfunddreißig bis Ende vierzig.

In zwei Jahren werde ich meinen fünfzigsten Geburtstag feiern, geht mir durch den Kopf. Ungewollt bekomme ich ihre Gespräche mit. Kegelclub aus Köln-Nippes! Zehn Tage Wellnessurlaub auf Kreta. Freue mich für die Damen. Dann bin ich endlich dran, gebe den Koffer auf.

»Führen Sie im Handgepäck irgendwelche Flüssigkeiten mit sich?«, fragt die Angestellte der Fluggesellschaft.

»Nein.«

Das weiß ich zum Glück von Isolde, die ständig meckert, dass sie kein Parfüm mit in den Flieger nehmen darf. Sie kauft sich sofort nach der Kontrolle eins im Shop. Isolde ohne Duftnote, mir unbekannt. Unwichtig.

Nehme die Bordkarte entgegen. »Happy« ertönt ein weiteres Mal. Zum Glück habe ich die Abfertigung hinter mir.

»Was willst du noch?« Gebe zu, ich bin gereizt.

»So einfach geht das alles nicht, Heribert!«, keift Isolde.

»Wieso? Man gibt das Gepäck und das Ticket ab, danach erhält man die Bordkarte. Kennst du doch.«

»Das meine ich nicht, sondern dass du dich aus dem Staub machst. Schließlich habe ich die besten Jahre meines Lebens an dich verschwendet.«

»Weise gesprochen. Ich muss los«, beende ich den sinnlosen Dialog. Schüttle den Gedanken ans Gesagte ab und konzentriere mich aufs Wesentliche.

Gate B 32? Schnellen Schrittes gehe ich die Halle einmal rauf, dann runter. Finde den Eingang nicht. Der Flughafen hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Drum steuere ich auf eine der Kegelschwestern zu.

»Wissen Sie, wie man zum Gate B 32 kommt?«

Kurz darauf erneut »Happy«. Isolde! Nun schalte ich das Ding komplett aus. »Entschuldigung.«

»Wir haben die gleiche Richtung«, antwortet die Frau.

Sofort werde ich in die Runde der Kegelschwestern aufgenommen. Vergesse in dem Moment Isolde, verbanne sie imaginär in eine Kammer, drehe den Schlüssel um und schmeiß´ ihn in den Rhein. Fühl mich dabei sauwohl. Wir kommen an einer Bar vorbei.

»Sie halten die Bordkarte in der Hand. Schauen Sie mal drauf, haben wir nicht noch Zeit für einen Prosecco?«, fragt die Frau und dreht sich zu ihren Freundinnen um, die nun alle gebannt auf mich schauen.

»Also«, ich werfe einen Blick auf die Gatezeit, »wir müssen in einer halben Stunde rein.«

»Super!«, schallt es mir mehrstimmig entgegen.

Sie ziehen mich zur Theke und bestellen acht Gläser. Das Geschnatter belustigt mich, obwohl ich mich ein wenig außen vor fühle. Es liegt bestimmt an meiner Anspannung und dass ich eine derart sprudelnde Fröhlichkeit um mich herum seit vielen Jahren nicht mehr kenne.

»Hört mal«, ruft plötzlich die Frau, die ich vorhin nach dem Gate gefragt habe. »Wir sind vielleicht unhöflich. Wir haben uns dem Herrn gar nicht vorgestellt. Da ich die Älteste bin, fang ich mal an. Sabine, frisch geschieden, hab einen Friseursalon in der Kölner Innenstadt.«

Freundlich nicke ich. Der Beruf spiegelt sich in ihrem Aussehen wieder. Blonde Strähnen glitzern in ihrem sonst rötlichen Haar.

»Petra, aus Überzeugung alleinstehend, Betriebskauffrau.«

Peng! Tolle Figur, super Aussehen, niedliches Lächeln, denke ich und traue mich, ihr zuzuzwinkern.

»Andrea, Sonnenstudiobesitzerin in Hürth. Und liiert mit ...«

»... mir, Susi. Künstlerin.«

»In welcher Kunstbranche?«, frage ich interessiert. Mir fehlen für die neue Wohnung ein paar Bilder an der Wand.

»Malerin.«

»Stellen Sie in einer Kölner Galerie aus?«

»Bundesweit.«

»Halt!«, ruft Sabine. »Hebt euch das für später auf. Erst mal alle vorstellen, dann können wir auf du und du trinken. Ich bestell die nächste Runde.«

Die hübsche Dunkelhaarige ist an der Reihe. Kein »Peng«, aber ein »Wow«! Ihr frecher Kurzhaarschnitt passt hervorragend zu ihrem Gesicht. Die grünen Augen funkeln. Einen Hauch zu tief in die Schminkkiste gegriffen, aber nicht abstoßend, sondern eher anregend. Eine fantastische Figur. Die eng anliegende Lederhose zaubert erotische Gedanken in mir hervor. Sie trägt eine kurze Lederjacke mit Glitzersteinen. Ein wenig zu viel Glamour, dennoch kann ich meine Augen nicht von ihr abwenden. Weiße Bluse, tief ausgeschnitten. Eines ist mir augenblicklich klar: Die könnte mir enorm gefährlich werden!

»Ich bin Lisa.«

Bei ihrer dunklen Stimme schrecke ich zusammen. Das darf jetzt nicht wahr sein. Im Nu verpufft meine Illusion. Außerdem: Was will ich überhaupt? Gerade die Trennung hinter mir. Reicht mir die eine Enttäuschung nicht? Muss ich meinem Ego irgendetwas beweisen und sofort eine andere Frau erobern? Das passt überhaupt nicht zu mir. Einem treuen Ehemann, der nie einer anderen Frau ernsthaft hinterhergeschaut hat. Was bin ich für ein Trottel gewesen. Wer weiß, was mir alles entgangen ist. Schluss damit! Jetzt ist erst einmal eine frauenfreie Periode angesagt.

»Mir gehört der Transvestitenschuppen in der Altstadt. Schon mal dagewesen?«, höre ich Lisa sagen.

Ich räuspere mich. »Ja.«

»Und?«

»Ihr sollt euch erst nur vorstellen«, mahnt Sabine.

»Ich bin die Gundi. Wie sagen die in der Werbung immer so schön: Ich manage ein kleines Familienunternehmen. Vier Kinder, zwei Enkel, zwei Hunde, eine Katze und einen faulen Kerl, ständig auf der Couch vor dem Fernseher.«

»Du bist schon Oma, alle Achtung.« Ich kann es kaum fassen. Sie ist sicherlich jünger als ich.

Gundi strahlt Mütterlichkeit aus, ihre Rundungen passen gut dazu. Sie kommt mir als aufgeschlossene und sympathische Frau herüber, mit viel Humor.

»Die machen doch nu schon mit vierzehn rum«, antwortet Gundi.

»Ich bin an der Reihe. Felizitas, Model für Übergrößen, verheiratet, zwei Kinder.«

Noch bevor ich mir ein Bild von ihr machen kann, werde ich von rechts angesprochen.

»Und wer bist du?« Sabine kommt mir in der Zwischenzeit als Redeführerin vor.

»Heribert, frisch getrennt, umgezogen, arbeitslos und urlaubsreif.«

»Dann sind wir durch. Los, Mädels. Heribert, Prost!«

»Letzter Aufruf des Fluges Germanwings nach Heraklion. Bitte begeben Sie sich sofort zu Gate B 32.«

»Das sind wir! Verdammt, wir haben den Aufruf verpasst«, ruft Sabine, setzt ihr Glas ab und sieht in die Runde. »Los beeilt euch, wir müssen durch die Kontrolle.«

So schnell ihre hohen Hacken es zulassen, stöckeln die Kegelschwestern los, ich trotte hinterher.

»Achtung bitte, letzte Durchsage. Die Passagiere Zopes, Lembrau, Schneider, Winkelzug, Petermann, Kluge, Heinrich, Bauer und Tölz, gebucht für den Flug von Germanwings nach Heraklion. Bitte kommen Sie unverzüglich zu Gate B 32, das Flugzeug steht zum Abflug bereit.«

Bei der Kontrolle kann ich es nicht fassen. Haben die Frauen keine Ahnung, was es mit flüssigen Sachen auf sich hat? Ich bin beim Einchecken danach gefragt worden, sie anscheinend nicht. Parfüm, Getränke und Cremes wandern in den Mülleimer. Mir kommt es vor, als bräuchten wir ewig, um zum Gate zu gelangen. Außer Atem erreichen wir es, die Angestellte der Fluggesellschaft ist gerade im Begriff, den Schalter zu schließen.

»Wir wurden aufgerufen. Entschuldigung, wir haben die Zeit vergessen«, sagt Sabine und lächelt die junge Frau an.

»Einen Moment, ich muss erst Rücksprache mit dem Kapitän halten.«

Sie greift zum Hörer und gibt die Meldung durch. Es dauert einen Moment. Ist hier mein Urlaub bereits beendet? Nein! Sie öffnet die Pforte, zügig fertigt sie uns ab. Wir laufen durch den Tunnelgang. Der Einstieg ist bereits geschlossen. Durch die Geräusche erfasse ich, dass die Tür von innen geöffnet wird. Da haben wir wirklich Glück gehabt, dass die Besatzung so kulant ist. Das hätte schiefgehen können. Ganz Gentleman lasse ich die Frauen zuerst einsteigen. Galant bedanke ich mich beim Flugpersonal.

 

5. Kapitel

 

Ich konzentriere mich auf die Nummern über den Sitzen, um nicht in die Gesichter der Passagiere schauen zu müssen. Die Damen haben die vordersten Reihen zugewiesen bekommen. Ich komme in den Genuss, mich bis zur letzten durchzuarbeiten.

»Mensch, mach, Alter. Hast wohl nach dem Rummachen mit den Tussis keine Kraft mehr, bis zu deinem Sitz zu kommen. Aber wir wollen nu endlich in Urlaub. Also mach hinne!«, ruft mir ein Stänkerer zu.

»Neidisch?«

Der Typ zeigt mir den Stinkefinger. In dem Moment, als ich ihm mit meiner Faust drohen möchte, tönt es durch den Lautsprecher: »Bitte nehmen Sie unverzüglich Ihre Sitzplätze ein.«

Schnell mache ich, dass ich weiterkomme. Als ich endlich vor meiner Reihe stehe, stelle ich fest, dass mein Sitz am Gang besetzt ist.

»Entschuldigen Sie, das hier ist meiner.« Ich zeige den Abschnitt der Bordkarte vor.

»Zu spät kommen und dann Ansprüche stellen«, antwortet mir der fleischige Mann. Seine Augen flammen mich an.

»Der Herr in der letzten Reihe, bitte setzen Sie sich, wir sind klar zum Starten«, schallt es durch den Lautsprecher.

Sämtliche Augen aus den fünfunddreißig Reihen vor mir, à sechs Personen, stieren mich an. Auf jeden Fall kommt es mir so vor. Ich ziehe den Kopf ein und zwänge mich an dem Mann vorbei auf den mittleren Platz. Am Fenster sitzt, soweit ich das einschätzen kann, seine bessere Hälfte. Was ihre Statur betrifft, steht sie ihm in nichts nach. Umständlich versuche ich mich anzuschnallen. Danach halte ich die Arme fest an den Körper gedrückt, für mehr ist kein Raum. Schon hebt der Flieger ab. Die Frau neben mir mahlt unablässig mit den Zähnen auf einem Kaugummi, hin und wieder gähnt sie. Ihr Mann hält sich oft die Nase zu, bläht die Wangen auf und bläst heftig. So geht der Herr mit Druck auf den Ohren um. Bald schweben wir über den Wolken und mein Sitznachbar beendet seine Walrossgeräusche.

»Guten Tag, meine Damen und Herren«, erklingt eine verzerrte Stimme aus dem Lautsprecher. »Mein Name ist Kapitän Zander. Ich möchte mich hiermit für die Verspätung entschuldigen.«

Überführt senke ich den Blick auf meine Knie. Der Mann neben mir bläst scharf durch seine Nüstern. Schon gut, ich habe verstanden.

»Unsere Flugzeit beträgt zwei Stunden und fünfzig Minuten. Die Flugroute führt uns über Österreich, Zagreb, an der Adria-Küste entlang nach Kreta. Ich werde mich später noch einmal bei Ihnen melden und wünsche Ihnen einen angenehmen Flug.« Das Gekrächze verstummt mit einem Knacksen.

Bei all der innovativen Technik scheint es bis heute ein Ding der Unmöglichkeit, diese Mikrofone und Boxen in Flugzeugen so aufzurüsten, dass die Stimmen halbwegs erträglich klingen. In all den Jahren meiner Flugabstinenz hat sich in der Richtung nichts weiterentwickelt. Die Flughöhe ist erreicht, die Stewardessen fangen an, die Rollschränke mit Getränken und Speisen durch den schmalen Gang zu manövrieren.

»Gerda!«, schreit mein Nachbar.

Die Gerufene dreht sich zu ihm und rammt mir ihren Ellbogen in den Magen. Ohne sich zu entschuldigen, sagt sie: »Was willst du, Otto?«

Otto und Gerda! Das passt irgendwie zu ihrem Aussehen, ihren Manieren und überhaupt. Ich habe keine Lust, weiter darüber nachzudenken, warum ich derart genervt von den beiden bin, und versuche mich zwischen den mächtigen Körpern zu entspannen. So gut es eben geht. Ich schließe die Augen. Zwei Sekunden lang, denn dann spüre ich Ottos heißen Atem an meinem Ohr: »Ist draußen Land zu sehen?«

Otto drückt den Oberkörper an meine Schulter, schiebt mich dadurch näher an Gerda. Er versucht einen Blick nach draußen zu erhaschen. Okay, das mit der Entspannung kann ich knicken. Presse mich gegen die Rückenlehne. Mein unüberhörbares Räuspern führt zu keinerlei Reaktion.

»Sieht alles ziemlich klein aus«, meint Gerda, die mich beim Drehen zum Fenster mit ihrem Hintern rammt.

»Na, dann …«, sagt Otto und ich atme erleichtert durch, denn er neigt sich nun in Richtung Gang. »Wir bekommen bald was zu futtern. Es riecht verführerisch. Gut, dass wir den Smart-Tarif gebucht haben, sonst wären wir leer ausgegangen.« Er lächelt mich an.

Ich verziehe mein Gesicht zu einem Grinsen. Gespannt, ob ich überhaupt in der Lage bin, das Tablett entgegenzunehmen. Gerdas Ellbogen schwappt über meine Lehne, als sie ihr Tischchen in Vorfreude aufklappt. Ottos ausladender Schenkel drückt sich gegen meinen, obwohl ich die Beine zusammengepresst habe. In meinen Armen laufen Ameisen. Fein, da kommt ja noch mehr Freude auf. Das routinierte Lächeln der Stewardess schwebt mitsamt Gerdas Tablett über mir.

»Was möchten Sie trinken?«, fragt die junge Frau, ihr Blick haftet auf meiner Sitznachbarin.

»Was trinkst du, Otto?«, ruft sie rüber.

»Cola.«

»Für mich auch Cola«, bestellt sie daraufhin. Gerade im Begriff, den Becher entgegenzunehmen, entscheidet sie sich um. »Also, mir ist ein Tomatensaft lieber. Das wird ja immer in Flugzeugen getrunken, stand vor Kurzem in der Zeitung. Muss ja irgendeinen Grund haben. Denke, der verträgt sich in dieser schwindelerregenden Höhe besser mit dem Essen.«

Wow! Was für eine Aussage, die da aus ihrem Munde kommt. Heribert, maßregele ich mich, bitte nicht so sarkastisch. Das sind sicherlich ganz liebe Leute. Es liegt an dir, an deinem derzeit angespannten Nervenkostüm.

Gerda empfängt das eingefrorene Bedienungslächeln, als sie Otto die Cola reicht. »Danke, aber ich möchte auch einen Tomatensaft. Immer was für die Gesundheit tun.« Gemeißeltes Lächeln.

»Geben Sie mir die Cola«, mische ich mich ein.

Spontane Entscheidung, obwohl Cola mit das Einzige ist, was ich eigentlich nicht trinke. Dafür ernte ich ein ehrliches, bezauberndes Lächeln mit einem gesäuselten »Danke.« Die junge Dame wendet sich erneut an Gerda: »Möchten Sie Pfeffer und Salz zum Tomatensaft?«

»Nimmst du, Otto?«

»Klar, sonst schmeckt es sicher fad.«

Sie bekommen die Gläser gereicht, zusammen mit einem Löffel und den Gewürzen. Endlich sind die beiden beschäftigt und auf jeden Fall still. Ich überlege, ob nun der richtige Zeitpunkt ist, mein Tischchen aufzuklappen. Großzügigerweise hilft Otto mir dabei, denn mein Tablett ist bereits im Anflug. Sekunden später, nach Ottos Begutachtung der Speisen, geht es wieder los.

»Gerda, willst du meinen Joghurt? Ich tausche gegen den Keks.«

»Mein Essen ist versalzen, lass mich mal deines probieren«, posaunt Gerda.

Flach über der Brust kreuze ich meine Hände, mache mich möglichst platt und ziehe den leichten Bauchansatz ein, während die Herrschaften die Speisen hin und her tauschen. Geduldiges Warten, bis die zwei zu Potte gekommen sind, ist angesagt. Fällt mir schwer. Mein Magen knurrt verdächtig laut. Ich schiele auf Otto und Gerda, ob sie das mitbekommen haben.

»Ist gar nicht versalzen«, meint Otto und löffelt sich Nudeln in den Mund.

Ganz unerwartet tritt Ruhe in der letzten Reihe ein. Jetzt, mein Magen freut sich. Gerade als ich das Besteck aus dem Tütchen nehme, meint Otto: »Wenn Sie nix essen wollen … Also, ich würde nicht ›Nein‹ sagen. Sie verstehen?«

Logisch! Aus Angst, seine wabbelige Hand könnte jeden Moment mein aluminiumverschlossenes Gericht berühren, bewege ich mich zu hastig nach vorne. Die restliche Cola schwappt aus dem Becher und findet ihren Weg auf meine Jeans. Hastig ziehe ich die Serviette aus dem Tütchen. Tupfe die Hose ab und stoße dabei ans Tischchen, das aufbockt und die Teile darauf ins Rutschen bringt.

Mach dir keinen Stress, Heribert!, ermahne ich mich.

»Bevor Sie das Essen wegschmeißen, hätten Sie es Otto ruhig geben können«, merkt Gerda an.

Ich grinse, während ich mich bemühe, das Klappding wieder in eine waagerechte Lage zu bringen. Erleichtert stelle ich fest, dass nichts weiter ausgelaufen ist. Endlich öffne ich den Deckel. Nudeln mit Minihackbällchen und einem Klecks Tomatensoße. Schon beim ersten Happen beruhigt sich mein Magen. Dann höre ich das Rattern des Servierwagens. Strecke mich und schaue über die Sitzreihen. Sie sind bereits beim Abräumen. Die letzten Brocken schlinge ich hinunter. Klemme Joghurt und Keks ins Netz, dort, wo die SOS Liste steckt. Reiche das Tablett an die unentwegt lächelnde junge Dame. Erst dann schnalle ich, dass ich den Löffel hätte behalten sollen. Shit. Kann die Joghurtidee vergessen. Ich knabbere am Gebäck. Mit der tragischen Folge, dass im Colafleck nun Krümel kleben.

»Na, das geht bestimmt schlecht raus«, gibt Gerda ihren Senf dazu und schaut auf meinen Schritt.

Flugs zieht sie ein Taschentuch heraus, bespuckt es und ist im Begriff, mir zwischen die Beine zu gehen. Wie der Blitz klappe ich das Tischchen runter und stütze meine Unterarme darauf. Unverrichteter Dinge zieht Gerda sich zurück, nicht ohne ein unmissverständliches Gemurmel über die Undankbarkeit der Menschen vom Stapel zu lassen. Ich nehme mir vor, mich während der restlichen Flugzeit auszublenden. Schließe die Augen.

Mein Vorhaben lässt sich bedauerlicherweise nicht umsetzen. Otto schnarcht unüberhörbar mit offenem Mund. Auf der anderen Seite kramt Gerda raschelnd Plätzchen, Chips und Salzstangen aus dem Handgepäck und reicht sie Stück für Stück über mich hinweg zu Otto. Jedes Mal wacht er kurz auf, steckt das Gereichte in den Mund, schluckt hastig und nickt wieder ein. Zu guter Letzt zerrt Gerda eine Tafel Schokolade aus ihrem Beutel.

»Willst du ein Stück, Otto?«, pfeift sie in mein Ohr.

»Halt!« Ich habe es satt! Entgeisterte Blicke treffen mich.

»Wollen Sie auch?« Gerda hält mir die Tafel entgegen.

»Ich habe eine Frage«, sage ich. »Wieso setzen Sie sich nicht nebeneinander? Haben Sie mal darüber nachgedacht, wie ich mich dabei fühle, wenn ständig Zeugs über mich hinweg wandert?«

»Können wir etwas dafür, wenn Sie erst zu spät kommen und dann das Essen auf Ihre Hose schmeißen? Lassen Sie mal Ihre schlechte Laune nicht an uns aus«, sagt Gerda.

»Ich meine, ich sitze hier zwischen Ihnen, total eingepfercht, und habe ständig Angst, Sie hauen mir eins vor den Kopf.«

»Ist doch nicht passiert. Warum buchen Sie nicht First Class, dann haben Sie mehr Platz.« Otto greift nach der Schokolade. Knack! Er hat sich ein großes Stück abgebrochen, stopft es in sich hinein.

»Hi, Heribert.« Petra, die Betriebskauffrau, steht im Gang.

Wieder macht es »Peng« bei mir. Ich bin nicht fähig zu antworten. Nach Ottos Gardinenpredigt fehlt mir erst einmal die Luft dazu.

»Alles klar bei dir?«

»Nee, ganz und gar nicht!«, presse ich heraus.