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FÜR UWE

Inhalt

Prolog

    I  Schrott und Cocktails

   II  Lamm auf dem Achterdeck

  III  Braune Dusche in Safi

  IV  Im Souterrain von Casablanca

   V  1.000 Mark für zwei Minuten

  VI  Märchenstunden und Goodbye

 VII  Malheur in Villefranche

VIII  Mit dem Fürsten im Fürstentum

  IX  Ein Angebot aus Griechenland

   X  Empfänge und Häkeldeckchen

  XI  Tücken der Abgasführung

 XII  An Bord nur Fürstenberg

XIII  Welche Kombination hat der Safe?

XIV  Von Feadship zu Feadship

 XV  Das letzte Projekt des Fürsten

XVI  Sperrholz und Motorsägen

Epilog

Prolog

Wer an diesem Märzmorgen in Monaco am Ufer stand, musste sich einfach wundern. Draußen, zwischen dem Fürstentum und dem Cap Martin, lagen bestimmt 30 Yachten beisammen. Das sah man höchstens zur Monaco Yacht Show oder zur Formel 1, aber beide Events sollten erst später im Jahr stattfinden. Die Yachten waren voll besetzt, sodass sich bestimmt rund 300 Menschen versammelt hatten.

Ich steuerte ODIN, einen zur Yacht umgebauten Fischkutter, und mein Freund Gerhard seine TERTIA, eine knapp 20 Meter lange Grand Banks, auf der Uwe vor zwei Wochen verstorben war. Dort hatten wir ihn in den letzten Wochen gepflegt, bekocht und unterhalten. Tagsüber saßen wir am Strand von Larvotto, wo Uwe sich die Sonne auf den Rücken scheinen ließ. »Das tut so gut«, sagte er immer wieder. Abends gingen wir dann auf die TERTIA zurück und ließen die alten Zeiten noch einmal hochleben – natürlich nur mit Eau gazeuse und nicht wie üblich mit einigen Flaschen Rosé.

Uwe war ein guter Freund gewesen, ein sehr bekannter Kapitän an der Côte d’Azur und der Mann, mit dem ich quasi mein halbes Leben an Bord von Megayachten und damit im Jetset verbracht hatte.

Einige Minuten schwamm die Urne auf der Wasseroberfläche, dann tauchte sie ab und würde sich bald am Grund auflösen. So hatte Uwe es gewollt. Am Kai kamen wir alle zusammen, tranken und feierten. Eine Band spielte fortwährend Uwes Lieblingssong California Blue von Roy Orbison, und die Tochter des Eigners, für den Uwe bis zuletzt gefahren war, hatte ein üppiges Buffet auftischen lassen.

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Blick auf Monaco: Das Fürstentum gilt heute als Welthauptstadt des Yachtings. In der Bucht davor fand ANTINOUS- und PAMINUSCH-Kapitän Uwe Bergmann seine letzte Ruhe.

Es war der würdige Abschluss eines Lebens wie es mittlerweile wahrscheinlich nicht mehr möglich ist. Uwe und ich gerieten zu einer Zeit in eine Szenerie, als diese gerade erst entstand. Während große Yachten inzwischen die Häfen im westlichen Mittelmeer bis auf den letzten verfügbaren Liegeplatz füllen und in den Medien und Filmen nahezu allgegenwärtig sind, waren sie in den 70er-Jahren wahre Exoten. In Monaco, Ibiza oder Saint-Tropez, heutigen Epizentren des Yachtings, lagen neben uns vielleicht fünf weitere Yachten. Ihre Eigner waren keine neureichen Osteuropäer, sondern weltbekannte Unternehmer wie Malcolm Forbes, Charles Revlon oder Gianni Agnelli. Von dieser Zeit handelt dieses Buch, einer Zeit, in der die Begriffe »exklusiv« und »Luxus« noch nicht inflationär verwendet wurden.

Burkhard Scheller, Juli 2017

I
Schrott und Cocktails

 

Die Geschichte beginnt in Ostfriesland. Dort, wo man eigentlich als Letztes an Megayachten oder den Glamour der Côte d’Azur denkt. Doch manchmal kommt eben alles anders, als man denkt.

Ich wuchs als Sohn eines Schiffbauingenieurs auf, der nach dem Krieg bei den Nordseewerken in Emden die ersten Chemietanker mit Inox-Tanks baute. Was lag nach der Schule also näher, als ebenfalls dort eine Lehre als Bootsbauer zu machen. 1961 hatte ich meinen Gesellenbrief in der Tasche, aber leider nichts Richtiges zu tun. »Schlechte Auftragslage«, hieß es von den Vorarbeitern. Wir sollten mal auf dem Gelände Schrott sammeln gehen. Schrott sammeln? Dafür hatten wir doch nicht unsere Lehre gemacht. Das hätten wir auch ohne Ausbildung geschafft.

Ein Freund von mir hatte die rettende Idee. »Lass uns nach Berlin fahren, da kann man uns bestimmt gebrauchen.« Ein paar Tage später saßen wir im Reisebus und stiegen, in Berlin angekommen, beim örtlichen Arbeitsamt aus. Jedes Büro war für einen bestimmten Beruf zuständig, uns sprach jedoch jemand auf dem Gang an. »Sucht ihr Arbeit? Ich brauche zwei Männer mit Muskeln.« Bei einem avisierten Honorar von 150 Mark gingen wir sofort mit zum Ostbahnhof. Es galt, zwei Waggons mit italienischen Kartoffeln auszuladen, verschwiegen hatte uns der Auftraggeber allerdings, dass diese in 100-Kilo-Säcke verpackt waren. Es war eine unglaubliche Plackerei, die heutzutage wahrscheinlich gar nicht erlaubt wäre. Wir aßen rohe Kartoffeln, um einen Teil der verbrannten Kalorien wieder aufzunehmen und irgendwie Energie zu tanken. Mit dem Honorar ließ sich in den örtlichen Kneipen allerdings so einiges bestellen.

Gebraucht wurden wir in Berlin, die Stadt befand sich im Auf- und Umbruch.

In den nächsten Wochen suchten wir uns dann etwas einfachere Arbeiten. Mein Kumpel hatte recht: Gebraucht wurden wir in Berlin, die Stadt befand sich im Auf- und Umbruch. Entweder arbeiteten wir als Tischler oder – das war eigentlich mein Lieblingsjob – als Barkeeper. Besonders gut gefiel es mir in einer 24-Stunden-Cocktailkneipe. Dort bekam man kein Grundgehalt, sondern verdiente pro Drink eine Mark. Da die Bar immer gut besucht war, insbesondere von Amerikanern, musste man den Gästen nur genügend Drinks aufschwatzen und ging dann mit einem anständigen Lohn nach Hause – beziehungsweise selbst noch aus. Wir endeten zum Beispiel oft in der »Pappschachtel«, die, so kolportierte es der Kneipenklatsch, komplett aus Pappe bestand.

So lebten mein Kumpel und ich einige Monate vor uns hin, bis mich ein Telegramm erreichte, dass mein Vater verstorben sei. »Du musst sofort zu deiner Mutter«, sagte der Barbetreiber, für den wir gerade hinterm Tresen standen. Er drückte mir 500 Mark in die Hand und meinte, dass ich sie ihm ja irgendwann wiedergeben könnte. Was als noble Geste gedacht war, entpuppte sich als Problem. Einen 500-Mark-Schein konnte niemand wechseln, es war, als wäre man heutzutage mit einem 5000-Euro-Schein unterwegs. Die Schaffner zuckten mit den Schultern und ließen mich weiterfahren, bis ich schließlich in Emden ankam, ohne eine Mark für das Ticket bezahlt zu haben.

II
Lamm auf dem Achterdeck

 

Nach der Beerdigung blieb ich in Emden und unterstützte meine Mutter. Die brauchte mich nun dringender als irgendwelche Kneipengäste in Berlin. Ich fühlte mich in Ostfriesland auch wesentlich wohler als in der lauten und hektischen Großstadt.

Es war dann bei einer dieser Stammtischrunden in Emden, an der ich anstelle meines Vaters nach seinem Tod teilnahm: Ein Industrieller aus Aurich sprach mich an, ob ich mir vorstellen könne, eine Yacht ins Mittelmeer zu überführen. Er hatte von meinen Segelkenntnissen gehört und vielleicht ja sogar davon, dass mich mein Posten als Geschäftsführer eines Holzhandels, den ich nach einer einzigen in der Lokalzeitung aufgegebenen Annonce bekommen hatte, gehörig langweilte. Ich horchte auf. Es handelte sich um eine große Motoryacht, deren Bau er in Bremen überwachte. Die Yacht hatte der Krupp-Erbe Arndt von Bohlen und Halbach bestellt, und Berthold Beitz, der Vorsitzende der Krupp-Stiftung, hatte den Industriellen daraufhin beauftragt, ein bisschen nach dem Rechten zu schauen, damit die Kosten nicht aus dem Ruder liefen.

Spontan sagte ich einem Werftbesuch zu. Es ging ins nördliche Bremen zu Burmester – schon damals ein bekannter Name, allerdings eher für Segelyachten. Jetzt standen dort zwei große Motoryachten: die 30 Meter lange und 7,70 Meter breite ANTINOUS für Arndt von Bohlen und Halbach sowie eine 35-Meter-Yacht für den Schah von Persien, die allerdings gerade ein kleines Malheur zu verkraften hatte. Zur Taufe hatte man eine Stahlplatte auf das Heck gelegt, darauf traditionell ein Lamm geschlachtet (!) und es dort dann gegrillt (!!). Die Stahlplatte war dabei so heiß geworden, dass das ganze Deck verschmorte (!!!). Die Ablieferung musste also erst einmal verschoben werden.

Als der Brecher die Yacht erreichte, gab es einen lauten Knall.

Mit der ANTINOUS lief es indes nicht viel besser. Nach dem Werftbesuch lud mich der Kapitän zu einer Probefahrt ein, sozusagen als Einstimmung auf eine mögliche Zusammenarbeit. Die Wettervorhersage war nicht gerade rosig, doch wir brachen trotzdem auf. In Bremerhaven wäre ich an seiner Stelle dann spätestens umgedreht, doch der Kapitän glaubte an bessere Bedingungen. Er ließ an einem Duckdalben festmachen, was sich als fatale Entscheidung herausstellen sollte. Wir lagen vielleicht fünf Minuten fest, als eine Welle auf uns zumarschierte, die etwas größer war als die anderen zuvor. Mir schwante Böses. Und tatsächlich: Als der Brecher die Yacht erreichte, gab es einen lauten Knall – an Steuerbord war das komplette Schanzkleid weggerissen. Wir legten natürlich sofort ab, doch dies sollte eine der letzten Amtshandlungen des Kapitäns sein. Berthold Beitz, selbst passionierter Segler, entließ den Mann sofort, als er von den Vorkommnissen hörte.

Ich hatte mich inzwischen tatsächlich entschieden, meinen Job an Land gegen den des Bootsmanns auf der ANTINOUS einzutauschen. Und da wir einen neuen Kapitän benötigten, rief ich einfach meinen Schulfreund Uwe Bergmann an, mit dem ich in meiner Jugend oft um die Häuser gezogen war und fast jedes Wochenende in Emdens In-Kneipe »Mariandl« gesessen hatte. Mitunter war auch ein Herr namens Otto Waalkes dabei, der damals noch ein bisschen unbeholfen auf seiner Gitarre herumzupfte, dann aber eine famose Karriere hinlegte.

Crewagenturen oder ähnliche Dienstleister gab es damals noch nicht.