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KERSTIN FINKELSTEIN | REGINA MARUNDE

FAHR
RAD!

ALLES ÜBER KAUF
AUSRÜSTUNG, FAHRTECHNIK
UND REPARATUREN

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DELIUS KLASING VERLAG

 

 

 

Lektorat: Mathias Müller, René Stein
Illustrationen: inch3, Bielefeld
Titelgestaltung: Felix Kempf, www.fx68.de
Layout: Gabriele Engel, Bielefeld
Lithografie: Mohn Media, Gütersloh

Inhalt

Warum eigentlich Radfahren?

Fun, Fun, Fun – und ja, gesund ist es auch

Beteiligte und Verunglückte

Ein Traum im Fahrradsattel – die Welt(-stadt) ohne Autos

Ja, wo fahren sie denn? – Eine kurze Entwicklungsgeschichte des Rades

Fahrradkauf

Das Fahrrad ist wie eine Tasse Kaffee – wie viel Latte Macchiato darf es denn sein?

Hollandrad

Citybike

EXTRA: INTERVIEW zum Thema Materialermüdung

Trekkingbike

Mountainbike

Rennrad

E-Bike

Vom Profi spielen zur Selbsterkenntnis oder: Wer will eigentlich 28 Gänge?

Familienfahrer

EXPERTENINTERVIEW: Froschhupe und Puppensitz

Alltagsbegleiter

Reiseradler

EXPERTENINTERVIEW mit Gunnar Fehlau

Leistungssportler

EXPERTENINTERVIEW: Der goldene Radler

Tipps für den Radkauf

Berührungspunkte – ein paar Bemerkungen zu Sätteln, Griffen und Pedalen

Sättel

Pedale

Griffe

Radhaltung

Dehnen, recken, aber nicht strecken – die Ergonomie

Ergonomie für Starter

Ergonomie für Fortgeschrittene

Ein gerader Rücken kann Orthopäden entzücken – Sitzhaltung und Haltungsirrtümer

Sattelhöhe

Sitzgeometrie

Tritttechnik

Ausgleich für den Ausgleich – Liegestütz und Blattspinat

Ernährung

Stretching

Kräftigung

Radfahren

Vom Homo Bürostuhl zum Homo Zweirad – der Trainingsstart

Gesundheitsuntersuchung

Leistungsdiagnostik

Fahrsicherheitsseminare

Alles, was Recht ist!

Fit (wie) für die Tour de France – Trainingspläne für Durchstarter

Einsteiger

Gesundheitssportler

Leistungsorientierte Sportler

Im Alltag genießen – die Kurzstrecke macht den Unterschied

Wetter

EXPERTENINTERVIEW: Tea to drive statt röchelnd im Bett

Kleidung

Wartung

Reparaturen

Beleuchtung

Reifen

Accessoires

Ausblick

Gesund, flexibel und schnell – (Ihre) Zukunft fährt Rad

Warum eigentlich Radfahren?

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Fun, Fun, Fun – und ja, gesund ist es auch …

Das Fahrrad ist ein Alleskönner. Es trainiert den Kreislauf, die Muskulatur und das Herz, entspannt die Nerven und bringt gleichzeitig den Stoffwechsel auf Hochtouren. Wer das Radfahren für sich entdeckt, ist seltener erkältet und hat weniger Rückenschmerzen als der Durchschnitt. Gleichzeitig neigen Pedaleure noch zu Idealgewicht – sie fühlen sich also nicht nur besser, sondern sehen auch flotter aus!

Aber nicht nur den Velozipisten selbst macht das Radfahren glücklich: Zugleich schont es noch Nasen und Ohren seiner Mitmenschen, lässt Bäume aufatmen und erfreut die Gemeinschaftskasse. So zeigt etwa eine aktuelle Studie in drei norwegischen Städten, dass 30 Minuten Radfahren pro Tag eine jährliche Ersparnis von 3000 bis 4000 Euro an gesellschaftlichen Kosten bringt – ein Großteil davon entfällt auf das Gesundheitssystem.

Überhaupt liegt das Rad bei jedem vorn, der rechnen kann: Was vorher durch Absolvieren von Alltagswegen verlorene Zeit war, wird mit dem Velo zur Trainingsstrecke; keine Sportart schafft – integriert in den Alltag – ansatzweise eine so positive Bilanz zwischen Zeitaufwand und Ergebnis!

Zugleich sind die Zeiten der uniformen Einheitsfahrräder lange vorbei. Heute kann nicht nur jeder Sporthungrige ein genau zu ihm passendes Rad wählen – auch ein Hipster kommt für seinen coolen Stadtauftritt nicht mehr ohne Pedale aus. Zu allem Überfluss kommen Velolenker meist im innerstädtischen Bereich so schnell wie mit keinem anderen Verkehrsmittel ans Ziel.

Keine Frage also: Das Fahrrad ist Klassenbester. Nicht einmal die eigenen Füße können mit dem Speichengefährt mithalten:

Radfahren verfügt bei Menschen über den höchsten Wirkungsgrad, mit eigener Muskelkraft voranzukommen. Wissenschaftlich liest sich das so: Auf dem Rad können bis zu 98,6% der auf die Pedale einwirkenden Kräfte in Vortrieb umgesetzt werden – während etwa Fußgänger ein Drittel ihrer Leistung verschwenden.1 Aber auch ohne Formeln weiß jeder: Mit dem Velo kommt man schlicht weiter als auf den eigenen zwei Beinen.

Nicht zuletzt haftet den gespeichten Reifen auch immer ein Hauch Revolution an: Frauen etwa konnten vor gut hundert Jahren endlich ihren Radius erweitern und sich von der engmaschigen Überwachung des eigenen Wohnumfeldes befreien. Dafür tauschten sie zunächst einmal die Ohnmacht fördernden Korsetts und unhandein – das Rad wurde und machte Mode. Auch heute erleben wir eine samtene Revolution der Städte: Vorbei sind die Zeiten, in denen sich alles nur am Bedürfnis der Autofahrer ausrichtete, dafür Parks verstümmelt und alte Häuser abgerissen wurden, um nur ja genug Raum für Parkplätze und Straßen zu schaffen. Heute richtet sich modernes Denlichen Reifröcke gegen praktische Hosen ken wieder an Lebensfreude aus, Rad- und Fußwege werden geschaffen, Straßen vom Autoverkehr beruhigt, Begegnungszonen eingerichtet.

Denn Radfahren steht für Leben(sfreude) und ist zu guter Letzt noch das sicherste aller Verkehrsmittel.

Also: Aufsteigen und genießen!

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Keine Sorge: Radfahren macht putzmunter und – liebe Männer – mitnichten impotent …

Ein Traum im Fahrradsattel – die Welt(-stadt) ohne Autos

Sie sind bereits entschlossen, Ihr Leben auf selbst angetriebene Räder zu stellen und fortan nicht ohne Ihr Fahrrad das Haus zu verlassen? Nun, dann können Sie sich im folgenden Abschnitt entspannt zurücklehnen und genießen – denn schließlich wird Ihre Entscheidung nicht nur mehr Freude und Gesundheit in Ihr eigenes Leben bringen:

So belastet nach Angaben des Umweltbundesamtes jeder Bundesbürger jährlich seine Umwelt mit durchschnittlich elf Tonnen CO2. Davon stammen circa zwei Tonnen aus dem Bereich Verkehr. Ein Durchschnittsdeutscher geht zurzeit pro Tag etwa 600 Meter zu Fuß und legt einen Kilometer mit dem Fahrrad zurück. Würden sich diese Strecken zuungunsten des Autoverkehrs verdoppeln, blieben der Atmosphäre bereits jährlich fünfeinhalb Millionen Tonnen CO2 erspart. Und wer zum Beispiel seinen fünf Kilometer langen Arbeitsweg mit dem Rad statt dem Pkw zurücklegt, vermindert seine Verkehrsemission um 20 Prozent und verhindert jährlich die Entstehung von mehr als 400 Kilogramm Treibhausgasen.

Auch die Volkswirtschaft könnte aufatmen. Denn, so bitter es klingt: Jeder Unfall und jede Krankheit lassen sich auch in Euro umrechnen. Egal ob es sich dabei um Stresserkrankungen durch Lärm, Atemwegsgebrechen durch Abgase oder Unfallschäden bis hin zu Todesfällen handelt: Zusammengerechnet liegen allein die externen Kosten des Autoverkehrs in Deutschland bei jährlich etwa 80 Milliarden Euro (zum Vergleich: Die Einnahmen aus der Energiesteuer, früher Mineralölsteuer, belaufen sich auf 39,4 Milliarden, jene aus der Kfz-Steuer auf 8,5 Milliarden Euro). Hinzu kommen 17,5 Milliarden für den Straßenbau sowie weitere Milliarden für die Bereitstellung von Stellflächen, Straßenbeleuchtung und -reinigung, Rettungsdienste, Wirtschaftsförderung im Straßenbau … Bedenkt man, dass lediglich gut die Hälfte der Deutschen überhaupt ein Auto besitzt, erstaunt die Selbstverständlichkeit, mit der diese Kosten auf die Allgemeinheit umgewälzt werden.

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Einmal pro Jahr freie Fahrt auf der Autobahn: Sternfahrt des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs in Berlin.

Natürlich gibt es gerade im ländlichen Raum Gebiete, wo aufgrund verfehlter Verkehrspolitik für den Einzelnen kaum eine Alternative zum eigenen Pkw besteht. Werden Bahnhöfe geschlossen und Buslinien eingestellt, bedarf es zwangsläufig eines Autos. Immerhin sieht in Großstädten die Situation schon heute anders aus: So besitzt zum Beispiel nicht einmal mehr jeder dritte Berliner einen eigenen Pkw.

Und so gibt es Anlass für etwas Zukunftspoesie:

Es gibt da diesen Traum, dass sich eines Tages die Menschheit erheben wird und die wahre Bedeutung von Mobilität erkennt – denn wir halten diese Wahrheit für selbstverständlich: Städte sind für Menschen da, nicht für Autos!

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In Zukunft vielleicht mal Politik aus der Speichenperspektive?

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Fahrradstraße mit Pkw-Parken.

Es gibt da diesen Traum, dass sich eines Tages, wo jetzt Hauptverkehrsstraßen Lebensraum zerschneiden und eine tödliche Gefahr für jeden darstellen, wieder Menschen begegnen werden. Dass dort, wo jetzt unter »Parkzone« Abstellflächen für Blech verstanden werden, stattdessen Bäume stehen. Bäume, die den Grundstoff für das Leben liefern, unser Dasein erst ermöglichen, anstatt es zu vergiften.

Es gibt da diesen Traum, dass wir unsere Kinder wieder alleine ihren Weg zur Schule und ins Leben entdecken lassen können – und sie nicht bei jedem Schritt unter allzeit schützender und fürchtender Hand durch die Gefahren tonnenschwerer Geschosse geleiten müssen.

Es gibt da diesen Traum, dass auch in einem Land wie Deutschland, wo Milliarden in einen nicht funktionierenden Flughafen gesteckt werden, eines Tages Radschnellwege eine Selbstverständlichkeit sind.

Es gibt da diesen Traum, dass unsere Kinder eines Tages in einem Land leben werden, wo Mobilität seine ursprüngliche Bedeutung wieder erlangt hat: sich selbst bewegen.

Es gibt diesen Traum.

Autos sind für private Haushalte mit Abstand die teuersten Verkehrsmittel. Durchschnittlich 300 Euro werden dafür pro Monat ausgegeben. Dem gegenüber stehen lediglich 34 Euro für öffentlichen Nahverkehr und sechs Euro fürs Fahrrad zu Buche.

Zugleich steigen die individuellen Kosten für den Autoverkehr im Vergleich zur allgemeinen Preisentwicklung überproportional. Dennoch nimmt die Pkw-Dichte weiterhin zu: Derzeit besitzen 573 von 1000 Deutschen ein Auto. Zum Vergleich: in Dänemark kommen lediglich 410 Pkw auf 1000 Einwohner.

Im Vergleich zur Anzahl der Fahrräder gibt es in Deutschland jedoch immer noch verhältnismäßig wenig Autos: Fast 70 Millionen Räder und »nur« 43 Millionen Pkw verteilen sich auf 82 Millionen Einwohner.

Ja, wo fahren sie denn? – Eine kurze Entwicklungsgeschichte des Rades

Von Hochradstürzen und Selbstbefriedigung bis zur Emanzipation der Frau

Das Fahrrad ist also ein rechtes Wundermittel, lässt Gesundheit und Städte gedeihen, die Umwelt verschnaufen und die Zukunft ein wenig leiser und freier erscheinen. Aber wie sieht es mit der Geschichte aus – wer also hat es erfunden, das Rad?

Eine nicht ganz einfach zu beantwortende Frage, reklamieren doch mit Frankreich, Großbritannien und Deutschland gleich drei Länder für sich, den Erfinder hervorgebracht zu haben. Alle haben recht, kommt es doch stets darauf an, ab wann man von einem Velo sprechen kann. Behauptet man, dass ein Fahrrad alles mit zwei Rädern und menschlicher Kraft als Antrieb ist, dann kann Karl Freiherr Drais von Sauerbronn als Erfinder durchgehen. Der umtriebige Deutsche erfand neben einem Aufzeichnungsgerät für Klaviere und einem Schnellschreibapparat im Jahre 1817 auch die Draisine. Besonderen Anklang fand er mit diesem Laufrad und Vorreiter einer Erfindung, die bis heute von Milliarden Menschen genutzt wird, jedoch nicht: »Die ganze Maschine ist auf Lächerlichkeit angelegt, denn nur Kinder können sich derselben, der komischen Gestikulation wegen, die man dabei machen muß, bedienen. Es sieht fast so aus, wenn man auf der Maschine sitzt, als wolle man auf dem Straßenpflaster Schlittschuh laufen. Genug, seit Erfindung dieses ganz zwecklosen Spielzeugs, hat Hr. von D. so zu sagen seinen Verstand verloren.«2

Ein wenig ernster nahm hingegen die Politik die damalige Erfindung – 1820 verbot Preußen das Laufradfahren. Schließlich hatte es sich bis dahin trotz aller Lästereien zu einem beliebten Studentenhobby entwickelt, und selbige galten, vor allem, wenn sie sich im Rudel zusammenrotteten, als mögliche Gefahr für die herrschende Klasse. Vielleicht wurde durch dieses frühzeitige Verbot also der erste Fahrradflashmob der Geschichte verhindert.

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Radgeschichte in der Ausstellung »Das Fahrrad«, Hamburger Museum der Arbeit.

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Die Entwicklung des Rades selbst war hingegen nicht mehr aufzuhalten. Bald gesellte sich der Pedalantrieb zum Laufrad und revolutionierte die individuelle Reisegeschwindigkeit: Immerhin war man bis dato entweder auf Kutsche oder Zug angewiesen, um schneller als ein Fußgänger zu sein, nun konnte man ganz selbstbestimmt schneller durch die Lande ziehen. Der Selbstbestimmung standen nur Kutscher und kläffende Hunde entgegen, gegen die man sich mit Knallkörpern und Platzpatronen zur Wehr setzte.

Leider bekam jedoch offenbar nicht jedem menschlichen Kopf die neue Geschwindigkeit gut – das Fahrrad jedenfalls (de)formierte sich zunächst in Richtung Hochrad und brachte von dort manch Lernwilligen zur Verzweiflung respektive ins Krankenhaus. Zu den prominenten Radlern, die ihre Erlebnisse mithilfe eines eigens angeheuerten Lehrers schilderten, gehörte Mark Twain. Der Brite hatte das zweifelhafte Vergnügen, das damals moderne Hochrad in all seinen Facetten kennen zu lernen – besonders aus der Dackelperspektive, nahm es aber mit Humor. »Der Experte erklärte kurz die Gesichtspunkte des Dings, dann stieg er auf dessen Rücken und fuhr ein wenig herum, um zu zeigen, wie einfach das geht. Er sagte, daß das Absteigen die vielleicht schwierigste Sache der Welt sei, deshalb würden wir uns das bis zum Schluß aufsparen. Da hatte er sich aber getäuscht. Zu seiner freudigen Überraschung brauchte er mich nur auf der Maschine zum Rollen zu bringen und aus dem Weg zu gehen, und schon kam ich von alleine herunter. Obwohl ich doch völlig unerfahren war, stieg ich in Rekordzeit ab.«3

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Ein Rad für die Frau?

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Frau von heute: atmungsaktives Shirt statt Korsett.

Wenig später entwickelte sich das Hochrad bereits zum bis heute bestaunten Museumsstück; auf der Straße trat gegen Ende des 19. Jahrhunderts an seine Stelle das »safety bike«, das in seiner Grundkonstruktion dem auch heute noch üblichen Fahrrad ähnelt. Darauf zu fahren, war dennoch nicht für alle möglich: Denn Frauen auf dem Fahrrad – das konnte nicht gut gehen, sorgte sich mancher Mann im ausgehenden 19. Jahrhundert: »Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß, wenn die betreffenden Individuen es wollen, kaum eine Gelegenheit zu vielfacher und unauffälliger Masturbation so geeignet ist, wie sie beim Radfahren sich darbietet. So bietet der Sitz, rittlings mit ausgespreizten Schenkeln, ausreichend Möglichkeit, solchem Hange nachzugehen. (…) Wenn das zarte Geschlecht absolut das Bedürfniss zur Betätigung seiner Strampelkraft fühlt, so kann es diese ebenso gut an der Nähmaschine efektuieren.«

Es galt also nichts weniger, als die Moral der Frau zu retten, denn an der hing schließlich die Macht des Mannes. Aber die wenig schutzwillige Damenwelt fand dennoch ihren Weg aufs Rad. »Das Bicycle«, behauptete die österreichische Frauenrechtlerin Rosa Mayreder Anfang des 20. Jahrhunderts denn auch, »hat zur Emanzipation der Frau mehr beigetragen als alle Frauenbewegungen zusammen.«

Diese Beziehung, also Frau auf Sattel, war jedoch hart erkämpft worden. Amalie Rother etwa schildert ihre erste Radtour zu Beginn der 1890er-Jahre mit einer Freundin durch Berlins Zentrum wie folgt: »Sofort sammelten sich hunderte von Menschen, eine Herde von Straßenjungen schickte sich zum Mitrennen an, Bemerkungen liebenswürdigster Art fielen in Haufen, kurz, die Sache war das reinste Spiessrutenlaufen, so dass man sich immer wieder fragte, ob das Radfahren denn wirklich alle die Scheusslichkeiten aufwöge, denen man ausgesetzt war.«

Ganz unmöglich war das Radfahren zu dieser Zeit noch für Arbeiterfrauen. Der Preis eines Fahrrades war so hoch, dass, wenn überhaupt eine solche Anschaffung getätigt werden konnte, sie dem Manne überlassen werden musste. Erst mit dem Beginn der Massenproduktion um die Jahrhundertwende änderte sich dieser für Frauen untragbare Zustand, nur Damen aus besser situierten Kreisen hatten da schon Abenteuerfahrten weit jenseits städtischen Asphalts unternommen.

So berichtet etwa Margaret Valentine Le Long über ihre Reise von Chicago nach San Francisco (1898): »Unbeirrt durch die Opposition aller Freunde und Bekannte setzte ich meine Vorbereitungen für die Radreise fort. Diese waren nicht allzu umfänglich. Unterwäsche zum Wechseln, ein paar Toilettenartikel und ein sauberes Taschentuch schnallte ich auf meinen Lenker, und eine geborgte Pistole steckte ich extra in meine Werkzeugrolle. Und so startete ich eines Morgens im Mai unter einem vielstimmigen Chor von Prophezeiungen für gebrochene Glieder, Tod durch Verhungern oder Verdursten, Verführung durch Cowboys oder Skalpiertwerden durch Indianer.«

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Victoria Damenrad mit Beiwagen fürs Baby »Velo-Diner« (1925).

Schon vier Jahre vorher hatte sich die gebürtige Lettin und Neu-US-Amerikanerin Annie Londonderry auf die Reise gemacht. Als erstem Menschen überhaupt gelang ihr die Umrundung der Welt auf dem Fahrrad. Heute sind Rad fahrende Frauen im Guten wie im Schlechten kein Thema mehr. So sucht man etwa Berichterstattungen über aktuelle Fahrradrennen meist vergeblich. Zugleich verliert niemand mehr eine Zeile über die Alltagsradlerin. Ob im kurzen Rock, Kostüm oder in Funktionskleidung: Frauen auf Rädern sind selbstverständlich. Hierzulande. Bis heute »schickt es sich« für Frauen in den meisten muslimischen Ländern nicht, Rad zu fahren. Das altbekannte Spiel von Moral und Macht.

Kurz gesagt: Das Fahrrad ist Revolution! Möge sie voran radeln.

 

 

 

1 Fahrrad fahren. Max Glaskin. Delius Klasing Verlag, S. 16

2 Karl Gutzkow nach Cyclomanie. Elmar Schenkel. Isele, S. 22

3 Schenkel, S. 36

Fahrradkauf

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Manchmal entscheidet beim Fahrradkauf auch das Kapital.

Das Fahrrad ist wie eine Tasse Kaffee – wie viel Latte Macchiato darf es denn sein?

Früher kaufte man »ein Fahrrad« und bestellte »eine Tasse Kaffee«. Heute wird man gefragt: Fully, Singlespeed oder Pedelec? Was steckt hinter dem Verkäufersprech?

Manche Radtypen sind nur für einen einzigen Zweck konstruiert worden: Ein Bahnrad zum Beispiel hat nicht einmal Bremsen, dafür aber eine starre Nabe. Das ist weder komfortabel noch verkehrssicher – aber bestens geeignet für Topgeschwindigkeiten im Velodrom. Mountainbikes hingegen sind meist gefedert, sodass man mit ihnen bestens über Unebenheiten fahren kann – die breiten Reifen sorgen aber auch für höheren Rollwiderstand und damit keine besonders hohen Geschwindigkeiten auf der Straße.

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Warum nicht mal das Gleichgewicht schulen und im Duo daher kommen? Buddy Bike.

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Rad mit Coolnessfaktor samt Feinstaubfilter.

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Liegerad.

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Mit einem Trekkingbike hingegen wird man im Velodrom und Gelände keinen Pokal gewinnen – dafür ist es aber ein passender Begleiter für den täglichen Weg zur Arbeit oder einen Wochenendausflug samt Packtaschen fürs Picknick. Die schwierige Frage lautet also beim Radkauf wie im wirklichen Leben: Was will ich eigentlich?

HOLLANDRAD

Wie der Name bereits unschwer vermuten lässt, stammt das Hollandrad aus unserem Nachbarland. Dort hatte man sich zu Beginn der Fahrradgeschichte noch auf Importe aus England und Deutschland verlassen müssen, bis Ende der 1970er-Jahre selbst losgelegt wurde. Der Schwerpunkt lag weniger auf Innovation oder poppigem Design, die Räder sollten vielmehr für den Alltag tauglich sein: stabil, komfortabel, langlebig und ohne viel Schnickschnack. Viele Hollandräder kommen bis heute sogar ohne Gangschaltung aus. In dem größtenteils flachen Land ist diese zumeist auch gar nicht nötig.