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ÜBER DEN AUTOR

Philipp Tingler, geboren in Berlin (West), ist mehrfach ausgezeichneter Schriftsteller und hat bei Kein & Aber u. a. die Romane Fischtal und Doktor Phil veröffentlicht. Er ist außerdem Kritiker im Literaturclub des Schweizer Fernsehens SRF und viel gelesener Kolumnist. Philipp Tingler lebt in Zürich.

ÜBER DAS BUCH

»Ich bin aufgewachsen in einer Sphäre, wo man nicht mal dann sagt, was man denkt, wenn das Haus in Flammen steht«, erklärt Lauren ihrem Ehemann, dem Schriftsteller Oskar Canow. Denn Oskar will eine Therapie machen, für seinen Freund Viktor. Dort soll er stellvertretend dessen Eheprobleme vorbringen – und das in einem gesellschaftlichen Milieu, wo man nichts mehr fürchtet als Peinlichkeit, wo Schein und Einbildung so real sind wie Botox-Spritzen und Diätpillen, wo Partygeschwätz das Leben ersetzt und der Psychotherapeut kleine Aufwallungen des Gemüts zu glätten hat wie der Schönheitschirurg die Haut. »Es gibt einfach keine Version dieses Szenarios, die nicht katastrophal endet« – so bewertet Lauren Oskars Plan. Und sie hat recht. Oder doch nicht?

Kein & Aber

»Ich hatte mal ’ne Panikattacke, weil ich mit dem Kopf
in einem Prada-Pullover steckengeblieben bin;
und das hier ist schlimmer.«

1

Der letzte Zug nach oben

»Werde ich davon fett?«

Unzählige Male in ihrem Leben, dessen genaue Dauer nur sehr wenige Leute kannten, hatte Millvina Van Runkle diese Frage gestellt. Denn Millvina, zu ihrem Leidwesen eher von kräftiger Statur, bewegte sich innerhalb jener Kohorte von Damen der Gesellschaft, die einer ihrer Kritiker einst als »social skeletons« bezeichnet hatte. Jene Schar, deren Mantra seit Geburt das Motto gewesen, das der Herzogin von Windsor zugeschrieben wurde: Man kann niemals zu reich sein und niemals zu dünn. Niemals.

»Das ist eine Glukose-Infusion«, erwiderte Schwester Hildegard mit einem verächtlichen Schnauben, »das gibts noch nicht mit Aspartam, Herzchen. Abgesehen davon werden Sie sterben.«

Als die Schwester, äußerlich herb wie auch von Naturell, diesen Ausspruch tat, fiel Gwendolyne Rosenstock, die in einem Louis-XV-Sessel am Fußende von Millvinas Krankenlager saß, der Unterkiefer runter. Und weil bisher nur wenig Empfindungen Gwendolynes kunstvoll gelähmtes Gesicht beansprucht hatten, ward es einfach grau. Grau wie der Stuck in den teuren Klinikzimmern, der alle Arten von Staub und Rauch und Heuchelei und Elend aufgesogen hatte.

Aber so war es: In einer Suite der Privatklinik »Le Retrait« vor den Toren der lieblichen Stadt Genf hauchte, im Kreise ihrer engsten Freinde und umgeben von Diptyque-Duftkerzen, Millvina Van Runkle ihr Leben aus – eine große Dame der Zürcher Gesellschaft, bei deren letztem Facelift sich Komplikationen eingestellt hatten: eine Thrombose, verbunden mit einer Infektion der Lunge und einer Verletzung von größeren Ästen der Gesichtsnerven. Das war nicht das Verschulden der Ärzte, die Ärzte hier waren ausgezeichnet. Sie waren sogar so ausgezeichnet, dass sie Millvina von dem Eingriff dringend abgeraten hatten. Nicht unter Bezugnahme auf ihr Alter, so weit würde man nicht gehen. Sondern unter Verweis auf die zahlreichen vorangegangenen Prozeduren, von denen die letzte nicht lange zurücklag, was von vornherein das Risiko erhöhte. Es war ebenfalls nicht hilfreich gewesen, dass die Patientin im Anschluss an die Operation das Tragen von Antithrombosestrümpfen strikt verweigert hatte. Mit der Begründung, sie passten nicht zu ihren Massaro-Pantoffeln.

Schwester Hildegard hatte also vollkommen recht: Millvina würde abtreten, es konnte jeden Moment so weit sein. Sie würde den Folgen der dauernden Raffung und Straffung und forcierten Verjüngung erliegen. Im Übrigen wäre es hochwahrscheinlich gewesen, dass Millvina auch bei jedem anderen Eingriff an Komplikationen zu leiden gehabt hätte, denn sie war alt. Viel älter, als selbst die meisten derer dachten, die sie nicht leiden konnten. Seit Jahren litt sie an einem Emphysem, an Rheumatismus und Arthritis; sie hatte mehr Privatkliniken von innen gesehen als Christina Onassis – aber sie lebte. Sie füllte ein Dasein, dessen Emblem und Leitmotiv für einige Beobachter mit dem Siegelbild graziöser Langeweile beschlossen zu sein schien, doch derlei Urteile sind schnell gefällt und schwer zu begründen.

Millvina Van Runkle, die hier, wie immer viel zu bombastisch gekleidet, in dem Bett lag, das ihr Totenbett werden sollte, in einer schillernden Seidenrobe, deren gepuffte Ärmel die untere Hälfte ihrer inzwischen kalten und blutleeren Oberarme entblößten, Millvina Van Runkle hatte ein Leben für die Gesellschaft geführt. Und solche Existenzen sind, wiewohl scheinbar leicht zu fassen, doch im Grunde rätselhaft. Zum Beispiel ließ sich schwerlich sagen oder vermuten, ob sich nun ihre besten Freunde oder flüchtigsten Bekanntschaften hier zu Besuchen einfanden. Denn derartige Prädikate waren einigermaßen beliebig und auswechselbar in jener Sphäre, in der unsere Geschichte spielt, in jenen Kreisen, wo man Leute, denen man Pest und Cholera an den Hals wünscht, Mimi und Chessy nennt.

Fest hingegen steht, dass sich an Millvinas Bett nur jene Charaktere sehen ließen, die noch nicht verbannt und vergrault worden waren durch Alwine Smid, Millvinas Anwältin und Treuhänderin, die in den letzten Wochen ihre eigene Art von Auswahl und Auskehrung betrieben hatte, indem sie jedem aus Millvinas Kreis, den sie für bedenklich oder unzuträglich hielt, den Zugang zu Millvinas schlossähnlichem Anwesen an der Zürcher Neumünsterallee gesperrt und bisweilen sogar persönlich die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. Obendrein hatte sie Millvinas alten Anwalt, Doktor Alois Martersteig, gefeuert; ebenso die Haushälterin und den Koch und Ferdinand, den treuen Fahrer, der selbstverständlich auch nach seiner Entlassung noch täglich in der Neumünsterallee angerufen und sich bei den Dienstmädchen, Floriana und Ascension, nach Madames Zustand und Befinden erkundigt hatte. Bis Floriana und Ascension von Alwine ebenfalls erledigt wurden, ungefähr zur gleichen Zeit wie Trooper, Impy und Trouble, Millvinas geliebte Malteser, die Alwine wegen eines vermeintlichen Infektionsrisikos entfernen ließ, und aus demselben Grund verbot sie Blumen, sodass die wöchentlichen Lieferungen von Binder im Oberdorf storniert wurden. Und es gab Gerüchte, dass Alwine Smid genau in diesen letzten Tagen und Stunden ihrer Mandantin eine ganz eigene Art von Inventur an der Neumünsterallee durchführte, dabei Möbel und preislose Dekorationsgegenstände systematisch wegschaffend, darunter ein idyllisches Landschaftsbild von Elisabeth Vigée Le Brun, Millvinas Lieblingsstück in ihrer Gemäldesammlung. Genaueres wusste niemand, obschon einiges geredet wurde, doch geredet wurde schließlich immer.

Wie dem auch sei: Millvina würde alsbald das Zeitliche segnen; alle jetzigen ärztlichen Maßnahmen und Vorkehrungen waren rein palliativer Natur; sie dienten dazu, Schmerz und Leid zu vermeiden. (Ein Unterfangen, auf das übrigens Millvinas gesamtes Dasein ausgelegt gewesen war.) Und obschon Gwendolyne Rosenstock dies wusste oder zumindest doch sehr deutlich ahnte, entschloss sie sich, den Umstand des nahen Endes und die Bemerkung von Schwester Hildegard, nachdem die Türe hinter derselben mit einem kleinen Knall ins Schloss gefallen war, zu ignorieren. Womit Gwendolyne einfach den bewährten Gesetzen der Gesellschaft folgte.

»Ich meine, Millvina, Schätzchen, du liegst hier vielleicht in so ’ner Art Krankenhaus«, sagte sie tapfer, wozu sie ein wenig flackernd mit den Augenlidern schlug, »aber ich, schau mich an, ich bin ebenfalls nicht gerade glücklich. Übermorgen ist mein Geburtstag! Ich werde, dir kann ich’s ja sagen, vierzig.«

»Hahaha!«, machte Millvina. Und fügte hinzu: »Liebes, ich sollte nicht lachen. Das verschlechtert meinen Zustand.«

»Das ist bestimmt die knappe Hälfte meines Lebens«, fuhr Gwendolyne fort, immer noch tapfer, jedoch nicht sicherer, »das ist so deprimierend. Ich meine, wie weit bin ich gekommen? Und weißt du, was das Deprimierendste ist?«

Pause.

»Gut«, erklärte Gwendolyne, »gut, wenn du’s unbedingt wissen willst: Das Deprimierendste ist, dass ich von meiner Mutter zu diesem Geburtstag, den sie als Meilenstein betrachtet, eine Foto-Collage bekommen werde.«

»Das ist in der Tat deprimierend«, konstatierte Millvina aufrichtig.

»… eine Collage mit Bildern der bisherigen Stationen meines Lebens. Das wird ein Monument der Frustration! Weißt du, was das für Bilder sein werden? Kannst du dir das vorstellen?«

Pause.

»Ich werds dir sagen«, fuhr Gwendolyne fort, »Einschulung, Einführungsball, Führerscheinprüfung! Das ist alles, was ich bisher in meinem Leben erreicht habe: ein Führerschein. Nicht mal ein Verlobungsfoto … bis auf das mit Alfonso, natürlich. Doch das zählt nicht. Dieser Idiot. Wenn sie das benutzt, brauche ich ’ne Extrastunde bei meinem Therapeuten. Natürlich wird sie es benutzen. Ich weiß es. Millvina? Warum sagst du nichts?«

»Verzeihung«, erwiderte Millvina. »Mein Gesicht ist streckenweise gelähmt. Und ich brauche meine verbliebene Kraft, um zu atmen. Falls es dir nicht aufgefallen sein sollte: Ich liege im Sterben.«

»Du hast wenigstens nicht übermorgen Geburtstag.«

»Liebes, wenn du so mit deinem mutmaßlichen vierzigsten Geburtstag fertig wirst, bin ich froh, dass ich tot bin, wenn du in deine fiktiven Wechseljahre kommst.«

Worauf Gwendolyne abermals der Unterkiefer runterfiel.

»Mein Gott, Millvina«, sagte sie mit leichtem Vorwurf, »wie kannst du nur so reden? Das ist ja … geradezu blasphemisch … geradezu rücksichtslos ist das! Ich stecke hier in einer Lebenskrise! Ich kann nicht mehr schlafen, ich kann nicht mehr essen …«

»Schätzelchen«, keuchte Millvina und hob Einhalt gebietend die schwer beringte bleiche Hand, »mach dich doch nicht kleiner, als du bist. Natürlich hast du Leistungen vorzuweisen! Warst du zum Beispiel nicht mal in einem Diät-Camp für Übergewichtige? Hast du da nicht irgendeine Trophäe gewonnen?«

»Schön«, seufzte Gwendolyne, indem sie ihre Finger nach einer kleinen Pyramide von Champagner-Truffes ausstreckte, die ein dienstbarer Geist auf einem Neuosier-Schälchen in ihrer Nähe aufgeschichtet hatte, »schön, ich kann essen. Und wenn ich esse, werd ich irgendwann auch müde …«

»Gwendolyne«, flüsterte Millvina, »würdest du ein Schatz sein und ein wenig den Mund halten und mir bei Schwester Hildegard noch ein paar von diesen phänomenalen Schlaftabletten holen? Das wäre zauberhaft, ich will sie jetzt nicht herbeiklingeln, sie ist mir zu laut und zu ruppig.«

»Schlaftabletten? Es ist doch erst halb sechs«, wandte Gwendolyne ein.

»Ja. Aber ich habe sechs Zwischenmahlzeiten hinter mir und eine halbe Flasche Gin. Ich bin für heute durch. Und wahrscheinlich für immer.«

»Wie du willst«, erwiderte Gwendolyne, der die Ausführung von Botengängen durchaus nichts ausmachte, und erhob sich. Gwendolyne Rosenstock war einer jener allgegenwärtigen und unempfindlichen Charaktere, denen die Gesellschaft Prädikate wie »unerschütterlich« oder »ununterdrückbar« zuweist; Charaktere, die, um keine eigene Meinung haben zu müssen, fast alle die Vorurteile und Meinungen ihres Milieus ebenso gemächlich annehmen, wie sie ihr Gewissen der jeweiligen gesellschaftlichen Lage anpassen. In Gwendolynes Welt wurde man eine bedeutsame Person, indem man sich dorthin stellte, wo bedeutsame Personen verkehrten. Sie war die geborene Aufschnapperin, vertraut mit allen Buchhaltungs- und Boudoirgeheimnissen der besseren und weniger besseren Kreise, durchaus nicht bösartig oder meschant, nur begabt mit einem beinahe zum Genie entwickelten Feingefühl für die unfeinen Angelegenheiten von feinen Leuten. Sie witterte die Schwächen und Geheimnisse der anderen und hatte im Laufe ihrer Gesellschaftskarriere eigene Erfahrung so gründlich durch fremde ersetzt, dass sie im Grunde überhaupt kein eigenes Leben mehr besaß, was sie quasi zu einem professionellen Gast machte. Und, in der Tat: Gwendolyne war immer zur Stelle. Dies war im Wesentlichen auch der Grund für ihre Anwesenheit jetzt und hier, am Totenbett von Millvina Van Runkle, mit der sie mutmaßlich keine enge Bindung verband. Mutmaßlich niemanden verband eine enge Bindung mit Millvina.

Gwendolyne trat vor die Tür in den Korridor, und dort wäre sie beinahe mit dem Schriftsteller Oskar Canow zusammengestoßen.

»Oskar, Liebes!«, rief sie mit unterdrückter Lautstärke, während sie anhob, die Luft über Oskars Wangenknochen zu küssen. »Hast du mich erschreckt! Was tust du hier, willst du Millvina besuchen, wie gut von dir! Wo warst du, in Antibes? Du siehst fabelhaft aus!«

»Danke«, erwiderte Oskar, »das ist ein originelles Kompliment für eine Begegnung in der Schönheitsklinik.«

»Mein Gott!«, quietschte Gwendolyne, indem sie einen schreiartigen Lacher vom Stapel ließ. »Du bist immer so witzig, Oskar; das ist ja kaum auszuhalten!«

»Wie geht es Millvina?«, fragte Oskar.

»Schscht!«, machte Gwendolyne und legte ihren schlanken Zeigefinger mit dem dschungelrot lackierten Nagel über ihre mit Hyaluronsäure gefüllten Lippen, wozu sie ihre Augen auf Mitgefühl einstellte. »Kann jede Sekunde abkratzen. Das ist jedenfalls die Einschätzung von dem Dragoner, der hier die Vitamintabletten austeilt. Furchtbare Person.«

Worauf sie überaus diskret mit dem dschungelroten Daumennagel zurück über ihre Schulter wies, die andere Hand wie ein Vordach schräg über ihrem Mund platzierte und wisperte: »Sieht so aus, als hätte sie was machen lassen.«

»Wer?«, fragte Oskar. »Die Krankenschwester?«

»Haha, oh Gott, nein«, quiekte Gwendolyne, »doch nicht die Krankenschwester, das wäre ja zum Totlachen! Millvina, natürlich. Das war dann auch die Ursache für diesen Nervenkrebs oder was immer sie jetzt hat. Gefühlsstörungen. Du weißt schon. Ich meine, ich weiß, wovon ich rede, ich war ja selbst mal hier zur Kinn-Modellierung … – nein, Moment, das war nicht hier, das war in La Rotunda.«

»Warst du nicht mal in einem Diät-Camp für Übergewichtige?«

»Oh mein Gott. Das erinnert mich an meine Mutter. Und daran, dass ich für Millvina ein paar Tabletten holen muss. Bis später, Liebes, wir müssen mal wieder zusammen zum Lunch.«

Damit verschwand Gwendolyne, und Oskar betrat das Zimmer.

»Oskar!«, rief Millvina mit schwacher Stimme. »Mein Gott, endlich, ein Mensch! Ich dachte schon, Gwendolyne wäre das letzte Wesen, das ich auf Erden seh. Sie mag gesellschaftlich versiert sein, aber am Totenbett ist sie eine Schande. Hast du den Zweikaräter an ihrer linken Hand gesehen? Du liebe Zeit, der Ring ist so lächerlich, dass der Elefantenmensch ihn tragen könnte, um von seinem Gesicht abzulenken. Wie gut, dich zu sehen. Komm näher, Schätzchen, komm näher!«

»Du siehst fabelhaft aus«, sagte Oskar, als er Millvina zur Begrüßung die Luft über ihren Wangen küsste, einerseits, weil man das in seiner Sphäre anstelle von »guten Tag« sagte; andererseits, weil er wohl wusste, dass sie sogar jetzt, in ihren letzten Momenten, lange, sorgfältige Stunden an ihrer Schönheit gearbeitet hatte – beziehungsweise hatte arbeiten lassen; auch heute war ihr dunkel glänzendes Haar in vielen Schnörkeln und Ausladungen zu einer umständlichen und hochgebauten Coiffure angeordnet, sodass wohl anschließend irgendein erschöpfter Friseur selbst eine Glukose-Infusion gebraucht hatte.

Millvina Van Runkle war, sogar jetzt noch, eine stattliche Erscheinung, ein eigentliches Hünenweib mit junonischen Schultern und Hüften wie im neunzehnten Jahrhundert. Ihre Statur freilich war nun zusammengesunken und schlaff, nicht wie jene der Damen der Gesellschaft, die aufrechten Rückens den Kopf ihrem Tischherrn zuwandten, indes sie mit den Spitzen der Lippen sprachen. Millvina saß im Bette, ihr Rücken war rund, sie ließ die junonischen Schultern nach vorne sinken und hielt auch noch den Kopf vorgeschoben, sodass die Wirbelknochen im Nackenausschnitt ihres Nachthemds hervortraten. Das Ende war nah. Millvinas Antlitz war bleich wie Leinen, ihr glatter, indifferenter Teint war sehr viel blasser als sonst, doch es spiegelte sich keine Aufrührung in ihm, keine Angst; er stellte das aus, was er zeitlebens ausgestellt hatte: gepflegte Indolenz.

»Gepflegte Indolenz«, dachte Oskar, »das ist eigentlich eine ganz souveräne Haltung, um dem Ende ins Auge zu sehen. Wenige Leute können sich das leisten. Man zahlt dafür mit einem Leben ohne Aufruhr.«

Laut sagte er: »Ich sehe, du bist ganz die Alte.«

»Nicht ganz«, verbesserte Millvina, »ich sterbe gerade.«

Oskar nickte hierauf, weil er erkannte, dass Millvina Van Runkle, der man ihr Leben lang nachgesagt hatte, dass ihr Lächeln und Grüßen voller Übung und Absicht sei und dass ihr Herz nicht hochschlüge, keineswegs, für nichts und niemanden – dass Millvina Van Runkle also wohl diesen prägnanten Moment erreicht hatte, diesen Moment im Leben sehr oberflächlicher Menschen, der in der Regel den Schlusspunkt bildet, jenen Augenblick, wo sie jede Prätention seinlassen. Deshalb sterben wahrlich oberflächliche Menschen bisweilen mit mehr Anstand als manch vermeintlicher Heiliger. Denn sie lassen auch den Tod nicht nah an sich heran. Und wenn diese Leute irgendetwas virtuos beherrschen, dann sind es Auftritte und Abtritte. Millvina war schließlich eine typische Repräsentantin der Sphäre, der sie entstammte, sie war die Wappenfigur einer Gesellschaft, in der alle unaufhörlich sprechen mussten, weshalb sie Begriffe durch Worte ersetzten und Gefühle durch Redensarten; einer Gesellschaft, in der kein Gefühl dem Strudel der Dinge und Dinglichkeiten widersteht; in der Liebe und Hingabe nur ein Wunsch, eine vage Vorstellung waren, sofern sie sich nicht auf Dinge bezogen (oder auf kleine Hunde), und Hass und Abscheu nur Launen. Es gab keinen treueren Begleiter dort als die American Express Centurion, keinen wahreren Freund als den Doktor mit der Spritze voll Botulinumtoxin.

Und was hatte dies Leben Millvina gegeben? Eine endlose Reihe von Dinner Parties und mehr als den Durchschnitt von Debütantinnenbällen, so viel steht fest. Ansonsten war nicht ohne Weiteres zu sagen, wie ihr Dasein zu bewerten wäre; manche Beobachter neigten zu der Ansicht, dass Millvina jenseits eines unbestreitbaren Talents, die Party im richtigen Moment zu verlassen, überhaupt keinen Charakter besaß. Freilich ist keinen Charakter zu besitzen eine Talentfrage wie alles andere auch; unbegabte Menschen macht es zu Lumpen, in einer höheren Form jedoch führt es wohl zu dem, was ein von seiner eigenen Charakterlosigkeit geplagter deutscher Dichter einst die poetische Indifferenz genannt hat. Millvinas Leben wies alle Formen der Bevorzugung auf: Für Außenstehende erschien es nicht selten als himmlischer Reigen, für Eingeweihte als eine Art Hölle, die man irgendwie liebte. Ein bisschen dem Zimmer vergleichbar, dieser Krankensuite, in der sie nun abschloss. Dachte Oskar.

Laut sagte er: »Hübsch hier.«

»Danke, Liebes. Ronaldo hat alles umgestellt«, erwiderte Millvina, »zuerst die Chaiselongue, die mir Alwine aus der Neumünsterallee hat schicken lassen; Ronaldo fand, sie habe das Chi gestört, bla bleugh bla. Interessiert mich nicht wirklich, du weißt, ich gebe nichts auf esoterische Anleitungen für die Inneneinrichtung. Ich gebe im Grunde nichts auf esoterische Anleitungen für sämtliche Lebensbereiche. Aber ich fand nie, dass Weiß eine gute Farbe für Krankenhäuser ist, und hier herrschte vor Ronaldo eine Stimmung wie im Koma-Zimmer von Sunny von Bülow, thank you very much.«

»Ronaldo Wer?«, fragte Oskar.

»Ronaldo Dingsda«, rief Millvina pikiert, wobei ihr Kardiogramm ausschlug, »Schätzchen, man könnte glauben, du bist derjenige von uns, der im Sterben liegt! Sag mir nicht, dass du nichts von Ronaldo gehört hast. Ronaldo Whatshisname. Irgendwas Exotisches. Sweetie, er ist der Dekorateur der Saison. Irgendjemand hat ihn aus Südamerika mitgebracht, glaube ich. Marella hat ihn mir empfohlen. Er hat Berties Gulfstream neu gemacht. Das Ding sah ja von innen aus wie ein Salonwagen des Orient Express. Er ist natürlich auf Jahre ausgebucht. Ronaldo, meine ich. Ich habe ihn schon für meine Beerdigung reserviert. Er wird den ganzen Anlass gestalten. Zum Glück konnte er mich reinquetschen.«

Oskar warf einen Blick auf Millvinas Bettwäsche. Porthault, natürlich. Ihm fiel Folgendes dazu ein: Die Vorliebe für Monogramme ist very middle class. Das hatte er von seiner englischen Ehefrau gelernt.

Laut fragte er: »Du meinst Ronaldo Riviera?«

»Genau!«, konstatierte Millvina triumphierend. »Wenn das sein richtiger Name ist. Klingt ziemlich falsch, wenn du mich fragst. Ich wusste, dass du ihn kennst! Mach dir keine Sorgen, was die Abdankungsfeier angeht, ich habe alles vorbereitet, schließlich ist das sozusagen mein letzter Auftritt, da wird nichts dem Zufall überlassen, ich bin ja nicht verrückt – auch wenn ich dann natürlich tot bin, Schätzelchen, doch ich will es allerdings vermeiden, ein zweites Mal zu sterben, und zwar vor Scham, weil jemand Gestecke mit weißen Callas über die Türschwelle lässt. Eugh! Deswegen Ronaldo. Ist der ’ne Tucke?«

»Woher soll ich das wissen?«, erwiderte Oskar mit einem Anflug von Verlegenheit.

»Liebes«, erwiderte Millvina (mit einem scharfen Blick aus den Augenwinkeln), »du bist Schriftsteller, du hast … einen Nerv für so was. … Whatever. Ronaldo vollbringt Wunder, Wunder, sage ich dir, obschon er natürlich alles berechnet, ich meine: alles, er krümmt keinen Finger ohne Rechnung, alles kostet extra, wie bei ’ner Nutte oder im Krankenhaus – apropos, Liebes: Hast du die Schwester gesehen? Meine Nurse, meine ich? Can you believe it? Ist das zu fassen? Selbst Ronaldo konnte die nicht auswechseln. Schwester Hildegard, aus Deutschland, muss ich noch mehr sagen? Und das in einem Haus, das noch nie einen Kassenpatienten gesehen hat. Privater gehts gar nicht. Ich war so oft hier, dass ich eigentlich Rabatt für Stammkunden kriegen sollte. Da könnte ich als Pflegekraft doch wenigstens ein vollbusiges, skandinavisches Modell erwarten, sanft und feengleich, das das Ende der Klopapierrolle zu einem Origami-Schwan faltet und sich ansonsten in klug bemessenen Zeitabständen erkundigt, ob man vielleicht Erfrischungen oder herbeizutelefonierende Gäste wünsche. Stattdessen kriege ich: Schwester Hildegard. Mit den Oberarmen von Hulk Hogan. Eine deutsche Krankenschwester! Das ist ungefähr dasselbe wie ein italienischer Polizist, wenn du verstehst, was ich meine.«

»Ich habe dir was mitgebracht«, sagte Oskar.

»Champagner-Truffes von Teuscher«, seufzte Millvina, indem sie die schwer beringten bleichen Hände gütig nach der grasgrünen Schachtel mit der gelben Schleife ausstreckte, die Oskar ihr reichte, »wie süß! Ich werde sie zwar wegwerfen lassen, aber ich danke dir vielmals für diese wundervolle Idee.«

Und hierauf änderte Millvina Van Runkle abrupt ihren Ton, indem sie ihren Besucher mit einer Dramatik, die an Oskar nicht verschwendet war, näher zu sich heranwinkte und mit rauer, beinahe beschwörender Stimme sprach: »Und nun zum Punkt, Oskar. Ich habe dich nicht ohne Grund hierher bestellt –«

»Herbringen lassen«, verbesserte Oskar.

»Oh, wie findest du den Ghost?«, erkundigte sich Millvina, womit sie die Limousine meinte, die sie geschickt hatte, um Oskar in Zürich abzuholen.

»Sehr angenehm«, erwiderte Oskar.

»Er ist geleast«, flüsterte Millvina und kicherte heiser, »– aber das ist es nicht, Schätzelchen, was ich eigentlich sagen wollte, gütiger Himmel, wir verplempern hier unsere Zeit, und ich kann jede Sekunde abkratzen …«

Mit diesen Worten griff Millvina nach ihrer rotgoldenen Panerai, die auf ihrem Nachttisch lag, und inspizierte deren Ziffernblatt, als könne sie den Rest ihrer Lebenszeit davon ablesen, bevor sie die Uhr mit einer nachlässigen Bewegung wieder zurücklegte. Auf dem Nachttisch befand sich außerdem eine kleine nilblaue Box von Smythson. Sie enthielt Notizzettel mit Silberschnitt und einer Prägung der Concorde. Daneben lag ein goldener Kugelschreiber von Cartier.

»Und außerdem kann diese furchtbare Person gleich wiederkommen …«

»Gwendolyne?«

»Du sagst es. Wieso hat Schwester Hildegard diese Nervensäge überhaupt durchgelassen? Ich meine, wer ist weniger geeignet für einen Krankenbesuch als eine Frau, nach der in der Betty-Ford-Klinik mutmaßlich ein Sandwich benannt wurde? Gott prüft mich, offensichtlich.«

»Wirst du auf deine alten Tage religiös?«

»Ich war immer religiös; und das sage ich jetzt nicht, weil ich eine Ladung Schmerzmittel intus habe, die reichen würde, einen Grizzly niederzustrecken. Übrigens denke ich, fährt man nicht schlecht, wenn man vor Gott die gleiche Strategie praktiziert wie vor einem Grizzly: Keine plötzlichen Bewegungen, keine Angst zeigen, und versuchen, größer zu erscheinen, als man wirklich ist. Das ist ja überhaupt immer richtig, haha. Und nun zur Sache. Ich lasse dich ja hier nicht durchs ganze Land chauffieren, ohne dass es einen Grund dafür gäbe. Du bist mir, Oskar – und du wirst dich vielleicht wundern, dass ich das überhaupt erkannt habe –, immer als jemand Besonderes erschienen, in dem Sinne nämlich, als du eine besondere Stellung in der Gesellschaft hast: drinnen und doch draußen. Du bist zwar stets dabei – oder doch meistens –, aber du weißt doch selbst am besten, dass du nicht dazugehörst, auch wenn du in der Mitte sitzt; dein Platz ist sozusagen wesensmäßig draußen; ja, ich werde direkt ein bisschen philosophisch, das hättest du mir gar nicht zugetraut, richtig?«

»Ich hatte keine Erwartungen«, erwiderte Oskar wahrheitsgemäß. Er fühlte sich ein wenig unbehaglich, als käme nun etwas, was er nicht hören wollte.

»Wir leben ja in einer fürchterlich mobilen Gesellschaft«, fuhr Millvina fort, die offenbar trotz der sich neigenden Zeit ihren Hang zu Vorträgen nicht verloren hatte, und dazu presste sie, als würde sie einen jähen Schmerz empfinden, für einen Moment die Zeigefinger mit den dschungelrot lackierten Nägeln gegen ihre weichen, bleichen, seltsam durchscheinend wirkenden Schläfen, »jede Sphäre wirft auf diese Art ihre gesamte Brut in die nächsthöhere. Oder versucht es zumindest. Keiner bleibt mehr bei seinem Leisten. Das gefällt mir ganz und gar nicht. Ich meine, ich lasse jede gute Gesinnung, sie komme, woher sie wolle, mit Freudigkeit gelten. Aber: Man muss doch immer dahin passen, wohin man nun mal gestellt ist. Man hat das Prinzip zur Geltung zu bringen, das man darstellt. Das scheint heute nichts mehr zu bedeuten. Doch ich schweife ab. Der eigentliche Punkt ist: Alle glauben, groß zu werden, indem sie sich neben jemand Größeren stellen. Diese Leute brauchen sich auf und bringen sich sittlich herunter. Ihre verzogenen, verzerrten Gesichter dünsten aus allen Poren die Begierden und Gifte, von denen ihre Gehirne geschwängert sind. Du weißt, Oskar, dass ich mich auskenne, denn ich habe immerhin sämtliche Zeit meines Lebens in jener Abteilung der Gesellschaft verbracht, die man die ›bessere‹ nennt. Und es reut mich nicht, ich kenne nichts anderes. Und du weißt ebenfalls, dass ich – manche nennen das konservativ – daran glaube, dass im Grunde jeder Mensch seinen Platz hat; manche müssen ihn finden, nicht wenige verirren sich dabei, weil sie immer nur nach oben schauen und dabei ihren Geist verderben. Denn wie dir ja bekannt ist, Liebes, geht es oben auch nicht besser zu. Man muss reichlich robust sein, um die grenzenlose Anhäufung von Mittelmäßigkeit und bösem Willen, von ehrsüchtiger Ignoranz und egoistischer Faulheit zu akzeptieren und zu ertragen. Eigentlich sind alle Leute, die ich kenne, gestört. Jedenfalls essen sie gestört und spielen gestört, durchwachen die Nächte, und ihre Gesichter werden schlaff und rot – bis man sie korrigiert, die Gesichter, hier, an Orten wie diesem, wo ich jetzt liege. Doch die Menschen lernen nichts. Ihren furchtbaren Vergeudungen geistiger Kräfte und so mannigfachen seelischen Verzerrungen stellen sie nicht Vergnügungen gegenüber – es wäre zu blass und zu wenig gegensätzlich –, sondern Ausschweifung, heimliche, entsetzliche Ausschweifung. Jedenfalls tun das die Interessanteren unter ihnen. Robust muss man sein. Oder völlig oberflächlich, aber das schaffen die wenigsten.«

Dies also konstatierte Millvina, war es zufrieden – und starb. Wenigstens gab sie ein Röcheln von sich, ließ ihren Kopf auf dem monogrammierten Kissenbezug zur Seite sinken und erstarrte.

»Millvina?«, rief Oskar besorgt. »Oh mein Gott. Millvina?«

»Nur ein Spaß!«, erwiderte die Angerufene und richtete sich ruckartig im Bette auf. »Just kidding, Sweetheart, just kidding. Ich bin noch da. Wenn ich irgendwas gelernt habe in diesem Leben, dann ein vages Gefühl für Timing. Ich weiß, wann man eine Party verlässt, das ist eine der wenigen Begabungen, die ich für mich reklamieren kann, und noch ist es nicht so weit.«

»Mein Gott, Millvina«, keuchte Oskar schockiert, »du hast mich erschreckt!«

»Ich komme nun zur Sache«, versprach indes Millvina abwinkend, als sei für jegliche Verzögerung jetzt wirklich keine Zeit mehr, »ich rede und rede, und nun wirds ernst. Das hier ist ernst, Oskar, hörst du mich? Das hier ist nicht so was wie irgendein Gelöbnis bei einer Hochzeit oder ein Versprechen, das man einer sterbenden Tante gibt, das hier ist was Ernstes. Da wir vom Sterben reden: Wo bleibt eigentlich Schwester Hildegard mit der Schmerzmittelspritze? Naja, wahrscheinlich übt sie noch an alten Apfelsinen, das Teufelsweib. Verzeih mir, das müssen die Medikamente sein. Jedenfalls wäre es gut, wenn du in der Nähe bliebest, das letzte Mal habe ich mich beinahe an so einer Riesenvitamintablette verschluckt. Dann hat mich der Arzt gefragt: ›Gibt es eine Geschichte von Lungenkrankheiten in Ihrer Familie?‹, worauf ich nur erwidern konnte: ›Guter Mann, meine Familie ist die Geschichte von Lungenkrankheiten.‹ Funny, huh? Ich werde noch komisch auf meine alten Tage, ich meine: in meinen letzten Augenblicken, denn darum handelt es sich hier ja wohl. Du weißt, ich hatte, abgesehen von practical jokes, nie einen großen Sinn für Humor, und ich wollte auch keinen. Ich brauchte ihn nicht, und Humor ist mir zu zersetzend, zu analytisch. Ich analysiere nicht. Als ich das gemacht habe, erst bei einem Therapeuten und dann Jahre später nochmals mithilfe eines Fragebogens, kam beide Male raus, dass ich ein Alkoholproblem hätte, was natürlich lächerlich ist, ich meine, nach mir ist kein Sandwich bei Betty Ford –«

An dieser Stelle wurde Millvina Van Runkle in ihren Ausführungen durch einen Hustenanfall unterbrochen, den sie so damenhaft wie möglich zu absolvieren versuchte, was beinahe zwei Minuten in Anspruch nahm. Eine unerträglich lange Zeit für so was. Oskar griff eilig nach einer Flasche Fiji-Wasser, die ein dienstbarer Geist in seiner Nähe in zwei Dreierreihen aufgestellt hatte, und reichte sie Millvina.

»Danke, Liebes«, keuchte diese, nachdem sie einen Schluck genommen hatte, »willst du auch was trinken? Ich habe hier … Ronaldo hat eine kleine Bar im Nachtschrank installiert … Johnnie Walker Black? Nicht der teuerste, aber der beste, wenn du mich fragst. Nein? Wie du willst … ich komme jetzt zur Sache.«

Kunstpause.

»Erzähl mir dein tiefstes Geheimnis!«, wisperte Millvina plötzlich und richtete sich im Bett auf. Sie streckte ihren Arm nach Oskar aus, der, um sie besser zu verstehen, näher herangetreten war, und legte ihre makellos manikürte Hand auf seinen Unterarm. Eiskalt. An ihrem Ringfinger trug sie einen Solitär, einen kanariengelben Diamanten von umwerfender Schönheit. Oskar kannte den Ring. Er war von Van Cleef & Arpels in Paris. Es handelte sich um den Verlobungsring, den Millvina vor ein paar Dekaden von ihrem ersten Ehemann Hektor bekommen hatte. Die Ehe hatte nur ein paar Jahre gehalten, doch Millvina trug den Ring jeden Tag. Oft werden äußere Umstände des Aufstiegs erst sichtbar, wenn der Abstieg in Wahrheit schon begonnen hat, dachte Oskar. Das hatte er irgendwo gelesen.

»Vertrau mir irgendwas an«, raunte Millvina, »erzähl mir was über dich, das du noch nie irgendjemandem auf der Welt erzählt hast!«

»Was, wieso«, machte Oskar, »– das überfordert mich!«    

»Keine Panik, Schätzchen«; erwiderte Millvina in geänderter Tonlage, löste ihren Griff und sank zurück auf die Kissen, »ich sollte dich nicht dauernd so erschrecken. Vergib mir, es handelt sich wahrscheinlich um den letzten Spaß meines Lebens. Also, ich werde dir jetzt mal ein paar Sachen über mich erzählen, aus meinem Leben, ohne Umschweife. Erstens: Ich bin viel älter, als du denkst –«

»Das glaube ich nicht.«

»Haha! You are too funny. Weiter: Meine Tochter, Mildred, die mit deinem Studienfreund Viktor verheiratet ist – und ebenfalls viel älter sein dürfte, als du denkst –, meine Tochter Mildred, die nicht hier ist, wie du siehst, angeblich wurde sie aufgehalten, nun, ich mache es kurz: Mildred ist nicht meine richtige Tochter. Ich meine: leibliche Tochter. Mildred ist adoptiert.«

»Was?«

Viktor Hasenclever, Millvina Van Runkles Schwiegersohn, war in der Tat ein Studienkollege von Oskar an der Hochschule St. Gallen gewesen, und Oskar sah Viktor, der heute als sein Hedge-Fonds-Manager amtierte und im Städtchen Zug wohnte, regelmäßig, wenn dieser nach Zürich kam. Und zwar meistens zum Lunch, wo Oskar nach dem Austausch von Hedge-Fonds-Ergebnissen, Studienerinnerungen und anderen Reminiszenzen das Gespräch gerne auf Themen aus der ökonomischen Welt brachte. Weil er immer noch die Ambition hatte, die ökonomische Welt, die er studiert hatte und die er zwar nicht für das Ganze, jedoch für einen wichtigen und oftmals falsch verstandenen Teil des Ganzen hielt, vollends durchdringen zu wollen. Obschon er wusste, dass sich sein Verstand im Grunde dafür nicht eignete. Genauer: sein Gemüt. Sein Gemüt war viel zu flanierend und müßiggängerisch angelegt für so was. Solche Leute können eigentlich nur Schriftsteller werden. Oskar war es gewohnt, sich für seine Bücher, Aufsätze und Ansprachen kurz und intensiv mit einem Gegenstande zu befassen und denselben dann glücklich wieder seinzulassen. Und obschon er im Grundsätzlichen beeindruckt war durch die schlichte Eleganz des klassischen ökonomischen Paradigmas, das menschliches Verhalten mit einem Minimum an ideologischer Untermauerung zu erklären und vorherzusagen vermochte, so fehlte ihm doch die mathematische Neigung, die für eine weitergehende Hingabe an die Ökonomie erforderlich ist.

Dies aber bedeutete nicht, dass Oskar Geschäftsleute nicht schätzte. Im Gegenteil: Er schätzte viele Geschäftsleute wesentlich mehr als viele Schriftsteller, von denen wiederum viele den Geschäftsmann als Typus unausstehlich fanden, ohne freilich besonders viele Geschäftsleute zu kennen, dies wiederum im Gegensatz zu Oskar. An Viktor Hasenclever schätzte Oskar seine joviale und praktische Wesensart und seinen Abstand zu jeder Form von Prätention. Außerdem vergegenwärtigte sich Oskar gelegentlich mit einer Mischung aus Herablassung und Bewunderung, wie Hasenclevers gesamtes Leben eigentlich mit einer stupenden Gradlinigkeit und Bestimmtheit verlaufen war, zumindest von außen betrachtet, und nie konnte Oskar wirklich zu dem Schlusse gelangen, ob dies nun gut oder schlecht sei … Zu dieser mutmaßlichen Gradlinigkeit hatte auch Viktors Heirat mit Mildred Van Runkle gehört, die ihrer Mutter übrigens so wenig ähnlich war, dass Oskar jetzt von Millvinas Mitteilung eigentlich nicht hätte überrascht sein können. Mildred wirkte oft kalt, mürrisch, züchtig und drakonisch, sie war jene Sorte von Frau, die man sich morgens um sechs bei einem Ausritt durch Dartmoor vorstellen konnte, und verfügte, wie Oskars Frau Lauren es ausdrückte, über das »Feingefühl einer Hyäne«. Vielleicht war es diese Eigenschaft, die sie dann doch wieder in eine Linie zu ihrer Mutter setzte, jedenfalls hatte Oskar Mildred stets so sehr im Verhältnis und in Beziehung zu ihrer Mutter gesehen, dass er jetzt eben nur ein Wort hervorbrachte: »Was?«

»Mildred ist nicht meine leibliche Tochter«, wiederholte Millvina mit einer Spur Ungeduld, »Schätzelchen, da ich im Sterben liege, könntest du deine Rückfragen vielleicht auf das absolut notwendige Minimum begrenzen, danke schön. Gut. Ich fahre nun fort: Mildred ist die Tochter eines Dienstmädchens. Kann man heute noch Dienstmädchen sagen, oder heißt das inzwischen anders? Das Dienstmädchen jedenfalls hieß Ernestine … oder Esmeralda … oder Hortense, was solls, irgendwas in dieser Art, das ist alles lange her. Die Geschichte ist nichts Besonderes, die übliche Konstellation: schwangere Zofe, ledig, Vater unbekannt oder weg oder beides, Verzweiflung, yadayadayada – hier komme ich ins Spiel. Beziehungsweise Martersteig. Alois Martersteig hat das eingefädelt. Ein fabelhafter Anwalt.«

»Ich weiß«, sagte Oskar, »er ist auch mein Anwalt.«

»Ich weiß«, erwiderte Millvina, »das ist das Wesen der Sphäre, in der wir uns bewegen: Alle haben dieselben Anwälte und Friseure, es ist zu drollig. Manchmal tut es mir leid, dass Alwine ihn ersetzt hat. Alois, meine ich. Was soll man machen. Wo war ich? Genau: Ich nahm Mildred als die Meine an. Hektor …«

Und hier, beim Namen ihres ersten Ehemannes, dem zwei weitere gefolgt waren, verlor sich Millvina für einen Augenblick, senkte den Kopf und blickte auf den kanariengelben Solitär an ihrem linken Ringfinger, bevor sie, gleichsam auf ein inneres Kommando hin, sich raffte und fortfuhr: »Hektor konnte ja nicht Vater werden, wie du weißt. Was denn, das weißt du nicht? Was solls. Es ist alles so lange her, Schnee von gestern. Ich kann nicht eigentlich behaupten, dass ich damals dringend ein Kind gewollt hätte, nein, das sag ich frei, ich musste schließlich auch an meine Figur denken; aber ich … ich dachte, es könnte mir und Hektor helfen. Ich dummes Ding. Die Sache ging wie folgt aus: Hortense bekam ein kleines Vermögen, ich bekam Mildred, und Hektor verabschiedete sich alsbald auf Nimmerwiedersehen, mit einem größeren Vermögen sowie dieser Nachtclubtänzerin namens Candy … eine Person, über die ich hier gern hinweggehe, denn ich hasse Tugendhochmut … oder hieß die Ruby, die kleine Hure … mein Gott, du kennst diese alte Geschichte, ich konnte mich jahrelang nicht in der Kronenhalle sehen lassen, das Gerede nahm kein Ende. Nun, wie dem auch sei, sie darf es nie erfahren.«

»Wer?«

»Mildred, Schätzchen, wer denn sonst? Hörst du mir überhaupt zu? Ich meine natürlich: Niemand darf es erfahren, jedoch vor allen Dingen Mildred nicht. Du musst wissen, Oskar – und wahrscheinlich sage ich dir hier nichts Neues: Was Mildred angeht, so ist reich zu sein, genauer: reich geboren zu sein, Teil ihres Selbstverständnisses. Wir sprechen hier von altem Geld, Liebes, von ererbtem Vermögen, und darin sieht Mildred, wie ich sie kenne, ihre Wurzeln, und der Mensch braucht seine Wurzeln, das ist sehr wichtig für viele Leute, gerade in dieser Gesellschaft, in der wir uns bewegen. Diese Leute beten Geld an, und ich will dir mal was verraten, Oskar: Geld … Geld ist – eine wunderbare Sache.«

»Was du nicht sagst.«

»Ich bin nicht Materialistin oder so was, ich bin nur reich. Wenn ich Materialistin wäre, glaubte ich, dass Geld die Menschen verändern könnte, aber Geld kann Menschen nicht verändern; es hilft ihnen bloß, so zu sein, wie sie sind.«

»Wie bitte?«

»Was ich meine, ist: Mildred hat ihr Leben auf dem Bewusstsein errichtet, reich zu sein. Sie hat einen Ehemann, sie hat Freunde, jedenfalls an der Oberfläche, wo es zählt. Sie muss vor der Wahrheit bewahrt werden, hörst du, Oskar? Es geht mir dabei nur um sie, nicht um mich; mein Verhältnis zu ihr trägt die übliche Distanz der Elternschaft – Eltern sind Fremde, im Grunde, und lieben wohl nur jene Kinder, mit denen sie eingehend Bekanntschaft gemacht haben, das heißt: in denen sie sich wiedererkennen. Diese soziologische Erkenntnis, die oft durch Sentimentalitäten übertüncht wird, ist von allergrößter Wichtigkeit für die Ruhe der Familien und sollte allen Sprösslingen beigebracht werden, um Enttäuschungen zu vermeiden, da sie beweist, dass Elternschaft eine durch die Sitten und die Gesetze im sozialen Treibhaus großgezogene Empfindung ist. In der Ordnung der Natur haben die Kinder regelmäßig nur während weniger Augenblicke einen Vater – wie Mildred. Und in der Ordnung der Gesellschaft ist Elternschaft schließlich auch nur ein Verhältnis, wie die Freundschaft, wenn man Glück hat. Und Freundschaft ist bekanntlich ein Zustand, der besteht, wenn jeder Freund glaubt, dem anderen gegenüber eine leichte Überlegenheit zu haben. Genug davon! Ich weiß eigentlich gar nicht, wie meine Tochter zu mir steht; dass sie nicht hier ist, beweist jedenfalls nichts. Genug, genug, genug! Ich habe viel zu viel gesagt; es war nicht meine Absicht, hier und jetzt, in meinen mutmaßlich letzten Momenten, literarische Exkurse zu liefern; ich bin eine ganz und gar nicht literarische Person; zum Beispiel hasse ich es, zu lesen …«

»Ich weiß«, sagte Oskar, »das ist eine der Eigenschaften, die mich immer für dich eingenommen hat.«

»Oskar«, flüsterte Millvina, indem sie fest seinen Unterarm umfasste, und ihre Stimme klang bewegt, »das war mein einziges Geheimnis. Und ich habe es dir anvertraut, weil der Mensch sich entlasten muss und die Buchhaltung ordentlich abschließen soll, bevor er diese Welt verlässt. So, und nun hüte es, Oskarlein, du sollst nichts anderes damit tun, als es zu hüten –«

»Okay«, sagte Oskar, dem ganz und gar nicht wohl war.

»Ohh – noch was!«, krächzte Millvina.

»Lieber nicht«, sagte Oskar.

»Der Rolls Royce ist nicht nur geleast, sondern auch noch gebraucht«, erläuterte Millvina mit plötzlicher Munterkeit, »sogar mein Miles-and-More-Konto ist überzogen und –«    

Die Tür ging auf. Gwendolyne erschien.

»Ich habe die Tabletten«, sagte sie und reckte triumphierend ein kleines Plastikbehältnis in die Luft, »das war gar nicht so leicht! Schwester Hildegard wollte sie nicht ohne Weiteres rausrücken, ich musste ihr erzählen, dass du Schlafprobleme wegen vergrößerter Polypen hast.«

»Wunderbar«, konstatierte Millvina, »ich setze das einfach auf meine Liste der Gründe, zu sterben.«

»Ich hab mal von jemandem gehört«, fuhr Gwendolyne fort, »oh mein Gott, ihr kennt ihn wahrscheinlich: Néstor, Néstor Blankenship, ihr wisst schon, Néstor, der mal kurz mit Trumpy verlobt war … Nein? Nicht? Egal. Also: Der ließ sich Polypen rausnehmen – und dann ist ihm der Kopf eingestürzt!«

»Eine hübsche Geschichte«, erwiderte Millvina, »danke, Gwendolyne! Das Schicksal dieses mir bis dato unbekannten Polypenträgers wird mir ein Trost sein, wenn ich in Kürze in irgendeinem Papierkittel tot hier rausgetragen werde. Kann ich jetzt bitte die Tabletten haben?«

»Gewiss, Liebes«, sagte Gwendolyne und griff nach einem Tumbler von Steuben, »doch du solltest nicht so reden, ich meine, ich bin das ja gewohnt, aber du schockierst Oskar.«

»Wirf das nicht runter«, entgegnete Millvina und tippte gegen das Glas, »der Laden an der Madison Avenue ist für immer geschlossen, ich werde das nie wieder nachkaufen können, Steuben ist tot.«

»Andererseits –«, begann Oskar – und biss sich auf die Zunge.

Da lachte Millvina Von Runkle zum letzten Mal in ihrem Leben.

»Du hast recht«, sagte sie, »ich sehe die Ironie.«

Gwendolyne Rosenstock indes sprach, Ironie hin oder her, wie folgt weiter, währenddem sie ein paar der elliptischen, mit kleinen blauen und roten Perlen gefüllten Tabletten mit Fiji-Wasser mischte: »Zwei? Drei? Aber deswegen bin ich gar nicht so spät. Wegen Schwester Hildegard, meine ich. Nein, etwas anderes hat mich aufgehalten, stellt euch vor, wen ich gesehen habe, beim Check-in in der podiatrischen Abteilung: Herlinde, Herlinde von Gerstenbach, von den Newporter Gerstenbachs, ist das zu fassen? Ich wette, sie kommt zum Fettabsaugen. Herlinde hatte immer fette Fesseln, immer! Man sah ja überhaupt nicht, wo die Unterschenkel aufhörten, wenn ihr versteht, was ich meine. Cankles! Und es war Herlinde, ich weiß es positiv, ich habe die Schwester gefragt. Die hätte mir das wohl eigentlich gar nicht sagen dürfen, aber – stellt euch vor – ich kannte sie noch von früher, die hat nämlich früher als Rezeptionistin gearbeitet bei Doktor Schlackman, als der noch seine Praxis in Zollikon hatte. Bevor er auf internationale Gewässer ausweichen musste. Armer Doktor Schlackman, er ist so ein Schatz. Oder war. Was immer. Ich habe neulich im Baur au Lac seine Exfrau getroffen, wie hieß die noch … Suneetha? Irene? Shonda! Shonda Schlackman, ihr erinnert euch? Sah auch schon mal besser aus, mit ihrem letzten Gesicht. Millvina, du sagst ja gar nichts?«

»Tut mir leid. Ich habe nicht zugehört. Ich habe gerade versucht, meinen Körper zu verlassen. Könnte ich jetzt bitte die Tabletten haben.«

»Hier, Liebes«, sagte Gwendolyne und reichte Millvina das Glas mit der milchigen Suspension. Als die Patientin es entgegennahm, schlug ihr goldenes Panzerkettenarmband mit einem kleinen Knall gegen das Kristall. Millvina leerte das Glas in einem Zuge, während Gwendolyne feststellte: »Oskar, wie schön, dass du noch da bist! Worüber habt ihr gesprochen, als ich draußen war?«

»Uch«, machte Oskar, »nichts Besonderes. Du weißt schon: small talk … oder … medium talk.«

»Medium talk? Das ist ja zum Totlachen!«, behauptete Gwendolyne und ließ einen schreiartigen Lacher vom Stapel.

»Gwendolyne, bitte«, seufzte Millvina, »das hört sich an, wie wenn jemand einen alten Ara erwürgt! Das … ist … – das – gibt – mir … – eff–eff … achwassolls –«

Millvinas Kopf drehte sich zur Seite.

»Bloß weil jemand nur noch ein paar Tage zu leben hat, muss er doch nicht so widerwärtig sein«, murmelte Gwendolyne, indem sie vorgab, die Flaschen mit Fiji-Wasser in eine neue Anordnung zu bringen.

»Millvina?«, sagte Oskar und wollte seine Hand auf die ihre legen, doch im Grunde berührte er nur den kanariengelben Diamanten. Dabei spürte er einen eisigen Hauch, einen bösen, gletscherkalten, phantasmagorischen Hauch, wie schon lange nicht mehr, zuletzt als … aber das ist eine andere Geschichte, die bereits erzählt worden ist.

Millvina seufzte.

»Keine Panik, ich bin noch nicht tot«, flüsterte sie, »ich habe jedoch allerhöchstens noch zwei oder drei falsche Komplimente in mir, es wird also Zeit, dass ich abtrete; ich hatte ein wunderbares Leben, jedenfalls das einzige, was mir möglich war … and there’s a name for you, ladies … –«

Millvinas Kopf drehte sich zur Seite.

»Das sind wahrscheinlich die Nebenwirkungen der Tabletten«, flüsterte Gwendolyne erklärend in Richtung Oskar.

»Du liebe Zeit«, wisperte Oskar zurück, »wie viel hast du ihr denn gegeben?«

»Party-Dosis«, verteidigte sich Gwendolyne, »sie hat selbst gesagt, sie hat die Natur eines Bären.«

Da aber bäumte sich Millvina Van Runkle im Bette auf. Es war das erste und das letzte Aufbäumen in ihrem Leben.

»Ich will dir mal was sagen«, fauchte sie (und sah nicht gerade attraktiv aus). Sie hob den Zeigefinger ihrer makellos manikürten, totenbleichen, blau geäderten Hand und blitzte Gwendolyne an, »ich will dir mal was sagen, Schätzchen, über die Natur. Die Natur ist … die Natur ist … ist … eine zahnlose alte Hexe!«

Damit fiel Millvina zurück in die Porthault-Kissen, als sei nun endgültig das Leben aus ihr gewichen, mit weißem Gesicht und kalter Haut und einem Ausdruck profunder Ermattung. Ermattung eigentlich nicht aus Kampf und Müdigkeit, sondern purem Überdruss. Millvina Van Runkle verschied aus Überdruss, diesem Todfeind einer geistreichen kleinen Person, zu Tode gelangweilt, weil sie von einem Dasein genug hatte, das ihr jeden Tag alles zu Füßen gelegt und ihr nun nichts mehr bieten konnte. Doch bevor sie ging, kam sie noch einmal zurück, blickte Oskar aus halb geschlossenen Augen an und sah auf einmal – zum ersten Mal überhaupt – ganz sanft und beinahe feenhaft aus, als sie mit glasklarer Stimme konstatierte: »Wenigstens sterbe ich reich!«