Inhalt

  1. Cover
  2. Über das Buch
  3. Impressum
  4. Titel
  5. Widmung
  6. Vorwort
  7. Wiegeli u Wägeli
  8. Läbertran u Läbchueche
  9. Schatte u Schicksau
  10. Corsets u Cremeschnitte
  11. Sänkblei u Stadttheater
  12. Gloggeglüüt u Galopp
  13. Münschter u Mottechugle
  14. Chrieg u Charschtzinggesirup
  15. Mobilität u Meertrübeli
  16. Zytglogge u Zeiger
  17. Luftschiff u Loufmasche
  18. Bubichopf u Bilanz
  19. Rezäpt für ne chüschtige Sunntigsbrate us em Ämmitau
  20. vo myr Grossmueter Adele vor Rothenegg, gebore 1879
  21. Dank
  22. Bildnachweise
  23. Mundart bei Zytglogge
  24. Über die Autorin
  25. Backcover

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VERENA BLUM-BRUNI

CHÜDERLE U CHUTTE

Die Autorin und der Verlag danken herzlich für die Unterstützung:

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Gemeinde Krauchthal

  

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Der Zytglogge Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016 – 2020 unterstützt.

   

   

   

Verena Blum-Bruni

CHÜDERLE
U CHUTTE

Gschichte us Bärn

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Für üsi Familie u aui Grosschind

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Vorwort

My Schwöschter u ig stöh z Muri im Garte vo de Grosseutere vo Vatters Syte. Mir sy bewaffnet mit Schürzli, Strouhüetli u mene Chörbli um e Buuch u sötte Beeri abläse. D Sunne brönnt, di stachelige Chrosle zwicke u chutzele a de Fingerspitze, när chöme d Meertrübeli, wo platze, we me z heftig dranne rupft. Zum Schluss müesse mir di rote Chugulager no mit ere Gable abstrupfe vor em Gomfele. Gott sei Dank gits am Huus e Mirabellespalier u im Garte Zwätschge- u Öpfuböim. Dert abläse isch luschtig, üs gfauts, uf d Leitere z gogere, we di dunkle Chirschi im Summerhimu lüüchte, bevor si i üsne Büüch oder em Chorb verschwinde. Mir schnouse süessi Mirabelle u spöie d Steine wyt use, mängisch preicht me d Schwoscht, das fägt.

Zwo Belohnige gits für die Abläserei: Erschtens es knallrots Ysch-Röueli us der Molkerei für zäh Rappe, äs verfärbt d Zunge, d Finger u d Chleider würkigsvou. Di zwöiti Belohnig isch no fasch schöner, nämlech auti Föteli aaluege. Es git nüüt Spannenders aus di Frisure, Klufte, Schueh u Tschirbi z bestuune, eifach zum Gränne luschtig. U de ersch di Brüue, schwarzi Pfluegsreder uf der Nase, wo ds ganze Gsicht entsteue u d Treger zum Uhu oder Unghüür stämple! Wi Wäue schlö d Modene über üsi Chöpf, vergöh u chöme zwänzg Jahr wider aus Dernier Cri. O di aute Göpple sy sichtbari Bewyse vo verflossene Zyte!

Der Garte u ds Huus z Muri sy für üs Ching es zwöits Deheime, i de Ferie sy mer mängisch dert. Es erinnert is geng a üser Grosseutere, der Fritz u d Adele, wo im letschte Viertu vom 19. Jahrhundert gebore sy u di riisige Gümp chopfvoraa i ne nöiji Zyt erläbt hei, d Sprüng vom Fuessgänger u Ryter zum Bahnpassagier u de zum Outomobilischt, vom Fuehrwärch zum Bänziner. Leider sy beidi währet em Zwöite Wäutchrieg gstorbe, aber im grosse Huus blybe si für üs präsent: der handgschnitzt Pfoschte bim Stägeufgang, der Lähnstueu vom Grossvatter zimmeret, di grossi Chuchi mit de schöne Terrine u de Chupferpfanne uf em Wandgsteu vor Grossmueter ... Ihres Läbe geit dank viune Erinnerigsstück wyter bis zu üs.

My Vatter, ihre Suhn, u syner Schwöschtere, myner Tantene, verzeuen is geng wider luschtigi Gschichte vo ihne. Für das hole si drü Album mit prägte Läderrügge füre, wo koschtbari Erinnerige zwüsche durchsichtige Bletter füreglüüssle. Ihri aute Heugeli sy wichtigi Zytzüge u dokumentiere der vergangnig Autag, wo süsch verlore gieng. D Grosseutere hei nid a d Zuekunft u kommendi Generatione ddänkt bim Abdrücke mit ihrne schwäre Fotochäschte. Für dä koschtbar Biuderschatz, won ig erbe, bin i dankbar.

Zum Erbe ghört für üs no e wytere Begriff, wo sech yprägt, nämlech «näbedüre erbe». Auso, öppis, wo me nid überchunnt, o we mes gärn hätti. So geits üs mit em Huus u em Garte z Muri. Das chunnt i angeri Häng, wird abgrisse nach achtzg Jahr u dür ne Nöibou ersetzt. Das tuet weh, mir truure zwar em Geböid nache, aber uf ke Fau de Beeristude. U d Erinnerige sy stercher aus jedi Abrissbire!

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Wiegeli u Wägeli

Niemer singt mym Grossvatter am Wiegeli, dass sys Läbe totau angersch verloufi aus das vo syne Vorfahre, niemer prophezeit ihm, dass ds Zytauter vo de Ross abglöst wird. Der chly Gröggu, 1875 gebore u uf e Name Friedrich touft, schouklet i sym Chrutzli mit de Kuefe hin u här. Nüüt dütet uf di gwautige Umwäuzige hi, won är wird erläbe. Sy Familie, wo offebar us em Süde chunnt, hets im Mittuauter i ds Stocketal verschlage u dert isch si längi Jahr blybe bhange, wi aagchläbt hocke syner Vorfahre uf ihrer Scholle. Bösi Müüler säge, wäg em Stögu gäbs dert hinger nüün Monet Schatte u drei Monet wenig Sunne. Es wird puuret u püürlet, es het bravi Höf mit mehrere Jucharte Land u dernäbe bescheideni Höfli mit Chlypuure. Für ne Familie dürezbringe gits e Zuesatzverdienscht ir Chauchmühli näb em Dorf.

Oberstocke het ke Chiuche, der Wäg zu dere vo Reutige isch läng, fasch e Stung. Jede Stockner louft ne es paar Mau jedes Jahr: Toufe, Konfirmiere, Hürate, Beärdige u em Sunntig z Predigt, aues das gits nume im Nachbardorf. Mit chli Glück darf me bim ne Fuehrwärch ufhocke oder im Winter uf emne Schlitte mitryte.

Eigetlech müesst me nar Französische Revolution nümm au Sunntig z Predigt, aber ir Familie vom Grossvatter ghört d Predigt am Tag des Herrn derzue wi der Brate im Ofe u ds wysse lynige Tischtuech, fertig Schnätz. Der Chiuchgang git Abwächslig zur tägleche schwäre Ufgab, aui düre z fuetere. Är bringt Begägnige u soziali Kontakte, Bekannti träffe, chli dorfe, vilech di nöiji Frou vom Nachpuur ga gschoue, der Wäg nach Reutige lohnt sech trotz em länge Wäg. Nöijigkeite hei chrame isch genau so wichtig wi ne Predigt oder no wichtiger.

«Geits no lang bis zur Chiuche, Mueti?», chlöönet der füfjährig Fritzli zum hundertschte Mau, won är ar Hang vo syr Mueter vo Oberstocke gäge Reutige zottlet. Mit syne churze Scheichli man är chuum nache. Der Füfjährig isch nid zfride u fräglet wyter: «Werum so lang tschumple, werum mues me i d Chiuche?», möffelet är u git nid Rueh.

D Mueter schnuufet tief u verzeut ihrem Bueb di strubi Gschicht, won är längschte kennt, aber nid begryft. Äs heig drum früecher im Ämmitau u ir Neechi vo Thun bim Schloss mit de vier Türm ganz eigeti Lüt ggä, erklärt si geduudig, wo di Chlyne säuber touft heige u ersch di Grosse deheim im ne Houzzuber nomau, drum der Name Wiedertöifer. Die heigi d Bibu genau kennt u di ‹Zäh Gebot› sogar usswändig, syge nid z Predig am Sunntig, heige sech gweigeret, Soldate für d Obrigkeit z steue u Chriegsstüüre z zahle. Drum syg d Straf vor Regierig gruusam gsy: Di Gnädige Herre jagi di brave Lüt i Jura hingere, stähli ne ds Vieh u d Hüser u köpfi es paar Aafüehrer oder ertränk se sogar. Itz wärchets i Fritzlis Chopf, är steut sech das biudlech vor.

Tier wägnäh geit gar nid, die ghöre em Vatter, das mit em Jura versteit är nid, aber köpfe tönt spannend, das wott er gnau wüsse. «Wi houe si ne der Gring ab, wi dä Hüehner mit em Gertu oder mit em Bieli?», fragt är mit grosse Ouge.

Der Mueter passt das Gspräch scho lang nümme, aber em Fritzli scho, er het Fährte ufgno u verfouget se hertnäckig wi der Hung der Has: «Lege si se uf e Schyttotze oder uf ds Müürli hinger em Stau?»

Si süüfzget u erklärt, das göng äue mit emne Schwärt. Klar, dass si itze mues erkläre, was es Schwärt isch, der Bueb fragt ere es Loch i Buuch, aber wenigschtes zöttelet är wyter ohni z jammere. «Los, Fritz, das isch längschte verby. Der Pfarrer het kontrolliert, öb aui am Sunntig z Predigt göngi. We me das gmacht het, isch er niemer ga verrätsche bim Landvogt.»

Der Chly grüblet u bohret wyter: «U de üsi Chüe, chöme die o furt, u schlö si em Vatter o der Gring ab?»

D Mueter süüfzget nomau: «Das isch längschte verby, los doch zue, u es heisst Chopf u nid Gring.»

Itz ischs stiu, der Füfjährig hirnet zümftig. Dass der Pfarrer darf rätsche, wott ihm nid i Chopf. D Mueter mas nämlech nid, we me di grosse Brüetsche vertäfelet, we si aube heimlech tubake. U usgrächnet der Pfarrer darf de rätsche? Der Fritzli trappet wyter, i sym Birli rouchnets heftig u mottets, wo si ir Chiuche z Reutige wyt voore absitze, für d Toufi gäbig z gseh.

Zersch ghört me Musig us der Orgele vor im Chor. Wi drei riisigi Türm mit Guudverzierige stöh d Pfyffe hinger der Houzbaluschtrade u töne fyrlech, vom Organischt gseht der Bueb nume der schwarz Rügge u di graue Haar uf em Chopf. Dä ar Orgele waggelet hin u här bim Spile, wahrschynlech git er aa, damits schneuer geit. När chunnt ds Singe, ds Bätte, der Fritz niflet am schwarze Ysehääggli ume, wo ar vordere Bank befeschtiget isch. Dert dranne hanget der Mueter ihres schwarze Stoffbüteli mit em Psaumebuech drinne. Si runzelet d Stirne.

«De haut nid hin u här drücke», dänkt der Füfjährig u längwylet sech, es louft eifach nüüt i der Chiuche. D Änne, ds Nachbarsmeitli, hiuft nid blinzle u grimässele, die sitzt pouzgredi da, das blöde Bräveli, u di grössere Brüetsche hocke zauerivorderscht, ygchlemmt zwüsche paarne Chiuchgmeindrät, wo e Art Stauwach biude, wüu si ihri übersüünige Füli kenne.

Ändlech passiert öppis, d Toufigseuschaft träppelet zum Toufstei, vorab der Herr Pfarrer im schwarze Talar mit de wysse Beffchen. Das isch auso dä, wo eim verrätschet, der Fritz tüechts, dä gsei us wi ne Agerschte, aber statt wyssi Fäcke het dä zwe wyssi Fläcke bim Haus obe. Di chlyni Prozession versammlet sech um e Toufstei. Der Töifling uf em Arm vor Gotte isch yglyret i nes längs wysses Toufchleid, es Familiestück mit zarte Satinschloufe u Lätschli, uf em Chopf isch es wysses Chäppeli mit länge Bänder: Är gseht us wi nes Meitschi. Nach autem Bärner Bruuch chöme zwe Göttine u ei Gotte mit de Eutere füre, auso ischs e Bueb, wo me touft. D Mueter erklärt lyslig, wär ds Ching nid zum Toufstei tragi, syg e Schlottergotte oder e Schlottergötti. O die bringi es Gschänk, je nachdäm, wi si s vermögi, e Hamme, e Wurscht, e Züpfe, e gschliffni Fläsche mit em Datum vor Toufi, vilech e kalligrafierte Toufbrief oder sogar e Batze.

Itz wirds spannend. Der Töifling gseht der Pfarrer, briegget los u entwicklet meh Durchschlagschraft aus ds gschuelete pfarrherrleche Organ. Der Geischtlech fuchtlet öppis vor em Bébé ume, reckt i nes Beckeli u netzt ihm drü Mau d Stirne. Es ohrebetöibends Gschrei erfüllt jetz d Chiuche, aui schmunzle, das git e rächte Pursch mit dere chreftige Stimm!

«Das tönt wi deheim, we der Störmetzger aarückt u s em Söili a ds Läbige geit, wo päägget u quietschet», dänkt der Fritzli. Plötzlech überfaut der Füfjährig e riisigi Angscht vor däm ärnschte schwarze Maa, wo uswääit u eim verrätschet.

Är lähnet gäge d Mueter u wett chüschele, aber es rütscht leider fortissimo use: «Gäu, der Pfarrer verrätschet is nid, si houe Vatters Gring nid ab?»

Oje oje, si wird güggurot, di eutere Gschwüschterti lache lut, d Gmeind no lüter. Si wett im Bode versinke. Ihre Bueb isch verdatteret u begryft ds Glächter rundume nid. Er überchunnt roti Ohre, schämt sech u weis nid emau rächt für was, wi nes Hüüffeli Eländ huuret är uf sym Plätzli.

Mueter u Suhn zieh Lehre us der Gschicht. Si merkt einisch meh, wi schwirig dass es isch, chlyni Spatze mit de richtige Brösmeli z fuetere, dass si ne nid i fautsche Haus chöme. Em Fritz geit speter o nes Liecht uuf, nämlech, dass di sogenannt Gnädige Herre früecher ungnädig hei reagiert, we me ne nid het pariert.

Deheime gits de Schimpfis wäg em Grediuse-Lafere ir Chiuche, aui Gschwüschterti zieh ne wäg däm uuf, im Dorf heuke si ne no lang. Der Chly begryft, dass Toufe öppis Gfährlechs isch u der Pfarrer e Rätschibase. Won är euter isch, verzeut er sy Predigt-Gschicht gärn u lachet drüber. Är widerhout se geng wider, si isch ihm tief yne. Dass ne d Oberstockner no mängs Jahr derwäge ufzieh, tuet ihm schynbar nüüt. Oder isch das mit e Grund, dass är em Stocketau speter der Rügge chehrt?

Immer wider gits für e Fritz längi Chiuchgäng nach Reutige jahry, jahruus. Geng troumet är vom ne Ross, wo ne würd trage, er steut sech das Tier vor: E Fuchs chönnts sy oder sogar es Schümeli. Aber äbe, är louft, pyschtet u stiflet widerwiuig.

Meischtens ischs e todärnschti Sach, we aui vor Familie müesse i d Chiuche piugere, u das gits hüüffig. Zu Grossvatters Zyt stärbe immer wider Mönsche, zylewys Ching, o Gschwüschterti vo ihm. Es git zwar Impfige, öppe gäge d Pocke, aber gäge Schwindsucht, auso Tuberkulose u Diphterie, isch me machtlos. Der Tod isch stercher aus d Medizin, drum mues me geng wider nach Reutige waufahrte.

Beärdigunge sy e grossi Sach, ds ganze Dorf isch uf dä Bei. Der Verstorbnig bahret me deheim drei Tag ir Stube uuf, es isch geng öpper bin ihm u hautet Totewach. E einzigi Cherze brönnt im Zimmer, ir Chuchi usse gits Gaffee für d Bsuecher. Me geit i di dunkli Stube mit de gschlossnige Fänschterläde, steit em Sarg, bättet stiu u geit lyslig use u hei. Nach dreine Tag chöme aui Truurgescht dunku aagleit wi ne Schar Chrääje zum Huus vom Verstorbnige cho z flädere. Aui Manne zieh der Huet ab u trage ne vor der Bruscht. Si luege nomau d Lych im offene Sarg, es churzes Gebätt, der Schryner naglet zue, starchi Arme lüpfe der Houzchaschte uf e Lychewage. Das isch so öppis wi nes rouends Prunkstück, jede, ob arm oder rych, ligt einisch druffe. Ds Gfährt isch cholerabeschwarz, mit emne Baldachin drüber. Dert dranne hange schwarz-wyssi Zötteli, wo hin u här plampe bi jedem Tritt vo de zwöine Ross. Uf e Sarg leit me d Blueme, wo Nachbare bringe. Chränz überchöme nume serigi, wo deheim öppis hei. När geits los: Zvorderscht der Sargwage, hingernache d Truurfamilie, di ganzi Gmeind trottet hingerdry u am Schluss rouet es Fuehrwärch für serigi, wo schlächt z Fuess sy.

Der Fritz starret scho aus Stünggeler sehnsüchtig uf di zwöi Ross mit em Truurflor am Chumet. Wär das schön z ryte, statt müehsam hingernache z tschirgge! Aber das schickt sech nid. O näb em Gutscher uf em Bock chönnt är sitze, aber das isch für ganz Gebrächlechi. Näb em Sarg uf em Wage entdeckt der Bueb es schmaus Plätzli, das würd länge für z höckle, aber das macht me o nid. Sobau der Zug aafat loufe, troumet der chly Fritz vom ne eigete Ross, wo ne würd trage, emne schön gstriglete Tier. De wärs doch schöner uf syr Wäut, Reutige neecher u der längwylig Wäg chürzer.

Der Lychezug isch läng, vo Wytem sy di schwarze Gstaute z luege wi zabligi Chäfere, derzwüäüääääääüüäüääöäüü