Ödön von Horváth: Kasimir und Karoline

 

 

Ödön von Horváth

Kasimir und Karoline

Volksstück

 

 

 

Ödön von Horváth: Kasimir und Karoline. Volksstück

 

Vollständige Neuausgabe.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Max Liebermann, Biergarten in München (Ausschnitt)

 

ISBN 978-3-8430-6059-2

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-7836-8 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-7837-5 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Uraufführung: Leipziger Schauspielhaus, 18.11.1932.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Motto:

Und die Liebe höret nimmer auf.

 

 

Personen

 

Kasimir

 

Karoline

 

Rauch

 

Speer

 

Der Ausrufer

 

Der Liliputaner

 

Schürzinger

 

Der Merkl Franz

 

Dem Merkl Franz seine Erna

 

Elli

 

Maria

 

Der Mann mit dem Bulldoggkopf

 

Juanita

 

Die dicke Dame

 

Die Kellnerin

 

Der Sanitäter

 

Der Arzt

 

Abnormitäten und Oktoberfestleute

 

Dieses Volksstück spielt auf dem Münchener Oktoberfest, und zwar in unserer Zeit.

 

1. Szene

Es wird dunkel im Zuschauerraum und das Orchester spielt die münchener Hymne »Solang der alte Peter«. Hierauf hebt sich der Vorhang.

 

2. Szene

Schauplatz: Gleich hinter dem Dorf der Lippennegerinnen. Links ein Eismann mit türkischem Honig und Luftballons. Rechts ein Haut-den-Lukas (das ist so ein althergebrachter Kraftmesser, wo du unten mit einem Holzbeil auf einen Bolzen draufhaust, und dann saust ein anderer Bolzen an einer Stange in die Höhe, und wenn dann dieser andere Bolzen die Spitze der Stange erreicht, dann knallt es, und dann wirst du dekoriert, und zwar für jeden Knall mit einem Orden). Es ist bereits spät am Nachmittag und jetzt fliegt gerade der Zeppelin in einer ganz geringen Höhe über die Oktoberfestwiese – in der Ferne Geheul mit allgemeinem Musiktusch und Trommelwirbel.

 

3. Szene

RAUCH. Bravo Zeppelin! Bravo Eckener! Bravo!

EIN AUSRUFER. Heil!

SPEER. Majestätisch. Hipp hipp hurrah!

 

Pause.

 

EIN LILIPUTANER. Wenn man bedenkt, wie weit es wir Menschen schon gebracht haben – Er winkt mit seinem Taschentuch.

 

Pause.

 

KAROLINE. Jetzt ist er gleich verschwunden, der Zeppelin –

DER LILIPUTANER. Am Horizont.

KAROLINE. Ich kann ihn kaum mehr sehen –

DER LILIPUTANER. Ich seh ihn noch ganz scharf.

KAROLINE. Jetzt seh ich nichts mehr. Sie erblickt Kasimir; lächelt. Du, Kasimir. Jetzt werden wir bald alle fliegen.

KASIMIR. Geh so lasse mich doch aus. Er wendet sich dem Lukas zu und haut ihn vor einem stumm interessierten Publikum – aber erst beim drittenmal knallt es, und dann zahlt der Kasimir und wird mit einem Orden dekoriert.

KAROLINE. Ich gratuliere.

KASIMIR. Zu was denn?

KAROLINE. Zu deiner Auszeichnung da.

KASIMIR. Danke.

 

Stille.

 

KAROLINE. Der Zeppelin, der fliegt jetzt nach Oberammergau, aber dann kommt er wieder zurück und wird einige Schleifen über uns beschreiben.

KASIMIR. Das ist mir wurscht! Da fliegen droben zwanzig Wirtschaftskapitäne und herunten verhungern derweil einige Millionen! Ich scheiß dir was auf den Zeppelin, ich kenne diesen Schwindel und hab mich damit auseinandergesetzt – Der Zeppelin, verstehst du mich, das ist ein Luftschiff und wenn einer von uns dieses Luftschiff sieht, dann hat er so ein Gefühl, als tät er auch mitfliegen – derweil haben wir bloß die schiefen Absätz und das Maul können wir uns an das Tischeck hinhaun!

KAROLINE. Wenn du so traurig bist, dann werd ich auch traurig.

KASIMIR. Ich bin kein trauriger Mensch.

KAROLINE. Doch. Du bist ein Pessimist.

KASIMIR. Das schon. Ein jeder intelligente Mensch ist ein Pessimist. Er läßt sie wieder stehen und haut abermals den Lukas; jetzt knallt es dreimal, er zahlt und bekommt drei Orden; dann nähert er sich wieder Karoline. Du kannst natürlich leicht lachen. Ich habe es dir doch gleich gesagt, daß ich heut unter gar keinen Umständen auf dein Oktoberfest geh. Gestern abgebaut und morgen stempeln, aber heut sich amüsieren, vielleicht sogar noch mit lachendem Gesicht!

KAROLINE. Ich habe ja garnicht gelacht.

KASIMIR. Natürlich hast du gelacht. Und das darfst du ja auch – du verdienst ja noch was und lebst bei deinen Eltern, die wo pensionsberechtigt sind. Aber ich habe keine Eltern mehr und steh allein in der Welt, ganz und gar allein.

 

Stille.

 

KAROLINE. Vielleicht sind wir zu schwer füreinander –

KASIMIR. Wie meinst du das jetzt?

KAROLINE. Weil du halt ein Pessimist bist und ich neige auch zur Melancholie – Schau, zum Beispiel zuvor – beim Zeppelin –

KASIMIR. Geh halt doch dein Maul mit dem Zeppelin!

KAROLINE. Du sollst mich nicht immer so anschreien, das hab ich mir nicht verdient um dich!

KASIMIR. Habe mich gerne! Ab.

 

4. Szene

Karoline sieht ihm nach; wendet sich dann langsam dem Eismann zu, kauft sich eine Portion und schleckt daran gedankenvoll. Schürzinger schleckt bereits die zweite Portion.

 

KAROLINE. Was schauns mich denn so blöd an?

SCHÜRZINGER. Pardon! Ich habe an etwas ganz anderes gedacht.

KAROLINE. Drum.

 

Stille.

 

SCHÜRZINGER. Ich habe gerade an den Zeppelin gedacht.

 

Stille.

 

KAROLINE. Der Zeppelin, der fliegt jetzt nach Oberammergau.

SCHÜRZINGER. Waren das Fräulein schon einmal in Oberammergau?

KAROLINE. Schon dreimal.

SCHÜRZINGER. Respekt!

 

Stille.

 

KAROLINE. Aber die Oberammergauer sind auch keine Heiligen. Die Menschen sind halt überall schlechte Menschen.

SCHÜRZINGER. Das darf man nicht sagen, Fräulein! Die Menschen sind weder gut noch böse. Allerdings werden sie durch unser heutiges wirtschaftliches System gezwungen, egoistischer zu sein, als sie es eigentlich wären, da sie doch schließlich vegetieren müssen. Verstehens mich?

KAROLINE. Nein.

SCHÜRZINGER. Sie werden mich schon gleich verstehen. Nehmen wir an, Sie lieben einen Mann. Und nehmen wir weiter an, dieser Mann wird nun arbeitslos. Dann läßt die Liebe nach, und zwar automatisch.

KAROLINE. Also das glaub ich nicht!

SCHÜRZINGER. Bestimmt!

KAROLINE. Oh nein! Wenn es dem Manne schlecht geht, dann hängt das wertvolle Weib nur noch intensiver an ihm könnt ich mir schon vorstellen.

SCHÜRZINGER. Ich nicht.

 

Stille.

 

KAROLINE. Können Sie handlesen?

SCHÜRZINGER. Nein.

KAROLINE. Was sind denn der Herr eigentlich von Beruf?

SCHÜRZINGER. Raten Sie doch mal.

KAROLINE. Feinmechaniker?

SCHÜRZINGER. Nein. Zuschneider.

KAROLINE. Also das hätt ich jetzt nicht gedacht!

SCHÜRZINGER. Und warum denn nicht?

KAROLINE. Weil ich die Zuschneider nicht mag. Alle Zuschneider bilden sich gleich soviel ein.

 

Stille.

 

SCHÜRZINGER. Bei mir ist das eine Ausnahme. Ich hab mich mal mit dem Schicksalsproblem beschäftigt.

KAROLINE. Essen Sie auch gern Eis?

SCHÜRZINGER. Meine einzige Leidenschaft, wie man so zu sagen pflegt.

KAROLINE. Die einzige?

SCHÜRZINGER. Ja.

KAROLINE. Schad!

SCHÜRZINGER. Wieso?

KAROLINE. Ich meine, da fehlt Ihnen doch dann was.

 

5. Szene

Kasimir erscheint wieder und winkt Karoline zu sich heran, Karoline folgt ihm.

 

KASIMIR. Wer ist denn das, mit dem du dort sprichst?

KAROLINE. Ein Bekannter von mir.

KASIMIR. Seit wann denn?

KAROLINE. Schon seit lang. Wir haben uns gerade ausnahmsweise getroffen. Glaubst du mir denn das nicht?

KASIMIR. Warum soll ich dir das nicht glauben?

 

Stille.

 

KAROLINE. Was willst du?

 

Stille.

 

KASIMIR. Wie hast du das zuvor gemeint, daß wir zwei zu schwer füreinander sind? Karoline schweigt boshaft. Soll das eventuell heißen, daß wir zwei eventuell nicht zueinander passen?

KAROLINE. Eventuell.

KASIMIR. Also das soll dann eventuell heißen, daß wir uns eventuell trennen sollen – und daß du mit solchen Gedanken spielst?

KAROLINE. So frag mich doch jetzt nicht!