Über das Buch

Delphine Horvilleur beleuchtet in ihrem Essay den Zusammenhang von Antisemitismus, Faschismus und Misogynie und stellt sich der Frage einer jüdischen Identitätspolitik — auch außerhalb Israels.

Wo liegen die Ursprünge antisemitischen Denkens? Was heißt es, jüdisch zu sein, ohne den definierenden Blick des Antisemiten? Und wie hängen Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit zusammen? Delphine Horvilleur ist eine von drei Rabbinerinnen Frankreichs und eine der einflussreichsten Stimmen des liberalen Judentums in Europa. In ihrem Essay beleuchtet sie die fatalen Parallelen von Antisemitismus, Faschismus und Misogynie. Dabei spannt sie den Bogen von religiösen Texten bis hin zur politischen Gegenwart. Ihr Buch eröffnet uns eine neue Perspektive auf eine alte Frage, die sich in unserer Gegenwart erneut mit großer Dringlichkeit stellt.

Delphine Horvilleur

Überlegungen zur Frage des

Antisemitismus

Aus dem Französischen von Nicola Denis

Hanser Berlin

Im Gedenken an Simone und Marceline, »Mädchen von Birkenau«, die uns beigebracht haben zu leben.

Im Gedenken an Sarah und Isidore, meine zugleich über- und unterlebenden Großeltern.

Was habe ich mit Juden gemeinsam? Ich habe kaum etwas mit mir gemeinsam.

Franz Kafka

Wir sind jetzt in der Lage, den Antisemiten zu verstehen. Er ist ein Mensch, der Angst hat. Nicht vor den Juden, gewiß: vor sich selbst, vor seinem Bewusstsein, vor seiner Freiheit, vor seinen Trieben, vor seiner Verantwortung, vor der Einsamkeit, vor der Veränderung, vor der Gesellschaft und der Welt; vor allem, außer vor den Juden … der Mensch, der ein unbarmherziger Felsen, ein rasender Sturzbach, ein vernichtender Blitz sein will: alles, nur kein Mensch.

Jean-Paul Sartre

PROLOG

Warum werden die Juden*1 nicht gemocht? »Weil sie nicht nett (gentils) sind«, sagte Jacques Lacan. Und formulierte damit humorvoll eine Ur-Wahrheit über jenen Hass: Immer wird den Juden vorgehalten, nicht wie die anderen zu sein, nicht den lateinischen gentilis anzugehören, also der Familie, dem Volk oder dem vertrauten Geschlecht, und eine ebenso unlösbare wie bedrohliche Fremdheit zu verkörpern. »Die sind anders als wir«, hört man oft über sie, und dieses Anderssein wirkt verstörend oder abstoßend. Dabei ist der Judenhass keine bloße Fremdenfeindlichkeit oder ein klassisches Ressentiment gegen alles Andersartige.

Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen Antisemitismus und anderen Rassismen. Letztere hassen den anderen im Allgemeinen für das, was er nicht hat: die gleiche Hautfarbe, die gleichen Bräuche, die gleichen kulturellen Referenzen oder die gleiche Sprache. Sein »nicht-wie-ich« erscheint dem Rassisten als ein »weniger-als-ich«, und so wird der andere rasch als unfertig oder minderwertig abgestempelt. Ein Barbar im Sinne der Griechen, ein Mensch, der auf primitive und lächerliche Weise zu stottern scheint, bar… bar… Man müsste nur dessen Hautfarbe ändern und seinen Akzent tilgen, damit der Hass sich verflüchtigt oder abklingt.

Die Juden hingegen werden meist für das gehasst, was sie haben, nicht für das, was sie nicht haben. Wir werfen ihnen nicht vor, weniger als wir zu haben, sondern im Gegenteil, etwas zu besitzen, was eigentlich uns zufallen sollte und was sie offenbar unrechtmäßig an sich gebracht haben. Wir werfen ihnen vor, Macht, Geld, Privilegien oder Ehrungen zu beanspruchen, die uns selbst verwehrt bleiben.

Folglich denken wir uns die Juden im Besitz eines »Mehr«, um das wir betrogen werden. Im Laufe der Geschichte sind sie häufig als Unruhestifter beschrieben worden, die das Gemeingut so unterschlagen, an sich reißen oder vergiften, dass eine gleichberechtigte (Um-)Verteilung oder gerechte Aufteilung verhindert wird. Ein Jude kann die gleiche Sprache sprechen oder in den gleichen Stadtvierteln wohnen wie ein Nichtjude, und doch wirkt es so, als täte er es immer ein bisschen »mehr«, mit größerer Überheblichkeit oder Leichtigkeit — zumindest in den Augen seiner Feinde. Keine Veränderung seines Verhaltens würde diesen Groll oder Neid mildern können. Die Juden verkörpern in jeder Lebenslage etwas Überschüssiges: Etwas an ihnen ist zu viel, mehr als nötig oder »mehr, als ich selbst habe«.

Da wäre zunächst ihre Langlebigkeit. Die Juden sind nicht kleinzukriegen; es ist zum Verzweifeln. Sie wehren sich hartnäckig gegen den eigenen Untergang — und diese Ausdauer ist eine unerträgliche Frechheit. Können sie nicht einfach sterben wie alle anderen? Untergehen, so wie bisher noch jede zivilisierte Kultur? Irgendwann wird ihre Beharrlichkeit nervtötend. Ja, sogar ihr Leid ist unverwüstlich! Wenn sie, schwer getroffen, wieder aufstehen, rufen sie es ihrem Henker in Erinnerung und zwingen ihn, sie noch mehr dafür zu hassen, schwerer als er selbst gelitten zu haben. Sogar hier verfügen sie über ein »Mehr«, das uns etwas vorenthält: in jenem Überschuss an sichtbarem Leid, das uns die Frage aufdrängt, weshalb nicht auch wir die Ehre einer tränenreichen Vergangenheit gehabt haben. Deshalb tun wir uns so schwer, ihnen das Unrecht zu verzeihen, das wir ihnen angetan haben. Ihr Leid hat etwas Überschüssiges und damit Unerhörtes. Ihre Vorgeschichte als Opfer oder Diskriminierte, die sich eigentlich doch wie eine Subtraktion, ein »Weniger als ich« äußern müsste, wirkt paradoxerweise wie ein »Mehr«, wie ein beneidenswerter Vorteil.

Dazu kommt eine weitere Eigenart des Judenhasses: die Tatsache, parallel mit zwei gegensätzlichen Vorwürfen konfrontiert zu werden. Im Laufe der Geschichte hinderte den antisemitischen Diskurs nichts daran, die Juden zugleich einer Anklage und ihrem exakten Gegenteil zu unterziehen. So wurde ihnen abwechselnd vorgeworfen, zu reich zu sein oder aber der Nation auf der Tasche zu liegen.

Die Juden wurden als zu revolutionär oder aber als zu bürgerlich kritisiert; als Bedrohung des Systems oder genau umgekehrt als dessen Verkörperung. Es wurde ihnen vorgeworfen, nicht an Jesus zu glauben oder ihn kühn erfunden zu haben; ihr wahres Gesicht zu verbergen oder zu stark aufzufallen; sich bis zur Unkenntlichkeit unter die Nation zu mischen oder aber endogam zu leben und das Unter-sich-Bleiben zu kultivieren. Mit anderen Worten: Die Juden sind immer ein bisschen zu ähnlich und immer ein bisschen zu anders. Sie sind so unverfroren, sich stets assimilieren zu wollen oder aber woanders ihre Souveränität einzufordern; nicht gehen oder nicht bleiben zu wollen.

Der Antisemit behauptet, den Juden zwangsläufig schon von weitem zu erkennen. Praktisch im Schlaf könne er ihn an seinen Gesten, an seiner Nase, an den Haaren, an der Stimme oder an seinen Bewegungen unterscheiden. Warum aber verwendet er dann so viel Zeit darauf, ihn zu verfolgen, als ob sich seine unsichtbare Spur irgendwo im Dunkeln verlöre? Bis Google 2012 in Frankreich verklagt wurde, musste man nur den Namen einer bekannten Persönlichkeit in die Suchmaschine eingeben, damit einem automatisch das Schlagwort Jude angeboten wurde: François Hollande Jude … George Clooney Jude … Und was ist mit dem Weihnachtsmann?

Dabei zeugte das magische Aufblitzen des Wörtchens Jude in der Suchleiste lediglich von der Effizienz eines Algorithmus, der die häufigsten Suchanfragen von Internetnutzern registriert, und enthüllte so deren obsessives Anliegen: das zwanghafte Aufspüren des Juden, der möglicherweise in jeder Berühmtheit oder allen Mächtigen dieser Welt schlummert und den das Internet dem tapferen Nutzer endlich preisgeben würde. Suchen wir nach dem Juden. Womöglich steckt er ganz in der Nähe, in unserem Büro, in unserem Viertel oder in unserem Bücherregal.

On nous cache tout, on nous dit rien.

Uns wird nichts gezeigt, uns wird nichts gesagt.

KAPITEL 1

Antisemitismus als Familienrivalität

Von Epoche zu Epoche reproduzieren sich in erstaunlich unterschiedlichen Zusammenhängen einige Leitmotive des antijüdischen Furors, wie das sogenannte Ur-Übel oder das widerwärtige Stottern der Geschichte.

Unzählige Historiker, Soziologen, Theologen und Psychologen haben die Ursprünge der antisemitischen Geißel analysiert und versucht, die politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen oder religiösen Hintergründe ihres Erscheinens oder Wiederauflebens zu verstehen. Nicht ganz so zahlreich sind diejenigen, die sich mit der jüdischen Literatur zur Erforschung dieses Phänomens beschäftigt haben.

Eigentlich sollte es nicht die Aufgabe eines Opfers von Gewalt oder Diskriminierung sein, die Auslöser für den erfahrenen Hass erklären und die Beweggründe des Henkers sondieren zu müssen. Muss man an eine solche Selbstverständlichkeit überhaupt erinnern? Antisemitismus ist nicht »das Problem der Juden«, sondern in erster Linie das der Antisemiten und derer, die ihnen das Wort reden. Warum also sollten die Exegeten der jüdischen Quellen über einen besonderen Schlüssel zum Verständnis dieses Hasses verfügen?

Tatsächlich bietet die Auslegung des Antisemitismus durch das Judentum eine bisher unbekannte Perspektive: den subjektiven Standpunkt derjenigen, die antisemitische Erfahrungen im Hinblick auf ihr mögliches Wiederaufleben und die entsprechenden Umgangsstrategien vorsorglich an die nachfolgenden Generationen weitergeben. Die Auslegung der Rabbiner ist nicht nur ein Raster für das, was den Juden zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Geschichte widerfahren ist, keine bloße Schilderung vergangenen Leids, sondern eine Reflexion über den Ursprung des Phänomens und die Überwindung seiner Folgen für die betroffene Gruppe. Die Rabbinische Literatur möchte die Juden angesichts der möglichen Zukunft zu Akteuren ihrer eigenen Geschichte machen. Außerdem bietet sie eine originelle Lesart von der Psyche des Unterdrückers aus der Perspektive des schutzbedürftigen Verletzlichen. Die Rabbinische Literatur legt weder das Opfer auf sein Leid noch — und das ist sehr viel überraschender — den Henker auf seinen Hass fest, und genau diese Verweigerung der Schicksalhaftigkeit sollten wir uns auch für die heutige Zeit zunutze machen.

Wie deuten die Gelehrten und die traditionellen Texte den gegen sie gerichteten Zorn, der bei ihrem Gegenüber chronische Ausmaße annimmt? Gibt es so etwas wie eine genuin jüdische Reflexion über den Antisemitismus?

Diesen Fragen werden wir in dem vorliegenden Buch nachgehen und uns dafür mit literarischen Quellen beschäftigen. Auch wenn es sich um einen Anachronismus handelt, weil die Rabbinische Literatur fast zwei Jahrtausende älter ist als der im 19. Jahrhundert in Deutschland geprägte Begriff, werde ich den Judenhass im Folgenden als Antisemitismus bezeichnen.

Die jüdische Nicht-Identität

Wo finden sich Anhaltspunkte für einen aufkeimenden antisemitischen Hass in den Texten der jüdischen Tradition? In der Thora, von den Christen Altes Testament genannt, werden keine Ressentiments gegen die Juden erwähnt, und zwar aus dem einfachen Grund, weil gar keine Juden erwähnt werden. Das Volk, von dem die Thora erzählt, nennt sich zu diesem Zeitpunkt hebräisches Volk oder Kinder Israels. Später in der Geschichte sollten sich die Juden auf genau diese beiden Identitäten berufen.

Analysieren wir vorab kurz die Begrifflichkeiten dieser jüdischen Proto-Identität.

Der allererste Hebräer namens Abraham wird in der Stadt Ur geboren, im Land der Chaldäer. Er kommt demnach nicht als Hebräer in seinem Ursprungsland zur Welt, sondern erwirbt sich diese Identität erst, als er der Aufforderung Gottes folgt, das Land seines Vaters und seinen Geburtsort zu verlassen: »Der Herr sprach zu Abram: Geh fort aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde.« (Genesis 12:1) Er durchquert einen Fluss, der ihm die Richtung in ein gelobtes Land weist, dessen Namen Kanaa er noch nicht kennt.

In der Sprache der Bibel ist der Hebräer (Ivri) wörtlich derjenige, der überquert, der Überquerende. Weil er die Welt seiner Kindheit und seiner Herkunft verlassen hat, nimmt Abraham einen Namen an, der sich auf sein Handeln bezieht, den Namen der Überquerung.

Die hebräische Identität, die sich mit ihm ausbildet, ist folglich mit dem Losreißen aus dem Land der Geburt verknüpft. Sie hat keine eigene Herkunft, keinen Anfang. Ein Ägypter kommt aus Ägypten und ein Grieche aus Griechenland, ein Hebräer aber hat kein namensgebendes Ursprungsland. Sein Name verweist nicht auf die Herkunft, sondern auf den Bruch mit der Herkunft.

So entsteht eine subtile Zweideutigkeit in der Definition der hebräischen und später jüdischen Identität: Der Hebräer ist nicht derjenige, der einem Ort entstammt, sondern derjenige, der seinen Geburtsort hinter sich lässt. Sein Name bezeichnet eine geografische oder geistige Abkoppelung. Odysseus stammt aus Ithaka und sehnt sich nach Heimkehr. Abraham hingegen stammt aus Ur und unternimmt alles in seiner Macht Stehende, um nie wieder zurückzukehren.

Die hebräische Identität interpretiert also ihren Ursprung im Aufgeben dieser Identität, sprich: Sie entwickelt ihre Identität aus der Nicht-Identität mit ihrem Herkunftsort. Das Gelobte Land ist das »Begehren eines Landes, in dem wir nicht geboren worden sind«1, ein Bestimmungsort, der niemals Rückkehr zum Ursprung oder zum Gleichen ist.

Am Anfang steht der Bruch. Diese Idee ist in der unmöglichen Definition des Judentums zentral. Besonders treffend spiegelt sie sich in der Formulierung, mit der Jacques Derrida sein Selbstverständnis des Judentums umschreibt: »Jude wäre ein anderer Name für die Unmöglichkeit, ein Selbst zu sein.«2

Lange nach Abrahams Auswanderung aus Mesopotamien wird das hebräische Volk das abrahamitische Losreißen mit dem kollektiven Auszug aus Ägypten nachspielen, einem Schlüsselmoment seiner Geschichte.

Während Chaldäa Abrahams Vaterland ist, steht die Nilmündung in der Thora für die Gebärmutter des Volkes. Hier vermehrt sich der Legende zufolge Jakobs Samen, bis sich die ägyptische Gebärmutter öffnet.

Die zehn Plagen, die von den Exegeten mit Gebärschmerzen verglichen wurden, lösen die Befreiung aus. Nun teilt sich das Meer, das Volk verlässt sein Land — »Mutter der Welt« — Om El Donya, wie es heute auf Arabisch heißt, und empfängt die Weisung, niemals zurückzukehren. Es macht sich auf den Weg ins Gelobte Land.

Das hebräische Volk wird also in Ägypten geboren, und abermals ist das Gründungselement seiner kollektiven Identität ein Aufbruch, ein Losreißen, das es in einer Nicht-Identität mit dem Ort seiner Geburt existieren lässt.

Ein hinkender Name

Die andere biblische Bezeichnung für das hebräische Volk, das Volk Israels, verweist auf eine erstaunlich ähnliche Geschichte. Der Name Israel taucht in der Schrift im Zusammenhang mit einem weiteren Identitätsbruch auf: Das Buch Genesis erzählt die Geschichte von Abrahams Enkel Jakob, der unterwegs die Nacht am Ufer eines Flusses verbringt, den er überqueren muss. Im Dunkeln ringt er mit einem geheimnisvollen Abgesandten, Mensch oder Engel, der ihm eine Verletzung an der Hüfte zufügt und ihm im Morgengrauen einen merkwürdigen Segen erteilt: »Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel.« (Genesis 32:29)

Dieser in einem Ringkampf erworbene und an Jakobs Nachfahren weitergegebene Name ist folglich kein Herkunftsname, sondern eine kämpfend errungene Identität, die den Preis einer Verletzung am Hüftgelenk fordert und damit ein ewiges Hinken in Kauf nimmt.

Jakob/Israel, seiner Geburtsidentität entrissen, weiß, dass er nie wieder stabil auf beiden Beinen oder »mit beiden Beinen im Leben« stehen wird. Nur im Hin-und-her-Schwingen, in der permanenten Bewegung kann er sich annähernd aufrecht halten. Künftig wird er mal hier, mal dort sein, zwischen zwei Zuständen schwankend, wobei allein das Hin-und-herSchwingen sein Gleichgewicht garantiert. Stets in Bewegung, ist er dazu verdammt, zu werden, um zu sein, und nur im Werden sein zu können.

Die Thora erzählt also die Geschichte der Hebräer und der Söhne Israels als deren Hinauswandern aus der Geografie ihrer Geburt in ein Gelobtes Land, das sie im Laufe des Berichts nie erreichen, aber bis zur letzten Zeile zum Ziel haben.

Von Juden hingegen ist nie die Rede. Zumindest nicht im Sinne einer kollektiven Religionszugehörigkeit, unter der wir sie heute subsumieren. In der Thora beschreibt die hebräische Wurzel des Wortes Jude, Yehudi auf Hebräisch, zunächst den Stamm Juda (die Judäer) oder dessen Territorium (Judäa), nie aber die religiöse Identität eines ganzen Volks.

Erst viel später ist in der Bibel von einem Juden die Rede: in einem anderen Buch, in einer anderen Zeit und in ganz anderen Gefilden. Um diesem Juden zu begegnen, müssen wir uns mit dem Buch Ester befassen.

Da wo ein Jude ist …

Die Geschichte spielt im Königreich eines Herrschers namens Ahasveros, der über ein ausgedehntes Gebiet des Perserreichs regiert. Unter dem Einfluss seines Hofstaats verstößt der König eines Tages seine Frau Waschti und sucht nach einer neuen, gefügigeren Königin. Damit beginnt der größte Schönheitswettbewerb der Bibel, bei dem die jugendliche Ester siegt, über die der König kaum etwas weiß. Darauf verweist auch ihr Name im Hebräischen: die Verborgene, die Geheimnisvolle. Vor allem weiß Ahasveros nicht, dass Ester zur Diaspora der Kinder Israels gehört, die nach der Zerstörung des ersten Tempels im Exil lebten. Ebenso wenig weiß er, dass sie die Nichte (oder manchen politisch weniger korrekten rabbinischen Legenden zufolge: die Frau) eines gewissen Mordechai ist, über den es in der Bibel heißt: »Mordechai, Sohn des Jaïr, Sohn des Shimi, Sohn des Kich, der Benjaminite.« (Ester 2:5)

Yehudi