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Christian Schacherreiter

LÜGENVATERS KINDER

Roman

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© 2019 OTTO MÜLLER VERLAG SALZBURG-WIEN

Meiner Familie in Dankbarkeit

Ihr habt den Teufel zum Vater

und ihr wollt das tun,

wonach es euren Vater verlangt. […]

er steht nicht in der Wahrheit; denn es ist

keine Wahrheit in ihm.

Wenn er lügt, sagt er das, was aus ihm

selbst kommt;

denn er ist ein Lügner und ist der Vater der Lüge.

Johannes 8, 44.

Inhalt

Juni 2004, Apulien

Juni 1989, in einer österreichischen Kleinstadt

April 1990, in einer österreichischen Kleinstadt

Juni 1990, Wien und wieder daheim

Oktober 1999, Apulien

Oktober 1990, Salzburg

Herbst 1990, Salzburg

Februar 1991, auf dem Hochkönig

Spätherbst 1999, Apulien

März 2000, Apulien

September 1991, ICE Richtung Salzburg

Dezember 1991, Salzburg

März 1992, Salzburg

Oktober 1992, Salzburg

Frühjahr 2003, Apulien

Mai 2003, Bari

Herbst 1995, Salzburg

Herbst 1995, Salzburg

September 2003, Bari

Juni 1996, Salzburg

Juni 1997, Salzburg

Juli 1997, Wien

Oktober 1997, irgendwo im Weinviertel

November 1998, Wien

März 2004, Bari

Dezember 1998, in einer österreichischen Kleinstadt

April 1999, nördlich von Wien

Juni 1999, Wien

April/Mai 2004, Bari

Mai 2004, Apulien

Juli 1999, Wien

September 1999, Wien/Klagenfurt

Juni 2004, Apulien

Juni 2004, Bari

Ein schöner Frühsommertag im Juni 2004, dort und da in Österreich

Juli 2004, in einer Wiener Haftanstalt

DANK

Juni 2004, Apulien

Doch! Es gab sie, die Augenblicke, in denen es ihm schien, als hätten die Trümmer und Fetzen seines Daseins zueinandergefunden. Im Licht der frühen Nachmittagssonne leuchtete Apulien einem wolkenlosen Junihimmel entgegen. Die Feldarbeit ruhte. Kein Wagen fuhr vor, um Gemüse zu laden, und keine Grobheit schnitt in den zwecklosen Jubel der Vögel und Zikaden.

In hellen Leinenhosen und leichtem, weißem Shirt lag Bruno Wieland auf der Terrasse, gähnend im geräumigen Korbsessel, beschattet von einem mächtigen Sonnensegel. Er hatte seine glücklichen Augenblicke verschlafen und vom Meer geträumt. Geweckt wurde er durch schnelle, entschiedene Schritte auf dem Kies des Vorplatzes. Veronika, dachte er, sie ist zurück aus Bari, wahrscheinlich mit einer dicken Mappe unter dem Arm, beschäftigt mit neuen Plänen, ehrgeizigen Zielen. Wo nahm diese Frau so viel Kraft her? Bruno verdrängte nicht und leugnete nicht, dass er sein süditalienisches Wohlstandsleben Veronika verdankte, die seine Frau geworden war. Es gab tatsächlich eine Heiratsurkunde. Bruno lächelte.

Von Veronika war die Idee gekommen und sie hatte die Ausführung verantwortet. In tagelangen Recherchen, betrieben mit einer Hartnäckigkeit, die Bruno gleichermaßen bewunderte wie auch fürchtete, hatte sie dieses Landgut entdeckt. Der Kaufpreis hatte zu ihren pekuniären Möglichkeiten gepasst, und so war Veronikas Traum vom ökologischen Landbau Wirklichkeit geworden. Innerhalb weniger Jahre hatte sie aus diesem idyllischen, von seinen müde gewordenen Vorbesitzern vernachlässigten Anwesen ein Mustergut gemacht. Um ihre Tomaten rissen sich auch deutsche Lebensmittelketten.

Bruno Wieland sprach mittlerweile einigermaßen gut Italienisch. Der Weg dahin hatte ihm Mühe gemacht, trotz seines Sprachtalents. Beharrlich hatte ihn Veronika aus der Depression ihres ersten gemeinsamen Jahres in Italien herausgelockt: Bitte, Bruno, mach es für dich, glaub mir, das tut dir gut. Er hingegen wäre gerne geflohen aus diesem apulischen Jahr, weit weg, sehr weit weg, am besten in eine andere Galaxie oder in einen ewigen Traum. Das ging aber nicht, Veronika behielt Recht, die Wirklichkeit die Macht.

Mit den italienischen Wörtern war Brunos Lebensfreude zurückgekehrt. Auf grammatikalische Details legte er zwar nach wie vor keinen Wert. Aber er konnte sich mit dem Personal verständigen, mit den Gesellschaftseliten von Bari Konversation machen und sogar bei den polternden Tavernen-Gesprächen in der Umgebung mithalten. Du bist beliebt bei den Leuten, sagte Veronika, das ist gut für’s Geschäft.

Sie beruhigte und stärkte ihn, wenn er betrunken war und sich der Unfähigkeit und Nutzlosigkeit bezichtigte. Warum sie ihn liebte, ausgerechnet ihn so sehr liebte, verstand er nicht. Ebenso wenig verstand er, wie er sich auf das alles hatte einlassen können. Und schon war sie wieder da, die Sorge, die nicht einmal den ganz loslässt, der den Tod nicht fürchtet. Wie flüchtig sie waren, diese glücklichen Augenblicke, in denen es ihm schien, als hätten seine Existenzfetzen zueinandergefunden. Alles Tomate. – Veronika, rief er, Veronika!

Juni 1989, in einer österreichischen Kleinstadt

Die gelbe Badehose. Die neue zitronengelbe Badehose. Die neue zitronengelbe Badehose mit dem blauen Gürtel. Marineblau, hatte die Verkäuferin gesagt, so wie sie zitronengelb gesagt hatte. Fritz stand auf dem Zehnmeterturm. Ganz vorne stand er, die Zehen ragten wenige Zentimeter über den Rand, tief drunten funkelte das Chlorwasser weiß und blau in der Nachmittagssonne. Da schaute er ganz gelassen hinunter, hatte das rechte Bein angewinkelt und die Daumen rechts und links in die Badehose gesteckt, zitronengelb, marineblau. Auf der goldfarbenen Gürtelschnalle ein Anker. Und schon schauten einige zu ihm herauf, auch Mädchen, die ihre Hände an die Stirne legten, um nicht geblendet zu sein, wenn der Kerl da oben zum Sprung ansetzen würde. Kopfsprung mit Salto, dachte Fritz.

Er sprang aber nicht. Vom Zehner war er noch nie gesprungen, auch nicht vom Siebener, einmal vom Fünfer, aber Kerze, nicht Köpfler. Plötzlich riss es ihn doch von den Brettern. Fritz kippte jäh nach vorne, fiel, ruderte viermal durch die Luft und platschte – halb Kerze, halb Arschbombe – ins Freibadwasser. Welche Drecksau war das, die mich gestoßen hat?!, dachte er, als ihn der Auftrieb wieder hinaufgehoben hatte in die Juniluft.

Horst heißt die Sau. Grinsend stand der jetzt da oben auf dem Zehner. Kaum hatte sich Fritz aus dem Sprungbecken gestemmt, kam die Drecksau nach. Per Köpfler natürlich, sehr elegant. Rainer, Bongo und der kleine Doldinger lachten, die Mädchen lachten auch und widmeten ihr Strahlen dem großen Horst, der das Wasser aus seinen dunkelblonden Locken schüttelte. Ohne Starthilfe wäre das nichts geworden bei dir, sagte er zu Fritz. Der mimte ein humorvolles Lächeln.

Dann saßen sie auf der Waschbetonterrasse des Badbuffets, tranken Bier aus Dosen, rauchten und klopften Sprüche über Mädchen, Väter, Mütter und Lehrer. Der Name Bergmaier fiel und warf einen schweren Schatten auf die vorsommerliche Heiterkeit. Heute war Sonntag, aber nach Montag und Dienstag kam unaufhaltsam der Mittwoch. Um halb sieben würde Fritz vom Vater geweckt werden – Auf, auf, ihr Hasen, hört ihr nicht den Jäger blasen! –, kurz nach sieben würden sie das Haus verlassen, um halb acht würde er im Klassenzimmer unter angespannten Mitschülern Lockerheit vortäuschen. Und pünktlich um acht würde Professor Rudolf Bergmaier die Hefte austeilen lassen. Und damit wären sie eingeläutet, diese hundert Minuten Wahrheit, in denen sie beweisen sollten, dass sie zurechtkämen mit Vektoren, Parabeln und Wahrscheinlichkeit.

Sorglos konnte heute nur der kleine Doldinger sein. Sehr gut in Mathematik, das war für ihn der Standard. Für Horst hingegen würde nicht einmal jenes Genügend genügen, das für Rainer, Bongo und Fritz rettend wäre. Das Genügend ist das Sehr gut des kleinen Mannes. – Eigentlich, sagte Bongo, sollte ich heimgehen und Mathe lernen. Sogar Horst nickte, starrte besorgt seine Bierdose an und brachte nichts Kluges und Unwidersprochenes mehr über die Lippen, weil er an Mathematik dachte, seinen Coolness-Killer Nummer eins.

Als sie so welk in den Plastikstühlen hingen, entledigt aller Lustigkeit und Leichtigkeit, ritt Fritz plötzlich der Teufel. Er reckte sich und streckte sich, griff sich kurz einmal in den Schritt und posaunte: Wie wär’s, Jungs, noch eine Runde? Ich geb eine aus! – Und weil der kleine Doldinger, der leicht reden konnte, erwiderte: Na, Fritz, für dich wäre eine Runde Wahrscheinlichkeit sicher besser, da lachte Fritz hintergründig und plauderte wie nebenbei drauflos: So etwas braucht man nicht, wenn man eine gute Quelle hat. – Eine Quelle? Welche Quelle?, hakte Rainer nach, und Fritz ließ sich nicht lumpen: Eine Informationsquelle, aus der Angabezettel fließen, und zwar noch vor dem Mittwochmorgen. – Sie schauten ihn an, zuerst ungläubig, bald schon halb gläubig, neugierig auf jeden Fall und mit einer Prise Hoffnung, vage noch und blass, aber ausbaufähig – vielleicht …

Nachdem Fritz für eine weitere Runde Dosenbier sein allerletztes Bares verschleudert hatte, setzte er an zu seinem Bericht: Von der schönen Sibylle erzählte er, sechzehn, aber schon mit der Figur einer Lady, von ihrer Liebe zu ihm und auch von seiner Liebe zu ihr, nicht nur zu ihr, aber auch zu ihr; und davon, dass er allein aus dem Grund an Sibylle festhalten werde, weil sie Bergmaiers kleine Nichte sei, Zugang habe zu des Onkels Arbeitszimmer, Zugang auch zu gewissen Angabezetteln, die sie ihm besorge, wenn er ein kleines bisschen lieb zu ihr sei und ihr sage, dass er trotz seines Erfahrungsreichtums noch nie ein weicheres und heißeres Blond an seine Lippen gedrückt habe als das ihre.

Sie starrten ihn an und ihre blasse Hoffnung bekam Farbe und Kontur, und als er ihnen anvertraute, dass er schon morgen gegen siebzehn Uhr besagten Angabezettel in seinen Händen halten werde, noch zärtlicher als Sibylles feste Brüste, da waren sie ganz gläubig geworden, legten ihre Hände um die von ihm spendierten Bierdosen und warteten nur mehr auf den einen Satz, der tatsächlich nicht lange auf sich warten ließ: Freundschaft ist Freundschaft. Ihr werdet teilhaben an meinem Himmelreich. Prost!

Ihre Bewunderung ließ ihm Flügel wachsen. Als er heimkam, nahm er heimlich einen kräftigen Schluck von Vaters Hochprozentigem. So blieb er bis zum Einschlafen auf der Welle und phantasierte sich lustvoll hinein ins begnadete Siegerdasein mit Sibylle, sexueller Hörigkeit und willig dargebrachtem Beutestück aus Professor Bergmaiers Arbeitszimmer. So hell hatten sie geleuchtet, die Bewunderungsaugen der Freunde, als er drauflos schwadroniert hatte, wie das sei mit einem unerfahrenen Mädchen, das gleich beim ersten Mal an einen echten Kerl kommt und für Jahre an diese starke Liebe gebunden bleibt. Da entstünden Abhängigkeiten, die jede Vorsicht aus dem Wege räumten. Dafür riskiere so ein Mädchen sogar den Tritt ins Verhängnis des Strafrechts! Daher müsse er ihnen absolut vertrauen können, absolut! Kein Wort über die Sache! Zu niemandem, verstanden? Darauf könne er sich verlassen, versicherten sie, auch Horst, der Fritz mit seiner spöttischen Überlegenheit oft verunsicherte, aber jetzt, wo ausgerechnet er, Fritz, die Morgenröte des geretteten Schuljahres zum Leuchten brachte, Kameradschaft auf Augenhöhe anbot.

Ein Vorschlag, hatte Horst gesagt, wir treffen uns morgen um halb sechs bei mir, du bringst die Angaben mit. Ja, super, fielen Bongo und Rainer ein. Nur der kleine Doldinger winkte ab: Hab ich nicht nötig, Kollegen, das ist mir zu unsportlich. Da zuckte Horst zusammen: Aber zum Judas wirst du nicht, Doldinger! Wehe dir! Und Bongo setzte nach: Du musst zum Treffpunkt kommen, Doldinger, wir brauchen einen Meister, der uns das alles ausrechnet! Okay, sagte Doldinger großmütig, mach ich, aber ich bau für jeden von euch Fehler ein. – Warum denn das? – Doldinger lachte: Die vier größten Mathe-Pfeifen der Klasse kriegen alle ein Sehr gut! Geht’s noch?

Seit halb fünf saßen Bongo und Rainer im Wintergarten der Horst-Eltern auf den sprichwörtlichen Nadeln und fieberten der Erlösungsminute entgegen, in der Fritz eintreten und – sein Triumphgesicht konnten sie sich ausmalen! – die Beute überreichen würde. Knapp vor sechs kam der kleine Doldinger, fand weder Fritz vor noch das mathematische Beutestück, dafür eine aufgeregte Truppe, die mögliche Gründe für Fritz’ Fernbleiben konstruierte, hauptsächlich beruhigende. Doldinger zerstörte die herbeigeredete Sicherheit: Na, da bin ich aber neugierig. Ich an eurer Stelle würde es schon einmal mit ehrlichem Lernen versuchen. – War Fritz nicht zu erreichen? Nein, war er nicht, das war noch die Vor-Handy-Epoche, späte Achtzigerjahre. Ein ganz anderes Zeitalter.

Was schiefgelaufen war, erfuhren sie am nächsten Tag vor Unterrichtsbeginn. Sibylle hatte keine Gelegenheit gefunden, in des Onkels Arbeitszimmer einzudringen. Vorgestern nicht, gestern nicht, aber dafür heute! Heute sicher! Sibylle würde zwei Stunden vor Unterrichtsschluss von der Schule abhauen, aus der Wohnung ihrer Eltern den Schlüssel zu Onkel Rudis Heim holen und das Ding durchziehen. Zu dieser mittäglichen Stunde sei der Onkel noch durch den Unterricht in der 4a und in der 2b beansprucht. Spätestens um vier sind die Angaben bei mir, versprach Fritz. Gut, sagte Horst, dann sehen wir uns um fünf.

Diesmal kam Fritz pünktlich. Pünktlich kam er schon, aber … Hast du’s?, sagte Rainer. – Scheiße, fluchte Fritz, schiefgelaufen! Und dann packte er eine ziemlich starke Geschichte aus: Das kleine Miststück sei draufgekommen, dass er neben ihr noch ein anderes Liebesding am Laufen habe. Eine Eifersuchtsszene hat mir diese Sibylle hingelegt, nicht schwach, sag ich euch! Der Rest versteht sich von selbst. Keine Liebe, kein Angabezettel.

Der kleine Doldinger sah Fritz mit bedrohlich prüfendem Blick an. Unangenehm war das. Und zu den anderen, die jetzt herumhingen wie skalpiert, sagte Doldinger: Soll ich euch noch was erklären? Vektoren? Wahrscheinlichkeit? – Sinnlos, knurrte Bongo, und Horst schloss sich an: Ja, sinnlos. Selbst wenn wir bis zum Morgen lernen, das kriegen wir nicht mehr hin.

Sie kriegten es wirklich nicht mehr hin. Nicht genügend. Nicht genügend. Nicht genügend. Doldinger natürlich Sehr gut. Und Fritz? Genügend! Gerettet! Da schoss in Horst die Stichflamme des Verdachts auf: Du mieses Arschloch, du hattest die Angaben. Du hast uns gegen die Wand laufen lassen! – Aber Fritz verteidigte sich auf dem Schulhof mit solch verzweifelter Vehemenz, dass sie ihm doch glaubten; Rainer und Bongo ganz, Horst – so einigermaßen und vorläufig, denn völlig erlosch es nicht, das Verdachtsflämmchen, und als sie mit einigen Lehrern bei Pizza und Valpolicella den Schulschluss feierten, wandte sich Horst, einem gefährlich verlockenden Einfall folgend, an Professor Bergmaier: Ich hab neulich Ihre Nichte Sibylle kennengelernt, Herr Professor. Das ist ja eine ganz Nette. Bergmaier sah ihn befremdet an: Nicht möglich, Horst, ich hab keine Nichte. Nur zwei Neffen.

Davon setzte Horst die Freunde sogleich in Kenntnis. Doldinger grinste nur, aber Bongo und Rainer holten Fritz nach draußen – ja, Fritz, komm kurz mal, was ganz Wichtiges! – und dann sagten sie ihm, wer er ab jetzt für sie sei: ein Hochstapler der übelsten Sorte, ein Kotzbrocken, ein Kameradenschwein, ein Riesenarschloch! – Wenn ich nicht Pazifist wäre, ich würde dir eine reinhauen, dass dir eine Woche lang der Schädel wackelt, schrie Bongo, und Horst sprach den vernichtenden Schlusssatz: Du bist für uns gestorben, Güllich, ein für alle Mal. – Und so war es dann auch. Bis zur Matura und darüber hinaus.

April 1990, in einer österreichischen Kleinstadt

Inge Güllich sah ihn so gerne glänzen, ihren Fritzi. Mit gläubiger Gier und bedürftiger Lust sog sie die Heldensagen ein, die er auf dem Heimweg von der Schule dichtete: Dass er vom Deutschlehrer gelobt worden sei, weil er den schönsten Stil der Klasse schreibe. Dass er der Einzige sei, der in Englisch alle irregular verbs korrekt aufsagen könne. Dass die Geografielehrerin aus dem Staunen gar nicht mehr herausgekommen sei, weil Fritzi, der Tausendsassa, alle Hauptstädte dieser Erde aus dem Gedächtnis habe wiedergeben können.

Alle? Hatte er da nicht doch etwas zu hoch angetragen? Aber nein! Für die Mutti gab es keine Grenze nach oben, wenn das Können ihres Lieblings zu rühmen war. Lachend klatschte sie in die Hände und war so glücklich. Und weil Fritzi seine Mutti gerne noch glücklicher sehen wollte, legte er eine Sage aus dem Turnunterricht nach, zeichnete eine Übungsfolge auf, erklärte Sprünge über Bock und Pferd und Salti vom Trampolin aus. Mutti schlug die Hände vor’s Gesicht: Da kannst du dir aber wehtun! – Aber nein, er doch nicht, nicht Fritzi Güllich, den Professor Ludwig vor allen als besten Turner der Unterstufe gelobt hatte. Andere hätten sich schon verletzt, der dicke Reitinger zum Beispiel habe sich aus Ungeschicklichkeit beide Hände gebrochen und der Hirnschall habe sich eine Kopfverletzung zugezogen, die Hirnschale vom Hirnschall, die habe ordentlich was abbekommen, was man jetzt auch in Englisch und Mathematik merke! Da war ihm wieder ein lustiger Witz gelungen und die Mutti lachte herzlich, auch weil sie es genoss, wenn die anderen die Verlierer waren und ihr Fritzi der Sieger.

Hast du das gehört, Walter, sagte sie zu Vati, der auf dem Sofa stumm die Zeitung las, die Hirnschale vom Hirnschall! Wie er das wieder lustig formuliert hat, der Bub!

Da kam Vati zum Küchentisch, prüfte die Skizze, die Fritzi zur Veranschaulichung der Turnübungen angefertigt hatte, und sagte zum Söhnchen: Übertreibst du da nicht ein bisschen? – Fritz schwieg betroffen, ihm wurde heiß, seine Wangen wurden rot. Aber die Mutti stieß mit ihrem Bein an das von Vati und schaute vorwurfsvoll. Das bedeutete: Musst du immer alles heruntermachen, Walter! – Da zog sich Vati schweigend in seine Garagenwerkstatt zurück, wo er elektrische Kleingeräte für Verwandte und Nachbarn reparierte, und überließ Frau und Sohn ihren Tagträumen.

Besuchte Frau Güllich den Elternsprechtag, hörte sie andere Berichte. Unbegabt sei er nicht, der Fritz, aber: mangelnde Konzentration, wechselhaftes Engagement, wenig Interesse, geringe Frustrationstoleranz und dumme Ausreden bei nicht gemachten Hausübungen. Das verdross sie irgendwann einmal so sehr, dass sie den Sprechtagen und Sprechzimmern fernblieb, ist es doch sinnlos, mit Lehrern zu reden, die nicht imstande sind, die Begabungen ihrer Schüler zu erkennen und zu fördern.

Siehst du, Walter, sagte sie zu ihrem Mann, wenn im Fernsehen ein Bildungsexperte kritisierte, dass sich die Schule zu sehr auf die Schwächen und zu wenig auf die Stärken der Schüler konzentriert. Und ihr konkurrenzloser Lieblingsaphorismus, den sie sogar notiert hatte, war folgender: 98% der Menschen kommen als Genies auf die Welt. Wenn sie die Schule verlassen, sind es nur noch zwei Prozent. Da hast du es wieder einmal schwarz auf weiß, Walter, die Schule macht das alles kaputt. – Und so war auch Fritzis glanzloses Semesterzeugnis erklärt: sechs Genügend, drei Befriedigend, zwei Gut. So kommt das eben, wenn die Lehrer nur die Schwächen sehen …

Seinen Vornamen verdankte Fritz Güllich Muttis Liebe zu Oper und Operette. Fritz Wunderlich war ihr großer Schwarm. Als der sechsunddreißigjährige Tenor durch einen unglücklichen Treppensturz ums Leben kam, tröstete sich die damals zweiundzwanzigjährige Enthusiastin mit dem Satz Wen die Götter lieben, den rufen sie früh zu sich. Der Schwarm mutierte zum Mythos, und als Frau Güllich fünf Jahre später ein Söhnchen zur Welt brachte, nannte sie diese Reinkarnation des teuren Verblichenen selbstverständlich Friedrich und rief es fortan Fritzi. Walter sagte: Von mir aus.

Die musikalische Hochbegabung dürfte sich in fünf Jahren Reinkarnationszeit etwas abgenützt haben. Fritz konnte einigermaßen korrekt Alle Vöglein sind schon da und O Tannenbaum singen. Von einer Laufbahn als Sängerknabe riet aber die Musiklehrerin ab. Da fehlt doch so einiges, liebe Frau Güllich. – Auch wieder so eine, die nur die Schwächen sieht!

Anerkannt über die eigenen vier Wände hinaus war Fritz Güllichs Begabung für das Theater. Mit seinen Professorenparodien hatte er schon in der Unterstufe seine Mitschüler zum Lachen gebracht. Gerne übte er vor dem Spiegel kleine Gelegenheitsrollen für den Alltagsgebrauch. Stell dir vor, du gehst die Berggasse hinauf, zwei Damen plaudern am Straßenrand, das Auto der einen steht da mit offener Tür und nachlässig angezogener Handbremse, schon kommt es ins Rollen, die Autobesitzerin merkt es noch nicht, ihre Freundin schreit plötzlich auf, da eilt ein junger Mann, der zufällig gerade die Gasse heraufkommt, auf den rollenden Wagen zu, hechtet auf den Fahrersitz, zieht die Handbremse und bringt den Wagen gerade noch zum Stehen, bevor dieser ins Schaufenster des Schuhgeschäfts Kössl eindringt. Die Dame, jung, apart, duftig – spontan fällt sie dem kühnen Retter um den Hals, weiß vor Aufregung gar nicht, wie sie danken soll. Da blickt Fritz tief in ihre Augen – o ja, das sieht gut aus im Spiegel –, hebt ein wenig die Schultern, lächelt: Nichts Besonderes, gnädige Frau, wenn Sie wieder einmal ein Problem zu lösen haben, gerne … Das sagt er viermal, fünfmal, zehnmal und erprobt mimische Varianten und solche der Klangfarbe: Wenn Sie wieder einmal ein Problem zu lösen haben, gerne … Und sie erwidert mit dunkelbraunem Blick: Wir bleiben in Kontakt, ja? Ihren Text sprach Fritz mit.

Mit vierzehn kam er zum Schultheater, mit fünfzehn spielte er nur mehr Hauptrollen. Für nichts im Gymnasium konnte er sich erwärmen, aber für die Schulbühne glühte er wie ein Hochofen. Der Funke sprang über zum Publikum der Gleichaltrigen und ihrer pädagogischen Begleiter. Sein Durchbruch zum Schulpromi gelang Fritz Güllich mit der Rolle des Titus Feuerfuchs, des Diskriminierten, der an jener Karriere gehindert wird, die dem Hochbegabten nicht zu nehmen wäre, wäre er nicht rothaarig. Nestroy. Der Talisman. Titus der Trickser, der Betrüger aus Not. Lüge und List, Bluff und Erfolg, aber dann, unvermeidlich: die Enttarnung, der tiefe, tiefe Fall, abgefedert einzig und allein durch die Happy-End-Lüge der Komödie! Das ist seine Welt, da ist Fritz auf seinem Gebiet …

Kaum zieht er als Titus die schwarzlockige Perücke über seinen Rotkopf, ist er ein anderer, wird er als anderer betrachtet und willkommen geheißen, bekommt Zugang zum Schloss, verzaubert dort die Gärtnerin Flora nicht nur mit italienischen Locken, die fast schon in das Sizilianische hinübergehen, sondern auch mit blumenreicher Schmeichelrede. Und wie schnell er Flora hinter sich lässt, weil ihm ein edleres Gewächs gewogen ist, Constantia, die Kammerfrau; und wie er über diese Stufe noch weiter hinaufsteigt zur Schlossherrin selbst, zur Frau von Cypressenburg, und sogar sie, die sich selbst als Gebildete rühmt, bezaubert er mit Worten, die Ungebildete für Bildung halten.

Schade war, dass sich nur Frau von Cypressenburg für Titus Feuerfuchs begeistern konnte, nicht aber deren Darstellerin Irene Singer für Fritz Güllich. Denn Fritz war hochgradig vernarrt in diese kleine, immer heitere Siebzehnjährige mit den Sternchenaugen. Sie aber wich allen seinen Annäherungsversuchen aus, wies den unerwünschten Verehrer zurück, teils nachsichtig, teils grob, je nach Laune, und war ohnedies in liebevollem Einvernehmen mit einem Maturanten aus der HTL für Hoch- und Tiefbau, der einen bekannten Baumeister zum Vater hatte und eine Liebesgeschichte auch dann schon als Heiratssache betrachtete, wenn diese sich im zarten Alter von siebzehn oder achtzehn ereignete.

Fritz Güllichs grimmiger Konkurrent holte seine Freundin nach jeder Probe ab, und als er zu seinem Verdruss bemerkte, dass diesem Titus-Fritz lange Finger in Richtung Irene wuchsen, setzte er sich nicht mit dem unverschämten Gegenspieler auseinander, sondern wandte sich an den Leiter der Schulbühne: Verzeihen Sie, Herr Professor Dengelmann, mein Name ist Peter Paul Rabel, ich bin Irenes Freund und möchte Ihnen eine unbescheidene Bitte vortragen. Würden Sie mir die Erlaubnis erteilen, in Zukunft bei den Proben anwesend zu sein? – Warum nicht?, erwiderte Dengelmann und setzte hinzu: Sie sprechen ein elegantes Deutsch, junger Mann. – Danke, Herr Professor, in meiner Familie achtet man auf derlei Dinge. Ich verdanke dies, wie vieles andere, meinem Vater. Sie kennen den Namen Rabel vielleicht. – Das Bauunternehmen? – Genau.

Was für ein blöder Lackaffe!, dachte Fritz Güllich und fasste augenblicklich den Entschluss, Irene in Zukunft mit Gleichgültigkeit und Verachtung zu strafen. Kein Wort mehr vor der Probe, kein Wort mehr nach der Probe. Und als Frau von Cypressenburg bei der nächsten Probe zu Titus sagte: Also jetzt zu Ihm mein Freund!, erwiderte Titus sein hinterfotziges Das ist der Augenblick, den ich im gleichen grade gewünscht und gefürchtet habe, dem ich sozusagen mit zaghafter Kühnheit, mit mutvollem Zittern entgegengesehen mit solch schleimiger Bösartigkeit, dass Professor Dengelmann spontan applaudierte und ausrief: Großartig, Fritz! So schmierig und verlogen hat das nicht einmal der Helmut Lohner rübergebracht!

Fritz war sehr glücklich und tauschte an diesem Abend mit Christl Moser, die in der Rolle der Flora die Zweitbesetzung war, einige hitzige Küsse. Christl bewunderte Fritz „Titus“ Güllich und hätte ihn gerne zum Freund gehabt, er sie aber nicht zur Freundin. Nach der Premiere versickerte sein Interesse an Christls Küssen ganz, dafür wand er sich in Eifersuchtskrämpfen, wenn er an Irene und ihren Lackaffen dachte.

Walter Güllich wollte nach Dienstschluss aus dem Baumarkt einige Werkstücke holen, für deren Transport er die Hilfe seines Sohns benötigte. Fritz wartete auf seinen Vater vor dem Werkstor und sah den schwarzen Mercedes des Fabrikdirektors vorfahren. Der Fahrer stieg als Erster aus und öffnete auf seiner Seite die Hintertür, während Walter Güllich aus seiner Portierloge heraus- und hinter dem Wagen vorbeieilte, um die Türen auf der anderen Seite zu öffnen. Drei Männer stiegen aus der Limousine, einer von ihnen war der Generaldirektor, von dem Walter Güllich gelegentlich erzählte. Immer waren es uninteressante Ereignisse, aus denen lediglich hervorging, dass der Herr Direktor ihm, dem einfachen Mann, mit Freundlichkeit begegne. Tatsächlich legte der Direktor auch jetzt seine linke Hand jovial auf Walters Schulter und sagte dazu anscheinend etwas Heiteres, denn das Lachen der drei Herren war auch für Fritz hörbar. Walter Güllich reagierte lächelnd mit einer angedeuteten Verneigung.

Was die Herren dazu bewogen hatte, schon am Fabriktor auszusteigen, war nicht erkennbar. Der Fahrer brachte den Wagen weg, die Herren unterhielten sich noch immer mit dem Portier, da spürte Fritz ruckartig das Verlangen, in diesem Bunde der Fünfte zu sein und setzte sich flott in Bewegung. Walter Güllich war zuerst irritiert, als Fritz vor ihnen stand und Grüß Gott sagte. Da gehörte es sich natürlich, dass er dem Herrn Generaldirektor seinen Sohn vorstellte.

Ach, Sie haben so ’nen großen Sohnemann, sagte Direktor Dietgen, sollte ich das wissen, oder haben Sie es mir bislang verschwiegen? Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich an Fritz: Na, junger Mann, kommen Sie zu uns zu einem Vorstellungsgespräch? Die Fußstapfen des Herrn Papa vielleicht? – Nein, Herr Direktor, ich besuche derzeit das Gymnasium und werde in diesem Schuljahr maturieren. – Tatsächlich? Und haben Sie schon Pläne für nach dem Abitur? Studium oder gleich was Praktisches? – Wie es aussieht, wird es mich zur Bühne ziehen, Herr Direktor. Ich bereite mich für die Aufnahmeprüfung am Max-Reinhardt-Seminar vor. – Respekt!, rief Generaldirektor Dietgen aus – und zum Vater gewandt: Das hat er aber nich’ von Ihnen, lieber Güllich. Schauspieler sind Se keener, glaub ich, dafür sind Se viel zu ehrlich, wa’? – Das hat er von seiner Mutter, bemerkte Walter Güllich und genoss die private Ebene, auf die sie geraten waren. Fritz setzte nach: Das stimmt, so wie vieles andere verdanke ich mein bescheidenes Talent meiner Mutter. Ungeachtet dessen zollt aber auch mein Vater dem Theater die Wertschätzung, die es verdient. – Da staunte Walter Güllich und dachte: Wo nimmt der Bub bloß solche Sätze her?

Juni 1990, Wien und wieder daheim

Angemeldet hatten sich zweihundertachtzig, erschienen waren einhundertneunzehn – und einer von ihnen hieß Fritz Güllich. Für die Jury hatte er keinen Namen, er war die Nummer 74. Ein glanzvoller Familienname soll nicht Teil des Juryurteils werden. Diese Gefahr hätte aber bei Nummer 74 ohnedies nicht bestanden. Professor Dengelmann hatte seinen Star aus der Schulbühne mit den Mitteln und Kräften vorbereitet, über die er verfügte: Eines muss dir klar sein, Fritz, ich hab selbst nie eine richtige Ausbildung gemacht. Die eine oder andere Lehrerfortbildung in Schulspiel, das war’s dann auch schon wieder. Ob das genügen wird für die Größen im Reinhardt-Seminar, das kann ich nicht beurteilen. Gib dein Bestes, aber sei nicht allzu enttäuscht, wenn es nicht auf Anhieb klappt.

Fritz lehnte an der Wand und beobachtete seine Mitbewerber: Wie sie noch einmal die vorbereiteten Monologe vor sich hin flüsterten oder mit geschlossenen Augen Entspannung trainierten, vor einem Spiegel die eine oder andere Pose oder mimische Sensation versuchten oder nur kurz das Outfit prüften. Wenige wechselten belanglose Verlegenheitssätze miteinander, bissen in Obst oder Brötchen, tranken Wasser und Fruchtsäfte. Auf vertiefende Unterhaltung legte niemand Wert. Die Anspannung war bei allen spürbar.

Stunden vergingen, bis Fritz an der Reihe war, und als er durch die schwere Holztür eintrat, legten sich das entmutigende Gefühl der Minderwertigkeit und die beklemmende Angst vor der Blamage mit lähmender, dumpfer Gewalt auf die Stimmbänder und verengten Brustkorb und Luftröhre. Wohin sein Blick sich wendet: Repräsentationsbarock für höhere Stände. Kronleuchter in Mannesgröße aus prächtigem Freskenhimmel. Und das Scheinwerferlicht, das er auf der Schulbühne so genossen hatte – hier machte es ihn zum Angeklagten, und die fünf Juroren, die hinter den Scheinwerfern nur schemenhaft wahrnehmbar waren, mutierten zu Hohepriestern und gnadenlosen Richtern über den armen Wurm da vorne.

Wer das nicht aushält, braucht hier nicht anzutreten. Die Flucht, an die Fritz einen Moment lang dachte, ergriff er dann doch nicht, er gab seinen ersten Szenenausschnitt mit mutvollem Zittern zum Besten, war Titus Feuerfuchs im Dialog mit Flora Baumscheer, aber er fand nicht so recht hinein in diesen leichten Gestus spielerischer Überlegenheit. Ihm fehlte seine Partnerin aus Professor Dengelmanns Schulspielgruppe, die liebe Christl Moser, die Flora-Baumscheer-Zweitbesetzung, die sich im wirklichen Leben nach seinen Küssen gesehnt und dadurch sein Bühnen-Ego so sehr gestärkt hatte, dass ihm dieses Wer in der Fruh aufsteht, nachher a Roll’ durchgeht, nacher in die Prob’ geht, nacher essen geht, nacher ins Kaffehaus geht, nacher Komödie spieln geht, und wenn das alle Tag’ so fortgeht, der vegetiert mit selbstverständlicher Leichtigkeit über die Lippen gerieselt war. Jetzt aber dachte er, während er sprach, dass es seltsam ist, sich um die Aufnahme in eine Schauspielschule mit einem Text zu bewerben, der den Beruf des Schauspielers als Vegetieren abtat …

Man unterbrach ihn, verlangte den zweiten vorbereiteten Text, Moderneres aus den Jahrzehnten nach 1930, Friedrich Dürrenmatts Romulus der Große. Das ging nun schon besser, wie Fritz es schien, aber nach fünf Minuten war es vorbei. Die Juroren äußerten sich nicht. Er könne den Raum verlassen, die Entscheidung der Jury erfahre er nach Abschluss des ersten Prüfungsdurchgangs, sagte eine Frau mit emotionsloser Stimme …

Und die Jury entschied, dass Fritz Güllich bereits nach dem ersten Abschnitt der dreiteiligen Prüfung auszusondern sei. Auf diese Weise hinausgetreten aus der Residenz fuhr er nach Hause, aber während der Heimreise gab er seinem Scheitern eine mildere Form, modellierte eine weniger demütigende Ausgabe seiner Niederlage: Knapp gescheitert! Nur ganz knapp! Ich war unter den besten zehn. Sieben davon haben sie aufgenommen. Und der Vorsitzende der Jury hat zu mir gesagt, dass man von hier schon viele spätere Berühmtheiten weggeschickt hat und bei den letzten zehn so gut wie kein Qualitätsunterschied mehr festzustellen ist.

Da haben sie natürlich die Protektionskinder von den Wiener Politikern vorgezogen!, sagte Ingeborg Güllich mit Wuttränen in den Augen. Professor Dengelmann meinte, das Reinhardt-Seminar sei so etwas wie die erste Adresse bei den österreichischen Schauspielschulen. Wenn Fritz dort unter die besten zehn gekommen sei, dann sei das ermutigend. Er solle sich doch bei einer anderen Schauspielschule um Aufnahme bewerben. Aber Fritz, der die ganze Wahrheit kannte, winkte ab: Ich werde mich vorläufig einmal anders orientieren, Herr Professor. – Und zwar wie?