Vorwort

Mit dem vorliegenden Band wird ein wissenschaftliches Arbeitsfeld vorgestellt, das sich seit einiger Zeit in einem markanten Umbruch befindet. Die Themenbereiche „Leib-
Seele-Zusammenhang“, „Körper und Geist“ oder „Psychosomatik“ haben sich von der wissenschaftlichen Auseinandersetzung längst in die Umgangssprache und Alltagskultur hinein bewegt. Auch die Bedeutung, die diesen Inhalten zugemessen wird, ist größer geworden – parallel zur Ernüchterung, dass der Mensch doch nicht hinlänglich gut mit einem streng naturwissenschaftlichen physiko-chemischen Modell, dem sogenannten Maschinemodell (Schlagwort: „der Mensch als komplexe Maschine“) erklärbar und behandelbar ist.

Wir freuen uns ganz zu Recht über die Fortschritte in der pharmazeutischen und technisch-chirurgischen Behandlung von gesundheitlichen Störungen, sind aber auch zugleich enttäuscht und ungehalten über die Grenzen dieser Interventionen bei z. B. chronischen Erkrankungen, komplexen Störungsbildern wie den körperlich unerklärten („funktionellen“) Beschwerden oder der (mangelhaften) Begleitung moribunder Patienten. Dabei findet sich meist eine Vernachlässigung von individuellen Aspekten in der zeitgenössischen medizinischen Versorgung. Ängste, Wünsche und Hoffnungen, die der kranke Mensch im Kontakt mit seinen Ärzten mitbringt, scheinen wenig Beachtung zu finden, sie sind meistens nicht Teil von Diagnostik und Behandlung. Dennoch bleibt jede Erkrankung immer auch ein sehr persönliches Schicksal, das bewältigt werden will.

Dies ist ein wesentlicher Ansatzpunkt für die sogenannte „sprechende Medizin“. Medizinpsychologisch handelt es sich dabei im Kern um die optimierte Gestaltung der Arzt-Patient-Kommunikation. Sie nutzt die Forschungsergebnisse zu den psychologischen und sozialen Wirkfaktoren für das Verständnis von Krankheit und deren Behandlung in ganz besonderem Maße. Sie ist aber auch getragen von einem humanistischen Verständnis, wie mit Krankheit, Leid und Sorgen im medizinischen Umfeld umzugehen ist. Wissenschaftliche Erkenntnisse und der ethische Imperativ zur Beachtung des Subjekts in der Medizin sind hier gleichermaßen wichtig.

Seit Mitte der 1970er-Jahre entwickelt sich eher im Hintergrund eine neue Medizintheorie – oder besser: eine erweiterte Sichtweise, was denn der Gegenstand der wissenschaftlichen Medizin zu sein hat. Dabei geht es nicht mehr – wie in den Jahrzehnten davor – um die Anerkennung, dass „Seelisches“ etwas mit „Körperlichem“ zu tun hat. Dies war das Arbeitsfeld der traditionellen bzw. konventionellen Psychosomatik. Heute geht es vielmehr darum, alle Phänomene, die wir als Krankheit oder Gesundheit beschreiben, als ein Produkt von oftmals sehr unterschiedlichen Einflussgrößen in einem komplexen, immerwährenden Zusammenspiel von Risikofaktoren und Schutzfaktoren – auf unterschiedlichen Ebenen – verstehen zu lernen. Was sich vor unseren Augen abzeichnet, ist eine Theorie der Leib-Seele-Einheit. Sie wird uns zu wesentlich erweiterten Möglichkeiten verhelfen, menschliches Leid – egal ob wir es als prima vista vorwiegend körperlich oder primär seelisch verstehen wollen – besser zu erfassen und auch besser zu behandeln.

Für die aktuelle Erkenntnislage reicht das bisherige Biomedizinische Modell mit seiner begrenzten physiko-chemischen Orientierung bei Weitem nicht aus. Die meisten Krankheiten sind mit diesem Erklärungsmodell weder hinreichend zu verstehen noch ausreichend behandelbar. Der langsame, aber wahrscheinlich nicht mehr umkehrbare Wechsel zu einer erweiterten Sichtweise, die wir heute als Biopsychosoziales Modell der Medizin beschreiben, ist damit vorgezeichnet. Diese Medizin-Rahmentheorie hat in ihrem Kern die wissenschaftstheoretische Erkenntnis, dass es nichts Seelisches geben kann, das nicht zugleich auch ein physiologischer Prozess ist. Damit hebt sich die alte Dichotomie von Körper und Seele auf. Beide Seiten gehören zum Phänomen Leben und müssen daher Gegenstand der Medizin sein.

Solche Inhalte in die akademische Lehre und damit in die Ausbildung zukünftiger Ärztinnen und Ärzte hineinzutragen stellt eine große Herausforderung für die Medizinischen Universitäten dar. Interdisziplinäres Denken und Arbeiten ist gefragt, multimodale Vorgehensweisen und multiprofessionelles Zusammenarbeiten werden die Norm und nicht die Ausnahme sein. Es bedarf großer und lang anhaltender Anstrengungen, die schon bisher gewonnenen Erkenntnisse und Einsichten auch in die Praxis zu überführen.

Es ist spannend mitzuerleben, welche Bruchstellen sichtbar werden, wenn Bisheriges ins Wanken gerät und Neues – wenngleich auch zögerlich – sich durchzusetzen beginnt. Diese Veränderung lässt sich sowohl für das Arbeitsfeld der psychosomatischen Wissenschaften im Engeren beschreiben als auch für die Medizin als Ganzes. Eine solche Perspektivenänderung braucht erfahrungsgemäß Jahrzehnte und fördert Debatten zu Pro- und Kontra-Positionen, was zugleich ein Zeichen eines lebendigen Prozesses in der Erkenntnisgewinnung ist. Als Lehrender wie als Forschender würde ich mich freuen, wenn mit dem vorliegenden Buch diese Auseinandersetzung bereichert werden könnte.

Was die zeitgeistige Diskussion um die Gender-adäquate Sprache anlangt, so kann dies als eine äußerst bedauerliche Entwicklung gesehen werden, die ohne massive Gegenbewegung zu einer Zertrümmerung der deutschen Sprache beitragen würde. Ohne Not würden wir eine über Jahrhunderte geläufige Sprachmelodie zerstören. Der Autor geht mit Bestimmtheit davon aus, dass die verehrte Leserschaft weiß, dass es zumindest zwei Geschlechter gibt, weswegen eine ständige Erwähnung derselben nicht nur redundant, sondern auch als die Vernunft missachtend unangebracht wäre.

Graz, im Sommer 2016 Josef W. Egger