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JAMES BOND

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LEBEN UND
STERBEN LASSEN

von

IAN FLEMING

Ins Deutsche übertragen
von Stephanie Pannen und Anika Klüver

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Titel der Originalausgabe: JAMES BOND - LIVE AND LET DIE

German translation copyright © 2012, by Amigo Grafik GbR.

Copyright © Ian Fleming Publications Limited 1954
The moral rights of the author have been asserted.
Die Persönlichkeitsrechte des Autors wurden gewahrt.

JAMES BOND and 007 are registered trademarks of Danjaq LLC,
used under license by Ian Fleming Publications Limited. All Rights Reseved.

Print ISBN 978-3-86425-072-9 (September 2012)
E-Book ISBN 978-3-86425-073-6 (September 2012)

WWW.CROSS-CULT.DE · WWW.IANFLEMING.COM

INHALT

1.   Der rote Teppich

2.   Gespräch mit M

3.   Eine Visitenkarte

4.   Das große Schaltbrett

5.   Niggerhimmel

6.   Tisch Z

7.   Mister Big

8.   Kein Sinn für Humor

9.   Wahr oder falsch?

10. Der Silver Phantom

11. Allumeuse

12. Die Everglades

13. Tod eines Pelikans

14. »Etwas, das ihn gegessen hat, ist ihm nicht bekommen«

15. Mitternacht unter Würmern

16. Die Jamaika-Version

17. Der Hauch des Totengräbers

18. Beau Desert

19. Tal der Schatten

20. Die Höhle des Bloody Morgan

21. »Gute Nacht euch beiden«

22. Schrecken auf See

23. Sonderurlaub

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DER ROTE TEPPICH

Im Leben eines Geheimagenten gibt es Momente voller Luxus. Bei manchen Aufträgen muss er die Rolle eines sehr reichen Mannes spielen. Und bei diesen Gelegenheiten sucht er Zuflucht in diesem Luxusleben, um die Erinnerung an die Gefahr und den Schatten des Todes zu verdrängen, und ist manchmal, so wie es jetzt der Fall war, im Territorium eines verbündeten Geheimdienstes zu Gast.

Von dem Moment an, als die BOAC Stratocruiser auf das internationale Flughafengebäude von Idlewild zurollte, wurde James Bond wie ein König behandelt.

Als er das Flugzeug zusammen mit den anderen Passagieren verließ, hatte er sich innerlich bereits mit dem berüchtigten Fegefeuer der US-Behörde für Gesundheit, Immigration und Zoll abgefunden. Er wusste, dass er mindestens eine Stunde in überhitzten, schmutzig grünen Räumen verbringen würde, die nach abgestandener Luft, altem Schweiß, Schuld und der Angst rochen, die alle Grenzgebiete umgibt: die Angst vor den geschlossenen Türen mit der Aufschrift PRIVAT, hinter denen sich die sorgfältigen Männer, die Akten und die ratternden Fernschreiber verbargen, die eilig Nachrichten nach Washington schickten, an die Betäubungsmittelbehörde, die Abteilung für Gegenspionage, das Finanzministerium oder das FBI.

Während er durch den bitterkalten Januarwind über die Rollbahn marschierte, stellte er sich vor, wie sein eigener Name durch das Netzwerk lief: BOND, JAMES, BRITISCHER DIPLOMATENPASS 0094567. Kurz darauf würden die Antworten über andere Maschinen zurückkommen: NEGATIV, NEGATIV, NEGATIV. Und dann die Antwort des FBI: POSITIV, ÜBERPRÜFUNG ABWARTEN. Es würden ein paar hektische Botschaften über die Verbindungsleitung zwischen dem FBI und der CIA ausgetauscht werden und dann: FBI AN IDLEWILD: BOND OKAY OKAY, und der uninteressierte Beamte am Schalter würde ihm mit einem »Ich hoffe, Sie genießen Ihren Aufenthalt, Mr Bond.« seinen Pass zurückgeben.

Bond zuckte mit den Schultern und folgte den anderen Passagieren durch eine Drahtzaunabsperrung zu einer Tür mit der Aufschrift US-GESUNDHEITSDIENST.

In seinem Fall handelte es sich natürlich lediglich um eine langweilige Routine, aber ihm missfiel die Vorstellung, dass seine Personalakte irgendeiner ausländischen Macht in die Hände fallen könnte. Anonymität war in seinem Geschäft das wichtigste Werkzeug. Jeder noch so winzige Schnipsel seiner wahren Identität, der in irgendeine Akte gelangte, verringerte seinen Wert und stellte letztendlich eine Bedrohung für sein Leben dar. Hier in Amerika, wo man alles über ihn wusste, fühlte er sich wie ein Neger, dessen Schatten von einem Voodoo-Priester gestohlen worden war. Ein wesentlicher Teil von ihm war verpfändet und befand sich in den Händen anderer. In diesem Fall handelte es sich zwar um Freunde, aber dennoch …

»Mr Bond?«

Ein freundlich wirkender, unscheinbarer Mann in Zivil war aus den Schatten des Gesundheitsdienstgebäudes getreten.

»Mein Name ist Halloran. Freut mich, Sie kennenzulernen!«

Sie schüttelten sich die Hände.

»Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise. Würden Sie mir bitte folgen?«

Er wandte sich an den Beamten der Flughafenpolizei, der vor der Tür Wache hielt.

»Okay, Sergeant.«

»Okay, Mr Halloran. Wir sehen uns.«

Die anderen Passagiere waren mittlerweile durch die Tür gegangen. Halloran wandte sich nach links, weg vom Gebäude. Ein weiterer Polizist hielt ein kleines Tor im hohen Grenzzaun auf.

»Wiedersehen, Mr Halloran.«

»Wiedersehen, Officer. Danke.«

Unmittelbar vor dem Zaun wartete ein schwarzer Buick auf sie, dessen Motor leise brummte. Sie stiegen ein. Bonds zwei leichte Koffer standen vorne neben dem Fahrer. Bond konnte sich nicht vorstellen, wie sie so schnell aus dem Gepäckberg herausgeholt worden waren, den er erst vor ein paar Minuten gesehen hatte, als er zum Zoll gekarrt worden war.

»Okay, Grady. Fahren wir los.«

Als die große Limousine kraftvoll anfuhr und dank des Dynaflow-Getriebes schnell auf Hochtouren kam, sank Bond genüsslich nach hinten.

Er wandte sich an Halloran.

»Tja, das ist definitiv einer der rötesten Teppiche, den ich je gesehen habe. Ich hatte erwartet, dass es mindestens eine Stunde dauern würde, durch die Einreise zu kommen. Wer hat das organisiert? Ich bin nicht an so eine VIP-Behandlung gewöhnt. Jedenfalls vielen Dank für Ihre Bemühungen.«

»Sehr gern geschehen, Mr Bond.« Halloran lächelte und bot ihm eine Zigarette aus einer neuen Packung Lucky Strikes an. »Wir wollen Ihnen Ihren Aufenthalt hier so angenehm wie möglich machen. Wenn Sie irgendetwas benötigen, sagen Sie es einfach und Sie bekommen es. Sie haben ein paar gute Freunde in Washington. Ich selbst weiß nicht, warum Sie hier sind, aber es scheint, dass die Obrigkeit sehr darauf erpicht ist, Sie als privilegierten Gast der Regierung zu behandeln. Meine Aufgabe ist es, Sie so schnell und bequem wie möglich in Ihr Hotel zu bringen. Dort werde ich Sie dann abliefern und meiner Wege gehen. Dürfte ich bitte für einen Augenblick Ihren Pass haben?«

Bond reichte ihm das Dokument. Halloran öffnete eine Aktentasche auf dem Sitz neben sich und nahm einen schweren Metallstempel heraus. Er blätterte die Seiten in Bonds Pass um, bis er das US-Visum fand, stempelte es ab, kritzelte seine Unterschrift über den dunkelblauen Kreis, der das Siegel des Justizministeriums enthielt, und reichte ihn zurück. Dann zückte er seine Brieftasche, zog einen dicken weißen Umschlag heraus und gab diesen ebenfalls Bond.

»Darin befinden sich eintausend Dollar, Mr Bond.« Als Bond zu einer Erwiderung ansetzte, hob er seine Hand. »Und es ist Kommunistengeld, das wir beim Schmidt-Kinaski-Fischzug eingesackt haben. Jetzt benutzen wir es gegen sie und möchten Sie bitten, uns zu helfen, indem Sie dieses Geld während Ihres aktuellen Auftrags auf jede Weise ausgeben, die Ihnen beliebt. Ich wurde informiert, dass eine Ablehnung Ihrerseits als äußerst unhöflich angesehen werden würde. Lassen Sie uns bitte nicht weiter davon reden, und«, fügte er hinzu, während Bond den Umschlag immer noch zweifelnd in der Hand hielt, »ich soll Ihnen außerdem ausrichten, dass Ihr eigener Vorgesetzter Kenntnis über dieses Geld hat und sein Einverständnis erklärt hat, Sie frei darüber verfügen zu lassen.«

Bond sah ihn skeptisch an und grinste dann. Er verstaute den Umschlag in seiner Brieftasche.

»Also gut«, sagte er. »Und danke. Ich werde versuchen, es dort auszugeben, wo es den größten Schaden anrichtet. Ich bin froh, ein wenig Arbeitskapital zu haben. Und es tut gut, zu wissen, dass es von der gegnerischen Seite bereitgestellt wurde.«

»Schön«, sagte Halloran. »Wenn Sie mich nun entschuldigen würden, werde ich mir schnell ein paar Notizen für den Bericht machen, den ich einreichen muss. Ich darf nicht vergessen, der Einwanderungs- und der Zollbehörde ein Dankesschreiben für ihre Kooperation zukommen zu lassen. Routine.«

»Nur zu«, sagte Bond. Er war froh, ein wenig schweigen und aus dem Fenster schauen zu können, um seinen ersten Blick auf Amerika seit dem Krieg zu werfen. Es war keine Zeitverschwendung, damit anzufangen, sich wieder an die amerikanischen Gepflogenheiten zu gewöhnen: die Werbetafeln, die neuen Automodelle und die Preise der Gebrauchtwagen bei den zahlreichen Händlern; die exotische Schärfe der Straßenschilder: SCHARFE KURVEN – RUTSCHIG, WENN FEUCHT; den Fahrstil; die Anzahl der Frauen am Steuer, während ihre Männer brav neben ihnen saßen; die Kleidung der Männer; die Frisuren der Frauen; die Warnungen des Zivilschutzes: IM FALL EINES FEINDLICHEN ANGRIFFS – IN BEWEGUNG BLEIBEN – DIE BRÜCKE VERLASSEN; das dichte Gewirr aus Fernsehantennen und der Einfluss des Fernsehens auf Reklametafeln und Schaufenster; die Hubschrauber, die gelegentlich vorbeiflogen; die öffentlichen Spendenaufrufe für Krebs- und Poliostiftungen: DER MARSCH DER ZEHNCENTSTÜCKE – all diese kleinen, flüchtigen Eindrücke, die für seine Arbeit genauso wichtig waren wie abgeschürfte Rinde und zerbrochene Zweige für einen Trapper im Dschungel.

Der Fahrer wählte die Triborough Bridge, und sie rasten über das atemberaubende Gebilde ins Herz von Uptown Manhattan, während die wunderschöne Sicht auf New York immer näher kam, bis sie sich schließlich zwischen den hupenden, wimmelnden, nach Benzin riechenden Wurzeln des geschäftigen Betondschungels befanden.

Bond wandte sich an seinen Begleiter.

»Ich sage das nur ungern«, meinte er, »aber diese Stadt muss das größte Atombombenziel auf dem gesamten Planeten sein.«

»Da kann ich Ihnen nicht widersprechen«, stimmte Halloran zu. »Der Gedanke daran, was passieren könnte, bereitet mir oft schlaflose Nächte.«

Sie hielten vor dem besten Hotel in New York, dem St Regis an der Ecke Fifth Avenue und Fünfundfünfzigste Straße. Ein finster dreinblickender Mann mittleren Alters in einem dunkelblauen Mantel und mit einem schwarzen Homburg auf dem Kopf trat hinter dem Hotelportier hervor und kam auf sie zu. Auf dem Bürgersteig stellte Halloran ihn vor.

»Mr Bond, das ist Captain Dexter.« Er verhielt sich ehrerbietig. »Darf ich ihn Ihnen jetzt übergeben, Captain?«

»Sicher, sicher. Lassen Sie sein Gepäck einfach nach oben bringen. Zimmer 2100. Oberster Stock. Ich werde mich um Mr Bond kümmern und dafür sorgen, dass er alles bekommt, was er wünscht.«

Bond drehte sich herum, um sich von Halloran zu verabschieden und ihm zu danken. Für einen Augenblick hatte Halloran ihm den Rücken zugewandt, da er dem Portier etwas über Bonds Gepäck mitteilte. Bond sah an ihm vorbei über die Fünfundfünfzigste Straße. Er kniff die Augen zusammen. Eine schwarze Limousine, ein Chevrolet, bog direkt vor einem Taxi scharf in den dichten Verkehr ein. Das Taxi bremste daraufhin abrupt, und sein Fahrer schlug mit der Faust auf die Hupe. Die Limousine fuhr weiter, schaffte es gerade noch über die grüne Ampel und verschwand die Fifth Avenue hinunter Richtung Norden.

Es war ein cleveres, entscheidungsfreudiges Fahrmanöver gewesen, doch was Bond verwunderte, war die Tatsache, dass eine Negerin am Steuer gesessen hatte, eine gut aussehende Negerin in einer schwarzen Chauffeuruniform. Und durch die Heckscheibe hatte er einen einzelnen Passagier erspäht – ein riesiges grauschwarzes Gesicht, das sich langsam zu ihm herumgedreht und ihn direkt angesehen hatte. Dessen war sich Bond ganz sicher, als der Wagen in Richtung Avenue beschleunigte.

Bond schüttelte Halloran die Hand. Dexter berührte ihn ungeduldig am Ellbogen.

»Wir werden direkt zu den Fahrstühlen gehen. Schräg rechts durch die Lobby. Und bitte behalten Sie Ihren Hut auf, Mr Bond.«

Als Bond Dexter die Stufen hinauf ins Hotel folgte, dachte er darüber nach, dass es wohl bereits zu spät für diese Vorsichtsmaßnahmen war. So gut wie nirgendwo auf der Welt sah man eine Negerin, die ein Auto fuhr. Eine Negerin, die als Chauffeurin fungierte, war sogar noch außergewöhnlicher. Selbst in Harlem war das kaum vorstellbar, doch von dort stammte der Wagen zweifellos.

Und die riesige schwarze Gestalt auf dem Rücksitz? Das grauschwarze Gesicht? Mr Big?

»Hm«, murmelte Bond, während er Captain Dexters schmalem Rücken in den Fahrstuhl folgte.

Der Fahrstuhl verlangsamte, als er den einundzwanzigsten Stock erreichte.

»Wir haben eine kleine Überraschung für Sie vorbereitet, Mr Bond«, sagte Captain Dexter, klang dabei jedoch nicht besonders enthusiastisch, wie Bond fand.

Sie gingen den Flur entlang bis zum Eckzimmer.

Der Wind heulte draußen vor den Flurfenstern, und Bond konnte einen flüchtigen Blick auf die Dächer der anderen Wolkenkratzer und die dahinterliegenden Bäume des Central Park werfen. Er fühlte sich, als hätte er den Boden unter den Füßen verloren, und für einen kurzen Moment überkam ihn ein seltsames Gefühl der Einsamkeit und der Leere.

Dexter schloss die Tür des Zimmers mit der Nummer 2100 auf und machte sie hinter ihnen zu. Sie befanden sich in einem kleinen, beleuchteten Eingangsbereich. Sie ließen ihre Hüte und Mäntel auf einem Stuhl, und Dexter öffnete die Tür vor ihnen und hielt sie auf, damit Bond hindurchgehen konnte.

Er betrat ein hübsches Wohnzimmer, das im Empire-Stil eingerichtet war – bequeme Stühle und ein breites Sofa aus blassgelber Seide, eine gute Kopie eines Aubusson-Teppichs auf dem Fußboden, blassgraue Wände und Decken, eine französische Anrichte mit bogenförmiger Front, auf der Flaschen und Gläser sowie ein metallüberzogener Eiskübel standen, ein großes Fenster, durch das die Wintersonne von einem klaren Himmel hereinschien. Die Zentralheizung war gerade noch auszuhalten.

Die Durchgangstür zum Schlafzimmer öffnete sich.

»Ich habe nur noch schnell die Blumen neben Ihr Bett gestellt. Gehört alles zum berühmten Service der CIA.« Ein großer, schlanker junger Mann kam mit einem breiten Grinsen und einer ausgestreckten Hand auf Bond zu, der vor Erstaunen wie angewurzelt dastand.

»Felix Leiter! Was zum Teufel machen Sie hier?« Bond ergriff die feste Hand und schüttelte sie freundschaftlich. »Und was zum Teufel suchen Sie in meinem Schlafzimmer? Gott! Es tut gut, Sie zu sehen. Warum sind Sie nicht in Paris? Erzählen Sie mir nicht, die haben Ihnen diesen Auftrag zugeteilt.«

Leiter betrachtete den Engländer herzlich.

»Sie sagen es. Genau das haben sie getan. Großartige Sache! Zumindest für mich. Die CIA fand, dass wir bei diesem Casinoauftrag ganz gut zusammengearbeitet haben1, also haben sie mich von den Jungs des JIS in Paris weggeholt, mich in Washington auf den neuesten Stand gebracht, und jetzt bin ich hier. Ich diene als eine Art Verbindungsmann zwischen der CIA und unseren Freunden vom FBI.« Er winkte in Captain Dexters Richtung, der diese unprofessionelle Überschwänglichkeit ohne Begeisterung beobachtete. »Es ist natürlich ihr Fall, zumindest der amerikanische Teil davon, aber wie Sie wissen, gibt es dabei auch einige bedeutende Gesichtspunkte, die Gebiete in Übersee betreffen, sodass die Sache ebenso in den Zuständigkeitsbereich der CIA fällt und wir uns gemeinsam darum kümmern. Sie sind hier, um für die Briten die Sache auf Jamaika zu übernehmen, und damit ist das Team vollständig. Was meinen Sie? Setzen wir uns und gönnen uns einen Drink? Ich habe das Mittagessen bestellt, sobald ich hörte, dass Sie die Lobby betreten haben, und es wird wohl schon unterwegs sein.« Er ging zur Anrichte und machte sich daran, einen Martini zu mischen.

»Ich fasse es nicht«, sagte Bond. »Natürlich hat mir dieser alte Teufel M nichts davon verraten. Er gibt einem immer nur die Fakten. Die guten Nachrichten erwähnt er nie. Er dachte wohl, dass es meine Entscheidung beeinflussen würde, den Fall anzunehmen oder nicht. Jedenfalls ist es großartig.«

Bond spürte plötzlich die Stille, die von Captain Dexter ausging. Er drehte sich zu ihm um.

»Ich schätze mich sehr glücklich, hier Ihrem Befehl zu unterstehen, Captain«, sagte er taktvoll. »So wie ich es verstehe, lässt sich der Fall problemlos in zwei Hälften aufteilen. Die erste liegt voll und ganz in amerikanischem Territorium. Das ist natürlich Ihr Zuständigkeitsbereich. Und bei der anderen Hälfe sieht es so aus, als müssten wir die Angelegenheit in die Karibik verfolgen. Jamaika. Ich soll demnach wohl die Bereiche außerhalb der territorialen Gewässer der Vereinigten Staaten übernehmen. Und unser guter Felix hier wird die beiden Hälften für Ihre Regierung zusammenfügen. Ich werde London während meines Aufenthalts hier über die CIA Bericht erstatten und direkten Kontakt zu meinen Vorgesetzten haben, sobald ich in die Karibik aufbreche, wobei ich die CIA natürlich ebenfalls weiterhin auf dem Laufenden halte. Trifft das so weit zu?«

Dexter lächelte dünn. »So ist es, Mr Bond. Mr Hoover lässt Ihnen ausrichten, dass er sehr erfreut ist, Sie bei dieser Sache an Bord zu haben. Als unseren Gast«, fügte er hinzu. »Selbstverständlich haben wir mit dem britischen Teil des Falls nicht das Geringste zu tun, und wir sind sehr froh, dass die CIA sich gemeinsam mit Ihnen und Ihren Leuten in London darum kümmern wird. Es sollte alles glattlaufen. Auf den glücklichen Ausgang dieser Mission.« Damit hob er das Cocktailglas, das ihm Leiter in die Hand gedrückt hatte.

Sie genossen das eiskalte, starke Getränk anerkennend. Auf Leiters raubvogelartigen Zügen lag ein leicht skeptischer Ausdruck.

Es klopfte an der Tür. Leiter öffnete, um den Hotelpagen mit Bonds Koffern hereinzulassen. Ihm folgten zwei Kellner, die Rollwagen voller zugedeckter Teller, Besteck und schneeweißer Leinenservietten vor sich herschoben. Sie kamen herein und breiteten alles auf einem Klapptisch aus.

»Weichpanzerkrabben mit Sauce tartare, Rindfleischhamburger vom Holzkohlegrill, halb durch, Pommes frites, Brokkoli, gemischter Salat mit Thousand-Island-Dressing, Eiscreme mit geschmolzenem Butterscotch und die beste Liebfrauenmilch, die man in Amerika bekommen kann. Okay?«

»Klingt gut«, meinte Bond, der im Geiste einen Vorbehalt gegen den geschmolzenen Butterscotch hegte.

Sie nahmen Platz und aßen sich stetig durch jeden der köstlichen Gänge aus außergewöhnlich gutem amerikanischem Essen.

Sie sprachen wenig, und erst nachdem der Kaffee serviert und der Tisch weggeräumt worden war, nahm Captain Dexter die Fünzig-Cent-Zigarre aus dem Mund und räusperte sich bestimmt.

»Mr Bond«, sagte er, »würden Sie uns jetzt vielleicht verraten, was Sie über diesen Fall wissen?«

Bond schlitzte mit dem Daumennagel eine neue Packung extralanger Chesterfields auf, und während er sich in diesem warmen, luxuriösen Zimmer auf seinem bequemen Stuhl zurücklehnte, rief er sich den bitterkalten Januartag vor zwei Wochen ins Gedächtnis, als er aus seiner Wohnung in Chelsea ins trübe Dämmerlicht des nebelverhangenen Londons hinausgetreten war.

1 Dieser erschreckende Glücksspielfall wird in Ian Flemings Casino Royale beschrieben.

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GESPRÄCH MIT M

Das graue Bentley-Cabriolet, das 4½-Liter-Modell von 1930 mit dem Amherst-Villiers-Kompressor, war vor ein paar Minuten von der Garage hergebracht worden, in der Bond es unterstellte, und der Motor war direkt angesprungen, als er auf den Anlasser gedrückt hatte. Er hatte die Nebelscheinwerfer eingeschaltet, war vorsichtig die King’s Road entlanggefahren und dann über die Sloane Street in den Hyde Park.

Ms Stabschef hatte ihn um Mitternacht angerufen, um ihm mitzuteilen, dass M Bond am nächsten Morgen um neun Uhr sehen wollte. »Es ist ein wenig früh«, hatte er sich entschuldigt, »aber er scheint endlich etwas bewegen zu wollen. Er hat wochenlang nur vor sich hin gegrübelt. Ich schätze, er hat nun endlich eine Entscheidung getroffen.«

»Können Sie mir übers Telefon irgendeinen Hinweis geben?«

»A steht für Apfel und C für Charly«, sagte der Stabschef und legte auf.

Das bedeutete, dass der Fall die Abteilungen A und C betraf, die Abteilungen des Secret Service, die sich mit den Vereinigten Staaten und der Karibik beschäftigten. Bond hatte während des Krieges eine Weile für Abteilung A gearbeitet, doch er wusste nur wenig über Abteilung C und ihre Probleme.

Während er an der Bordsteinkante entlang durch den Hyde Park kroch und ihm der langsame Rhythmus seines fünf Zentimeter langen Auspuffrohrs Gesellschaft leistete, verspürte er angesichts des bevorstehenden Gesprächs mit M eine gewisse Aufregung. Immerhin handelte es sich um den bemerkenswerten Mann, der damals der Leiter des Secret Service war und es noch immer ist. Er hatte seit dem Ende des Sommers nicht mehr in diese kalten, scharfsinnigen Augen gesehen. Damals war M zufrieden gewesen.

»Nehmen Sie Urlaub«, hatte er gesagt. »Eine Menge Urlaub. Und dann lassen Sie sich ein wenig neue Haut auf Ihren Handrücken verpflanzen. ‚Q‘ wird Sie an den besten Mann für solche Fälle verweisen und einen Termin ausmachen. Ich kann Sie schließlich nicht mit diesem verdammten russischen Markenzeichen auf der Hand herumlaufen lassen. Ich werde sehen, ob ich Ihnen ein gutes Ziel besorgen kann, sobald Sie wieder in Ordnung sind. Viel Glück.«

Die Hand war wiederhergestellt worden, schmerzlos, aber langsam. Die dünnen Narben, ein einzelner russischer Buchstabe, der für die Buchstaben SCH stand, die den Anfang des russischen Wortes Schpion – also Spion – bildeten, waren entfernt worden. Und als Bond an den Mann mit dem Messer dachte, der sie ihm eingeritzt hatte, verkrampfte er seine Hände um das Steuer.

Was war aus der brillanten Organisation geworden, für die der Mann mit dem Messer arbeitete, dem sowjetischen Racheorgan, SMERSCH, Abkürzung für Smert Schpionam – Tod den Spionen? War sie immer noch so mächtig, immer noch so effizient? Wer kontrollierte sie, nun, da Beria tot war? Nach dem großen Glücksspielfall, in den er in Royaleles-Eaux verwickelt gewesen war, hatte Bond geschworen, sich an ihnen zu rächen. Das hatte er M bei ihrem letzten Gespräch mitgeteilt. Würde dieser Termin mit M der Beginn seiner Rache sein?

Bonds Augen verengten sich, während er durch den Nebel des Regent’s Parks starrte, und sein Gesicht wirkte im schwachen Licht der Armaturenbeleuchtung grausam und hart.

Er hielt an der Garage hinter dem finsteren, hohen Gebäude, übergab seinen Wagen an einen der dort angestellten Fahrer in Zivil und ging nach vorne zum Haupteingang. Er wurde mit einem Fahrstuhl in den obersten Stock gebracht und dort durch den mit Teppich ausgestatteten Flur, den er so gut kannte, zur Tür neben Ms Büro geführt. Der Stabschef erwartete ihn bereits und meldete sich sofort über die Gegensprechanlage bei M.

»007 ist jetzt hier, Sir.«

»Schicken Sie ihn rein.«

Die hinreißende Miss Moneypenny, Ms allmächtige Privatsekretärin, schenkte ihm ein ermutigendes Lächeln, und er trat durch die Doppeltür. Sofort ging das grüne Licht hoch oben an der Wand des Raumes an, den er gerade verlassen hatte. Solange es leuchtete, durfte M nicht gestört werden.

Eine Leselampe mit einem grünen Glasschirm warf einen Lichtkegel auf die rote Lederoberfläche des großen Schreibtischs. Der Rest des Raums wurde durch den Nebel vor den Fenstern verdunkelt.

»Morgen, 007. Zeigen Sie mal Ihre Hand her. Keine schlechte Arbeit. Woher haben sie die Haut genommen?«

»Aus dem oberen Bereich meines Unterarms, Sir.«

»Hm. Die Haare werden ein wenig dichter nachwachsen. Und schief. Na ja, da kann man nichts machen. Momentan sieht es ganz gut aus. Setzen Sie sich.«

Bond ging zu dem einzelnen Stuhl, der auf der anderen Seite von Ms Schreibtisch stand. Die grauen Augen starrten ihn an und durch ihn hindurch.

»Haben Sie sich gut erholt?«

»Ja, danke, Sir.«

»Haben Sie so was schon mal gesehen?« M fischte unvermittelt etwas aus seiner Westentasche. Er warf es über den Schreibtisch zu Bond. Mit einem leisen Klappern landete es auf dem roten Leder und lag auffällig glänzend da. Es handelte sich um eine zweieinhalb Zentimeter breite, geprägte Goldmünze.

Bond nahm sie, drehte sie hin und her und wog sie in seiner Hand.

»Nein, Sir. Die dürfte etwa fünf Pfund wert sein.«

»Für einen Sammler fünfzehn. Es ist ein Rosennobel von Edward IV.«

M fischte erneut in seiner Westentasche herum und warf weitere glänzende Goldmünzen vor Bond auf den Tisch. Dabei warf er auf jede einzelne einen flüchtigen Blick und identifizierte sie.

»Double Excellente, spanisch, Ferdinand und Isabella, 1510; Ecu au Soleil, französisch, Karl IX., 1574; Double Ecu d’or, französisch, Heinrich IV., 1600; Doppeldukat, spanisch, Philipp II., 1560; Ryder, holländisch, Karl von Egmond, 1538; Quadrupel, Genua, 1617; Double louis, à la mèche courte, französisch, Ludwig XIV., 1644. Eingeschmolzen jede Menge Geld wert. Für Sammler sogar noch mehr, jede etwa zehn bis zwanzig Pfund. Fällt Ihnen auf, was sie alle gemeinsam haben?«

Bond überlegte. »Nein, Sir.«

Sie wurden alle vor 1650 geprägt. Der Pirat Bloody Morgan war von 1675 bis 1688 Gouverneur und Oberster Befehlshaber von Jamaika. Die englische Münze ist der Joker in der Gruppe. Sie wurde vermutlich verschifft, um die jamaikanische Garnison zu bezahlen. Abgesehen von dieser Tatsache und den Jahreszahlen könnten diese Münzen aus jedem anderen Schatz stammen, den die großen Piraten anlegten – L’Ollonais, Pierre le Grand, Sharp, Sawkins, Blackbeard. Doch die Experten des Auktionshauses Spink und des Britischen Museums sind sich einig, dass es sich hierbei mit fast hundertprozentiger Sicherheit um einen Teil des Schatzes von Bloody Morgan handelt.«

M hielt inne, um seinen Pfeife zu stopfen und anzuzünden. Er forderte Bond nicht zum Rauchen auf, und Bond hätte nie gewagt, es unaufgefordert zu tun.

»Und das muss ein verdammt beeindruckender Schatz sein. Bisher sind im Verlauf der vergangenen Monate fast eintausend dieser und ähnlicher Münzen in den Vereinigten Staaten aufgetaucht. Und wenn die Spezialabteilung des Finanzministeriums und das FBI tausend Stück aufgespürt haben, wie viele wurden dann eingeschmolzen oder sind in privaten Sammlungen verschwunden? Und es tauchen immer noch mehr auf, in Banken, bei Goldhändlern, in Kuriositätengeschäften, aber hauptsächlich natürlich bei Pfandleihern. Das FBI steckt ordentlich in der Klemme. Wenn sie diese Münzen in den Polizeimitteilungen als Diebesgut einordnen, würde die Quelle versiegen. Sie würden eingeschmolzen, zu Goldbarren verarbeitet und direkt auf den Schwarzmarkt weitergeleitet werden. Man müsste den Seltenheitswert der Münzen opfern, aber das Gold würde sofort in den Untergrund wandern. Tatsache ist, dass jemand die Neger benutzt – Portiers, Schlafwagenschaffner, Lastwagenfahrer –, um das Geld überall in den Staaten zu verteilen. Unschuldige Leute. Hier ist ein typischer Fall.« M öffnete eine braune Aktenmappe, auf der der rote Stern für die oberste Geheimhaltungsstufe prangte, und nahm ein einzelnes Blatt Papier heraus. Er hielt es hoch, und Bond konnte durch die Rückseite den eingeprägten Briefkopf schimmern sehen: Justizministerium. Federal Bureau of Investigation. M las laut vor:

»Zachary Smith, 35, Neger, Mitglied der Bruderschaft der Schlafwagengepäckträger, Adresse: 90b West Hundertsechsundzwanzigste Straße, New York City.« (M sah auf und ergänzte: »Harlem.«) »Die Person wurde von Arthur Fein von Fein Juwelen Inc., 870 Lenox Avenue, identifiziert. Smith hatte ihm am 21. November letzten Jahres vier Goldmünzen aus dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert (Einzelheiten liegen bei) zum Kauf angeboten. Fein bot ihm dafür einhundert Dollar, die er annahm. Als er später dazu befragt wurde, sagte Smith, sie seien ihm im Seventh-Heaven-Bar-B-Q (einer bekannten Bar in Harlem) für zwanzig Dollar pro Stück von einem Neger verkauft worden, den er weder davor noch danach noch einmal gesehen habe. Der Verkäufer habe behauptet, jede einzelne Münze sei bei Tiffany fünfzig Dollar wert, doch er, der Verkäufer, brauche dringend Bargeld und Tiffany sei ohnehin zu weit entfernt. Smith kaufte eine Münze für zwanzig Dollar, und nachdem er herausgefunden hatte, dass ihm ein benachbarter Pfandleiher fünfundzwanzig Dollar dafür geben würde, kehrte er in die Bar zurück und kaufte auch noch die drei restlichen Münzen für sechzig Dollar. Am nächsten Morgen ging er damit zu Fein. Smith hat keinerlei Vorstrafen.«

M legte das Blatt zurück in die Aktenmappe.

»Das ist typisch«, sagte er. »Sie haben schon mehrere Male das nächste Glied in der Kette erwischt, den Mittelsmann, der die Münzen ein wenig günstiger gekauft hat, und dann finden sie heraus, dass er eine Handvoll davon gekauft hat, in einem Fall sogar einhundert, und zwar von einem Mann, der sie vermutlich noch günstiger bekommen hat. All diese größeren Transaktionen fanden in Harlem oder Florida statt. Das nächste Glied in der Kette war immer ein unbekannter Neger, jedes Mal ein gut situierter, wohlhabender, gebildeter Mann, der sagte, er vermute, bei den Münzen handelte es sich um Piratengold aus Blackbeards Schatz.

Diese Blackbeard-Geschichte würde den meisten Nachforschungen standhalten«, fuhr M fort, »weil es Grund zu der Annahme gibt, dass ein Teil dieses Schatzes um Weihnachten des Jahres 1928 an einem Ort namens Plum Point ausgegraben worden ist. Das ist ein schmaler Landstrich in Beaufort County, North Carolina, wo ein Bach namens Bath Creek in den Pamlico River fließt. Glauben Sie bloß nicht, dass ich ein Experte bin«, sagte er lächelnd, »Sie können alles darüber im Dossier nachlesen. Demnach wäre es von diesen vom Glück gesegneten Schatzsuchern theoretisch recht vernünftig gewesen, die Beute zu verstecken, bis die Geschichte in Vergessenheit geraten war, und die Münzen dann schnell auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Alternativ hätten sie sie damals, oder später, auch alle auf einen Schlag verkaufen können, und der Käufer hat sich jetzt plötzlich entschieden, sie zu Bargeld zu machen. Wie dem auch sei, es ist eine gute Tarnung – abgesehen von zwei Punkten.«

M hielt inne, um seine Pfeife neu anzuzünden.

»Zum einen war Blackbeard von etwa 1690 bis 1710 aktiv, und es ist sehr unwahrscheinlich, dass keine seiner Münzen nach 1650 geprägt worden sein sollen. Außerdem ist es, wie schon erwähnt, unwahrscheinlich, dass sich in seinem Schatz Rosennobel von Edward IV. befinden sollen, da es keine Aufzeichnungen darüber gibt, dass ein englisches Schatzschiff auf dem Weg nach Jamaika gekapert wurde. An die wagten sich die Brüder der Küste nämlich nicht heran. Sie hatten zu starken Geleitschutz. Wenn man damals als Plünderer unterwegs war, gab es sehr viel leichtere Ziele.

Und zweitens«, sagte M, schaute kurz zur Decke und dann wieder zu Bond, »weiß ich, wo sich der Schatz befindet. Zumindest bin ich mir recht sicher. Und er ist nicht in Amerika. Er ist auf Jamaika, und es ist der von Bloody Morgan. Ich schätze, dass es sich dabei um einen der wertvollsten Schatzhorte in der Geschichte handelt.«

»Gute Güte«, meinte Bond. »Wie … wo kommen wir ins Spiel?«

M hob eine Hand. »Hier werden Sie sämtliche Einzelheiten finden«, erklärte er und ließ die Hand auf die braune Aktenmappe sinken. »Nur ganz kurz: Abteilung C hat ein Auge auf eine Dieseljacht geworfen, die Secatur, die von einer kleinen Insel vor der Nordküste Jamaikas durch die Florida Keys in den Golf von Mexiko und von dort an einen Ort namens Saint Petersburg fährt. Das ist eine Art Vergnügungsanlage in der Nähe von Tampa an der Westküste Floridas. Mithilfe des FBI haben wir den Besitzer des Schiffes und der Insel ausfindig gemacht. Es handelt sich um einen Mann namens Mr Big, einen Negergangster. Er lebt in Harlem. Haben Sie schon mal von ihm gehört?«

»Nein«, erwiderte Bond.

»Und seltsamerweise«, fuhr M etwas leiser fort, »wurde ein Zwanzigdollarschein, den einer dieser zufälligen Neger für eine Goldmünze bezahlt und dessen Registrierungsnummer er sich zufällig für das Peaka-Peow-Glücksspiel notiert hatte, von einem von Mr Bigs Handlangern ausgegeben, um«, M deutete mit dem Stiel seiner Pfeife auf Bond, »einen Doppelagenten des FBI, der Mitglied der kommunistischen Partei ist, für die von ihm erhaltenen Informationen zu bezahlen.«

Bond pfiff leise.

»Kurz gesagt«, fuhr M fort, »vermuten wir, dass dieser jamaikanische Schatz benutzt wird, um das sowjetische Spionagesystem in Amerika zu finanzieren, oder zumindest einen wichtigen Teil davon. Und unser Verdacht bestätigt sich, wenn ich Ihnen erzähle, wer dieser Mr Big ist.«

Bond wartete und hielt den Blickkontakt mit M aufrecht.

»Mr Big«, sagte M und wog seine Worte ab, »ist der vermutlich mächtigste Negerverbrecher der Welt. Er ist«, und er zählte das Folgende sorgfältig auf, »der Kopf des Voodoo-Kults Schwarze Witwe und wird von seinen Anhängern für Baron Samedi höchstpersönlich gehalten. Sie finden alles Weitere darüber hier drin.« Er tippte erneut auf die Aktenmappe. »Und es wird Ihnen eine Höllenangst einjagen. Außerdem ist er ein sowjetischer Agent. Und schließlich, und das wird Sie besonders interessieren, Bond, ein bekanntes Mitglied von SMERSCH.«

»Ja«, sagte Bond langsam, »jetzt verstehe ich.«

»Ein interessanter Fall«, sagte M und sah ihn scharf an. »Und ein interessanter Mann, dieser Mr Big.«

»Ich glaube, ich habe noch nie zuvor von einem großen Negerverbrecher gehört«, sagte Bond. »Die Chinesen, natürlich, das sind die Männer hinter dem Opiumhandel. Und es gibt auch ein paar mächtige Japsen, die hauptsächlich Geschäfte mit Perlen- und Drogenhandel machen. Und viele Neger sind in Afrika in Diamanten- und Goldgeschäfte verwickelt, aber immer nur im kleinen Stil. Sie scheinen sich nicht auf große Coups einzulassen. Ich hatte sie bisher immer für recht gesetzestreue Kerle gehalten, außer wenn sie zu viel getrunken haben.«

»Unser Mann stellt da eine Ausnahme dar«, sagte M. »Er ist kein reiner Neger. Er wurde auf Haiti geboren. Durch seine Adern fließt eine ordentliche Portion französisches Blut. Außerdem wurde er, wie Sie der Akte entnehmen können, in Moskau ausgebildet. Und die Negerrassen fangen gerade erst an, Genies in allen Bereichen zu produzieren – Wissenschaftler, Ärzte, Schriftsteller. Es wurde langsam Zeit, dass sie auch einen großen Verbrecher hervorbringen. Immerhin gibt es zweihundertfünfzig Millionen von ihnen auf der Welt. Fast ein Viertel der weißen Bevölkerung. Sie haben jede Menge Intelligenz und Fähigkeiten und Mumm. Und jetzt hat Moskau einem von ihnen die Spionage beigebracht.«

»Ich würde ihn gerne treffen«, sagte Bond. Dann fügte er hinzu: »Ich würde gerne jedes Mitglied von SMERSCH treffen.«

»Also gut, Bond. Nehmen Sie das mit.« M reichte ihm die dicke Aktenmappe. »Besprechen Sie die Sache mit Plender und Damon. Halten Sie sich bereit, in einer Woche anzufangen. Es ist eine gemeinsame Operation von CIA und FBI. Treten Sie den Leuten vom FBI um Himmels willen nicht auf die Füße. Die sind voller Hühneraugen. Viel Glück.«

Bond war danach direkt nach unten zu Commander Damon gegangen, dem Leiter von Abteilung A. Er war ein aufmerksamer Kanadier, der die Verbindung zwischen dem Secret Service und der CIA überwachte.

Damon schaute von seinem Schreibtisch auf. »Wie ich sehe, haben Sie den Auftrag übernommen«, sagte er mit Blick auf die Aktenmappe. »Das dachte ich mir schon. Setzen Sie sich.« Er deutete auf einen Lehnstuhl neben dem Elektroofen. »Wenn Sie sich durch all das durchgekämpft haben, werde ich die Lücken füllen.«

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EINE VISITENKARTE

Inzwischen waren zehn Tage vergangen, und das Gespräch mit Dexter und Leiter hatte nicht viel Neues ergeben, überlegte Bond, als er am Morgen nach seiner Ankunft in New York langsam und gemütlich in seinem Schlafzimmer im St Regis aufwachte.

Dexter hatte jede Menge Einzelheiten über Mr Big auf Lager gehabt, jedoch nichts, was ein neues Licht auf den Fall geworfen hätte. Mr Big war fünfundvierzig Jahre alt, auf Haiti geboren, halb Neger und halb Franzose. Aufgrund der Anfangsbuchstaben seines ausgefallenen Namens, Buonaparte Ignace Gallia, und wegen seiner gewaltigen Körpergröße und -masse, wurde er schon als Jugendlicher einfach nur »Big« genannt. Später wurde daraus »Mr Big«, und sein richtiger Name existierte nur noch in irgendeinem Taufbuch auf Haiti und in seinem Dossier beim FBI. Er hatte keine bekannten Laster außer Frauen, die er in großen Mengen verbrauchte. Er trank und rauchte nicht, und seine einzige Achillesferse schien ein chronisches Herzleiden zu sein, das im Verlauf der letzten Jahre zu einer gräulichen Verfärbung seiner Haut geführt hatte. Mr Big war als Kind in die Voodoo-Religion eingeführt worden, hatte sich seinen Lebensunterhalt als Lastwagenfahrer in Port-au-Prince verdient und war schließlich nach Amerika ausgewandert, um dort erfolgreich für ein Überfallteam der Legs-Diamond-Gang zu arbeiten. Nach dem Ende der Prohibition zog er nach Harlem und kaufte sich Anteile an einem kleinen Nachtclub und einem Ring farbiger Callgirls. Sein Partner wurde 1938 in einem Fass voller Zement im Harlem River gefunden, und Mr Big wurde automatisch zum alleinigen Geschäftsinhaber. 1943 wurde er von der Armee eingezogen und erregte durch sein ausgezeichnetes Französisch die Aufmerksamkeit des Amts für strategische Dienste – des amerikanischen Geheimdienstes während des Krieges. Dort erhielt er eine äußerst gründliche Ausbildung und wurde als Agent im Einsatz gegen die Pétain-Kollaborateure nach Marseille geschickt. Er fand schnell Anschluss bei den afrikanischen Dockarbeitern, leistete gute Arbeit und lieferte genaue Geheimdienstinformationen über die Marine. Er arbeitete eng mit einem sowjetischen Spion zusammen, der einen ähnlichen Auftrag für die Russen erledigte. Am Ende des Krieges wurde er in Frankreich aus dem Armeedienst entlassen (und erhielt sowohl von den Amerikanern als auch von den Franzosen Auszeichnungen) und verschwand dann für fünf Jahre, vermutlich nach Moskau. 1950 kehrte er nach Harlem zurück und fiel dem FBI als mutmaßlicher sowjetischer Agent auf. Doch er ließ sich nie etwas zuschulden kommen und tappte auch nie in die Fallen, die ihm das FBI stellte. Er kaufte drei Nachtclubs sowie eine florierende Bordellkette in Harlem. Er schien ein unbegrenztes Budget zu haben und bezahlte all seinen höhergestellten Handlangern einen Festpreis von zwanzigtausend Dollar pro Jahr. Entsprechend – und weil er durch Mord aussiebte – erhielt er professionelle und gewissenhafte Dienste. Es war bekannt, dass er einen Voodoo-Tempel in Harlems Untergrund gegründet und eine Verbindung zwischen dieser Einrichtung und dem Hauptkult auf Haiti hergestellt hatte. Nach und nach verbreitete sich das Gerücht, er sei der Zombie oder die lebende Leiche von Baron Samedi persönlich, dem gefürchteten Prinzen der Finsternis. Er förderte diese Geschichte, sodass sie nach kurzer Zeit überall in den unteren Schichten der Negerwelt anerkannt wurde. Damit verbreitete er echte Angst, was er durch die plötzlichen und oftmals rätselhaften Tode eines jeden, der ihm in die Quere kam oder sich seinen Befehlen widersetzte, untermauerte.

Bond hatte Dexter und Leiter sehr genau zu den Beweisen befragt, die den riesigen Neger mit SMERSCH in Verbindung brachten. Sie schienen zweifellos schlüssig zu sein.

1951 hatte das FBI endlich einen bekannten sowjetischen Agenten des MWD dazu überreden können, als Doppelagent für sie zu arbeiten, indem sie ihm eine Million Dollar in Gold sowie eine sichere Zuflucht nach sechs Monaten in ihrem Dienst versprachen. Einen Monat lang lief alles gut, und die Ergebnisse überstiegen ihre höchsten Erwartungen. Der russische Spion hatte in der sowjetischen Delegation bei den Vereinten Nationen den Posten eines Wirtschaftsexperten inne. Eines Samstags hatte er sich zur Pennsylvania Station aufgemacht, um mit der U-Bahn zum sowjetischen Wochenendferienlager in Glen Cove, dem ehemaligen Morgan-Anwesen auf Long Island, zu fahren.

Ein riesiger Neger, der durch Fotos eindeutig als Mr Big identifiziert werden konnte, hatte neben ihm auf dem Bahnsteig gestanden, als der Zug eingefahren war, und wurde dabei gesehen, wie er Richtung Ausgang spazierte, noch bevor der erste Waggon über den blutigen Überresten des Russen zum Stillstand gekommen war. Niemand hatte gesehen, wie er den Mann gestoßen hatte, doch in der Menschenmenge wäre das kein Problem gewesen. Zeugen sagten, es könne kein Selbstmord gewesen sein. Der Mann schrie furchtbar, als er fiel, und hatte (welch melancholische Note!) eine Tasche mit Golfschlägern über seiner Schulter hängen. Mr Big konnte natürlich ein Alibi vorweisen, das so sicher war wie Fort Knox. Er war festgenommen und verhört worden, doch der beste Anwalt in Harlem hatte ihn schnell wieder auf freiem Fuß gehabt.

Bond genügten die Beweise. Mr Big war genau der richtige Mann für SMERSCH und besaß die erforderliche Ausbildung. Eine wahre, unnachgiebige Waffe der Angst und des Todes. Welch brillante Voraussetzungen, um Geschäfte mit den kleineren Fischen der Negerunterwelt zu machen und ein farbiges Informationsnetzwerk aufrechtzuerhalten! – immerhin war die Angst vor Voodoo und dem Übernatürlichen nach wie vor tief im Unterbewusstsein der Neger verwurzelt. Und wie genial es war, für den Anfang das gesamte amerikanische Verkehrssystem zu überwachen: die Züge, die Gepäckträger, die Lastwagenfahrer, die Schiffsbelader! Ihm stand ein Heer aus Männern zur Verfügung, die keine Ahnung hatten, dass die Fragen, die sie beantworteten, von Russland gestellt wurden. Kleinkriminelle, die, falls sie überhaupt dachten, lediglich vermuten würden, dass die Informationen über Frachter und Fahrpläne an rivalisierende Transportunternehmen verkauft wurden.

Nicht zum ersten Mal spürte Bond, wie ihm angesichts dieser kalten, brillanten Effizienz der sowjetischen Maschinerie ein Schauer über den Rücken lief. Die Angst vor dem Tod und der Folter trieb diese Maschinerie an und ihr Hauptmotor war SMERSCH – SMERSCH, das Flüstern des Todes.

In seinem Schlafzimmer im St Regis verdrängte Bond diese Gedanken und sprang ungeduldig aus dem Bett. Ein Agent von SMERSCH befand sich in seiner Reichweite und war bereit, zerquetscht zu werden. In Royale hatte er lediglich einen flüchtigen Blick auf einen von ihnen werfen können. Dieses Mal würde er ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Mr Big, ein großer Mann? Er würde ihm einen riesigen, einen epischen Tod bereiten.

Bond ging zum Fenster und zog die Vorhänge auf. Sein Zimmer war nach Norden ausgerichtet, nach Harlem. Bond starrte einen Moment lang auf den nördlichen Horizont, wo ein anderer Mann schlafend in seinem Bett lag. Oder womöglich war er auch wach und dachte intensiv über ihn, Bond, nach, den er zusammen mit Dexter auf den Stufen des Hotels gesehen hatte. Bond betrachtete den wunderschönen Tag und lächelte. Und keinem Mann, nicht einmal Mr Big, hätte der Ausdruck auf seinem Gesicht gefallen.

Bond zuckte mit den Schultern und ging eilig zum Telefon.

»St Regis Hotel. Guten Morgen«, sagte eine Stimme.

»Den Zimmerservice, bitte«, erwiderte Bond. »Zimmerservice? Ich würde gerne ein Frühstück bestellen. Einen halben Liter Orangensaft, drei Rühreier mit Speck, einen doppelten Espresso mit Sahne. Toast. Marmelade. Alles mitbekommen?«

Seine Bestellung wurde zur Bestätigung wiederholt. Bond ging in den Eingangsbereich und hob den dicken Stapel Zeitungen auf, der früh am Morgen leise hinter die Tür gelegt worden war. Auf dem Flurtisch befanden sich außerdem einige Pakete, die Bond ignorierte.

Am gestrigen Nachmittag hatte er sich einem gewissen Grad der Amerikanisierung durch das FBI unterziehen müssen. Ein Schneider war vorbeigekommen und hatte seine Maße für zwei Einreiher aus dunkelblauem leichtem Kammgarn genommen (Bond hatte sich vehement gegen alles Auffälligere gewehrt), und ein Herrenausstatter hatte luftige weiße Nylonhemden mit sehr langen, spitzen Kragenenden vorbeigebracht. Er musste sich mit einem halben Dutzend ungewöhnlich gemusterten Seidenkrawatten, dunklen Socken mit ausgefallenen Verzierungen, zwei oder drei »Einstecktüchern« für seine Brusttasche, Nylonwesten und -hosen (die sich T-Shirts und Shorts nannten), einem bequemen, leichten Kamelhaarmantel mit übermäßig gepolsterten Schultern, einem grauen Hut mit hochklappbarer Krempe und einem dünnen schwarzen Band sowie mit zwei Paar handgemachten und sehr bequemen schwarzen Mokassins abfinden.

Außerdem erhielt er eine »schicke« Krawattennadel in Form einer Peitsche, eine Brieftasche aus Alligatorleder von Mark Cross, ein einfaches Zippo-Feuerzeug, eine »Reisetasche« aus Plastik, in der sich ein Rasierer, eine Haar- und eine Zahnbürste, eine Hornbrille mit Fensterglas sowie diverse andere Kleinigkeiten befanden, und schließlich einen leichten Hartmann-Koffer, um all diese Dinge unterzubringen.

Er durfte seine eigene .25 Beretta mit der abmontierten Griffabdeckung und das Schulterholster aus Gamsleder behalten, doch all seine anderen Besitztümer würden am nächsten Mittag abgeholt und nach Jamaika geschickt werden, wo sie auf ihn warten würden.