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Wilfried A. Hary

HdW-B 009: Alien-Komplott


Nähere Angaben zum Autor siehe hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Wilfried_A._Hary


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

HdW-B 009:

 

Alien-Komplott

 

Wilfried A. Hary

 

»John im Einsatz - als Fitch Mestol!«

Impressum


ISSN 1614-3302

Copyright neu 2015 by HARY-PRODUCTION

Canadastraße 30 * D-66482 Zweibrücken

Telefon: 06332 48 11 50 * Fax: 01805 060 343 768 39

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eMail: wah@HaryPro.de


Dieses Buch basiert auf den Bänden 26 bis 29 der gleichnamigen Serie!


Sämtliche Rechte vorbehalten!

Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung von

HARY-PRODUCTION!


Lektorat: David Geiger

Covergestaltung: Anistasius

Copyright Titelbild: Gerhard Börnsen,

Steinruther Str. 13, D-58093 Hagen


Einführung

Irgendwann in fernster Zukunft: Viele tausend Welten sind von Menschen besiedelt. Überlichtschnelle Flüge sind verboten, weil es sich erwiesen hat, dass diese auf Dauer das energetische Gleichgewicht des Universums und somit das Raum-Zeit-Gefüge stören, was in manchen Bereichen des Universums in der Vergangenheit zu schrecklichen Katastrophen führte.

Die von Menschen besiedelten Welten haben keinen direkten Kontakt miteinander, da es keine überlichtschnellen Kommunikationsmöglichkeiten gibt. Dennoch entstand im Verlauf der Jahrtausende ein funktionierendes Handelssystem: Riesige Container-Schiffe sind im Unterlichtflug unterwegs zu ihren Zielwelten, mit mannigfaltigen Waren bestückt. Sie sind teilweise Jahrtausende unterwegs, um ihr Ziel zu erreichen, aber da der Strom der Handelscontainer niemals abreißt, werden die Planeten untereinander reibungslos versorgt.

Die Erde beispielsweise ist eine gigantische »Zuchtanstalt für Menschenmaterial« - dem wichtigsten »Exportartikel« für die Erde. Die Betreffenden werden in Tiefschlaf versetzt, bevor sie auf den Weg gehen. Ein übriges tut die Zeitdilatation, so dass sie unbeschadet den langen Flug überstehen.

Dieses komplizierte Handelssystem ist natürlich hochempfindlich - und muss überwacht werden. Dafür zuständig ist der Sternenvogt - der HERR DER WELTEN! Nur ein Sternenvogt besitzt das Monopol des Überlichtfluges, um seiner Aufgabe auch gerecht werden zu können. Aber dieser verhältnismäßig minimale Einsatz des Überlichtfluges hat keine negativen Auswirkungen auf die universale Ordnung.

Es gibt mehr als nur einen Sternenvogt, doch das Universum ist groß genug für alle - und so begegnen sie sich untereinander nur, wenn es unbedingt nötig erscheint...

Vorwort


Die Warterei erschien mir diesmal noch unerträglicher als sonst. Der Sternenvogt ließ sich einfach nicht mehr blicken, und ich hatte keinerlei Möglichkeiten, ihn zu rufen, wenn er das nicht selber wünschte.

So vertrieb ich mir die Zeit mit Nachdenken über alles, was ich durch ihn bereits erlebt und erfahren hatte. Mein Weltbild war sozusagen im Umbruch. Er hatte mir soviel über die Vergangenheit der Menschheit erzählt... und jetzt ließ er mich einfach hängen?

Es mußte einen Grund haben. Ich dachte natürlich zunächst an die Andeutungen, die er mir gegenüber gemacht hatte, von wegen einer Art Virengefahr auf einem der Planeten - wenn ich mich richtig erinnerte... War nicht Bron damit beschäftigt statt meiner? Aber er hatte auch angedeutet, daß Bron (mein für mich eigentlich unerwünschter »Partner« als Diener des Sternenvogts - obwohl er mir eigentlich auch so etwas wie Freundschaft bewiesen, nicht nur, indem er mein Leben gerettet hatte)... Nun, Bron sollte den Fall nicht bis zum Ende bearbeiten, jedenfalls nicht ohne mich. Ging es jetzt darum? Die Vermutung war naheliegend, denn wenn der Sternenvogt mich so »hängen ließ«, gab es sicherlich triftige Gründe.

Und dann tauchte er so plötzlich auf, als habe er sich niemals zurückgezogen. Seine Miene zeigte einen Ausdruck, den ich noch nicht kannte. War es grimmige Entschlossenheit? Oder Ausdruck tiefster Besorgnis? Schwer zu sagen, denn die feinen, eigentlich eher femininen Gesichtszüge waren normalerweise kaum in der Lage - in ihrer sprichwörtlichen Weichheit - wirklich so etwas wie grimmige Entschlossenheit zu signalisieren.

Ich wartete ab, nach außenhin geduldig, aber mit einem brodelnden Vulkan der Unruhe in mir, daß mir das Herz bis zum Halse schlug.

»Es ist dringend und unabwendbar, John. Ja, es gibt noch nicht einmal eine Möglichkeit der ausreichenden Vorbereitung. Du mußt hier und jetzt in diese Rolle schlüpfen und wirst nichts wissen. Das kennst du ja bereits: Du wirst ein anderer sein müssen, und dies muß so perfekt geschehen, daß du dich an nichts mehr erinnerst, was mit deinem eigentlichen Ich zusammenhängt! Nur so ist gewährleistet, daß die Mission nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.«

Ich schaute ihn alarmiert an. Er erwiderte den Blick aus sehr ernsten Augen.

»Du wirst Fitch Mestol sein, auf einem Planeten Millionen von Lichtjahre von der Erde entfernt.

Nur soviel kann ich Dir vorab erklären, denn in weniger als fünf Minuten erfolgt die Übertragung. Wir sind direkt über dem Planeten. Der Kontakt mit Fitch Mestol ist geknüpft. Die Möglichkeiten des Schiffes werden den Bewußtseinsaustauch vornehmen. Also höre mir gut zu, so lange es geht, bevor dein Körper ohne deinen Geist zurücksinkt und du Fitch Mestol sein wirst - bis zur Erledigung der Mission - oder bis zu ihrem Scheitern.« Er schöpfte tief Atem, während mein Herz in einer Heftigkeit von innen gegen den Brustkorb pochte, als wollte es ihm entfliehen.

Dann sprach er weiter. Er tat es betulich, als hätte er nicht soeben noch erklärt, wie sehr die Zeit drängte: »Du hast die interstellare Raumfahrt erlebt beim Planeten der Amazonen. Durch dich haben die Amazonen die interstellare Raumfahrt wieder aufgegeben. Du hast viel aus der Vergangenheit der Menschheit gelernt - genug, um zu ahnen, daß zuviel interstellare Raumfahrt eine Gefahr für die universelle Ordnung bedeuten kann. Daher wurde sie zum fast unverbrüchlichen Monopol der Herren der Welten, der Sternenvögte also. Aber es gibt dennoch Ausnahmen, wie Du in wenigen Minuten wissen wirst. Ausnahmen Millionen von Lichtjahre von der Erde entfernt, in einem Gebiet des Universums, wo die Menschen eine eigene Ordnung entwickelt haben, scheinbar unabhängig vom Rest des Universums. Ja, nur scheinbar unabhängig, weil dieses Gebiet selbstverständlich ebenfalls von mir kontrolliert wird, aber in dem man nichts von mir weiß. Das hat seine Gründe, doch diese werde ich dir erst mitteilen können, falls du deine Mission erfolgreich beenden kannst und hierher wieder zurückkehrst - falls du nicht sowieso während dieser Mission alles selber ergründen kannst... - Alles Gute, John!«

Seine letzten Worte hörte ich bereits wie im Nebel. Ich sank zurück auf die Liege, auf deren Rand ich gesessen hatte - und wußte nichts mehr. Nicht einmal, wer ich wirklich war.

Fitch Mestol? Ja, das kam mir bekannt vor. War ich... das nicht... selber?

Und schon war ich da.

Ich habe die Mission überlebt, sonst könnte ich nicht hier und heute davon berichten. Doch ich berichte nicht davon, als sei ich selber Fitch Mestol gewesen, um die Mission zu bestehen.

Das würde Fitch nicht gerecht werden, der inzwischen längst wieder er selber sein kann - ohne die Erinnerung daran, daß ich vorübergehend seine Rolle eingenommen hatte. Ich berichte deshalb davon, als sei ich eigentlich nur so etwas wie ein heimlicher Beobachter gewesen. Denn ich bin völlig sicher, daß er in keiner Weise anders gehandelt hätte, wäre er in dieser Zeit wirklich Herr seiner Sinne gewesen und hätte er die Herrschaft über seine Sinne nicht völlig an mich abgegeben.

Außerdem, wenn ich nicht in Ichform berichte, kann ich auch erzählen, was ich erst am Ende erfahren habe, was jedoch parallel zu dem ablief, wie es Fitch Mestol und seine Rolle unmittelbar betraf. So kann ich meinen Abschlußbericht beginnen eben mit jenem...


1


...Zeitpunkt: Zur gleichen Zeit, als ich vom Sternenvogt von meiner Mission als Fitch Mestol erfuhr:


Man hätte sie von Menschen nicht unterscheiden können und doch waren sie keine. Obwohl es bis dato keinem einzigen Raumschiff mit menschlicher Besatzung gelungen war, in der Weite der Galaxis M43a (von den Menschen hier nur noch »New Universum« genannt, nachdem vor vielen tausend Jahren der letzte intergalaktische Krieg zwischen den einzelnen Machtbereichen der Menschen jeglichen Kontakt mit der heimatlichen Milchstraße als nicht mehr wünschenswert hatte erscheinen lassen) auf Fremdintelligenzen zu stoßen, wohnten und lebten diese fünf menschenähnlichen Geschöpfe bereits seit vielen Jahren auf dem Planeten SANORAM, der zu den Randgebieten des menschlichen Machtbereiches gehörte.

Niemand ahnte etwas von dem Vorhandensein dieser Nichtmenschen. Nun, sie waren nur fünf und überaus vorsichtig. Ihre so täuschende Ähnlichkeit mit den Menschen verdankten sie unzähligen kosmetischen Operationen.

Aber sie blieben nicht einfach nur in ihrem Versteck und verhielten sich passiv. Nein, sie waren sogar äußerst aktiv. Viele Meter unter der Oberfläche des Planeten hatten sie ihren Stützpunkt. Oh, sie waren gut ausgerüstet und zu allem entschlossen.

Diese Entschlossenheit brauchten sie auch, wollten sie die gigantische Aufgabe lösen, die sie sich selbst gestellt hatten.

»Wir müssen handeln«, sagte einer der Fünf. Es war ein »Mann«. »Wenn wir jetzt nicht Plan eins aktivieren, wird es bald vielleicht schon zu spät dafür sein.«

Die Entgegnung kam von einer »Frau«: »Ich bin dafür, noch abzuwarten.«

Der »Mann« neben ihr schüttelte den Kopf. »Die Entscheidung, die wir fällen müssen, ist schwierig. Wir könnten tatsächlich noch etwas Zeit brauchen, aber andererseits... haben wir keine. Wir können es uns also nicht selbst aussuchen. Die Situation verlangt unser rasches Handeln.«

»Aber unser Mann ist noch nicht so weit«, widersprach die »Frau« heftig.

Ein anderer der Anwesenden machte eine entschiedene Handbewegung. »Wir dürfen nicht warten, bis es zu spät ist.«

Endlich meldete sich der Fünfte im Bunde zu Wort: »Vielleicht sollten wir demokratisch abstimmen? Immerhin hängt eine Menge von der Entscheidung ab.«

Es wurde abgestimmt. Drei zu zwei war das Ergebnis - drei zu zwei für schnelles Handeln.

»Ich werde den Überbringer des Schlüsselauftrags übernehmen«, sagte die Frau entschlossen. Man sah ihr nicht an, dass sie vor Minuten noch entschieden gegen alles gewesen war. Sie beugte sich kompromisslos der Entscheidung der Mehrheit.

»Ich weiß nicht recht, ob Mord der richtige Auftakt für kosmische Vorgänge ist. Es erinnert meines Erachtens zu sehr an die Vergangenheit dieser Rasse.«

Das war das einzige, was derjenige dazu zu sagen hatte, der mit ihr dagegen gestimmt hatte.

Das kosmische Schachspiel trat in die erste entscheidende Phase. Menschen waren die Figuren.


2


Szenenwechsel - ebenfalls zur gleichen Zeit:


Grant Tatschman konnte von Glück sagen, dass er einen der neuen vollklimatisierten Trenchcoats an hatte, denn es war empfindlich kühl an diesem Abend.

Er dachte flüchtig an die Hafengebiete längst vergangener Zeiten, die man nur noch aus den Geschichtsbüchern kannte. Auch da war des Nachts jene düstere Atmosphäre vorherrschend gewesen. Was heute allerdings gänzlich fehlte, war das ferne Signal von Schiffssirenen, das Plätschern der Wellen und das Lärmen auf den Docks. Nur ab und zu vibrierte etwas der Boden, wenn einer der gigantischen Fährraumer abhob oder sich zur Landung nieder senkte.

Grant Tatschman kuschelte sich in den Trenchcoat, vergaß die Kälte und setzte sich endlich in Bewegung. Er musste es hinter sich bringen.

Vor ihm begann das dunkelste Viertel der Stadt. Ja, das war es, was aus der alten Zeit übrig geblieben war: Düstere Spelunken und fragwürdige Etablissements, in denen sich allerlei Gesindel herumtrieb. Hier verkehrte der Abschaum einer Menschheit, die weit in das All vorgedrungen war.

Grant Tatschman verfluchte es zum wiederholten Male, dass es verboten war, das Hafenviertel direkt mit einem Gleiter anzufliegen. Man musste seinen Gleiter entweder am Rande der Gegend abstellen oder die Gefahr eingehen, auf dem Parkplatz direkt am Raumhafengebäude vergeblich nach einer Parkmöglichkeit Ausschau zu halten.

Der aus sich heraus leuchtende Straßenbelag spendete genügend Licht, um dem einsamen Mann den Weg zu zeigen, aber doch nicht genug, um ihn die beiden Männer erkennen zu lassen, die sich weiter vorn in eine dunkle Ecke gedrückt hatten und auf ihn lauerten.

Es zeugte eigentlich von purem Leichtsinn, wenn man sich hierher zu Fuß wagte und nicht die unterirdische Magnetbahn benutzte, um an sein Ziel zu gelangen, aber Tatschman hatte keine andere Wahl gehabt. Seine unbekannten Auftraggeber hatten Wert darauf gelegt, dass er vom Registrierautomaten, der sich in jedem der unterirdischen Bahnhöfe befand, nicht erfasst wurde. Deshalb musste er sich unnötig in Gefahr bringen.

Im nächsten Augenblick gefror ihm schier das Blut in den Adern. Er hatte eine Bewegung erkannt.

Bevor er reagieren konnte, schoss eine Faust aus dem Dunkel neben ihm. Doch der fremde Angreifer hatte Tatschmans Reflexe unterschätzt. Der Schlag streifte nur Grants Oberarm.

Dann wandte sich der Privatdetektiv seinem Gegner zu. Der Fremde stammte vom Planeten Erdohm. Die Strahlung der dortigen Sonne hatte dafür gesorgt, dass die Haut der Menschen im Laufe der Generationen eine seltsame Färbung angenommen hatte. Diese Färbung bewirkte bei Dunkelheit einen kaum merklichen Leuchteffekt.

Der Erdohmer sprang vor. Grant Tatschman trippelte zur Seite und entkam so den zupackenden Fäusten. Dann schlug er seinerseits zu. Seine rechte Handkante traf den Erdohmer knapp unterhalb des Nackens. Der Mann krachte zu Boden. Im nächsten Augenblick war Grant über ihm. Aber Grant Tatschman hatte die Gefahr unterschätzt. Während er sich dem Erdohmer widmete, wandte er dem Versteck des Angreifers den Rücken zu. So merkte er nicht, dass der Erdohmer nicht allein war. Ehe er seinen Fehler eingesehen hatte, hörte er ein Rascheln hinter sich. Seine Abwehrbewegung kam zu spät. Ein furchtbarer Hieb traf ihn.


3


Die dritte Schlüsselszene - ebenfalls sich abspielend zur gleichen Zeit:


Fred Solster behauptete von sich, ein direkter Nachkomme von echten Erdbewohnern zu sein (wobei in dieser Galaxis damit nicht die wirkliche Erde gemeint war, sondern die NEUE ERDE, der erste Kolonialplanet nämlich in dieser Galaxis!). Niemand hatte sich bisher die Mühe gemacht, dies nach zu kontrollieren, und niemand wunderte sich auch darüber, dass Solster eigentlich gar nicht so aussah wie ein echter Terraner (= eigentlich NEU-Terraner!). Aber wer achtete schon auf das Aussehen? Die Menschen, die auf all den verschiedenartigen Planeten aufgewachsen waren, hatten oftmals ein recht abenteuerliches Äußeres. Mit der Zeit gewöhnte man sich daran, denn praktisch war auf jedem Planeten jede Rasse vertreten.

Jahrhundertelang waren die Kolonisten voneinander abgekapselt gewesen, hatten sie sich den Lebensbedingungen auf ihrem Planeten allmählich angepasst und sich verändert. Bis das interstellare Transmittersystem ausgebaut gewesen war.

Es erlaubte interplanetarische Reisen in relativ kurzen Zeitspannen.

Allerdings hatte das System auch Nachteile. Nicht nur, daß vor dem letzten intergalaktischen Krieg bereits klar geworden war, daß es ausschließlich in dieser Galaxis funktionierte, weil sie (aus welchen Gründen auch immer: Es wurde niemals endgültig geklärt) eine vom übrigen Universum ein wenig verschiedene Gesetzesmäßigkeiten aufwies. Außerdem: Man konnte beispielsweise nur Planeten erreichen, die einen Empfänger hatten. Darüber hinaus konnte eine Transmission nur zwischen Geräten erfolgen, die durch keine feste Materie voneinander getrennt waren. Dieses physikalische Gesetz führte zu einem Kuriosum: Während man in Minutenschnelle von einem Sonnensystem zum anderen reisen konnte - über eine Distanz von bis zu tausend Lichtjahren - wurde der Transport von Menschen und Gütern zu den Transmitterstationen im Weltraum von Raumschiffen übernommen, die oftmals tagelang unterwegs waren. Auf den Planeten selbst waren die wichtigsten Transportmittel Gleiter und Magnetbahnen.

Neben den Raumfähren, die mitunter gigantische Ausmaße hatten, gab es auch Raumer, die Forschungszwecken dienten und größere Entfernungen im All überwinden konnten. Sie bildeten das zweite Kuriosum des Systems: Es war nämlich bisher unmöglich geblieben, die Geschwindigkeit des Lichtes in dieser Galaxis zu überbieten. Einzige Ausnahme: NEUE ERDE, die längst nur noch einfach Erde genannt wurde und eigentlich nur noch aus nostalgischen Gründen überhaupt eine Rolle in dem hier etablierten System spielte. Von hier hätte man vielleicht mit überlichtschnellem Raumschiff (rein theoretisch, weil niemand Interesse daran hatte, ein solches Raumschiff überhaupt zu bauen) durchaus die Ursprungsgalaxis der Menschheit erreichen können, aber wer wollte das schon - nach einem solchen Krieg, der sowieso nach Meinung fast aller Menschen im NEUEN UNIVERSUM die Menschheit total ausgerottet hatte - außer hier natürlich.

So hatte die Unmöglichkeit des überlichtschnellen Raumflugs innerhalb ihrer Galaxis ja auch letztlich dazu geführt, daß sie überhaupt so wenig von jenem intergalaktischen Krieg betroffen gewesen waren.

Nur NEUE ERDE war davon betroffen gewesen, wenn auch nur in einem höchst bescheidenen Maße, sonst wäre es nicht möglich gewesen, die alte Kolonie neu aufzubauen.

Doch weiter zum Kuriosum des hiesigen Systems: Wurde also ein neuer Stern erforscht, brauchte das ausgesendete Raumschiff viele Jahre, um die Entfernung bis dahin zu überbrücken. Trat unterwegs ein Defekt auf, konnte man jedoch mittels des an Bord mitgeführten Transmitters dieselbe Strecke innerhalb von Minuten oder sogar Sekunden zurücklegen. Ein seltsames Spiel der Natur.

Fred Solster jedoch hatte im Moment andere Dinge im Kopf: Er bereitete seine erste Rede für die folgende Wahlperiode vor.

Vor Jahren war dieser unscheinbare Mann quasi aus dem Nichts aufgetaucht. Mit ungeheurem Elan hatte er sich in die planetarische Politik gestürzt. Seine Erfolge waren dabei überwältigend. Der krönende Abschluss davon würde ein vorderer Platz im planetarischen Senat sein, der Fred Solster jetzt schon so gut wie sicher war. Allerdings musste er noch etwas nachhelfen, bevor es so weit war, was ihm wiederum keine große Mühe bereiten würde. Manche behaupteten sogar, der Aufwärtsstrebende Fred Solster hätte berechtigte Chancen, demnächst den Stuhl des Ministerpräsidenten zu besetzen. - Auf dem besten Weg dahin war er jedenfalls.

Solster spielte mit dem kleinen Mikrofon des Diktiergerätes, das jedes seiner Worte aufzeichnete und schriftlich wiedergab.

Nein, er musste den letzten Satz ändern. Es durfte nicht zu offensichtlich werden, dass er auf den Platz des mächtigsten Mannes dieses Planeten spekulierte. Er musste etwas Bescheidenheit erkennen lassen, aber auch, dass er im Grunde genommen der ideale Mann für den Sitz des Senatspräsidenten und gleichzeitigen Ministerpräsidenten war.

Er drückte auf den Knopf, der sich an der Seite des Mikrofons befand, und befahl dem Miniaturcomputer, den letzten Satz zu streichen.

Kaum hatte er den Befehl ausgesprochen, entstand ein hohes Summen in seinem Ohr. Er zuckte zusammen. Der Ton hatte seinen Ursprung in dem winzigen Instrument, das direkt neben dem Trommelfeld von Solster einoperiert war. Kein Mensch außer seinen engsten Vertrauten wusste etwas davon.

Ja, niemand auf diesem Planeten außer ihnen ahnte überhaupt, dass die Technik weit genug fortgeschritten war, um ein solches, völlig energielos arbeitendes Instrument überhaupt hervorzubringen.

Die Lippen Fred Solsters formten lautlose Worte. Aber die winzigen Vibrationen in seinem Kehlkopf genügten dem Sender, um einen klaren Satz daraus zu formulieren und auszustrahlen: »Was ist los?«

»Wir haben einen Verdacht!«

Fred Solster griff sich an den Kragen, der ihm plötzlich zu eng geworden war. Auf einmal hatte er schreckliche Angst. Was bedeuteten diese schlichten Worte: »Wir haben einen Verdacht«? Misstraute man ihm gar?

Er sah sich im Geiste schon am Ende seiner steilen Karriere, die er jenen Unbekannten verdankte, die sporadisch mit ihm in Verbindung traten.

Er brauchte Sekunden, um sich wieder soweit in der Gewalt zu haben, dass er die Frage formulieren konnte: »Was meint ihr damit?«

»Du befindest dich in Gefahr - Lebensgefahr«, sagte die leidenschaftslose Stimme in seinem Ohr.

Die Angst blieb. Solster überlegte fieberhaft. Er befand sich in Gefahr?

»Was soll das? Woher habt ihr diese Information?«

Er war heftiger gewesen, als er es beabsichtigt hatte. Zu spät kam ihm das zu Bewusstsein. Er musste in der Wahl seiner Worte in Zukunft vorsichtiger sein.

Aber seine unsichtbaren Gesprächspartner waren an diesem Abend weniger empfindlich als sonst.

»Wir können nichts Genaues sagen. Es ist, wie gesagt, nur ein Verdacht. Wir raten dir dennoch, künftig auf der Hut zu sein. Es ist schwer, auf diesem Planeten einen Mord zu begehen, aber schwer bedeutet nicht unmöglich. Vergiss das nicht.«

Fred Solster wollte noch etwas entgegnen, aber der hohe Laut, der seinen Ursprung scheinbar mitten in seinem Kopf hatte, zeigte an, dass die Verbindung kurzerhand unterbrochen worden war. Er selbst konnte seine Hintermänner nicht anrufen. Er war in dieser Hinsicht stets zur Passivität verurteilt.

»Verdammt!« fluchte er lautstark.

Erst jetzt kam ihm zu Bewusstsein, dass das Diktiergerät noch immer in Betrieb war.

Ärgerlich ließ er auch das letzte Wort löschen. Dann legte er achtlos das Mikrofon beiseite. Seine Gedanken beschäftigten sich im Moment mit etwas anderem. Was hatten die Fremden mit diesem seltsamen Anruf bezwecken wollen? Es war das erste Mal gewesen, dass sie sich mit ihm in Verbindung gesetzt hatten, ohne ihm dabei konkrete Mitteilungen zu machen. Befand er sich wirklich in Gefahr, oder wollten sie seinen persönlichen Ehrgeiz nur etwas dämpfen, damit er sich nicht von ihnen los sagte?

Solster trat an eine der vier Wände und ließ sie transparent werden. Sein Apartment befand sich hoch über der Stadt. Es schien mitten in der Luft zu schweben und war doch nur ein verschwindend kleiner Teil eines gigantischen Wohnturms.

Von hier aus hatte man eine großartige Aussicht. Weit hinten, am Rande der Stadt, dort, wo die nur mit einzelnen Büschen und trockenem Gras bewachsene Steppe begann, dehnte sich der Raumhafen aus.

Fred Solster verzog das Gesicht. SANORAM City war eine wunderbare Stadt. Längst schon war die Sonne untergegangen. SANORAM City zeigte ihre ganze Lichterpracht.

Fred Solster wollte nicht nur die Geschicke dieser Stadt, sondern die des gesamten Planeten leiten. Wenn er diese Pracht so vor sich liegen sah, vergaß er zuweilen fast die immense Arbeit, die hinter ihm und teilweise auch noch vor ihm lag, wollte er eines Tages ans Ziel seiner Träume kommen.

Jetzt vergaß er sogar die Warnung der anderen. Ja, sie drohte, fast ganz und bis auf Weiteres aus seinem Gedächtnis zu geraten.

Er fühlte eine seltsame Euphorie in sich aufsteigen, so, als könne ihm nichts und niemand auf dieser Welt etwas anhaben.

Nur einmal, als sein Blick das im Vergleich zur gesamten Stadt ziemlich kleine Hafenviertel streifte, spürte er eine unerklärliche Unruhe in sich aufsteigen. Als ahne er, dass sich dort ein Unheil zusammen braute - ein Unheil, das ihn zum Ziel hatte.

Aber die Unruhe war schnell wieder vergessen, sobald sein Blick weiter gewandert war.


4


Kehren wir zur Szene eins zurück:


Sie war kreidebleich.

»Was war - das gewesen? Sind wir schon zu spät mit unserem Plan?«

Ihr Nebenmann nickte zögernd.

»Es sieht fast so aus«, sagte er. »Aber wir dürfen nicht den Mut verlieren, müssen am Ball bleiben. Zuviel hängt davon ab. Gut, die anderen haben einen Verdacht... Wer aber sagt uns, dass dieser Verdacht uns überhaupt meint? Nein, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die Gegenseite von unserem Vorhandensein überhaupt etwas ahnt.«

»Wenn ich nur wüsste, wo die ihren Stützpunkt haben.«

»Das würde nicht viel nützen«, meinte ein Dritter. »Wir müssten sie in Ruhe lassen, denn jeder offene Angriff würde Aufmerksamkeit auf uns lenken. Damit wäre unsere lebenswichtige Mission zum Scheitern verurteilt.«

Der Vierte kratzte sich am Kinn - wie er es immer tat, wenn er ein Problem sah. Es war eine typisch menschliche Geste, die er sich da angewöhnt hatte.

»Egal, wen der Verdacht trifft: Wir können nicht mehr zurück. Der Auftrag ist vergeben. Unser Mann muss handeln.«

»Und wenn er es nicht tut?«

Niemand wusste, wer diese Frage gestellt hatte, und niemand hatte Lust, sich die Antwort auch nur vorzustellen.