Tiny Sticker

UNTERWEGS NACH ESSAOUIRA

 

Werkausgabe Tiny Stricker

Band 10

 

 

Außer der Reihe 22

 


Tiny Sticker

UNTERWEGS NACH ESSAOUIRA

 

Werkausgabe Tiny Stricker

Band 10

 

Außer der Reihe 22

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© dieser Ausgabe: September 2017

p.machinery Michael Haitel

Deutsche Erstveröffentlichung

 

Titelbild: Tokamuwi, pixelio.de

Backcover: Reinhard Görner

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda, Xlendi

Lektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda, Xlendi

 

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Ammergauer Str. 11, 82418 Murnau am Staffelsee

www.pmachinery.de

 

ISBN der Printausgaben:

978 3 95765 101 3 (Paperback)

978 3 95765 103 7 (Hardcover)

 


Thom, Manuela, Wolfgang, Pipo, Klaus, Jörg und Reinhard gewidmet

 


Die Freunde

 

 

Mascha und Maarten waren von den Freunden in Essaouira die Einzigen, die eine richtige Wohnung, oder war es ein Haus, für sich hatten. Die Zimmer waren im kolonial-französischen Stil eingerichtet, sie stiegen geradezu vor ihm auf, wenn er sich daran erinnerte, viel massives, dunkles Holz, Schnitzereien, ein Übermaß an Inventar, das der Annehmlichkeit des Bewohners dienen sollte. Dabei hatten die beiden das Haus, um ihm seine Schwere zu nehmen und weil sie Blumenkinder waren, mit Blüten angefüllt. Diese Gebinde, ich weiß nicht, wo sie sie in Essaouira auftrieben, aus Gladiolen und Calla waren ebenso konventionell und glichen in bestimmter Weise dem Mobiliar, aber ihr betäubender, süßlicher Duft überschwemmte die Räume, wirkte wie eine Droge, wie eine Auflösung.

Ihre Empfänge in diesem Blumenreich waren eine Art Sommernachtstraum. Man redete über das »Paradiso« in Amsterdam, als ob es gleich in der Nähe liegen würde … Eigentlich hatten sie selbst etwas von Blumen, und die selbst geschaffene Atmosphäre dieser Räume trug sicher dazu bei. Sie wurden sich auch immer ähnlicher, der Gleichklang ihrer Namen verdeutlichte es besonders (und dass man die Namen meistens zusammen aussprach). Mascha, obwohl sie »Knabenkleidung« trug, T-Shirt und Jeans, war einfach elfenhaft schön, ihre Bewegungen waren wie fließendes Licht, und Maarten, mit fast gleich langen blonden Haaren und gleichem »Look«, versuchte, ihr nachzueifern, sich ihr anzupassen, was völlig verständlich war.

Wenn sie redeten, konnte einer mitten im Satz aufhören, und der andere führte ihn mühelos fort. Dabei merkte man, dass sie die bürgerlichen französischen Räume, über die sie sprachen, ganz ehrfürchtig behandelten und sie dadurch transzendierten, in einen Schrein verwandelten. Das Ineinanderfließen der Stimmen schien ein Teil des Kultes, den sie dem Haus, ihrem neuen Lebenszentrum, entgegenbrachten.

Vielleicht verkörperten Mascha und Maarten das Hippie-Ideal von Essaouira am stärksten. In der großen Gruppe sprachen sie wenig, existierten, waren eher Randfiguren oder begleitende Engel. Ihre Gleichartigkeit zeigte auch, dass sie die Hippie-Ideale besonders intensiv lebten, ganz ausgefüllt waren von ihnen. Ihr holländisches Englisch war außerdem eine Art Mittelton der bunten Gesellschaft, in dem sich die anderen wieder fingen und den Fortgang ihrer Bewegung erkannten.

 

Anderthalb Jahre vorher: Vier junge Leute standen am Rande eines oberbayrischen Dorfs bei einer Scheune und einem Bach, der zum See hinabfloss. Eine kleine Rauchwolke stieg über ihnen auf, und den vieren mochte sie bald als verwehtes Türmchen, bald als Zeltdach erschienen sein. Aber auch ein leichtes Schneetreiben hatte eingesetzt, das einen zusätzlichen wirbelnden Kreis um sie zog.

Willie und H., die aus der Großstadt angereist waren, hatten hier Thom getroffen, den Willie aus einer anderen Schule kannte. Schließlich hatte sich noch ein Mädchen verstohlen zu ihnen gesellt, das Thom Manuela nannte (wobei er den Namen verdrehen konnte, dass er ganz orientalisch, ja fast chinesisch klang). Sie war ein großes, schlankes Mädchen mit langen, hellblonden Haaren, das sich jetzt enger in ihren afghanischen Mantel hüllte, und dieses Einhüllen schien auch den anderen zu gelten, sie zu umfließen. Ein leichter Duft ging von ihr aus, und die Art, wie sie den kunstvoll gefertigten »Reefer«, den Thom hervorgezaubert hatte, zum Mund führte und dabei kurz und sehnsüchtig die Augen schloss, erregte sie alle.

Thom hatte angefangen, einige witzige Geschichten vom Landschulheim zu erzählen, das weiter oben lag, und seine Bemerkungen lösten bei Manuela ein kleines, silberhelles Lachen und manchmal ein Prusten aus. Diese Laute schienen aber die Umgebung erst richtig zu erwecken, denn plötzlich vernahm man dazu das Klirren und Rauschen des Bachs, das Klatschen der Wellen draußen und den Wind, der die Schneeflocken herumtrieb. Es war wie ein Musikstück, das sich immer mehr ineinanderfügte und eine eigene Harmonie erzeugte, und auch die Szenerie passte sich dem an. Die alte Scheune mit den tropfenden, glitzernden Eiszapfen, der Garten mit dem spitzen Lattenzaun und den bizarr erstarrten Ranken, das Brücklein über dem Bach, bald war es ein fernöstliches, sie tragendes Bild, und als sie später zum Landschulheim hinaufstiegen, kam es ihnen so vor, als ob sie ein Wunderland verließen (für Willie und H. war zweifellos das unbekannte Mädchen der Mittelpunkt dieses Wunderlands), in das sie immer wieder zurückkehren wollten.

 

Unweigerlich entstand eine Verunsicherung, als sie wieder in den hellen Lichtkreis der Schule eintraten. Manuela, noch fester in ihren weichen Mantel gehüllt, verschwand aufseufzend im Mädchentrakt. Für die anderen aber wurde die Rückkehr gemildert, gewissermaßen abgefedert durch Thoms Zimmer, das etwas abseits in einem der oberen Stockwerke lag.

Es gab Poster und selbst gemalte Bilder an den Wänden, viele Platten, indische Kissen und vor allem eine Musikanlage, die Thom sofort einschaltete. Thom war älter als die anderen Schüler, hatte dieses eigene Zimmer, und man gewann den Eindruck, dass er an diesem Ort eher das Leben eines hierher verpflanzten Eremiten oder höheren Gefangenen führte.

Er erinnerte sich, dass sich überhaupt keine Spuren der Schule in diesem Raum fanden (und doch meinte man manchmal, dass Thom innerhalb der Anstalt eine eigene, andere Schule betrieb). Tatsächlich war, kaum, dass sie das Zimmer betreten hatten, ein Mädchen hereingehuscht.

Sie schmiegte sich, offenbar vertraut mit allem, in die indischen Kissen, zu denen ihre halb offenen Schuhe mit den Stickereien sehr gut passten. Ihr Name war Birgitta, wobei Thom wieder mit dem Namen spielte und ihm einen anderen Beiklang gab. Eigentlich war sie das genaue Gegenbild Manuelas (und darum ebenso schön), sehr zierlich, mit langen schwarzen Haaren, die aufgrund ihrer Samtjacke blauseiden schimmerten. Dabei hatte sie einen sorgenvollen Gesichtsausdruck, ein Problem schien sie zu beschäftigen, und bald setzte sie sich auf die Lagerstätte zu Thom, der hier anscheinend eine beratende Tätigkeit ausübte.

Während nun H. etwas nutzlos herumsaß und immerhin angeregt Thoms Bilder betrachtete, versuchte sich Willie als DJ am Plattenspieler, was ihn auch näher in den Umkreis der beiden brachte. Er studierte kennerhaft die Cover von Thoms LPs, entschied sich dann ruckartig für eine, brach aber gleich wieder ab und legte eine neue auf, als ob er seinen übermächtigen Gefühlen damit doch nicht Herr werden könnte. Zwischen Pink Floyd und King Crimson ging es hin und her, und schließlich, vielleicht in Anbetracht der Situation, siegte der »Crimson King« …

Nicht viel später traten Willie und H. in Willies altem R4 den Rückweg nach München an, und obwohl sie Thom stark beeindruckt hatte, drehte sich das Gespräch jetzt nur noch um ihre beiden anderen neuen Bekanntschaften, die ihnen unglaublich schön vorkamen.

 

Yves de G… behauptete in Essaouira eine ähnliche Stellung wie Thom in seiner Umgebung, dabei war er ganz anders. Er »residierte« in einem alten arabischen Lagerhaus, das auch ein Zentrum der Hippies war, und tatsächlich hatten die Räumlichkeiten etwas von einem fürstlichen Hof, wenn auch in einem bescheidenen oder fantastischen Sinne. Das Haus mit seinem hallenden Innen- oder Lichthof, den abgenutzten Stiegen, die in Kehren hinaufführten, war fast ein klassisches Bauwerk, dazu kam der »Empfangsraum« oben mit den Kleidergehängen, die theatralische Kulissen waren, den ausgebreiteten, bunten marokkanischen Decken, dem wie ein Weihegegenstand ausgestellten Transistorgerät … Hier pflegte er langatmige Gespräche mit ausgewählten Hippies, die schon geraume Zeit hier waren, drehte gedankenverloren zu versponnener Musik einen Reefer …

Er war aus Quebec, wechselte problemlos zwischen »freaky English« und Französisch, schlüpfte von einer Kultur in die andere, was ihn sicher zu einer Führungsrolle in der Hippie-Gesellschaft prädestinierte, aber auch die lange Existenz vor Ort, die, wie es schien, gefestigte Lebensweise in Essaouira.

Dies und sein prächtiger Name (vielleicht war seine Familie wirklich während der Revolution aus Frankreich geflüchtet) hinderten ihn aber nicht daran, später am Tag mit khol-verschmierten Lidern durch die Gassen zu laufen und arabischen Burschen nachzurufen … Im Gegenteil, wie ein Abkömmling eines alten Geschlechts musste er seine Großartigkeit nicht erst unter Beweis stellen, ja es war seine Besonderheit, irgendeine Situation, wenn sie zu sentimental oder feierlich wurde, durch plötzliches schallendes, zynisches Gelächter umkippen zu lassen und sie der absoluten Lächerlichkeit preiszugeben. Vielleicht war es ein Ausdruck der Hippie-Situation. Dies machte ihn für die anderen unberechenbar …

Auch der mühelose Wechsel zwischen den Kulturen, den die anderen nicht mitvollziehen konnten, gehörte dazu. Es war das Zwitterhafte, Wechselbalghafte, das er durch die Schminke und die vielen Kleider (er hätte, wenn man sich überhaupt einen Beruf bei ihm vorstellen konnte, nur ein Modezar sein können) noch betonte, was beunruhigte.

Ebenso leicht übrigens tauchte er in die arabische Kultur ein. Vor allem nachts, wenn er, die Djellabah oder einen Kapuzenmantel übergezogen, durch die Gassen streifte, verwandelte er sich ganz in eine einheimische Figur, wurde eine schemenhafte Gestalt der Kasbah. Vielleicht hatte er sogar als Einziger wirklich einen echten Zugang zu dieser anderen Welt, die jenseits ihrer Vorstellungen lag.

Auch arabische Kurtisanen benutzten das unergründliche Haus, und Yves, der selbst in einer Zwischenwelt lebte, kannte sie und nahm H. einmal zu einem »Gastmahl« bei ihnen mit. Sie lagen, unverschleiert, aber in einer Art Reisekleidung, in ein langes, nachdenkliches Gespräch mit zwei Herren vertieft, offenbar in völliger Gleichberechtigung, beim Mahl. Die beiden nahmen daran teil, Yves mischte sich leichthin in das Gespräch, das zwischen Arabisch und Französisch hin- und herflog, die Grenzen waren wie in alten, fast mittelalterlichen Zeiten aufgelöst, dann zogen sich Yves, der jetzt wirklich taktvoll und fürstlich war, und H. auf gemessene Art wieder zurück.

 

Willie und H., die schon in der Schule miteinander befreundet waren, hatten sich nach langer Zeit wieder im »Crash« getroffen. H. war gerade aus Indien zurück, und Willie war an einer Münchner Privatschule gelandet, wo er nach dem Plan der Eltern das Abitur machen sollte.

H. hatte in Indien Tempelmusik gehört und die Klänge der Handorgel, oft vermischt mit dem verwirrenden Duft der Blütenkränze, auch die Liebeslieder mit den Nachtigallstimmen, aber außer einmal in Delhi nie mehr westliche Rockmusik. Erst als er im Bus über die afghanische Hochebene fuhr, hatte der Engländer neben ihm mit seinem kleinen Radio ein paar Frequenzen mit Rock aufgefangen, pumpenden, ächzenden Rock, der wie ein Kräfte spendender Geist über den weglosen Höhen aufstieg und wieder verschwand. »It’s frustrating«, hatte der Engländer gestöhnt und den Empfänger ausgestreckt wie eine Wünschelrute. So bewirkte Indien eigenartigerweise, dass sich H. wieder »dem Pop« zuwandte.

Er hatte erneut angefangen zu studieren und mit seinem Schulfreund Josef eine schmale Dachwohnung in Neuhausen bezogen. Sie lag an einer schnurgeraden, in Richtung Westen verlaufenden Straße, und weil das Haus die Nummer 77 trug und die rote Sonne effektvoll am Ende der Straße untergehen konnte, nannten sie es »77 Sunset Strip« nach der gleichnamigen US-Serie.

H. hatte sein Zimmer mit indischen und persischen Mitbringseln, Zeitungsausschnitten und anderem wie einen exotischen Raum, eine Art Expeditionszelt oder -hütte ausgestattet, und Willie besuchte ihn dort häufig, manchmal in Begleitung einer schönen Mitschülerin namens Sybille Brunner. Die beiden ließen sich dann auf H.s altem Sofa nieder, über dem ein Farbfoto von Papuas mit Nasenringen und die Aufschrift »Sit down, Papuas« angebracht war.

Es stellte sich heraus, dass Reinhard, ein weiterer Klassenkamerad von Willie, mit seinem Bruder Wolfgang um die Ecke wohnte, und so entstand bald ein reger Besuchsverkehr, ein frühes Netzwerk. Außer Syb Brunner brachte Willie nach und nach andere Kontakte mit, seinen alten Freund Hans Mayer, der wortlos, in einen langen Mantel gehüllt, alles mitmachte, und von der Schwesterschule Jack Rimmele und Rudolf Knackig, der jetzt bei der Bundeswehr war.

Letzterer besuchte H. bald gewohnheitsmäßig an seinen dienstfreien Tagen, um gemeinsam amerikanische Serien zu »schauen«. Seit er »Kitchen Girls« von Andy Warhol gesehen hatte, liebte Rudolf K. auch bestimmte Hausarbeiten bei H., zum Beispiel Staubsaugen, wozu er Musik anmachte oder eigene meditative Brumm- und Summtöne improvisierte. Er ging auch gern mit zu Tengelmann an der Ecke, wo er elegant den Einkaufswagen steuerte, und seine höchste Belohnung war, wenn ihn die dicke Kassiererin, die er kindlich »Frau Tengelmann« nannte, zu einer Plauderei auserkor, worauf er dann tagelang ihre Worte wie besonders geistreiche Bonmots oder Sinnsprüche auf den Lippen führte.

Statt in die englischen Übungen ging H. mit seinem Kommilitonen L. immer öfter ins »Tchibo«, um, wie L. sagte, »die Klassengesellschaft zu durchbrechen«, oder gleich in die Flipperhalle, wo sie exakt eine Stunde nicht englische Diktate, sondern ihre Geschicklichkeit trainierten, was in dieser Lebensphase vielleicht wichtiger war. Überhaupt kam ihnen in dieser Zeit das Leben manchmal wie ein großer, bunter Flipper vor, den man nur im richtigen Moment und vor allem heftig und mit viel Gefühl drücken musste.

 

Es stimmte nicht ganz, denn tatsächlich studierte er einige Dinge eifrig und mit großer Ernsthaftigkeit. Auch Indien beschäftigte ihn weiter, ja lag in vielem seiner jetzigen Lebensweise zugrunde. Im Golf von Bengalen, wo er sich lange aufgehalten hatte (eigentlich war er aus Versehen dort gestrandet), war es vor allem die verschwenderische Fülle der tropischen Natur gewesen, die auf ihn gewirkt hatte. Der Mensch wurde kleiner in dieser Tropenlandschaft, verschwand darin, ging aber auch auf freudige Weise darin auf … Das andere Erlebnis war das Indien der Tempel gewesen. Benares besonders, das er am Ende des Monsuns erreicht hatte. Im Regen erschienen die Gassen älter und gleichzeitig vertrauter, man meinte, Jahrhunderte zurückzugehen, sich wieder einzufühlen in eine frühere Welt. Dort hatte er auch angefangen, indische Kleidung zu tragen, war dadurch, wie er meinte, viel leichter und beweglicher geworden, hatte mit einem Mal viele unnötige Konventionen über Bord geworfen.

Die englischen Übungen an der Universität gefielen ihm nicht, da sie ihn zu sehr an die Schule erinnerten. Einem Kurs über englisch-amerikanische Gedichte an der Amerikanischen Abteilung dagegen widmete er sich mit neuer Aufmerksamkeit. Die Gedichte schienen auf einen Glücksmoment, ein »Paradies jetzt« zuzustreben, wie es die Hippies forderten.

Der jugendlich wirkende Dozent unterstrich die Einzigartigkeit dieser Werke noch, indem er zum Beispiel erzählte, dass er einzelne Verse von John Donne oder Marvell erst in der U-Bahn von New York richtig erfasst hätte, und die Gruppe, die sich um ihn versammelte, war bald ein verschworener Kreis. Das Vorlesen und damit »Aussprechen« dieser Gedichte, sowie das anschließende freie Assoziieren darüber gehörte zu den Ritualen dieser Stunden, und als ein Mädchen besonders ausdrucksvoll einen John Donne gelesen hatte, trafen sich hinterher ihre und H.s Blicke. Sie hatte eine »indische Haltung«, das heißt, sie saß mit untergeschlagenem Bein auf ihrem Stuhl, und das Gedicht klang dadurch fast wie ein orientalisches Märchen. Jedenfalls machte ihnen dieser Blick klar, dass sie im Begriff waren, sich heftig ineinander zu verlieben.

Nach einiger Zeit lud der Dozent zu einer Party bei sich zu Hause ein, wie er das von den amerikanischen Universitäten her kannte. H. und das Mädchen saßen nebeneinander und konnten ihre Zuneigung kaum mehr verbergen. Da aber Geheimhaltung, die vermutlich eine Form oder Abwandlung der Zärtlichkeit ist, zu den Spielregeln der Liebe gehört, so war diese Party eine Übung darin. Um es schwieriger zu machen, trug das Mädchen ein dunkelblaues Kleid, das ihre hellblauen Augen und ihre blasse Haut wie auf einem fein gemalten englischen Bild noch betonte.

Der Dozent ließ sich jetzt näher über einige Arbeiten der jungen Leute aus, er bewunderte ihre Hingabe … Als es draußen zu schneien anfing, gab er Whisky aus. Schließlich liefen alle erhitzt hinaus und begannen eine Schneeballschlacht, was den beiden die Möglichkeit gab, Seite an Seite zu stehen und fest zueinanderzuhalten. Aber erst auf dem Rückweg, im Fond des Autos, wo sie mitfahren konnten, drückten sie sich eng aneinander.