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Kraft aus
der Trauer

Ein heilsamer Begleiter

Cheryl Eckl

Aus dem Amerikanischen
von Anja Schmidtke

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HINWEIS Die Informationen und Erkenntnisse in diesem Buch geben ausschließlich die Meinung der Autorin wieder und dürfen nicht als Therapie, Beratung, Anleitung, Diagnose und/oder Behandlung betrachtet werden. Diese Informationen sind kein Ersatz für ärztliche, psychologische oder andere professionelle Beratung oder Betreuung. Alle Angelegenheiten, die Ihre persönliche Gesundheit betreffen, sollten von einem Arzt oder einer in einem Heilberuf tätigen und qualifizierten Person betreut werden. Weder die Autorin noch der Verleger übernehmen die Verantwortung oder Haftung für Käufer oder Leser.

Alle Rechte vorbehalten. Außer zum Zwecke kurzer Zitate für Buchrezensionen darf kein Teil dieses Buches ohne schriftliche Genehmigung durch den Verlag nachproduziert, als Daten gespeichert oder in irgendeiner Form oder durch irgendein anderes Medium verwendet bzw. in einer anderen Form der Bindung oder mit einem anderen Titelblatt als dem der Erstveröffentlichung in Umlauf gebracht werden. Auch Wiederverkäufern darf es nicht zu anderen Bedingungen als diesen weitergegeben werden. Auszüge aus »Sweet Darkness« und »What to Remember When Waking« von David Whyte in River Flow: New & Selected Poems 1984-2007, © Many Rivers Press, Langley, Washington, gedruckt mit Genehmigung von Many Rivers Press, www.davidwhyte.com. Frei übersetzt von Anja Schmidtke.

Originally published in the USA under the title »A Beautiful Grief. Reflections On Letting Go«, Copyright © 2012 by Cheryl Eckl

All Rights Reserved. Published by arrangement with the Owner, Flying Crane Press
Copyright © 2015 der deutschen Ausgabe: Verlag »Die Silberschnur« GmbH

ISBN: 978-3-89845-465-0
eISBN: 978-3-89845-827-6

1. Auflage 2018

Foto der Autorin: Larry Stanley

Übersetzung: Anja Schmidtke

Umschlaggestaltung: XPresentation, Güllesheim; unter Verwendung eines Motivs von © LilKar, www.shutterstock.com

Verlag »Die Silberschnur« GmbH · Steinstr. 1 · 56593 Güllesheim

www.silberschnur.de · E-Mail: info@silberschnur.de

Inhalt

Hinweis für den Leser:
Die Musik des Geschehenden

Auftakt: Integration ist alles

1. Kapitel: Übergangsritus

2. Kapitel: Ein ständiger Tanz

3. Kapitel: Freilassen als Lebensweise

4. Kapitel: Fragen und Antworten über das Loslassen

5. Kapitel: Wie wichtig Zufallsbekanntschaften sind

6. Kapitel: Seelenraum finden

7. Kapitel: Auf den eigenen Rhythmus achten

8. Kapitel: Fließen wie Wasser

9. Kapitel: Sich eine Auszeit nehmen, um neue Verbindungen zu schaffen

10. Kapitel: Die Heilkraft der Trauer

11. Kapitel: Warum unsere Sterblichkeit uns erstaunt

12. Kapitel: Wie unsere Sterblichkeit uns inspirieren kann

13. Kapitel: Zur Feier des Körpers

14. Kapitel: Der Körper im Trauma

15. Kapitel: Mit einem plötzlichen Verlust umgehen

16. Kapitel: Warum der Glaube allein nicht reicht

17. Kapitel: Die Heilkraft des Geschichtenerzählens

18. Kapitel: Geschichten der Liebe und der Seele

19. Kapitel: Die Trauergemeinschaft anerkennen

20. Kapitel: Verluste und Zeitreisen

21. Kapitel: Mutter Natur erinnert mich ans Leben

22. Kapitel: Das Geschenk der Trauer

23. Kapitel: Der Trost, der schon da ist

24. Kapitel: Die Kunst des Loslassens

Coda: Singen, während es noch dunkel ist

Danksagung

Die Autorin

An alle Trauernden,
denn sie werden Trost finden
.

Auch wenn mir nichts kann wiederbringen jene Zeit,

wo auf den Gräsern und den Blumen lag der Glanz der Herrlichkeit,

so wollen wir vergessen jetzt die Kümmernis

und finden eher Kraft in dem, was bleibt und ist:

Im Mitgefühl, dem Grundvertrauen,

erfahren mal, auf die Erfahrung ist zu bauen –

in tröstenden Gedanken, die uns quellen,

sobald wir Leid und Not uns müssen stellen –

im Glauben, dessen Blick die Wand des Todes kann durchdringen –

und in den Jahren, die uns Weisheit bringen.

William Wordsworth (1807). Teil aus: Ode – Hinweise auf die Unsterblichkeit aus Erinnerungen an die frühe Kindheit

Hinweis für den Leser

Die Musik des Geschehenden

Im Herbst 2008 starb mein Ehemann Stephen an Darmkrebs. Im Sommer 2009 unternahm ich eine Pilgerreise nach Irland und suchte an den »lichten Orten« der Grünen Insel, wo der Schleier zwischen den Welten sich zu lüften scheint, nach der verlorenen Verbindung meiner Seele zu meinem geliebten Mann.

Es war eine schwierige, aber letztendlich lohnende Reise – besonders deshalb, weil ich in dem malerischen Dorf Kildare das Glück hatte, Schwester Mary Minehan aus dem Brigittenorden zu begegnen.

Sie begrüßt Pilger jeden (oder keinen) Glaubens aus der ganzen Welt und vermittelt ihnen tiefe Weisheit, die lehrt und heilt – und mein Leben für immer veränderte.

Schwester Mary war eine langjährige Freundin des im Januar 2008 verstorbenen keltischen Dichters und Philosophen John O’Donohue gewesen. Als meine Mitreisenden und ich uns in dem spärlich eingerichteten Wohnraum versammelten, der als Begrüßungszentrum dient, schwelgte sie in Erinnerungen an die Freundschaft mit diesem großartigen Menschen, von dem sie sagte, er sei in einzigartiger Weise auf »die Musik des Geschehenden« eingestimmt gewesen.

Wie bezaubernd, so vom Leben im »Jetzt« zu sprechen, dachte ich damals. Und von jenem Tag an beschloss ich, mein inneres Ohr auf diese kosmische Symphonie einzustimmen, die vielleicht zum Soundtrack meines Lebens werden würde, wenn ich nur gut genug zuhörte.

Ein dramatischer Verlust komponiert eine komplexe Melodie – ein Thema mit Variationen über Freud und Leid, Anwesenheit und Abwesenheit, Tränen und Transformation. Die Stücke in diesem Büchlein sind kleine Passagen aus dieser Musik, aufgenommen in Worten, während ich mir meinen Weg durch etwas bahnte, was zu einem Jahr des Loslassens wurde, in dem ich über die Geheimnisse des Trauerns nachdachte – eine gewundene Melodie, die mit einer trällernden Note künftiger Möglichkeiten endet.

Ich finde diesen Schluss überaus ermutigend. Und ich hoffe, dass auch Sie Trost und Frieden auf diesen Seiten finden werden. Meine Gedankengänge entfalten sich vom 1. bis zum 24. Kapitel in der Reihenfolge, wie ich sie aufschrieb; sie beginnen im zweiten vollen Jahr nach Stephens Tod. Sie können aber in jeder beliebigen Reihenfolge gelesen werden.

Mögen sie Sie dazu inspirieren, Ihrer eigenen inneren Heilungsmusik des Geschehenden zu lauschen.

Auftakt

Integration ist alles

Mehr als einmal seit dem Tod meines Mannes habe ich mich sagen hören: Ich weiß, ich sollte das alles loslassen, aber ich kann es einfach noch nicht.

Ich bin fest davon überzeugt, dass es bei der Trauer keine »Solltes« gibt – besonders im Hinblick darauf, wann und wie ich Gegenstände, Gefühle und Vorstellungen loslasse. Deshalb beschloss ich schon früh, mir keine Vorhaltungen zu machen, wenn ich noch nicht bereit sein würde, etwas loszulassen. Ich bin froh, dass ich meinen Weg so antrat. Das hat mir das Leben auf jeden Fall erleichtert.

Es war wirklich seltsam. Einiges ließ ich sofort los. Ich ersetzte die Schlafzimmermöbel, die ich schon immer hatte loswerden wollen, seit meine Eltern sie uns 1994 geschenkt hatten.

Ich gestaltete die obere Etage unseres Stadthauses um, weil der Teppich und die Bäder schon seit Jahren abgenutzt waren. Ich verschenkte die meisten von Stephens Kleidungsstücken – mit Ausnahme derer, die ich noch monatelang nach seinem Tod trug, und einiger Lieblingsstücke, die ich mir ab und zu immer noch gerne ansehe.

Um den damals ziemlich chaotischen und ziellosen Prozess zu verallgemeinern: Ich klammerte mich an alles, was mir half, das Gefühl von Stephens körperlicher Form nahe bei mir zu behalten, während ich mich gleichzeitig von Dingen trennte, die mich daran hinderten, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Ich musste im Haus Dinge verändern, damit es sich mehr wie mein Zuhause anfühlte, nicht wie der verlassene Ort, wo Stephen einst gelebt hatte. Ich musste mich von den meisten seiner Kleidungsstücke trennen, um mich selbst davon zu überzeugen, dass er nicht mehr zurückkommen würde, und auch, um etwas so Simples wie mehr Platz im Schrank für mich zu schaffen.

Es war sehr schwer, nicht sterben zu wollen, als Stephen starb. Jetzt sehe ich, dass ich mir in ganz kleinen Schritten immer wieder selbst bestätigte, weiterleben zu wollen. Und ich erschloss mir dieses neue Leben, indem ich die vielen Lektionen integrierte, die ich in meinem Leben mit ihm gelernt hatte und noch immer lerne.

Da ich glaube, dass es im Leben um Lernen und Weiterentwicklung geht, habe ich schon immer einen Sinn in meinen Erfahrungen gesucht. Stephen und ich sprachen viel darüber, vor allem in seinen letzten Monaten. Wenn ich auf die letzten drei Jahre zurückblicke, kann ich aus tiefster Überzeugung sagen, dass mein Prozess des Loslassens darauf gründete, dass ich es schaffte, Vergangenheit und Gegenwart zu integrieren und mich auf eine noch nicht näher bestimmte Zukunft zu freuen.

Ich brauchte fast ein Jahr, um die Vorstellung zu akzeptieren, dass Stephens Wesen oder Geist vielleicht immer noch in meinem Leben wirkten. Bis ich mit ihm auf meiner Pilgerreise in Irland wieder in Verbindung trat, war meine Beziehung mit der anderen Seite ein einziges Hin und Her gewesen – manchmal fühlte ich ihn bei mir, dann wieder nur die überwältigende Leere seiner Abwesenheit.

Sobald ich fühlte, dass wir uns in einer neuen Beziehung eingerichtet hatten, er auf der einen Seite des Schleiers zwischen den Welten, ich auf der anderen, konnte ich ernsthaft anfangen, mehr die praktischen und spirituellen Lektionen zu integrieren, die er zu Lebzeiten versucht hatte, mir zu vermitteln.

Auf dem spirituellen Weg war Stephen mir voraus gewesen, und es gab Konzepte, die ich einfach nicht begriff, bis ich die Tiefen meiner Trauer ergründete und sie durch das Aufschreiben unserer Geschichte durcharbeitete, damit auch andere Menschen unsere Erfahrung verstehen konnten.

Als ich anderen unsere Geschichte erzählte, begann ich sie mir selbst zu erklären, so dass ich jetzt, drei Jahre nach dem Verlust meines Lieblings, das Gefühl habe, zugleich mehr von mir selbst und von ihm geworden zu sein. Und während diese Integration stattfand, stellte ich fest, dass viele geringere oder materielle Dinge einfach wegfielen, weil ich nicht mehr die greifbare Erscheinungsform brauche, da das eigentliche Wesen so sehr ein Teil von mir geworden ist.

So war ich überrascht, als ich das starke Gefühl bekam, es sei an der Zeit, meinen Ehering abzunehmen – was ich mir kaum je hätte vorstellen können.

Ich fühlte, dass unser Bund fortbestand, aber nun auf einer anderen Ebene. Wenn ich andere Menschen ermutigen wollte, sich weiterzuentwickeln, musste ich es genauso tun. Ich musste akzeptieren, nicht mehr verheiratet zu sein. Mein Mann ist tot.

Bisher habe ich über das Loslassen gelernt: Wenn ich mich persönlich weiterentwickeln und wieder heil werden will, kann ich meiner inneren Weisheit vertrauen, wenn sie mich auffordert, etwas freizulassen – ein Gefühl, einen Gegenstand, eine Vorstellung. Wenn ich an etwas festhalte, weil ich es wertschätze, und nicht, weil ich mich daran klammere, fühle ich mich auch nicht unwohl damit, es zu behalten.

Aber wenn ich mich aus Angst an etwas festklammere, muss ich mir ansehen, was ich zu verlieren fürchte, und versuchen, das Wesen dieser Sache in mir selbst zu finden. Wenn ich es dann als Teil meiner selbst erkannt habe, brauche ich die äußere Verkörperung nicht mehr. Sie fällt einfach weg.