Charlie Dombrow ist hauptberuflicher Location-Scout und Fotoproducer in der Werbefotografie. Seit 1996 fotografiert er Backplates für Bildmontagen und erstellt realistische Composings mit Menschen und Fahrzeugen. Zu seinen liebsten Fotothemen zählen alte Bäume, Landschaften, Aktaufnahmen, das Mittelalter und verlassene Orte.
Fotografische Abenteuer
in verborgenen Welten.
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© 2016 Franzis Verlag GmbH, 85540 Haar bei München
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Autorin: Charlie Dombrow
Herausgeber: Ulrich Dorn
Programmleitung, Idee & Konzeption: Jörg Schulz
Satz & Layout: Nelli Ferderer, nelli@ferderer.de
Covergestaltung: Manuel Blex
eISBN 978-3-645-22409-3
Fotografen lieben morbide, mystische Orte. Orte mit Geschichte. Orte mit Geheimnissen. Verwunschene, verborgene, verfallene, manchmal schon vergessene Orte. Orte, die mehr Fragen aufwerfen als Antworten feilbieten. Orte, an denen man nicht nur großartige Bilder fotografieren kann, sondern dabei stets auch Sinnbilder der Vergänglichkeit einfängt. Orte, die den Fotografen vor die Herausforderung stellen, nicht nur Oberfläche, sondern atmosphärische Tiefe abzubilden, den morbiden Touch der Location in berührende Motive einfließen zu lassen. Magische Orte eben.
Dieses Buch ist eine fotografische Exkursion in spannende Parallelwelten, zu finden überall und nirgendwo, prominent oder ignoriert, ein Ausflug zu Orten zwischen berühmt und geheim, zwischen Touristenmagnet und abstoßendem Schandfleck. An diesen Locations kommt es auf den Blickwinkel an, technisch, mental und emotional. Und auf Ihr Know-how, damit Ihnen nicht auch noch das Ergebnis Ihres Fotoshootings die Haare zu Berge stehen lässt. Wohlige Schauer sind natürlich erwünscht, bevorzugt ausgelöst durch eine gekonnte Bildbearbeitung. Tipps und Tricks dazu finden Sie ebenfalls in diesem Buch.
Auch gestandene Urbexer finden in diesem Buch hoffentlich noch einige Anregungen. Manche szenebekannte Location werden sie allerdings vermissen. Das hat simple Gründe: Als Autor dieses Buchs trage ich die Verantwortung dafür, dass ich durch meine Fotos nicht die gesetzlichen Rechte Dritter verletze. Erteilt der Eigentümer einer Location keine Genehmigung, dort zu fotografieren, kann ich leider keine Bilder dieses Orts zeigen. Einige öffentliche Einrichtungen, die ich gern als lohnende Fotomotive genannt und gezeigt hätte, musste ich ebenfalls aus diesem Werk streichen, weil die zuständigen Stellen Gebühren dafür kassieren wollten, dass ich diese Locations hier vorstelle.
Zum Glück bietet Deutschland trotz Ordnungswahn und Vorschriftendschungel ein fantastisches Kaleidoskop maroder Bauten und geheimnisvoller Orte. Und bestimmt wartet noch so manches vergessene Motiv dort draußen darauf, von mir oder von Ihnen wiederentdeckt zu werden.
Ihr Charlie Dombrow
Vorwort
1. VERGESSENE WELTEN
Spielplätze für Fotografen
Hauch der Vergangenheit
Spiegel der Vergänglichkeit
Irrationale Architekturfotografie
Digitales Hexenwerk
2. BEGEGNUNGEN IM NO-GO-LAND
Die Sucher
Urbexer
Der Reiz des Vergänglichen
Webseiten und Blogs
Schatzsucher
Merkwürdige Behälter
Krieger und Golfer
Color-Krieger
Natural Born Golfers
Schwarze Szene
Perfekte Selbstinszenierung
Date zum Spontanshooting
Kraftorte
Klassifizierte Spukorte
Die Geistervilla
Die Bauzaun-Pestilenz
Betreten auf eigene Gefahr
Debile Demolierer
Natürliche Feinde der Urbexer
3. LEX URBEX
Verhaltensregeln
Gratwanderungen
Riskante Touren
Panoramafreiheit?
No Risk no fun?
Jenseits der Linie
Gruppenzwang
Big Brother is watching you
Fallgruben
4. GUT GERÜSTET INS ABENTEUER!
Richtige Ausrüstung
Was ist nötig, was ist wichtig?
Weitwinkel- und Teleobjektiv
Standfestes und leichtes Stativ
Dresscode Für Urbexer
Hilfreiche Hardware
Nützliche App-arate
Panascout
Sun Seeker
Regenradar
Parkposition
Planung und Anregung
JPEG- und RAW-Kost
Aufhellblitzen im Schattenreich
Langzeitbelichtung
Belichten mit Neutraldichtefilter
Dynamische HDR-Bilder
Lichtmalerei
Die amerikanische Nacht
Aus Sicht der Frösche
Blicke durch Fenster
Mystische Details aufspüren
Perfektes Timing
5. URBEX BOOTCAMP
Location-Recherche
In der Nachbarschaft
Fundsachen
6. ORTE DER ERINNERUNG
Neue Sichtweisen
Bei jedem Wetter, bei jedem Licht
Früh raus aus den Federn
Antizyklisch reisen
Ungewöhnliche Brennweiten
Faustformel
Fotografieren nach Zahlen?
Ruinen unter Denkmalschutz
Gier der öffentlichen Hand
Zäune, Ketten und Mauern
Die Macht in Scherben
Gottes verlorene Häuser
Klerikale Prachtbauten und Kapellen
Historische Monumente
Kathedralen der Produktion
Museen der Technik
Am Ende aller Wege
Historische Begräbnisstätten
7. SAGENWELTEN
Kultstätten
Magische Orte finden
Im Reich der Stillen Riesen
Der Glaube geht, die Natur bleibt
Vorzugsweise mit Vollformatkamera
Stativ und Fernauslöser einpacken
Baumkalender
Geisterhäuser
8. VERGESSENE ORTE
Bröselnde Industrieruinen
Neusprech
Wege ins Nirgendwo
Marode Bahngelände
Fotogene Fahrzeugwracks
Stätten des Heils
Kalte Betten
Tote Tempel
Palazzo perdu
Verfallende Villen
Horte des Krieges
Landflucht
Betonleichen
Unterirdisch
9. URBEXEXPEDITIONEN
Das Hotel im Wald
Die Waldstadt und die Heilanstalten
Sanatorium
10. LEBEN IM LOST PLACE
Das Atelier
Kirche und Küche
Exhibition
11. DAS KLEINE EINMALEINS
Interpretationen
Rohe Daten
Rohdaten, rein und unverändert
Nachhaltige Entwicklungshelfer
Verzeichnungen
Fleckenteufel
Einstürzende Altbauten
Imposanz
12. HDR-SANDWICHES
Augenblicke
Zeitsprünge
Basiswissen Belichtungsreihe
Anzahl der Zeitstufen
High and Low
Das passiert im Tonemapping
HDR-Programme
Kurzer Prozess
Grundlegender Workflow
Tonemapping durchführen
Weitergabe an die Bildbearbeitung
Oneshot-HDR
13. PIXELPOLITUR
Stilfragen
Pimp up your pics!
Colorado
Farbenleere
Abgewetzt und verstrahlt
14. JÄGER DER VERLORENEN SCHÄTZE
Jagdgründe
Urbexhibitions
Danksagung
Index
Bildnachweis
Was für ein großartiges Motiv - da hüpft das Fotografenherz!
Brennweite 14 mm :: Blende f/9 :: Verschluss 1/30 s :: ISO 400
Auch von außen kann man eindrucksvolle Fotos verlassener Orte schießen, ohne fremdes Privatgelände betreten oder Unfälle riskieren zu müssen.
Brennweite 38 mm :: Blende f/11 :: Verschluss 1/250 s :: ISO 200
Manchmal sind die reizvollsten Spielplätze für Fotografen bekannte Ausflugsziele, wie beispielsweise der Landschaftspark Duisburg-Nord auf dem Gelände eines ehemaligen Hüttenwerks. Meistens jedoch liegen die tollsten Locations abseits der touristisch erschlossenen Wege, oft nur erreichbar über Trampelpfade, häufig auch hinter Zäunen und Mauern verborgen. Verschwiegen, vergessen, verboten – den größten Nervenkitzel garantieren Orte, die der gemeine Spießbürger und ordnungsheischende Beamte am liebsten von der Landkarte tilgen möchte. Da das glücklicherweise häufig nicht so einfach ist, werden die Objekte möglichst »unsichtbar« gemacht – Hinweise entfernt, Bauzäune aufgestellt, der Schilderwald aufgeforstet. So paaren sich vielerorts Gerüchte, Horrorgeschichten und der fortschreitende Verfall mit dem Reiz des Verbotenen.
Ob Sie von Forscherdrang, der Sucht nach dem Adrenalinkick oder dem Spaß an einer Schatzsuche mit der Kamera getrieben werden, möglicherweise Grenzen zu überschreiten und gesperrtes oder gefährliches Terrain zu erkunden: Sie sollten sich immer darüber im Klaren sein, was Sie da tun und welche Risiken Sie dabei eingehen.
In Ruinen und auf Friedhöfen spürt man intensiv den – manchmal auch recht übel riechenden – Hauch der Vergangenheit, fotografiert nicht nur Oberflächen, sondern die Tiefe der Zeit. Hinter staubigen Türen und trüben Fenstern erhoffen sich entdeckungsfreudige Fotografen spannende Locations und großartige Motive, trotz des Risikos, im Zweifel in einer schäbigen Müllhalde zu landen, die von außen zu viel versprach.
Abenteuerliche Entdeckungsreisen in unbekannte, mitunter sogar gefährliche Welten sind überall möglich, sogar mitten im ansonsten so aufgeräumten Deutschland.
Alle Aufnahmen in diesem Buch entstanden ausschließlich in deutschen Landen, mit Ausnahme einiger Motive, die das Interview mit dem Fotograf Pascal Baetens illustrieren. Man muss also keine Expeditionen in ferne Gestade starten, um grandiose Bilder zu machen, sondern nur die Augen öffnen und einfach mal in heimische Ecken schauen, die man bisher übersehen oder schlichtweg ignoriert hat.
Morbides, Marodes und Mystisches findet man oft hinter hohen Mauern, hässlichen Bauzäunen, dichten Hecken, häufig auch mitten im Wald. Die Suche nach geeigneten Motiven ist genauso spannend wie das eigentliche Shooting und die spätere Bildbearbeitung.
Hinter maroden Türen lauern morbide Motive
Brennweite 10 mm :: Blende f/11 :: Verschluss 0,3 s :: ISO 200
Eine gewaltige Ruine ist das beliebteste Reiseziel in Deutschland für Touristen aus aller Welt. Das Heidelberger Schloss, vor mehr als 300 Jahren zerstört, lockt sogar mehr Besucher an als das intakte Schloss Neuschwanstein
Brennweite 16 mm :: Blende f/11 :: Verschluss 1/160 s :: ISO 200
Einige der schönsten Städte der Welt wie Wien oder Venedig verdanken ihre Attraktivität hauptsächlich ihrem morbiden Charme. Hätte man die Lagunenstadt aufwendig saniert, gesichert und frisch gestrichen, wäre sie nur noch eine bunte Touristenfalle ohne Seele. So aber hält man in jedem Bild der Serenissima nicht nur deren glorreiche Vergangenheit, sondern auch den drohenden Untergang fest.
Morbide Motive spiegeln die Vergänglichkeit. Mystische Motive dagegen spiegeln die menschliche Sehnsucht nach der Ewigkeit. Zwar müssen Locations, denen mystisches Flair nachgesagt wird, nicht zwangsläufig auch optisch eindrucksvoll sein, doch oftmals findet man Transzendenz in der Existenz von alten Gemäuern und alten Wesen, deren Dasein in dieser Welt unsere Lebens- und Erfahrungsspanne weit übertrifft – beispielsweise in uralten Bäumen.
Schönheit liegt bekanntlich immer im Auge des Betrachters. Sieht der eine eine üble Narbe im geordneten Stadtbild, eine Gammelbude, ein Rattenloch, das möglichst bald beseitigt werden sollte, so sieht der andere – also vermutlich Sie und ich – dort eher einen verborgenen Schatz im Meer der langweiligen Uniformität, ein interessantes Fotomotiv, eine vielversprechende Location.
Ein ehemaliges Hotel, im strömenden Regen fotografiert und per Software in ein emotionales Bild verwandelt, das ebenso alt zu sein scheint wie das Gebäude selbst.
Brennweite 24 mm :: Blende f/11 :: Verschluss 1/160 s :: ISO 200
Die meisten morbiden Orte, eigentlich alle Lost Places, sind Bauwerke im Zustand mehr oder weniger fortgeschrittenen Verfalls. Grundsätzlich fallen also die fotografischen Arbeiten auf diesem Gebiet vermutlich unter die Rubrik »Architekturfotografie«. Vom technischen Standpunkt aus macht es keinen Unterschied, ob das zu fotografierende Gebäude neu erbaut oder alt und marode ist. Inhaltlich aber ist der Unterschied zwischen herkömmlicher Architekturfotografie und der Abbildung morbider Bauwerke fundamental.
Eine normale Aufnahme im Architekturbereich erfordert die rationale, möglichst exakte Darstellung gebauter Struktur. Bilder morbider Bauten dagegen vermitteln eher Irrationales. Stimmungen, Ängste, Neugierde, Geheimnisse, Klage, wohliges Gruseln. Das ist das Schöne und Besondere an der Fotografie von Ruinen und gespenstischen Orten: Formale Konventionen gibt es kaum. Der Interpretations- und Experimentierfreude der Fotokünstler sind fast keine Grenzen gesetzt.
Trotzdem stellen solche Bildwerke gehobene Anforderungen an die technischen Fähigkeiten der Fotografen. Oft unter Zeitdruck muss man in unsicherer Umgebung sein Werkzeug ebenso sicher beherrschen wie die Regeln eines gekonnten Bildaufbaus, sonst ist eher das fertige Bild zum Gruseln als das Motiv darauf.
Nachträglich eingefügte Lichtstrahlen erhöhen den mystischen Reiz dieser verlassenen Kirche noch.
Brennweite 13 mm :: Blende f/11 :: Verschluss 0,5 s :: ISO 200
Auf den in diesem Buch behandelten Abenteuerspielplätzen für Fotografen kann man Verwunschenes und Verfallenes zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter interessant ablichten, selbst bei Regen und dichtem Nebel. Nicht immer findet man jedoch geeignete oder erhoffte Lichtstimmungen vor. Hat man Pech während des Shootings, erhöht vielleicht später eine gekonnte Bearbeitung das matte Bildchen zum mystischen Kunstwerk. So ist denn auch die Bildbearbeitung in diesem Segment der Fotografie (und in diesem Buch) von besonderer Bedeutung.
Am Computer werden Bildstimmungen vertieft oder gar erst erzeugt. Schon bei der Aufnahme sollte man bestimmte Bearbeitungstechniken einkalkulieren und entsprechend vorgehen. Ob man eine Belichtungsreihe für eine HDR-Aufnahme macht, »Fleisch« um das Motiv einkalkuliert für das spätere Aufrichten stürzender Linien oder absichtlich unterbelichtet, um in der Nachbearbeitung spezielle Effekte zu erzielen, setzt immer voraus, dass man diese Methoden kennt und richtig anzuwenden vermag.
Dieses Buch will Ihnen Mittel und Wege aufzeigen, aus altem Gemäuer neue Fotowelten zu erschaffen – ohne jedes Hexenwerk.
Ein Urbexer bricht aus dem Unterholz.
Brennweite 24 mm :: Blende f/11 :: Verschluss 1/100 s :: ISO 200
Fotoexkursion in die Vergangenheit.
Brennweite 27 mm :: f/7.1 :: Verschluss 1/30 s :: ISO 200
An vielen verlorenen Orten, die scheinbar der Welt entrückt und sich selbst überlassen im Abseits stehen, werden Sie bald feststellen, dass Sie nicht der Einzige sind, der durch das Unterholz schleicht. Sind es Gespenster, die Geister der Verstorbenen, die im Skelett des Bauwerks knistern, das Sie gerade erkunden? Bevor Ihnen der Schweiß auf die Linse tropft und die Kamera aus den zittrigen Händen fällt, seien Sie versichert: Gespenster rufen nicht »Was machen Sie denn da?« oder »Wo wollen Sie hin?«.
Verlassene und mystische Locations ziehen überraschend viele Interessengruppen an – aus den unterschiedlichsten Gründen. Die einen wollen erkunden, die anderen fotografieren, manche wollen nur mal gucken, andere sind auf der Suche, und leider ziemlich viele finden, man könne alles klauen oder zerstören, was scheinbar herrenlos herumsteht.
In unserer sterilisierten, überregulierten und konditionierten Welt proben viele zumindest gelegentlich den Ausbruch aus dem beengten, behüteten und überwachten Wohlstandsleben. Es lockt Sie der Reiz von Orten, die mehr oder weniger aus dieser starren Ordnung gefallen sind. Äußerlich ist schwer zu unterscheiden, wer sich da so tummelt in den vermeintlich vergessenen, häufig auch verbotenen Zonen. Uniformen deuten allerdings in der Regel darauf hin, dass deren Träger höchstwahrscheinlich im Auftrag einer höheren Macht (beispielsweise des Eigentümers oder ihrer Dienststelle) unterwegs sind, um Sie mit »Ja, Sie da!« zu kontrollieren oder dezent darauf hinzuweisen, dass ein sofortiger Rückzug aus dem Gelände angebracht ist.
Aufgrund der mitgeführten Fotoausrüstung samt Stativ recht leicht zu identifizieren sind die Urbexer, Gesinnungsgenossen, die ihrer Passion frönen, Ruinen aller Art mit der Kamera zu erkunden. Mancher Urbexer genießt eher die Entdeckerfreude und die Spannung, in einem Areal außerhalb der üblichen Grenzen aufregende Plätze zu betreten, aber ohne den inneren Anspruch, sich an diesen Locations künstlerisch zu verwirklichen. Ihre Fotos dienen nur zur Dokumentation der Exkursion, als Trophäe und Beweis. Die Bildergebnisse entsprechen weitgehend den Sicht- und Gestaltungsweisen herkömmlicher Architekturfotografie ohne besondere optische Mätzchen. Auch die Farbwelten sind oft eher reduziert bis hin zu edlem Schwarz-Weiß.
Andere Urban Explorers wiederum reizt die außergewöhnliche Szenerie zu außergewöhnlichen Bildwerken. Sie verwenden viel Zeit und Mühe darauf, in Objekten, die häufig nicht oder nicht mehr der landläufigen Auffassung von »schön« entsprechen, möglichst großartige Bilder zu machen, die einzigartigen Stimmungen festzuhalten, die solche Orte bieten, die Ästhetik des Untergangs einzufangen. In der Nachbearbeitung werden gern alle Register gezogen; oft ist die HDR-Technik das bevorzugte Mittel, optische Spektakel zu entfesseln.
Die meisten Urbexer präsentieren ihre oft beeindruckenden Fotografien auf ihren Webseiten und in Blogs (siehe Links im Anhang), häufig ergänzt durch aufwendige Historien der abgelichteten Gebäude und Einrichtungen. Diese Seiten sind Fundgruben für außergewöhnliche Motive. Genauere Informationen, wo sich die porträtierten Locations befinden, Adressen gar, wird man auf diesen Internetseiten und -foren meistens jedoch vergeblich suchen. Zu groß und leider berechtigt ist die Angst, damit hirn- und respektlosen Zeitgenossen Hinweise auf die gefundenen Schätze zu geben und diese deshalb beim nächsten Besuch zerstört vorzufinden.
Urbexer sind selten allein unterwegs. Zum einen ist es anzuraten, morsche Gebäude nur in Begleitung zu betreten, zum anderen nehmen Fotografen gern Fotomodelle mit, um sie in marodem Ambiente in Szene zu setzen. Auf dieses Gefolge gehe ich in einem späteren Kapitel noch explizit ein.
Stativ und Fernauslöser gehören zur Grundausstattung des seriösen Urbexers.
Brennweite 42 mm :: f/7.1 :: Verschluss 1/30 s :: ISO 400
In diesem Loch in einer Friedhofsmauer ist (unten rechts) ein Cache in einer Filmdose versteckt.
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