Puggy Pug

Ein Mops und seine wundersamen Abenteuer

Die Handlung und alle Personen in diesem Roman sind frei erfunden.

Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und unbeabsichtigt.








Puggy Pug geht zum Zirkus

Ein Mops und seine wundersamen Abenteuer

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Puggy Pug hatte vor vier Wochen seinen zweiten Geburtstag gefeiert. Oma Hedwig und Opa Adalbert hatten ihm eine neue Baseball-Mütze geschenkt. Die setzte er mit dem Schild nicht nach vorne über die Stirne, sondern mit dem Schild schräg nach hinten auf. Die Mütze saß mit ihrem Schild genau über dem rechtem Ohr.

»Alles ist wieder so langweilig!« jammerte Puggy Pug. »Alles ist genauso langweilig wie schon immer!« Puggy Pug hatte vor vier Wochen seinen zweiten Geburtstag gefeiert. Oma Hedwig und Opa Adalbert hatten ihm eine neue Baseball-Mütze geschenkt. Die setzte er mit dem Schild nicht nach vorne über die Stirne, sondern mit dem Schild nach schräg-hinten auf. Die Mütze saß mit ihrem Schild genau über dem rechten Ohr. Puggy Pug trug die neue Baseball-Mütze in dieser Art, weil auch der Bodo Kotznich seine Baseball-Mütze mit dem Schild so schräg nach hinten trug, wenn der Kotznich auf seinem tätowierten Schädel überhaupt einmal eine Mütze trug. Puggy Pug fand es »echt cool« die Mütze so zu tragen, wie er Oma Hedwig wiederholt versicherte. Die Baseball-Mütze war aber auch wirklich die einzige Abwechslung und die einzige berichtenswerte Neuigkeit in Puggy Pugs Alltag. Ansonsten war wirklich alles genauso langweilig wie immer. Puggy Pug lag wie eh und je auf seinem roten Kissen auf der Fensterbank. Er besah sich durch das geöffnete Stubenfenster das alltägliche Treiben auf der Gasse. Aber er kannte ja schon alles, was sich jeden Tag in gleicher Weise auf der Gasse abspielte. »Nichts Neues! Wirklich nichts Neues!« musste Puggy Pug feststellen. »Alles ist genauso langweilig wie immer! Genauso langweilig wie vor meinem Flug zum Mars ist alles! Nichts hat sich verändert, jeden Tag dasselbe!« In der Tat: es war wirklich alles äußerst langweilig, was sich auf der Gasse Puggy Pug bot. Von Unterhaltung konnte da wirklich nicht die Rede sein. Ab und zu setzte sich der italienische, rotgetiegerte Kater Signor Aringa Marinato neben Puggy Pug auf die Fensterbank. Signor Marinato – angeblich hieß dessen Name auf Deutsch ›Marinierter Hering‹ – kletterte meistens vom Dach aus die Dachrinne hinab bis auf die Fensterbank. Manchmal sprang er aber auch mit einem riesigen eleganten Satz vom Blumenbeet im Vorgarten hinauf auf die Fensterbank.

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So saßen der Mops Puggy Pug und der Kater Aringa Marinato eine Weile nebeneinander auf der Fensterbank im geöffneten Stubenfenster, besahen sich das alltägliche Einerlei, das sich auf der Gasse in stets gleicher Art und Weise abspielte und langweilten sich zu zweit.


Dann setzte sich Signor Marinato neben Puggy Pug – Signor Aringa Marinato setzte sich stets rechts neben Puggy Pug, warum immer nur rechts wusste er wohl selbst nicht und Puggy Pug wusste es auch nicht, – sagte »buon giorno«, was auf Deutsch ›guten Tag‹ heißt, strich sich voll Einbildung und Eitelkeit die Schnurrbarthaare mit beiden Vorderpfoten und fragte »Was Neues?«, worauf er sich stets selbst die Antwort auf Italienisch gab, nämlich »Maledetto! niente di nuovo, quindi! … no, sicuramente, nulla di nuovo!« was im Deutschen so viel heißt wie ›Verdammt! also nichts Neues! … nein, es gibt ganz eindeutig nichts Neues!‹. Diese Antwort konnte sich Signor Marinato leicht geben, denn er sah Puggy Pugs gelangweilter Miene an, dass es auf der Gasse nichts Neues gab. So saßen der Mops Puggy Pug und der Kater Aringa Marinato eine Weile nebeneinander auf der Fensterbank im geöffneten Stubenfenster, besahen sich das alltägliche Einerlei, das sich auf der Gasse in stets gleicher Art und Weise abspielte und langweilten sich zu zweit. Aber sich zu zweit zu langweilen fand Puggy Pug genauso langweilig wie sich alleine zu langweilen.

Wie seit eh und je kam kurz nach dem Mittagessen zuerst der Jäger Hubertus Krawuttke mit seinem Rauhaardackel Waldi angetrottet. Mit diesem Waldi kam der Jäger Hubertus Krawuttke, mit diesem angeblich schussfesten Rauhaardackel, der ewig nicht kacken wollte, bis er schließlich seinen Haufen vor das Gartentor – ausgerechnet vor das Gartentor! – der Privatierswitwe Madam Hermine Gutzeit setzte, die allgemein nur ›Hermänne‹ genannt wurde. Und wie immer lauerte die ›Hermänne‹ schon hinter der Gardine. Sobald der Waldi seinen Haufen gedrechselt und vor dem Gartentor abgesetzt hatte, sauste die ›Hermänne‹ aus dem Haus um den Übeltäter auf frischer Tat zu ertappen und, wenn möglich, dingfest zu machen. Der Übeltäter war in ihren Augen natürlich nicht der Rauhaardackel Waldi, sondern dessen Herrchen, dieser ganz unmögliche Jäger Hubertus Krawuttke eben. Wenn der Krawuttke mit seinem Waldi abgezogen war, am Nachmittag so gegen Viere, da kam der Bodo Kotznich mit seinen beiden Bismarck-Doggen Tilo und Freia die Gasse entlang. Der Kotznich war Türsteher und Rausschmeißer im Nachtlokal ›Chez nous‹ – was auf Deutsch ganz einfach ›Bei uns‹ heißt – ein ganzes Stück weiter oben in der Gasse. Der Kotznich war auf der Brust und an den Armen unglaublich schön tätowiert. Über und über war der Kotznich tätowiert. Sogar auf seiner Glatze und im Gesicht war der Kotznich tätowiert. Puggy Pug jedenfalls gefielen die Tattoos von dem Kotznich unglaublich. Puggy Pug fand die Tattoos wunderschön – »echt geil« oder auch »echt cool«, wie er zu Oma Hedwig und Opa Adalbert immer sagte, – auch wenn Oma Hedwig die Tattoos von dem Kotznich ganz abscheulich fand und wenn Opa Adalbert behauptete, der Kotznich sei ein übles und absolut asoziales Subjekt. Nämlich nicht nur Türsteher und Rausschmeißer sei der, sondern ein »Lude wie er im Buche« stehe sei der, was immer das sein mochte, ein ›Lude‹. Wenn der Kotznich dann auf der Höhe von Puggy Pugs Fenster angekommen war, glotzte er nach oben in die Luft und sagte »nix mit ›el condor pasa‹ …« – jeden Tag glotzte der Kotznich nach oben in die Luft und sagte dann völlig blödsinnig »nix mit ›el condor pasa‹ …«. Niemand wusste was der Kotznich damit meinte und was das bedeuten sollte. Nicht einmal Opa Adalbert konnte Puggy Pug erklären, was der Kotznich mit diesem ewigen Spruch »nix mit ›el condor pasa‹ …« meinte. Schließlich hatte noch nie jemand einen Condor im Himmel über der Gasse kreisen sehen. Diese riesigen Geier gab es schließlich nur in Amerika, und zwar in diesem Hochgebirge, das ›Anden‹ genannt wird und wo heute noch Indianer leben sollen, wie Puggy Pug sich hatte sagen lassen. »Der Arsch ist doch bekloppt, der Kotznich! Der Lude hat doch sein Gehirn versoffen, der Arsch!« sagte Opa Adalbert, immer wenn er hinter Puggy Pug am Fenster stand und den Kotznich zufällig vor dem Fenster stehen sah. Puggy Pug wusste natürlich ganz genau, dass ›Arsch‹ ein sehr böses Schimpfwort, dass ›Arsch‹ überhaupt und ganz allgemein ein ganz unanständiges Wort war, das man nicht sagen durfte. Aber Opa Adalbert sagte eben hin und wieder einmal ›Arsch‹. Wenn der Bodo Kotznich nach oben in die Luft geglotzt und »nix mit ›el condor pasa‹ …« gesagt hatte, dann sah der Bodo Kotznich immer Puggy Pug an und sagte: »Na du Glotzbock! … So was wie den dürfte es doch auf der Welt überhaupt nicht geben!« Und dann drehte der Bodo Kotznich sich auf dem Fuß um und verschwand mit seinen beiden Bismarck-Doggen wieder hinter der rotlackierten Türe in seiner Bude, in diesem Nachtlokal ›Chez nous‹ weiter oben in der Gasse. Jeden Nachmittag, so gegen Viere, spielte sich das immer in der gleichen Art und Weise ab. »Langweilig! Wirklich beschissen langweilig!« jammerte Puggy Pug jeden Nachmittag, wenn der Bodo Kotznich mit seinen beiden riesigen Metzgerhunden wieder hinter der rotlackierten Türe in seiner Bude verschwunden war. Natürlich wusste Puggy Pug, dass auch ›beschissen‹ ein böses und unanständiges Wort war, das man nicht sagen durfte. Aber wenn Opa Adalbert hin und wieder ›Arsch‹ sagen durfte, dann durfte er, Puggy Pug, auch gelegentlich ›beschissen‹ sagen, oder wenigstens denken. Das nahm sich Puggy Pug jedenfalls heraus. Sagte Oma Hedwig nicht immer »gleiches Recht für Alle«? Ja, »gleiches Recht für Alle« sagte Oma Hedwig immer, zum Beispiel wenn sie sich über die Freifrau von Heidenbluth und über deren borniertes Benehmen aufregte, wenn die von Heidenbluth beim Bäcker sich an der Theke und an der Kasse einfach vordrängte und Oma Hedwig mit ihrem spitzen Ellenbogen einfach zur Seite stieß, oder auch rücklings in den Bauch oder in den Hintern stieß um sich den Weg völlig widerrechtlich freizukämpfen, nur mal um ein Beispiel zu nennen. Wie gesagt: diese eingebildete blöde von Heidenbluth! Diese Viktoria-Auguste Freifrau von Heidenbluth, ihr weißer Königspudel Cäcilie und ihre Hausdame Eulalia von Piepenbrink waren nämlich die nächsten Typen, die Puggy Pug vor seinem Stubenfenster auf der Gasse vorbeistolzieren sah, kaum dass der Bodo Kotznich hinter der rotlackierten Türe in seiner Bude verschwunden war. Und gegen Abend, gewissermaßen als krönender Abschluss des Straßentheaters, kam dann der leichengrüne Hugo Leich. Jeden Abend, den der liebe Gott werden ließ, hockte der leichengrüne Leich vollgesoffen im Korb seines Fahrrades und ließ sich zusammen mit seinem Fahrrad von seiner Frau aus der Kneipe ›Zu den drei Mohren‹ durch die Gasse nach Hause karren. »Ha! Schlachtefest!« schrie der Leich dann und wedelte wild mit seinen Füßen und schwenkte die Schnapsflasche in seiner rechten Hand. Jeden Abend hockte der leichengrüne Hugo Leich besoffen im Fahrradkorb, ließ sich von seiner Frau heimkarren und schrie »Ha! Schlachtefest!«.

Ach ja – es war wirklich alles scheußlich langweilig! Puggy Pug fand alles jetzt noch viel langweiliger als vorher. Das kam, weil sein Freund, die Englische Bulldogge Winston, nach diesem sagenhaften Aufmarsch der Neonazis so krankhaft grün geworden und an gebrochenem Herzen gestorben war. ›Ausländer raus!‹ hatten die blöden Nazis an die Wand des Hauses gesprüht, in dem Winston wohnte. Das Fenster im Hause gegenüber, in dem Winston immer gelegen, an seiner Zigarre gepafft, an seinem Whiskyglas genippt und wie Puggy Pug das Treiben auf der Gasse beobachtet hatte, war nun leer und blieb auch leer. Puggy Pug konnte sich mit seinem Freund nicht mehr unterhalten. Und deshalb eben war alles noch viel langweiliger als früher! Dort drüben wohnte jetzt überhaupt niemand mehr. Nach dem Tod von Winston war nämlich dessen Herrchen, der Engländer Mister John Neckless, der im Deutschen angeblich ›Hans Halslos‹ hieß, wieder zurück nach England gezogen.

»Langweilig! Verdammt langweilig!« jammerte Puggy Pug jeden Tag. »Es könnte wieder mal was passieren!« hoffte Puggy Pug. »Vielleicht passiert wieder einmal was Interessantes?! Es muss ja nicht unbedingt wieder ein so beschissener Umzug von idiotischen Neonazis sein!« wünschte sich Puggy Pug. »Es könnte ja mal was ganz anderes sein! Es könnte ja mal was ganz Neues sein! Es könnte ja mal was sein, was ich noch nie gesehen habe!«

An einem Nachmittag Anfang April – Puggy Pug hatte Ende März Geburtstag gehabt, genau gesagt am 23. März, Puggy Pug war im Sternzeichen des Widder geboren, was die blöde Stiefnichte Anna-Angela, die Puggy Pug im Besonderen nicht mochte weil sie Möpse im Allgemeinen abgrundtief und inbrünstig hasste, zum Anlass nahm ihn nicht nur als ›Idiot‹, sondern mit Vorliebe als ›Glotzbock‹ zu beschimpfen – an einem Nachmittag im April also, so etwa gegen Viere, also kurz bevor der tätowierte Bodo Kotznich mit seinen beiden riesigen Bismarck-Doggen durch die Gasse ging, da also ereignete sich endlich etwas Neues vor Puggy Pugs Stubenfenster. Etwas wirklich Neues und absolut Ungewöhnliches, was Puggy Pug zuvor noch nie gesehen hatte. Eine Horde seltsamer Wesen zog durch die Gasse. Wesen aus einer anderen Welt, wie sie Puggy Pug im wirklichen Leben wirklich noch nie gesehen hatte und wie sie ihm auch in seinen Träumen noch nie begegnet waren. Ob die wieder Außerirdische waren? Ob die wieder Aliens waren, wie Signor Aringa Marinato die Außerirdischen nannte? Vielleicht wieder Aliens vom Mars, wie diese Roboter Yuku-Hu und Haka-Ri, oder wie dieser biologische Marsianer Herr Nr. 23? Die Typen, die an diesem Nachmittag durch die Gasse zogen, die sahen aber ganz anders aus als Roboter oder als Menschen vom Mars. Vor allen Dingen – und das gab Puggy Pug hinsichtlich ihrer Herkunft die größten Rätsel auf! – die Typen waren nicht grün. Und Signor Marinato hatte doch gesagt, dass alle Marsmännchen immer grün sein müssten. Und Puggy Pug hatte sich ja auf seiner Reise zum Mars auch selbst davon überzeugen können, dass Roboter und echte Menschen vom Mars tatsächlich alle immer grün sind. Sogar die Aquasukkzinatoren, diese ›Wassersauger‹, waren ja auch grün gewesen.

»Hi, echt cool!« jubelte Puggy Pug, als er die Typen auf der Gasse vor seinem Fenster vorbeiziehen sah. »Endlich mal was Neues! Jetzt passiert endlich mal was Neues!«

Und Signor Aringa Marinato, der gerade wieder einmal zufällig neben Puggy Pug auf der Fensterbank saß, hatte solche Monster auch noch nie gesehen. Daher schickte sich Signor Marinato an schon wieder in Panik zu geraten. Der Kater mit seinem italienischen Naturell geriet ohnehin schon bei den geringsten Anlässen in Panik. Schließlich hatte er sich sein Nervensystem bereits in jungen Jahren mit seiner ungesunden Lebensweise ruiniert. Fortgesetzter Schlafmangel und unmäßige Liebe hatten Signor Aringa Marinatos Nervensystem schwer zugesetzt. Das durfte gesagt werden ohne des Katers persönliches Recht auf Schutz der Intimsphäre zu verletzten. Schließlich wusste das jeder in der Gasse! Aber: war es ein Wunder, dass Signor Marinatos Nervensystem angegriffen und letztendlich bereits ziemlich zerrüttet war? Nein, das war kein Wunder! Welcher Mann behält schon ein gesundes Nervensystem, wenn er sich jede Nacht mit stets wechselnden Geliebten auf Dächern und Schornsteinen herumtreibt und rumschmust?!

»So ist´s nun eben einmal bestellt um diese italienischen Schönlinge!« sagte Opa Adalbert immer, wenn das Gespräch auf Signor Aringa Marinatos angegriffenes Nervensystem kam. »Weiber, Weiber, und nochmals Weiber! Bei Weibern spielen die Itaker die Machos, klar! Aber bei der geringsten Belastung, da kippen die Typen ab und kriegen die Krise! Alles nur Schau, bei den Itakern! Die Spaghettifresser haben kein Stehvermögen! Keine Kraft und keinen Saft haben die! Und das eben kommt von das, wie ich immer sage: Weiber, Weiber, und nochmals Weiber! Ich sag´s ja!«

»Wer sind die Typen denn? …«, fragte Puggy Pug Signor Marinato in der Hoffnung, dass dieser welterfahrene und weitgereiste Kater das wisse und ihm sagen könne, »… ist ja in echt cool, krass ist da ja in echt, Mann! Wo kommen die denn her? Wissen sie das, Signor Marinato? Sie wissen doch sonst immer alles!«

Aber – wie bereits gesagt – angesichts der seltsamen Wesen dieses Umzugs durch die Gasse versagten Signor Aringa Marinato die Nerven und er verfiel in Panik. Und wie immer, wenn ihn Panik übermannte, verfiel Signor Marinato in seine italienische Muttersprache und schrie wie am Spieß. »Porca Madonna! …«, schrie Signor Marinato, »… fascisti! fascisti! ... maledetto! fascisiti! …«, was auf Deutsch in etwa heißt »Versaute Madonna! …« oder auch »Verdammte Madonna! … Faschisten! Faschisten! … verflucht! Faschisten! …«.

»Aber nein! Liebe Leute: nein!« sagte Oma Hedwig, die, vom Lärm auf der Gasse angelockt und neugierig geworden, hinter Puggy Pug und Aringa Marinato ans geöffnete Fenster getreten war. »Aber Nein! Wie kommen sie denn auf so einen Unsinn Herr Marinato?! Das sind doch nur die Leute vom Zirkus ›Tortellino‹. Das sind doch keine ›Faschisten‹, nicht wahr! Die Menschen und Tiere vom Zirkus ›Tortellino‹ sind das. Die machen einen Reklameumzug. Einen solchen Umzug machen die armen Kerle in der Hoffnung, dass sie mit dieser Schau mehr Zuschauer in ihre Vorstellungen locken. Seit heute hat doch der Zirkus ›Tortellino‹ sein Zelt auf der freien Wiese neben dem Industriegelände aufgebaut. Auf der Wiese, wo früher die Wäsche gebleicht wurde und die deshalb bis zum heutigen Tage immer noch ›die Bleich‹ genannt wird. Wisst ihr denn nicht, dass ein Zirkus im Ort ist? Seit heute? Für drei Tage? … Habt ihr denn davon noch nichts gehört, von dem Zirkus, meine ich? Komisch: sonst kriegt ihr doch auch alles immer gleich mit, bevor es noch die Spatzen von den Dächern pfeifen!«

Der Zug wurde angeführt von zwei unendlich langbeinigen Wesen, die ganz komisch und irgendwie steif und ungelenk einherschritten. Die trugen ein Spruchband quergespannt über die Gasse. Auf dem Spruchband – das Oma Hedwig übrigens ›Transparent‹ nannte – stand zu lesen:

Zirkus Tortellino‹

Tiere – Menschen – Sensationen

»Warum gehen die Typen, die das Transparent tragen, denn so komisch? Und warum sind die so groß? Und warum haben die so lange Beine?« wollte Puggy Pug von Oma Hedwig wissen. »Sind das Riesen, Oma Hedwig? Du weißt schon: sind das diese bösen Riesen, die im Wald die Bäume samt den Wurzeln ausreißen und die Menschen damit erschlagen?«

»Porca Madonna! … Riesen?! giganti?! …«, kreischte Signor Marinato – er war drauf und dran schon wieder in Panik zu geraten und verfiel in seine italienische Muttersprache, »… porca Madonna! giganti!«

»Das sind keine echten Riesen, keine echten ›giganti‹ …«, erklärte Oma Hedwig – sie musste lachen, »… nein, keine Riesen, keine ›giganti‹! Ihr braucht keine Angst zu haben! Das sind Spaßmacher, das sind Clowns. Die wirken so riesig und die haben so lange Beine und die gehen so komisch weil sie auf Stelzen laufen. Stelzen sind gewissermaßen künstliche Beinverlängerungen. Oder wie soll ich sagen? Stelzen sind lange künstliche Unterschenkel aus Holz oder aus Metall, die sich die Stelzenläufer unter die Füße schnallen. Mit viel Übung und Geschick können die dann auf den Stelzen stehen und laufen. Das sind eben Artisten! Das sind eben Künstler!«

Hinter den Clowns auf Stelzen mit ihrem Transparent trottete ein seltsames Tier auf vier langen Beinen und mit einem unglaublich langen gekrümmten Hals eigenartig watschelnd und grausam schaukelnd durch die Gasse. Das hatte so etwas Ähnliches wie Saugnäpfe an den Füßen. Überhaupt sah das seltsame Wesen ziemlich missgestaltet und verkrüppelt aus. Eine Missbildung musste dieses seltsame Wesen sein, keine Frage! Auf dem Rücken nämlich hatte das Wesen zwei riesige Buckel, die bei jedem Schaukelschritt auf und nieder schwappten!

»Eine Missbildung! eine malformazione! …« schrie, Signor Marinato hysterisch – er verfiel vor Schreck wieder ins Italienische, »… una malformazione! porca Madonna! … Sehen sie doch nur Herr Puggy Pug! Eine wirklich groteske, eine unter erotischem und sexuellem Aspekt völlig und absolut unanständige und perverse Missbildung! una malformazione! una malformazione erotica, una malformazione carnale und sessuale! una malformazione sguaiata und perversa! Das Viech hat ja seine ›tette‹ nicht vorne auf der Brust, wo die Dinger eigentlich hingehören! Das Viech hat seine ›tette‹ ja hinten auf dem Rücken, Mann! Das Viech hat seine Titten ja auf dem Rücken!«

»Aber Signor Marinato! Ich muss sie doch wirklich bitten!« empörte sich Oma Hedwig. »So ein Wort wie ›Titten‹ nimmt doch kein anständiger Mann in den Mund! Ein anständiger wohlerzogener Mann sagt doch ›Brüste‹ oder ›Busen‹ und nicht ›Titten‹, nicht einmal ›tette‹ sagt ein anständiger Italiener! Ein Italiener sagt auch ›il busto‹ anstelle von ›tette‹. Und übrigens: das sind keine Brüste, das sind Höcker. Das ist nämlich ein Kamel, müssen sie wissen! Dieses Tier mit den zwei Höckern ist ein Kamel. Wenn das Tier nur einen Höcker hat, dann ist es kein Kamel, sondern ein Dromedar. Aber wenn das Tier wie dieses hier zwei Höcker hat, dann ist es ein Kamel. Kamele leben in den Sandwüsten in Nordafrika und in Arabien und in Asien, in der Wüste Sahara in Nordafrika oder in der Wüste auf der arabischen Halbinsel oder in der Wüste Gobi in Asien, nur mal so zum Beispiel. Kamele und Dromedare können in den trockensten Wüsten leben, weil sie nur selten etwas trinken müssen. Die können Wasser in ihren Fetthöckern speichern, glaube ich jedenfalls. Und die können sowohl in dem am Tage heißen und in der Nacht eiskalten Wüstenklima leben, weil sie ein Fell haben das sowohl kühlen wie wärmen kann, so eine Art ›Wärmedämmung‹ also.«

»Und so was haben die im Zirkus?! Ich meine, die haben ein Kamel wirklich im Zirkus?« wollte Puggy Pug von Oma Hedwig wissen. »Aber im Zirkus gibt es doch gar keine Wüste! Und du hast doch gesagt, dass ein Kamel in der Wüste lebt.«

»Na ja, schon! … schon irgendwie in der Wüste. Aber ein Kamel muss nicht in der Wüste leben. Nicht unbedingt. Es kann eben auch nicht in der Wüste leben. Es kann auch im Zirkus leben.«

»Und warum hat der Mann ein so komisches langes und weißes Nachthemd an und ein Kopftuch mit diesem schwarzen Ring auf dem Kopf? Ich meine den Mann mit der Sonnenbrille und mit dem Spitzbart, der das Kamel führt?« fragte Puggy Pug Oma Hedwig.

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Hinter den Clowns auf Stelzen mit ihrem Transparent trottete ein seltsames Wesen auf vier langen Beinen und mit einem unglaublich langen gekrümmten Hals eigenartig watschelnd und grausam schaukelnd durch die Gasse.

»Der Mann hat kein Nachthemd an und der hat kein Kopftuch auf, Puggy Pug.« erklärte Oma Hedwig. »Der Kamelführer ist ein Araber, wahrscheinlich ein sogenannter Beduine, also ein in der Wüste Umherziehender, ein Nomade, der heute hier und morgen dort sein Zelt aufbaut. Und das weiße lange Kleid ist kein Nachthemd, sondern die normale Kleidung dieser Beduinen. Ein solches Kleid nennt man Kaftan. Kaftan heißt auf Arabisch ›Thobe‹. Und die Kopfbedeckung heißt auf Arabisch ›Ghutra‹, und der Kopfreif, der diese ›Ghutra‹ auf dem Kopf zusammenhält, der Kopfreif heißt auf Arabisch ›Agal‹, wenn ich mich rechte erinnere. Jedenfalls habe ich diese Namen im Internet bei ›Amazon‹ oder bei ›eBay‹, oder in einen Katalog gelesen, bei ›Otto‹ oder so … ich weiß gar nicht mehr genau wo ich das gelesen habe.«

Nach dem Kamel kam ein uralter, orange lackierter Bulldog, der aus seinem ellenlangen Schornstein schrecklich knatterte. ›TORTELLINO‹ stand in gelben Lettern auf den Schutzblechen der mannshohen Hinterräder. Der Bulldog zog ein zweirädriges Wägelchen. Auf dem Wägelchen stand ein Clown mit einem Lautsprecher, aus dem er mit vielfach verstärkter Stimme für den Besuch des Zirkus warb und Erklärungen zu den Menschen und Tieren gab, die an diesem Umzug teilnahmen.

»Kommen sie, sehen sie, staunen sie!« plärrte es aus dem Lautsprecher. »Das müssen sie gesehen haben! Tiere … Menschen … Sensationen! Zirkus ›Tortellino‹ … nur drei Tage … noch niemals zuvor und niemals wieder werden sie solche Sensationen gesehen haben und sehen, wie wir sie unserem verehrten Publikum bieten! … Zum Beispiel: vor mir sehen sie das Kamel ›Scheharazade‹, ein königliches Tier aus dem Besitz des Königs von Saudi-Arabien, direkt von dort, meine Damen und Herren! Und … und das dürfen sie mir glauben! … unser Kamel ›Scheharazade‹ hat seit einem Jahr nichts mehr getrunken, keinen einzigen Tropfen Wasser!«

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Nach dem Kamel kam ein uralter, orange lackierter Bulldog, der aus seinem ellenlangen Schornstein schrecklich knatterte. TORTELLINO stand in gelben Lettern auf den Schutzblechen der mannshohen Hinterräder.

»Was ein Quatsch! …«, sagte die Stiefnichte Anna-Angela – durch das Getöse neugierig geworden war auch die Anna-Angela ans Stubenfenster getreten und schaute in ihrer Aufmachung als wüste Punkerbraut auf die Gasse – » … Alles Quatsch! Der Idiot lügt doch dass sich die Balken biegen! Mann! So was gibt es doch gar nicht: ein Jahr lang nichts getrunken, nicht einen Tropfen Wasser! Selbst ein Kamel kann nicht ein ganzes Jahr lang nichts trinken!«

»Damen wie Herren! Ladies and gentlemen! Mesdames et messiers! …«, plärrte es weiter aus dem Lautsprecher, »… unmittelbar hinter mir … Rücken an Rücken, gewissermaßen Po an Po, hi hi! … sie sehen unseren Seelöwen ›Robby‹. Unser Seelöwe ›Robby‹ ist der einzige Seelöwe der Welt, der nicht nur in der Manege … bitte schön! nein! … der auch auf einem Wagen in einem Umzug einen Ball auf seiner Schnauze balancieren kann ohne diesen jemals zu verlieren, auch nicht in Kurven. Nie!«

»Der lügt doch schon wieder, dieser Schwachkopf!« sagte die Anna-Angela. »Einen Ball auf der Schnauze balancieren! Mann! Das kann doch jeder Seelöwe! Mann! Jeder Seelöwe kann einen Ball auf der Schnauze balancieren!«

»Ach Anna-Angela, reg dich doch nicht so auf!« sagte Oma Hedwig. »Beim Zirkus darf man alles nicht so ernst nehmen. Beim Zirkus darf man alles nicht so auf die Goldwaage legen, was da gesagt wird. Irgendwie müssen die Zirkusleute ja Reklame machen. Wenn die keine Reklame machen würden, dann würde ja keiner in den Zirkus gehen. Wo kämen die Zirkusleute denn hin, wenn die die Wahrheit sagen und keine Reklame machen würden?! Heutzutage tut sich doch jeder Zirkus schwer. Die Leute müssen ja nicht mehr richtig in den Zirkus gehen wie früher. Die Leute können heute zu Hause bequem auf dem Sofa sitzen, Chips essen oder Gummibärchen kauen und sich das alles in Superqualität in der Glotze ganz gemütlich und in Ruhe ansehen, nicht wahr! Das muss man doch auch einmal bedenken, nicht wahr!«

Nach dem Kamel kam ein riesiger blauer Elefant. Träge und gelangweilt stampfte das massige Tier hinter dem Kamel her. Der Elefant ließ seinen Rüssel so tief herabhängen, dass er mit seinen Vorderbeinen fast auf seinen Rüssel trat. Offenbar war der Elefant sehr müde und traurig.

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Nach dem Kamel kam ein riesiger blauer Elefant. Träge und gelangweilt stapfte das massige Tier hinter dem Kamel her. Der Elefant ließ seinen Rüssel so tief herabhängen, dass er mit seinen Vorderbeinen fast auf seinen Rüssel trat.


Deshalb zog der Elefantentreiber das arme Tier mit einem Stock, an dessen Ende ein Haken angebracht war, immer wieder an seiner Schulter, was dem Elefant aber überhaupt nichts auszumachen schien. Jedenfalls kümmerte der Elefant sich nicht im Mindesten um die Stiche des Elefantentreibers. Er sah seinen Peiniger nicht einmal an! Das majestätische Tier verachtete diesen kleinen und dürren und braunen Mann mit seinem roten Turban aus Indien offenbar zutiefst. Dass dieses Tier ein Elefant war, das wusste Puggy Pug ganz genau. Einen solchen Elefanten aus Stoff hatten ihm Oma Hedwig und Opa Adalbert zu seinem Geburtstag vor einem Jahr zum Spielen geschenkt.

»Ein Eledil!« schrie Signor Aringa Marinato begeistert als er den Elefanten sah. »Tatsächlich, Herr Puggy Pug und Frau Oma Hedwig, seht doch! Ein echtes lebendiges Eledil! … porca Madonna! ein echtes lebendiges Eledil! Ein Eledil mitten in unserer Gasse! Mann! Ein echtes Eledil in unserer Gasse, wer hätte sich das je vorstellen können?! Mann! porca Madonna! …«

»Aber Signor Marinato! Da verwechseln sie doch wohl etwas!« sagte Oma Hedwig. »Das Tier ist ein Elefant. Ein Elefant, kein ›Eledil‹! Ein Tier namens ›Eledil‹ gibt es doch überhaupt nicht.«

»Mann! Ist der blöd!« sagte die Anna-Angela. »Der ist genauso blöd wie unser Mops Puggy Pug, dieser angebliche italienische Kater! Mann!«

»Und doch gibt es Eledile! Ich habe doch schon Eledile gesehen!« behauptete Signor Aringa Marinato steif und fest.

»Nein nein! Da verwechseln sie was!« sagte Oma Hedwig. »Sie meinen wahrscheinlich mit ›Eledil‹ ein ›Krokodil‹! Ein Krokodil ist eine Echse. Ein Krokodil hat eine lange Schnauze mit unzähligen riesigen Zähnen und einen langen Schwanz mit Zacken oben auf dem Schwanz. Die Krokodile leben im Wasser, oder am Wasser. Die liegen träge am Ufer eines Flusses in der Sonne, zum Beispiel am Fluss Amazonas in Südamerika oder am Nil in Ägypten in Afrika. Und wenn sie Hunger haben oder wenn sie fliehen müssen, dann gehen sie schnell ins Wasser. Plumps … und schon sind sie im Wasser! Und im Wasser tauchen sie unter. Nur die Nasenlöcher und die Augen schauen über die Wasseroberfläche. Sonst ist von den Krokodilen nichts zu sehen, wenn sie im Wasser sind. Und dann lauern sie und warten auf Beute. Und wenn sich Beute nähert … Gazellen, oder Zebras oder Gnus, zum Beispiel, oder was für Tiere auch immer, auch große Vögel zum Beispiel … dann fangen die Krokodile die Viecher. Und dann … zack hast du nicht gesehen! … klappen die ihr Maul zu und verschlucken die Viecher, so groß die auch immer sein mögen. Krokodile sind Raubtiere. Krokodile sind gefährliche Raubtiere. Aber Elefanten sind doch friedlich! Elefanten sind doch keine Fleischfresser, Elefanten sind doch keine Raubtiere! Elefanten fressen doch nur Pflanzen, Heu und Blätter und Früchte und so weiter und so weiter, solches pflanzliche Zeugs eben.«

»Und doch gibt es Eledile! Ich habe doch schon welche gesehen!« beharrte Signor Marinato auf seiner Behauptung. »Ich war einmal mit meinen Leuten im Zoo. Und im Zoo habe ich im Wasser Viecher gesehen, die sahen genauso aus wie dieser angebliche Elefant von diesem Zirkus. Riesige fette, graue, kugelrunde Viecher! Aber die hatten keine Rüssel, das muss ich zugeben. Die hatten riesige Mäuler. Und im Wasser haben die die Mäuler aufgemacht. Und dann haben die die Mäuler einfach offen gelassen. Wie Scheunentore haben die ihre Mäuler aufgemacht und einfach offen stehen lassen! … Und da waren irre riesige Zähne in den Mäulern von denen. Riesige Zähne sage ich ihnen.«

»Das waren doch keine ›Eledile‹, Signor Marinato!« sagte Oma Hedwig. »Das waren ›Nilpferde‹, also Flusspferde. Die leben auch im Wasser, auch im Nil in Afrika, zum Beispiel. Darum heißen die Flusspferde ja auch ›Nilpferde‹. Aber das sind keine Krokodile. Und das sind auch keine Elefanten. Also, um die Verwechslung nochmal deutlich aufzuklären: es gibt Elefanten, und es gibt Krokodile, und es gibt Flusspferde. Aber ›Eledile‹ … ›Eledile‹ wie sie behaupten Signor Marinato … ›Eledile‹ gibt es nicht. Da verwechseln sie etwas, Herr Marinato!«

»Aber vielleicht gibt es ›Krokofanten‹? …«, sagte Puggy Pug, »… ich denke mal: ›Krokofanten‹ könnte es doch geben, wenn es schon keine ›Eledile‹ gibt.«