Daniel Hope

mit Wolfgang Knauer

Toi, toi, toi!

Pannen und Katastrophen in der Musik

Mit Zeichnungen von F. W. Bernstein

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Zum Thema

Am Anfang war die Panne

Katastrophen faszinieren

Drei Silben und ein frommer Glaube

Regelwerk fürs Glück

Wölfe mit Spucke

Beinbruch gegen böse Geister

Ein Unglück kommt selten allein

Desaster in der Normandie

Ludwig van Murphy

Zeichen und Tische

Spiritistische Kontakte

Verfolgt von Zahlen

Leben und Sterben mit 23

Von Schafen und Mäusen

Ein Reh für Rusalka

Donkey-Serenade mit Klavier

Mäuse für die Freiheit

Taubenpost

Premieren auf dem Pulverfass

Alarm für Tosca

Ein Floß erleidet Schiffbruch

Zwischen Knute und Knast

Opernstar in der Todeszelle

Mit Zensur und Steckbrief

Arrest für den Unsterblichen

Mozart für den Tyrannen

Mord und Madrigale

Der Fürst als Killer

Feuer, Wasser und viel Asche

Ein Sturm macht Musikgeschichte

Präsident als Talisman

Ein Vulkan mag keine Oper

Alles Asche mit Brahms

Flammendes Inferno

Musik im Bombenhagel

Bach mit Gasmaske

Feuerwasser, Koks und Kekse

Leckerei mit Folgen

Enfant terrible mit viel Promille

Im Vollrausch am Klavier

Aufwachen zum Solo!

Trunkenheit am Taktstock

Teufel Technik

Klaffende Wunde beim Figaro

Gespielt wie ein Junkie

Bach mit Diesel, Haar in der Oboe

Wecken in Chicago

Fluch auf der Orgelbank

Zwitschern bei der Schöpfung

Offenes Mikrophon

Randale und einsame Momente

Pferdefreunde mit Trillerpfeifen

Gefährliche Scala

Watsch’n für ein Frühlingsopfer

Stinkbomben und Sanktionen

Einsam auf weiter Flur

Ein U-Boot für den Chansonnier

Blackouts und Kleinholz

Verwirrendes Potpourri

In der Warteschleife

Rossini im Rollstuhl

Check-in für Stradivari

Flügel mit Totalschaden

In höchster Not

Gefürchteter Husten

Sehen und gesehen werden

Horrortrip zu Frankenstein

Der Weg wurde Ziel

Panik beim Protokoll

Letzte Katastrophen

Spinnen, Gift und Cholera

Tragische Unfälle

Schlechtes Karma, gute Vorzeichen

Diskographie Daniel Hope

Verwendete Literatur (Auswahl)

Personenregister

Für Mum und Dad,

die mir schon so oft bei der Vermeidung

etlicher Pannen und Katastrophen

beigestanden haben 

Zum Thema

Alles Gute kommt von oben, heißt es zwar in der Bibel, aber ich bin trotzdem immer ein bisschen skeptisch. Zumindest wenn ich gerade aus der Tür ins Freie trete, an einer Hausfront vorbeigehe oder unter einem Gerüst hervorkomme. Könnte doch sein, dass mir im nächsten Augenblick der vielzitierte Blumentopf, wenn nicht Schlimmeres, auf den Kopf fällt. Unglück schläft bekanntlich nicht, und man sollte immer darauf gefasst sein, dass es zuschlägt.

Die meisten wissen es. Ganz bestimmt die meisten Musiker, wie ich aus langjähriger Erfahrung bestätigen kann. Wenn sie auf die Bühne gehen oder im Orchestergraben Platz nehmen, ist alles möglich, was man sich an Katastrophen ausmalen kann.

Die einen schicken Stoßgebete nach oben, damit es gutgeht, die anderen vertrauen auf Glücksbringer aller Art und auf das ungezählte Male ausgerufene «Toi, toi, toi». Mit unsicherem Erfolg.

Verhindern ließen sich die kleinen und großen Katastrophen noch nie, sie verfolgen die Musiker ein Leben lang, manchmal schon vom allerersten Auftritt an. Mir ist es so gegangen, im sonnigen Alter von sechs Jahren, als ich gerade mit der Geige angefangen hatte und in einer jener Leistungsschauen mitspielen sollte, in denen musizierende Kinder ihren stolzen Eltern vorführen, was sie schon alles auf ihrem Instrument gelernt haben. Selbstverständlich war ich höllisch aufgeregt, und das Herz klopfte mir bis zum Hals, als ich zusammen mit den anderen Schülern unserer Geigenlehrerin hinter der Bühne des Purcell-Saals im Londoner South Bank Centre Aufstellung nahm. Gleich würde es so weit sein, nur die Schwingtür zur Bühne trennte uns noch von der großen Bewährungsprobe.

Die Schwingtür! Mit leichtem Schauder denke ich noch heute an sie. Hinaus aufs Podium war alles gut gegangen. Unter dem Beifall des Publikums waren wir Kinder im Gänsemarsch auf die Bühne gezogen, hatten uns im Halbkreis aufgebaut und warteten auf unseren Einsatz. Mein Platz war hinten in der Mitte, direkt vor der Schwingtür, und das war mein Verhängnis. Für einen kurzen Moment muss ich mich ein wenig zu weit nach hinten gelehnt haben, jedenfalls gab die Tür nach, ich verlor den Halt und flog mitsamt meiner Geige rückwärts, während sich die Tür sofort wieder schloss. Ende des Auftritts, bevor er richtig begonnen hatte. Zwar habe ich mich schnell berappelt und bin mit hochrotem Kopf auf die Bühne zurückgekehrt, aber das Riesengelächter, für das ich bei meinem Einstieg ins Konzertleben gesorgt hatte, klingt mir noch immer in den Ohren.

Am Anfang war die Panne

Wenn es stimmt, dass die Musik vor Tausenden von Jahren von dem legendären thrakischen Sänger Orpheus erfunden wurde, kommt man an der Erkenntnis nicht vorbei, dass ihre Geschichte gleich mit einer Panne begonnen hat. Oder sagen wir richtiger: mit einem Desaster, denn was damals passiert sein soll, war verhängnisvoll und tragisch: Die Karriere des ersten musikalischen Superstars endete in einer persönlichen Katastrophe.

Dabei hatte alles so gut angefangen. Orpheus konnte singen wie ein Gott, schöner und strahlender als Farinelli, Caruso und Pavarotti zusammengenommen, und er beherrschte die siebensaitige Kithara, auf der er sich selbst begleitete, wie kein Zweiter. Wo immer er auftrat, zog er das Publikum mit seinen Liedern in den Bann, versetzte es in jubelnde Begeisterung und rührte es zu Tränen. Ob Hirten, Nymphen oder Philosophen, die Antike lag ihm geschlossen zu Füßen, und hätte es schon Fan-Clubs gegeben, wäre bestimmt die ganze Welt damals Mitglied geworden.

So lief es, bis eines Tages seine Frau, die schöne Eurydike, von einer Schlange gebissen wurde und starb. Für den begnadeten Sänger eine Katastrophe, er hatte das Liebste verloren, das er neben der Musik besaß. Es bedeutete das Ende seiner Laufbahn, das Aus für seine Kunst.

Doch auf diesem Tiefpunkt seiner Künstlerexistenz entschloss sich Orpheus, alles auf eine Karte zu setzen und das Unmögliche zu versuchen: Er stieg in den Orkus hinab, um Eurydike von den Toten zurückzuholen, mit Hilfe der Musik.

Zwar war es jedem Lebenden verboten, den Grenzfluss zur Unterwelt zu überqueren, aber Orpheus versetzte den Fährmann mit seinem Gesang derart in Trance, dass er dessen Boot entwenden konnte und ans andere Ufer kam. Dort lauerte das nächste Hindernis, der beißwütige Höllenhund Zerberus, der ebenfalls sehr empfänglich war für Musik und den singenden Orpheus passieren ließ.

Blieb nur noch Hades, der allmächtige Chef der Unterwelt, ohne dessen Genehmigung nichts aus der Rückholaktion werden würde. Doch auch er kapitulierte vor der Macht der Musik und ließ Eurydike frei. Einzige Bedingung: Auf dem Weg nach oben dürfe sich Orpheus keinesfalls nach seiner Frau umsehen.

Er tat es bekanntlich doch, mit der Folge, dass Eurydike kehrtmachen und in das Schattenreich zurückkehren musste, diesmal unwiderruflich und für immer. Und während sie wieder hinab in den Orkus wanderte, verbrachte Orpheus noch einige Zeit traurig auf der Erde, ehe ihn sein göttlicher Vater Apoll auf den Olymp holte. Gesungen hat er seit seiner Höllenfahrt nie mehr.

Natürlich ist alles nur eine Sage, aber so wie bei anderen Mythen auch sind im Kern manche Wahrheiten verborgen. Beispielsweise, dass die Musik eine große Macht ist, eine Menge vermag, wenn man sie lässt, und sogar die ganze Welt verzaubert, sofern sie Gelegenheit erhält, zu den Menschen zu sprechen. Auch dass Stars und Idole schnell vom Sockel stürzen können, gibt uns der Orpheus-Fall zu denken; dass Ruhm und Karrieren nicht ewig halten, sondern oft von jetzt auf gleich verblassen und vergehen, vom Publikum kaum weniger begierig verfolgt wie zuvor der Aufstieg an die Spitze.

Schließlich macht die Sage klar, dass Störfälle von Anfang an dazugehören, dass es sie zu allen Jahrhunderten der Musikgeschichte gegeben hat, wenn auch glücklicherweise nur selten von so großer Tragik. Doch auch die schlimmen Desaster und verhängnisvollen Katastrophen sind vorgekommen, einige sogar mit tödlichem und bis heute rätselhaftem Ende.

Umso schöner, dass viele Pannen zwar im Gedächtnis, aber gleichwohl ohne dramatische Folgen geblieben sind, Zwischenfälle, die im Augenblick der Entstehung im höchsten Maß erschreckten, sich aber mit Geistesgegenwart und Eleganz meistern ließen und mit befreitem Lachen aller Beteiligten endeten.

Katastrophen faszinieren

Es führt kein Weg daran vorbei, auch wenn sich wohl nie restlos klären lassen wird, warum: Katastrophen faszinieren. Nicht etwa bloß die Ereignisse von apokalyptischen Ausmaßen, wenn die Natur den Höllenschlund zu öffnen scheint und die entfesselten Elemente ganze Völker in den Abgrund reißen. Auch nicht allein die von den Menschen selbst verursachten Fälle, die massenhaft Tod und Verderben bringen und überall Angst und Schrecken verbreiten. Es gilt ebenso für die vergleichsweise kleinen Katastrophen, die sich im Alltag zutragen und nur wenige betreffen.

Jedes Unheil übt eine merkwürdige, fast magische Anziehungskraft aus. Selbstverständlich nur auf diejenigen, die nicht selbst zu den Leidtragenden gehören, sondern sich auf die Zuschauerrolle beschränken können, mit gehörigem Sicherheitsabstand zum Geschehen. Das ist keine Besonderheit unserer Zeit, es war schon früher so, wie sich beispielsweise in Goethes «Faust» nachlesen lässt: «Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen», spricht dort bekanntlich der brave Bürger, «als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten, weit, in der Türkei die Völker aufeinander schlagen.»

Was einst der Stammtisch leisten musste, erledigt inzwischen der moderne mobile Katastrophentourismus. Wahre Pilgerströme von Schaulustigen setzen sich, wann immer irgendwo etwas Schreckliches passiert, wie von selbst in Marsch, um den Ort des Schreckens aus nächster Nähe in Augenschein zu nehmen und das Entsetzliche gleichsam hautnah nachzuerleben.

Man könnte auf die Idee kommen, da sei ein Impuls im Spiel, wie man ihn fälschlicherweise den Lemmingen nachgesagt hat, eine geheimnisvolle Kraft, mit der das tödliche Verhängnis immer neue Opfer anlockt. Aber vermutlich geht das zu weit. Wahrscheinlicher ist, dass die menschliche Psyche dann und wann ganz einfach Lust auf Gänsehaut und Grusel verspürt, je realer, desto besser. Horrorfilme und Geisterbahn auf dem Jahrmarkt können auch schon einiges bieten, aber erst die Wirklichkeit vermittelt wahre Befriedigung. Man möchte den Schauder des Entsetzlichen ganz authentisch fühlen und unverfälscht empfinden, wie es einem eiskalt den Rücken hinunterläuft – und dann in dem wohligen Bewusstsein wieder heimgehen, wie gut man es doch hat.

Und was ist mit den kleinen Katastrophen, denen man begegnet? Es gibt sie ja reichlich, die eher harmlosen Störfälle und Pannen im öffentlichen Leben, die für die Beteiligten zwar ärgerlich genug sind, aber keine schlimmen Folgen haben. Sie kommen täglich vor, in allen Bereichen. Zum Beispiel, wenn während der TV-Nachrichten der Teleprompter ausfällt und der Sprecher heillos ins Stammeln gerät oder wenn ein Politiker am demonstrativen Verlassen des Saals gehindert wird, weil die Türen verschlossen sind, oder dem Fußballprofi beim Fallrückzieher die Hose über die Knie rutscht.

Oder nehmen wir, um zum Thema dieses Buches zu kommen, die kleinen oder größeren Unglücksfälle in der Musik, an denen gleichfalls noch nie Mangel war. Die Skala der Möglichkeiten ist unendlich: Einem Dirigenten kann beim Fortissimo-Einsatz der Taktstock aus der Hand fliegen, der Sängerin das Dekolleté verrutschen, dem Pianisten der Flügel wegrollen oder dem Liebespaar in «Aida» beim letzten Duett die Pappmaché-Pyramide auf den Kopf fallen.

Auch solche Vorkommnisse haben ihre Attraktion. Und fragt man nach dem Grund, kommt man gleichfalls auf verborgene Wünsche und Bedürfnisse. Die Schadenfreude gehört dazu, das klammheimliche Vergnügen, dass ausgerechnet dem ein Missgeschick passiert, der doch so perfekt und fehlerfrei erschien und seine Überlegenheit womöglich auch gern zur Schau gestellt hat. Solchen Typen gönnt man ein bisschen Pech von Herzen, auch wenn man es eigentlich nicht darf, weil sich Freude über fremdes Ungemach nicht gehört. Darüber zu lachen, haben wir alle irgendwann einmal gelernt, ist bösartig und nicht weit entfernt von Niedertracht und Häme.

Aber nicht nur das. Denkbar ist auch, dass eine geheime Lust am Destruktiven mit im Spiele ist, eine unterschwellige Lust am Chaos, die ein Ventil braucht, es aber in der wohl geordneten bis streng geregelten Gesellschaft nur schwer finden kann. Hin und wieder liest man ja davon, dass so mancher gesittete Bürger genug hat von dauernder Reglementierung und öder Routine und in seinem tiefsten Innern davon träumt, es mal richtig krachen zu lassen und fröhlich mit anzusehen, wie alles drunter und drüber geht. Aber wer traut sich schon? Und selbst wenn – wem würde es schon in großem Stil gelingen?

Wie schön, wenn dann wenigstens ab und zu andere oder auch der Zufall dafür sorgen, dass die Ordnung auf der Strecke bleibt, nicht dauerhaft natürlich, aber doch für einen befreienden Moment. Hinterher soll schon alles wieder in die vorgeschriebenen Bahnen zurückfinden, und ernsthaft zu Schaden kommen soll auch niemand, man möchte schließlich als Zuschauer hinterher kein schlechtes Gewissen haben.

In der Musik wird Ordnung aus guten Gründen besonders groß geschrieben, mehr noch, sie ist lebenswichtig – musizieren ohne die Einhaltung strenger Regeln kann man nicht. Schon kleinste Pannen fallen auf, selbst minimale Störfälle können fatale Folgen haben. Und weil das so ist, legen Musiker größten Wert auf Perfektion, auch wenn ihnen bewusst ist, dass von der ersten bis zur letzten Sekunde ihres Spiels Gefahr droht.

Schon ganz früh in meinem Geigenunterricht hat dieses Thema eine Rolle gespielt. Ich kann mich gut daran erinnern, wie mich mein Lehrer fragte, was ich denn tun würde, wenn ich beim Spielen plötzlich den Faden verliere und nicht mehr weiß, wie es weitergeht. Erwartet hatte er die Antwort: «Ich gehe zum Klavier und werfe dort einen Blick in die Noten.»

So viel Routine hatte ich damals als kleiner Junge aber noch nicht. Deshalb sagte ich: «Lächeln.» Heute weiß ich, dass das nicht ganz falsch war. The show must go on!

Drei Silben und ein frommer Glaube

Ich weiß nicht, wie oft ich die drei geheimnisvollen Silben schon gehört habe. Zehntausend-, hunderttausendmal? Vielleicht sogar noch häufiger. Drei Silben, die Glück und Erfolg bringen und Unheil abwenden sollen. Natürlich Aberglaube, was sonst! Wir sind doch schließlich alle aufgeklärte Menschen, denken rational und vernünftig und sind gefeit gegen allen übersinnlichen Firlefanz.

Bisher habe ich kaum jemanden getroffen, der ernsthaft von der segensreichen Kraft des «Toi, toi, toi» überzeugt war. Zumindest wollte es keiner zugeben, weder Musikerkollegen noch Künstler aus anderen Bereichen. Allen ist bewusst, dass es einzig und allein auf ihre eigenen Kräfte und Fähigkeiten ankommt, wenn sie hinausgehen auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Nichts und niemand kann einem helfen bei der großen Bravourarie, dem heiklen Monolog oder dem teuflisch schweren Solo. Keine Hasenpfote in der Hosentasche, kein Glückspfennig im Geigenkasten und auch kein «Toi, toi, toi» vor dem Auftritt wird garantieren, dass man heil durchkommt. Selbst auf die günstigen Vorzeichen, denen so viel positive Wirkung zugetraut wird, sollte sich niemand verlassen. Den meisten, wenn nicht allen, ist das völlig klar.

Wehe allerdings, man hat das seit Jahren sorgsam gehütete Amulett zu Hause vergessen, oder die Freunde haben versäumt, einem vor dem Auftritt in der bekannten Manier dreimal über die Schulter zu spucken! Schweiß und Panik brechen aus. So etwas muss ja Unglück bringen, durchfährt es den betroffenen Künstler, und resignierend findet er sich damit ab, dass der Abend wohl böse enden wird. Und fragt man in solchen Fällen, wo denn der gebotene Realismus bleibe, bekommt man zur Antwort: Mögen Glücksbringer und traditionelle Segenswünsche auch nichts nützen und gute Vorzeichen nur trügen – schaden könnten sie ja wohl keinesfalls.

Es lebe die Rückversicherung!

Regelwerk fürs Glück

Mir fällt da ein alter Cellist ein, sehr klug, sehr belesen und, wie ich bei unserem Zusammentreffen unmittelbar vor einem gemeinsamen Konzert feststellen sollte, ein wahrer Philosoph. Der Dirigent des Abends hatte einen Knopf an seinem Frack verloren, und eine hilfsbereite Flötistin bot sich an, ihn wieder anzunähen, und zwar gleich so, ohne dass er die Jacke auszog. Ich kann mich gut an das entsetzte Gesicht des Maestros erinnern. «Um Himmels willen!», wehrte er ab. «Bloß kein Kleidungsstück am Leibe flicken! Das bringt Unglück!» Und der Cellist nickte zustimmend.

Inzwischen weiß ich, dass Knopfannähen direkt am Körper nach altem Aberglauben nichts Gutes verheißt, sondern im Gegenteil ein ähnlich böses Omen ist wie Salzverschütten oder herunterfallende Bilder. Damals hatte ich keine Ahnung davon, dafür aber einen schönen Aphorismus von Oscar Wilde im Kopf, und den konnte ich mir in diesem Augenblick nicht verkneifen: «So etwas wie ein Omen gibt es nicht. Das Schicksal sendet uns keine Herolde. Dazu ist es zu weise oder zu grausam.»

«Soso», lächelte mich der Cello-Kollege freundlich an, «hat er das gesagt, der alte Spötter. Schade nur, dass er schon tausendfach widerlegt worden ist.» Und weil er sich wie die übrigen Orchestermusiker bereitmachen musste, seinen Platz auf der Bühne einzunehmen, beließ er es bei einem einzigen Namen, den er mir, schon im Weggehen, zuraunte: «Denken Sie an Kaiser Konstantin im alten Rom!»

Ich muss zugeben, dass ich in diesem Augenblick nichts mit seinem Hinweis anfangen konnte. Erstens hatte ich mich auf Max Bruchs Violinkonzert zu konzentrieren, und zweitens war ich in antiker Geschichte nicht gerade das, was man sattelfest nennt. Klar war mir nur, dass es nicht um das Annähen von Knöpfen gegangen sein konnte.

In der Pause hat mir der Cellist dann auf die Sprünge geholfen. Er meinte das berühmte «In hoc signo vinces», das strahlende Kreuz am Himmel als Vorzeichen von Konstantins Sieg in einer entscheidenden Schlacht. Aber welcher Musiker hat schon solche Visionen vor seinem Auftritt? Der alte Herr ließ sich nicht beirren. «Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich unsere Schulweisheit träumen lässt», sagte er, das Wort von Shakespeare würde ich ja wohl kennen. Und wir modernen Menschen sollten nicht so tun, als hätten wir für alles eine Erklärung.

Nicht dass mich der Cellist zum Aberglauben bekehrt hat, aber so ganz sicher war ich nicht mehr, dass es sich bei allem, was da so an Übersinnlichem, Okkultem und Mystischem durch unser Leben geistert, tatsächlich nur um Humbug handelt. Kann es nicht am Ende sein, dass die Sache mit dem «Toi, toi, toi» doch ihre guten Gründe hat?

Wölfe mit Spucke

Ich begann mich für die Sache zu interessieren und vertiefte mich in alle möglichen Schriften über die eigenartigen Formeln, mit denen Glück gewünscht wird. Das heißt, nicht Glück, sondern immer genau das Gegenteil, und dies in aller Welt. In Frankreich hatte mir ein Mitstreiter auf dem Weg zur Bühne «Je vous dis merde» zugeraunt. Ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben! Merde? Er wünschte mir Sch …?

Nicht viel besser erging es mir in Italien. «In bocca al lupo!», raunte mir jemand vor einem Konzert zu, und als ich ihn völlig verständnislos ansah, sagte er nur, ich müsse mit «Crepi il lupo!» antworten. Hinterher habe ich im Wörterbuch nachgeschlagen und begriffen, dass er mir das «Maul des Wolfes» an den Hals gewünscht hatte und ich daraufhin mit der Parole «Tod dem Wolf» zu reagieren hatte. Angeblich geht der Spruch auf die kapitolinische Wölfin zurück, von der Romulus und Remus gesäugt wurden, bevor sie Rom gegründet haben. Meine russischen Freunde erzählten mir, dass man zum Schulterklopfen gleich «Geh zum Teufel!» sagen müsse und sich niemals bedanken dürfe.