Corinna Griesbach (Hrsg.)

Schwimmbad 1967

 

 

Haller 14

 


Corinna Griesbach (Hrsg.)

SCHWIMMBAD 1967

 

Haller 14

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© dieser Ausgabe: Juni 2017

Corinna Griesbach, die Autoren & Künstler &

p.machinery Michael Haitel

 

Titelbild: Michael Haitel unter Verwendung von Fotos von Petra Dirscherl, pixelio.de, und Corinna Griesbach

Fotografien: Corinna Griesbach

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda, Xlendi

Lektorat: Corinna Griesbach, Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda, Xlendi

 

HALLER im Verlag p.machinery Michael Haitel

Ammergauer Str. 11, 82418 Murnau am Staffelsee

www.haller.pmachinery.de

www.literaturzeitschrift-haller.de

 

ISSN: 1869 4624

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 096 2

 


 

Corinna Griesbach (Hrsg.)

Schwimmbad 1967

HALLER 14

 


Haller 14 - Schwimmbad 1967


Vorwort

 

 

Ihr Lieben! Ein Gruß aus dem Seebad,

dem Seebad der Werktätigen! Wir senden

euch herzliche Urlaubsgenüsse – Rita

meint Grüße – und Edith ruft: Küsse!

Leider doch sind wir hier wetterbedingt

nicht sehr zufrieden. Nein,

wettermäßig hoffen wir auf Besserung!

Die Kinder, die haben schon tüchtig

gebadet. Wir nur mal ganz kurz.

Erste und zweite, ja letzte

Urlaubswoche: Regen. Die sieben

der Wunder von Jena. Hoffen auf

Besserung aller Werktätigen!

Rita und Thomas und Edith.

 

Ein Fundstück, eine alte Postkarte aus Jena, deren Text erst nach mehrmaligem Lesen seine poetische Wirkung entfaltet, war Inspiration für das Thema dieses Heftes.

Die Kombination von Ort und Zeit – in der Ausschreibung war zur Anregung das Jahr 1967 genannt – lassen die HALLER-14-Autoren von unterschiedlichsten Bädern und Badeerlebnissen erzählen.

Ihre Geschichten und Stimmungsbilder aus verschiedenen Zeiten zeugen von der Angst vor dem Sprung, Haien im Wörthersee und einem kleinen Woodstock. Mit Polyurethan als Geschäftsidee lenkt uns Regina Schleheck nur scheinbar mit Leichtigkeit durch gesellschaftliche Gefechte, die auch im Wasser ausgetragen werden. Zigaretten und Bier, Wassereis, Einsamkeit und Stille fügen sich zu einem Kosmos aus Erwartung, Freude und Traurigkeit zusammen. Der unsichtbare Grund eines unheimlichen Bassins und eine traumatisch anmutende Nachkriegscollage bringen Düsternis – und in Axel Böllings Text die von ihm bekannte Gnadenlosigkeit in der Beobachtung – in die Sammlung.

 


Haller 14 - Schwimmbad 1967


Susanne Mathies: Sprung

 

 

Ich zahle Eintritt, einsfünfzig, eine Saisonkarte habe ich nicht. Schließlich bin ich nicht sportlich. Sportlich sind nur die Peinlichen, die Heintje oder Peggy March hören.

Die Frau an der Kasse schaut kaum hoch von ihrer Bravo, als ich ihr das Geld hinlege und ein Ticket abreiße. Warum wundert sie sich nicht, dass jemand bei diesem Regenwetter ins Schwimmbad möchte? Sicher ist sie sauer, dass sie heute arbeiten muss, obwohl nichts los ist.

Der Betonboden in der Umkleidekabine fühlt sich kalt und feucht an unter meinen nackten Füßen, als ich die enge Badekappe über die Haare zerre und in den Badeanzug steige. Eigentlich ist er zu eng, und ich weiß, dass die unteren Nähte hässliche Dellen in meinen Hintern drücken. Aber heute sieht mich niemand. Ich brauche nicht einmal den Bauch einzuziehen auf dem Weg über das nasse harte Gras, einmal um das Schwimmerbecken herum, bis zu den Treppen zum Sprungturm.

Hoch oben ragt das Zehnmeterbrett über das Bassin.

Die hölzernen Stufen mit den Metallrillen fühlen sich warm an. Beim Klettern halte ich mich an den beiden weiß gestrichenen Metallgeländern fest, das ist in Ordnung, das macht man so. Die Dreimeterplattform überquere ich locker, als ob es ein normaler Treppenabsatz wäre, und der Fünfmeterabsatz ist lächerlich schnell erreicht.

Als ich den ersten Fuß auf die Leiter zum Zehnmeterbrett setze, vibriert das Gestell unter meinem Gewicht. Bin ich wirklich so schwer? Bei jedem Schritt halte ich das Geländer fest umklammert, während mein Körper mich nach unten ziehen will. Es ist windig hier oben. Eine Haarsträhne hat sich aus der Badekappe gelöst, weht mir in die Augen, das lässt sich jetzt nicht ändern.

Die obere Plattform wirkt solide, mit Gummiteppich ausgelegt, überall kann man sich festhalten, nur vorn schwingt das Sprungbrett.

Ich gehe bis zum Rand der Plattform und schaue auf das kleine türkisfarbene Rechteck unter mir. Niemand schwimmt dort. Ich bin allein. Niemand merkt, ob ich mich traue oder nicht.

Wenn man aus dieser Höhe in die Tiefe springt, kann viel passieren. Ich habe von Leuten gehört, die im falschen Winkel auf dem Wasser aufkommen und vom Aufprall ohnmächtig werden. Wenn dann nicht sofort jemand kommt, kann man ertrinken.

Mein Körper leblos im leuchtend blauen Wasser, weiß und schwammig im zu engen schwarzen Badeanzug, das gibt keine schöne Leiche. Durch das kalte Wasser schrumpft der Körper, dann wirke ich schlanker, aber vielleicht auch schrumpelig und violett angelaufen, alle werden sich vor mir fürchten. Gestern habe ich noch mit ihr gesprochen, wird Peter sagen, die hat sich ja noch nicht mal vom Einmeterbrett getraut, vielleicht hat sie jemand reingeworfen, sie konnte ja richtig eklig sein, und dann wird er sich umdrehen und wieder mit Eva knutschen. Mit Zungenkuss, hat sie gesagt, und das mit vierzehn, und obwohl sie sich noch nicht lange kennen. Im Februar hat er mir noch eine Valentinskarte geschickt.

Bestimmt ist sie ausgerutscht, sie ist immer so ungeschickt, wird meine Mutter sagen und weinen, sie weint gern. Mein Vater wird nichts sagen, das Familienleben ist nichts für ihn, er hat es zu spät gemerkt, am liebsten hat er seine Ruhe.

Der Rettungswagen wird mich ins Krankenhaus bringen, aber die Wiederbelebungsversuche werden nicht helfen. Bei der Obduktion werden sie die Fettschicht meiner Bauchdecke durchtrennen und die Schokolade in meinem Magen finden, nach dem Essen schwimmen, werden sie sagen, das kann nicht gut gehen.

 

Nein, ich werde jetzt nicht sterben.

Helden überleben alles, das weiß man doch aus dem Kino, Belmondo springt aus dem Flugzeug. Ich werde eine Heldin sein, auch wenn niemand etwas davon weiß.

Man muss Anlauf nehmen, bevor man springt, dann noch kurz die Wippbewegung des Brettes ausnutzen, das habe ich schon oft von der Liegewiese aus beobachtet, allein mit meinem Transistorradio auf dem kleinen Handtuch, die Füße passen nicht mit drauf, I can’t get no Satisfaction. Alles Angeber, habe ich gedacht.

Helden springen, wenn keiner zuschaut.