Sophienlust – 199 – Das Hochzeitsgeschenk –eine Tochter

Sophienlust
– 199–

Das Hochzeitsgeschenk –eine Tochter

Wie für Georg ein Traum in Erfüllung geht

Elisabeth Swoboda

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-100-1

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Georg Glaser stand vor dem offenen Kamin, in dem ein Feuer brannte, und fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut. Er bedauerte, überhaupt zu dieser Party seiner Schwester gekommen zu sein. Es gab hier nichts, was ihn hätte fesseln können, ausgenommen vielleicht eine junge Dame unter den Gästen. Aber gerade diese war in Begleitung da.

Kein Wunder, dachte Georg. Sie ist so hübsch und sympathisch, und so eine Frau ist natürlich längst in festen Händen. Halb unbewusst sah er sich um, bis seine Blicke die Gesuchte trafen.

Marianne Schwab saß auf einem Sofa und hielt ein Glas in der Hand, das noch so voll war, dass sie kaum davon genippt haben konnte. An der Party schien sie ebensowenig Gefallen zu finden wie Georg Glaser.

Ohne lange zu überlegen strebte der junge Mann auf das Sofa zu, deutete auf den leeren Platz neben der jungen Frau und fragte: »Darf ich?«

»Selbstverständlich«, erwiderte Marianne. Sie rückte ein wenig zur Seite und starrte weiterhin selbstvergessen auf ihr Glas.

Georg räusperte sich, aber das Mädchen schenkte ihm keine Beachtung. Georg musterte sie verstohlen und fand, dass sein erster Eindruck nicht getäuscht hatte. Die junge Dame war ausgesprochen anziehend. Lange dunkle Haare rahmten ihr Gesicht ein und fielen in sanften Wellen auf ihre Schultern herab. Ihre Nase war klein, ihr Mund schön gezeichnet. Ihre Augenfarbe konnte Georg nicht erkennen, weil sie ihm das Profil zuwandte und den Blick gesenkt hatte. Georg bedauerte, dass er sie nicht schon früher und in einer anderen Umgebung kennengelernt hatte. Die junge Dame wirkte frisch und natürlich, aber hier, auf dieser lärmenden Party, die in ein Saufgelage auszuarten drohte, fehl am Platz.

Georg zermarterte sich den Kopf, wie er ein Gespräch mit der Besucherin beginnen könnte, und fragte schließlich: »Kennen Sie meine Schwester schon lange, Frau Schwab?«

»Ihre Schwester? Ach so, unsere Gastgeberin, Frau Rumpler. Nein, ich kenne sie erst seit einem halben Jahr, seit ich mit Fritz verlobt bin. Er und Herr Rumpler sind sehr gute Freunde.«

Marianne verstummte, und nun herrschte wieder Schweigen, bis Georg murmelte: »Seit einem halben Jahr sind Sie also verlobt?«

»Ja. Ist daran etwas Besonderes?«

Die Stimme der jungen Frau kam Georg ein wenig feindselig vor. »Nein, natürlich nicht«, beeilte er sich zu versichern. »Mir ist nur eingefallen, dass es in meinem Leben vor einem halben Jahr ebenfalls einen großen Wandel gab. Ich ließ mich damals in Stuttgart nieder und gründete eine eigene Firma.«

»Ach so.« Sie wandte sich Georg nun voll zu.

Dadurch sah er, dass ihre Augen dunkelbraun, fast schwarz waren. Ein bisschen Interesse dämmerte in ihnen, als sie sich erkundigte: »Was für eine Firma?«

»Inneneinrichtung. Ich habe etliche Jahre in Schweden in einer großen Möbelfirma gearbeitet, bis ich es dann doch an der Zeit fand, mich selbstständig zu machen.«

»Und? Haben Sie Erfolg?«

»O ja. Es ist mir gelungen, ein paar größere Aufträge zu ergattern. Ich glaube – das heißt, ich will mich nicht selbst loben –, meine Kunden waren bisher zufrieden.«

Marianne lachte über Georgs Gestotter, und er beobachtete fasziniert, wie sich dabei in ihren Wangen Grübchen bildeten.

»Haben Sie auch das Haus Ihrer Schwester eingerichtet?«, fragte Marianne.

»Nein«, wies Georg ihre Vermutung ziemlich entrüstet von sich.

Marianne lachte wieder und meinte: »Offenbar gefällt Ihnen der Stil nicht.«

»Das Haus hat keinen Stil«, entgegnete Georg. »Nicht einmal das Feuer im Kamin ist echt. Es sind Gasflammen.«

»Deshalb haben Sie vorhin so finster hineingestarrt!«, rief Marianne.

»Haben Sie mich beobachtet?«, fragte er erfreut.

Die junge Frau errötete. »Nein. Nicht …, nicht Sie allein. Ich habe alle Anwesenden mehr oder weniger beobachtet. Etwas Vernünftigeres gab es ja hier nicht zu tun.«

»Finden Sie die Party langweilig? Soll ich meiner Schwester sagen …«

»Nein, bitte nicht«, unterbrach Marianne ihn. »Helene gibt sich große Mühe. Sie rennt hin und her, immer darauf bedacht, dass alle genug zu trinken, zu essen und zu rauchen haben. Außerdem muss es an mir liegen, dass ich mich nicht amüsiere. Alle anderen unterhalten sich blendend.«

»Das mag stimmen«, meinte Georg langsam. Sein Blick überflog eine Gruppe von Herren, in deren Mitte sich sein Schwager befand. Emil Rumplers fleischiges Gesicht war unnatürlich gerötet. Er stand nicht mehr ganz sicher auf seinen Beinen, aber er lachte laut und dröhnend, und die anderen fielen mit der gleichen Lautstärke in sein Gelächter ein.

»Ich bin das erste Mal bei einer Party von Emil und Helene«, sagte Georg stirnrunzelnd. »Eingeladen hatte Helene mich schon öfters, aber ich war aus Zeitmangel bisher immer gezwungen abzusagen. Geht es hier immer so zu? Ich meine, diese Ströme von Alkohol. Nicht, dass ich gegen ein Glas hie und da etwas einzuwenden hätte. Ich bin kein Abstinenzler, aber das hier …« Er stockte.

Von Marianne kam als Antwort nur ein leiser Seufzer. Georg beschloss sofort, das Thema, das ihr unangenehm zu sein schien, zu wechseln. Er sagte: »Ich fürchte, Sie gewinnen einen schlechten Eindruck von mir, wenn ich hier sitze und alles schlechtmache. Reden wir von etwas anderem. Ich habe Ihnen von meinem Beruf erzählt. Was ist mit Ihnen? Was treiben Sie den ganzen Tag lang?«

»Sie haben mir genaugenommen so gut wie gar nichts über Ihren Beruf erzählt«, stellte Marianne richtig. »Nur die nackte Tatsache, dass Sie Innenarchitekt sind, erwähnten Sie. Ich bin Lehrerin.«

»Lehrerin? Das sieht man Ihnen nicht an.«

»Wie bitte?«

»Ich wollte nur sagen, dass Sie viel zu hübsch sind. In meiner Vorstellung sind Lehrerinnen vertrocknete, verknöcherte Geschöpfe.«

»Ihre Vorstellung ist nicht nur völlig falsch, sondern geradezu …, geradezu eine Verleumdung«, empörte sich Marianne.

»Ja, das sehe ich jetzt ein«, lenkte Georg lachend ein.

Marianne konnte nicht anders, sie musste in sein Lachen einstimmen. Er gefiel ihr. Er wirkte so jung und lebendig mit seinem blonden Haarschopf, seinem offenen Gesicht und seinen aufrichtigen grauen Augen. Obwohl – ganz jung konnte er nicht mehr sein. Er hatte von Jahren in Schweden gesprochen und legte außerdem eine gewisse gelassene Selbstsicherheit an den Tag. Marianne schätzte ihn auf ungefähr dreißig Jahre, und das entsprach der Wirklichkeit ziemlich genau. Auf alle Fälle, so meinte sie, ist Herr Glaser jünger als Fritz, der … Marianne hörte abrupt auf zu lachen und biss sich auf die Lippen.

»Was ist los?«, fragte Georg.

»Nichts«, entgegnete sie einsilbig. »Ich habe nur … Ach, nichts.« Sie konnte ihm unmöglich erklären, dass sie ihn soeben mit ihrem Verlobten verglichen hatte.

Als ob Mariannes Gedankengang diesen angelockt hätte, stand Fritz Baumgartner plötzlich vor dem Sofa. Ohne sich um Georg zu kümmern, beugte er sich über die junge Frau und versuchte es hochzuziehen. »Wollen wir t-tanzen?«, forderte er sie auf.

»Tanzen? Hier?«

»Nein. D-drüben, im Salon.« Sein unverkennbarer Zungenschlag bewies, dass er in punkto Alkoholkonsum seinem Freund Emil Rumpler nicht nachgestanden hatte.

Marianne erhob sich. Sie blickte auf ihre Armbanduhr und sagte mit gelassener Bestimmtheit: »Es ist spät geworden. Wir werden nicht tanzen, sondern heimfahren. Wir werden meinen Wagen nehmen. Ich setze dich bei dir zu Hause ab. Dein Auto kannst du dann morgen holen.«

»Wie um-umständlich. D-denkst du, ich bin betrunken?«

»Was ich denke, spielt keine Rolle. Viel wichtiger ist, was ein Polizist denken könnte, wenn er dich anhält«, entgegnete Marianne ruhig.

»Ist mir egal, was ein P-polizist denkt«, sagte Fritz Baumgartner störrisch.

Georg konnte den Widerwillen, der gegen diesen Mann in ihm aufstieg, kaum verbergen. Er fand, dass er ganz und gar nicht zu einer so prächtigen Frau wie Frau Schwab passte. Da war nicht nur das unmögliche Benehmen des Mannes, an dem allerdings außer ihm, Georg, niemand Anstoß zu nehmen schien, sondern auch ein beträchtlicher Altersunterschied zwischen Fritz Baumgartner und seiner Verlobten. Der Mensch ist mindestens fünfundvierzig, dachte Georg. Später erfuhr er allerdings, dass Herr Baumgartner erst achtunddreißig war.

Ich verstehe nicht, was eine Frau wie Frau Schwab an dem Mann finden kann, überlegte Georg weiter. Er betrachtete Fritz Baumgartner, der schwankend dastand und sich an Marianne klammerte, mit wachsender Abneigung. Vielleicht war Mariannes Verlobter in nüchternem Zustand annehmbar, doch im Augenblick bot er keinen erfreulichen Anblick. Sein Gesicht wirkte aufgedunsen, seine knollige Nase war viel zu rot, und seine hellen blauen Augen blinzelten wässrig und klein auf Marianne herab. Seine Krawatte war verrutscht, den obersten Kragenknopf hatte er geöffnet. nur sein Anzug war makellos. Er saß faltenlos auf seiner stämmigen Gestalt, musste also teuer gewesen sein.

»Ob es am Geld liegt?«, fuhr es Georg durch den Sinn. Nein, das konnte es nicht sein. Eine Frau wie Marianne Schwab würde sich nicht verkaufen, wies er sogleich sich selbst zurecht.

»Komm, ich will t-tanzen«, quengelte Fritz, nachdem er Marianne eine Weile unschlüssig angestarrt hatte.

»Sei vernünftig«, bat das Mädchen. »Erstens tanzt hier niemand, und zweitens ist es viel zu spät.«

»Wir haben massenhaft Z-zeit. Morgen ist S-sonntag …«

»Heute ist Sonntag«, verbesserte Marianne. »Es ist nämlich halb drei Uhr morgens. Höchste Zeit aufzubrechen.«

»Wie du meinst.« Fritz gab sich nun fügsam. »Aber mein Auto lasse ich nicht stehen. Ich bin sehr gut imstande zu fahren.«

»Möglich. Trotzdem ist es besser, wenn du mit mir fährst. Schließlich willst du deinen Führerschein behalten, nicht wahr?«

Georg Glaser konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Marianne Schwab mit ihrem Verlobten wie mit einem störrischen Kind spreche. Auch Fritz Baumgartner mochte etwas Ähnliches empfinden, denn er brummte: »Typisch Lehrerin. Du Sch-schulmeister-meister …« Er verhaspelte sich und brach ab.

Marianne warf nicht dem betrunkenen Fritz, sondern dem äußerlich unbeteiligt dastehenden Georg einen unfreundlichen Blick zu, fasste ihren Verlobten unter dem Arm und schob ihn zu Helene hinüber, um sich von der Gastgeberin zu verabschieden. Diese Geste gab das Signal zum allgemeinen Aufbruch.

Georg wartete, bis alle anderen gegangen waren, dann meinte er zu seiner Schwester: »Ich werde mich jetzt ebenfalls auf den Weg machen.«

»Du willst jetzt noch nach Stuttgart fahren?«, fragte Helene, die einen abgehetzten und müden Eindruck machte. »Kommt nicht in Frage. Du wirst in unserem Gästezimmer übernachten.«

»Ich will dir nicht zu viele Umstände machen«, wehrte Georg ab.

»Unsinn. Helene ist überglücklich, ihr Brüderchen gastlich umsorgen zu können.« Emils Stimme klang überlaut. Er war um keine Spur nüchterner als sein Freund Fritz, obwohl er seine Bewegungen unter Kontrolle hatte. »Trinken wir noch ein Glas, während Helene dein Zimmer richtet?«, lud er seinen Schwager ein.

»Nein, danke«, lehnte Georg ab. »Ich werde Helene helfen.«

»Fader Bursche«, knurrte Emil. »Dann muss ich es eben allein schaffen.« Er goß das reichliche Quantum, das sich noch in einer angebrochenen Cognacflasche befand, in sein Glas ein, sodass Georg ihn verblüfft anstarrte. »Worauf wartest du noch? Wolltest du nicht Helene helfen?«, fragte Emil.

»Ah – ja. Gute Nacht.«

»Gute Nacht.«

Helene hatte den Raum bereits verlassen, und Georg beeilte sich, sie einzuholen. »Es wäre wirklich nicht notwendig«, sagte er, während er mit ihr die Treppe zum ersten Stock hinaufstieg.

»Die Fahrt nach Stuttgart würde mir nichts ausmachen. Ich bin gar nicht besonders müde.«

»Willst du mich beleidigen?«, fragte Helene.

»Dich beleidigen? Wieso?«

»Indem du mir zu verstehen gibst, dass du lieber jetzt mitten in der Nacht stundenlang auf der Autobahn fahren würdest, statt in meinem Haus zu übernachten.«

»Aber, Helene! So habe ich es doch nicht gemeint«, widersprach er ihr bestürzt.

Sie zuckte mit den Schultern. »Glaubst du, ich habe nicht bemerkt, dass du an unserer Party recht wenig Gefallen gefunden hast?«, fragte sie. »Sie lag wohl nicht auf deiner Linie.«

Georg war um eine Antwort verlegen. Schließlich stellte er eine Gegenfrage: »Lag sie denn auf deiner Linie? Du hast auf mich auch nicht gerade einen heiteren Eindruck gemacht. Hast du dich gut unterhalten?«

»Ich? Aber ja. Natürlich habe ich mich gut unterhalten«, erwiderte Helene.

Georg spürte, dass sie nicht die Wahrheit sagte. Er wäre gern näher darauf eingegangen, aber für ein längeres Gespräch war der Zeitpunkt nicht geeignet. Helene wirkte erschöpft, und auch er musste plötzlich gähnen.

Helene führte ihn in das Gästezimmer, holte eine Zahnbürste und lieh ihm einen von Emils Pyjamas. »So, ich glaube, du hast jetzt alles, was du brauchst. Du weißt ja Bescheid, wo sich das Badezimmer befindet. Gute Nacht.«

»Warte, Helene! Sollte ich nicht … Ich meine, wird dein Mann nicht umkippen?«

»Emil umkippen? Wie kommst du darauf?«

»Er hat mir noch ein Glas Cognac angeboten. Ich habe abgelehnt, und die Folge davon war, dass er alles in sein eigenes Glas geleert hat.«

»Na und?«

»Es war viel. Ein Quantum, das man nicht als einen doppelten, sondern eher als eine fünffachen Cognac bezeichnen könnte.«

Helene lachte, allerdings ohne jede Spur von Fröhlichkeit. »Mach dir keine Sorgen, Emil verträgt es. Er kippt nicht um. Gibt es sonst noch etwas, das dich bekümmert?«

Georg kam sich angesichts von Helenes Sarkasmus töricht vor. »Nein, nichts«, entgegnete er. »Lass mich morgen – vielmehr heute – nicht zu lange schlafen.

Du wirst eine Menge Arbeit mit dem schmutzigen Geschirr und dem Aufräumen des Salons und des Wohnzimmers haben. Ich werde dir helfen.«

»Das brauchst du nicht. Schlaf ruhig aus. Wir werden alle länger schlafen. Unsere Putzfrau hat einen Schlüssel. Sie hat versprochen, in der Frühe zu kommen, obwohl Sonntag ist.«

»Sehr bequem für dich. Du kannst dir zu deiner Putzfrau gratulieren.«

»Wieso? Ich bezahle sie schließlich für ihre Mühe, und zwar sehr gut.«

»Ach so. Na dann – gute Nacht«, sagte Georg ziemlich lahm.

Als sich die Tür hinter seiner Schwester geschlossen hatte, streckte er sich und atmete tief ein. Emils Pyjama war ihm, wie er befürchtet hatte, viel zu weit. Die Hose rutschte, sodass er sie mit der Hand halten musste, um sie nicht zu verlieren. Es war jedoch nicht diese lächerliche Unbequemlichkeit, die ihn zunächst am Einschlafen hinderte. Es war auch nicht die ungewohnte Umgebung, sondern vielmehr das Gefühl, dass nichts mehr stimmte.