Gordimer, Nadine Niemand der mit mir geht

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Übersetzung aus dem Englischen von Friederike Kuhn

© Piper Verlag GmbH, München 2017

© Bloomsbury Publishing, London 1994

Die englische Originalausgabe erschien 1994 unter dem Titel »None to Accompany me« bei Bloomsbury Publishing in London

© der deutschsprachigen Ausgabe Berlin Verlag GmbH, Berlin 1995

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: zero-media.net

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Für Roland Cassirer

 

Wir dürfen nie fürchten, zu weit zu gehen,
denn die Wahrheit liegt jenseits dessen.

Marcel Proust

 

Niemand, der auf diesem Pfad mit mir geht:
Einbruch der Nacht im Herbst.

Basho

(Japanischer Dichter des 17. Jahrhunderts)

GEPÄCK

Und wer war das?

Es gibt immer jemanden, an den sich keiner mehr erinnert. In dem Gruppenfoto nehmen nur jene, die inzwischen prominent oder berüchtigt geworden sind oder deren Gesichter durch gemeinsam Erlebtes zurückverfolgt werden können, Raum und Zeit ein, glänzend verflacht.

Wer könnte das gewesen sein? Die baumelnden Hände und die ordentlich für die Kamera zusammengestellten Füße, das Halblächeln im Profil, den Kopf der Persönlichkeit zugewandt, die der Mittelpunkt des bewahrten Moments sein sollte. Es ist im Grunde ein Einzelbild, zu einer höheren Intensität entwickelt. Am Rande dieses Brennpunktes ist noch etwas, eine Anfügung, man könnte sie bei der Vergrößerung auch weglassen, da die periphere Gestalt im Akt des Erkennens und in der besonderen Erinnerung, die das Foto auslöst, keine Bedeutung hat.

Wenn aber jemand käme, der – warte mal! – die Gestalt erkennen würde, an die sich niemand erinnert, dann würde sich sofort eine andere Lesart des Fotos entwickeln. Etwas anderes, eine andere Bedeutung wäre da; das, was damals, auf dem Weg, auf sich genommen wurde, wäre wieder gegenwärtig. Etwas Geheimes vielleicht. Das so unscheinbar eingefangen wurde.

Vera Stark, mit ihrer Anwaltsausbildung und dem Ordnungsdrang, der mit dem Altern kommt, stieß auf ein Foto, das sie seit langem zusammen mit allem, was sie in den verschiedenen Neuanfängen der Jahre abgelegt hatte, weggeworfen glaubte. Aber es war kein Bild, das sie übersehen hatte. Es war das Foto, das sie ihrem ersten Mann während des Krieges in sein Offiziersquartier in Ägypten geschickt hatte – während ihres Krieges, des richtigen Krieges, nicht jener Kriege, die ihm folgten und die ohne Siegesparaden kamen und gingen. Er mußte das Foto aufgehoben haben. Mußte es in seiner Feldausrüstung mit zurückgebracht haben. Es war eine Ansichtskarte – die Ansichtskarte, die sie ihm von einem Ausflug in die Berge geschickt hatte; ein Foto der kleinen Feriengruppe von Freunden, mit denen sie gefahren war. Was sie auf die Rückseite geschrieben hatte (sie drehte das Foto jetzt um, als höbe sie einen alten Stein), waren die üblichen telegrafischen paar Zeilen, die sie hingekritzelt hatte, während sie die Briefmarke kaufte – das Wetter wunderbar, sie kletterte, wanderte Meilen pro Tag, schwamm in kleinen, sauberen Teichen, das Hotel so, wie er es kannte, aber ziemlich runtergekommen. Grüße von diesem oder jenem – denn die, die da untergehakt standen, waren ihre gemeinsamen Freunde. Es gab nur ein neues Gesicht: ein Mann zu ihrer Linken, dem sie einen Kreis um den Kopf gemalt hatte. Sie nannte ihn in einer Zeile, die senkrecht neben ihren Bericht vom Wetter gequetscht war, beim Namen.

Was auf dem Rücken des Fotos geschrieben stand, war nicht ihre Botschaft. Ihre Botschaft war der Tintenring um das Gesicht des Fremden: dies ist das Bild des Mannes, der mein Liebhaber ist. Ich bin in ihn verliebt, ich schlafe mit diesem Mann, der neben mir steht; siehst du, ich bin offen und ehrlich zu dir.

Ihr Mann hatte nur den Text auf der Rückseite gelesen. Als er nach Hause kam, verstand er nicht, daß er nicht zu ihr zurückkehren konnte. Sie verteidigte sich, überrascht, wieder und wieder: »Ich hab’s dir doch gezeigt, ich hab sein Foto neben mir umkringelt. Ich hab geglaubt, daß wir uns zumindest so gut kennen … Wie konntest du das nicht verstehen! Du wolltest das nicht verstehen.«

Aber ja, er mußte es in aller Unschuld mit seinen anderen Souvenirs zurückgebracht haben, den Dingen aus seinem Krieg. Er brachte es mit und hier war es, war irgendwie nicht zerrissen oder fortgeworfen worden, als sie im praktischen Teil der Scheidung ihre Besitztümer aufteilten. Fünfundvierzig Jahre später sah sie das Foto wieder an, sah in seiner Existenz – es hatte in einem Regal unter einigen alten Plattenhüllen gelegen und war so zu ihr zurückgekommen –, daß dies die Wahrheit war: die Existenz seiner Unschuld, für immer.

 

Vera und Bennet Stark gaben an einem ihrer Hochzeitstage eine Party, es war das Jahr, in dem die Gefängnisse geöffnet wurden. Es war eine Zeit des Feierns; Abordnungen von Sportvereinen, von Müttervereinigungen standen mit zusammengetriebenen Schulkindern vor Nelson Mandelas altem Soweto-Häuschen und warteten in einer Schlange darauf, ihn zu umarmen, während ausländische Diplomaten sich händeschüttelnd mit ihm filmen ließen. Die Starks sind schon so lange verheiratet, daß sie gewöhnlich aus ihrem Hochzeitstag keine Affäre machen, aber manchmal bot sich der Tag an, Einladungen zu erwidern, alle gesellschaftlichen Schulden auf einen Schlag zu begleichen, wie Vera es ausdrückt, und in diesem Jahr insbesondere schien er ein guter Anlaß, noch darüber hinauszugehen: sich und ihren Freunden eine Entschuldigung dafür zu liefern, ein wenig in der Euphorie zu baden, die, wie sie wußten, nicht anhalten konnte. Aber sie hatten das Recht, jetzt zu feiern, nach Jahrzehnten, in denen sie auf das, was jetzt geschah, hingearbeitet hatten, ohne Erfolg. Nun aber war der Wandel plötzlich da, hatte sich lebendig aus der langen Totenstarre erhoben. Gekommen waren ihre Freunde aus der Juristischen Stiftung, natürlich; daneben weiße Männer und Frauen, die in den Kampagnen gegen Haft ohne Prozeß, gegen erzwungene Umsiedlungen von Gemeinden, gegen ein Wahlrecht, das die Schwarzen ausschloß, aktiv gewesen waren; Studentenführer, die streikende Arbeiter unterstützt hatten, standen im Garten unter einem Baum zusammen und tranken Bier aus Dosen; ein paar militante schwarze Geistliche und ein weißer Pastor, der wegen seiner ketzerischen Verdammung der Rassentrennung exkommuniziert worden war; ein schwarzer Arzt, der junge Militante, die in Straßenkämpfen mit Polizei und Armee verletzt worden waren, versteckt und behandelt hatte; schwarze Gemeindeführer, die Boykotts angeführt hatten; einer oder zwei der weißen Denkmäler von den Straßentreffen der alten Kommunistischen Partei, aus dem passiven Widerstand der Fünfziger und den Demonstrationen der Congress Alliance, aus den Komitees dieser oder jener Frontorganisation zur Zeit des Banns, Leute, die in vielen Verkleidungen überlebt hatten. Und einige fehlten. Jene, die noch im Untergrund und nicht überzeugt waren, daß es schon sicher war, wieder aufzutauchen. Die Verhandlungen mit der Regierung über die Straffreiheit für politische Aktivisten waren nicht abgeschlossen. Einer aus dieser Gruppe erlaubte sich einen Überraschungsauftritt – ein Kabarettstückchen spät in der Nacht, er platzte in einem purpur- und gelbgeblümten Hemd in die Gesellschaft, übermütig unter dem Schirm einer schwarzen Lederkappe grinsend. Seine Kampfbrüder über Grund umarmten ihn wie im Ringkampf, man boxte ihm freundschaftlich auf die Oberarme, und die Gastgeberin reagierte so, wie sie es früher getan hatte, wenn ihr Sohn aus dem Internat nach Hause kam und sie nicht wußte, wie sie ihm ihre Bewegung zeigen konnte – sie trug das Beste an Essen und Trinken herbei.

Die Anwesenheit dieses Sohnes hatte die Party bereits zu etwas Besonderem gemacht – Ivan war zu Besuch aus London da, wo er es zu einem erfolgreichen Banker gebracht hatte. Mit seiner Aura – er trug das, was man in der Jermyn Street Freizeitkleidung nannte, eine seidenweiche Lederjacke, eine Krawatte von Liberty und Slippers mit Troddeln – war er eine nicht zugegebene, aber defensiv aufgenommene Peinlichkeit für seine Mutter (sein Vater zeigte ohnedies nie Gefühle). Sie erhielt die Illusion aufrecht, er wäre einer der Kollegen oder Genossen. Immerhin hatte er ein Flugzeug nehmen müssen, um nach Hause zu kommen. Sollte die Party für ihn ebenso gemeint gewesen sein wie für die Feier einer dauerhaften Ehe (und wer sollte sich aus dieser außerordentlichen Ära daran erinnern, was zu was geführt hatte), so entwickelte sie sich zu einem geheimen Willkommen für einen der rätselhaften Freunde seiner Mutter. Die Musik begann die Wände zu erschüttern und in den Garten hinauszuwehen; politische Streitgespräche, Trinken und Tanzen gingen bis drei Uhr morgens weiter. Ivan tanzte wild, lachend, mit seiner Mutter; es war, als ob ihre Ähnlichkeit ein gemeinsamer Boden für sie wäre. Als der Mann, der aus dem Untergrund heraufgekommen war, so plötzlich, wie er gekommen, verschwunden war, woher und wohin, würde niemand fragen, war es, als hörte die Musik plötzlich auf. Er hinterließ eine seltsame, hohle Stille: das Echo all jener Jahre, die nun endeten, die Stille der Gefängnisse, des Verschwindens, des Exils und, für einige, des Todes. Vorbei? Die Gäste, die nach Hause fuhren, um zu schlafen, die Gastgeber, die schmutzige Gläser einsammelten, konnten sich die Frage nicht beantworten.

 

Als es um zehn Uhr abends klingelte, öffnete Vera die Tür – damals, in der Vierzigern, hatte man noch keine Angst vor Überfällen. Noch in seiner Uniform stand er vor ihr, er war gekommen, um nach Schlüsseln zu suchen, die er in dem Gepäck, das er mit ins Hotel genommen hatte, nicht finden konnte. »Kann meine Koffer nicht abschließen, verdammt ärgerlich, alles liegt noch irgendwo rum …« Er brauchte sich nicht dafür zu entschuldigen, daß er um diese Zeit unangekündigt auftauchte, da er natürlich ihre Gewohnheiten kannte, sie blieb immer lange auf. Manchmal war er noch lange, nachdem er ins Bett gegangen war, aus dem ersten Schlaf erwacht, weil er ihre Fußsohle sein nacktes Bein hinuntergleiten fühlte.

Sie ließ ihn ein paar Momente vor der Tür stehen, als wäre er ein Vertreter, und ging ihm dann voraus in ihr altes gemeinsames Wohnzimmer, das nun allein ihres war. Er wühlte in den Schreibtischfächern herum; sie stand da und sah ihm zu. Er hätte ein Schlosser sein können, der eine Leitung reparierte. Sie machte ein paar beiläufige, leise Vorschläge, wo die Schlüssel sein könnten. Er war darauf vorbereitet gewesen, in der zivilisierten Art, die unter ihnen dreien bereits etabliert war, ihren Liebhaber mit dem dicken, glatten schwarzen Haar zu treffen, Haar wie das Fell eines Tieres, eines Panthers vielleicht, und mit den klar geschnittenen Lippen und den heruntergezogenen Mundwinkeln – wie konnte es sein, daß er diese auffälligen Züge auf dem Foto nicht wahrgenommen hatte? Armer dummer Kerl, so vertrauensselig! Aber der Liebhaber war nicht da, oder er war noch nicht »nach Hause« gekommen.

»Vielleicht sind sie in der (er sagte nicht ›meiner‹) Kommode im Schlafzimmer – ich hab da ein paar Sachen liegenlassen, von denen ich meinte, daß du sie vielleicht brauchen kannst. Macht’s dir was aus, wenn ich da reingeh?«

Er wandte sich ihr höflich zu.

Sie legte die gestreckten Finger ihrer Hände plötzlich in einem V über den Mund und konnte ein prustendes Lachen nicht unterdrücken.

Er lächelte, das Lächeln wurde breiter, brachte eine Leichtigkeit zwischen sie wie Ringe auf eine gestörte Wasseroberfläche.

Sie gingen zusammen hinein. Sie tat so, als wäre ihr Bett nicht da, sie ging an ihm vorüber, als erkannte sie es nicht, und zog Schubladen für ihn heraus. »Ich bin noch nicht dazu gekommen, das durchzugehen.«

Er hielt Papiere hoch. »Deine alten Schulzeugnisse, ob du’s glaubst oder nicht. Ich dachte, du wolltest sie vielleicht aufheben.«

»Großer Gott, wozu? Ich hätte sie bestimmt weggeworfen, du mußt sie irgendwohin gelegt haben.«

Sie machte eine abweisende Geste, nicht interessiert.

»Vielleicht hab ich sie irgendwann vor dir gerettet. Willst du immer noch Anwältin werden?«

Ihr Kinn zuckte energisch nach unten, mit dem Nachdruck eines Kindes, dessen Entschlossenheit mit Worten nicht auszudrücken ist. Und zugleich lenkte sie diesen Einbruch vergangener Vertraulichkeit beiläufig ab. »Warum bist du noch in diesem Aufzug?«

»Noch nicht entlassen.«

Vielleicht war die Bemerkung gar nicht so beiläufig; vielleicht war sie die unbewußte Abwehr eines Unbehagens, das sie sich selbst nie eingestanden hatte – »dieser Aufzug«, auf den sie sich bezog, als wäre er eine Art Faschingskleidung, war von ihrem Zivilisten-Liebhaber nie getragen worden.

Zwischen ihnen wuchs die Stille, die eintritt, wenn es nichts mehr zu sagen gibt. Nichts mehr zu sagen über ihre jugendliche Liebesaffäre, ihre Heirat mit siebzehn, ihre unbeholfenen Versuche, in einer Ehe erwachsen zu werden, die vom Krieg unterbrochen worden war. Geistesabwesend zog er die Jacke mit den Schulterstücken und Abzeichen, dem Streifen der Gefechtsauszeichnungen, aus und warf sie auf einen Sessel. Er hockte sich hin, um durch die untersten Schubladen der Kommode zu gehen. Sie öffnete ein Fenster, wie um zu sagen, daß die Nähe im Zimmer ein Mangel an frischer Luft sei.

Mit verschränkten Armen stand sie da, sah zu, wie er Papiere in geordneten Stapeln beiseitelegte. Vor ihr sein Rücken, dessen Muskeln sich unter dem gestrafften Stoff des Hemdes bewegten, der sonnenverbrannte Nacken und das kurzgeschnittene helle Haar, die ausdrückten, daß er sich ihrer Gegenwart nicht bewußt war, die Wärme seines Körpers, die den Geruch eines sauberen, gebügelten Hemdes freigab – sie konnte nicht glauben, was das an Gefühlen in ihr auslöste. Sie floh davor in die Küche und goß zwei Gläser mit Fruchtsaft ein. Aber als sie das Tablett hob, ging sie ins Wohnzimmer, nahm eine Flasche Whisky, kehrte in die Küche zurück und goß den Alkohol langsam in zwei neuen Gläsern über das Eis. Sie ging wieder ins Schlafzimmer, harmlose Wörter in Bereitschaft: Ich glaub, du kannst was zu trinken gebrauchen. Aber als sie sich diesem warmen, duftenden Rücken näherte, vergessen, vertraut, neuentdeckt, berührte sie die Schulter mit der Hand, die das Glas hielt. Er blickte sich bei der Berührung um und hob die Augenbrauen zum Dank für den willkommenen Drink, richtete sich, das Gewicht auf eine Handfläche gestützt, auf.

Sie tranken.

Nichts zu sagen.

Sie versuchte, die Ablenkung des Alkohols in ihrem Blut das ungewollte, unvernünftige, allen Umständen widersprechende Beharren ihres Körpers überwinden zu lassen. Aber sie konnte nicht verhindern, daß es ihn erreichte, während der Körper- und Seifengeruch seines Hemdes von ihm zu ihr drang. Es überraschte ihn; sein Gesichtsausdruck veränderte sich, Widerstand und Schmerz glitten darüber hin, aber schnell. Er nahm ihr das Glas aus der Hand und stellte es hinter sich ab. Sie standen da, die Arme hilflos an der Seite, sahen einander in unruhiger Widersprüchlichkeit an. Er zog sie an sich, ihr Gesicht in den Duft seines Hemdes gedrückt. Zum ersten Mal seit zwei Jahren liebten sie einander, auf dem Boden zwischen den Papieren, nicht im Bett, wo sie jetzt mit ihrem Liebhaber hingehörte.

Und was, wenn der Liebhaber plötzlich hereingewandert wäre, er mußte Schlüssel haben, welche Richtungsänderung hätte sich dann ergeben?

 

In der Scheidungsvereinbarung wurde Vera das Haus zugesprochen, und ihr Liebhaber Bennet Stark wurde am Tag nach der endgültigen Scheidung ihr Ehemann. Sie gab den Kriegsjob als Sekretärin für einen Mann aus dem Kreis, in dem sie sich in ihrem früheren Leben bewegt hatte, auf, trat als Anwaltsgehilfin in eine Praxis ein und begann an der Universität Jura zu studieren. Es gab keine Kinder aus der ersten Ehe, und da sie mit ihrem Liebhaber in der Gewißheit zusammengelebt hatte, daß sie bald würden heiraten können, war sie bereits schwanger, als sie die Ehe schlössen. Das Kind – es war Ivan – wuchs in ihr heran, ihr Liebhaber war ihr nun als rechtlicher Besitz sicher, sie arbeitete und studierte, um den Ehrgeiz zu befriedigen, von dem sie in der rosigen fraulichen Unterwerfung einer ersten Ehe abgelenkt worden war, ein Ehrgeiz, den sie schon als Schulmädchen gehabt hatte. Singend stampfte sie schwer durch das Haus. Nachts in den Armen ihres erwählten Mannes sah sie im Dunkeln all die Möglichkeiten ihres Lebens, und die Refrains der präzisen juristischen Formulierungen, die sie lernte, zogen sich angenehm wie Girlanden vor dem Einschlafen durch ihren Kopf. Sie betrachtete ihr Glück als bewußt und endgültig. Einmal, in den ersten Monaten, als sie mit ihrem Liebhaber als Ehemann in der Öffentlichkeit auftrat, wandte sich eine Frau, die sie nicht kannte, mädchenhaft an sie: »Wer ist der schrecklich gutaussehende Mann, der da mit der Frau im roten Kleid redet?«

Er – ihrer. Manchmal wenn sie vor ihm aufwachte, richtete sie sich vorsichtig auf einen Ellenbogen auf, um sein Profil anzusehen, die roten, abgeschrägten Schnörkel seiner geschlossenen Lippen, die delikate Höhlung neben dem hohen Kamm seiner schön geschwungenen Nase, den klaren schwarzen Umriß, den sein Haaransatz gegen die weiße Stirn und die Schläfen bildete, und, wie widergespiegelt, dessen blauer Schatten, den dunklen Bart, der unter der Haut des feingeschnittenen langen Kiefers wuchs. Wenn er sich rührte und das Auge sich öffnete, ein schwarzer Diamant, heraufgeholt aus der Tiefe des Unbewußten, blicklos, dann war sie plötzlich in der Lage, ihn zu sehen, wie die fremde Frau ihn gesehen hatte, wie er in den Augen anderer existierte, und es verstärkte ihre Anbetung, ihr Glück. Und manchmal, wenn sie sich hemmungslos liebten, nach den Wundern, in die er sie zuerst in den Bergen eingeführt hatte, Liebkosungen, die ihn für sie einzigartig gemacht und die zu dem Tintenkringel um seinen Kopf geführt hatten, schluchzte Vera und krümmte sich zusammen, als wäre Ekstase Reue oder Furcht. Trotz der extremen Sinnlichkeit seines Aussehens und der Faszination, die es auf Frauen ausübte, hatte Bennet nicht viel mit ihnen zu tun gehabt, er war gehemmt gewesen, zu wählerisch, bis er diese Frau getroffen hatte, die, obwohl noch so jung, die Erfahrung der Ehe bereits hinter sich hatte, die ein Leben aufgegeben hatte, einen anderen Mann, die ihn gewählt hatte. Er verstand, daß die Leidenschaft, die sie weckte und die sie teilten, unerklärte Emotionen in ihr auslösen konnte, und er beruhigte sie sanft, ohne Fragen. Aber sie nahm seine Hände und preßte sie rauh an ihre gedehnten Brüste, auf ihren geschwollenen Leib und zwischen die Beine, so daß er den Kopf verlor und sie sich noch einmal wundervoll vereinigten, während er um das Kind fürchtete, das in ihr so wild herumgeworfen wurde.

Das Baby kam stark und gesund zur Welt. Der Blick seiner Mutter war während der Schwangerschaft so auf seinen Vater konzentriert gewesen, daß man hätte erwarten können, er wäre ganz von seines Vaters keltischer oder semitischer Schönheit geprägt gewesen; aber er ähnelte seiner Mutter sehr, von den Babytagen an, er war Veras Abbild, allein ihres.

 

Mrs. Stark ist aus der Juristischen Stiftung nicht wegzudenken. Obwohl sie es abgelehnt hat, den Direktorenposten zu übernehmen, der ihr angeboten worden ist, und es vorzieht – aus selbstsüchtigen Gründen, wie sie sagt –, ihre Zeit nicht mit Verwaltungsdingen zu verbringen, kann sich niemand vorstellen, daß die Stiftung ohne sie funktionieren würde. Ihre ruhige Schärfe bei Konferenzen, wenn sie mit bestimmten Aspekten der Stiftungspolitik nicht übereinstimmt (und die Tatsache, daß sie so oft recht behält), ihre Fähigkeit, die Wahrheit zu erkennen und von der Unwahrheit zu trennen, oder – wie sie einschränken würde – die Fakten von der Phantasie, die aus Armut und Ohnmacht geboren ist, wenn Bewerber um das Eingreifen der Stiftung bitten, verbinden sich miteinander und machen sie zu der Kollegin, die für jeden vom Direktor bis zur Telefonistin diejenige ist, die das letzte Wort hat. Sie sitzt dann da, zurückgelehnt, den Kopf mit dem kurzgeschnittenen, von weißen Strähnen durchzogenen dunkelblonden Haar in unbeweglicher Aufmerksamkeit, den linken Mundwinkel manchmal zwischen die Zähne gezogen (die Kerbe könnte sowohl Ungeduld als auch Verständnis ausdrücken).

Niemand führt Vera hinters Licht, sagen ihre Kollegen mit Befriedigung. Die Stiftung ist keine juristische Hilfsorganisation im üblichen Sinn, sie stellt keine Vertretung vor Gericht für Menschen, die sich einen Anwalt nicht leisten können. Entstanden ist sie als Reaktion auf die Not schwarzer Gemeinden, die zu einer Art Gepäck geworden waren, das man je nach der Logik der Trennung von Schwarz und Weiß einfach hier und dort abstellte. Man kann aus allem eine Logik entwickeln; das hat mit der Wahrheit oder Unwahrheit einer Idee nichts zu tun, nur mit den Mitteln ihrer praktischen Anwendung. Als Teil ihres Arbeitsplans für diese oder jene Woche wiesen Regierungsoffizielle das entsprechende Personal einer entsprechenden Abteilung an, mit Bulldozern die Häuser einer Gemeinde niederzuwalzen, die Einwohner und ihren Besitz zusammenzupacken, sie auf Regierungslastwagen zu verladen und sie in eine Gegend zu transportieren, die ihnen von einer anderen Abteilung zugewiesen wurde. Dort stellte man ihnen Blechtoiletten, Wasseranschlüsse und manchmal, wenn man sie aus den Regierungsbeständen bekommen konnte, Zelte zur Verfügung. Vielleicht wurden auch Wellblechplatten geliefert, damit sie anfangen konnten, sich Baracken zu bauen. Manchmal erlaubte man ihnen, Stücke und Teile, die nach der Zerstörung ihrer Häuser noch brauchbar waren, mitzubringen – einen Fensterrahmen oder ein paar Bretter – aber Kühe und Ziegen mußten zurückbleiben; was sollten die Tiere fressen auf einem Stück Veld, das für die nackteste menschliche Behausung gerodet und planiert worden war?

Dieser ganze Vorgang war vollkommen logisch, erinnerte Mrs. Stark ihre Kollegen immer wieder. Wir müssen uns an die Tatsache gewöhnen, daß wir in der Stiftung nichts mit dem einzigen realen Weg zu tun haben, diese Leute zu verteidigen, was hieße, die Macht zu besiegen, die eine solche Idee schafft und in die Praxis umsetzt – da können wir überhaupt nichts, gar nichts machen, das müssen wir ganz nüchtern sehen. Wir können uns nur mit den logischen Konsequenzen auseinandersetzen, wir können nur nach juristischen Schlupflöchern suchen, die diese Logik verzögern, unterbrechen oder – manchmal – außer Kraft setzen können. Sie lächelten dann anerkennend über ihren nüchternen Sinn für Proportionen, den aufrechtzuerhalten sehr schwer fiel, wenn man jeden Tag mit dem vertrauensvollen Elend der Antragsteller konfrontiert war.

Nun war das Gesetz, welches die Idee in die Praxis umgesetzt hatte, durch den Beginn des Machtwechsels im Lande für ungültig erklärt worden. Dadurch war die Stiftung aber keineswegs, wie man hätte erwarten können, überflüssig geworden. Mrs. Stark hatte nicht vollkommen recht – oder vielmehr, sie und ihre Kollegen, die sich, wahrend das Gesetz noch in Kraft war, ganz auf ihre pragmatischen Strategien konzentriert hatten, hatten keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken, wie weit die Folgen des Gesetzes über seine Abschaffung hinaus zu neuen Folgen führten. Jetzt kommen Gemeinden, deren Verlagerung die Stiftung nicht hatte verhindern können, und verlangen, daß sie in das Dorf, auf das Land, in ihre Heimat, die ihnen weggenommen und Weißen zugeschlagen worden ist, zurückkehren dürfen. Dieselben alten Männer in fleckigen, abgetragenen Anzügen, die Hüte in Händen, die wie aus der Erde gerissene Wurzeln aussehen, sitzen auf der anderen Seite des Schreibtisches. Man braucht dieselbe geduldige Aufmerksamkeit, um sich die Geschichte anzuhören und, während sie erzählt wird, einzuschätzen, was der Abgesandte aus List oder Verzweiflung ausläßt, weil er glaubt, es könne seine Lage verschlechtern, was er übertreibt, um Sympathie zu wecken, und wo die Tatsachen und ihre wahrhaftige Deutung einen Ansatzpunkt bieten, etwas, womit man arbeiten kann.

Obwohl Mrs. Stark den jährlichen Bericht für die Veröffentlichung vorbereitet – er muß zugleich umfassend und überzeugend sein, weil er an bereits existierende und mögliche neue Beiträger hinausgeht – und sie manchmal, um Geld zu beschaffen, ins Ausland reist, nimmt sie ihren Teil der Gespräche und Nachforschungen auf sich. Niemand kann Mrs. Stark hinters Licht führen, nein. Einigen erscheint sie streng – und welche weiße Person in der langen Reihe derer, die man noch sprechen und überzeugen muß, bis man, als Schwarzer, das bekommt, was einem, wie jetzt gesagt wird, gehört, wäre nicht streng, immer noch dort, auf der anderen Seite des Schreibtisches, genauso wie immer? Aber obwohl sie mit ihrer entmutigenden Kälte auf diese Bewerber, die darum kämpfen, sich auf Englisch auszudrücken, in der Sprache der anderen Schreibtischseite, nicht herablassend eingeht, obwohl sie nicht versucht, sich bei ihnen kumpelhaft einzuschmeicheln, was viele Weiße gegenüber ihren schwarzen Kollegen glauben tun zu müssen, hat sie – wie soll man das einordnen? – Verbindungen mit einigen dieser Kollegen, die sie nicht gesucht hat, sondern die im Laufe der Jahre entstanden sind. Das sind oft Menschen, die für andere kaum von der endlosen Kette der Enteigneten zu unterscheiden sind, die durch die Räume der Stiftung zieht. Oupa, ein junger Angestellter, wandert zuweilen in ihr Büro, während er sein Lunchpaket aus Chips und Curryhühnchen ißt, und sitzt dann in gelassenem Schweigen da, während sie Notizen durchliest, die sie sich von ihrem letzten Gespräch gemacht hat, ein Schweigen, das manchmal von ein paar Worten unterbrochen wird, während sie ihren Apfel ißt und einen Joghurt löffelt. Er macht einen Fernkurs in Jura, und es begann damit, daß er sie um Erklärungen bat, wenn er etwas nicht verstanden hatte. Es war gerade ihre Zurückhaltung, die ihn in seiner Naivität zu der Annahme brachte, daß sie die richtigen Antworten eher wissen würde als die anderen Anwälte der Stiftung. Sie war die Gestalt der Lehrerin, die ihm in seiner einsamen Selbstausbildung fehlte, sie war die abstrakte Autorität, an die man sich, ob man sich nun sein ganzes Leben gegen sie gewehrt hatte oder nicht, in seiner Ohnmacht wenden mußte. Dann begann er ihr von seinen vier Jahren auf Robben Island zu erzählen, im Alter von siebzehn bis einundzwanzig. Es war jedermanns Gefängnisgeschichte, von Menschen seiner Art und Generation, aber er bemerkte, daß er sie dieser weißen Frau anders erzählte, nicht zensiert oder ausgeschmückt, wie er sie anderen Weißen, die eifrig hinter Erfahrungen aus zweiter Hand her waren, erzählen zu müssen glaubte. Er brach ab und kehrte dann an anderen Tagen dazu zurück, erinnerte sich an Dinge, die er vergessen hatte oder an die er sich nicht hatte erinnern wollen. Nicht nur die Brutalität und die gleichgültigen Beleidigungen der Wände und Wächter, sondern auch die Verzerrungen seines eigenen Verhaltens. Darauf blickte er jetzt im Gespräch mit ihr manchmal in Unglauben, manchmal in Ratlosigkeit, sogar Scham zurück. Da war die Kameradschaft, die wirkliche Bedeutung des Bruders (wie er es ausdrückte). »Aber plötzlich haßt man jemanden, man würde ihm am liebsten an die Kehle gehen – und wegen nichts, ein Stück Schnürsenkel, eine Schlägerei in der Dusche darum, wer als erster dran war! Und dieselben beiden Menschen, als wir einen Hungerstreik hatten, wir hätten alles füreinander getan … Ich kann nicht glauben, daß ich das war.«

Was sagte sie dazu? Er war ein weicher Mensch, der, zu jung, dazu gezwungen worden war, eine andere Version von sich selbst zu sehen, eine Version, die von Gewalt, Demütigung, Unmenschlichkeit wachgerufen worden war. Sie tröstete nicht, versicherte ihm nicht, daß jenes Individuum, jenes Ich, nicht mehr existierte. »Du warst es.«

Er zog mit düsterer Neigung des Kopfes ein Papiertaschentuch aus dem Karton auf ihrem Schreibtisch, und die Neigung ihres Kopfes sagte ihm, daß er nicht zu fragen brauchte. Er wischte sich Hühnerfett von den Fingern. Sie schob ihm den Papierkorb zu, ließ dabei das Kerngehäuse ihres Apfels hineinfallen.

Oupa hatte einen Zweitjob. Er fuhr den Kombi der Stiftung. Der Wagen war durch die Fahrten der Anwälte ins Hinterland zu Gemeinden, die von der Vertreibung bedroht waren, sehr mitgenommen. Eines Tages, als Mrs. Starks Wagen gestohlen worden war, brachte er sie nach Hause, und der Diebstahl weckte eine weitere Erinnerung in ihm. Bevor er auf die Insel geschafft wurde, wartete er in einer Zelle zusammen mit Kriminellen auf seinen Prozeß, »Mörder, Mann! Gangster. Ich kann Ihnen sagen, die hatten was auf dem Kasten. An die kam so leicht niemand ran, was Gerissenheit angeht. Was die gemacht hatten – Raub, Banküberfälle. Und sie spielten das Ganze für uns noch mal durch. Genau, wie sie’s gemacht haben. Das Gefängnis machte ihnen nicht viel aus, sie hatten die Wärter bestochen, und die hatten außerdem Angst vor ihnen. Sogar Weiße. Alles was sie hatten, wartete auf sie draußen, wenn sie ihre Zeit abgesessen hatten. Ich sag Ihnen, die Jungs wären erstklassige Anwälte oder Geschäftsleute gewesen.« Er grinste, fuhr mit erhobenem Kinn.

Wieder blieb Mrs. Stark gelassen still. Wenn sie es registriert hatte, so bemerkte sie nichts zu dem, was er gerade in aller Unschuld bestätigt hatte: etwas von dem unanerkannten Ich, das im Gefängnis entstanden war, existierte noch in ihm, ein Stolz auf und eine trotzige Gemeinschaft mit jedem, der den Mut hatte, der Macht des weißen Mannes zu trotzen, ihm wegzunehmen, was ihm nicht gehörte, ob nun durch politische Rebellion oder die Pistole des Gangsters. Sie blieb still, weil dies ein Ich war, das, da sie war, wer sie war, in ihr nicht existieren konnte.

»Haben Sie noch mal einen von denen getroffen, draußen?«

Oupa drückte die Ellenbogen an die Rippen und hob die Schultern bis an die Ohren. »Die Leute! Mann! Je-ss-uss! Ich würd sterben vor Angst.«

Vera gab ihre vielversprechende Position in einer prosperierenden Anwaltssocietät auf, nachdem ihr zweites Kind, Annick, geboren worden war. Vorher hatte sie zwölf Jahre lang vergeblich auf eine Schwangerschaft gehofft.

Sie weiß nicht, ob ihr erstes Kind, Ivan, der Sohn ihres geschiedenen ersten Mannes oder der Bennet Starks ist, des Geliebten, den sie unauslöschlich auf einem Foto markiert hat. Niemand wird jemals wissen, daß sie selbst es nicht weiß. Er mit dem sonnenverbrannten, hellhäutigen Nacken lebt jetzt in Australien, er hat sich aus irgendeinem Reedereigeschäft zurückgezogen, und nichts in seiner Umgebung könnte jenen letzten Besuch in dem Haus, das sie einmal geteilt hatten, ans Tageslicht bringen. Und selbst wenn es an einem Abend mit viel Alkohol und in einer Stimmung männlicher Kameraderie zu einem Austausch von Vertraulichkeiten über die unvorhersagbaren sexuellen Verhaltensweisen von Frauen kommen sollte und er dazu das Beispiel einer Exfrau beitrüge, die ihm nach der Scheidung eine schönere Stunde schenkte als je zuvor in ihrer kurzen Ehe – auch dann ist es unwahrscheinlich, daß er an Folgen denkt, denn in der Regel sorgte sie dafür, daß es keine gab. Vielleicht empfindet er einen kurzen Stich des Verrats – obwohl sie es ja war, die ihn vollkommen verraten hat – weil er sie im Zusammenhang eines flüchtigen sexuellen Abenteuers erwähnt hat, aber es war alles schon so lange her … Was ihren gegenwärtigen Mann angeht, so ist es undenkbar, daß es zwischen, ihnen jemals eine dieser schrecklichen, kampferfüllten Phasen einer Ehe geben könnte, in der sie in ihrer Vergangenheit nach einer Waffe suchen müßte, um ihn tödlich zu verwunden.

Ben winkte fast verlegen ab, wenn jemand die Tatsache ansprach, daß seine Tochter seine Schönheit geerbt hatte; ein Teil der Qualität dieser Schönheit war es, daß er sich ihrer nicht bewußt war. Sehen konnte er sie nur, wenn gesagt wurde, das Baby sei das Abbild ihres Vaters. Ivan – weil er das Gesicht seiner Mutter hatte? – blieb Bens Lieblingskind.

Als das Mädchen geboren wurde, mit den wundervollen Merkmalen ihres Vaters, dem schwarzen Haar, der doppelten Linie der dichten Wimpern, sogar dem Schwung der Lippen, war es für Vera, als blickte sie in einen Spiegel, in dem ihr Liebhaber aus den Bergen so festgehalten war, wie er als Kind ausgesehen haben mußte. Eine riesige Dankbarkeit erfüllte sie sofort nach dem Ausstoß der Nachgeburt. Ein Jahr lang blieb sie zu Hause und sorgte mit der zärtlichen, emotionalen Leidenschaft eines Menschen, der etwas wiedergutmacht, für das Baby. Was sie wiedergutzumachen hatte, wem gegenüber, löste sich in mütterlicher Energie auf. Nur ab und zu blickte sie auf, sah die Schlagzeilen über Festnahmen, Prozesse, Verbannungen, schließlich das Verbot politischer Bewegungen. Körperliche Erfüllung ist ein zeitweiliger Rückzug von der Welt, eine Isolierung gegen Drohung und Anspruch, ob nun auf einen selbst oder andere gerichtet. In solchen Zeiten erscheint die andere Welt ganz und gar äußerlich, nur Geplapper und Ablenkung, eine überfüllte Bahnstation, durch die man mit heruntergezogenen Jalousien und abgeschlossener Abteiltür fährt. Die Versunkenheit in sich selbst wurde nur durch die Nachricht durchbrochen, daß ein Baby auf dem Rücken seiner Mutter in Sharpeville erschossen worden war – ein Kleinkind wie ihres, wie Bennets. Ihr ganzes Leben bestand aus Berührung: tagsüber das weiche Gewicht ihrer kleinen Tochter feuchtwarm an ihrer Hüfte, die Hände ihres langbeinigen Sohns, aufgerauht und zerkratzt vom Spiel; am Abend die Zärtlichkeiten der Liebe. Vielleicht gab es eine biologische Erklärung für die starke Wiederbelebung der Erotik zwischen ihr und Bennet. Irgendeine Theorie, daß Frauen nach der Geburt neue sexuelle Energien und Reaktionen entwickeln. Sie waren nun seit zwölf Jahren verheiratet. Aus welchem Grund auch immer, das sexuelle Fest, das als ein Picknick in den Bergen begonnen hatte, trat für sie und ihren Mann wieder so in den Vordergrund wie ganz am Anfang. Als intelligente Menschen diskutierten sie, was um sie herum vor sich ging, aber er war schon durch den Anblick ihrer bloßen Achselhöhle in einem ärmellosen Kleid abzulenken, und sie war sich der Schwellung in seinen Jeans bewußt.

Bennet Stark war Künstler, arbeitete mit Holz und Keramik, aber während er auf Anerkennung seines Werks wartete, mußte er einen konventionellen akademischen Grad nutzen, den er erworben hatte, als er zu jung gewesen war, um zu wissen, was er tun wollte. In der Anglistik-Fakultät der Universität, wo er arbeitete, wurde Bennet Stark hinter seinem Rücken »unser Filmstar« genannt; als wäre er für sein Aussehen und die Mischung von Ressentiment und Bewunderung, die es weckte, verantwortlich. Aus der Perspektive des Vorankommens in der akademischen Gemeinschaft ist es ein schlechtes Vorzeichen, einen Vorteil zu genießen, der einfach ein Geschenk der Natur ist, nicht erworben und anderen auch durch harte Arbeit, Lobbyismus oder Schmeichelei nicht erreichbar. Er blieb in einer untergeordneten Stellung stecken, und der Ehrgeiz, den die Liebenden für ihn entwickelt hatten, als sie das erste Mal neben einem Bergbach Vertraulichkeiten austauschten, trat zurück, während sie sich aufeinander und auf ihre Kinder konzentrierten. Manchmal arbeitete er noch während des Wochenendes in Ton – modellierte die Köpfe der Kinder, die wuchsen, sich scheinbar schon veränderten, während der Ton das Abbild der einen oder anderen Phase noch härtete, und den nackten Torso Veras, einen anonymen weiblichen Körper für jeden außer ihm selbst, der den geliebten Kopf hinzudachte. Aber verheiratet mit der Frau, die er erobert und errungen hatte, und als Vater einer Familie, hatte er den Gedanken, Bildhauer zu werden, aufgegeben. Vera hatte zumindest den geringeren Ehrgeiz verwirklicht, das Jurastudium abzuschließen. In seiner Liebe empfand er keine Eifersucht; ihres war ein praktisches Ziel, hing nicht von dem unergründlichen Geheimnis des Talents ab. Geschützt in seinem sinnlichen Glück, akzeptierte er, daß er vielleicht nicht genug davon besaß.

Als Annick begann, sich aus ihren Armen herauszuwinden und Ivan sich dagegen wehrte, daß sie seine kindlichen Wunden streichelte, wurde Vera unruhig, fühlte sich überflüssig. Sie sagte Bennet, daß sie wieder arbeiten wollte.

Das Geld konnten sie wirklich gebrauchen.

»Ich geh nicht wieder in die Firma.«

Er konnte mit der plötzlichen Ankündigung, die alle seine Annahmen umwarf, nichts anfangen.

»Ich hab keine Lust, ihre Versicherungsansprüche abzuwehren, wenn sie ihren Schmuck und ihren Mercedes verlieren. Oder mich bei Scheidungen mit der schmutzigen Wäsche herumzuschlagen.«

Er sah sie zärtlich, geduldig an. »Willst du dich selbständig machen?«

»Ich weiß nicht.«

Vera las Zeitungen und Berichte, Weißbücher, fühlte sich zu Leuten hingezogen, die zwischen ihren privaten Bindungen und jenen anderen Tentakeln, dem Sog der Not anderer, hin- und hergerissen wurden. Dem Wirrwarr aus Frustration und Elend; Frauen, wie sie eine Frau war, die aus den bescheidenen Hütten ihres Daseins herausgehoben und irgendwo im Veld mittellos ausgesetzt wurden; Männer wie ihr Mann, denen das Betreten einer Stadt verboten wurde, wo sie hätten Arbeit finden können, die von Farmen getrieben wurden, auf denen ihre Väter gearbeitet hatten; Kinder, die nicht so waren wie ihre Kinder, die bettelten und zum Trost auf der Straße Klebstoff schnüffelten. Sie wußte mehr und mehr davon. Sie begann in der Stiftung zu arbeiten, nicht aufgrund der weißen Schuld, von der die Leute redeten, sondern aus der Notwendigkeit heraus, sich der Zeit und dem Ort zu stellen, denen sie sich durch Geburt, wie sie es verstand, zugehörig fühlte. Sie hatte keine Wahl, sie mußte sich damit eigenständig auseinandersetzen. Dieses Bedürfnis mußte, ohne daß sie es beachtet hatte, gewachsen sein – wie ein Saatkorn, das ein Vogel fallengelassen und das neben einem kultivierten Baum gekeimt hatte und aufgesprossen war – bis es in die Zweige einer leidenschaftlichen Häuslichkeit hinaufwucherte.

Die Umsiedlung von Gemeinden wurde von der Stiftung bis zur Grenze ihrer Kraft und Reserven bekämpft; sie arbeitete bis Mitternacht zu Hause und den ganzen Tag im Büro; Bennet hatte die Universität verlassen und mit einem Partner eine Consultancy-Firma eröffnet. Allein zu Haus, nachts im Bett, besprachen sie stundenlang die Enttäuschungen, Sorgen, Ressentiments und Belohnungen, die sie tagsüber gesammelt hatten, gaben einander Ratschläge, suchten in ihren Erfahrungen auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft den Zusammenhang, der ihr Leben war.

 

Mr. Tertius Odendaal hatte drei Farmen, eine von seinem Großvater über seinen Vater geerbt, eine, die seine Frau mit in die Ehe gebracht hatte, und eine, die er in den landwirtschaftlichen Boomzeiten der frühen Achtziger gekauft hatte. Nun, da Amerika und die Briten – und sogar die Deutschen, die früher einmal die Buren in dem Krieg unterstützt hatten, in dem sein Großvater General gewesen war – sich in die Angelegenheiten des Landes einmischten, ein Ölembargo durchsetzten, Sportveranstaltungen boykottierten, die Schwarzen ermutigten, Ärger zu machen, so daß selbst seine unwissenden Farmarbeiter nicht mehr verläßlich waren, hatte er begonnen, über die Gegenwart nachzudenken, wenn nicht sogar über die Zukunft. Der alte strenge Präsident war von einem aus seinem Kabinett aus dem Amt gedrängt worden, einem, der lächelte wie ein Filmstar und von dem es hieß, er führe Verhandlungen mit den Schwarzen – niemand wußte, was dabei herauskommen würde. Keine zwanzig Kilometer übers Veld von seiner Farm lag ein schwarzes Homeland. Er hatte einen elektrischen Zaun um seinen Kraal ziehen müssen, um seine Holsteiner vor Dieben zu schützen, nachdem einer seiner Wächter mit einer Machete verletzt worden war. Selbst der alte Präsident hatte Schwarze schon zu nahe an weiße Farmen gesetzt. Auf der einen seiner anderen Farmen – der, die er gekauft hatte, als es reichlich Regen für den Mais gab und die Rindfleischpreise hoch waren und die er nur saisonal zur Weide benutzte – fand er Squatter vor. Der Hirte, der seine Frauen und jede Menge Kinder in seiner reetgedeckten Lehmhütte bei sich hatte, log ihm vor, dies sei seine Familie, die ihn besuchte. Er hatte dem Hirten gesagt, er solle verschwinden, die Farm verlassen und die Leute mitnehmen. Aber als er das nächste Mal mit einem seiner Arbeiter hinausfuhr, um sich auf der Farm umzusehen, waren da plötzlich wie aufgeworfene Maulwurfshaufen flatternde Plastikbahnen und Hütten aus Pappe, Blechdächer, die von Steinen und alten Reifen niedergehalten wurden. Nur Frauen und Kinder zu sehen; die Männer waren wahrscheinlich bei der Arbeit oder faulenzten irgendwo, vielleicht sogar in der Stadt. Er brachte den Arbeiter dazu, ihnen in ihrer Sprache eine Warnung zu erteilen: Was machten sie hier, sie mußten ihren Kram zusammenpacken und sofort von seinem Land verschwinden, wenn sie morgen nicht weg waren, würde er die Polizei mitbringen. Ein kleines Kind griff sich furchtsam an den Penis und begann zu wimmern. Die Frauen standen da, ohne mit der Wimper zu zucken oder wandten sich ab. Als der Lastwagen des Farmers sich mahlend und schwankend entfernte, schrie eine ihnen etwas nach, was der Arbeiter ihm nicht übersetzte. Der Schrei zog sich durch den Motorenlärm, den der Wagen hinter sich ließ.

Mr. Odendaal beschloß mit der Zeit zu gehen – was immer die Zeit bedeuten mochte. Was die Regierung getan hatte, tat, konnte ein Afrikaaner allein nicht ungeschehen machen. Den Verrat am weißen Farmer konnte man nur mit politischer Aktion bekämpfen. Das würde sich finden. Inzwischen mußten Farmer – in der Ausdrucksweise der Geschäftsleute – ›diversifizieren‹, ja, das war es, dieselben Tricks anwenden, die diese Leute reich machten. Er stellte bei der Provinzverwaltung einen Antrag, ein schwarzes Township auf seinem Land einrichten zu dürfen. Er würde als Vermieter mit der Farm Geld machen; er würde sie in Grundstücke aufteilen und sie an Schwarze vermieten. Er würde ihre Invasion in Profit verwandeln.

Während des Jahres, das die Verwaltung brauchte, um zu einer Entscheidung zu kommen, erschien der Antrag im Nachrichtenblatt der Regierung, und es gab gewichtige Widersprüche von Farmern der Umgebung – 1.500 Squatterfamilien bedeuteten beinahe 26.000 Menschen, die Flurstück 30 besiedeln würden. Diese Zahlen des Odensville Squatter Camps (irgendwie mußte es den Siedlern beigebracht worden sein, daß Odendaal den Familiennamen in seinem Township verewigen wollte) wurden von einem Stiftungsmitarbeiter zusammengestellt. Ein Mann hatte sich bei ihm als Sprecher der Squatter vorgestellt und hatte um die Hilfe der Stiftung gebeten. Ein staubbedeckter Kombi mit einer von Insektenflecken übersäten Windschutzscheibe hielt vor dem Farmhaus. Odendaal spürte sofort, daß dies mit dem Squatter Camp zusammenhängen mußte, aus dem er ein Township machen wollte. Eine Frau mit weißen Strähnen in den Haaren, die wie eine Männerfrisur geschnitten waren, stellte sich mit dem üblichen holprigen Afrikaans, das englisch sprechende Stadtmenschen von sich gaben, an der Haustür vor. Sie sei Mrs. Stack oder Stock von der Juristischen Stiftung.

Bei der Verkündigung dieses Namens schob er wie im Reflex den Körper ganz in den Türrahmen, um ihr den Weg zu versperren; dieser Körper würde sie nicht ins Haus lassen. Sie hatte tatsächlich den Mann bei sich, den zu treffen er sich geweigert hatte, dessen Existenz etwas war, womit die Polizei sich auseinandersetzen mußte – der schwarze Bastard, der diesen Haufen von Verbrechern, Säufern und Nichtstuern auf sein Land geholt und ihnen beigebracht hatte, von »Rechten« zu reden, die sie sich sonst nicht im Traum hätten einfallen lassen. Sie stellte den Mann vor und sogar den Fahrer, auch einen Schwarzen, als erwartete sie, daß er die beiden Schwarzen als Teil ihrer Delegation empfangen und als Besucher begrüßen würde.

Sie ignorierte einfach, daß der Farmer nicht antwortete. Mr. Odendaal dies, Mr. Odendaal jenes. Höflich, und redete, daß man kein Wort dazwischen brachte. »Wir sind gekommen, um die Situation unten in Odensville mit Ihnen zu diskutieren, die für Sie unangenehm sein muß, glauben Sie nicht, daß die Leute dort das nicht wüßten. Ich bin Anwältin der Juristischen Stiftung, und wir wissen aus Erfahrung, daß der schwierigste Aspekt dieser Art Situation darin liegt, daß der Farmer meint, er akzeptiert die Lage, wenn er zustimmt, mit den anderen betroffenen Parteien zu reden. Die Leute von Odensville haben einen Sprecher, Mr. Rapulana, und ich kann Ihnen versichern, daß wir nicht hier sind, um Ihre Rechtsposition zu bestreiten (das in Englisch, weil sie nicht weiß, wie man diese Art schlüpfrige Anwaltsphrase in Afrikaans ausdrückt). Wir sind gekommen, weil das im Interesse aller Beteiligter liegt … glauben Sie mir, ich habe das schon erlebt, man kann Lösungen finden, manchmal auch dann, wenn ein Ausweg unmöglich scheint und die einzige Kommunikation in der Drohung mit der Polizei und der Reaktion der Leute darauf besteht. Mr. Odendaal, ich hoffe, Sie werden mit uns reden, mit Mr. Rapulana und mir – oh, heute morgen oder wann immer es Ihnen paßt – wir sollten einander ohne Vorurteil anhören.«

Es war die Art Frau, die Ekel in ihm auslöste. Für ihn war dies eigentlich gar keine Frau. Selbst wenn sie jung gewesen wäre, hätte er nie glauben können, daß ein Mann eine solche Frau berühren wollte, er wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß sie Brüste hätte, die man im Dunkel des Schlafzimmers streicheln könnte. Dieser Mund, der ihm Fragen stellte, ihn ansprach ohne den Respekt und die natürliche Demut, die einem Mann zukam, sondern beleidigend ruhig.

Er ließ sie warten. Er sah über ihren Kopf hinweg, als wäre sie nicht da. Da sie meinte, sie mache sich akzeptabel, indem sie versuchte, seine Sprache zu sprechen, sprach er Afrikaans.

»Daar’s geen Odensville se mense nie![1] Odensville ist mein Township, es ist aber noch nicht offiziell, niemand wohnt in Odensville, niemand! All die Leute sind illegal da, und das einzige, was ich Ihnen sagen werde, Lady (die Anrede betont, und auf Englisch), ich werd sie von meinem Land jagen lassen, ich werd ihren Müll verbrennen lassen, und Sie können selbst dahin zurückfahren und denen sagen, daß ich nicht nur rede, ich red überhaupt nicht mit Ihnen, ich hab genug Männer, die das mit mir machen, wir wissen, wie man sowas macht, ja, und wenn die mir in die Quere kommen, wird das ’ne Beerdigung. Daß sie zu Ihnen gelaufen kommen, wird denen nicht helfen. Es gibt keine Odensville - ›Leute‹, das können Sie gleich wieder vergessen. Sie sind nichts, vuilgoed. «[2]

Diese zudringliche Frau – Anwälte nennen sie sich! – blieb ruhig stehen, da war sogar das Anzeichen eines Lächelns in ihrem Mundwinkel, als wartete sie darauf, daß ein kindlicher Wutanfall sich austobte. Er begann schwer zu atmen angesichts dieser Beleidigung.

Der schwarze Mann, mit dem er nie reden würde – nie! – sah ihn unverwandt an wie die dunkle Öffnung einer auf ihn gerichteten Kamera. Das war ein Schwarzer vom Land, aufgewachsen, wo seine Eltern und Großeltern, Pächter und Landarbeiter, die Sprache des Farmers sprachen, für den sie arbeiteten, und in der Schule, auf der er lesen und schreiben gelernt hatte, wurde auf Afrikaans gelehrt, nicht in seiner schwarzen Sprache. Das Afrikaans des Mannes war das Odendaals, nicht das Radebrechen von Mrs. Stark.

»Meneer Odendaal, haben Sie keine Angst. Wir tun Ihnen nichts. Ihnen nicht und Ihrer Frau und Ihren Kindern auch nicht.«

Die Anwältin berührte den Mann am Ärmel (er war wie ein Gentleman gekleidet, das Jackett über dem Arm). Bevor sie wieder an ihrem Kombi angelangt, blieb sie noch einmal hartnäckig stehen. »Mr. Odendaal, ich entschuldige mich dafür, daß wir einfach so aufgetaucht sind, ohne vorher zu telefonieren. Ich werde Ihnen schreiben, und dann werde ich wahrscheinlich in der Lage sein, Ihnen die Einschätzung der Stiftung, was die Lage in Odensville angeht, besser darzustellen als heute.«

Der Farmer kehrte ihr den Rücken zu. Er öffnete die Haustür und schlug sie laut hinter sich zu. In der optischen Illusion fleckiger Explosionen, die eintrat, wenn man das grelle Licht der Sonne verließ und in den dunklen Flur trat, blieb auch er einen Augenblick stehen. Er hörte zu, wie der Kombi seinen Besitz verließ. Als hätte er gerade aufgehört zu laufen, kehrte sein heftiger, unregelmäßiger Herzschlag langsam zu seinem normalen Rhythmus zurück.

 

Eine lange Zeit hindurch – wie viele Jahre? – erzählte Vera ihrem Mann noch alles. Oder glaubte, daß sie es tat.