Wharton, Edith Winter

PIPER

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Übersetzung aus dem Amerikanischen von Benjamin Schwarz

 

ISBN 978-3-492-97970-2

© Piper Verlag GmbH, München 2017

© William R. Tyler 1939

Die Originalausgabe erschien 1911 unter dem Titel »Ethan Frome« bei Charles Scribner’s Sons in New York.

© der deutschen Ausgabe Rogner & Bernhard GmbH & Co. Verlags KG München 1986

Covergestaltung: zero-media.net, München

Covermotiv: FinePic®, München

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

 

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1

Das Dorf lag unter zwei Fuß Schnee, der sich an den zugigen Ecken türmte. An einem Himmel aus Eisen hingen die Lichter des Großen Bären wie Eiszapfen, und Orion ließ seine kalten Feuer blitzen. Der Mond war untergegangen, doch die Nacht war so klar, daß die weißen Hausgiebel zwischen den Ulmen gegen den Schnee grau aussahen, das Buschwerk malte dunkle Flecke auf ihn und die Fenster im Untergeschoß der Kirche sandten gelbe Lichtpfeile weit in die endlose Hügellandschaft hinaus.

Der junge Ethan Frome ging schnellen Schrittes die menschenleere Straße entlang, vorbei an der Bank, an Michael Eadys neuem aus Backsteinen erbautem Laden und an Anwalt Varnums Haus mit den zwei schwarzen Norwegerfichten am Gartentor. Gegenüber von Varnums Tor, wo die Straße zum Tal von Corbury hin abfiel, ragten der schlanke, weiße Turm und der schmale Säulenvorbau der Kirche auf. Als der junge Mann auf sie zuging, zogen sich die oberen Fenster wie ein dunkler Bogengang die Seitenwand des Gebäudes entlang, aber aus den unteren Fenstern, an der Seite, wo das Gelände steil zur Straße nach Corbury abfiel, ergoß sich das Licht in langen Strahlen und beleuchtete auf dem Pfad, der zur Tür des Untergeschosses führte, viele frische Spuren und im offenen Schuppen daneben eine Reihe von Schlitten mit dickvermummten Pferden.

Die Nacht war völlig still und die Luft so trocken und rein, daß die Kälte kaum zu spüren war. Frome hatte fast den Eindruck, durch einen luftleeren Raum zu wandern, als sei nichts Schwereres als flüchtiger Äther zwischen dem weißen Boden unter seinen Füßen und dem metallischen Gewölbe über seinem Kopf. »Es ist wie in einer leergepumpten Glasglocke«, dachte er. Vor vier oder fünf Jahren hatte er einen Jahreskurs an einer höheren technischen Lehranstalt in Worcester belegt und mit einem freundlichen Physikprofessor im Laboratorium herumgewerkelt; und die Bilder, die ihm diese Erfahrung vermittelt hatte, tauchten ab und zu immer noch in unerwarteten Augenblicken durch die so ganz anderen Gedankenzusammenhänge auf, in denen er seither lebte. Der Tod seines Vaters und die darauffolgenden Mißgeschicke hatten Ethans Studien ein verfrühtes Ende gesetzt; doch obwohl er nicht weit genug gekommen war, um viel praktischen Nutzen daraus zu ziehen, hatten sie seine Phantasie genährt und ihn auf gewaltige nebelhafte Absichten aufmerksam gemacht, die sich hinter dem alltäglichen Gesicht der Dinge verbargen.

Während er durch den Schnee stapfte, durchglühte die Ahnung solcher Absichten seine Gedanken und mischte sich mit der körperlichen Hitze, die der schnelle Fußmarsch hervorgerufen hatte. Am Dorfende blieb er vor der verdunkelten Stirnseite der Kirche stehen. Schnellatmend stand er einen Augenblick da und blickte die Straße hinauf und hinunter, auf der sich niemand sonst bewegte. Das Gefälle der Straße nach Corbury unterhalb von Anwalt Varnums Fichten war Starkfields beliebteste Rodelbahn, und an klaren Abenden hallte die Kirchenecke bis spät von den Rufen der Rodler wider; doch heute Nacht verdunkelte kein einziger Schlitten das Weiß des langen Abhangs. Die Stille der Mitternacht lag über dem Dorf, und sein ganzes waches Leben war hinter den Kirchenfenstern versammelt, aus denen mit den breiten Bahnen gelben Lichtes Fetzen von Tanzmelodien drangen.

Der junge Mann ging um die Seitenwand des Gebäudes herum und den Hang zum Eingang des Untergeschosses hinunter. Um außerhalb der Reichweite der enthüllenden Strahlen von drinnen zu bleiben, schlug er einen Bogen durch den unbetretenen Schnee und näherte sich langsam der hinteren Ecke der Mauer. Von dort rückte er, immer weiter darauf bedacht, sich im Schatten zu halten, vorsichtig zum nächsten Fenster vor, wobei er seinen hochgewachsenen, schlanken Körper zurückbog und den Hals reckte, bis er in den Raum hineinspähen konnte.

So aus dem klaren, eisigen Dunkel erblickt, in dem er stand, schien der Saal in einer Dampfwolke zu sieden. Die Metallreflektoren der Gasbrenner warfen grelle Lichtfluten gegen die weißgetünchten Wände, und die eisernen Flanken des Ofens am Ende des Raums sahen aus, als woge in ihnen vulkanisches Feuer. Die Tanzfläche wimmelte von Mädchen und jungen Männern. An der Längswand, dem Fenster gegenüber, waren Küchenstühle aufgereiht, von denen die älteren Frauen sich gerade erhoben hatten. Die Musik hatte eben aufgehört, und die Musikanten – ein Geiger und die junge Dame, die sonntags das Harmonium spielte – stärkten sich hastig an einer Ecke des Eßtisches, der, vollgetürmt mit nun abgegessenen Kuchenplatten und Eiskremschüsseln, auf dem Podium am Ende des Saales aufgebaut war. Die Gäste schickten sich zum Gehen an, und der Strom hatte sich bereits in Richtung Korridor in Bewegung gesetzt, wo die Mäntel und Umschlagtücher hingen, als ein junger Mann mit schwarzem Haarschopf lebhaft in die Mitte des Raumes sprang und in die Hände klatschte. Das Zeichen tat sofort seine Wirkung. Die Musikanten eilten zu ihren Instrumenten, die Tänzer – einige schon halb zum Fortgehen eingemummt – stellten sich zu beiden Seiten des Saales in Reihen auf, die älteren Zuschauer schlüpften wieder zu ihren Sitzen zurück, und der lebhafte junge Mann zog, nachdem er da und dort ins Gedränge getaucht war, ein Mädchen daraus hervor, das sich schon einen kirschroten »Theaterschal« um den Kopf gebunden hatte, führte sie ans Ende der Tanzfläche und wirbelte sie zu der hüpfenden Melodie eines Virginia-Reel die ganze Länge des Saales hinunter.

Fromes Herz schlug schnell. Er hatte angestrengt nach dem dunklen Köpfchen unter dem kirschroten Schal ausgeschaut, und es ärgerte ihn, daß ein anderes Auge rascher gewesen war als seines. Der Anführer des Reel, der aussah, als habe er irisches Blut in den Adern, tanzte gut, und seine Partnerin entzündete sich an seinem Feuer. Als sie die Reihe hinuntertanzte und ihre leichte Gestalt in immer schnelleren Kreisen von Hand zu Hand schwang, rutschte ihr das Tuch vom Kopf und stand hinten von den Schultern ab, und Frome sah bei jeder Drehung ihre atemlos lachenden Lippen, die Wolke dunklen Haares um ihre Stirn und die dunklen Augen, die ihm die einzigen Fixpunkte in einem Gewirr flüchtiger Linien schienen.

Die Tänzer drehten sich schneller und schneller, und um mit ihnen Schritt zu halten, bearbeiteten die Musikanten ihre Instrumente wie Jockeys, die ihre Pferde über die Zielgerade peitschen; doch dem jungen Mann am Fenster war, als wolle der Tanz nie enden. Hie und da wandte er seinen Blick vom Gesicht des Mädchens zu ihrem Partner, der nun im Überschwang des Tanzens eine geradezu unverschämte Besitzermiene zur Schau trug. Denis Eady war der Sohn Michael Eadys, des ehrgeizigen irischen Kolonialwarenhändlers, dessen Wendigkeit und Unverfrorenheit Starkfield einen ersten Begriff von »forschen« Geschäftsmethoden gegeben hatte und dessen neuer Backsteinladen den Erfolg seiner Rührigkeit bezeugte. Sein Sohn schien in die Fußstapfen des Vaters treten zu wollen und widmete sich unterdessen mit derselben Rührigkeit der Eroberung der Starkfielder Mädchenwelt. Bisher hatte Ethan Frome sich mit dem Gedanken begnügt, daß er ein unangenehmer Bursche sei, doch jetzt forderte der Kerl wirklich zu einer Tracht Prügel heraus. Es war seltsam, daß das Mädchen das nicht wahrzunehmen schien: daß sie hingerissen ihr Gesicht zu dem ihres Tänzers aufheben, ihre Hände in die seinen legen konnte, ohne anscheinend die Beleidigung seines Blickes und seiner Berührung zu empfinden.

Es war Fromes Gewohnheit, nach Starkfield zu wandern und die Kusine seiner Frau, Mattie Silver, heimzubegleiten, wenn die seltenen Anlässe irgendwelcher Amüsements sie abends ins Dorf führte. Seine Frau hatte damals, als das Mädchen zu ihnen ins Haus kam, gemeint, man müsse ihr solche Gelegenheiten bieten. Mattie Silver kam aus Stamford, und als sie sich dem Haushalt der Fromes anschloß, um ihrer Kusine Zeena an die Hand zu gehen, war, da sie keinen Lohn erhielt, beschlossen worden, sie den Unterschied zwischen dem Leben, das sie aufgegeben hatte, und der Einsamkeit einer Starkfielder Farm nicht allzu kraß fühlen zu lassen. Doch allein deswegen – war Fromes höhnische Überlegung – wäre es Zeena kaum in den Sinn gekommen, irgendeinen Gedanken auf die Vergnügungen des Mädchens zu verschwenden.

Als seine Frau zum erstenmal vorgeschlagen hatte, sie sollten Mattie gelegentlich einen Abend freigeben, war er im stillen dagegen gewesen, daß er nach seinem harten Arbeitstag auf der Farm noch zusätzlich die zwei Meilen zum Dorf und zurück gehen sollte; doch nicht lange danach wünschte er sich, Starkfield möge alle seine Nächte der Lustbarkeit widmen.

Mattie Silver lebte schon ein Jahr lang unter seinem Dach, und vom frühen Morgen bis zum gemeinsamen Abendessen hatte er häufig Gelegenheit, sie zu sehen; doch kein Augenblick in ihrer Gesellschaft war denen vergleichbar, wenn sie, fast fliegend, um ihren leichten Schritt seinem weitausgreifenden anzupassen, an seinem Arm mit ihm durch die Nacht zur Farm zurückwanderte. Er hatte das Mädchen vom ersten Tage an gemocht, als er zu den Flats hinüberkutschiert war, um sie abzuholen, und sie ihm lächelnd und winkend »Du mußt Ethan sein!« vom Zug aus zugerufen hatte, als sie mit ihren Bündeln heruntersprang, während er, ihre schlanke Gestalt musternd, dachte: »Für Hausarbeit scheint sie nicht besonders geeignet zu sein, aber jedenfalls ist sie keine Jammerbase.« Doch es war nicht nur so, daß der Einzug eines so hoffnungsvollen jungen Lebens in sein Haus wie das Entzünden eines Feuers auf einem kalten Herd war. Das Mädchen war mehr als das heitere, nützliche Geschöpf, für das er es gehalten hatte. Sie hatte Augen zum Sehen und Ohren zum Hören: er konnte ihr manches zeigen und manches erzählen und dabei das Glücksgefühl genießen, daß alles, was er ihr vermittelte, lange in ihr nachhallte und widerklang, Echos, die er nach Belieben wieder wecken konnte.

Auf ihren nächtlichen Wanderungen zur Farm zurück fühlte er die Süße dieser Gemeinschaft am stärksten. Er war immer empfänglicher für die Schönheiten der Natur gewesen als die anderen Menschen seiner Umgebung. Sein unabgeschlossenes Studium hatte dieser Empfänglichkeit Form verliehen, und selbst in seinen unglücklichsten Augenblicken sprachen Erde und Himmel mit mächtiger, gewaltiger Überredung zu ihm. Doch bisher waren diese Gefühle in ihm verschlossen geblieben wie ein stiller Schmerz und hatten die Schönheit, die sie hervorrief, mit Traurigkeit verschleiert. Er wußte nicht einmal, ob noch ein Mensch auf der Welt fühle wie er oder ob er das einzige Opfer dieser schmerzlichen Auszeichnung sei. Aber nun erfuhr er, daß noch eine Seele in demselben staunenden Angerührtsein erschauert war: daß an seiner Seite, unter seinem Dach und sein Brot essend ein Geschöpf existierte, zu dem er sagen konnte: »Das dort hinten ist Orion, der dicke Kerl rechts ist Aldebaran, und der Haufen kleiner Sterne da – der wie ein Bienenschwarm aussieht – das sind die Plejaden …«; ein Geschöpf, das gebannt vor einem aus dem Farnkraut ragenden Granitblock stehenblieb, während er das unermeßliche Panorama der Eiszeit und die langen dämmrigen Zeiträume danach vor ihm entrollte. Daß sich auch Bewunderung für sein Wissen in Matties Staunen über das, was er sie lehrte, mischte, machte nicht den geringsten Teil seines Genusses aus. Und dazu kamen andere Empfindungen, unbestimmbarer, aber noch köstlicher, die sie mit dem Erschrecken stummen Entzückens zueinanderzogen: das kalte Rot eines Sonnenuntergangs hinter den winterlichen Hügeln, ein über goldene Stoppelhänge ziehender Wolkenschwarm oder die tiefblauen Schatten von Hemlocktannen auf sonnenbeschienenem Schnee. Als sie einmal zu ihm sagte: »Es sieht gerade so aus, als wäre es gemalt!« schien das Ethan, als könne die Ausdruckskunst nicht weitergehen und als seien nun endlich Worte gefunden für das Geheimste in seiner Seele …

 

Während er im Dunkeln vor der Kirche stand, stiegen diese Erinnerungen mit der schmerzlichen Schärfe des Entschwundenen in ihm auf. Er sah Mattie von Arm zu Arm den Tanzboden hinunterwirbeln und wunderte sich, wie er je hatte denken können, daß seine langweiligen Reden sie interessierten. Ihre Fröhlichkeit schien ihm, der nie fröhlich war außer in ihrer Gegenwart, ein klarer Beweis ihrer Gleichgültigkeit. Das Gesicht, das sie zu ihren Tänzern hob, war dasselbe, das bei seinem Anblick aufzuleuchten pflegte wie ein vom Abendrot angestrahltes Fenster. Er bemerkte sogar ein paar Gesten an ihr, von denen er in seiner Torheit geglaubt hatte, sie seien nur für ihn allein bestimmt: die Art, wie sie den Kopf zurückwarf, wenn etwas sie belustigte, als wolle sie ihr Lachen kosten, bevor sie es herausließ, und ein eigentümliches, langsames Senken der Lider, wenn etwas sie entzückte oder bewegte.

Der Anblick machte ihn unglücklich, und seine Betrübnis weckte seine heimlichen Befürchtungen. Seine Frau hatte nie Eifersucht auf Mattie gezeigt, aber in letzter Zeit hatte sie mehr und mehr über die Hausarbeit gestöhnt und indirekt auf die Untüchtigkeit des Mädchens aufmerksam gemacht. Zeena war immer »kränklich« gewesen, wie das in Starkfield hieß, und Frome mußte zugeben, daß sie, falls sie wirklich so leidend war, wie sie glaubte, einen stärkeren Arm zur Unterstützung brauchte als den, der auf den nächtlichen Wanderungen zur Farm so leicht in seinem lag. Mattie besaß keine natürliche Neigung zur Hausarbeit, und ihre Erziehung hatte nichts getan, um diesen Mangel zu beheben. Sie lernte schnell, war aber vergeßlich und verträumt und nicht bereit, die Sache ernst zu nehmen. Ethan war davon überzeugt, daß in der Ehe mit einem geliebten Mann der schlafende Instinkt in ihr erwachen würde und ihre Kuchen und Kekse der Ruhm der ganzen Gegend werden müßten; doch die Hausarbeit an sich interessierte sie nicht. Am Anfang war sie so ungeschickt, daß er einfach über sie lachen mußte, aber sie lachte mit, und dadurch wurden sie noch bessere Freunde. Er tat sein Bestes, um ihre ungeübten Anstrengungen zu verbessern, stand früher auf als sonst, um Feuer im Küchenherd zu machen, trug nachts das Holz herein und vernachlässigte die Mühle zugunsten der Arbeit auf der Farm, um ihr tagsüber im Haus helfen zu können. Ja, er schlich sich sogar an Samstagen nachts hinunter, um den Küchenboden zu schrubben, wenn die Frauen zu Bett gegangen waren; und eines Tages hatte ihn Zeena am Butterfaß überrascht und sich schweigend mit einem ihrer sonderbaren Blicke abgewandt.

Kürzlich hatte es noch andere Zeichen ihres Mißfallens gegeben, ebenso ungreifbar, doch beunruhigender. Eines kalten Wintermorgens, als er sich im Dunkeln ankleidete und seine Kerze im Luftzug flackerte, hörte er sie hinter sich im Bett sprechen.

»Der Doktor will nicht, daß ich ohne Hilfe im Haus bleibe«, sagte sie in ihrem ausdruckslosen Gequengel.

Er hatte geglaubt, sie schlafe, und der Ton ihrer Stimme erschreckte ihn, obwohl es ihre Gewohnheit war, nach langen Zeiten verschlossenen Schweigens plötzlich die Redeschleusen aufzuziehen.

Er drehte sich um und blickte auf ihre sich unbestimmt unter der dunklen Kattundecke abzeichnende Gestalt und ihr starkknochiges Gesicht, das neben dem Weiß des Kissens eine graue Färbung annahm.

»Ohne Hilfe im Haus?« wiederholte er.

»Du sagst doch, du kannst dir keine Magd leisten, wenn Mattie geht.«

Frome wandte sich wieder ab, griff zu seinem Rasiermesser und beugte sich vor, um in dem fleckigen Spiegel über dem Waschtisch seine gestreckte Wange zu erspähen.

»Wieso um alles auf der Welt sollte Mattie gehen?«

»Na, wenn sie heiratet, mein’ ich«, ertönte die schleppende Stimme seiner Frau hinter ihm.

»Oh, sie würde uns nie verlassen, solange du sie brauchst«, erwiderte er, während er heftig an seinem Kinn herumschabte.

»Ich würd’ mir das nie nachsagen lassen, daß ich einem armen Mädchen wie Mattie im Weg gestanden habe, wo sie einen feinen Burschen wie Denis Eady heiraten konnte«, antwortete Zeena im Ton wehleidiger Selbstverleugnung. Ethan starrte auf sein Gesicht im Spiegel und legte den Kopf zurück, um das Rasiermesser vom Ohr zum Kinn hinunterzuführen. Seine Hand zitterte nicht, aber die Haltung war ein Vorwand, um nicht sofort antworten zu müssen.

»Und der Doktor will nicht, daß ich ganz ohne jemand bin«, sprach Zeena weiter. »Er wollte, daß ich mit dir wegen eines Mädchens rede, von dem er gehört hat und das kommen könnte –«

Ethan legte das Messer weg und richtete sich mit einem Lachen auf.

»Denis Eady? Wenn das alles ist, hat’s wohl noch lange keine solche Eile, sich nach einem Mädchen umzusehen.«

»Aber ich möchte mit dir darüber sprechen«, sagte Zeena eigensinnig.

Er schlüpfte mit ungeschickter Hast in seine Kleider. »Na schön. Aber jetzt habe ich keine Zeit, ich bin sowieso schon spät dran«, antwortete er und hielt seine alte Silberzwiebel an die Kerze.

Zeena, die sich anscheinend diesem Schlußwort fügte, lag da und beobachtete ihn schweigend, während er seine Hosenträger über die Schultern zog und seine Arme in die Jacke zwängte; doch als er zur Tür ging, sagte sie, plötzlich und schneidend: »Du bist wohl jetzt immer spät dran, seit du dich jeden Morgen rasierst.«

Dieser Hieb hatte ihn mehr als alle vagen Anspielungen auf Denis Eady erschreckt. Es war eine Tatsache, daß er, seit Mattie Silver da war, angefangen hatte, sich jeden Morgen zu rasieren; aber seine Frau schien immer noch zu schlafen, wenn er im Winterdunkel von ihrer Seite aufstand, und er hatte törichterweise angenommen, es würde ihr keine Veränderung in seinem Äußeren auffallen. Einige Male hatte es ihn leicht beunruhigt, wie Zenobia Dinge geschehen ließ, ohne sie anscheinend wahrzunehmen, um dann, Wochen danach, in einem beiläufigen Satz deutlich zu machen, daß sie die ganze Zeit ihre Beobachtungen angestellt und ihre Schlüsse gezogen hatte. In der jüngsten Zeit jedoch hatte es in seinen Gedanken keinen Raum für derart vage Befürchtungen gegeben. Zeena selbst war von einer bedrückenden Realität zu einem unwirklichen Schatten verblaßt. Sein Leben war jetzt nur da, wo er Mattie Silver sehen und hören konnte, und er vermochte es sich gar nicht mehr anders vorzustellen. Aber als er nun vor der Kirche stand und Mattie mit Denis Eady durch den Saal wirbeln sah, ballte sich eine Masse unbeachteter Andeutungen und Drohungen als dunkle Wolke über seinen Kopf zusammen …

2

Als die Tänzer aus dem Saal strömten, zog sich Frome hinter den vorspringenden äußeren Türflügel zurück und sah zu, wie die grotesk vermummten Gruppen sich zerstreuten, in denen da und dort der Strahl einer schwankenden Laterne ein vom Essen und Tanzen erhitztes Gesicht beleuchtete. Die Dörfler, die zu Fuß gekommen waren, stiegen als erste den Hang zur Hauptstraße hinauf, während die Nachbarn von den umliegenden Gehöften sich langsamer in ihre Schlitten unter dem Schuppendach drängten.

»Fährst du nirgends mit, Mattie?« rief eine Frauenstimme aus dem Gedränge am Schuppen, und Ethans Herz machte einen Sprung. Von da, wo er stand, konnte er die Leute, die aus dem Saal kamen, erst sehen, wenn sie ein paar Schritte jenseits der hölzernen Türflügel waren, doch durch die Ritzen hörte er eine helle Stimme antworten: »Danke nein! Nicht an so einem Abend.«

Sie war also da, ihm ganz nahe, nur ein dünnes Brett war zwischen ihnen. Im nächsten Augenblick würde sie in die Nacht hinaustreten, und seine an die Dunkelheit gewöhnten Augen würden sie so deutlich unterscheiden, als stünde sie im Tageslicht. Eine Anwandlung von Schüchternheit zog ihn in den dunklen Winkel an der Mauer zurück, und dort blieb er still stehen, statt sie auf sich aufmerksam zu machen. Eines der Wunder ihres Umgangs war gewesen, daß von Anfang an sie, die Raschere, Behendere, Gesprächigere, statt ihn durch den Gegensatz zu lähmen, ihm etwas von ihrer eigenen Leichtigkeit und Freiheit mitgeteilt hatte; doch jetzt fühlte er sich so schwerfällig und tölpelhaft wie in seinen Studententagen, als er bei einem Picknick einmal versucht hatte, mit den Mädchen aus Worcester zu scherzen.

Er rührte sich nicht, und sie kam allein heraus und blieb wenige Meter von ihm entfernt stehen. Sie hatte den Saal beinahe als letzte verlassen und blickte sich nun unsicher um, als wundere sie sich, warum er sich nicht zeigte. Da näherte sich ihr eine Männergestalt, die so dicht an sie herantrat, daß die beiden unter ihren formlosen Umhängen zu einem einzigen verschwommenen Umriß zu verschmelzen schienen.

»Na, hat dich dein Herr und Freund versetzt? Sag mal, Matt, das ist aber stark! Nein, ich bin nicht so gemein, das den anderen Mädchen zu erzählen. So schlecht bin ich nicht!« (Wie Frome seine billigen Späße haßte!) »Aber schau doch mal, ist das nicht ein Glück, daß der Schlitten von meinem Alten dort unten auf uns wartet?«