Conrad, Joseph Freya von den Sieben Inseln

PIPER

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

  

Übersetzt aus dem Englischen von Nikolaus Hansen

 

Neuauflage einer früheren Ausgabe

ISBN 978-3-492-97955-9

© Piper Verlag GmbH, München 2017

Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Freya of the Seven Isles. A Story of Shallow Waters«, 1912 im »Metropolitan Magazine«, New York und »London Magazine«, London, erschienen, Buchausgabe in »Twixt Land and Sea«, London/New York 1912

© der deutschsprachigen Ausgabe Haffmans Verlag AG, Zürich 1996

Covergestaltung: zero-media.net, München

Covermotiv: FinePic®, München

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

 

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.

Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.

1

EINES Tages – und dieser Tag liegt inzwischen viele Jahre zurück – erhielt ich von einem alten Kumpan und Weggefährten auf meinen Fahrten durch fernöstliche Gewässer einen langen Plauderbrief. Er lebte immer noch dort draußen, aber er war seßhaft geworden, ein Mann mittleren Alters; ich stellte ihn mir vor mit stattlicher Figur und häuslichem Wesen; kurz, von jenem Schicksal ereilt, das allen droht, sofern sie nicht in der besonderen Gunst der Götter stehen und schon früh das Zeitliche segnen. Es war ein Brief, der in Vergangenem schwelgte, ein »Du-erinnerst-Dich-doch-noch«-Brief – ein wehmütiger, im Gestern verhafteter Brief. Und unter anderem hieß es da: »Du erinnerst Dich doch bestimmt noch an den alten Nelson.«

Den alten Nelson! Und ob. Aber eines vorweg, er hieß gar nicht Nelson. Ich nehme an, daß die Engländer im Archipel ihn Nelson nannten, weil es bequemer war, und er hat wohl nie etwas dagegen gesagt. Das wär auch reine Pedanterie gewesen. Sein richtiger Name lautete Nielsen. Er war, lange bevor es die ersten telegraphischen Verbindungen gab, in den Osten gekommen, hatte für englische Firmen gearbeitet, hatte ein englisches Mädchen geheiratet, hatte jahrelang zu uns gehört, hatte auf seinen Handelsfahrten den östlichen Archipel in allen Himmelsrichtungen durchsegelt, kreuz und quer, hin und her, diagonal, im Halbkreis, im Zickzack, in Achtern, Jahr für Jahr.

Bis in den letzten Winkel dieser tropischen Gewässer war der alte Nelson (oder Nielsen) bei seinen Unternehmungen auf höchst friedvolle Weise vorgedrungen. Trüge man seine sämtlichen Routen in eine Karte ein, würden sie den Archipel wie ein Spinnengewebe überziehen – den gesamten Archipel mit Ausnahme der Philippinen. Es war eine sonderbare Abneigung gegenüber den Spaniern, oder, um es genau zu sagen, gegenüber den spanischen Behörden, die ihn dieses Gebiet meiden ließ. Niemand weiß genau, was er eigentlich meinte von ihnen befürchten zu müssen. Vielleicht hatte er irgendwann einmal Geschichten von der Inquisition gelesen.

Aber er hatte sowieso Angst vor allem, was er »Behörden« nannte; nicht vor den englischen Behörden, denen vertraute und die respektierte er, aber vor denen der anderen zwei, die in jenem Teil der Welt das Sagen haben. Die Holländer fand er zwar nicht ganz so schrecklich wie die Spanier, aber dafür mißtraute er ihnen um so mehr. Er mißtraute ihnen außerordentlich. In seinen Augen waren die Holländer imstande, einem Mann, der das Pech hatte, ihnen unangenehm aufzufallen, »auf jede nur erdenkliche Weise übel mitzuspielen«. Zwar hatten sie ihre Gesetze und Vorschriften, doch mangelte es ihnen bei deren Anwendung gänzlich an Augenmaß. Es war ein wahrhaft erbärmlicher Anblick, mit welch devoter Beflissenheit er seine Verhandlungen mit irgendwelchen Beamten führte, wenn man zugleich bedachte, daß dieser Mann (dabei muß man wissen, daß er schon immer wohlbeleibt war, und einem, wenn ich das so sagen darf, bei seinem Anblick das Wasser im Mund zusammenlaufen konnte) bekanntlich gelassen und furchtlos Kannibalendörfer in Neuguinea aufzusuchen pflegte, um dort irgendeinen Tauschhandel zu treiben, bei dem für ihn am Ende vielleicht nicht einmal fünfzig Pfund heraussprangen.

Ob ich mich an den alten Nelson erinnere! Kann man wohl sagen! Zugegeben, von den Leuten meiner Generation kannte ihn keiner aus seinen aktiven Tagen. Zu unserer Zeit war er schon »im Ruhestand«. Der Herrscher einer kleinen Inselgruppe etwas nördlich von Banka, der Sieben Inseln, hatte ihm ein Stück von einem seiner winzigen Eilande verkauft oder verpachtet. Ich vermute, daß es sich um eine rechtmäßige Transaktion gehandelt hat, doch wäre er Engländer gewesen, hätten die Holländer garantiert einen Grund gefunden, ihn ohne langes Gefackel von der Insel zu verjagen. In diesem Zusammenhang dürfte ihm die richtige Schreibweise seines Namens gut zustatten gekommen sein. Als bescheidenen Dänen, der sich äußerst korrekt verhielt, ließen sie ihn gewähren. Da er sein ganzes Geld in die Urbarmachung seines Landes gesteckt hatte, war er natürlich peinlich darum bemüht, jeden noch so harmlosen Anlaß für Ärgernisse zu vermeiden, und es war in erster Linie seine aus diesen Gründen entstandene Vorsicht, von der seine Vorbehalte gegenüber Jasper Allen herrührten. Doch davon später. Ja! Das waren unauslöschliche Erinnerungen, der große, einladende Bungalow, den sich der alte Nelson auf einer abschüssigen Landspitze gebaut hatte, die stattliche Figur des Mannes, das weiße Hemd und die weiße Hose, die er meist trug (er hatte die Angewohnheit, beim geringsten Anlaß seine Alpakajacke auszuziehen), seine großen blauen Augen, sein wuchernder sandweißer Schnurrbart, der sich in alle Richtungen sträubte wie die Stacheln eines gereizten Igels, seine Eigenart, sich plötzlich hinzusetzen und mit dem Hut Luft zuzufächeln. Es muß aber dennoch gesagt werden, daß, woran man sich eigentlich erinnerte, seine Tochter war, die zu jener Zeit kam, um bei ihm zu leben – und sie wurde so etwas wie die Königin der Inseln.

Freya Nelson (oder Nielsen) gehörte zu den Mädchen, an die man sich ein Leben lang erinnert. Das Oval ihres Gesichts war vollkommen; und innerhalb dieser faszinierenden Umrahmung mischte sich die äußerst glückliche Anordnung von Linien und Formen mit einem betörenden Teint zu einem Ausdruck von Gesundheit und Kraft und zu einem, wie ich es nennen möchte, unbewußten Selbstvertrauen – einer höchst erfreulichen und gleichwohl launischen Eigenwilligkeit. Ich werde mich hüten, ihre Augen mit Veilchen zu vergleichen, denn im Grunde war ihr Farbton einzigartig, nicht so dunkel und leuchtender. Es waren wache Augen, die einen in jeder Stimmung offen ansahen. Nie habe ich erlebt, daß sie die langen dunklen Wimpern niederschlug – Jasper Allen, so wage ich zu behaupten, wird aufgrund seiner privilegierten Stellung in den Genuß dieses Anblicks gekommen sein –, aber ich zweifle nicht, daß gerade dann ihr Ausdruck auf komplizierte Weise bezaubernd war. Sie konnte – so erzählte Jasper mir einmal mit einem rührend idiotischen Juchzen – auf ihrem Haar sitzen. Schon möglich, schon möglich. Mir war es nicht vergönnt, Zeuge dieser Erstaunlichkeiten zu sein; ich mußte mich damit begnügen, sie so zu bewundern, wie sie mir begegnete: mit sorgsam und schicklich aufgestecktem Haar, um nur ja nicht die gelungene Form ihres Kopfes zu verbergen. Und diese Haarflut war von einem solchen Glanz, daß sie, wenn auf der Westveranda die Jalousien heruntergelassen waren und dort ein angenehmes Dämmerlicht herrschte, oder im schattigen Obstgarten nicht weit vom Haus, selbst ein goldenes Licht auszustrahlen schien.

Sie trug meist eine weiße Bluse und dazu einen halblangen Rock, unter dem ihre gepflegten braunen Schnürstiefel zu sehen waren. Wenn es an ihren Kleidern überhaupt irgendwelche Farben gab, dann allenfalls hier und da einen Tupfen Blau. Es schien keine Anstrengung zu geben, die sie erschöpfen konnte. Ich habe sie nach einer langen Ruderpartie in der Sonne (sie ruderte gern und viel) aus dem Dinghi steigen sehen, ohne daß ihr Atem schneller ging oder auch nur eine einzige Haarsträhne verrutscht war. In der Frühe, wenn sie auf die Veranda trat, um einen ersten Blick über See nach Westen gen Sumatra zu richten, glich sie in ihrer Jugend und Unberührtheit frischem Morgentau. Doch der Morgentau verflüchtigt sich, während Freya nichts Flüchtiges an sich hatte. Ich erinnere mich an ihre runden, kräftigen Arme mit den zarten Handgelenken, an ihre großen, tüchtigen Hände mit den zu den Spitzen hin sich verjüngenden Fingern.

Ich weiß nicht, ob sie gar auf See zur Welt gekommen ist, aber ich weiß, daß sie bis zum Alter von zwölf Jahren mit ihren Eltern auf verschiedenen Schiffen zur See fuhr. Nachdem der alte Nelson seine Frau verloren hatte, stand er vor der schwierigen Frage, was er mit dem Mädchen anfangen sollte. Gerührt von seinem stummen Schmerz und seiner bedauernswerten Ratlosigkeit erbot sich eine freundliche Dame in Singapore, sich Freyas anzunehmen. Dieses Arrangement währte etwa sechs Jahre, während deren der alte Nelson (oder Nielsen) »in den Ruhestand« trat und sich auf seiner Insel niederließ, und dann wurde beschlossen (die freundliche Dame siedelte nach Europa über), daß seine Tochter zu ihm ziehen sollte.

Die erste und wichtigste Maßnahme zur Vorbereitung dieses Ereignisses bestand darin, daß der alte Knabe seinen Agenten in Singapore beauftragte, ihm ein Steyn & Ebhart-Klavier zu besorgen. Ich war damals Kapitän eines kleinen Dampfers für den Gütertransport zwischen den Inseln, und mir fiel die Aufgabe zu, ihm die Bestellung anzuliefern, weswegen ich einiges über Freyas Klavier weiß. Unter größten Schwierigkeiten wuchteten wir die riesige Kiste auf einen flachen Felsen zwischen Ufergebüsch, eine nautische Operation, bei der einem meiner Boote beinahe der Boden herausgeschlagen wurde. Meine gesamte Mannschaft einschließlich Maschinisten und Heizern schuftete unter Aufbietung allen verfügbaren Erfindungsreichtums in der Sonne wie die alten Ägypter beim Pyramidenbau, um sie mit Hilfe von Rollhölzern, Hebelstangen, Flaschenzügen und schiefen Ebenen aus geseiften Brettern schließlich bis zum Haus zu bringen, wo wir sie am äußersten Rand der Westveranda, die als Gesellschaftszimmer des Bungalows diente, absetzten. Dort wurde die Kiste vorsichtig auseinandergenommen, und dann stand es endlich da, das wunderschöne Ungetüm aus Palisander. In ehrfürchtiger Erregung schoben wir es behutsam gegen die Wand, und dann konnten wir zum ersten Mal an diesem Tag frei durchatmen. Es handelte sich zweifellos um den schwersten beweglichen Gegenstand, der seit Erschaffung der Welt auf diese Insel gelangt war. Das Klangvolumen, das er in jenem Bungalow (der seinerseits wie eine Schallmuschel wirkte) zu entfalten vermochte, war in der Tat verblüffend. Lieblich scholl es bis weit über das Meer. Jasper Allen erzählte mir, daß er frühmorgens an Deck der Bonito (seiner traumhaft schnellen und wunderschönen Brigg) deutlich hören konnte, wie Freya ihre Tonleitern übte. Aber der Bursche ankerte auch immer aberwitzig dicht vor der Landspitze, weswegen ich ihn wiederholt gerügt habe. Gewiß, in dieser Gegend ist die See fast immer ruhig, und die Sieben Inseln gelten als ein ganz besonders friedliches und wolkenloses Plätzchen. Aber dennoch, hin und wieder entschließt sich eines jener Nachmittagsgewitter über Banka, oder gar eine jener tückischen finsteren Sturmböen, die an der fernen Küste Sumatras lauern, zu einem blitzschnellen Ausflug hinüber zur Inselgruppe, die dann für ein paar Stunden von heftigen Winden gebeutelt wird und in eine blauschwarze Düsternis von einzigartiger Bedrohlichkeit gehüllt ist. Und wenn dann die herabgelassenen Rattan-Jalousien wütend im Wind klapperten und der ganze Bungalow erbebte, pflegte sich Freya ans Klavier zu setzen und inmitten des Geflackers der gleißenden Blitze und des rundum grollenden Donners, der einem die Haare zu Berge stehen ließ, grimmige Wagner-Musik zu spielen; und Jasper blieb dann reglos auf der Veranda sitzen, betrachtete sie von hinten, versank in tiefer Bewunderung für ihre geschmeidige, sich hin- und herwiegende Gestalt, für den geheimnisvollen Schein ihres blonden Haars, für die über die Tasten fliegenden Hände, für ihren weißen Nacken – und derweil zerrte dort unten vor der Landspitze, keine hundert Meter von verhängnisvollen, schwarzglänzenden Felsklippen entfernt, die Brigg an ihren Ankertrossen. Puh!

Und das, bitte sehr, aus dem einen einzigen Grund, daß er, wenn er abends an Bord ging und sein Haupt zur Ruhe bettete, das Gefühl haben wollte, seiner Freya, die dort oben im Bungalow friedlich schlummerte, so nah zu sein, wie es die Umstände eben erlaubten. Hat man so was schon erlebt! Und dabei muß man wissen, daß diese Brigg als zukünftiges Heim dienen sollte – als ihr zukünftiges Heim – es war das schwimmende Paradies, das er nach und nach wie eine Yacht ausstattete, auf der glückselig dahinsegelnd er sein Leben mit Freya zu verbringen beabsichtigte. Kindskopf! Aber der Bursche suchte immer das Risiko.

Ich erinnere mich noch daran, daß ich eines Nachmittags zusammen mit Freya von der Veranda aus beobachtete, wie sich die Brigg von Norden der Landspitze näherte. Jasper, so vermute ich, machte das Mädchen mit seinem Fernrohr aus. Und was tut er? Statt noch anderthalb Meilen am Riff entlangzusegeln und dann, nach bewährter Seemannsart, über Stag zu gehen und sich zu seinem Ankerplatz zu verholen, sucht er sich eine Lücke zwischen zwei abscheulichen alten spitzen Felsen, legt plötzlich hart Ruder und jagt die Brigg mit killenden und knatternden Segeln mitten hindurch, den Radau konnten wir bis oben auf die Veranda hören. Ich pfiff durch die Zähne, kann ich Ihnen sagen, und Freya fluchte. Ja! Sie ballte ihre kräftigen Fäuste, stampfte mit ihrem hübschen braunen Stiefel auf und sagte: »Verdammt!« Dann sah sie mich an, sie war ein wenig errötet – nur ganz leicht –, und sagte: »Ich vergaß, daß Sie hier sind«, dann lachte sie. Kein Wunder, kein Wunder. Wenn Jasper in Sichtweite war, vergaß sie mit Vorliebe, daß es noch andere Menschen auf der Welt gab. In meiner Besorgnis angesichts dieses wahnwitzigen Manövers konnte ich nicht umhin, Beistand suchend an ihren gesunden Menschenverstand zu appellieren.

»Dieser Wahnsinnige!« sagte ich gefühlvoll.

»Der reinste Vollidiot«, pflichtete sie mir zärtlich bei und sah mich mit großen, ernsten Augen offen an, während sich im Anflug eines Lächelns ein Grübchen auf ihrer Wange bildete.

»Und das nur«, betonte ich, »um vielleicht zwanzig Minuten früher bei Ihnen zu sein.«

Wir hörten, wie der Anker fiel, und dann wurde sie plötzlich ausgesprochen resolut und ungemütlich.

»Warten Sie. Dem werd ich’s zeigen.«

Sie ging auf ihr Zimmer, schloß die Tür hinter sich und Ließ mich mit ein paar Anweisungen auf der Veranda zurück. An Bord der Brigg waren die Segel noch längst nicht fertig aufgetucht, als Jasper, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe heraufgestürmt kam und, ohne einen guten Tag zu wünschen, sich ungeduldig nach allen Seiten umsah.

»Wo ist Freya? War sie nicht gerade noch hier?«

Als ich ihm erklärte, er werde, »auf daß es ihm eine Lehre sei«, eine ganze Stunde auf die Anwesenheit von Miss Freya verzichten müssen, sagte er, das hätte zweifellos ich ihr eingeredet und daß er fürchte, mich eines Tages doch noch erschießen zu müssen. Sie und ich, wir wären allmählich ein bißchen zu dicke miteinander. Dann warf er sich in einen Stuhl und versuchte, mir von seiner Fahrt zu erzählen. Aber das Komische war, daß der Bursche wirklich Qualen litt. Man sah es ihm an. Ihm versagte die Stimme, und er saß stumm da und starrte mit Leidensmiene die Tür an. Ungelogen … Und noch komischer war, daß nach nicht einmal zehn Minuten das Mädchen seelenruhig aus ihrem Zimmer spaziert kam. Und da bin ich gegangen. Will sagen, ich bin in der wohlmeinenden Absicht gegangen, den alten Nelson (oder Nielsen) auf seiner hinteren Veranda, die er sich bei der Einteilung des Hauses als ganz persönlichen kleinen Schlupfwinkel vorbehalten hatte, zu besuchen und in ein Gespräch zu verwickeln, damit er nicht womöglich durchs Haus liefe und ungewollt an Orten auftauchte, an denen er in jenem Moment nicht willkommen war.

Er wußte, daß die Brigg eingetroffen war, doch er wußte nicht, daß sich Jasper bereits bei seiner Tochter befand. Ich vermute, daß er dies angesichts der Kürze der Zeit für ausgeschlossen hielt. Ein Vater mußte natürlich so denken. Er ahnte, daß Allen hinter seinem Mädchen her war; die Vögel in den Lüften und die Fische im Meer, die meisten Schiffer im Archipel und alle möglichen Leute in der Stadt Singapore wußten Bescheid. Aber er war unfähig sich einzugestehen, wie ernst es dem Mädchen inzwischen mit dem Burschen war. Er hatte die Vorstellung, daß Freya viel zu vernünftig war, um sich in irgend jemanden richtig zu verlieben – ich meine so heftig, daß die Sache außer Kontrolle geriet. Nein; nicht das war der Grund, warum er, wenn Jasper zu Besuch kam, still vertieft in seine Sorgen auf der hinteren Veranda saß. Was ihm Sorgen machte, das waren die holländischen »Behörden«. Denn es ist eine Tatsache, daß die Holländer das Treiben des Jasper Allen, Eigner und Kapitän der Brigg Bonito, mißtrauisch verfolgten. Er war für ihren Geschmack viel zu umtriebig bei seinen Geschäften. Daß er je etwas Illegales getan hat, ist mir nicht bekannt; aber mir scheint, daß sein enormer Eifer unvereinbar war mit ihrem dumpfen Wesen und ihrer Betulichkeit in praktischen Dingen. Wie dem auch sei, der alte Nelson sah in dem Kapitän der Bonito einen gescheiten Seemann und einen reizenden jungen Mann, den er dennoch lieber nicht zu seinen näheren Bekannten zählte. Irgendwie kompromittierend, Sie verstehen. Andererseits mochte er Jasper nicht klipp und klar sagen, er sei in seinem Hause nicht erwünscht. Dafür war der arme alte Nelson ein viel zu netter Kerl. Ich glaube, er hätte es, solange man ihn nicht über die Maßen reizte, nicht einmal fertiggebracht, die Gefühle eines wuschelhaarigen Kannibalen zu verletzen. Ich spreche von Gefühlen, nicht von Körpern aus Fleisch und Blut. Was Speere, Messer, Kriegsbeile, Keulen und Pfeile anging, so hatte der alte Nelson durchaus bewiesen, daß er seinen Mann stehen konnte. Aber in jeder anderen Hinsicht war er eine furchtsame Seele. Und so saß er mit sorgenvoller Miene auf der hinteren Veranda, und wenn immer die Stimmen seiner Tochter und Jasper Allens zu ihm herüberdrangen, blähte er die Backen, und wie ein schwergeprüfter Mann ließ er die Luft mit einem kläglichen Geräusch wieder entweichen.

Natürlich spottete ich über seine Ängste, soweit er sie mir anvertraute. In gewisser Weise schätzte er mein Urteil, und er respektierte es auch, allerdings weniger aufgrund meiner moralischen Qualitäten, sondern vielmehr wegen meiner vermeintlich guten Kontakte zu den holländischen »Behörden«. Ich wußte genau, daß sein größtes Schreckgespenst, der Gouverneur von Banka – ein reizender, witziger, aufrichtiger Konteradmiral a. D. –, große Sympathien für ihn hegte. Dieser tröstliche Umstand, von dem ich ihn stets aufs neue in Kenntnis setzte, pflegte die Miene des alten Nelson (oder Nielsen) für einen Moment aufzuhellen; aber am Ende schüttelte er doch wieder nur zweifelnd den Kopf, als wollte er sagen, das sei ja alles schön und gut, aber im Wesen des holländischen Beamten gebe es Abgründe, die allein er ermessen könne. Vollkommen lächerlich.

An jenem Tag, von dem hier die Rede ist, zeigte sich der alte Nelson gar mürrisch; eine Weile versuchte ich, ihn mit einer komischen und gewissermaßen auch empörenden Geschichte abzulenken, die einem gemeinsamen Bekannten in Saigon widerfahren war, als er plötzlich ausrief:

»Warum zum Teufel muß er andauernd hier aufkreuzen!«

Offenkundig hatte er von der Anekdote kein Wort mitbekommen. Und das ärgerte mich, denn die Anekdote war wirklich gut. Ich starrte ihn an.

»Also wirklich, also wirklich!« rief ich. »Sie wissen nicht, warum Jasper Allen hier andauernd aufkreuzt?«