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Butler Parker
– 138 –

Parker hebt den Maulwurf aus

Günter Dönges

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-905-3

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»Ich versichere Sie selbstverständlich meiner vollsten Diskretion, Mister Preston«, sagte Butler Parker und deutete eine knappe Verbeugung an. »Sie können frei und offen reden.«

»Ich möchte nämlich keinen Ärger bekommen«, begann William Preston, der einen nervösen Eindruck machte. »Die Drohungen am Telefon waren eindeutig genug.«

»Womit wir bereits beim Thema wären, Mister Preston.«

Josuah Parker sah seinen Kollegen erwartungsvoll an. William Preston war etwa fünfundfünfzig und trug zur gestreiften Hose eine weiß-gelb gestreifte Weste. Er war Butler des Lord of Lanters und hatte sich hilfesuchend an Parker gewandt.

»Man will mich umbringen«, sagte Preston und holte tief Luft.

»Ein verabscheuungswürdiges Unterfangen«, räumte Josuah Parker ein. »Es gibt bestimmte Gründe für diese erklärte Absicht, Mister Preston?« »Das kann man wohl sagen, Mister Parker.« William Preston bemühte sich um Haltung. »Die Krone gab mir die Ehre, mich als Geschworenen in einem Strafprozeß zu berufen.«

»Um welchen Prozeß handelt es sich?« Parker war ein Mann undefinierbaren Alters, etwas über mittelgroß und fast schlank. Er hatte das glatte und undurchdringliche Gesicht eines Pokerspielers und verfügte über eine Ausdrucksweise, die man nur als barock bezeichnen konnte. Er war der Butler einer gewissen Lady Agatha Simpson und betätigte sich schon fast hauptberuflich als Amateurkriminalist.

»Es handelt sich um die Strafsache George Hunt«, beantwortete Preston Parkers Frage. »Sie wissen vielleicht, er steht unter der Anklage, einen Garagenbesitzer erschossen zu haben.«

»Dieser Strafprozeß ist mir bekannt.« Parker nickte knapp. »Nach Lage der Dinge möchte ich unterstellen, daß man Sie für den Fall bedroht hat, daß Sie den Angeklagten für schuldig erklären, nicht wahr?«

»Das genau ist es, Mister Parker«, antwortete William Preston. »Und nun weiß ich nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich bin kein Held, verstehen Sie? Und ich spüre, daß diese Drohung ernst gemeint war, sehr ernst sogar.«

»Dem möchte ich durchaus beipflichten, Mister Preston«, sagte Parker. »Mister George Hunt ist ein in Unterweltkreisen recht bekannter Mann, der über großen Einfluß verfügt.«

»Was soll ich also tun, Mister Parker? An die Polizei kann ich mich unmöglich wenden. Man hat mir gedroht, mich dann einfach niederzuschießen wie einen tollen Hund.«

»Dies wäre ein Umstand, den man als sehr peinlich bezeichnen müßte«, antwortete der Butler gemessen. »Wann werden die Geschworenen über den Schuldspruch entscheiden?«

»Schon morgen, Mister Parker, das ist es ja gerade. Ich habe überhaupt keine Zeit irgend etwas zu unternehmen. Ach richtig, da wäre noch etwas.«

»Ich erlaube es mir bereits zu ahnen.«

»Man hat mich auch davor gewarnt, etwa krank zu werden oder eine Reise anzutreten. Man besteht darauf, daß ich morgen im Gerichtsgebäude bin, und hat mir gesagt, daß man mich nicht aus den Augen ließe.«

»Eine Situation, die ich als äußerst heikel bezeichnen möchte.«

»Sie sind meine einzige Hoffnung, Mister Parker. Ich weiß doch, daß Sie sich manchmal mit Kriminalfällen befassen.«

»Ich habe die Ehre, Lady Simpson in solchen Fällen ein wenig assistieren zu dürfen.«

»Was soll ich tun, Mister Parker?«

»Sie werden umgehend so etwas wie eine überstürzte Flucht antreten«, erwiderte Butler Parker.

»Dann wird man mich umbringen. Ich weiß das genau!«

»Wenn Sie gestatten, Mister Preston, werde ich Ihre Flucht arrangieren.«

»Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.«

»Ich werde mir die Freiheit nehmen, mein Äußeres ein wenig zu verändern«, antwortete Josuah Parker. »Dies dürfte nicht besonders schwer sein, wie ich Ihnen versichern kann, zumal Sie und meine bescheidene Wenigkeit den Beruf eines Butlers ausüben.«

»Und wozu soll das gut sein? Morgen muß ich auf der Geschworenenbank sitzen, Mister Parker. Flucht hat überhaupt keinen Sinn, begreifen Sie doch endlich! Man überwacht mich. Vielleicht lauern vor dem Haus bereits einige Mörder.«

»Das wäre ausgezeichnet, Mister Preston. Wenn ich vorschlagen darf, sollte jetzt eine Art Personentausch stattfinden. Ich werde mir gestatten, diese Beobachter ein wenig in die Irre zu führen.«

»Aha, so meinen Sie das!« William Preston hatte endlich verstanden. »Sie wollen diese Gangster vom Haus weglocken, damit ich mich in Sicherheit bringen kann, nicht wahr?«

»Sie befinden sich auf einer Fährte, die ich als fast richtig bezeichnen möchte«, lautete Parkers Antwort. »Über die weitere Entwicklung der Dinge sollten Sie sich vorerst keine Sorgen machen. Ich muß allerdings darauf bestehen, daß Sie während der nächsten beiden Stunden das Haus auf keinen Fall verlassen.«

»Das schwöre ich Ihnen, Mister Parker.«

»Sehr aufmerksam.« Josuah Parker nickte zufrieden. »So, und nun möchte ich das machen, was man in Theaterkreisen gemeinhin Maske nennt. Die Täuschung der Bewacher sollte möglichst umfassend sein.«

*

Josuah Parker hatte in weiser Voraussicht das Haus durch einen Hintereingang betreten. Nun verließ er es durch den Haupteingang und war selbst für einen aufmerksamen Beobachter nicht mehr wiederzuerkennen. Er hatte die leicht gebeugte Haltung seines Berufskollegen Preston angenommen und zog das linke Bein kaum merkbar nach. Er trug einen dunklen Paletot und selbstverständlich auch eine Melone.

Dieser angebliche Mister William Preston sah sich scheu nach allen Seiten um, zog förmlich den Kopf ein und ging dann zur nächsten Straßenecke. Zwischendurch schaute er sich immer wieder um. Es war ganz offensichtlich, daß dieser Mann Angst hatte, verfolgt zu werden.

Daß dies aber bereits der Fall war, hatte Josuah Parker schon längst herausgefunden.

Ein kleiner grauer Morris folgte ihm im Abstand von etwa dreißig Metern. Vorn im Wagen saßen zwei stämmig aussehende Männer, die sich ganz eindeutig für ihn interessierten. Wahrscheinlich warteten sie nur auf eine passende Gelegenheit, um sich mit ihm zu befassen. Und Butler Parker sorgte dafür, daß sie diese Gelegenheit auch möglichst schnell erhielten. Er hatte die Seitenstraße hinter sich gelassen und hielt auf einen kleinen Park zu, dessen Ränder zur Straße hin mit dicken und dichten Sträuchern bewachsen waren.

Sie ließen nicht lange auf sich warten.

Parker hörte schnelle Schritte hinter sich und wurde dann von den beiden Männern überholt, die sich zuerst mal überhaupt nicht um ihm kümmerten. Dann aber machten sie plötzlich kehrt und bauten sich vor ihm auf. Sie hielten sehr häßlich aussehende Schlaginstrumente in den Händen: Kabelenden, die mit Isolierband oberflächlich umwickelt waren. Die beiden Männer drängten den scheinbar verwirrten Butler in dichtes Buschwerk und kamen schnell zur Sache.

»Wer will denn hier abhauen?« fragte der erste Schläger und lächelte tückisch.

»Wer will denn hier die Kurve kratzen?« erkundigte sich der zweite und schüttelte fast vorwurfsvoll den Kopf.

»Ich ... Ich habe nicht die Absicht, meine Herren«, schickte Parker voraus, doch die energische Handbewegung des ersten Schlägers ließ ihn schweigen.

»’ne kleine Abreibung kann niemals schaden«, sagte der Mann dann und holte mit dem Kabelende aus.

»So was prägt sich nämlich ein«, behauptete der zweite Schläger. »Wir wollen ja morgen nicht vergessen, daß Mister Hunt völlig unschuldig ist, nicht wahr?«

»Keine Angst, Mann, dein Gesicht bleibt heil«, tröstete der erste Rowdy freundlich.

»Nur die Rippen werden leicht stechen«, sagte der zweite und wollte seinen ersten Schlag anbringen. Er holte blitzartig aus und... erlebte eine mehr als peinliche Überraschung.

Butler Parker in der Maske seines Berufskollegen Preston hatte keine Lust, sich von diesen beiden Schlägern mißhandeln zu lassen. Er hielt plötzlich seine schwarze Melone in der rechten Hand und setzte die Wölbung auf die Nase des Sadisten.

Der Mann heulte auf wie ein getretener Hund.

Seine Nase legte sich quer, und auch das Nasenbein wurde deutlich in Mitleidenschaft gezogen. Der Mann vergaß den geplanten Schlag, hatte Tränen in den Augen und war in den nächsten Sekunden nicht mehr in der inneren Verfassung, sich weiter um den Butler zu kümmern.

Der erste Schläger war perplex.

Mit solcher Reaktion und Gegenwehr hatte er nicht gerechnet. Er war einen Moment ratlos. Als er dann einen Entschluß faßte, war es dazu bereits zu spät. Butler Parker hatte seine schwarze Melone wieder hochgerissen und traf mit der Wölbung das Kinn des Mannes. Da dieser Teil der Melone mit solidem Stahlblech ausgefüttert war, entsprach der Zusammenprall einem Niederschlag. Der Schläger verdrehte die Augen, stieß einen tiefen Seufzer aus, wurde weich in den Knien und nahm Platz.

»Ich bedaure diesen Zwischenfall außerordentlich«, sagte Parker und setze die Melone wieder korrekt auf. »Sie werden aber zugeben müssen, daß Sie mich zu dieser unzivilisierten Handlung geradezu gezwungen haben.«

Die beiden Schläger nahmen dazu keine Stellung und gaben sich ihrem Schmerz hin.

*

Lady Agatha Simpson, mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert, war eine mehr als stattliche Dame, die an die Walküre aus einer Wagneroper erinnerte. Sie war immens reich und konnte sich im Grund jeden Luxus leisten. Darauf aber legte sie überhaupt keinen Wert. Ihr Steckenpferd war das Kriminalfach. Sie fühlte sich als Amateurkriminalistin wohl und hatte das Glück, Gangster und Kriminalfälle anzuziehen wie das Licht die Motten. Darüber hinaus begann sie seit vielen Monaten mit der Niederschrift eines Kriminalbestsellers. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, eine gewisse Agatha Christie weit in den Schatten zu stellen. Es störte die Lady sehr wenig, daß sie bisher noch nicht eine einzige Zeile zu Papier gebracht hatte.

Ihr Alter gab Agatha Simpson ebenfalls seit Jahren mit »etwa sechzig« an, was man ihr durchaus abnahm. Sie hatte in ihrer Jugend ausgiebig Sport getrieben, spielte jetzt noch Golf und schwang den Sportbogen mit größter Treffsicherheit. Lady Simpson besaß ein weiches Herz, doch das tarnte sie recht geschickt. Nach außen hin gab sie sich immer leicht gereizt und barsch.

Die Detektivin hielt sich an diesem Mittag in ihrem Stadthaus in London auf, genauer gesagt im Stadtteil Shepherd’s Market. Sie musterte sehr interessiert und fast wohlwollend einen kleinen, untersetzten Mann, der an einen gereizten Bullterrier erinnerte. Es handelte sich um den Chief-Superintendent McWarden, der in Scotland Yard eine Sonderabteilung leitete.

»Streichen Sie nicht wie eine Katze um den heißen Brei herum, McWarden«, meinte sie. »Rücken Sie schon endlich mit der Sprache heraus! Sie sind doch niemals zufällig vorbeigekommen, oder?«

»Allerdings nicht, Mylady«, gestand McWarden widerwillig.

»Sie melden also wieder mal Konkurs an, wie?« Agatha Simpsons Lächeln wurde jetzt katzenfreundlich. Sie genoß die Qualen ihres Gegenübers.

»So hart würde ich es nicht ausdrücken«, verteidigte McWarden sich. Er war ein Mann von gut und gern fünfzig Jahren, der sich in Myladys Gegenwart automatisch wie ein junger, hilfloser Mann vorkam.

»Also, wo drückt der Schuh?« Die Hausherrin rückte sich zufrieden in ihrem Ledersessel zurecht. »Sie brauchen meine Hilfe! Warum geben Sie das eigentlich nicht zu?«

»Mr. Parker befindet sich nicht zufällig im Haus, Mylady?«

»Mr. Parker besucht einen Bekannten«, antwortete die ältere Dame und wurde sofort ungnädig. »Ich bin Ihnen wohl nicht gut genug, wie, junger Mann! Sie müssen das ehrlich und offen sagen, ich werde daraus dann meine Konsequenzen ziehen, verlassen Sie sich darauf!«

»Aber nein, Mylady, wirklich nicht.« McWarden hob abwehrend die Arme. »Ich weiß doch nur zu gut, über welche Erfahrungen Sie verfügen.«

Dies war eine glatte Lüge, und auch Agatha Simpson wußte es.

Ohne Butler Parker war sie selbstverständlich hilflos und nicht in der Lage, einen Kriminalfall zu lösen. Doch das hörte sie natürlich nicht gern.

»Es handelt sich um seltsame Vorfälle«, begann McWarden. »Seit einiger Zeit platzen Strafprozesse. Das heißt, selbst in eindeutigen Fällen lehnen die Geschworenen die eigentlich fälligen Schuldsprüche ab. Darüber hinaus ändern Zeugen plötzlich ihre Aussagen zugunsten der Angeklagten. Wir wissen natürlich, daß hier Erpressung und Angst im Spiel sind, Mylady, doch wir können nichts beweisen.«

»Natürlich nicht.« Agatha Simpson nickte überzeugt. »Und jetzt soll ich Ihnen wieder mal die Kastanien aus dem Feuer holen, nicht wahr?«

»Eine gewisse Hilfestellung, Mylady, wäre schon sehr wünschenswert, das gebe ich ohne weiteres zu.«

»Na also, warum nicht gleich so, junger Mann. Ihnen kann geholfen werden.«

»Stellen Sie sich das nicht so leicht vor, Mylady«, warnte Chief-Superintendent McWarden. »Natürlich haben wir die betreffenden Leute verhört, aber sie rücken einfach nicht mit der Sprache heraus. Sie streiten rundweg ab, je erpreßt worden zu sein.«

»Das wird sich bald ändern, McWarden.« Agatha Simpsons Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. »Sie haben ein paar Unterlagen mitgebracht, hoffe ich?«

»Selbstverständlich, Mylady.« McWarden langte in die Innentasche seines Sakkos und legte eine Liste vor. »Hier finden Sie alle Prozesse, die in letzter Zeit geplatzt sind. Hier finden Sie auch Namen und Adressen der Geschworenen, Es handelt sich selbstverständlich um vertrauliche Angaben.«

»Gibt es im Augenblick einen Fall, der besonders akut ist?«

»Der Fall George Hunt, Mylady«, erläuterte McWarden. »Dieser Hunt ist ein an sich kleiner Gangsterboß, der einen Garagenbesitzer niedergeschossen hat. Die Tatsachen und Beweise reichen vollkommen für den Schuldspruch aus, doch ich vermute, daß die Geschworenen zu keiner Einigung kommen werden.«

»Wann wird das Urteil verkündet, junger Mann?«

»Nennen Sie mich nicht immer junger Mann, Mylady«, reagierte McWarden verärgert. »Morgen ist es soweit.«

»Ich könnte Ihre Mutter sein.«

»Du lieber Himmel, Mylady«, seufzte der Chief-Superintendent. »Das hätte mir gerade noch gefehlt, ich meine, äh, also ...«