Der Bergpfarrer – 194 – Unsere Liebe wäre perfekt

Der Bergpfarrer
– 194–

Unsere Liebe wäre perfekt

Gäbe es da nicht zwei

Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-869-8

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»Nein, danke schön, das schaffe ich schon allein.« Elisabeth Kannegießer, die neue Angestellte im Hotel ›Zum Löwen‹, das gleichzeitig auch Restaurant und Tanzsaal unter einem Dach vereinte, trug ihre Reisetasche allein ins Zimmer, ohne die Hilfe des netten Kollegen in Anspruch zu nehmen. Die schöne blonde Frau war neu in St. Johann. Sepp Reisinger hatte über mehrere Anzeigen jemanden gesucht, der nicht nur bereit war, die zunehmende Büroarbeit auf sich zu nehmen; diese Person sollte auch in der Lage sein, an der Rezeption und allen anderen Bereichen auszuhelfen und sich ab und zu um die Extrawünsche der Kunden zu kümmern. Nach Ansicht von Sebastian Trenker handelte es sich bei der gesuchten Person wohl um eine Eier legende Wollmilchsau, also ein Fabelwesen, denn so eine Perle für den Hotelbetrieb zu finden, wäre wohl schlicht und einfach unmöglich. Damals hatte der Bergpfarrer am Stammtisch die Lacher auf seiner Seite. Jetzt konnte Sepp Reisinger triumphieren.

Aus St. Johann und Umgebung hatte sich auch niemand gefunden, der diesen anstrengenden Dienst auf sich nehmen wollte, doch tatsächlich meldete sich eine junge Frau aus München. Elisabeth Kannegießer konnte hervorragende Zeugnisse vorweisen, war jedoch seltsam wortkarg, als der Sepp sie fragte, warum sie unbedingt in den kleinen Ort wechseln wollte, wo sie doch mit ihren Referenzen als Hotelfachkraft überall in großen Häusern eine Anstellung finden würde.

»Ich hab dafür persönliche Gründe«, hatte sie ruhig gesagt. »Ich kann und will arbeiten, und ich habe auch keine Probleme, wenn es mal ein bisserl mehr wird.«

Das war Musik in den Ohren vom Reisinger-Sepp, er hatte keine weiteren Fragen, dafür aber eine neue Angestellte.

Lisa, wie Elisabeth meist nur gerufen wurde, hatte sich vorgenommen, ein neues Leben anzufangen, und viel Arbeit war in diesem Fall sicher die beste Medizin, um alles, was vorher war, vergessen zu machen.

Sie schaute sich um. Ihr Zimmer war gemütlich und freundlich, der Empfang im Hause herzlich. Eigentlich sollte ihr Dienst erst am Montag beginnen, heute war Freitag, doch sie war der Meinung, dass es nicht schaden konnte, sich schon mal mit dem zukünftigen Arbeitsplatz vertraut zu machen.

So kam es, dass sie schon gut eine halbe Stunde später in der Gaststube auftauchte, wo sie endgültig den Respekt ihres neuen Arbeitgebers erlangte, als sie ohne große Umstände ein Tablett nahm, um beim Servieren zu helfen.

*

Das vornehme Auto hielt mitten auf der Straße, und eine Dame stand zögerlich vom Rücksitz auf, unterstützt von einem jungen Mann mit braunen Haaren und einem fröhlichen Lachen.

»Komm, Tantchen, das sind nur ein paar Schritte zum Seiteneingang, und niemand wird dich sehen«, sagte er und bot ihr weiterhin galant die Hand.

»Jeder wird mich erkennen und sich fragen, warum ich so schauerlich aussehe«, fuhr sie ihn ungnädig an, doch er ließ sich durch ihren Unmut nicht beeindrucken.

»Ach, nun stell dich nicht so an. Du bist in jeder Situation und mit jedem Aussehen eine wunderbare Frau, Tante Theresa. Du solltest stolz darauf sein, wenn dich alle erkennen.«

Nur bei näherem Hinsehen war zu erkennen, dass die Haut der etwa fünfzigjährigen Frau hässliche Pusteln und Flecken aufwies, die jedoch durch eine gute Kosmetik überdeckt worden waren.

Diese Frau war Theresa Sendler, eine bekannte und beliebte Theaterschauspielerin, die seit Jahren von vielen Menschen geschätzt wurde. Sie war im Grunde eine patente und kluge Frau, die nur selten Starallüren zeigte. Doch seit fast zwei Monaten wurde sie von diesem hartnäckigen und hässlichen Ausschlag geplagt, der sie regelrecht unleidlich machte.

Der junge Mann an ihrer Seite war ihr Neffe Hannes, der als persönlicher Assistent, Sekretär und Berater arbeitete. Er nahm ihre kleinen Schrullen mit Humor, besaß eine schier unendliche Geduld und war in seiner Arbeit ungeheuer tüchtig. Seiner Tante zuliebe hatte er seine Arbeit in einer Bank aufgegeben, und diese Entscheidung hatte er bis heute nicht bereut.

Theresa Sendler hatte nach dem ersten Auftreten ihrer Krankheit sofort ›ihren‹ Doktor konsultiert, der ihr jedoch nicht weiterhelfen konnte. Nun war das kein Wunder, denn ihr alter Freund Dr. Richard Huber war nämlich in Wirklichkeit kein Mediziner, sondern hatte seinen Doktor in Literatur gemacht, doch er hatte nebenbei ein paar Semester Medizin, Homöopathie und Psychologie studiert. Das reichte im Allgemeinen, um Tessa Sendler einfühlsam zuzuhören, ihr einen beruhigenden Kräutertee oder Kopfschmerztabletten zu ›verordnen‹, und Theresa Sendler ging dann beruhigt nach Hause.

Doch Richard hatte in diesem Fall nicht weitergeholfen, nicht helfen können. Statt die Schauspielerin nun aber zu einem ordentlichen Arzt zu schicken, hatte er ihr einen schon etwas älteren Zeitungsartikel unter die Nase gehalten, über einen Mann, der ihr gewiss helfen konnte – über Alois Brandhuber, den Wunderheiler von St. Johann!

Das war der Grund, warum die Tessa Sendler nun hier einkehrte. Hannes wusste, dass für seine Tante, als Dame von Welt, nur das ers­te Haus am Platz infrage kam, das Hotel ›Zum Löwen‹, das gehobene Hotellerie zu bieten hatte.

Einige Leute auf der Straße blickten sich tatsächlich nach der ungewöhnlichen Frau um, doch niemand sprach sie an.

Im Gastraum saßen drei Männer am Stammtisch und unterbrachen kurz ihr Gespräch, einige andere Gäste tuschelten, offenbar hatte man Theresa Sendler erkannt.

Hannes ging zielstrebig zum Tresen, wo Sepp Reisinger gerade die neuen Getränkebestellungen notierte.

»Sendler ist mein Name, Grüß Gott. Ich habe Zimmer vorbestellt …«

»Ach, richtig, Sendler! Fürs Hotel haben Sie aber den falschen Eingang erwischt, doch das macht nix. Grüß Gott und willkommen in St. Johann. Ist das Ihr erster Besuch hier? Dann will ich doch hoffen, dass Sie sich wohl fühlen werden. Kommen S’, ich zeige Ihnen den Weg zu ihren Suiten.«

Er warf Theresa einen milden neugierigen Blick zu und streckte die Hand aus.

»Herzlich willkommen, gnädige Frau. Wir werden alles tun, um Ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Unsere Lisa wird sich darum kümmern, dass Ihnen jeder Wunsch erfüllt wird.«

Tessa Sendler wusste, was sie sich und ihrem Ruf schuldig war, sie erhob sich von dem Stuhl, auf den sie sich gesetzt hatte, und schenkte dem Hotelier ein strahlendes Lächeln.

»Ich bin sicher, es wird mir gefallen.«

Sepp Reisinger führte seine Besucher bis zur Rezeption, wo Lisa gerade die Zimmervorbestellungen für eine Reisegruppe aus Schweden überprüfte. Sie war ganz vertieft in ihre Arbeit, blickte dann aber hoch und sah unvermittelt in das Gesicht von Hannes Sendler. Zarte Röte färbte ihre Wangen. Er starrte sie an wie eine Erscheinung. Ihm gefiel augenblicklich, was er sehen konnte.

Schulterlange blonde Haare umrahmten ein schmales, regelmäßiges Gesicht, aus dem leuchtend blaue Augen jetzt etwas verlegen in die Welt blickten.

»Oh, Entschuldigung, grüß Gott, die Herrschaften. Herzlich willkommen in St. Johann.«

»Schön, Sie kennen zu lernen, Frau …«, sagte Hannes und strahlte die Frau an. Er wartete, dass sie ihren Namen nannte.

»Lisa Kannegießer, aber Sie können natürlich Lisa zu mir sagen. Ich werde zusehen, dass Ihr Aufenthalt zu einem unvergesslichen Erlebnis wird.«

Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht, und sie fühlte sich seltsam zu diesem Fremden hingezogen. Sie war jetzt seit zwei Wochen hier und fühlte sich ausgesprochen wohl, auch wenn sie noch wenig Kontakt zu anderen Menschen pflegte. Eigentlich fand in St. Johann jedermann Anschluss oder wenigstens Bekannte, mit denen die Freizeit verbracht werden konnte. Lisa ging wie die meisten Einwohner der Gemeinde zur Kirche, aber nicht einmal Pfarrer Trenker, der gute Hirte von St. Johann, vermochte etwas über sie zu erfahren. Auffällig war jedoch, dass sie jeden Tag lange Telefongespräche führte, nach denen sie manchmal ausgesprochen deprimiert wirkte.

Sepp Reisinger hatte versucht, sie zum Reden zu bringen, aber Lisa hatte sich der freundschaftlichen Annäherung entzogen.

Es war dies das erste Mal, dass sie mehr als ein professionelles Lächeln zeigte, aber ihre Miene verschloss sich sofort wieder.

Hannes bemerkte den Rückzug, und er war enttäuscht. Hatte er etwas falsch gemacht? Diese junge Frau gefiel ihm auf den ersten Blick, und er würde gern mehr Zeit mit ihr verbringen, aber vielleicht war es auch noch zu früh dafür.

Seine Tante zog seine Aufmerksamkeit wieder voll auf sich, als sie ihm auftrug, dafür zu sorgen, dass ihrem umfangreichen Gepäck nichts passierte. Ein letzter Blick auf die bezaubernd schöne Frau, dann hatte Hannes wieder mehr als genug zu tun.

*

»Frau Tappert, ich möchte mit den Buben aus dem Schloss Hubertusbrunn einen Ausflug auf die Kanderer-Alm machen.« Pfarrer Trenker kam in die Küche des Pfarrhauses und schaute seine Haushälterin bittend an.

»Und ich soll für die Bande die Brotzeit richten?«, fragte die Haushälterin, deren Kochkünste überall berühmt waren. »Wie viele Buben werden es denn sein?«, erkundigte sie sich.

»Ungefähr ein Dutzend«, schmunzelte Trenker, der recht gut wusste, dass die gute Seele ohnehin so viel vorbereiten würde, dass auch noch mehr Teilnehmer versorgt werden konnten. »Morgen früh geht es dann los.«

»Weiß denn der Franz schon Bescheid? Dann kann er die Jungen gleich in seine Arbeiten einplanen, dann lernen die mal das Anpacken.«

»Frau Tappert«, rief er gespielt empört. »Die Kinder sind hier, um Urlaub zu machen.«

»Das eine schließt doch das andere net aus«, gab sie trocken zurück. »Das täte selbst unser Herrgott sagen, Hochwürden, schließlich war unser Herr Jesus Zimmermann im alten Galiläa.«

Er schaute sie verblüfft an. »Geht es Ihnen gut, Frau Tappert?«, erkundigte er sich dann behutsam.

»Freilich geht es mir gut, wie sollte es mir auch anders gehen?«

Jetzt begann der Pfarrer sich ernsthafte Sorgen zu machen. Die gute Seele des Pfarrhauses schien in einer Krise zu stecken. Hatte er vielleicht manches als zu selbstverständlich hingenommen? Frau Tappert war eigentlich immer im Dienst, ebenso wie er selbst, sie hielt das Haus in Ordnung, sorgte täglich für ein hervorragendes Essen und verwöhnte die Gäste rund­um, wie auch den Pfarrer selbst.

»Brauchen Sie vielleicht ein paar Tage Urlaub?«, fragte er vorsichtig und zuckte förmlich vor ihrem zornigen Blick zurück.

»Ich brauche keinen Urlaub net«, erklärte Sophie Tappert kategorisch.

»Kann ich sonst etwas für Sie tun?«

»Hochwürden, es gibt nix zu tun. Ich weiß gar nicht, was Sie im Moment haben. Also, ich werde die Brotzeit für die Buben vorbereiten, dann können Sie morgen gemeinsam aufsteigen.«

Nachdenklich ging der Pfarrer in sein Arbeitszimmer und beschloss, mit seiner Sonntagspredigt anzufangen, um danach noch zum Stammtisch in den ›Löwen‹ zu gehen.

Rein zufällig fiel sein Blick auf den Terminkalender, auf dem für heute nichts eingetragen war – bis auf eine kleine Randnotiz, die er fast übersehen hatte. Geburtstag: Sophie Tappert, stand da, und er schlug sich an die Stirn.

Wie hatte er das nur vergessen können? Seit Jahren war es ihm nicht mehr passiert, dass er einen so wichtigen Termin übersehen hatte. Wie hatte ihm nur ein solcher Fehler unterlaufen können? Kein Wunder, dass die Haushälterin etwas unleidlich wirkte. Normalerweise wäre er schon in der Frühe mit Blumen und einem Geschenk aufgetaucht. Jetzt hatte er so getan, als wäre es ein Tag wie jeder andere.

Ein Schmunzeln zog über das attraktive Gesicht des Geistlichen. Er würde Frau Tappert auch weiterhin im Glauben lassen, diesen Termin vergessen zu haben. Aber insgeheim wollte er dafür sorgen, dass noch eine Überraschungsparty zu Stande kam, wie sie die gute Frau Tappert noch nicht erlebt hatte.

Gut gelaunt schrieb er die ersten Zeilen seiner Predigt in das Buch, das er stets für seine Predigten benutzte, und dann machte er sich auf den Weg, um seinen Bruder Max in der kleinen Polizeistation aufzusuchen.

Max Trenker lachte seinen Bruder jedoch aus. »Was, du hast tatsächlich ihren Geburtstag vergessen? Unglaublich! Ich habe natürlich schon ein Geschenk. Mit der Frau Tappert mag ich es nicht verderben, die lässt mich sonst womöglich verhungern.«

Wohlig strich er sich über den Bauch.

»Ein schöner Bruder bist du«, schimpfte Sebastian gutmütig. »Hättest ja auch mal was sagen können.«

»Ich? Hochwürden etwas sagen? Niemals«, lachte Max fröhlich auf.

»Also gut, ich hab’s vergessen, aber da lässt sich bestimmt noch was tun.«

Sebastian erläuterte seinen Plan und fand die Zustimmung von Max.