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Autor: Charlie Dombrow

Herausgeber: Ulrich Dorn

Programmleitung, Idee & Konzeption: Jörg Schulz

Prolog

Zu meiner Schulzeit war der Geschichtsunterricht eine unfassbar langweilige Veranstaltung. Namen und Jahreszahlen waren auswendig zu lernen und wurden abgefragt. Die wirklich interessanten Fragen wurden indes weder gestellt noch beantwortet – Fragen zum Mittelalter beispielsweise: 

Zum Glück haben sich die Zeiten gewandelt. Heutzutage kann man solche Fragen direkt jenen stellen, die die Antworten eigentlich wissen müssen, beispielsweise einem echten Ritter, der sich auf einem Mittelalterfest gewiss auch mit der Entsorgung beschäftigen muss und meist sogar mehrere Schwerter besitzt. Ein Gespräch mit einem Protagonisten eröffnet neugierigen Fotografen zudem die Chance, ebenso ungewöhnliche wie großartige Bildmotive zu finden.

Das wiederbelebte Mittelalter ist ein wunderbares Thema für jeden Fotografen. Entdecken Sie mit der Kamera eine abwechslungsreiche Szene, die Traditionen bewahrt und Historie lebt. Dieser Geschichtsunterricht ist kein bisschen langweilig! Statt Jahreszahlen zu pauken, müssen Sie nur mit Blendenzahlen und Belichtungszeiten umgehen können. In diesem Buch gebe ich Ihnen einige Tipps und Anregungen für Ihre Fotoexkursionen in ein Zeitalter, das weit mehr zu bieten hat als Ritter, Schwerter und Burgen. Beherzigen Sie auch den diskreten Hinweis, ein Burgfräulein besser nicht gleich nach ihrem Keuschheitsgürtel zu fragen.

Fast wie im wirklichen Märchen – Schloss Braunfels in Hessen.

95 mm | f/11 | 1/250 s | ISO 200 | App: Snapseed

Wikingerreise

1. Zeitreisen

Längst vergangene Zeiten bestimmen auch heute noch unser Leben, unsere Sprache, unsere Kultur und unsere Sicht auf die Welt. Wem die Gegenwart unserer saturierten Wohlstandsgesellschaft missfällt oder zu öde erscheint, findet in der Vergangenheit Fluchtpunkte, die zumindest zeitweise Erlösung vom Stress und den Fesseln moderner Zeiten erlauben. Besonders das Mittelalter erfreut sich größter Beliebtheit zur temporären Sanierung von Körper und Geist.

Das mittlere Zeitalter

Das Mittelalter ist die lange (um genau zu sein: 1000 Jahre lange) Brücke zwischen der Antike und der Neuzeit. Grob datiert wird der Beginn dieses Zeitalters auf das Jahr 500 nach Christi Geburt. Mit dem Ende des Römischen Reichs als jahrhundertelangem Hort der Macht und Quelle des Fortschritts in Europa zerfielen seine ehemaligen Territorien in viele kleine feudale Strukturen. Eintausend Jahre lang entwickelten sich Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft in Mitteleuropa nur noch sehr langsam weiter. Das Leben unter der Knute des Klerus und des Adels gerann in totaler Entschleunigung und gewährte nur sehr wenigen Menschen Freiheit, Bildung und Wohlstand.

Der Audienzsaal des Papstpalasts in Avignon. Hier residierten Päpste und Gegenpäpste von 1335 bis 1430 – einer unfehlbarer als der andere.

24 mm | f/11 | 0,5 s | ISO 100

Um das Jahr 1500 herum geriet diese fest gefügte Ordnung durch Ereignisse ins Wanken, die das Mittelalter jäh beendeten. Die Erfindung des Buchdrucks und damit die Verbreitung von Wissen und Information über eine kleine Kaste Privilegierter hinaus ermöglichte erst das Zeitalter der Aufklärung. Die Reformation beendete die jahrhundertelange Unterdrückung durch die Kollaboration der katholischen Kirche und der weltlichen Mächte. Das Aufkommen der Feuerwaffen beendete die Blütezeit der Ritter, deren Rüstung zwar noch etwas Schutz gegen fliegende Kugeln bot, deren Schwerter aber der Reichweite der neuen Waffen hoffnungslos unterlegen waren. Die Entdeckung Amerikas im Jahr 1492 öffnete letztlich die engen Horizonte und löste die geronnene Zeit. Eine neue Ära begann: die Neuzeit. Unsere Zeit.

Expertise

Das vorliegende Buch ist kein Geschichtsbuch. Der Autor ist kein Geschichtslehrer. Der Autor behauptet nicht einmal, über besonders tief greifende Kenntnisse über das Mittelalter zu verfügen. Jeder versierte Historiker und Hardcore-Reenactor wird sowohl in diesem Text als auch in vielen Fotos historische Fehler und Schwachstellen finden. Es geht in diesem Werk aber auch gar nicht um historische Akkuratesse, sondern um Anleitungen und Tipps zum Fotografieren. Es geht um Spaß am kreativen Tun. Es geht hier nicht um Bildung, sondern um Bilder!

Überall in Deutschland findet man – neben allerlei Brauchtum – Gebäude und Anlagen aus dem Mittelalter, die über die Jahrhunderte erhalten blieben und den Grundstock unseres kulturellen Erbes bilden: Burgen und Schlösser, Klöster und Kirchen, Stadtmauern und Stadtkerne, Brunnen, Türme, Gräben und viele andere steinerne Zeugen der Vergangenheit. 

Auch einige sehr beeindruckende Lebewesen, die aus den Tiefen des Mittelalters stammen, haben bis heute überlebt: Bäume, die seit Jahrhunderten existieren und schon zu Zeiten der Ritter so groß und beeindruckend oder kulturell so bedeutsam waren, dass sie nicht gefällt wurden und den Holzhunger der damaligen Zeit überlebten.

Lebende und tote Relikte des Mittelalters bieten einen unerschöpflichen Fundus ebenso interessanter wie oft auch grandioser Bildmotive. Genauso spannend und vielfältig sind die vielen Mittelalterveranstaltungen, in denen das vermeintlich dunkle Zeitalter zu buntem Leben reanimiert wird.

Die Rückkehr der Ritter

Seit etwa einem Vierteljahrhundert erlebt das Mittelalter ein erstaunliches Revival – nicht gemeint ist dabei das Comeback von dumpfen Standesdünkeln und repressiver Moral (die gibt es nur bei den sich besonders fortschrittlich wähnenden deutschen Gutmenschen). Als Kontrapunkt zum Stakkato technischer und politischer Veränderungen in der Gegenwart entdecken viele moderne Menschen das einfache, übersichtlich geordnete Leben im Einklang mit der Natur in der Vergangenheit als Quelle geistiger Erholung und körperlicher Ertüchtigung.

Ritter Leopold von den »Löwenrittern« reitet ein.

24 mm | f/9 | 1/640 s | ISO 200 | App: VintageScene

Mit wachsendem Zulauf und Erfolg beim Publikum finden seither das ganze Jahr über Mittelaltermärkte, Ritterspiele, Keltenfeste und ähnliche Spektakel in ganz Deutschland statt. Hier bieten Händler ihre oft selbst hergestellten Waren an. Mittelalterlich Gewandete flanieren über die Märkte und wohnen derweil in Heerlagern rings um den Veranstaltungsort. Ritter verschiedener Epochen treten zu Schaukämpfen gegeneinander an oder duellieren sich ganz real im sportlichen Vollkontaktwettkampf. Gaukler amüsieren die Besucher. Musiker spielen mittelalterliche Instrumente und hauen dabei auch mal ordentlich auf die Pauke. Es wird geköchelt und gegrillt und getrunken und getanzt. Auf diesen Spektakeln ist selten historische Authentizität gefragt, stattdessen bieten solche Veranstaltungen tolle Fotomotive in Hülle und Fülle.

Schmelztiegel der Geschichte

Kommerzielle Mittelaltermärkte sind ein Sammelsurium alter Völker, Kulturen und vergangener Epochen. Zwar gibt es auch Veranstaltungen, die größten Wert auf eine realistische Darstellung des Gewesenen legen, doch diese haben eher musealen Charakter oder werden von Gruppen zelebriert, die weniger Wert auf Publikumszulauf und Umsatz legen als auf durch Bilder und archäologische Erkenntnisse fundierte Ausstattung. Die meisten Veranstaltungen gehören eher in den Bereich des »Histotainment«. Das Mittelalter ist längst zu einem prosperierenden Wirtschaftszweig geworden.

Mittelalterfans erweitern ihr altes Ego um ein historisches Alter Ego. Die meisten suchen sich dazu eine bestimmte Rolle aus – die Darstellung einer meist erfundenen Person, manchmal aber auch eines ehedem real existierenden Menschen. Sie kleiden sich möglichst entsprechend dem historisch belegten Habitus ihres mittelalterlichen Vorbilds und geben sich einen Mittelalternamen, unter dem sie auftreten und in der Szene bekannt sind. Viele finden sich in Gruppen zusammen, die sich ein bestimmtes Zeitalter, eine bestimmte Volksgruppe oder ein bestimmtes Thema zurechtlegen und gemeinsam wiederauferstehen lassen.

Teile einer Ritterrüstung aus dem 14. Jahrhundert: ein Gambeson (Schutzbekleidung, meist unter dem Kettenhemd getragen), Handschuhe und ein »Hundsgugel« genannter Helm. Das Schwert ist einem Vorbild aus dem 15. Jahrhundert nachempfunden.

85 mm | f/11 | 1/400 s | ISO 200

Dabei gibt es unterschiedliche Strömungen und Tendenzen innerhalb der Mittelalterszene. Die einen legen größten Wert auf eine historische exakte Präsentation und fertigen nach Möglichkeit alle Teile ihrer Rüstung oder Gewandung selbst nach belegbaren Vorbildern. Die meisten aber nehmen es etwas weniger genau und mischen auch mal – ganz nach Lust, Laune und Geldbeutel – Epochen, Völker und Stände durcheinander.

Außerdem gibt es natürlich diejenigen Mittelalterfans, die sich eher nur dem Spaß und vielleicht auch dem Trunke ergeben wollen, sich einen auf dem Markt erstandenen historisierenden Kittel undefinierter Provenienz überziehen, ein Schwert umschnallen und losziehen, ohne sich groß um die Geschichte zu kümmern. Und schlussendlich findet man auch auf Mittelaltermärkten Fantasyfans, deren Darstellung eher auf Comic- und Filmfiguren basiert als auf realistischen Vorbildern.

Toleranz

In der Mittelalterszene werden fast alle Strömungen und Darstellungen nebeneinander toleriert. Tempelritter trinken mit keltischen Heiden, orientalische Tänzerinnen palavern mit adeligen Jungfrauen, Ritter in schweren Rüstungen lachen mit einfachen Recken, die im Mittelalter wohl nicht einmal zum Pagen getaugt hätten. Adelige und Bauern unterscheiden sich hier in der Regel nur in ihren finanziellen Möglichkeiten oder der inneren Bereitschaft zur Investition in ihre mittelalterliche Ausstattung.

Emanzipation im Mittelalter: Schwertkampftraining der Damen.

17 mm | f/11 | 1/160 s | ISO 200

In einer Zeit, in der Männer noch echte Kerle waren, waren Frauen in der Öffentlichkeit eher zur unterwürfigen Zurückhaltung gezwungen. Glücklicherweise sind die meisten Weibsbilder in der modernen Mittelalterszene natürlich emanzipierte, selbstbewusste Frauen, die selbst mit dem Schwerte rasseln und sich von keinem Kerl sagen lassen, wo es langgehen soll.

Erdig

Die Protagonisten des modernen Mittelalters lieben es eher bodenständig. In den Heerlagern und auf den Märkten trägt man Schwerter statt Smartphones. Männer tragen Kettenhemden statt Krawatten, Frauen Holzschuhe statt Pumps. Die Mittelalterszene ist nichts für Stubenhocker, PC-Junkies und Nageldesign-Trullas.

Das gilt auch für die zahlreichen Kinder, die ihre Eltern in die gegenwärtige Vergangenheit begleiten. Die Kids spielen glücklich auf der blanken Erde, oft mit Holzspielzeug und ganz ohne Fernseher und Computer (zumindest nicht im Lager). Es gibt keine Autos – hier wird noch richtig gelaufen! Abends geht’s bei einbrechender Dunkelheit ins Bett. Die Eltern hocken dann nicht vor dem Plasma-TV, sondern am Lagerfeuer, führen Gespräche in frischer Luft oder genießen schweigend den Abend unter freiem Himmel – ganz ohne Handygebimmel und Werbejingles.

Obacht!

Die Mittelalterszene hat – wie jede Szene – eigene Begriffe und Redewendungen hervorgebracht; das reicht bis hin zu einer eigenen Sprache, dem sogenannten »Marktsprech«.

Vorab sei darauf hingewiesen, dass die historischen Vorbildern nachempfundene Kleidung der Mittelalterfans stets »Gewandung« genannt wird. Wer die Gewandung ein »Kostüm« schimpft, läuft Gefahr, umgehend mit dem Schwert tranchiert zu werden! Außerdem »campiert« man nicht in einer Burg oder einem Heerlager – man lagert.

Zurück in die Vergangenheit?

Wer nun allerdings annimmt, Mittelalterfans wären reaktionär oder altbacken, liegt völlig falsch. Ich kenne keinen Mittelalterprotagonisten, der sein durchschnittlich sicheres Leben in der Jetztzeit dauerhaft eintauschen wollte gegen eine normale durchschnittliche Existenz zur damaligen Zeit (»König« oder »Prinzessin« zählen wir dabei nicht zur normalen durchschnittlichen Existenz).

Im Mittelalter gab es Bildung, Wohlstand und persönliche Freiheit nur für sehr wenige Privilegierte. Alle anderen lebten in völliger Abhängigkeit von ihren Herrschern in einem fortwährenden Überlebenskampf und starben meist sehr früh. Viele Kinder erlebten ihren fünften Geburtstag nicht, die Eltern hatten eine Lebenserwartung von etwa 35 Jahren. Hygiene, medizinische Behandlung, Schulen und vieles andere, das wir heute als Selbstverständlichkeit ansehen, waren nicht existent oder zumindest sehr selten. Errungenschaften der Neuzeit wie persönliche Freiheit, Reisefreiheit, gar Urlaub, Versicherungen oder eine Rente gab es nicht einmal ansatzweise. Strom, Motoren und die meisten anderen Dinge, ohne die uns ein Leben heute kaum noch realisierbar erscheint, wurden erst Jahrhunderte nach dem Ende des mittleren Zeitalters erfunden.

Werkzeuge der Knochenflicker. Chirurgen waren im Mittelalter noch einfache Handwerker, sterile Instrumente ebenso unbekannt wie die Narkose.

34 mm | f/9 | 1/500 s | ISO 200

Trotzdem mögen die meisten Menschen damals zufrieden gelebt haben. Sie kannten schlicht nichts anderes. Menschen aus dem Hier und Jetzt dagegen wissen, was sie vermissen würden. So tauschen sie nach einer Auszeit im Mittelalter das Kettenhemd gegen eine Krawatte und die Holzschuhe gegen Pumps, binden die häufig wallenden Haare zusammen, kämmen den Bart und gehen ihrer normalen Arbeit in einem normalen Leben nach.

Klappmonitor

2. Rüstzeug des Seelenfängers

Fotografen werden im mittelalterlich anmutenden Marktsprech der Szene scherzhaft als »Seelenfänger« tituliert, die mit ihren Bildern die Seele des Fotografierten binden. Als Seelenfänger bezeichnet man auch esoterische Dämonen und gar den Satan höchstpersönlich. In diese illustre Runde werden Sie also eingeordnet, sobald Sie Ihre Kamera zücken. 

Lastesel

Manches Mal wünscht man sich, man hätte einen Lastesel, wenn man mit dem schweren Kamerarucksack auf dem schweißnassen Rücken, dem Stativ in der einen Hand und der Hundeleine an der anderen Hand irgendeinen Hügel hochächzt, hinauf zu einer Burg oder Burgruine. Oder wenn man mit gleichem Gepäck beladen inmitten einer Besuchermasse steht, die auf den Pendelbus zu einem Mittelaltermarkt wartet, der kilometerweit entfernt vom ausgewiesenen Parkplatz stattfindet. Äußere ich einen solchen Wunsch, schaut mich mein Hund nur an, als wollte sie sagen, ich sei doch selbst dran schuld, so viel Zeug mitzuschleppen. Womit sie sicher recht hat.

Mein Hund bewacht meinen Kamerarucksack. Schleppen darf ich ihn jedoch selbst.

52 mm | f/9 | 1/125 s | ISO 400

Vertrauen Sie also bitte den schlauen Augen meines Hundes, wenn ich vorschlage, bei der Zusammenstellung Ihrer Fotoausrüstung auf äußerste Effizienz zu achten. Ihr Equipment sollte möglichst für jede fotografische Herausforderung geeignet sein, dabei aber kompakt und tragbar bleiben. Sie müssen keinesfalls so viel Zeug mit sich herumtragen, wie ich das meistens tue. 

Die Seelenfalle

Herzstück Ihrer Ausrüstung ist selbstredend die Kamera. Grundsätzlich ist natürlich jede moderne Digitalkamera geeignet, um mittelalterliche Orte, Mittelalterfeste und Gewandete abzulichten. Hegen Sie ernsthafte gestalterische Absichten, sollte es aber schon eine Spiegelreflex- oder eine Systemkamera mit Wechselobjektiv oder zumindest eine Bridgekamera mit großem Brennweitenbereich sein, um die fotografischen Herausforderungen im Außeneinsatz meistern zu können.

Lauschet, Novizen!

Dieses Druckwerk schickt sich nicht an, dem unbedarften Anfänger zu erläutern, wo Aug´ und After des Fotokastens zu finden sind. Erwartet werden bereits vorhandenes Geschick und grobe Fertigkeiten im Umgang mit dem Teufelsgerät, um die unbedarften Seelen Eurer Opfer nicht vor der Zeit zu verschrecken, auf dass Euch deren Furor treffe.

Jungfrauen und unerfahrene Knaben finden gewiss geduldigere Lehrmeister in anderen Kladden, beispielsweise in dem Büchlein »Digitale Fotografie heute« von Ulrich Dorn und Christian Haasz aus demselben Skriptorium wie die vorliegende Schrift.

Die wenigsten Amateurfotografen werden die Wahl zwischen mehreren Kameramodellen haben. Falls doch, entscheiden Sie sich am besten für das Gerät mit dem geringsten Bildrauschen bei höheren ISO-Werten. Viele Innenräume alter Gemäuer sind nur spärlich beleuchtet. Um die Atmosphäre, den Zauber eines Raums, einer Szenerie, zu erhalten, sollten Sie auf einen Blitz verzichten, der jede Magie zunichtemacht, und stattdessen nur mit dem vorhandenen Licht auszukommen versuchen.

Um die Stimmung dieser spärlich beleuchteten Szene in der Küche der Ronneburg zu erhalten, musste ich trotz des hervorragenden Rauschverhaltens der eingesetzten Kamera einen sehr hohen ISO-Wert wählen und ein sichtbares Bildrauschen in Kauf nehmen. Dafür wirkt das Ergebnis auch wie von einem alten Meister gemalt.

34 mm | f/6.3 | 1/30 s | ISO 2500

In diesem Bildausschnitt erkennt man deutlich das entstandene Rauschen.

34 mm | f/6.3 | 1/30 s | ISO 2500

Licht im Dunkel

Mittelalterfotografie ist, abgesehen von wenigen Ausnahmen, im Wesentlichen Available-Light-Fotografie. Daraus folgt natürlich, dass Ihre Kamera über ein Stativgewinde verfügen muss und ein Draht- oder Fernauslöser im Gepäck sein sollte. Bei Kerzenschein in einer düsteren Kemenate drohen sonst deutliche Verwackler.

Trotz sengender Sonne, erhöhtem ISO-Wert und relativ kurzer Belichtungszeit sind die schnellen Bewegungen der Turnierpferde auf diesem Bild immer noch nicht ganz scharf »eingefroren«. Man kann das Bild natürlich auch als »dynamisch« deuten.

52 mm | f/9 | 1/640 s | ISO 400

Selbst bei strahlendem Sonnenschein kann es schon erforderlich sein, einen höheren ISO-Wert zu wählen. Bei einem Ritterturnier zu Pferde beispielsweise benötigen Sie sehr kurze Belichtungszeiten, um die schnellen Bewegungen der Reiter und ihrer Tiere einigermaßen scharf abbilden zu können. Gleichzeitig sollten Sie auch relativ weit abblenden können, um eine ausreichende Schärfentiefe zu erzielen. Es sähe recht seltsam aus, würde der Ritter zu Pferde scharf abgebildet, während Kopf und Schwanz des Reittiers bereits in der Unschärfe lägen. Auch Kampfszenen des Fußvolks erfordern möglichst kurze Belichtungszeiten und höhere Blendenwerte, um die Chance zu erhöhen, die Kombattanten fokussiert zu erwischen. 

Wieso ISO?

Zu den Zeiten analoger Fotografie (also kurz nach dem Mittelalter) bemaß man die Lichtempfindlichkeit eines Films nach ASA, später umgetauft in ISO. Analog dazu bewertet man heute auch die Lichtempfindlichkeit des Bildsensors einer Digitalkamera nach ISO-Werten (ISO 5800). Die ISO-Werte staffeln sich in Schritten, die den Blendenwerten entsprechen: ISO 100, 200, 400, 800, 1600 und so weiter. Ein Sensor mit dem ISO-Wert 400 ist dabei doppelt so lichtempfindlich wie einer, der auf ISO 200 eingestellt wurde. Analoge Filme hatten eine vom Hersteller vorgegebene Lichtempfindlichkeit, die nur noch in der Entwicklung beeinflusst werden konnte; an Digitalkameras kann man dagegen innerhalb eines von der Qualität des Sensors abhängigen Bereichs die ISO-Werte frei wählen.

Je lichtempfindlicher die Filmemulsion war, umso größer wurde das Filmkorn; je größer das Filmkorn, umso flauer erschienen die darstellbaren Kontraste und umso geringer der Schärfeeindruck des Gesamtbilds. Eine ähnliche Auswirkung auf das Bildergebnis haben heute hohe ISO-Werte in der digitalen Praxis, wenn auch in ganz anderen Toleranzgrenzen. Digitalkameras ermöglichen mittlerweile die Einstellung von ISO-Werten, die bis in den sechsstelligen Bereich hineingehen. Wie beim analogen Film verschlechtert sich auch in der digitalen Fotografie die Bildqualität, je höher der ISO-Wert gewählt wird. Dabei entsteht zwar kein sichtbares Filmkorn, aber ein Phänomen, das man »Bildrauschen« nennt.

Bildrauschen äußert sich in einer deutlich erkennbaren Auflösung vor allem dunklerer Bildinhalte in sichtbare punktartige Strukturen, die den Sensoren auf einem Kamerachip entsprechen. Je höher der eingestellte ISO-Wert, umso mehr dieser Bildpunkte werden zusammengefasst, um ein schwach beleuchtetes Motiv darstellen zu können. Das Ergebnis ist eine Bildwirkung ähnlich dem sichtbaren Filmkorn analoger Kameras. Je schlechter die Qualität des Bildsensors (und damit der ganzen Digitalkamera), umso stärker und störender äußert sich dieser Effekt.

Jedes Kameramodell reagiert anders auf hohe ISO-Werte. Als Faustformel kann man annehmen, dass das auftretende Bildrauschen umso geringer ausfällt, je neuer und hochwertiger das Gerät ist. Sollten Sie den Kauf einer neuen Kamera erwägen, achten Sie in den Testberichten, die Sie vermutlich vorher lesen werden, unbedingt auf die Beurteilung des Rauschverhaltens Ihrer Wunschkamera. Neueste Modelle sollten bis zu einem ISO-Wert von etwa ISO 3200 kein wirklich störendes Bildrauschen erzeugen. ISO-Werte über diese Schwelle hinaus werden Sie vermutlich kaum benötigen.

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