Vorwort
Meinen ersten Yogakurs absolvierte ich mit 29 Jahren. Ich lehrte an der Uni, war eher rundlich und saß viel. Nie zuvor hatte ich mich so verloren gefühlt wie in dieser ersten Yogastunde! Es war, als spräche der Lehrer in einer fremden Sprache zu mir: Ich verstand, was er sagte, doch es gelang mir nicht, mich seinen Wünschen entsprechend zu bewegen. Ich hatte überhaupt keine Verbindung zu meinem Körper …
Und dann geschah auf einmal etwas Magisches: Er bat uns, eine Gleichgewichtshaltung auf einem Bein einzunehmen. Und – wumm! – plötzlich war ich drin. Ich hielt die Balance, ohne ins Wanken zu geraten, ich war ruhig und zugleich stark. Ob all die Stunden, in denen ich auf meine Forschungsarbeit konzentriert, unbeweglich am Schreibtisch gesessen hatte, eine Art Vorbereitung gewesen waren? Ich glaube es gern. Auf jeden Fall wurde ich stutzig: Wieso gelangen meinem Körper manche Haltungen kaum und andere mühelos? Diese Frage motivierte mich weiterzumachen.
Die Ausführungen meines Lehrers zur Qualität unseres „Treibstoffs“ – der Nahrungsmittel, die wir zu uns nehmen – verstand ich wohl deshalb auf Anhieb, weil ich als Tochter eines Automobilingenieurs in der Autostadt Detroit aufgewachsen bin. Dieser Lehrer war der Erste, der mir die Augen für den Zusammenhang zwischen Körperempfinden und Ernährung öffnete. Statt Schlankheitstipps zu geben, wie Mädchen sie in der Schule austauschen, riet er dazu, auf jede Art von Diät zu verzichten und auf eine yogische Ernährungsweise umzusteigen, Yoga zum Leitprinzip unserer inneren Haltung, unseres Lebensstils, unseres Alltags zu machen.
Das alles ist mehr als 15 Jahre her. Inzwischen leite ich zusammen mit meinem Mann ein Zentrum für Yoga, Meditation und vegetarische Ernährung in Paris, genannt NATA. In all den Jahren der Praxis, des Übens und Lernens hatte ich Zeit, mich intensiv mit dem Thema Yoga und Ernährung zu beschäftigen. Ich freue mich sehr, dass ich nun die Gelegenheit habe, die Früchte meiner Arbeit mit Ihnen zu teilen.
Viel Freude beim Yoga und guten Appetit!
Pamela Weber, Gründerin von NATA
Inhalt
Grundlagen
Yogafood
YOGA UND ERNÄHRUNG
Die Hülle aus Nahrung
Die fünf Körper des Yoga
Yoga und Diäten
Yoga und vegetarische Ernährung
Die zehn Gebote des Yoga
DIE HAUPTPRINZIPIEN YOGISCHER ERNÄHRUNG
DER UMGANG MIT REZEPTEN
ESSEN NACH GEFÜHL
NAHRUNGSZUBEREITUNG UND NAHRUNGSAUFNAHME
DIE YOGISCHE SPEISEKAMMER
BASICS
ZU VERMEIDEN
YOGISCHE ERNÄHRUNG IM ALLTAG
FAQ
Rezepte
FRÜHSTÜCK
Frühstücksgetränke
Getreidebrei mit Trockenobst
Knuspermüsli mit Schokostückchen und frischem Obst
Misosuppe
Vollkornbrot mit Apple Butter
MITTAGESSEN
Lauwarmer Kichererbsensalat mit Artischocken und getrockneten Tomaten
Gelbe Linsensuppe
Grüner Salat mit Räuchertofu, Quinoa und Basilikumdressing
Reisnudeln mit Thaisoße und Gurke
Reuben-Sandwich mit Tempeh
Lauch-Tofu-Tarte mit Pinienkernteig
Gemüselasagne mit Seitan
Getreidepuffer mit Gemüse und Salsa Fresca
SNACKS
Dinkelcracker mit Algen
Glutenfreie Minimuffins mit Zitrone und Mohn
Energiekugeln mit getrockneten Mangos
Knuspriger Sesamkrokant
ABENDESSEN
Salat „Grüne Göttin“
Wakame-Gurken-Salat mit Sesam-Reisbällchen
McBean-Burger
Kürbissuppe mit Miso
Nishime mit Saisongemüse
Rosenkohl mit Zitrone
Gebratener Grünkohl mit frischen Shiitake-Pilzen
Adzuki-Bohnen mit Hokkaidokürbis
Tofu mit Nuss-Senf-Kruste
Kichererbsencrêpes mit Gemüsecurry
Risotto mit Butternutkürbis und grünen Erbsen
Algentatar
Seitanfrikassee mit Shiitake-Pilzen
DESSERTS
Glutenfreier Schokokuchen
Cranberrytarte mit Pekannüssen
Orangenparfait mit Kardamom
Birnen mit Mandelfüllung
Mürbeteigschnitten mit Mandel-Pfirsich-Creme
Yogafood
YOGA UND ERNÄHRUNG
Wenn Sie öfter Yoga praktizieren, kennen Sie vielleicht das Gefühl jener wohltuend wachen Ruhe, das sich am Ende einer Yogastunde einstellt. Der Körper ist gelöst, voller Empfindungen, der Geist rege und entspannt zugleich. Möglicherweise empfindet man Glück. Wäre es nicht schön, Ähnliches zu erfahren, wenn man nach dem Essen vom Tisch aufsteht?
Dieses Buch hat mehrere Ziele:
• Es legt Ihnen eine Ernährungsweise ans Herz, die Ihre Yogapraxis unterstützt.
• Es möchte Sie anregen, sich Ihre Ernährungsgewohnheiten bewusst zu machen, damit Sie Ihre Yogapraxis vertiefen können.
• Es gibt Ihnen Antworten auf Fragen rund um das Thema Ernährung.
• Es will Sie zu einer entspannten Haltung in Ernährungsfragen animieren.
Im Yoga ist oft die Rede davon, Körper und Geist zu verbinden. Das Wort Yoga ist von dem Sanskritbegriff yui („verbinden“, „anjochen“) abgeleitet. Aber gibt es eine innigere Verbindung als die, die beim Kauen und Schlucken eines Bissens zwischen Nahrungsmittel und Körper entsteht? Aus etwas „anderem“ wird ein materieller Bestandteil meiner Körperzellen. So gesehen könnte man das Essen ebenfalls als eine Art Yoga betrachten – als Möglichkeit, die Verbindung zwischen Körper und Geist zu erforschen.
Die Hülle aus Nahrung
Die Yogapraxis setzt sich aus Körperübungen, Atemübungen, Konzentrationsübungen und Meditation zusammen. Diese physische Praxis ist ein wirksames Instrument zur Linderung von Alltagsstress. Der von seinem Leid befreite Yogi/die von ihrem Leiden befreite Yogini entdeckt eine ungeahnte Wahrheit: Das Glück ist da, es liegt in ihm/ihr selbst.
In der Philosophie des Yoga nennt man den physischen Körper, mit dem man die Übungen ausführt, Annamaya Kosha, „Hülle aus Nahrung“. Doch dieser Körper ist nur einer von vielen, aus denen wir bestehen.
DIE FÜNF KÖRPER DES YOGA
Sie glauben, Sie hätten nur einen Körper, um den Sie sich kümmern müssen? Mitnichten! Die indische Philosophie, die Grundlage des Yoga und des Ayurveda (der traditionellen indischen Heilkunst), lehrt uns, dass wir fünf Körper haben.
• Annamaya Kosha: die aus Nahrung bestehende Hülle
• Pranayama Kosha: die aus Lebensenergie bestehende Hülle
• Manomaya Kosha: die aus Geist bestehende Hülle
• Vijnanamaya Kosha: die aus Erkenntnis bestehende intellektuelle Hülle
• Anandamaya Kosha: die aus Glückseligkeit bestehende Hülle
Jede Hülle nährt sich von etwas anderem: Annamaya Kosha von Nahrungsmitteln, Pranayama Kosha von frischer Luft, guter Atmung und Sonnenlicht, Manomaya Kosha von Musik, Ästhetik, natürlicher Schönheit und Meditation, Vijnanamaya Kosha vom Studium philosophischer, spiritueller und/oder ethischer Schriften und Anandamaya Kosha von selbstlosem Handeln, Hingabe und tiefer Entspannung.
Unsere Nahrung wird zu unserem Körper: Die Verdauungsorgane filtern aus unserer Nahrung alle Bestandteile heraus, die der Körper zum Leben braucht. Je nachdem, wie viel man gegessen hat, lagert er Überschüsse als Reserve ein (man weiß ja nie) und scheidet den Rest aus. Und genauso wie ein Auto, das mit schlechtem Benzin betankt wurde, schlecht fährt, oder ein Computer, der unzureichend mit Strom versorgt wird, schlappmacht, erledigt der Körper seine vielfältigen Aufgaben besser oder schlechter, je nachdem, welchen Treibstoff man ihm anbietet.
Wie finden wir zu einer ausgewogenen Ernährung, die uns bei dem Bestreben, uns von unserem Leid zu befreien, unterstützt?
Yoga und Diäten
Welche Ernährungsweise empfiehlt sich nicht nur zur Unterstützung der Yogapraxis, sondern generell? Wie steigert man auf alltagstaugliche Weise seine Vitalität, lindert Erschöpfung und Krankheit, ohne auf Geselligkeit bei den Mahlzeiten zu verzichten? Was bietet eine yogische Ernährungsweise im Vergleich zu den vielen Diäten?
„Der Yogi esse maßvoll und angemessen, sonst ist er – wie klug auch immer – nicht erfolgreich.“
Shiva Samhita,
17. Jahrhundert
Yoga und vegetarische Ernährung
Yoga und vegetarische Ernährung gehen heute oft Hand in Hand. In Indien, dem Ursprungsland des Yoga, ist der Vegetarismus unter den Hindus seit Jahrtausenden weit verbreitet. Laut Sri K. Pattabhi Jois, einem der bedeutendsten Yogalehrer des 20. Jahrhunderts, ist die vegetarische Ernährung der wichtigste Teil der Yogapraxis.
Dies begründet sich aus der ersten Verhaltensregel des Yoga: dem Prinzip des Nichtverletzens und der Gewaltlosigkeit. Da dieses Prinzip die Tötung von Lebewesen untersagt, meiden Yogis den Konsum von Fleisch. Doch so, wie es unterschiedliche Yogaschulen mit unterschiedlichen Haltungs-, Atem- und Meditationsübungen gibt, gibt es auch unterschiedliche Ernährungsphilosophien. Manche Yogis sind der Meinung, dass das aggressive Auftreten politisch engagierter Veganer auch eine Form von Gewalt darstellt. Andere halten den Ansatz, Mitmenschen die eigenen Ernährungsgewohnheiten aufzwingen zu wollen, für Machtausübung, die sie ablehnen. Einige werten bereits eine selbst auferlegte vegetarische oder vegane Ernährung, ehe man dazu bereit ist, das heißt, aus schierem Willen oder aus Solidarität mit der Yogagemeinde, als eine Form der Gewalt.
Komplexe Fragen, auf die es meiner Ansicht nach keine einfachen Antworten gibt. Jeder sollte frei sein, sich seinen Weg durch den Ernährungsdschungel selbst zu bahnen. Es braucht Zeit, seine Essgewohnheiten und die Wahl seiner Nahrungsmittel so umzustellen, dass sie die Gesundheit, das Mitgefühl, das eigene Wohlergehen und das des Planeten auf lange Sicht fördern.
DIE ZEHN GEBOTE DES YOGA
Einer der bedeutenden Texte aus der Geschichte des Yoga, das Yoga Sutra von Patanjali (entstanden etwa im 2. Jh. n. Chr.), enthält zehn ethische Regeln, die die Basis der Übungspraxis bilden. Sie gliedern sich in fünf Yamas (Ethik gegenüber Mitmenschen) und fünf Niyamas (Ethik im Umgang mit sich selbst):
1• Ahimsa: Nichtverletzen,
Gewaltlosigkeit
2• Satya: Wahrheit
3• Asteya: Nichtstehlen
4• Brahmacharya: Mäßigung (auch in sexueller Hinsicht)
5• Aparigraha: Nichtanhaften, kein Verlangen nach Besitz
6• Saucha: innere und äußere Reinheit
7• Santosha: Zufriedenheit
8• Tapas: Anstrengung, Disziplin
9• Svadhyaya: Selbsterforschung, Reflexion
10• Ishvarapranidhana: Hingabe an Gott
Mein Vorschlag lautet deshalb: Orientieren Sie sich in Ernährungsfragen an der Praxis des Yoga – nicht, indem Sie sich neue Verhaltensregeln auferlegen, sondern indem Sie für sich selbst einen Rahmen schaffen, innerhalb dessen Sie dem Thema auf den Grund gehen können.
DIE HAUPTPRINZIPIEN YOGISCHER ERNÄHRUNG
Die angestrebte Verbindung von Körper und Geist ist keine Einbahnstraße. Einerseits können wir durch unsere Ernährungsweise die Yogapraxis unterstützen und verbessern; andererseits wirkt sich die Praxis positiv auf die Ernährung aus. Im Yogaunterricht lernt man Haltungen einzunehmen, die einem zunächst unmöglich erscheinen. Haben Sie schon einmal die „Libelle“ oder den „Skorpion“ ausprobiert?
Um in der Praxis voranzukommen, lassen sich Yogis von vier Prinzipien leiten: Beobachtung, Gleichgewicht, Nichtreaktivität und Beweglichkeit. Welche Rolle spielen diese vier Prinzipien für die Ernährung?
Prinzip Nr. 1: Beobachtung
Um sich selbst besser zu verstehen, arbeiten Praktizierende daran, das, was geschieht, Augenblick für Augenblick objektiv zu beobachten. Sie nehmen dazu die unvoreingenommene Haltung von Forschenden an. Zunächst lädt der Yogalehrer seine Schüler ein, sich auf wichtige Körperteile zu konzentrieren: Was machen der Arm, das Bein, der Rücken, der Kopf? Dann wenden sich die Übenden kleineren Bereichen – den Füßen, den Händen, der Stirn, dem Schambein, dem Steißbein – oder isolierten Körperteilen – einer Schulter, einem Schulterblatt, einer Hüfte, einem Knie – zu. Mit zunehmender Praxis können sie einzelne Regionen des Körpers immer feiner wahrnehmen: die Finger- und Zehenballen, die Mundwinkel, den Bauchnabel, den Damm usw.
Wir können diese Beobachtungsgabe auch für den Umgang mit unserer Nahrung nutzen. Versuchen wir, zu sehen, was ist, und immer mehr Nuancen wahrzunehmen, um immer vollständigere Informationen zu erhalten.
KLEINER EINSTIEGSTEST
• Bevor Sie Ihre Ernährung umstellen, nehmen Sie sich Zeit und beobachten Sie Ihre Essgewohnheiten. Notieren Sie eine Woche lang alles, was Sie zu sich nehmen, die Umstände, unter denen Sie essen, die Stimmung und gegebenenfalls Ihre Gefühle beim Essen. Am Ende der Woche ziehen Sie Bilanz.
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• Führen Sie eine objektive Bestandsaufnahme Ihrer Ernährungsgewohnheiten durch. Sicherlich zeichnen sich dabei schon erste Korrekturmöglichkeiten ab.