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Deutsche Erstausgabe (ePub) August 2014

 

Für die Originalausgabe:

© 2010 by Andrew Grey

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Love Means... No Boundaries«

 

Originalverlag:

Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2014 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

Umschlagillustration: Marek Purzycki

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

 

ISBN ePub: 978-3-95823-533-5

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de


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Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

Als Kind erblindet wird der begabte Violinist Robbie von seiner Umgebung in Watte gepackt. Als er jedoch auf die Laughton-Farm kommt, kann er gar nicht fassen, dass ihn dort niemand für unselbstständig hält. Vor allem Joey scheint ihm dabei helfen zu wollen, seinen goldenen Käfig zu sprengen, auch wenn er dabei seine eigenen Grenzen überwinden muss...

Buch 3 der »Liebe...«-Serie


 

Andrew Grey

 

...

 

Aus dem Amerikanischen
von Ella Schaefer


 

 

 

Für Jackie, die den Anstoß für diese Idee

überhaupt erst gegeben hat.

 

 


Prolog

 

 

Kühl und frisch strich die Luft über seine Haut, auf seiner letzten Fahrt auf den ruhigen Straßen. Die violett-weiße Höllenmaschine zwischen seinen Beinen bettelte regelrecht darum, endlich von der Leine gelassen zu werden und mit voller Geschwindigkeit abzuzischen.

Er senkte den Kopf und ließ sie los, sodass er selbst die Freiheit des Windes und der Straße fühlen konnte. Niemand war da. Er war allein und liebte es.

Morgen würde er tun, was seine Mutter wollte und das Motorrad einmotten, aber heute würde er auf seinen Flügeln aus Metall, Gummi und pumpenden Kolben emporsteigen.

Die Sonne fühlte sich herrlich an, hell und vollkommen, als sie seine Lederjacke wärmte, die sogleich wieder vom Fahrtwind gekühlt wurde. Alles war perfekt – er hätte ewig so weiterfahren können.

Das Auto tauchte ganz plötzlich vor ihm auf und er verlangsamte das Tempo, wobei er einen genervten Laut wegen des Trödlers ausstieß. Aber der bewegte sich nicht. Sie bewegten sich nicht. Er hörte das Knirschen von Metall, den Krach, einen Knall. Er riss den Lenker zur Seite und versuchte auszuweichen. Zu spät. Für eine Sekunde dachte er, er könnte fliegen, und dann Schmerz, warme Nässe, Blindheit – nichts.

 


Kapitel 1

 

 

»Wie war deine Stunde?« Joey betrat die Küche und die Hintertür knallte zu, als er seine Stiefel auf dem Läufer abstreifte. Eli drehte sich vom Spülbecken zu ihm um, wo er gerade Gemüse putzte.

»Gut. Die Schüler sind wirklich toll. Ich mag die Erwachsenenkurse am liebsten. Sie sind hier, um zu lernen und arbeiten hart.« Er drehte sich wieder um und wandte sich seiner Arbeit zu. »Morgen habe ich die kleinen Kinder. Das macht auch immer Spaß. Es sind die Teenager, die einem wirklich auf den Geist gehen können… manchmal.«

»Danke für die Warnung. Ich werde dafür sorgen, mich nicht blicken zu lassen.«

Auf keinen Fall wollte er in der Nähe sein, wenn die kleinen Kinder ihren Unterricht bekamen.

Eli legte das Gemüse beiseite und drehte sich von der Spüle wieder zu Joey, um ihn leicht verstimmt anzusehen. »Das musst du doch gar nicht. Diese Kinder lieben dich. Sie fragen immer nach Mr. Joey

Seine Hand flog zu seinem Gesicht und seine Finger fuhren die rosafarbenen Linien nach, von denen er wünschte, dass sie nicht da wären. »Ich will mich nicht den Blicken und Fragen stellen müssen.«

Joey sah, wie Elis Augen einen traurigen Ausdruck annahmen. Er kannte diesen Blick, einen, den er bei jedem außer Eli oder Geoff hasste. Er wusste, dass dieser Blick bei ihnen Besorgnis und nicht Mitleid bedeutete. Er hatte schon mehr Mitleid bekommen, als er ertragen konnte. Er vermied es, in die Stadt zu gehen, weil er nicht mit den traurigen Blicken und mitleidigen Lauten der Leute umgehen konnte.

»Du weißt doch, dass sie nur helfen und dir zeigen wollen, dass sie mit dir fühlen.«

»Mitleid.« Joey spuckte das Wort aus und fühlte sich gleich darauf schlecht. Eli war einer der gutherzigsten Menschen, die er kannte – immer fürsorglich, niemals gemein oder boshaft in irgendeiner Weise.

»Vielleicht ein bisschen, aber sie sorgen sich auch um dich.« Eli drehte sich wieder zur Spüle.

»Es gibt eine Menge Leute, die sich um dich sorgen und die deine Narben im Gesicht einen…« – Eli hielt für eine Sekunde inne und Joey sah, wie sein Kiefer starr wurde – »feuchten Dreck interessieren, weil wir sie nicht mehr wahrnehmen.«

Joey starrte auf Elis Rücken, während der arbeitete. Er wusste, wie Eli und Geoff dazu standen. Er wünschte nur, er könnte sich selbst dazu bringen, es zu glauben. Aber sie waren letzten Monat nicht dabei gewesen, als eine Mutter ihre Kinder aus der Drogerie gezerrt hatte, sobald sie ihn reinkommen sah. »Ich weiß. Es ist nur schwer.« Der Arzt hatte gesagt, dass die Narben mit der Zeit verblassen würden und ein plastischer Chirurg hatte sich seines Gesichts angenommen, also gab es Hoffnung. Aber in der Zwischenzeit fühlte er sich einfach hässlich.

Eli schaute nicht auf, während er damit fortfuhr, das Abendessen vorzubereiten. »Was ist mit den südlichen Feldern? Hat der Regen die Saat weggespült?«

Er sank auf einen der Küchenstühle, froh darüber, dass Eli das Thema fallengelassen hatte. »Nope.« Joey lächelte, als er seine Schuhe abstreifte. Er hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, mit Eli und Geoff auf der Farm zu wohnen, und er hatte immer noch das Gefühl, bei allem, was er tat, sehr vorsichtig sein zu müssen. »Mit der Saat ist alles in Ordnung und an einigen Stellen sprießt sie schon, also sieht es gut aus.«

»Geoff wird erleichtert sein.« Joey konnte Elis Lächeln beinahe hören, während er arbeitete. »Ich bin überrascht, dass er nicht mit dir gegangen ist, um es selbst zu überprüfen.«

So ging es Joey ebenfalls, aber es bedeutete ihm viel, dass Geoff ihm vertraut hatte, sich die Sache anzusehen, und dass er daran arbeiten würde, jeglichen Schaden zu beseitigen, den der Platzregen verursacht hatte. Seit seinem sechzehnten Lebensjahr hatte er schon auf der Farm gearbeitet. Als er vom College zurückgekehrt war, hatte Geoff ihm eine Stelle als Farmverwalter angeboten, nachdem Frank Winters sich zur Ruhe gesetzt hatte.

»Ich schätze, es war Glück, dass Pete und Hank Hilfe bei den Zäunen auf der Nordwiese gebraucht haben.« Sobald er die Worte ausgesprochen hatte, wusste er, dass es eben kein Glück gewesen war. Wahrscheinlich hatte Eli Geoff dorthin geschickt, damit Joey seine Arbeit in Ruhe erledigen konnte. Er schüttelte den Kopf hinter Elis Rücken. Der Mann kannte seinen Partner zu gut.

»Was treibt deine Mutter in Florida?«

»Sesshaft werden. Sie will, dass ich für einen Besuch zu ihr runterkomme.« Joeys Mutter hatte ihn ganz allein großgezogen und nachdem er das College beendet hatte, hatte sie das Haus verkauft und einen neuen Job in Florida angenommen. Sie hatte gesagt, sie sei die Winter leid und Joey freute sich für sie. Sie hatte ihr Bestes gegeben und verdiente etwas Zeit für sich selbst.

»Solltest du. Würde dir guttun.« Eli drehte den Wasserhahn auf und begann damit, das Gemüse abzuspülen.

»Ich glaube nicht. Florida im Juni klingt nicht unbedingt verlockend. Außerdem gibt es hier genug zu tun.« Joey nahm seine Arbeit sehr ernst. Er schätzte die Verantwortung, die Geoff und Eli ihm gegeben hatten, den Glauben, den sie an ihn hatten, und es kam gar nicht in Frage, die beiden im Stich zu lassen. Niemals. »Vielleicht werde ich sie nach der Herbsternte besuchen. Bis dahin werde ich reif für ein bisschen Wärme und Sonne sein.«

»Warum gehst du dich nicht frischmachen? Abendessen gibt es erst in einer Stunde und du arbeitest schon seit Sonnenaufgang.« Joey erinnerte Eli nicht daran, dass auch er schon seit Sonnenaufgang auf den Beinen war.

Joey stand auf und ging zur Spüle. »Gibt es was, wobei ich helfen kann?«

»Nun geh schon. Ich mach das hier. Im Übrigen bist du morgen Abend mit Kochen dran.« Es war Teil der Vereinbarung, die Eli und Geoff ihm zusammen mit ihrem Gästezimmer angeboten hatten, als seine Mutter das Haus verkauft hatte, dass er beim Kochen und Putzen helfen würde. Er hatte bereitwillig zugestimmt und mit Elis Hilfe wurde er allmählich zu einem passablen Koch.

Joey verließ die Küche und ging durchs Haus. Er begann, sich zu entspannen, nachdem er sich in einen der Sessel im Wohnzimmer gesetzt und den Fernseher angemacht hatte – bis das Telefon klingelte. »Gehst du bitte ran?«, drang Elis Stimme aus der Küche.

»Klar.« Joey erhob sich und griff nach dem Telefon.

»Geoff?«

Er erkannte die Stimme. »Mari, ich bin's, Joey.« Es war Geoffs Schwester Mari, eine wunderbare Lady, wie Joey fand. Wäre er hetero, hätte er sich an sie rangemacht. Zumindest bevor...

»Hey, Joey, wie behandelt dich mein Bruder? Lässt er dich auch nicht zu hart arbeiten?« Joey beantwortete das mit einem Lachen. »Hör mal, ist er in der Nähe?«

»Nein, er ist immer noch dabei, mit den Jungs die Zäune abzureiten. Eli ist in der Küche und macht das Abendessen.« In der Küche schepperte etwas und dem Geräusch folgten einige Kraftausdrücke. Na ja, sofern man das, was ein bei den Amish aufgewachsener Mann von sich gab, als Kraftausdrücke bezeichnen konnte. »Er scheint Probleme damit zu haben.«

»Ich brauche ihre Hilfe und ich bin ein bisschen verzweifelt.« Er konnte die leichte Panik in ihrer Stimme hören.

»Worum geht es? Ich werde es ihnen ausrichten.«

»Das Nationale Jugendsymphonieorchester kommt heute an und eine meiner Gastfamilien hat abgesagt. Ich brauche jemanden, der einen der Musiker bei sich aufnimmt und hatte gehofft, dass Geoff und Eli so hilfsbereit wären.« Mari hatte bei ihrem letzten Besuch auf der Farm davon erzählt, dass sie diese Gruppe in die Stadt bringen wollte. Es sah so aus, als hätte sie alle denkbaren Fäden gezogen und jeglichen offenen Gefallen eingelöst, um sie dazu zu bringen, Ludington mit in ihre Tour aufzunehmen. Joey wusste, dass Mari sich von so etwas nicht alles ruinieren lassen wollte. »Zwei Mädchen werden schon bei mir wohnen, ansonsten hätte ich ihn noch genommen.«

»Warte mal kurz. Ich frage Eli und bin gleich wieder da.« Joey legte das Telefon ab und überbrachte Eli, der gerade den Boden aufwischte, die Nachricht.

Eli schaute kaum auf. »Sag Mari, dass er natürlich hierbleiben kann. Ich werde ein Zimmer für ihn vorbereiten. Frag sie, wann wir ihn abholen müssen.« Joey eilte zum Telefon zurück.

Mari war begeistert und erleichtert. »Ihr Bus kommt in fünfzehn Minuten an der Highschool an. Ich werde die Orchesterleiterin anrufen, damit sichergestellt ist, dass jemand dort wartet, bis du ankommst. Sag Eli danke von mir.« Sie legte auf und Joey leitete die Nachricht weiter.

»Würdest du ihn bitte für uns abholen? Ich muss das hier fertigmachen und Geoff ist noch nicht zurück.« Eli erhob sich vom Boden. »Ich weiß, wie du dich fühlst, und ich würde nicht fragen, aber…«

Joeys Innereien verknoteten sich ineinander, aber er versuchte, das Gefühl so gut er konnte zu unterdrücken. Er hatte Eli und Geoff viel zu verdanken. Da würde ihm nicht seine Unsicherheit in die Quere kommen. »Kein Problem.« Joey zog seine Stiefel wieder an und verließ das Haus. Er stieg ins Auto und fuhr in Richtung Stadt. Er hasste, was er jetzt tun musste, aber wie er sich dabei fühlte, hasste er noch mehr. Sei nicht so ein Schisser. Er versuchte, sich psychisch darauf vorzubereiten, wie der Jugendliche beim Anblick seines Gesichts reagieren würde: irgendein hochnäsiger Teenager aus einer reichen, betuchten Familie, der alles im Leben hatte, ihn aber nach einem angewiderten Blick nicht mehr ansehen würde. »Du kannst dich genauso gut daran gewöhnen, weil es sich in nächster Zeit nicht ändern wird«, sagte er zu sich selbst, während er die von frisch bepflanzten Feldern gesäumten Landstraßen entlangfuhr.

Als er den Stadtrand erreichte, verringerte er das Tempo und fuhr schließlich in die lange, runde Auffahrt der Highschool. Er hatte eigentlich eine große Menschenmasse erwartet, aber alles, was er sehen konnte, war ein einziger Bus und eine Frau, die neben einem jungen Mann stand und etwas hielt, das wie ein Geigenkasten aussah. Er parkte hinter dem Bus und stieg aus dem Auto. Die Frau trat nach vorne und zu Joeys Überraschung war auf ihrem Gesicht nicht das übliche Mitleid zu sehen. Er wunderte sich beinahe, wieso.

»Sind Sie wegen Robert Edward hier?« Die Frau sah erleichtert aus, als sie quer über den Parkplatz zu dem einzigen anderen Auto schaute. Zwei junge Frauen unterhielten sich beim Wagen. Sie hatte offensichtlich auf ihn gewartet, bevor sie die beiden nach Hause fahren konnte.

»Ja, ich schätze schon. Mari hat mir seinen Namen nicht verraten. Sie hat nur gesagt, dass ich herkommen und einen jungen Mann abholen soll.« Joey wischte seine Hände an der Hose ab, als er sich dem jungen Mann zuwandte. »Tut mir leid, dass ich spät dran bin. Ich bin Joey Sutherland.«

»Robert Edward Jameson, aber alle nennen mich Robbie.« Er hielt Joey seine Hand hin und dieser schüttelte sie, wobei er in Robbies riesige blaue Augen schaute. Außerdem fiel ihm auf, dass Robbie ihn ohne eine Spur von Mitleid oder gar Neugier anlächelte. Joeys Nervosität legte sich ein wenig.

»Wir sollten dein Gepäck wohl mal einladen.« Joey öffnete den Kofferraum, hob den großen Koffer hoch und verstaute ihn darin. Er bemerkte, dass Robbie sich nicht gerührt und auch nicht seine Hilfe angeboten hatte. Kopfschüttelnd nahm er den zweiten Koffer, lud ihn ein und murmelte mehr zu sich selbst: »Was glaubt der, wer ich bin – irgend so ein Diener?« Er knallte den Kofferraum zu und ging zu Robbie zurück, der anscheinend auf ihn wartete.

»Wenn ihr zwei dann so weit seid, mache ich mich auf den Weg. Wir sehen uns morgen bei der Orchesterprobe um Punkt neun.« Die Dame berührte Robbies Schulter und ging zu ihrem Auto.

Robbie rief ihr nach: »Danke für Ihre Hilfe, Mrs. Peters.« Joey stellte lächelnd fest, dass Robbie einen Südstaatenakzent hatte. Der Typ war süß und er klang auch noch hinreißend. Zu schade, dass er sich zu fein war, um sein eigenes Gepäck einzuladen. Wahrscheinlich würde er von Joey erwarten, ihm die Koffer nach oben zu tragen und sie auszupacken, wenn sie zu Hause waren.

»Keine Ursache, mein Lieber, ich wünsche dir viel Spaß.« Ihre Stimme verlor sich, als sie sich ihrem Auto näherte.

»Wir sollten uns aufmachen. Eli wird das Abendessen bald fertig haben.« Joey ging um das Auto herum zur Fahrerseite und öffnete in der Erwartung die Tür, dass Robbie es ihm gleichtun würde. Als er sich nicht bewegte, ging Joey auf die Beifahrerseite und hielt ihm die Tür auf. »Ich bin auch kein Chauffeur.«

»Ich habe dich weder für einen Diener noch für einen Chauffeur gehalten, aber ich könnte ein wenig Hilfe gebrauchen, wenn es dir nichts ausmacht.« Robbie überreichte ihm die Violine. »Würdest du die bitte auf den Rücksitz legen?« Joey kam dieser Bitte nach, fragte sich aber, warum er das nicht selber tun konnte. Dann sah Joey Robbie abwartend dabei zu, wie er in der Tasche seiner Jacke wühlte, die er über dem Arm hatte, und etwas herauszog, das wie zusammengefaltete weiße Stäbe aussah. Mit einer Drehbewegung aus dem Handgelenk wurde aus den Stäben ein langer, weißer Stock. Joey blinzelte zweimal. Scheiße und noch mal Scheiße. Robbie war blind.

Joey fühlte sich total taktlos und dumm, dabei hatte er es doch nicht wissen können. Robbies Augen wirkten so groß und klar. »Hier, ich führe dich zur Autotür.« Joey berührte sanft Robbies Arm. »Einen Schritt runter vom Bordstein und dann ist das Auto direkt vor dir.« Robbie klopfte mit dem Stock den Boden ab, während seine andere Hand sich an der Autotür entlang bis zum Sitz tastete. »Genau da. Der Sitz ist direkt vor dir.« Sobald er wusste, wo er war, konnte er sich problemlos hinsetzen und zog die Autotür zu. Den Stock faltete er wieder zusammen und legte ihn auf seinen Schoß.

Joey stieg ebenfalls ein und startete den Motor, um wieder auf die Straße zu fahren. Er wusste nicht, was er sagen sollte – er fühlte sich wie ein totaler Idiot. Wie hätte er wissen sollen, dass Robbie blind war? Aber was er gesagt hatte, war unhöflich gewesen, ungeachtet der Tatsache, ob Robbie blind war oder nicht. Jetzt wusste er wenigstens, warum Robbie auf die Narben in seinem Gesicht keine Reaktion gezeigt hatte. »Tut mir leid.«

Robbie wandte ihm beim Klang von Joeys Stimme den Kopf zu. »Warum tut es dir leid?« Robbie lächelte und sein ganzes Gesicht strahlte dabei. Gott, er war so anbetungswürdig und das lag nicht nur an seinem Akzent. »Du wusstest es ja nicht und ich wäre auch sauer, wenn ich für jemanden das Gepäck in den Kofferraum laden müsste, der mir nicht hilft.« Sein Lächeln wurde breiter.

»Eigentlich bin ich sogar ganz dankbar.«

Joey verstand das überhaupt nicht. »Wofür?«

»Du behandelst mich wie jeden anderen auch.« Joey nahm eine Kurve etwas zu scharf und Robbie lehnte sich in seine Richtung. Er brauchte kurz, um sein Gleichgewicht wiederzufinden. Joey merkte, was passiert war, und verlangsamte die Geschwindigkeit. »Die meisten Leute behandeln mich anders, weil ich blind bin, aber du nicht.«

»Na ja, du wirst auf der Ranch keine Sonderbehandlung bekommen, das ist sicher.« Obwohl Robbie es nicht sehen konnte, lächelte Joey ihn an.

»Alle arbeiten sehr hart und es wird keiner Zeit haben, den ganzen Tag bei dir zu bleiben. Du wirst zeitweise auf dich selbst gestellt sein.«

»Eine Ranch?« Verdammt, Robbies Lächeln wurde noch breiter, falls das möglich war. »Wir fahren zu einer Ranch, einer echten Ranch mit Pferden und Kühen und so?«

»Äh, ja. Laughton Farms ist der größte Betrieb im ganzen County. Wir haben beinah 1300 Hektar, sowie fünfzehnhundert Rinder und dann noch Pferde.« Joey erzählte noch mehr über die Farm, die Scheunen und die Hunde. »Geoff und seinem Partner Eli gehört die Farm und sie verwalten sie zusammen.«

Auf Robbies Gesicht zeichnete sich für einen Augenblick Verwirrung ab. »Du meinst Partner wie Geschäftspartner

»Nein«, berichtigte Joey, »Partner wie Lebenspartner

»Oh.«

 

***

 

Diese kleine Offenbarung überraschte Robbie, aber er hatte keine Zeit, um näher darauf einzugehen. Stattdessen schob er sie beiseite, um später darüber nachzudenken, während das Auto hüpfte und schaukelte und Robbie alle Hände voll damit zu tun hatte, sich den Bewegungen anzupassen, anstatt sich dagegenzustemmen. Weil er nichts sehen konnte, wusste er nicht, worauf er sich vorbereiten musste, aber das war normal für ihn. In den Kurven schwankte er unvorbereitet von einer Richtung in die andere.

Als sie um die Ecke bogen, spürte er die Wärme der Sonne auf seinem Gesicht, kramte in seiner Jackentasche nach einer Sonnenbrille und setzte sie auf, um seine Augen zu schützen.

»In ein paar Minuten sollten wir auf der Ranch ankommen.«

»Gut.« Robbie wandte sich seinem Begleiter zu und lächelte ihn an. Er hatte nicht damit gerechnet, auf einer Farm unterzukommen. Der Gedanke war sowohl aufregend als auch ein kleines bisschen einschüchternd. Er wusste, dass es dort viele Dinge geben würde, die er nicht kannte und die neu für ihn waren, und dass er vorsichtig sein müsste, aber er hoffte trotzdem, dass er die Gelegenheit, etwas Neues zu erleben, nutzen konnte. »Wenn wir da sind, kannst du mich dann herumführen?«

»Ich kann dir zeigen… Scheiße.« Robbie konnte die Verlegenheit in Joeys Stimme hören. »Tut mir leid.«

»Könntest du aufhören, dich zu entschuldigen?«

»Ja, na gut.« Das Auto machte einen Satz und Robbie wurde auf dem Sitz durchgeschüttelt, froh, dass er angeschnallt war. »Entschuldigung.« Robbie konnte fühlen, dass das Auto langsamer wurde und die Unebenheiten machten keine Probleme mehr.

»Ich werde jemanden brauchen, der mich herumführt, damit ich mir merken kann, wo alles ist.«

»Kannst du das so schnell lernen?«

»Normalerweise. Das dauert nicht lange. Zumindest, wenn du die Möbel nicht umstellst oder das Bad in einen anderen Teil des Hauses verlegst, sollte es mir gelingen.« Robbie hörte Joey leise lachen und er stimmte mit ein, weil er froh war, dass Joey seinen Humor verstand.

Er hatte übergangsweise schon bei einigen Familien gelebt während der Tour und viele von ihnen waren die ganze Zeit über so zugeknöpft gewesen, dass er sich einfach nicht hatte einleben können. Ja, er war blind, aber nicht hilflos.

»Wie stellst du das an? Also, dir so schnell zu merken, wo die Sachen sind?«

Er mochte den Klang von Joeys Stimme – reif und weich und auch sein Akzent war niedlich. Robbie zuckte die Schultern. »Man tut, was man muss.« Jegliche weitere Erklärung wurde durch seinen vertrauten Mozartklingelton unterbrochen.

Er fasste in seine Tasche und zog das Handy heraus. »Hi, Mama.«

»Hat alles gut geklappt?« In ihrer Stimme schwang der übliche übertrieben besorgte Unterton mit.

»Ja. Mir geht's gut. Wir sind auf dem Weg zum Haus. Wir sollten bald da sein.«

»Vergiss nicht, dass dich jemand herumführt, damit du die Zimmer abschreiten kannst, und sie sollen dich nicht so weit vom Bad entfernt unterbringen.«

Robbie wünschte sich, sie könnte sehen, wie er den Kopf schüttelte und mit den blinden Augen rollte. Seine Mutter hasste es total, wenn er das machte. Es jagte ihr aus irgendeinem Grund eine Heidenangst ein, was natürlich der Grund war, warum er es überhaupt machte.

»Es wird schon alles klappen, Mama. Du musst dir keine Sorgen machen.« Er war zweiundzwanzig – Herrgott noch mal! –, aber sie behandelte ihn immer noch wie ein Baby. »Wir fahren jetzt die Auffahrt rauf.« Er fühlte, dass das Auto langsamer wurde und hörte den Blinker. Selbst wenn sie nur abbiegen sollten, war es eine willkommene Entschuldigung, um sie loszuwerden.

»Okay, Liebling. Wir sprechen uns nachher.« Er legte auf und schob das Handy zurück in seine Tasche.

»Deine Mutter?« Robbie hörte das Knirschen von Kies unter den Rädern und schloss daraus, dass sie in die Auffahrt einbogen.

»Ja.« Die Frau rief mindestens drei Mal am Tag an, nur um ihn zu kontrollieren. Nach sechs Wochen wurde es jetzt einfach ein bisschen zu viel. Er fühlte, wie das Auto anhielt und der Motor erstarb. »Sind wir da?«

»Jep. Ich hol dich raus, bring dich ins Haus und gehe dann noch mal zurück, um deine Sachen zu holen, wenn das in Ordnung ist.«

»Das wäre sehr nett von dir.« Robbie wartete und hörte Joeys Gurt klicken.

»Kein Problem.« Er löste etwas ungeschickt seinen eigenen Gurt.

Die Fahrertür quietschte ein bisschen, als sie geöffnet wurde, und er fühlte das Auto wackeln, als Joey ausstieg. Die Tür schloss sich wieder, woraufhin das Auto von dem Aufprall vibrierte. Schritte auf dem Kies signalisierten, dass Joey sich näherte, und dann öffnete sich die Tür und er fühlte Joeys Hand auf seinem Arm. »Komm raus. Die Auffahrt ist aus Kies, also solltest du einen sicheren Stand haben.« Robbie ließ sich von Joey heraushelfen und zog seinen Stock auseinander.

»Würdest du mir meine Jacke geben?«

»Klar, eine Sekunde.« Joeys Hand ließ seinen Arm los, war jedoch Sekunden später zurück, warm und sanft, mit einem Griff, der stark und beruhigend, aber nicht zu fest war. »Mach ein paar kleine Schritte, damit ich die Tür zumachen kann.« Robbie gehorchte und hörte, dass sich die Autotür mit einem dumpfen Knallen schloss. Joey führte ihn geduldig um das Auto herum und hoch zum Haus. Seine Stimme war die ganze Zeit über sicher und beruhigend.

»Lass mich die Tür öffnen und dann sind es drei Stufen bis ins Haus. Kleinen Moment.« Joey hielt immer noch Robbies Arm, während dieser tief einatmete. Der Geruch nach Pferden, Heu, Stroh und Mist fiel sofort über seine Sinne her. So etwas hatte er noch nie gerochen. »Was ist das?«

»Was?« Er hörte, wie Joey schnüffelte, und musste lächeln.

Es war auf eine gute Art überwältigend und er hatte Probleme damit, alles auseinanderzuhalten. »Sind hier Pferde in der Nähe?« Er konnte etwas hören, das er für Wiehern hielt, und was er fühlte, war wahrscheinlich das Stampfen von Hufen.

»Etwa fünfzehn Meter weiter gibt es einen Korral.«

Robbie wurde ganz aufgeregt.

»Ist da etwa ein Pferd gerannt?«

»Ja. Woher weißt du das?« War das Erstaunen, das er in Joeys Stimme hörte?

»Ich konnte den Boden wegen seiner Hufe vibrieren fühlen.« Robbie drehte sich um und fing an zu schnüffeln. »Das ist sogar noch erstaunlicher, als ich es mir jemals erträumt habe.« Er wollte sich nicht vom Fleck bewegen. Die Gerüche, die Geräusche, die Vibrationen, die er in seinen Füßen fühlen konnte – alles vermischte sich zu einem Fest der Sinne.

»Wir sollten reingehen. Eli wird mit dem Abendessen fertig sein. Aber ich verspreche dir, dass ich dich zum Stall bringe, damit du ein paar Pferde kennenlernen kannst, nachdem ich dir das Haus gezeigt habe.« Wieder diese feste und beruhigende Berührung.

Indem er mit seinem Stock auf den Untergrund klopfte, konnte Robbie fühlen, wo sich die Stufe befand, und hob seinen Fuß, um langsam die Treppe ins Haus zu erklimmen.

Sobald er drinnen war und sich die Fliegengittertür mit einem Knallen hinter ihm schloss, zuckte er leicht zusammen und ein ganz neues Aufgebot an Aromen und Geräuschen stürmte auf ihn ein.

Den Gerüchen nach vermutete er, in der Küche zu sein. Seine Zeit auf der Farm würde er genießen.

»Ist das Robert Edward?«, fragte eine neue Stimme, deren Schritte sich näherten.

»Das ist Eli«, sagte Joey, woraufhin Robbie seine Hand ausstreckte, die von einer anderen, schwieligen ergriffen und geschüttelt wurde.

»Bitte nennen Sie mich Robbie.«

»Schön, dich kennenzulernen.« Er bemerkte ein leichtes Zögern in Elis Stimme, das wahrscheinlich darauf zurückzuführen war, dass er nicht gewusst hatte, dass ihr Gast blind sein würde.

Die Hintertür öffnete und schloss sich mit einem Knallen. Dann hörte er schwere, gestiefelte Schritte auf dem Boden. »Geoff, zieh deine Stiefel aus.«

Robbie unterdrückte ein Lächeln, als er den leichten Vorwurf wahrnahm, und hörte, wie sich der Mann hinsetzte und die Stiefel auf den Boden polterten.

»Geoff, das ist Robbie.«

»Freut mich, dich kennenzulernen.« Der Griff des Mannes war fest. Er konnte beinah das Lächeln in dessen Stimme hören und Robbie wusste ohne Zweifel, dass das Willkommen von Herzen kam. »Ich hoffe, dass es dir hier gefällt.«

»Da bin ich mir sicher.« Verdammt – er war so aufgeregt. Er grinste wie ein Idiot.

»In zehn Minuten ist das Abendessen fertig.« Sofort erkannte er Elis Stimme wieder und fühlte Joeys Hand erneut auf seinem Arm. Neue Leute waren normalerweise ein unbeschriebenes Blatt für ihn. Er verpasste so viele visuelle Hinweise, also brauchte er etwas mehr Zeit, um sich einen Eindruck von jemandem zu verschaffen. Das war seltsam an Joey: er hatte sofort ein Bild von ihm bekommen und es war nichts, was er nach dessen Gegrummel bei ihrer Begrüßung erwartet hätte. Es war seine Berührung, stark, aber sanft. Er wusste einfach, wie Robbie angefasst werden wollte. Robbie unterdrückte einen Schauder und verbot sich selbst, weiter in diese Richtung zu denken. Er machte sich nur lächerlich und er sollte nicht auf diese Weise über Joey nachdenken.

Bei einer Sache war er sich sicher – er würde auf der Ranch viel Spaß haben. Diese Leute und dieser Ort schienen irgendwie besonders zu sein. Er war sich nicht sicher, warum er das dachte, aber es war so. Robbie glaubte fest an positive und negative Energie. Da er nicht sehen konnte, hatte er ein feines Gespür dafür. Und sowohl der Ort als auch die Menschen strahlten positive Energie aus. Na ja, jeder außer Joey. Seine Energie war nicht negativ, aber irgendwie schmerzlich. Er konnte es auch in seiner Stimme hören, direkt unter der Oberfläche, und er fragte sich, was das verursacht haben könnte.

»Ich bringe dich ins Bad, damit du dich kurz waschen kannst, und nach dem Abendessen führe ich dich herum und bringe deine Sachen auf dein Zimmer.« Joey begleitete ihn ins Bad und nachdem er sich frisch gemacht hatte, war Robbie schon in der Lage, den Weg zum Tisch mithilfe seines Stocks zurückzufinden. Obwohl Joey nichts sagte, konnte er ihn in seiner Nähe fühlen – beobachtend, aber nicht an ihm klebend. Nachdem er sich an den Tisch gesetzt hatte, wurde ihm ein Teller vorgesetzt und Joeys ruhige Stimme erklärte ihm, wo alles lag. Er fühlte Joeys Hand auf seiner eigenen, die ihn zu seinem Glas führte. Jedes Mal, wenn Joey ihn berührte, fühlte er etwas. Er war nicht sicher, was es bedeutete, aber es gefiel ihm definitiv.

»Ich bin kein besonders anmutiger Esser«, sagte Robbie leise, in der Hoffnung, dass nur Joey es hörte. »Ich neige dazu, das Essen vom Teller zu schubsen, und merke es nicht.«

Joeys Hand legte sich auf seine Schulter. »Mach dir keine Sorgen um irgendwas. Lass es dir einfach schmecken. Eli ist ein großartiger Koch.« Robbie nahm ihn beim Wort und genoss jeden Bissen.

Zuerst drehte sich das Tischgespräch noch um ihn. Alle stellten einen Haufen Fragen, aber dann verlagerte sich das Thema auf die Farmgeschäfte und Robbie hörte zu, während er langsam aß. Er saugte jede Information in sich auf: wie es dem Vieh ging, ihre Pläne, um genug Heu zu beschaffen, der Zustand der Felder und des Saatguts. Es fühlte sich so normal an und Robbie stellte fest, dass er unwillkürlich lächeln musste. Sie behandeln mich ganz normal, dachte er bei sich. Er war dankbar dafür, denn bisher hatte er nicht viele Menschen erlebt, die das getan hatten.

Das Klingeln seines Handys unterbrach das Abendessen, also legte er die Gabel aus der Hand und fischte das Handy aus seiner Tasche. »Hi, Mama.«

»Geht es dir gut, Liebling?«

»Mir geht's gut. Mama, wir essen gerade zu Abend.« Diese Anrufe gingen ihm langsam wirklich auf die Nerven.

»Du weißt, dass du eine empfindliche Verdauung hast. Ich hoffe, sie haben dir etwas leicht Verdauliches gemacht.«

»Mir geht's wirklich gut, Mama. Ich muss jetzt aufessen, damit sie mich herumführen können, und ich habe morgen den ganzen Vormittag Probe, also werde ich nicht telefonieren können.«

»In Ordnung, gute Nacht, Liebling. Ruf mich nach der Probe an.« Sie legte auf und Robbie widmete sich wieder seinem Essen, die Konversation setzte an dem Punkt wieder ein, wo sie aufgehört hatte, und Robbie war dankbar und erleichtert zugleich.

Nach dem Abendessen führte Joey ihn durch das gesamte Haus, wobei er die Anordnung der Möbelstücke, wo sich die Badezimmer befanden und alles, was er brauchen könnte, hervorhob. »Ich hole jetzt deine Koffer und dann bringe ich dich nach oben in dein Zimmer.« Robbie setzte sich auf einen der Stühle und ließ die Geräusche des Hauses auf sich wirken. Eli war in der Küche und machte den Abwasch und dann hörte Robbie ein leises Kichern und ein Platschen. Er vermutete, dass Geoff sich zu Eli gesellt hatte und dass das Geschirr jetzt warten musste. Ein leises Stöhnen drang an seine Ohren und er lächelte, als eindeutige Kussgeräusche einem weiteren Platschen folgten. Die Hintertür öffnete und schloss sich krachend und schwere Schritte durchquerten die Küche. »Ich hab deine Koffer und ich bringe sie hoch, aber ich dachte, du würdest das hier vielleicht haben wollen.« Robbie fühlte, wie ihm der Geigenkasten in den Schoß gelegt wurde, und schlang instinktiv seine Arme darum. »Ich bin gleich zurück.« Robbie hörte schweres Trampeln auf der Treppe, gefolgt vom Geräusch sich öffnender und schließender Türen und wieder Trampeln.

Robbie spürte, dass Joey sich ihm näherte, und dann berührte eine Hand ihn am Arm. »Ich helfe dir die Treppe hoch.« Genau wie vorhin führte er ihn durch die Räume und die Treppen hinauf. »Dein Zimmer ist nach der Treppe, gleich rechts. Mein Zimmer ist auf der anderen Seite. Es gibt ein Badezimmer genau daneben.« Joey führte ihn dorthin und erklärte ihm, wo sich alles Wichtige befand, bevor er ihn zurück zum Schlafzimmer brachte.

»Deine Koffer sind auf dem Bett und ich habe deine Jacke über das Fußende gehängt.« Langsam führte er ihn herum. »Auf jeder Seite ist ein Nachttisch und auf der rechten gibt es eine Kommode.« Robbie ließ seine Hand über das glatte Holz streichen, bevor er sich an der Front heruntertastete und eine Schublade herauszog.

»Danke.«

»Soll ich dir helfen, deine Sachen einzuräumen?«

»Nein, wenn ich es selbst mache, ist es hinterher einfacher für mich sie wiederzufinden.« Er öffnete einen der Koffer. »Aber ich könnte deine Hilfe bei meinem Smoking gebrauchen.« Robbie hob die Kleidungsstücke aus seinem Koffer und reichte sie an Joey weiter.

»Kein Problem, ich hänge ihn für dich auf.« Er hörte, wie sich Joey durch das Zimmer bewegte und die Schranktür öffnete und schloss. »Willst du wieder mit nach unten kommen?«

Robbie schüttelte den Kopf. »Nein, ich werde zu Ende auspacken und dann ins Bett gehen.«

»Okay, ich wecke dich zum Frühstück. Gute Nacht.« Robbie hörte, wie Joey das Zimmer verließ und die Tür hinter sich schloss, während er weiter auspackte. Ja, es gefiel ihm hier wirklich. Das waren gute Menschen.

Er brauchte eine Weile, bis er mit dem Auspacken fertig war und sichergestellt hatte, dass er mit allem im Raum vertraut war. Er ging auch ein paar Mal zum Badezimmer und zurück, um sicherzugehen, dass er sich den Weg eingeprägt hatte, bevor er sich auszog und ins Bett ging.

Robbie war müde, aber sein Gehirn wollte einfach nicht runterfahren, also lag er da und dachte über Joey nach. Der Mann faszinierte ihn und es gab keine logische Erklärung für das Warum. Schritte auf der Treppe verrieten ihm, dass die anderen ebenfalls zu Bett gingen und nachdem jeder im Bad gewesen war, wurde es im Haus still und er lag einfach nur nachdenklich da.

Dann hörte er es. Flüstern und leises Stöhnen drangen durch die Wand an seine Ohren. Er wusste, was das für Geräusche waren, und versuchte sie auszublenden, schaffte es aber nicht.

Er fühlte sich wie ein Eindringling, als er die Ohren spitzte. Zu hören, wie sich zwei Menschen körperlich liebten, ließ ihn sich plötzlich sehr einsam fühlen. Er hatte noch nie jemanden auf diese Art und Weise berührt und er überlegte, wie es sich wohl anfühlte. Es gab so viel, was er noch nie getan hatte, aber manchmal fragte er sich, ob er jemals jemanden haben würde, der nur ihm, ihm allein gehören würde. Jemand, der ihn berühren und lieben würde, wie Geoff und Eli sich liebten. Endlich überwältigte ihn seine Müdigkeit und er schlief ein.