Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe

bloomoon Verlag, München 2013

Text copyright © Simon Scarrow, 2013

Titel der Originalausgabe: Gladiator. Son of Spartacus

First published in Great Britain in the English language by Penguin Books Ltd.

© 2013 bloomoon, ein Imprint der arsEdition GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Text: Simon Scarrow

Übersetzung: Ulrike Seeberger

Coverillustration: Helge Vogt

ISBN eBook 978-3-7607-9984-1

ISBN Printausgabe 978-3-7607-6884-7

www.bloomoon-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Simon Scarrow

Straßenkämpfer

Aus dem Englischen von Ulrike Seeberger

Für Anita Smith
mit größtem Respekt

Inhalt

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Kapitel XVII

Kapitel XVIII

Kapitel XIX

Kapitel XX

Kapitel XXI

Kapitel XXII

Kapitel XXIII

Kapitel XXIV

DER AUTOR

I

Die Angreifer kamen kurz nach Einbruch der Nacht. Sie schlichen zwischen den Zedern hervor, die an den Hängen des Berges hinter der Villa aufragten. Es waren über fünfzig Mann, mit Schwertern, Speeren und Keulen bewaffnet. Manche trugen Rüstung: Kettenhemden oder alte Bronzekürasse und unterschiedliche Helme und Schilde. Die meisten waren dünn und hager, an ein Leben mit harter Arbeit und ständigem Hunger gewöhnt. Ihre Anführer dagegen sahen anders aus: Sie waren von den Narben ihres Gewerbes gezeichnet und trugen kunstvoll verzierte und sorgfältig gepflegte Rüstungen. Diese Männer waren, ehe sie ihren Besitzern entflohen waren, einmal Gladiatoren gewesen – die tödlichsten Kämpfer in allen von Rom regierten Ländern.

An der Spitze der kleinen Truppe ritt ein breitschultriger Mann mit lockigem, schwarzem Haar. Er saß auf einer schönen, schwarzen, Stute, die er im Monat zuvor bei einem Überfall auf eine andere Villa erbeutet hatte. Über Braue und Nase des Reiters verlief eine Narbe, die ihm vor wenigen Monaten ein Zenturio zugefügt hatte, der Anführer einer Patrouille, die sie in den Hinterhalt gelockt hatten.

Die Patrouille hatte zu den Truppen gehört, die man von Rom ausgesandt hatte, um die Banden von Räubern und entlaufenen Sklaven, die sich tief in den Bergen des Apennins verbargen, aufzuspüren und auszumerzen.

Viele der Flüchtlinge waren Überlebende des großen Sklavenaufstands, den der Gladiator Spartakus vor etwa zwölf Jahren angeführt hatte. Sie trugen sein Erbe noch immer im Herzen. Damals hatte die Revolte Rom beinahe in die Knie gezwungen, und seither fürchteten die Römer einen weiteren blutigen Aufstand. Weil sie außerhalb von Italia mehrere Kriege geführt hatten, war es ihnen nicht möglich gewesen, die Rebellen vollständig auszulöschen. Mit den Jahren war das Rebellenheer um Tausende angewachsen.

Entflohene Sklaven und diejenigen, die bei den Überfällen der Rebellen auf die Villen und Landgüter der reichsten Römer befreit worden waren, bildeten nun eine große Armee von Freiheitskämpfern.

Schon bald, überlegte der Anführer mit einem dünnen Lächeln, würden sie stark genug sein, um größere Angriffe auf ihre römischen Herren zu unternehmen. Er hatte bereits Pläne geschmiedet. Die Zeit würde kommen, wenn wieder einmal ein Gladiator ein Heer von Sklaven gegen ihre Unterdrücker anführen würde. Bis dahin war er damit zufrieden, kleine Überfälle wie den heutigen durchzuführen. Sie sollten die reichen Männer, die Rom regierten, ängstigen und die unterdrückten Sklaven ermutigen, die in den Häusern, Bergwerken und auf den Feldern landauf, landab in ganz Italia ein jämmerliches Dasein fristeten.

Mit scharfen Augen musterte der Anführer die dunklen Umrisse der Gebäude und Mauern, die vor ihnen lagen. Zwei Tage lang hatte er mit seinen Männern die Villa aus den Schatten der Bäume heraus beobachtet. Es war das typische Landgut eines reichen Römers. Auf der einen Seite stand ein großzügiges Haus, das um einen Innenhof herum gebaut war, in dem säuberlich Blumenbeete und Kieswege um Wasserbecken und Fischteiche verliefen. Eine Mauer trennte das Haus von den niedrigen, schlichteren Gebäuden, in denen Sklaven und Aufseher, Wachen und Ackergeräte untergebracht waren, und von den Kornspeichern und Lagerhäusern, wo die Früchte des Landguts angesammelt wurden, ehe man sie auf den Markt brachte. Der Gewinn wurde dem Reichtum des Besitzers zugeschlagen, der in Rom lebte und dem der Schweiß, die Schufterei und das Leiden derjenigen einerlei war, die ihn so reich machten. Um das gesamte Anwesen verlief eine zehn Fuß hohe Mauer, die die Sklaven einschließen und Bedrohungen abwehren sollte.

Während die Angreifer in ihrem Versteck lagen, hatten sie die Gewohnheiten auf dem Landgut und das Kommen und Gehen der mit Ketten zusammengeschlossenen Sklaven und ihrer Wachen beobachtet, die auf den Feldern und in den Wäldern ringsum arbeiteten Die Wut des Anführers war in seinen Adern hochgekocht, als er sah, wie die Aufseher mit der Peitsche knallten und ihre Knüppel einsetzten, um Sklaven anzutreiben, die sich zu langsam bewegten. Nur zu gern hätte er mit seinen Männern den Schutz der Bäume verlassen, hätte alle Wachen überwältigt und die Sklaven befreit. Doch er hatte gelernt, wie wichtig die Tugend der Geduld war. Diese Lektion hatte ihm Spartakus vor vielen Jahren erteilt.

Bei jedem Kampf war das Wichtigste, den Feind genau zu beobachten und seine Stärken und Schwächen zu erkennen. Nur ein Narr stürzt sich ohne eine solche Vorbereitung in den Kampf, hatte Spartakus beharrt. Also hatten der Anführer und seine Männer gewartet. Sie hatten genau aufgeschrieben, wann die Wachen auf den Mauern und am Tor der Villa abgelöst wurden. Sie hatten die Männer gezählt, beobachtet, welche Waffen sie trugen und welche Gebäude auf dem Anwesen sie als Unterkunft benutzten. Sie hatten auch einen kleinen Mauerabschnitt entdeckt, der brüchig war und zudem hinter einer Fichte lag, also von fern kaum zu sehen war. Die Männer, die Wache hielten, kamen selten an diesem Abschnitt vorbei, und genau dort wollten die Angreifer ins Anwesen eindringen.

Nun bewegten sie sich leise über ein frisch gepflügtes Feld und in einen viereckigen Olivenhain, der nah bei der Umfassungsmauer der Villa lag. Vor sich konnte der Anführer die hellen Flammen der Wärmeöfen über dem Torhaus lodern sehen, die den Wachen Licht und in dieser kalten Januarnacht Wärme spendeten. Kleinere Flammen flackerten an allen Mauerecken in der Dunkelheit oben auf den Wachtürmen. Die Gestalten der Posten waren gut sichtbar, wie sie sich, die Speere an die Schulter gelehnt, in ihre Umhänge kauerten und mit den gestiefelten Füßen stampften, um sich warm zu machen.

»Jetzt langsam«, murmelte der Anführer über die Schulter zurück. »Kein Laut. Keine raschen Bewegungen.«

Sein Befehl wurde flüsternd weitergegeben, während die Angreifer zwischen den Bäumen voranschlichen und sich dem beschädigten Mauerabschnitt näherten. Der Anführer hob die Hand, als sie die Ecke des Wäldchens erreicht hatten, und seine Männer standen reglos. Dann winkte er die sechs nächsten Kämpfer zu sich, stieg ab und reichte einem die Zügel seines Pferdes. Er öffnete den Verschluss seines Umhangs und breitete ihn über den Sattel. Es wäre leichtsinnig, sich von den dicken Wollbahnen beim Kampf behindern zu lassen. Unter dem Umhang trug er eine dunkelblaue Tunika und einen schwarzen Brustharnisch, in den in Silber das Motiv eines Wolfskopfes eingearbeitet war. Ein kurzes Schwert hing ihm an einem Wehrgehänge von der Schulter und mit Nieten beschlagene Lederstulpen schützten seine Unterarme.

Er wandte sich den anderen zu. »Bereit?«

Sie nickten. »Ja, Brixus.«

»Dann los.«

Er trat vorsichtig aus dem Olivenhain auf das offene Terrain. Siebzig Schritt weit entfernt ragte die Fichte hoch und dunkel auf. Ein kleiner Wachturm lag etwa gleich weit weg in der Mauer und ein Späher zeichnete sich dort schwarz vor dem Leuchten des Wärmeofens hinter ihm ab. Brixus schritt vor und lief geduckt über die Wiese zur Mauer. Er hinkte ein wenig, die Folge einer Verletzung seiner Kniesehne vor vielen Jahren bei seinem letzten Gladiatorenkampf in der Arena. Die Männer schlichen unter den Bäumen hervor hinter ihm her und stahlen sich wie Schatten über den Boden. Nur das leiseste Rascheln des Grases begleitete ihren Weg. Schon bald standen sie unter den duftenden Ästen der Fichte neben der Mauer.

»Taurus, zur Mauer«, flüsterte Brixus, und eine große Gestalt lehnte sich mit dem Rücken an die verputzte Mauer, stemmte die Stiefel in den Boden und verschränkte die Hände. Sofort sprang einer seiner Kumpane, Pindar, ein geschmeidiger, großer Mann, darauf, und Taurus hob ihn mit einem angestrengten Grunzen auf die Mauerkrone. Pindar löste rasch einen Ziegelstein heraus und reichte ihn einem der unten wartenden Männer. Sorgfältig wurde Stein auf Stein heruntergelassen. Bald hatte Pindar alle Steine entfernt, die sich hatten lösen lassen. Nun zückte er seinen Dolch, um den Mörtel zu entfernen, der die anderen noch hielt. Die Arbeit ging nur langsam voran. Der Anführer schlich ein paar Schritte von der Gruppe fort und kniete sich hin, um den Mann zu beobachten, der auf dem Wachturm Ausschau hielt. Er stand noch da und streckte die Hände über die Flammen seines Wärmeofens. Schließlich nahm er seinen Speer und ging mit langsamen Schritten an der Mauer entlang auf die Angreifer zu.

»Still«, flüsterte Brixus, so laut er wagte. Er duckte sich tief ins Gras und presste seinen Körper dicht an den Boden, während er den näher kommenden Wachtposten nicht aus den Augen ließ. Seine Kameraden verharrten reglos. Der Wachtposten kam weiter auf sie zu, blieb dann kaum mehr als zwanzig Fuß von ihnen entfernt stehen, machte kehrt und starrte über die Mauer hinweg zu den Bäumen. Brixus betete, dass seine Männer, die dort im Schatten warteten, ruhig und unsichtbar blieben. In den Augen des Wachtpostens zeigte sich keine Besorgnis und nach einer Weile drehte er sich um und machte sich auf den Rückweg zu seinem Wärmeofen.

»In Ordnung«, flüsterte der Anführer. »Weitermachen.«

Stein für Stein wurde die Lücke in der Mauer vergrößert, bis sie knapp über Taurus’ Kopf endete.

»Das reicht. Hoch mit euch!« Brixus winkte den kleinen Trupp voran. Taurus half einem nach dem anderen durch die Lücke. Die Männer stiegen vorsichtig über die Mauer und ließen sich drinnen zu Boden. Rechter Hand lag die innere Mauer der Villa mit einem kleinen Tor, der Verbindung zwischen dem Haus und dem Arbeitsbereich. Ein zweiter, viel eindrucksvollerer Torbogen führte von einem mit Bäumen gesäumten Weg ebenfalls zur Villa. So mussten die einflussreichen Besucher des Anwesens nicht an den jämmerlichen Sklavenquartieren vorübergehen. In entgegengesetzter Richtung lagen die Baracken der Sklaven und die der Aufseher und Wachen. Jenseits davon ragten Lagerhäuser und Kornspeicher auf.

Brixus warf einen letzten Blick auf den Wachtposten, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war, wandte sich dann zu den Bäumen und formte mit der Hand einen Trichter. Er holte tief Luft und stieß drei leise Eulenrufe aus. Wenige Augenblicke später sah er den Rest seiner Angriffstruppe zwischen den Bäumen hervorschleichen. Sie kamen gebückt über das Gras auf die Fichte zu.

Dies war der riskanteste Augenblick, das wusste Brixus. Wenn der Wachtposten aufmerksam war, musste er so viele Männer, die aus der Dunkelheit traten und ausschwärmten, einfach bemerken. Pindar würde sich um ihn kümmern. Ehe die Männer die halbe Strecke über das offene Terrain zurückgelegt hatten, hörte man einen dumpfen Laut, und als der Anführer zur Mauer hinaufschaute, war der Wachtposten verschwunden. Brixus atmete erleichtert auf, erhob sich und winkte die Männer weiter, ehe er zu Taurus hinkte.

»Ich bin dran, alter Freund.« Er lächelte in die Dunkelheit hinein und sah das schwache Aufblitzen von Zähnen, als der große Mann reagierte. Dann stellte der Anführer einen Stiefel in Taurus’ große Pranken, kletterte hinauf und durch die Mauerlücke.

Auf dem Wachumgang schaute er nach links und sah, dass Pindar von der Mauer sprang und den Körper des Wachtpostens ausgestreckt hinter sich liegen ließ. Unten am Boden knieten die anderen Männer der Vorhut in weitem Bogen und hielten Wache. Brixus ließ sich von der Kante des Umgangs die letzten zwei Fuß zu Boden fallen. Über sich konnte er die ersten Männer der zweiten Gruppe hören, die gerade durch die Lücke geklettert kamen, und trat eilig zur Seite. Einer nach dem anderen ließen sich die Angreifer im Inneren der Umgrenzung zu Boden fallen und gesellten sich zu den knienden Männern. Mit einem angestrengten Grunzen zog sich schließlich auch Taurus hoch und kletterte durch die Lücke, um zu seinen Kameraden aufzuschließen.

Brixus zog das Schwert und schaute ringsum zu seinen Männern, als er die Waffe hob. Die reagierten, indem sie ihre Waffen packten und hochhielten, um ihre Bereitschaft anzuzeigen.

»Zur Baracke der Wachen.« Er sprach gerade eben laut genug, dass alle es hören konnten. »Greift hart durch. Keine Gnade.«

Taurus brummte leise und die Männer murmelten Kommentare. Dann lief der Anführer voraus an der Mauer entlang, hielt sich immer im Schatten und hinkte auf die hundert Schritte entfernte Baracke zu. Gedämpfte Geräusche wehten zu ihnen herüber: Stimmen, fröhliches Schwatzen und ab und zu die Freudenschreie oder das Aufstöhnen der Würfel spielenden Männer. Aus den Sklavenbaracken war kein Laut zu hören. Die Sklaven waren wohl zu erschöpft, um etwas anderes zu tun, als zu schlafen, nachdem sie ihre Abendration Gerstengrütze gegessen hatten. Außerdem, überlegte Brixus, war es den Sklaven auf solchen Anwesen meist verboten, sich zu unterhalten, weil man fürchtete, dies könnte sie dazu ermutigen, Pläne gegen ihre Herrschaft zu schmieden.

Sie waren kaum mehr als fünfzig Fuß vom Eingang zur Baracke entfernt, als plötzlich die Tür aufging und ein schmaler, rosiger Lichtstrahl über den Boden fiel und die Männer beleuchtete, die am Fuß der Mauer entlangschlichen. Zwei Wachtposten standen in der Türöffnung und hielten leere Krüge in der Hand, die sie zum Brunnen tragen wollten, um sie aufzufüllen. Sie blieben wie angewurzelt stehen und starrten die Eindringlinge an. Dann reagierte einer.

»Alarm!«, brüllte er, fuhr dann zur Tür herum und wiederholte seine Warnung. »Alarm!«

Brixus drehte sich zu seinen Leuten und deutete mit der freien Hand auf Pindar. »Nimm deine Männer und kümmere dich um die Wachen auf den Mauern. Ihr Übrigen folgt mir!«

Er stieß das Schwert in Richtung der Baracke und brüllte, so laut er es in der kalten Nachtluft konnte: »Attacke!«

II

Der von Pindar angeführte Trupp rannte zu den Treppen, die auf die Mauer hinaufführten, und machte sich auf den Weg zum nächsten Wachtposten. Auf dem Gelände liefen dunkle Gestalten auf die Barackentür zu. Die Angreifer stießen ein wildes Brüllen aus, während sie vorstürmten. Brixus bemühte sich, mit ihnen Schritt zu halten, aber seine alte Wunde behinderte ihn, und rasch überholten ihn die meisten seiner Männer. Die beiden unbewaffneten Wachtposten, die am Eingang standen, erholten sich schnell von ihrer Überraschung, ließen ihre Krüge fallen, machten auf dem Absatz kehrt und rasten ins Gebäude zurück.

Vom Aufruhr aufgerüttelt, hatte ein weiterer, mit einem kurzen Schwert und einem Dolch bewaffneter Wachmann bereits die Tür erreicht. Er war barfuß, kräftig gebaut und hatte graues Haar und ein zerfurchtes Gesicht. Seine schnelle Reaktion und die ruhige Art, wie er die Füße in den Boden stemmte, machten deutlich, dass er ein erfahrener ehemaliger Soldat war. Er blickte auf die Angreifer, die auf ihn zuliefen, und schrie dann über die Schulter.

»Zu den Waffen! Hinter mir aufstellen!«

Eine Handvoll Männer schafften es, hinter ihm Position zu beziehen, ehe die Rebellen sie überfielen. Der ehemalige Soldat wich geschickt einem Knüppelschlag aus und rammte dem ersten Angreifer sein Schwert in die Seite. Der Mann brach stöhnend zusammen, hielt sich die Wunde und brachte einen seiner Kameraden zum Stolpern, der vor dem Wachtposten hinfiel und von diesem mit einem raschen Schwerthieb zwischen die Schulterblätter erledigt wurde.

Obwohl der alte Soldat ein so mutiges Beispiel gegeben hatte, waren die nach draußen gestürmten Wachtposten in der Minderzahl. In wenigen Augenblicken hatten die Angreifer zwei Verteidiger niedergestreckt und die restlichen in die Baracke zurückgedrängt. Über die Schultern seiner Leute hinweg und im flackernden Widerschein der Klingen sah der alte Soldat, dass nun auch die übrigen Wachen zu den Waffen gegriffen hatten und bei ihren Gefährten an der offenen Tür standen. In dem schmalen Eingang konnte nur eine Handvoll Männer auf jeder Seite kämpfen, und immer wenn jemand fiel, trat rasch ein anderer an seine Stelle. Keine Seite gewann die Überhand.

Draußen zischte Brixus einen Fluch zwischen den Zähnen hindurch. Er hatte gehofft, die Wachtposten zu überfallen und in der Baracke zu überwältigen, ehe sie es schafften, zu den Waffen zu greifen und sich in Formation aufzustellen. Dafür war es nun zu spät, und er musste seinen Plan ändern, ehe er zu viele seiner Leute verlor. Die einzigen Männer, auf die er sich verlassen konnte, waren seine Gefährten, die ebenfalls Gladiatoren gewesen waren. Die anderen waren entflohene Sklaven, die zu seiner Bande gestoßen waren, wild auf Rache an ihren Unterdrückern, aber ohne die Ausbildung und die Disziplin der geübten Kämpfer. Sahen sie zu viele ihrer Kameraden fallen, so würden sie vielleicht den Mut verlieren.

Brixus steckte sein Schwert in die Scheide, lief rings um die Gruppe der Angreifer vor dem Eingang und packte die Kante des Türblatts.

»Zurück!«, befahl er denen, die am nächsten standen. »Du und du, helft mir, die Tür zu schließen.«

Brixus und ein paar Männer auf beiden Seiten begannen zu drücken. Erst war kein Widerstand zu spüren, doch als die Verteidiger begriffen, was geschah, brüllte der alte Soldat einen Befehl: »Haltet die Tür offen!«

In der schmalen Lücke tobte ein verzweifelter Kampf. Die Angreifer stemmten ihre Stiefel in den Boden und drückten mit aller Kraft gegen die raue Holzoberfläche, und die Verteidiger hielten von der anderen Seite dagegen. Die Tür ging immer langsamer zu, dann gar nicht mehr.

»Taurus!«, schrie Brixus zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. »Hierher! Jetzt!«

Der Riese schob einen der Angreifer zur Seite und warf sein ganzes Gewicht gegen die Tür. Sofort begann sie sich wieder zu bewegen und schloss sich langsam, bis der Spalt so klein war, dass niemand mehr hindurchkam. Der bleiche Lichtstrahl der Lampen wurde schmaler und verschwand schließlich ganz, als die Tür in den Rahmen fiel.

»Haltet sie zu«, befahl Brixus und wies die am nächsten stehenden Männer an, Taurus zu helfen. Dann schaute er sich auf dem Gelände um. Nicht weit entfernt entdeckte er neben einem der Kornspeicher einen schweren Karren. Er rief einige Männer herbei, eilte dann mit ihnen über das Gelände und packte das Joch. Mühsam zogen die Männer den schweren Wagen zur Baracke, wo die Tür unter dem Aufprall der Körper von innen bebte. Sie manövrierten den Karren nah an die Mauer, schoben ihn vor die Tür und hielten sie so geschlossen. Die Wachen konnten sie nur einen Spalt weit öffnen, gerade genug, um einen schmalen Lichtstrahl herauszulassen.

»Was jetzt?«, fragte Taurus.

»Nimm deine Leute, holt aus den Ställen trockenes Stroh und häuft es rings um die Baracke auf. Ihr anderen bewacht die Fenster. Lasst niemanden heraus.«

Während die Baracke umzingelt und mit hoch aufgetürmten Strohballen umgeben wurde, begriffen einige Wachmänner, welches Schicksal ihnen drohte, und versuchten, durch die kleinen Fenster weiter oben im Gebäude zu entkommen. Doch die Angreifer stießen ihre Speere hinauf und zwangen die Männer wieder ins Innere. Sobald Brixus sich davon überzeugt hatte, dass alles vorbereitet war, befahl er, dass Öl über die Strohhaufen gegossen wurde, und wies Pindar an, eine Fackel an dem Wärmeofen über dem Torhaus anzuzünden. Als Pindar zurückkehrte, reichte er Brixus die Fackel. Der humpelte zu dem Karren, der die Tür versperrte.

»Ihr drinnen, hört gut zu! Werft eure Waffen nach draußen und ergebt euch!«

Nach einer kurzen Pause antwortete eine Stimme: »Um uns dann wie Vieh abschlachten zu lassen? Auf keinen Fall. Ich sterbe wie ein Mann.«

»Dann werdet ihr streben«, brüllte Brixus zurück. Ein kaltes Lächeln huschte über seine Lippen. »Möge euer Tod ein Zeichen für alle sein, Römer wie Sklaven. Für die Freiheit!«

Er trat einen Schritt vor und legte die Fackel an das unter dem Karren aufgehäufte Stroh, das sofort Feuer fing. Die Flammen breiteten sich mit leisem Knistern rasch über die trockenen Ballen aus, die bald lichterloh brannten. Feuer züngelte rings um die Baracke, Rauch stieg in die Luft und die Wolken wurden vom grellen Orangerot des rasend um sich greifenden Feuers erhellt.

Drinnen ertönte panisches Geschrei. Die Männer erschienen an den Fenstern, wichen aber vor der Hitze zurück. Die Angreifer standen in einem lockeren Kreis um das brennende Gebäude, dunkle Gestalten, die sich vor dem leuchtenden Schein der Flammen abzeichneten. Lange Schatten erstreckten sich in die Dunkelheit. Schon bald hatten die Flammen die Dachbalken erfasst und ein Teil der Ziegel stürzte ins Innere. Nun hörte man nur noch schrille Schmerzensschreie, ab und zu vom scharfen Krachen zerberstender Balken übertönt. Doch schon bald war da nur noch das Brüllen des Feuers.

Brixus kletterte auf den Brunnenrand und betrachtete die kleine Gruppe von Menschen, deren Gesichter vom langsam herunterbrennenden Feuer erhellt wurden. An der einen Seite stand der Verwalter, der für seinen reichen Herrn das Landgut bewirtschaftete, mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen, die kaum älter als zehn Jahre waren. Sie hatten den Blick zum Boden gesenkt und fürchteten sich, denen in die Augen zu schauen, die sie gefangen genommen hatten. Brixus wandte seine Aufmerksamkeit den anderen Gefangenen zu. Sie schauten zumeist ängstlich, doch einige hatten auch Hoffnung in den Augen.

Die würde er am leichtesten für seine Seite gewinnen können, überlegte Brixus, während er sich sammelte, um sich an die Sklaven zu wenden, die seine Männer gerade eben erst aus dem langen, niedrigen Schuppen befreit hatten, in den sie eingeschlossen wurden, wenn sie nicht auf den Feldern und in den Hainen des Landguts arbeiteten. Als sie den Riegel fortgezogen und die Türen geöffnet hatten, war von innen der vertraute Gestank nach Schweiß und menschlichen Exkrementen herausgequollen. Brixus verfluchte in Gedanken die Römer, die diese Menschen kaum besser als Tiere behandelten.

Mit hoch erhobener Fackel war Brixus in das Gebäude getreten und hatte gegen seinen Ekel angekämpft, während die Sklaven vor ihm zurückwichen. Die meisten waren an den Knöcheln zusammengekettet, damit sie nicht fliehen konnten. Nur einer Handvoll – Kindern und alten Männern und Frauen – hatte man die Eisen abgenommen. Sie trugen kaum mehr als verschmutzte und zerfetzte Lumpen, und ihre dreckige Haut war von Blutergüssen und Narben übersät, Spuren der Prügel, die ihnen die Aufseher verabreicht hatten.

»Ich bin Brixus«, hatte er verkündet. »Einer von Spartakus’ Offizieren. Ich bin gekommen, um euch zu befreien.«

Er hatte sich an seine Gefolgsleute gewandt. »Nehmt ihnen die Ketten ab und führt sie hinaus. Haltet sie zusammen, damit ich mit ihnen reden kann, wenn sie so weit sind.«

Jetzt standen die Sklaven vor ihm und wollten erfahren, was aus ihnen werden sollte.

Brixus holte tief Luft und sprach laut, damit man ihn über das Knistern der Flammen hinweg hören konnte, die noch das verzehrten, was von der Baracke übrig geblieben war.

»Euer Schuften ist vorüber, meine Freunde. Es wird keine Peitschen mehr geben. Keine Ketten. Kein langsames Verhungern mit dünner Grütze, die euch eure Herren vorsetzen. Seht ihr, wie gut sie gelebt haben, während ihr so viel Leid, Erschöpfung und Hunger erdulden musstet?« Er deutete mit dem Arm auf den Verwalter und seine Familie.

Die Sklaven schauten zu dem Mann, der ihr Leben kontrolliert hatte. Nach und nach setzte wütendes Murmeln ein. Andere fielen ein, schüttelten zornig die Fäuste.

Brixus hob die Hände und rief ihnen zu: »Genug! Genug! Ihr werdet eure Rache bekommen. Jetzt hört mir zu.«

Als es wieder still war, fuhr er fort: »Ihr seid jetzt keine Sklaven mehr, ihr seid frei und könnt entscheiden, was ihr mit eurem Leben anfangt. Ihr seid die Herren eures Schicksals.«

»Was geschieht, wenn die Römer von diesem Überfall erfahren?«, fragte eine Stimme. »Dann bestrafen sie doch jeden Sklaven, den sie finden.«

»Dann kommt mit uns«, antwortete Brixus.

»Und wohin? Die Römer werden uns hetzen wie Hunde.«

»Nein, das werden sie nicht. Ich habe euch meinen Namen genannt. Ich bin Brixus, ich diene treu den Zielen, für die Spartakus gestorben ist. Als damals der Aufstand niedergeschlagen war, habe ich wie viele andere überlebt. Nachdem ich entflohen war, habe ich mich in die Berge des Apennins aufgemacht und mich zu den Sklaven gesellt, die dort im Verborgenen lebten. Seither sind wir viele mehr geworden. Wir haben die Landgüter der Männer überfallen, die sich unsere Herren nennen, und haben ihre Sklaven befreit. Ich führe nur eine der vielen Rebellenbanden an, die sich in den Bergen verstecken. Die Römer haben versucht, uns aufzuspüren, aber wir sind ihnen immer entkommen. Jetzt wehren wir uns, jetzt hetzen wir sie, vernichten ihre Patrouillen und brennen ihre Außenposten nieder. Sie beginnen uns zu fürchten. Jeder römische Soldat, den wir umbringen, jede Villa, die wir zerstören, jeder Sklave, den wir freisetzen, all das verstärkt ihre Furcht.«

Brixus hielt inne, um seinen nächsten Worten Gewicht zu verleihen. »Schon bald sind wir stark genug, um den Aufstand wieder anzufachen, den Spartakus einmal angeführt hat. Dann gibt es einen neuen Krieg gegen diejenigen, die uns unsere Freiheit rauben wollen.«

Aus der Menge waren aufgeregte Schreie zu hören, dann trat ein alter Mann einen Schritt vor.

»Auch ich habe für Spartakus gekämpft. Aber wir waren ein Heer. Zehntausende. Und trotzdem haben die Römer uns besiegt. Du bist der Anführer einer Bande von Entlaufenen und Räubern. Welche Chance haben wir, wenn wir uns dir anschließen? Welche Freiheit kannst du uns schon versprechen? Ein paar Monate als Flüchtlinge in den Bergen, mitten im Winter, ehe man uns aufspürt, fängt und bestraft. Das letzte Mal haben sie Tausende gekreuzigt, um uns eine Lektion zu erteilen. Wie viel größer, glaubst du, wird ihr Zorn beim zweiten Mal sein?« Der Alte wandte sich zu seinen Kameraden um und hob die Hand, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Ich sage euch, hier sind wir besser dran. Wenn die Soldaten kommen, erklären wir ihnen, dass wir mit all dem nichts zu tun hatten.«

»Du alter Narr«, brüllte Brixus ihn nieder. »Glaubt ihr, die hören euch zu? Nein. Es wird an ihrem Rachedurst nichts ändern. Sie werden trotzdem ein Exempel an euch statuieren. Bleibt hier, und ihr werdet sterben.«

»Wir sterben alle, Brixus«, erwiderte der alte Mann. »So oder so.«

»Es kommt darauf an, wie du stirbst«, antwortete Brixus. »Ihr könnt euch entscheiden, den Rest eures Lebens in eurem eigenen Dreck zu verbringen und die Brocken zu essen, die eure Herren euch gnädig hinwerfen. Oder ihr könnt hier und jetzt frei werden. Seid eure eigenen Herren. Kostet die süße Luft der Freiheit. Natürlich muss man dafür einen Preis bezahlen, wie bei allen Dingen, die zu haben sich lohnt. Ihr müsst kämpfen, um frei zu bleiben. Besser, man kämpft aufrecht, als sein Leben lang vor einem fetten römischen Schwein zu kriechen! Was ist euer Tod jetzt? Nur das Ende eures Leidens. Das Ende eines sinnlosen, wertlosen Lebens. Zusammen können wir das ändern. Aber nur wenn wir den Mut haben, für diese Freiheit zu kämpfen. Wer schließt sich uns an?«

»Ich!«, rief eine Stimme, und sofort hallte der Schrei in vielen Kehlen wider. Der alte Mann schüttelte verzweifelt den Kopf.

Als die Rufe aufgehört hatten, sprach Brixus weiter. »Brüder und Schwestern, schon bald wird das Zeitalter der Sklaverei zu Ende sein. Rebellenbanden tun sich zusammen und der Traum des Spartakus wird wahr.«

»Spartakus ist tot!«, rief der Alte zurück.

»Ja, er ist tot«, stimmte Brixus zu. »Aber sein Traum lebt weiter. Und mehr als sein Traum. Sein Stammbaum wird fortgeführt. Bald, sehr bald, werden sich die Rebellen vereinen und unter einem Banner und einem Anführer kämpfen, und dieser Anführer wird einer sein, der würdig ist, das Erbe des großen Spartakus anzutreten, denn er ist kein anderer als sein Sohn! Er wird uns anführen und das Schicksal und den Traum seines Vaters vollenden, den Traum wahr machen, den alle Sklaven im ganzen Römischen Reich haben.«

»Der Sohn von Spartakus?« Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Das ist nicht möglich. Ich war da. Er hatte keinen Sohn.«

»Der Sohn ist kurz nach dem Ende des Aufstands geboren. Er trägt das geheime Zeichen des Spartakus. Ich habe es gesehen. Ich habe den Jungen kennengelernt.«

Die Menge war still geworden, lauschte seinen Worten mit gebannter Aufmerksamkeit und in fast allen Gesichtern leuchtete Hoffnung.

»Wo ist er?«, rief jemand. »Wo ist der Junge?«

»Ich weiß, wo er lebt«, sagte Brixus. »Er ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten, und schon jetzt ist klar, dass er ein ebenso großer Gladiator wird, wie Spartakus einer war. Vielleicht sogar ein noch größerer. Er ist noch jung. Aber wenn die Zeit kommt, kann er seinem Schicksal nicht entfliehen. Er wird dem Ruf folgen und uns alle in die Freiheit führen!«

»Freiheit!«, riefen seine Gefolgsleute, und der Ruf hallte unter den gerade befreiten Sklaven wider. Selbst der alte Mann stimmte ein und seine Augen glänzten. Brixus ließ den Jubel eine Weile erschallen, ehe er die Hand erhob und um Ruhe bat.

»Eine letzte Aufgabe haben wir noch, ehe wir heute Abend hier fortgehen.« Er wandte sich um und deutete auf den Verwalter und seine Familie. »Wir müssen den Römern zeigen, welches Schicksal diejenigen erwartet, die ihre Mitmenschen unterdrücken. Bringt mir den jüngsten Sohn.«

Einer der Rebellen trat zur Familie des Verwalters hinüber, packte den Jungen beim Arm und zerrte ihn fort. Der wand sich, um sich zu befreien, streckte eine Hand zu seiner Mutter aus, deren Gesicht sich schmerzlich verzerrte. Der Verwalter hielt sie zurück. Er sprach laut und trotzig zu seinem Sohn. »Zeige diesem Abschaum keine Furcht. Keine Tränen. Vergiss nicht, du bist ein Römer.«

Brixus lachte und einige in der Menge johlten.

Als man den Jungen vor Brixus brachte, hielt er sich so aufrecht, wie er konnte, und versuchte, ruhig und mutig auszusehen.

»Hast du Angst vor mir?«, fragte Brixus.

»Nein.«

»Das solltest du. Wie heißt du?«

»Lucius Pollonius Secundus. Aber du kannst mich junger Herr nennen.«

Brixus lächelte. »Du bist ein wenig zu arrogant, ein richtiger Römer. Die Frage ist, bist du auch ein schlauer Römer, Lucius? Glaubst du, dass du dich an jede Einzelheit dessen erinnern kannst, was heute hier geschehen ist?«

»Das werde ich nie vergessen.«

»Das stimmt.« Brixus nickte. Dann wandte er sich an Taurus. »Kreuzigt die anderen. Und den hier kettet an den Fuß des Kreuzes, an dem sein Vater hängt. Er wird derjenige sein, der den Römern erzählt, dass es einen neuen Aufstand gibt. Dieses Mal wird uns Spartakus’ Erbe zum Sieg und zur Vernichtung Roms führen.«

III

»Glaubst du, dass Caesar die Abstimmung gewinnt?«, fragte Marcus zweifelnd, als er durch das Fenster des Senatshauses schaute.

Wie es bei wichtigen Abstimmungen üblich war, drängten sich Passanten an den Fenstern und Torbögen. Sie wollten die Debatte mit anhören, ihren Helden zujubeln oder die unbeliebten Senatoren verspotten. Am Morgen hatte es stark geregnet und die Luft war kalt und klamm.

Marcus zog den Umhang fester um sich. Er hatte trotz des Wetters die Kapuze abgenommen, sodass er den lärmenden Vorgängen im Senatshaus besser folgen konnte. Sein dunkles, lockiges Haar musste dringend geschnitten werden. Doch bis dahin wurde es von einem Lederriemen zurückgehalten, den er sich um die Stirn gelegt und hinten zusammengeknotet hatte.

Obwohl er kürzlich zwölf geworden war, wirkte er groß und kräftig gebaut für sein Alter, wie man es wohl von einem Jungen erwarten konnte, der beinahe zwei Jahre seines Lebens zum Gladiator ausgebildet worden war. Es lag eine Härte in seinen Zügen, die für einen Zwölfjährigen ungewöhnlich war, und sie hatte mit den Narben zu tun, die er in seinem kurzen Leben bereits gesammelt hatte, zum Beispiel mit der über dem rechten Knie.

Eine idyllische Kindheit auf der griechischen Insel Lefkada war plötzlich zu Ende gegangen, als die Schergen des Geldverleihers Decimus Marcus und seine Mutter entführt hatten. Kurz danach waren sie getrennt worden. Während man seine Mutter auf ein Landgut in Griechenland gebracht hatte, wo sie ihr Leben lang Sklavendienste tun sollte, hatte ein Lanista – der Besitzer einer Gladiatorenschule bei Capua – Marcus gekauft. Seine Ausbildung war brutal und erbarmungslos gewesen, bis man ihn ausgewählt hatte, vor Julius Caesar zu kämpfen. Zufällig hatte er dabei Portia, der Nichte Caesars, das Leben gerettet, die während seines Kampfes mit zwei Wölfen in die Arena gestürzt war.

Danach hatte man ihn nach Rom gebracht, wo er in Caesars Haus Dienst leisten und dessen Feinde ausspionieren sollte. Zum Dank dafür hatte man ihm vor einigen Monaten die Freiheit geschenkt. Zunächst hatte Marcus geglaubt, dass er nun nach seiner Mutter suchen könnte. Doch obwohl Caesar Erkundigungen einzog, um herauszufinden, wo man sie festhielt, gab es bisher keine Nachrichten von ihr, und Marcus wurde allmählich unruhig. Das Herz schmerzte ihn, wenn er an seine Mutter dachte und sich vorstellte, wie sie, an andere Sklaven gekettet, zur Arbeit auf den Feldern gezwungen wurde, die zur Villa des Decimus gehörten. Er konnte keine Ruhe finden, solange sie noch Sklavin war. Und er konnte auch nicht zufrieden sein, ehe er sich an Decimus für all das Leiden gerächt hatte, das dieser ihm, seiner Mutter und Titus, dem Mann, der Marcus wie seinen Sohn aufgezogen hatte, angetan hatte. Wenn bis zum Ende des Monats keine Fortschritte zu verzeichnen waren, dann würde er Caesar um Erlaubnis bitten, selbst nach seiner Mutter suchen zu dürfen.

Obwohl er nun kein Sklave mehr war, hatte Marcus schon bald entdeckt, dass sein neuer Status ihm weniger Freiheit gewährte, als er zunächst vermutet hatte. Diejenigen, die Sklaven gewesen waren, standen bei ihren früheren Herren in der Schuld, und man erwartete von ihnen, dass sie allen Anfragen um weitere Dienstleistungen nachkommen würden. Das waren die seltsamen Sitten der Römer. Hier ging es ganz anders zu als in dem schlichten Leben, zu dem man ihn auf Lefkada erzogen hatte.

Marcus lief die Zeit davon. Caesar hatte seine einjährige Dienstzeit als einer von zwei Konsuln bereits hinter sich und würde Rom schon bald verlassen, um das Heer und den südlich der Alpen gelegenen Teil der gallischen Provinz zu befehligen. Wenn Marcus auf weitere Hilfe von Caesar bei der Suche und Befreiung seiner Mutter hoffte, dann musste das bald geschehen, ehe der neu ernannte General Rom verließ. Doch zuerst musste Caesar einen Versuch seiner politischen Feinde überstehen, ihn wegen Machtmissbrauchs während der Amtszeit vor Gericht zu stellen.

Heute würde man darüber abstimmen, ob ein Prozess gegen ihn angestrengt werden sollte. Den ganzen Tag lang waren die Argumente für und gegen den Antrag wütend hin und her geflogen. Caesar war mehrere Male von seiner Bank aufgesprungen und hatte seine Ankläger direkt angesprochen. Wie immer war Marcus vom Redegeschick seines ehemaligen Herrn beeindruckt gewesen. Er hatte seine Gegner mit Vernunft, Rhetorik und Humor herausgefordert und damit versucht, die Unterstützung der Senatoren und der Mehrheit des Publikums zu gewinnen. Aber reichte das?

Der grauhaarige Mann, der neben Marcus stand, legte den Kopf ein wenig schief, während er über die Frage des Jungen nachdachte. Festus war für die private Leibwache Caesars verantwortlich, eine kleine Truppe von ehemaligen Soldaten und Gladiatoren sowie Straßenkämpfern, die für Caesars Sicherheit zuständig waren, wenn er sich durch die belebten Straßen Roms bewegte. Marcus war das jüngste Mitglied dieser Leibwache, hatte sich aber mit seinem Mut und seinem Geschick mit Waffen den Respekt der anderen erworben.

»Schwer zu sagen. Der Herr ist bei der Bevölkerung sehr beliebt. Seine Landreformen im letzten Jahr haben vielen geholfen. Aber die kleinen Leute haben ja keinen Einfluss darauf, was mit ihm geschieht. Das bestimmen nur die Senatoren.« Er hielt inne und ein Lächeln trat auf sein zerfurchtes Gesicht. »Ich denke, die meisten Senatoren sind nicht bereit, die Wut der Menge zu riskieren, indem sie Caesar vor Gericht stellen. Die einzige Gefahr ist, dass Cato sie noch umstimmt.«

Marcus wandte seinen Blick auf den grimmig dreinschauenden Senator, der auf der vordersten Bank genau Caesar gegenüber saß. Cato trug seine übliche schlichte, braune Toga, um zu zeigen, dass er sich den einfachen Tugenden und Traditionen der Vorväter des Senats verpflichtet fühlte. Im Vorjahr hatte er erbitterten Widerstand gegen Caesars Reformen geleistet. Seither waren die beiden Feinde.

Einer der neuen Konsuln, Calpurnius Piso, leitete die Debatte und stand nun auf, um zu sprechen. Die anderen Senatoren und die Zuschauer verstummten aus Respekt vor seinem Amt, als er sich räusperte.

»Mitsenatoren. Ich bin mir bewusst, dass es nur noch zwei Stunden sind, bis der Tag zu Ende geht. Wir haben in den letzten drei Tagen die Argumente für und gegen den Antrag gehört. Ich beantrage, dass wir jetzt darüber abstimmen, ob Caesar vor Gericht gestellt werden soll.«

»Jetzt wissen wir es gleich«, murmelte Marcus.

»Sei dir da mal nicht so sicher«, meinte Festus. »Du hast unseren Freund Clodius vergessen.«

Marcus nickte. Er erinnerte sich gut an den brutalen jungen Mann, der im Jahr zuvor die Straßenbanden organisiert hatte, die damals Caesars Interessen dienten.

»Ich verbiete es!«, rief eine Stimme laut.

Alle Augen fuhren zu einem der Männer herum, die auf der Bank der Tribune saßen. Die Tribune, die vom Volk gewählt wurden, besaßen das Recht, gegen jede im Senat getroffene Entscheidung Einspruch zu erheben, übten dieses Recht jedoch nur selten aus. Nun erhob sich der Tribun Clodius und streckte die Hand aus. »Ich verbiete die Abstimmung.«

Sofort war Cato auch aufgesprungen und deutete anklagend mit dem Finger auf ihn. »Mit welcher Begründung?«

Clodius wandte sich dem Senator zu und lächelte. »Ich muss Euch keine Gründe nennen, mein lieber Cato. Ich habe einfach das Recht, die Abstimmung zu verbieten. Das ist alles.«

Cato blitzte ihn quer durch das Senatshaus an. »Aber Ihr habt eine moralische Verpflichtung, Eure Entscheidung zu erklären. Ihr müsst Eure Gründe nennen.«

»Muss ich?« Clodius drehte sich zum Konsul.

Piso seufzte und schüttelte den Kopf.

»Pah!« Cato schäumte vor Wut. »Der Tribun missbraucht seine Macht. Falls es keinen guten Grund gibt, eine Abstimmung zu verbieten, und es gibt keinen, dann ist es nicht recht, was er macht.«

»Es ist vielleicht nicht recht«, konterte Clodius in nüchternem Ton. »Aber es ist mein Privileg. Daran könnt Ihr nichts ändern.«

Seine Worte führten zu wütendem Geheul unter Catos Befürwortern. Auch viele andere Senatoren schienen zornig zu sein, bemerkte Marcus, sogar einige, die Caesar normalerweise unterstützten. Marcus schaute zu Festus.

»Ich glaube, Caesar macht einen Fehler. Er sollte sich nicht auf Clodius verlassen.«

»Vielleicht, aber warum sollte er das Risiko eingehen, die Abstimmung zu verlieren?«

»Es geht für den Herrn um mehr als nur die Niederlage bei einer Abstimmung.« Marcus deutete auf den wütenden Tumult im Senat. Das Geschrei dauerte noch eine Weile an, ehe Pisos Schreiber seinen Stab auf den Marmorboden schlug. Allmählich verebbte der Lärm, und Piso nickte einer hoch aufgeschossenen Gestalt zu, die zwischen Cato und Caesar saß.

»Das Wort ergeht an Senator Cicero.«

Marcus lehnte sich vor. Er wollte sicher sein, dass ihm kein Wort entging. Cicero war einer der Senatoren, die höchsten Respekt genossen, und er hatte sich noch nicht entschieden, welche Seite er unterstützen wollte. Was er jetzt sagte, könnte vielleicht noch mehr Leute auf Caesars Seite ziehen oder aber den Senat gegen ihn aufbringen.

Cicero trat mit festen Schritten vor den Konsul und drehte sich dann um, sodass er die wartenden Senatoren anschaute. Marcus konnte ihre angespannte Erwartung spüren. Doch Cicero, der jeden Kniff in der Kunst des öffentlichen Redens beherrschte, begann erst, als vollständige Stille herrschte.

»Verehrte Senatoren. Wir wollen keine alten Wunden aufreißen. Nur wenige von uns können die schrecklichen Kämpfe und die Gewalt vergessen, die mit dem Zeitalter von Marius und Sulla einhergingen. Und keiner von uns möchte zu den Zeiten zurückkehren, als jeder Senator um sein Leben fürchten musste und Ströme von Blut durch die Straßen unserer geliebten Stadt flossen. Lasst uns also unsere jetzigen Schwierigkeiten im Geist des Kompromisses angehen.«

Marcus sah, dass Cato den Kopf schüttelte und sich erheben wollte. Cicero bedeutete ihm mit einer Geste, er solle sitzen bleiben. Widerwillig ließ sich der andere Mann wieder nieder. Caesar schaute mit kaltem, ausdruckslosem Gesicht zu.

»Kaum einer kann bestreiten«, fuhr Cicero fort, »dass beide Seiten berechtigte Beschwerden vorbringen. Caesars Herrschaft als Konsul war wegen der Gesetze, die er einführte, eine Zeit großer Spaltung. Selbst ich stelle einige der Strategien infrage, die er benutzt hat, um seinen Willen durchzusetzen. Aber der gegenwärtige Versuch, ihn vor Gericht zu stellen, scheint eher von politischen Motiven getrieben zu sein. Natürlich bin ich sicher, dass der Senat ihm ein gerechtes Verfahren geben und seine endgültige Entscheidung mit Vernunft und Gerechtigkeit fällen würde.«

Festus schnaubte verächtlich. »Wer’s glaubt.«

»Psch!«, zischte ein dicker Mann neben ihm.

»Allerdings«, fuhr Cicero fort, »können wir nun, da Tribun Clodius von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht hat, nicht darüber abstimmen, ob es ein Verfahren geben wird. Der Tribun hat das Recht, über seine Gründe für diese Entscheidung zu schweigen, aber ich behaupte, dies ist nur ein Zeichen für seinen allseits berüchtigten Leichtsinn. Er läuft Gefahr, die Spaltung noch zu verstärken, die diesen Senat ohnehin schon großen Spannungen unterwirft.«

Clodius verschränkte die Arme, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und lächelte.