Maier Helmut

D-83435 Bad Reichenhall

Bad Reichenhall, im November 2011

Dieses Manuskript beinhaltet auszugsweise mein Leben und meinen beruflichen und geistigen Werdegang vom “verkrachten Studenten“ und vom Träumer von der Ferne, von Freiheit und Abenteuer hin zum selbständigen Fernfahrer und überzeugten Kommunisten. Ich habe dies nicht geschrieben, weil mir mein Leben vielleicht als so interessant oder gar als so wichtig erscheint, sondern weil es mir ein Bedürfnis ist, die Wahrheit zu sagen. Probleme kann man nur über die Ursachen lösen und dazu gehört Wahrheitsfindung.

Die kommunistische Idee kann nicht vom Staat verordnet werden, sondern sie muß im Kopf jedes einzelnen Bürgers entstehen.

Vielleicht kann ich mit meinem Beitrag einen Denkanstoß in diese Richtung geben.

Maier Helmut.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort.

Viele Menschen fragen nach dem Sinn des Lebens und finden keine Antwort, es hat nämlich keinen. Da sich das Leben aus der Natur entwickelt hat und in der Natur alles nach dem Kausalitätsprinzip abläuft, also nach Ursache und Wirkung, kann es gar keinen höheren Sinn haben, da keine höhere Macht, wie etwa ein “Schöpfer“, dahinter steckt, der sich etwas dabei gedacht haben könnte.

Während dieser natürlichen Entwicklung des Lebens auf unserem Planeten ist es zu immer höheren und komplizierteren Arten gekommen und schließlich zur größten Fehlentwicklung dieser Evolution, zum heutigen Menschen. Sein Gehirn, und damit seine erfinderische Intelligenz, ist extrem gewachsen, während sich sein egoistisch primitiver Charakter kaum weiter entwickelt hat. Das musste zwangsläufig zu einer Gefahr für die gesamte übrige Natur und auch für ihn selbst werden. Und so ist in der Tat die Geschichte der Menschheit eine einzige Geschichte der Ausbeutung des Schwächeren durch den Stärkeren.

Und wenn der Mensch seine angebliche Vernunft, seine Einsicht in die Dinge, nicht dazu verwendet, an seinem Charakter zu arbeiten, um diese Ausbeutung abzuschaffen, dann wird er mit Sicherheit untergehen.

Ich für meinen Teil bin der Auffassung, jeder soll sich ein so schönes Leben machen, wie er kann, nur nicht auf Kosten anderer.

Das ist die entscheidende Einschränkung und Bedingung. Wenn sich jeder konsequent danach richten würde, dann würde sich dieses bestehende Ausbeutersystem, nämlich die kapitalistische Marktwirtschaft, nach und nach von selbst auflösen und einer gerechten Ordnung weichen.

Maier Helmut

August 2005. Sajnsand, Mongolei.

Wieder einmal, wie schon öfter in meinem Leben, stehe ich vor den Trümmern meiner Existenz, beziehungsweise meiner Träume.

Diesmal ist es der Traum von einem abenteuerlichen Lebensabend, der jäh zu Ende gegangen scheint. Ich bin mit meinem Wohnmobil im Hof einer kleinen Werkstatt, die den Namen kaum verdient. Zwei Mechaniker versuchen mit primitiven Hilfsmitteln den Koffer von meinem Wohnmobil so am Fahrgestell zu befestigen, dass ich wenigstens noch die etwa 500 Kilometer zurück nach Ulaanbaatar fahren kann, ohne ihn ganz zu verlieren.

Ich hatte dieses Fahrzeug im März des Vorjahres von einem Händler aus dem südlichen Niedersachsen in der Gegend von Göttingen gekauft. Es war ein Magirus-Lkw mit Allradantrieb, der vom THW ausgemustert worden war, und dadurch in die Hände dieses Händlers gekommen war. Solche ausgemusterten Fahrzeuge aus staatlichen Beständen ‚wie von der Bundeswehr oder vom BGS oder eben auch vom THW kann man günstig ersteigern. Sie sind zwar vom Baujahr her ziemlich alt, sind aber wenig Kilometer gefahren, sodaß sie vom Motor und Antrieb her noch fast wie neu sind. Der Händler hatte größere Räder montiert, um das Fahrzeug noch geländegängiger zu machen. Auf das Fahrgestell dieses Lkw, der eine Doppelkabine hatte, montierte der Händler einen alten Koffer von einem BGS-Fahrzeug, allerdings leider sehr unsachgemäß, wie ich jetzt feststellen musste. Der Koffer war schon wohnlich eingerichtet und mir gefiel alles ganz gut. Trotzdem war der Kauf überstürzt, aber aus einem anderen Grund, auf den ich später noch näher eingehe.

Ich holte das Wohnmobil mit einer Werkstatt-Nummer von dem Händler ab und brachte es in eine Werkstatt daheim, wo ich schon lange mit meinem Lkw Kunde war.

Es musste ja als Wohnmobil neu vom TÜV abgenommen werden. Da der Tank des Magirus nur etwa 100 Liter fasste, ließ ich mir zwei 400-Liter-Tanks einbauen, und ließ den Originaltank nur als Reserve. Damit hatte ich ein Diesel-Volumen von 900 Liter und bei einem Verbrauch von knapp 20 Liter auf 100 Kilometer eine Reichweite von über 4000 Kilometer. Das hatte den Vorteil, daß ich Länder, wo der Diesel teuer war, durchfahren konnte, ohne zu tanken.

Ich arbeitete während dieser Zeit als selbständiger Fernfahrer mit einem Kühl-Sattelzug für eine Münchner Spedition im Ungarn-Verkehr. Die ganzen letzten Jahre meines Arbeitslebens träumte ich von so einem geländegängigen Wohnmobil für meinen Lebensabend. Ich wollte ja nicht nur diese eine Reise nach Asien, nach China machen. Als nächstes plante ich über die Wintermonate einen Afrika-Trip und auf diese Art weiter. Notfalls konnte ich mir ja als Fernfahrer wieder Reisegeld verdienen. Ich war ja mobil, konnte zu irgendeiner Firma, wo ich Arbeit fand, hinfahren und vom Wohnmobil in den Lkw umsteigen.

Und so beendete ich Ende August 2004 meine Tätigkeit als Fernfahrer. Auch das war unüberlegt und verfrüht. Ich war zwar schon knapp 67 Jahre, aber es wäre weitaus besser gewesen, noch ein paar Jahre mit meiner Zugmaschine zu fahren. Sie ging noch gut und ich verdiente damals gutes Geld mit ihr. Den Kühl-Auflieger hatte ich sowieso nur gemietet, den konnte ich zurückgeben, wann ich wollte. Aber hinterher weiß man es bekanntlich immer besser.

Im November 2004 machte ich erst noch eine Probefahrt mit dem Wohnmobil. Mehr so eine Art nostalgische 4-Wochen-Rundfahrt nach Südosteuropa über Ungarn, Rumänien, Ukraine, Bulgarien, Griechenland und Jugoslawien. In diesen Ländern war ich ja jahrzehntelang als Fernfahrer unterwegs gewesen. In den Jahren von 1980 bis 2004.

Anfang Juni 2005 startete ich dann zu dieser Asien-Reise. Über Russland und die Mongolei wollte ich nach China und weiter nach Südostasien und dann über Indien, Pakistan, Iran und die Türkei wieder nach Hause. Zunächst ging auch alles wunderbar. Eigentlich wollte ich erst zum Nordkap und von dort nach Russland einreisen Richtung Murmansk. Aber da ich das Visum für Russland nur für 30 Tage bekommen hatte, kürzte ich etwas ab und fuhr von Estland Richtung St.-Petersburg und dann weiter Richtung südlichen Ural und über Novosibirsk nach Irkutsk. Dort besorgte ich mir das Visum für die Mongolei, die ich dann über den Baikal-See und Ulan-Ude erreichte. In Ulaanbaatar holte ich mir das Visum für China. Da ich schon unterwegs gehört hatte, dass die chinesischen Grenzorgane Schwierigkeiten machen, wenn man mit einem Fahrzeug einreisen will, fragte ich bei der Visum-Erteilung und zeigte ihnen sogar ein Bild von meinem Wohnmobil. Die zuständige Frau zuckte nur die Achseln und meinte: “probieren“. Na ja, probieren geht über studieren, dachte ich auch und fuhr los, Richtung Südost, Richtung chinesische Grenze. Da war dann nach etwa 50 Kilometer die gute Straße zu Ende und es begann eine Wüsten-Piste. Aber das war für mein Fahrzeug kein Problem und ich erinnerte mich, wie ich damals vor 35 oder 40 Jahren mit einem serienmäßigen Skoda-1000 MB durch die Sahara gefahren war und dutzende-male im Sand steckengeblieben war. Das passierte mir mit diesem Fahrzeug natürlich nicht. Aber der Koffer zeigte bereits erste Auflösungserscheinungen und in Zamyn-Uud an der Grenze zu China, musste ich schon die Inneneinrichtung des Koffers provisorisch mit einem Spanngurt befestigen, weil sich alles zu verschieben begann.

An der Grenze zu China eröffnete mir der chinesische Polizist, ich könne einreisen, aber mein Fahrzeug müsse ich in der Mongolei lassen. Verrückte Idee! Ich fuhr zurück nach Zamyn-Uud, es war gerade Samstag, und wartete dort bis Montag. Dann telefonierte ich mit der Deutschen Botschaft in Peking, aber die konnten mir auch nicht weiter helfen. Sie gaben mir zwar eine Telefon-Nummer von einem Reisebüro in Peking, aber irgendwie bekam ich keine Verbindung und ich konnte mir auch nicht vorstellen, daß die mir helfen konnten. Ich habe später gehört, dass man mit Begleitung fahren muß, das hätte ich sowieso nicht gewollt, ganz abgesehen von den Kosten. So musste ich mir halt einen anderen Weg suchen. Zurück über Russland nach Kasachstan Richtung Kaspisches Meer, mit der Fähre rüber nach Baku und weiter Richtung Türkei. So ungefähr war mein Plan.

Ich brach also noch an diesem Montag von Zamyn-Uud aus auf zurück nach Ulaanbaatar. Ich musste mehrmals anhalten, weil der Koffer jetzt auf der schlechten Piste buchstäblich auseinanderzubrechen drohte. Der Boden des Koffers war hinten durchgebrochen und auf der rechten Seite schleifte er schon auf dem Hinterrad des Fahrzeugs. Mit ein paar Spanngurten, die zu meinem reichhaltigen Werkzeug gehörten, sicherte ich den Koffer soweit ab, dass ich dann wenigstens am Abend gegen 21 Uhr Sajnsand erreichte.

Ulaanbaatar, 14.8.2005.

Ich sitze in einer Kneipe in der Nähe von meinem Hotel, wo ich ein Zimmer genommen habe, vor meinem Bier. Mein Wohnmobil habe ich in die Werkstatt eines deutschen Touristik-Unternehmers gebracht, der Touristen in der Mongolei spazieren fährt. Ich wollte eigentlich, dass er mir den Koffer wieder herrichtet, aber er sagte, der Koffer sei Schrott, da ist nichts mehr zu machen. Ja, vielleicht hätte ich mir eine andere Werkstatt suchen sollen. Er bot mir an, den Magirus ohne Koffer fahrbereit zur Weiterfahrt zu machen, für 300.- Euro. Ich ging darauf ein, aber als er mir am nächsten Tag ein Kaufangebot von 4200.- Dollar machte, zögerte ich zwar zunächst, willigte aber dann doch ein.

Morgen um 0900 Uhr geht mein Flug mit der russischen Aeroflot nach Moskau und dann mit einer österreichischen Maschine weiter nach Wien.

Jetzt, wo ich vor meinem Bier sitze, reut mich dieser überstürzte Entschluß schon wieder.

Aber irgendwie hatte ich innerlich schon mit dem Wohnmobil abgeschlossen, beruhige ich mich selbst. Aber was hatte ich doch für Pläne mit diesem Wohnmobil gehabt. Alles mit einem Federstrich zu Ende.

Immer zu leicht aufgeben, immer, wenn Schwierigkeiten auftauchen, den bequemen Weg gehen, eine Charakterschwäche, die mich mein ganzes Leben begleitet hat.

Wenn ich meinen Charakter objektiv betrachte, wenn dies überhaupt möglich ist, so kann ich ihm nicht viele gute Seiten abgewinnen. Höchstens, dass ich immer ehrlich und fair zu meinen Mitmenschen bin und dass ich jede Mark, bzw. jeden Euro, den ich ausgegeben habe, selbst verdient habe, also nie einen anderen Menschen ausgebeutet habe. Und dass ich einen Misserfolg, bzw. eine Niederlage immer schnell weggesteckt habe und immer nach vorn geblickt habe.

Während ich noch ein paar Bier in dieser Kneipe trinke, lasse ich mein Leben vor meinem geistigen Auge Revue passieren.

Im Oktober 1937 als jüngstes von sieben Geschwistern in Bad Reichenhall in Oberbayern geboren, die Mutter Hausfrau, der Vater von Beruf Huf- und Wagenschmied, aber schon vom ersten Weltkrieg her kriegsbeschädigt. Er bekam früh eine kleine Rente und verdiente sich nach dem zweiten Weltkrieg, zu dem er nicht mehr eingezogen wurde, als Losverkäufer für die bayerische Wiederaufbaulotterie ein paar Mark dazu. Wir waren also eine arme Arbeiter-familie, wo es damals üblich war, dass die Kinder nach den 8 Jahren Volksschule, wie es zu dieser Zeit hieß, mit 14 Jahren eine Lehre begannen. Alle meine Geschwister gingen diesen Weg und ich weiß nicht mehr, von wem die Initiative ausging, daß sie mir als Jüngstem eine höhere Schulbildung angedeihen ließen. So wechselte ich im Herbst 1947, also noch in der R-Mark Zeit, von der Volks- in die Oberschule, die sich auch am Ort befand.

Ich hatte nach Abschluß der sechsten Klasse Oberschule, was die “Mittlere Reife“ bedeutete, noch keine feste Berufsvorstellung, und da mein damaliger bester Schulfreund die Schule verließ und zur Bundesbahn ging, wollte ich das gleiche tun, ich wollte ja endlich Geld verdienen. Aber mein Klassenlehrer, der Mathematik und Physik unterrichtete,überredete meine Mutter, mich auf der Schule zu lassen, und so machte ich im Sommer 1956 das Abitur. Ich glaube, ich wusste damals immer noch nicht, was ich wollte. Abitur war ja kein Beruf. Man musste entweder studieren, oder man bewarb sich beim Staat. Letzteres wäre sicher das Beste gewesen, mit Abitur kommt man ja gleich in die höhere Laufbahn.

Aber da ich in Mathematik und Physik immer die Note: “sehr gut“ gehabt habe, meinten alle, ich soll doch Physik studieren, was ich dann auch tat. Die Voraussetzungen waren denkbar schlecht. Gleich nach Abschluß der Schule begann ich in der Saline Bad Reichenhall zu arbeiten, ich musste ja Geld verdienen. Als Hilfsarbeiter natürlich, ich hatte ja keinen Beruf. Dann Uni-München, ein Zimmer dort konnte ich mir nicht leisten. Eine Schwester, die in Rosenheim verheiratet war, bot mir an, bei ihr zu wohnen. Aber das war ein riesiger Schulweg, denn sie wohnte außerhalb am Ostrand von Rosenheim. In den Semesterferien arbeitete ich natürlich vom ersten bis zum letzten Tag in der Reichenhaller Saline und merkte gar nicht, wie ich langsam das Studium verbummelte. Ich hatte zwar das sogenannte “Zeugnis der Reife“, das Voraussetzung war für das Studium an der Universität, aber die charakterliche Reife hatte ich leider nicht. Vor allem nicht die erforderliche Willensstärke. Dazu kam, dass an der Uni kein schulischer Betrieb herrschte. Da kümmerte sich keiner, ob man da war oder was man tat. Man erwartet eben von einem reifen Menschen, dass er ohne Kontrolle, ohne Zwang das Notwendige tut und das ist ja auch richtig so. Nur ich war halt noch nicht reif für diese “Akademische Freiheit“.

So genoß ich mein junges Leben und vernachlässigte das Studium. Mit dem Geld, das ich in der Saline verdiente, machte ich den Führerschein und kaufte mir ein gebrauchtes Motorrad und auch viele andere Dinge, die ich mir vorher nie leisten konnte. Nach dem Sommersemester 59 brach ich dann das Studium ab und arbeitete einfach in der Reichenhaller Saline weiter. Die Arbeit fiel mir nicht schwer, ich war ja noch jung und als Lediger verdiente ich genug Geld, um mir ein schönes Leben zu machen. Immer, wenn ich damals oder auch später gefragt wurde, warum ich mein Studium abgebrochen habe, sagte ich, ich war zu dumm, ich habe es nicht geschafft, denn das dachten sie sowieso und ich hatte meine Ruhe. Natürlich dachte ich nie daran, für immer in der Saline zu bleiben.

Da ich immer schon vom Fliegen geträumt hatte, bewarb ich mich bei der Luftwaffe der Bundeswehr. Mit Abitur kam man da gleich zur Offiziersbewerber-Prüfzentrale nach Köln. Ich glaube, die Eignungsprüfung dauerte zwei Tage. Das Ergebnis bekam man dann mit der Post nach Hause, wenn ich mich recht erinnere. Ich wurde abgelehnt. Den Grund weiß ich heute noch nicht, er wurde nicht genannt. Kann sein, wegen einer linksäugigen Sehschwäche, die ich schon als Kind hatte, kann sein, es waren charakterliche Gründe, als Offizier braucht man ja Führungsqualitäten, oder vielleicht hatte ich auch zu sehr heraushängen lassen, dass es mir weniger um den Soldatenberuf ging, sondern mehr um die Fliegerei. War ja auch egal. Dann versuchte ich es im zivilen Bereich ‚also bei der Lufthansa. Aber da kam ich nicht mal bis zur Aufnahme-Prüfung. Die Lufthansa führte damals drei-jährige Kurse durch und gerade hatte einer angefangen. Der nächste hätte in knapp drei Jahren begonnen. Das Eintrittshöchstalter war damals 23 Jahre, ich war zu dieser Zeit 22 Jahre, beim nächsten Termin mit 25 Jahren also zu alt.

Aber da ich unbedingt einmal fliegen wollte, besuchte ich in München eine private Flugschule. Die war seinerzeit auf dem Oberwiesenfeld, wo jetzt das Olympia-Gelände ist. Etwa 2000. -DM hätte damals der Flugschein gekostet. 1300.-DM hatte ich von irgendeiner Bank bekommen, mehr gaben sie mir nicht mit meinem Lohnstreifen. Zurückzahlen musste ich dann 1700.-. Nun zum Fliegen kam ich dann schon in diesem Sommer 1961 und am ersten September 61 hatte ich meinen ersten Alleinflug. Aber das Geld reichte nicht, langsam kam der Winter und ich musste die Ausbildung unterbrechen, weil ich schon Schulden bei der Flugschule hatte. Im Frühjahr 62 hatte ich dann zwar meine Schulden bei der Flugschule bezahlt, aber kein Geld zum weitermachen. Außerdem hatte ich schon wieder andere Träume im Kopf. Beruflich hätte ich mit dem Flugschein sowieso nicht viel anfangen können.

Und so beschloß ich, Geld zu sparen für eine Afrika-Reise. Davon hatte ich schon lange geträumt. Eigentlich schon ‚seit mir eine Schwester, die bei einer Buchhandlung lernte, das Buch “Tarzan, der Affenmensch“ schenkte. Ich glaube, ich hatte da gerade mit der Oberschule begonnen. Später kamen dann noch die “Karl May“ Bücher dazu und von da an träumte ich nur noch von fernen Ländern.

Ich glaube, ich brauchte fast zwei Jahre, bis ich soviel Geld auf der Seite hatte, dass ich meinte, es könnte reichen. Soviel verdiente man ja Anfang der sechziger Jahre nicht und ich war ja kein eiserner Sparer. Ich hatte einen alten VW und ich ging mit meinem besten Freund, einem Arbeitskollegen, fast jeden Tag in die Kneipe. Für diese erste Reise nahm ich aber nicht diesen VW, den brachte ich zum Schrotthändler. Ich kaufte mir von einem Arbeitskollegen ein altes Motorrad, eine zweihunderter DKW. Dazu noch ein Zelt und einige andere Ausrüstungsgegenstände. Auch ein Kleinkalibergewehr, das ich schon lange besaß, nebst Munition nahm ich mit. Denn aufgrund der abenteuerlichen Vorstellung, die ich von Afrika hatte, konnte ich mir eine solche Reise ohne eine Waffe gar nicht denken. Ich schraubte nur den Schaft von dem Gewehr ab, damit ich es leichter in meinem Gepäck verstauen konnte. Und so fuhr ich dann eines Morgens, ich glaube, es war im Mai 64, los Richtung Österreich, Jugoslawien. Ich hatte etwa 1300.- DM dabei und da ich immer im Zelt schlief, brauchte ich das Geld nur für Essen und Trinken und natürlich für Benzin. Meine Route führte weiter über Griechenland und die Türkei nach Syrien und Jordanien bis nach Akaba am Roten Meer. Ich dachte, da würde es schon eine Überfahrt nach Ägypten geben, aber ich hatte mich getäuscht. Es gab keine Passagierschiffe oder Fähren und die Frachter nahmen mich nicht mit. Mit dem Motorrad hatte ich auch Probleme. Es war eine Zweitakt-Maschine, wie die meisten Motorräder damals. Und dieser Zweitakt-Motor vertrug die Hitze nicht. Es war ja Sommer und tagsüber stiegen die Temperaturen auf weit über 40 Grad. Schon auf dem ganzen Weg durch Syrien und Jordanien hatte ich das Problem, daß nach kurzer Fahrt der Motor praktisch von der Leistung fiel und fast stehen blieb. Ich musste dann immer eine halbe Stunde Pause machen, dann lief er wieder ein paar Kilometer ‚dann blieb er wieder stehen, usw. Das war keine Fahrerei und so entschloß ich mich, die Maschine aufzugeben und mit öffentlichen Verkehrsmitteln weiterzufahren. Ich verkaufte einem Jordanier, den ich zufällig kennenlernte, das Motorrad samt Zelt und Kleinkalibergewehr nebst Munition für umgerechnet ungefähr 40.- DM. Ein lächerlicher Preis zwar, aber so war ich immer, wenn ich mal einen Schlußstrich gezogen hatte und etwas los haben wollte, dann war mir der Preis egal. Ich machte ihn noch darauf aufmerksam, dass der Motor die Hitze nicht vertrug, aber er sagte, das mache ihm nichts aus, er brauche das Motorrad nur für die paar Kilometer zur Arbeit.

Da ich in Akaba ja in einer Sackgasse gelandet war, fuhr ich mit einem Kollektiv-Taxi zurück Richtung Damaskus und von da nach Beirut im Libanon. Dort gab es ein Schiff nach Ägypten, nach Alexandria. Bis jetzt hatte an jeder Grenze mein Reisepaß genügt, ich hatte kein Visum gebraucht, oder wenn, dann hatte ich es an der Grenze bekommen. Und so dachte ich gar nicht daran, mir in Kairo das Visum für den Sudan zu besorgen, sondern fuhr gleich mit dem Zug weiter nach Aswan im Süden des Landes. Dort war die Bahnlinie zu Ende und es ging nur mit dem Nil-Dampfer weiter nach Wadi-Halfa im Sudan. Aber ich wurde zurückgewiesen, das Visum für den Sudan gab es nicht an der Grenze. Ich hätte also zurück nach Kairo müssen und das Visum besorgen. Nach Überprüfung meiner Reisekasse gab ich den Plan auf, weiterzufahren. Ich brauchte ja jetzt mehr Geld, weil ich mein Zelt nicht mehr hatte und immer und überall konnte ich nicht im Freien übernachten, sondern mußte ein Zimmer nehmen. Ich wäre zwar noch leicht bis Ostafrika gekommen, aber ich mußte ja auch den Rückweg einplanen. Und so entschloß ich mich schweren Herzens, diese erste größere Reise vorzeitig abzubrechen und trat den Rückweg an. Von Kairo nahm ich sogar ein Flugzeug nach Athen und von da den Zug nach Haus. Nur sechs Wochen hatte die Fahrt gedauert und ich war nicht mal bis Schwarz-Afrika gekommen, bis zum Urwald, von dem ich immer geträumt hatte…

Ich konnte gleich wieder in der Reichenhaller Saline anfangen und das Leben nahm wieder seinen gewohnten Lauf. Obwohl es mir ganz gut gefiel, hatte ich nach wie vor nicht die Absicht, mein ganzes Arbeitsleben in der Saline zu verbringen. Mir kam die Idee, mich bei der Polizei zu bewerben. Verkehrspolizist wollte ich allerdings nicht werden, ich dachte an eine Laufbahn im Kriminaldienst. Das erschien mir interessanter und abenteuerlicher. Die Einstellungsprüfung in München war kein Problem, aber nach einer abschließenden fachärztlichen Untersuchung meiner Wirbelsäule wurde ich leider abgelehnt.

Den genauen Befund habe ich selbst nie gesehen.

Und so blieb ich halt vorerst weiter in der Saline.

Zu dieser Zeit, so Anfang, Mitte der sechziger Jahre, hatte die Saline noch einen Gleisanschluß und jeden Morgen schob die Bahn 8 oder 10 Waggon an die Rampe und holte sie am späten Nachmittag mit Salz beladen wieder ab. Aber immer mehr und mehr wurde das Salz auch auf Lkw verladen und heute ist der Gleisanschluß längst verschwunden und das Salz wird zu 100 Prozent von Lkw abgeholt. Und da wollen die Politiker die Güter auf die Bahn bringen. Haben die denn noch nicht gemerkt, daß längst das Kapital und die Konzerne die Macht auf diesem Planeten haben, daß die Wirtschaft die Politik bestimmt und nicht umgekehrt.

Die Fernfahrer, die damals immer mehr in die Saline kamen, erzählten oft von ihren Erlebnissen unterwegs und auch, wie gut sie verdienten. Wenn auch vielleicht etwas Angeberei dabei war, ich entschloß mich, den Lkw-Führerschein zu machen. Noch während ich die Fahrschule besuchte, hörte ich in der Saline auf und fing bei einer Firma an, die einen Fahrer für einen kleinen Heizöl-Tankwagen suchte, den man noch mit dem Pkw-Schein fahren konnte. Als ich dann den Lkw-Schein hatte, fuhr ich einige Zeit bei einer Spedition, die auch hauptsächlich für die Saline die Salztransporte durchführte. Aber da war ich nur Beifahrer. Zu dieser Zeit waren noch zwei Mann auf dem “Bock“, wie man sagt, und als Anfänger war ich natürlich nur der Handlanger vom sogenannten Fahrzeugführer. Das war nichts für mich, und so fuhr ich die nächsten Jahre im Baustellenverkehr und zwar einen Beton-Mischwagen. Da hatte ich wenigstens mein Auto für mich allein.

Natürlich plante ich bald wieder eine Reise. Ich wollte wieder nach Afrika, ich war ja noch gar nicht richtig dort gewesen. Diesmal aber mit einem Pkw. Ich fuhr damals einen Skoda-1000 MB, ich hatte ihn fast neu als Vorführwagen gekauft.

Anfang Dezember 68 startete ich dann mit diesem Skoda Richtung Afrika.

Diesmal nach Südwesten über Spanien nach Marokko. Ungefähr 2300.- DM hatte ich mir gespart. Ich hoffte, wenigstens bis Zentralafrika, bis zum Kongo zu kommen, von dem ich schon von den Tarzan-Büchern her eine abenteuerliche Vorstellung hatte. Natürlich hatte ich wieder eine Waffe dabei, einen gut erhaltenen Wehrmachts-Karabiner. Langwaffen und Munition waren damals in Deutschland frei verkäuflich, bis dann das Waffenrecht verschärft wurde, 1973 glaube ich. Das Gewehr wurde mir allerdings schon in Algerien bei der Grenzkontrolle abgenommen. Über Algerien, den Niger, Nigeria und Kamerun erreichte ich Bangui, die Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, an der Grenze zum Kongo. Das war dann auch schon die Endstation dieser Reise. Die Botschaft vom Kongo war wegen Unruhen geschlossen. Der Skoda war schon arg ramponiert von den Wüsten- und Urwaldpisten. Neben Schäden an der Federung und dem Auspuff hatte es auch die Getriebe-Ölwanne zerschlagen. Das Aluminiumgehäuse konnten sie mir nur schlecht schweißen, und ich mußte dauernd Getriebeöl nachfüllen. Der Wagen hatte einfach zu wenig Bodenfreiheit und war für diese Pisten nicht geeignet. Das Geld hätte mir für eine Weiterfahrt auch nicht gereicht und so trat ich von Bangui aus den Rückweg an. Anfang März 69 kam ich wohlbehalten daheim in Reichenhall an, mit gerade noch fünf DM in der Tasche. Aber diesmal mit Fahrzeug, das ich allerdings gleich in die Werkstatt bringen mußte. Ich konnte auch gleich wieder meine Arbeit bei derselben Firma als Betonmischer-Fahrer antreten. Ich war ja nur die drei Winter-Monate unterwegs gewesen, wo auf den Baustellen sowieso nichts ging.

Zu dieser Zeit trat langsam der Computer seinen Siegeszug in den Büros zumindest der größeren und großen Firmen an und ich beschloß, meinem beruflichen Leben vielleicht doch noch eine Wende zu geben, die eher meiner schulischen Vorbildung entsprach. Ich besuchte an den freien Samstagen eine private Computer-Schule in München mit dem Ausbildungsziel Programmierer. Es war im Sommer 70 und als gerade das Siemens-Hausgerätewerk in Traunreut einen Operator suchte, meldete ich mich, und wurde auch genommen. Damit war ich zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben nicht Arbeiter, sondern Angestellter. Ein Operator bedient den Computer, und ich dachte, wenn ich erst mal am Computer arbeite, dann habe ich auch die Chance, als Programmierer übernommen zu werden. Aber so besonders gefiel mir diese Arbeit nicht, vor allem das förmliche Betriebsklima behagte mir nicht. Es war überall das “Sie“ üblich, während ich ja das “Du“ unter Kollegen gewohnt war. Es wurde im Schichtbetrieb gearbeitet, jeweils zwei Mann, der Schichtführer und der Helfer. Mir als Schichthelfer oblag es, die Ausgabe des Computers zu überwachen und zu verteilen. Da war zum Beispiel das Stempelkarten-Programm, das alle zwei Wochen zusammen mit dem Lohnabrechnungs-Programm lief, das gleich mein Mißfallen erweckte. Es waren die Stempelkarten, die die Arbeiter vor Schichtbeginn und nach Schichtende von der Stechuhr abstempeln lassen mußten. Und das waren immerhin so gut 3500 Karten. Der Programmierer, der dieses Programm geschrieben hatte, hatte sich offenbar nicht viel Mühe gegeben, wahrscheinlich war er nur ein angelernter Büro-Angestellter. Die Stempelkarten kamen unsortiert aus dem Computer, und meine Aufgabe als zweiter Operator war es natürlich, sie zu sortieren. Da saß ich dann vor drei Stapeln Stempelkarten mit je rund 1200 Karten und mußte jede Karte in die Hand nehmen. Das dauerte halt ein paar Stunden, Zeit hatte ich ja, aber ich sah nicht ein, eine Arbeit zu machen, die der Computer leichter erledigen konnte. Die Programmierer kamen natürlich auch öfter zu uns rüber, sie mußten ja ihre Programme testen. Ich saß gerade mal wieder vor den Stempelkarten, als der Programmierer vorbeikam, der dieses Programm geschrieben hatte. “Na, wie gefällt Ihnen die neue Arbeit“, fragte er etwas selbstgefällig. Er wußte natürlich, daß ich vorher Lastwagenfahrer gewesen war. “Nicht so besonders“, antwortete ich wahrheitsgemäß, “warum haben Sie eigentlich dieses Programm da nicht so geschrieben, daß die Karten schon sortiert aus der Maschine kommen?“ Er blickte mich halb verwundert, halb verärgert an. “Das geht nicht“, sagte er barsch und weg war er. “Da will mir dieser hergelaufene Lastwagenfahrer sagen, wie ich mein Programm schreiben muß“, wird er sich wohl gedacht haben. Ich wußte, daß man mit einem Computer alles machen kann, man muß es ihm nur richtig sagen, sprich programmieren. Ich hatte inzwischen diese private Computer-Schule in München abgeschlossen und ich entschloß mich, dieses Programm in meiner Freizeit so zu schreiben, daß man die Karten nicht mehr sortieren mußte. Das Programm lief auf Anhieb und ich sagte meinen Kollegen Bescheid, daß sie auch die Testplatte benutzen sollten, wenn dieses Programm an der Reihe war, dann könnten sie sich das Sortieren sparen, was sie natürlich gern zur Kenntnis nahmen. Nach einem Jahr beendete ich mein “Gastspiel“ bei Siemens-Traunreut wieder, diese geregelte Büro-Arbeit war auf die Dauer nichts für mich.

Ein ehemaliger Kollege, der inzwischen Fernfahrer bei einer Spedition in Westfalen war, hatte mich verständigt, daß diese Spedition, sie war aus der Gegend von Rheine im Münsterland, einen zweiten Lkw in Reichenhall stationieren wollte und zwei Fahrer suchte. Damals begannen die ersten Firmen, die Produktion in’s Ausland zu verlagern. Nach dem Krieg, in den fünfziger Jahren, war ein Heer von Gastarbeitern, hauptsächlich aus dem südeuropäischen Raum, nach Deutschland geholt worden. Als die Kriegstrümmer aufgeräumt waren und durch das deutsche “Wirtschaftswunder“ der Lebensstandart und damit auch die Löhne stark gestiegen waren, wurde den Unternehmern die Arbeitskraft in Deutschland langsam zu teuer und sie sannen auf Abhilfe.

Sie suchten nach billigem Menschenmaterial! Die Firma im Münsterland, für die diese Spedition fuhr, war in Jugoslawien fündig geworden. Sie produzierte Damenstrumpfhosen. Und da ihr die deutschen Arbeitskräfte zu teuer geworden waren, verlud sie das Rohmaterial für die Strumpfhosen auf Lkw und ließ es nach Nordjugoslawien transportieren, dort von den billigen jugoslawischen Arbeitskräften zusammennähen und verpacken und die Fertigware zurück in’s Münsterland fahren.

Von Solidarität mit den heimischen Landsleuten keine Spur!

Wer sind denn da die viel geschmähten “Asozialen“? Diese Unternehmer, oder die Menschen, die auf eine solch unsinnige und unnötige Art ihre Arbeit verlieren und dann mit Arbeitslosenhilfe oder heute mit “Hartz IV“ abgespeist werden? Wenn ich ein Politiker wäre, der einen solchen Irrsinn verantworten muß, würde ich mich schämen, das Wort “Arbeitsplätze“ oder “Umweltbelastung“ auch nur in den Mund zu nehmen.