coverpage

Über dieses Buch:

Der Atlantik, 1931: Max Wingate und Guy Horton, zwei englische Gentlemen und professionelle Hochstapler, müssen wegen ihrer Verwicklung in eine Betrugsaffäre Amerika verlassen. Doch schon an Bord der »Empress of Britain« Richtung Europa haben sie das nächste Opfer gefunden: Diana Charnwood, die Tochter eines sagenhaft reichen Bankiers. Als ihre Pläne von einem Todesfall durchkreuzt werden, stolpern die beiden Freunde in eine unfassbare Verschwörung – und müssen feststellen: Diesmal sind sie die Figuren in einem verbrecherischen Spiel! Und die Regeln sind gnadenlos und tödlich…

»Robert Goddard ist der absolute Meister des Spannungsromans!« Daily Mirror

»Robert Goddard ist einer der besten Erzähler unserer Zeit.« Sunday Telegraph

Über den Autor:

Robert William Goddard, geboren 1954 in Fareham, ist ein vielfach preisgekrönter britischer Schriftsteller. Nach einem Geschichtsstudium in Cambridge begann Goddard zunächst als Journalist zu arbeiten, bevor er sich ausschließlich dem Schreiben von Spannungsromanen widmete. Robert Goddard wurde 2019 für sein Lebenswerk mit dem renommierten Preis der Crime Writer's Association geehrt. Er lebt mit seiner Frau in Cornwall.

Robert Goddard veröffentlichte bei dotbooks auch die folgenden Kriminalromane: »Im Netz der Lügen«, »Der Preis des Verrats«, »Eine tödliche Sünde«, »Ein dunkler Schatten«, »Denn ewig währt die Schuld«, »Das Geheimnis von Trennor Manor«, »Und Friede den Toten«, »Das Geheimnis der Lady Paxton« und »Das Haus der dunklen Träume«.

Robert Goddard veröffentlichte bei dotbooks weiterhin die historischen Kriminalromane: »Die Sünden unserer Väter«, »Die Schatten der Toten«, »Jäger und Gejagte«, »Die Klage der Toten« und »Der Kartograf von London«.

Robert Goddard veröffentlichte außerdem bei dotbooks seine drei Kriminalromane mit dem Ermittler Harry Barnett: »Dunkles Blut«, »Dunkles Sonne« und »Dunkle Erinnerung«.

***

eBook-Neuausgabe Dezember 2019

Dieses Buch erschien bereits 1995 unter dem Titel »Geschlossene Gesellschaft« bei Schweizer Verlagshaus, Zürich

Copyright © der englischen Originalausgabe 1993 by Robert Goddard

Die englische Originalausgabe erschien 1993 unter dem Titel »Closed Circle« bei Bantam Press, London.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1995 Schweizer Verlagshaus, Zürich

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Creative Travel Projects, Ysbrand Cosijn

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96148-925-1

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: info@dotbooks.de. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Robert Goddard« an: lesetipp@dotbooks.de (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Robert Goddard

Jäger und Gejagte

Roman

Aus dem Englischen von Werner Waldhoff

dotbooks.

Kapitel 1

Das Glück war zu oft unser Verbündeter gewesen. Wir hatten uns zu sehr auf seine Treue verlassen. Deshalb war das erste Mal, an dem es uns im Stich ließ, auch der Moment, an dem wir es am wenigsten vermuteten.

Max und ich lehnten an der Reling auf der verlassenen Steuerbordpromenade des Salondecks, rauchten Zigaretten und schauten auf den Fluß hinaus, der breiter wurde, während sich der Dampfer vom Ufer entfernte. Auf der dem Hafen zugewandten Seite winkte eine Traube von Passagieren immer noch ihren Freunden und ihren Familien, die sie hier in Quebec zurückließen, zum Abschied zu. Wir aber hatten kein Verlangen nach sehnsüchtigen Lebewohls. Max hielt eine aufgeschlagene zwei Tage alte Ausgabe des Wall Street Journal in der Hand, und die Schlagzeile eines Artikels verkündete in fetten Lettern den Grund, warum wir nur Augen für das offene Meer hatten: BABCOCK-BETRUGSFALL IM HERBST VOR GERICHT. Ich beobachtete, wie Max immer wieder die Worte überflog und die Zähne zusammenpreßte, ich wußte nicht, ob aus Frustration, Scham, vielleicht Erleichterung oder sonst einem Gefühl. Dann inhalierte er tief den Rauch seiner Zigarette. »Nun, das versaut es, nicht wahr?« fragte er.

»Wir wußten, daß es passieren würde.« Es sollte ein Trost sein, doch im Blick, den wir uns dabei zuwarfen, lag das Eingeständnis, daß dieses Vorherwissen die Kränkung nur verschlimmerte. »Er wird sich einen guten Anwalt nehmen«, fügte ich achselzuckend hinzu.

»Den wird er auch brauchen. Sie beide werden einen brauchen.«

»Und wir hätten nichts tun können, außer vielleicht ...«

»Mit ihnen zusammen unterzugehen?«

»Genau.«

»Das ist nicht unser Stil.«

»Nein. Das ist er nicht.«

Einen Augenblick hatte ich den Eindruck, er bedauerte, was wir getan hatten. Nicht nur, daß wir die Babcocks schnöde im Stich gelassen hatten. Vielleicht bedauerte er auch all die anderen unmoralischen und ungesetzlichen Taten aus unserer Vergangenheit. Solche Gefühle traten selten bei uns auf, wenn auch nicht so selten, wie wir gern vorgaben. Und in diesem Fall blieben sie unausgesprochen. Max zerquetschte seinen Zigarettenstummel auf dem Geländer der Reling und drehte sich mit diesem schiefen Lächeln zu mir um, das ich so gut kannte. »Dick hat eben Pech gehabt. Aber wir sind gut aus der Sache herausgekommen, schätze ich, du nicht auch?«

»Da kannst du sicher sein.«

»Selbst wenn das bedeutet, nach Blightly zurückzugehen.« Er seufzte und stieß sich von der Reling ab. »Ich werde vor dem Essen noch ein Bad nehmen. Um sieben zum Cocktail?«

»Gute Idee.«

»Und mach dir keine Sorgen.« Er schlug mir aufmunternd mit der Zeitung auf die Schulter. »Ich werde das da nicht mitbringen. Was hältst du davon, wenn wir dieses Thema verbannen – jedenfalls so lange, bis wir England erreicht haben?«

»Einverstanden. Von ganzem Herzen.«

»Gut. Wir sehen uns später.«

Er trat an mir vorbei, grinste mit einer gewissen eigensinnigen Fröhlichkeit und ging zum Niedergang. Ich rauchte meine Zigarette zu Ende und schaute zu, wie die Schlepper hinter uns in den kräuselnden Schatten des Rauchs der Schornsteine zurückfielen. Dann machte ich mich ebenfalls auf den Weg in meine Kabine.

Als ich mich vom Geländer abwandte, sah ich vor mir, wie eine korpulente Gestalt, weiblich und in Tweed gehüllt, den Niedergang vom Sportdeck herabstieg. Ich hatte kaum jemals eine so dicke und gleichzeitig so ehrwürdige Person gesehen, und ich bildete mir ein, über dem Dröhnen der Motoren das Knarren der Streben hören zu können. Ihre Knöchel waren geschwollen, und ihre Füße waren grausam in ein Paar irgendwie zu klein geratener Pumps gequetscht, auf denen sie dahertrippelte. Das Schiff schlingerte zwar kaum, aber ich hätte wetten können, daß sie es nicht schaffen würde, ohne einen Fehltritt die Treppe hinunterzugehen. Ich hätte gewonnen. Eine Brise zupfte an der Krempe ihres Bergsteigerhutes, und sie hob die Hand von der Reling, um zu verhindern, daß er weggepustet wurde. Dadurch schwebte ihr Fuß einen Moment deplaziert mitten in der Luft.

»Oh ... oh, mein Gott ...!«

»Schon gut«, sagte ich und packte sie fest am Ellbogen. »Ich halte Sie.« Ich lächelte so beruhigend, wie ich konnte, und ließ sie nicht los, bis wir beide sicher auf dem Deck standen. Sie war ungefähr dreißig Zentimeter kleiner als ich und starrte mich aus blaßblauen, geweiteten Augen an. Ihr Busen wogte verschreckt, und ihr Parfum sowie der Duft nach Mottenkugeln neutralisierten jeden anderen Geruch in der Luft um uns herum.

»O je, o je, du meine Güte. Vielen, vielen Dank, junger Mann.« Sie war Engländerin – ich schätzte sie auf ungefähr sechzig, fünfundsechzig –, kugelrund wie eine ehrwürdige Matrone, ganz bebendes Doppelkinn und hühnerbrüstig. Eine dreifache Perlenkette erregte meine Aufmerksamkeit, ebenso die Brosche in Blumenform auf ihrem linken Revers, in der Rubine und Saphire verschwenderisch glitzerten. »Ich wage nicht daran zu denken, was geschehen wäre, wenn Sie nicht zufällig vorbeigekommen wären«, sagte sie, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war.

»Es freut mich, Ihnen behilflich gewesen zu sein, Miss ...«

»Charnwood. Vita Charnwood. Wie aufmerksam von Ihnen, mich nicht Madam zu nennen.« Das bestätigte meine Vermutung von lebenslanger Jungfernschaft. »Entdecke ich da den Akzent meines Heimatlandes?«

»England? Ja, obwohl er durch lange Jahre auf dieser Seite des Atlantiks ein wenig verdorben ist.«

»Kanada?«

»Nein. Eigentlich die Vereinigten Staaten, aber ...«

»Dann sind Sie also wie ich den Versprechungen der Canadian Pacific erlegen, die behaupteten, mehr als zwei Drittel der Kreuzfahrt fänden in den ruhigen Gewässern des Sankt-Lorenz-Stroms statt? Ich verstehe sehr gut. Ich bin ebenfalls ein Opfer der Seekrankheit, Mr ....«

»Horton.« Ich nahm den Hut ab und schüttelte ihre Hand. Ihr Griff war überraschend kräftig, in Anbetracht ihres Stolperns auf dem Niedergang. »Guy Horton.«

»Ja, Mr. Horton, eine Märtyrerin. Es gibt keine andere Bezeichnung dafür. Unsere Ausfahrt war das reinste Fegefeuer.« Unsere Ausfahrt. Sie war also nicht allein. »Wir können nur hoffen, daß der Rest der Fahrt besser wird, nicht wahr?«

»Allerdings.« Ich lächelte und ließ sie nur zu gern in der Annahme, ich hätte mich aus demselben Grund wie sie entschlossen, statt von New York von Quebec aus zu fahren. Die Wahrheit hätte diese Besitzerin von Naturperlen und echten Rubinen auch viel zu mißtrauisch gemacht. Und ich sage schon aus Gewohnheit nur dann die Wahrheit, wenn es nicht zu vermeiden ist.

»Der einzige Nachteil ist der, daß einen hier niemand verabschiedet. Deshalb sind Sie vermutlich auch auf dieser Seite dieses Schiffes. Ich habe zufällig beobachten können, wie Sie sich mit einem anderen Gentleman an der Reling unterhielten, während ich mir über Ihnen fast den Hals verrenkt habe, um den wundervollen Blick zu genießen.«

»Das war Max. Wir sind alte Freunde.«

»Und Sie fahren beide nach längerer Abwesenheit nach Hause?«

»Ja. Es müssen jetzt ... oh, sieben Jahre oder mehr sein.« Es waren tatsächlich sogar neun Jahre, seit einer von uns in England gewesen war. Neun Jahre, in denen es uns im großen und ganzen sehr gut gegangen war. Die beiden letzten waren zwar ein bißchen weniger üppig gewesen, aber dennoch nicht so dürr, wie sie hätten sein können. Wenn man gestriegelt und gut gekleidet auf dem Erste-Klasse-Deck des neuesten Ozeandampfers steht, während an Land die Wirtschaft auf einen Zusammenbruch zusteuert, ist das keine schlechte Leistung, selbst wenn einen am Ende der Reise keine Reichtümer erwarten. Abgesehen davon bestand immer noch die Hoffnung, unterwegs jemand Reichem zu begegnen, was die Stimmung hob, die zu sinken drohte.

»Sie werden feststellen, daß sich in England einiges geändert hat, Mr. Horton. Und nicht alles wird nach Ihrem Geschmack sein. Vor sieben Jahren war alles noch viel ... fröhlicher.« Plötzlich schien ihr ein Gedanke zu kommen. Sie legte gebieterisch den Zeigefinger auf meinen Ärmel. »Sie müssen unbedingt zu meiner kleinen Party kommen, die ich morgen abend gebe – bevor der Atlantik sein Schlimmstes tun kann. Meine Nichte und ich würden uns sehr freuen, Sie begrüßen zu dürfen. Ihren Freund ebenfalls.«

»Nun, ich ...« Ich stellte mir entmutigt die Nichte vor, dünn, nach Mottenkugeln riechend und bebrillt. Doch da fiel ein Sonnenstrahl auf die Brosche. »Ich fühle mich von Ihrer Einladung sehr geehrt. Und Max bestimmt auch.«

»Diana und ich erwarten Sie um achtzehn Uhr in unserer Suite, Mr. Horton. Es werden nicht viele Leute dasein. Aber Sie werden die Gesellschaft genießen, das glaube ich ganz sicher.«

»Ich auch, Miss Charnwood. Ich auch.«

Wir, die wir von unserer Schlagfertigkeit leben, können es uns nie leisten, uns vollkommen zu entspannen. Seit ich die langweilige Welt der festen Arbeitsstunden und monatlichen Gehälter zehn Jahre zuvor verlassen hatte, konnte ich mich nicht mehr der reinen Muße überlassen, weil ich immer den Verdacht hegte, ich verschwendete dabei eher meine Zeit als die von jemand anderem. Ich fragte mich immer unweigerlich, wo der Profit dabei war und wo die günstige Gelegenheit.

Ich wußte, daß Max genauso dachte, und war sehr zufrieden mit mir, als ich an diesem Abend von meiner Kabine hinaufschlenderte, um mich mit ihm zu treffen. Miss Charnwoods Party mochte sich möglicherweise als die trübseligste Pleite herausstellen, vielleicht aber auch nicht. Der Schlüssel vieler unserer Erfolge war diese Unvorhersagbarkeit, und ich wollte nicht den Glauben daran verlieren. Ich trat auf das Promenadendeck hinaus, sog tief die sonnengereinigte Luft der Zuversicht der Neuen Welt ein und machte mich dann auf, meinen Freund damit anzustecken.

Diese Infektion hatte er dringend nötig. Er thronte in einem abgelegenen Winkel des orientalisch eingerichteten Salons, von wo aus er seine Mitpassagiere mit mürrischer Gleichgültigkeit betrachtete, während diese verwundert auf die schwarzen Kissen und das exotische Dekor starrten. Dicks Verhaftung schien ihm ziemlich zuzusetzen, mehr jedenfalls, als ich es für angemessen hielt. Der Wall-Street-Crash hatte die Babcocks gezwungen, hart am Wind zu segeln, und wir waren mit ihnen gesegelt. Das Ergebnis hätte noch viel schlimmer ausfallen können, vor allem, wenn Max nicht darauf bestanden hätte, unseren Profit auf einer Bank in Toronto anzulegen. Dennoch schien seine Vorsicht ihn nicht im geringsten zu trösten.

Vielleicht war sein Alter das Problem. Max war zwar nur ein paar Monate älter als ich, aber in den letzten Jahren war sein Haar dünner und seine Taille dicker geworden, so daß man ihn leicht für zehn Jahre älter als mich hätte halten können. Er trank zwar nur wenig mehr als ich, schien es jedoch wesentlich schlechter zu vertragen. Manchmal waren seine Gedanken und Worte seltsam vage und sein Blick leer. Er klagte häufig über Migräne, und ich mußte an die Kopfverletzung denken, die er in Mazedonien erlitten hatte. Natürlich hatte ich meinen Verdacht über einen Zusammenhang nie ausgesprochen, so daß ich nicht in Erfahrung bringen konnte, ob er dieselbe Befürchtung hegte. Was auch der Grund war, er war jedenfalls nicht mehr der unbesorgte Max, mit dem ich vor sieben Jahren den Atlantik überquert hatte.

Zweifellos hätte er ähnliches auch über mich sagen können. Wenn ich jedoch mein Spiegelbild auf dem Weg durch das Schiff betrachtete, stellte ich eindeutige Unterschiede fest. Mein Haar war immer noch dunkel und kräftig, mein Gesicht nicht so gezeichnet, ich war schlank und elegant gekleidet. Es gab keinerlei Anzeichen körperlichen Verfalls, kein Signal für innere Zweifel. Ich war das, was die Welt mit meiner Einwilligung aus mir gemacht hatte: ohne Zweifel oberflächlich und egoistisch, aber welcher gutaussehende Realist ist das nicht?

»Du siehst ein wenig niedergeschlagen aus, alter Knabe«, bemerkte ich, während ich Max auf seinem Sofa Gesellschaft leistete.

Er lächelte bedauernd. »Ich werde schon darüber hinwegkommen!«

»Ich weiß. Und ich habe mir auch das perfekte Stärkungsmittel ausgedacht. Oder vielleicht sollte ich lieber sagen, es wurde mir präsentiert.« Die Ankunft eines Stewards zwang mir an diesem Punkt eine dramatische Pause auf. Ich entschied mich für einen Cocktail, und Max bestellte seinen – schätzungsweise – dritten Scotch mit Soda. Als ich ihm die Neuigkeiten erzählte, war seine erste Reaktion unverhohlene Enttäuschung.

»Eine frostige alte Lady und ihre schlichte Nichte? Klingt furchtbar.«

»Vielleicht. Aber Miss Charnwood ist eindeutig nicht gerade knapp bei Kasse.«

»Wer an Bord dieses Schiffes ist denn schon ...« Er brach ab und starrte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Wie ist ihr Name?«

»Charnwood. Miss Vita Charnwood.«

»Und der der Nichte?«

»Ehm ...« Ich versuchte krampfhaft, mich zu erinnern.

»Diana?«

»Ja, so lautete er. Woher weißt du ...?«

»Ha!« Er schlug mir aufs Knie und grinste breit. »Du hast recht, Guy. Uns lächelt wieder das Glück.«

Der Steward tauchte mit unseren Drinks auf und unterbrach ihn. Dann mußte ich erst auf unser Glück anstoßen, bevor Max geruhte, sich zu einer Erklärung herabzulassen.

»Hast du noch nie von Diana Charnwood gehört?«

»Nicht, daß ich wüßte.«

»Du solltest die Klatschspalten lesen. Das habe ich dir oft genug erzählt.«

»Du tust das doch für mich. Also, wer ist nun Diana Charnwood?«

»Die Tochter von Fabian Charnwood, dem Chef von Charnwood Investments. Diesen Namen kennst du ja wohl.«

Und ob ich ihn kannte. Charnwood Investments war jedem Studenten der Wirtschaftswissenschaften ein Begriff. Das einflußreiche Unternehmen hielt Aktien von vielen großen Gesellschaften. Es nutzte seine Macht so besonnen, daß sein Ruf seine Größe bei weitem überstieg, und hatte so geschickt diversifiziert, daß es die Depression mit Leichtigkeit zu überstehen schien. Eine zufällige Begegnung mit der Tochter des Gründers war also ein Geschenk des Himmels – und zwar ein so großzügiges, wie ich es nie zu hoffen gewagt hätte.

»Diana ist nicht nur Charnwoods Tochter. Sie ist auch sein einziges Kind.«

»Ledig?«

»Dafür ist sie berüchtigt. Vor fünf Jahren verlobte sie sich mit dem jüngeren Sohn eines Marquis, aber der endete im Grab und nicht mit ihr vor dem Altar.«

»Selbstmord. Jetzt erinnere ich mich. Lord Peter Gressingham. Er hat sich erschossen, nachdem sie ihm den Laufpaß gegeben hat.«

»Das wurde niemals bestätigt. Die gerichtliche Untersuchung kam statt dessen zu dem Ergebnis, es habe sich um einen Unfall gehandelt. Wie auch immer, seine ehemalige Verlobte ist die wohl akzeptabelste Erbin, die kennenzulernen jeder Kerl nur wünschen kann.«

»Und gefährlich dazu, wenn man auch nur fünf Pfennige auf Lord Peters Beispiel gibt.«

»Der Bursche hat offenbar seinen Verstand von seinem Herzen regieren lassen. Einen solchen Fehler machen wir doch nicht, oder? Das haben wir noch nie getan und werden wir auch nie tun.«

Ich wußte sofort, worauf Max anspielte. Le Touquet, 1924. Meine kurze, jedoch höchst lohnende Verlobung mit Caroline, der einzigen Tochter von Sir Antony Toogood, Nähmaschinenfabrikant und liebender Vater. Das war in vielerlei Hinsicht unser bester Coup gewesen. Beide hatten wir sie im Auge gehabt, aber schon damals war ich Max bei der Werbung um eine Dame überlegen. Ich hatte Carolines Herz in vierzehn Tagen gewonnen und nach weiteren zwei Wochen gebrochen. Sir Antony hatte mich für eine unglaubliche Summe losgekauft. Die ganze Sache war perfekter, einfacher als alles, was wir später unternahmen. Wir hatten einen sehr ansehnlichen Gewinn erwirtschaftet, ohne die geringsten Auslagen zu haben, und niemand hatte etwas verloren, was nicht einfach zu ersetzen gewesen wäre – Sir Antony beschnitt einen Monat lang die Provisionen für seine Vertreter, und Caroline fand einen Ehemann, der sie wirklich glücklich machen konnte.

»Der Mann, der sich seinen Weg in Diana Charnwoods Zuneigung erschwatzt, erschleicht sich ein Vermögen«, sagte Max. »So oder so.«

»Das hier ist nicht Le Touquet.«

»Nein? Ich würde sagen, im Prinzip schon.«

»Ich meine, es ist nicht dieselbe Situation. Nach dem, was du mir erzählt hast, ist Diana Charnwood keine errötende Debütantin. Kurz gesagt, sie ist nicht Caroline Toogood.«

»Wir wissen nicht, was sie ist – bis wir es herausfinden. Und diese Party bietet uns Gelegenheit dazu. Du willst doch diese Chance nicht ernsthaft verstreichen lassen, oder?«

»Natürlich nicht.« Eigenartig. Max' Begeisterung schien meine zu dämpfen.

»Guter Junge.« Er goß, offensichtlich erleichtert, noch mehr Scotch herunter. Die Unvorhersagbarkeit hatte ihn wiederbelebt, wie ich es gehofft hatte. Tatsächlich wurden meine Hoffnungen sogar übertroffen. »Was hältst du davon, wenn wir nach denselben Regeln wie damals in Le Touquet vorgehen?«

»Dafür besteht doch sicher keine Notwendigkeit. Damals hatten wir noch nicht so viel Vertrauen zueinander.«

»Und haben wir es jetzt?« Er lächelte spöttisch.

»Nun, wir haben seitdem eine lange Zeit gemeinsam erlebt, in der wir alles geteilt haben, ohne je etwas schriftlich zu fixieren.«

»Du kannst keine Frau teilen, Guy.« Er bemerkte meine fragend erhobenen Brauen. »Oder eine Verlobte«, fügte er hinzu. »Damals hat die Abmachung doch funktioniert, nicht wahr?«

»Ja, aber ...«

»Also könnte es diesmal genau der Glücksbringer sein, den wir gut brauchen können.« Er winkte den Kellner heran, bestellte zur gut getarnten Verblüffung des Mannes zwei Bogen Papier und lehnte sich dann, über das ganze Gesicht strahlend, zurück. »Sie dürfte eine harte Nuß sein, das will ich nicht abstreiten. Vielleicht sogar zu hart. Sicherlich ermuntert ihr Ruf einen nicht gerade. Vermutlich hat sie ein Herz, das genauso weich ist wie ein Diamant. Aber selbst Diamanten kann man schleifen, wenn man ein Händchen dafür hat – und die passende Ausrüstung. Und ich würde sagen, wir haben beides, findest du nicht?«

»Ich würde sagen, unsere Vergangenheit spricht für sich.« Wir lächelten uns verschworen an und erinnerten uns an all die Dinge, von denen wir besser nicht sprachen. Als der Steward mit dem Papier zurückkam, holte Max seinen Füllfederhalter heraus, beugte sich über den Tisch neben uns und begann, auf ein Blatt zu schreiben, nachdem er mir das andere gereicht hatte.

Ich zögerte einen Moment, starrte auf den geprägten Briefkopf und ließ dann meinen Blick über das Wasserzeichen darunter wandern. Max hatte von Schuldscheinen gesprochen, die wir jetzt als Glücksbringer austauschen wollten. Mir kamen sie schon da eher als Vorboten des Unheils vor. Ob das daran lag, daß –wir nach sieben Jahren nun wieder in unsere eigenen Fußstapfen traten, oder daran, daß ich ganz allgemein schlimme Vorahnungen hatte, vermag ich nicht mehr zu sagen. Was auch der Grund war, ich hatte jedenfalls noch kein Wort geschrieben, als Max mir seinen Bogen Papier in den Schoß warf und verkündete: »Das sollte reichen, denke ich.«

Hiermit verspreche ich, mit meinem guten Freund Guy Randolph Horton alle finanziellen Gewinne zu teilen, die sich wie auch immer aus einer Verlobung und/oder einer vollzogenen Heirat ergehen, die ich mit Miss Diana Charnwood eingehe, falls es dazu kommen sollte.

M. A. Wingate

19. Juli 1931

Natürlich hatte dieses Dokument keinerlei rechtliche Bedeutung. Keiner von uns beiden war an das gebunden, was er da schrieb. Es würde nur etwas dabei herauskommen, wenn unsere Freundschaft mehr war als eine Allianz aus finanziellen Erwägungen. Und deshalb, so vermute ich, zögerte ich damit, diese Worte dem Papier anzuvertrauen. Es waren harte Zeiten, das wußten wir alle. Man konnte nicht vorhersagen, welches Unglück uns zu welchen Opfern überreden würde, die wir dem Erfolg darbringen müßten. Wir hatten keinerlei Skrupel gehabt, Dick seinem Schicksal zu überlassen. Würden wir im Zweifelsfall untereinander loyal sein? Es war eine Frage, die ich lieber nicht beantwortete, aber Max mit seiner Vorliebe für schriftlich fixierte Abmachungen hatte sein Urteil bereits gefällt.

»Vielleicht ist es überflüssige Mühe«, protestierte ich vergeblich. »Möglicherweise ist Miss Charnwood unserem Charme gegenüber ja unzugänglich.«

»Dann kannst du deine Kopie über Bord werfen. Und ich werde dasselbe mit meiner tun – vorausgesetzt, daß ich jemals eine in die Hand bekomme.« Unsere Blicke begegneten sich. »Was hält dich auf?«

»Nichts.« Also schrieb ich.

Max und ich dinierten an diesem Abend an getrennten Tischen, um unsere Chancen zu verdoppeln, weitere vielversprechende Bekanntschaften unter unseren wohlhabenden Reisegefährten zu machen. Ich mußte während unzähliger Gänge einen ungebildeten Holzmillionär aus Neufundland mit seiner monströsen Gattin ertragen, eine Schauspielerin der ungehemmten Schule und ihren kummervollen Ehemann, eine rätselhafte polnische Contessa, den Schiffsarzt, der einmal beinah hätte in Aktion treten müssen, als Mylady Holzhändler einen Erstickungsanfall bekam, und den zurückhaltenden, aber aufmerksamen Mr. Faraday.

Faraday macht mir heute in der Rückschau mehr Sorge als damals. Eingelullt von gutem Wein und exzellentem Service, entging mir, daß er dasselbe Spiel spielte wie ich: dem enthüllenden Geplapper der anderen zuzuhören und dabei so gut wie nichts von sich selbst zu verraten. Er war ungefähr fünfzig, kleinwüchsig und schmächtig, mit kurzen, schwarzen Haaren, einem Schnurrbart, einem sehr beweglichen Mund, der selbst dann noch eine Delikatesse zu genießen schien, wenn er leer war, einem kaum merklichen Zittern des Kopfes, wenn er sich auf das konzentrierte, was gesagt wurde, und, was mich am meisten störte, einem feuchten und durchdringenden Blick. Er schien nie zu zwinkern. Seine Manieren waren untadelig, seinen Bemerkungen konnte man nicht widersprechen, und dennoch mochte ich Mr. Faraday nicht. Genauer gesagt, ich wurde nicht schlau aus ihm. Schlimmer noch, ich hatte das beunruhigende Gefühl, daß er mich nur allzu gut durchschaute. Ich beschloß, ihm für den Rest der Reise aus dem Weg zu gehen.

Von Miss Charnwood oder ihrer Nichte war nichts zu sehen. Entweder dinierten sie später oder in ihrer Suite. Vielleicht hatte die hartherzige Diana entschieden, ihr gesellschaftliches Debüt zu geben, wenn sie sicher sein konnte, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Vielleicht störte sie auch die zufällige Sitzordnung des Restaurants, ein Vorurteil, das ich mit ihr teilte, nur daß ich es mir nicht leisten konnte, ihm nachzugeben.

Meine Hoffnung, ihr noch vor der Party zu begegnen und so die Größe unserer Aufgabe abschätzen zu können, wurde dennoch nicht enttäuscht. Am folgenden Tag fuhr die Empress of Britain bei ruhiger See hinaus auf den Sankt-Lorenz-Strom. Ihr weißer Rumpf strahlte unter einem wolkenlosen Himmel.

Die Passagiere kamen an die Luft heraus, um sich unter karierte Decken zu setzen, Wurfspiele zu spielen, das Frühstück abzuspazieren und den Horizont zu mustern oder um, in einigen Fällen, zu beobachten, ohne beobachtet zu werden.

Zu diesem Zweck spazierten Max und ich die meiste Zeit des Tages mit Mütze und Schal auf dem Schiff herum. Wir wirkten müßig, in Wirklichkeit jedoch gingen wir sehr konzentriert unserer speziellen Beschäftigung nach. Und dann, kurz vor Mittag, während wir uns dem Heckende des Sportdecks näherten, bemerkte ich unter mir auf dem Lounge-Deck niemanden anderen als Miss Vita Charnwood, die herumwatschelte, um Luft zu schnappen. In ihren Straßenschuhen und dem Tweedkostüm war sie nicht zu verwechseln. Nur war sie jetzt nicht allein. Neben ihr ging, und zwar beträchtlich graziöser, eine schlanke junge Frau mit pelzbesetztem Mantel und Hut.

»Die Charnwoods«, flüsterte ich Max zu. Wir blieben im Schatten eines Rettungsbootes stehen und spähten zu ihnen hinab. »Erkennst du sie?«

»Aufgrund einiger alter Fotos aus Illustrierten?« entgegnete Max. »Nicht aus dieser Entfernung. Ich kann ja heruntergehen und sie mir aus der Nähe anschauen, während du hier bleibst. Es ist meine einzige Chance, einen kurzen Blick auf sie zu werfen, bevor wir sie heute abend treffen. Und du hast ja die Tante schon kennengelernt.«

»Gute Idee.«

Also ging Max den nächstgelegenen Niedergang hinunter, während ich blieb, wo ich war. Die Charnwoods hatten bereits die halbe Strecke an der Heckreling zurückgelegt, als Max unter mir auftauchte. Er ging denselben Weg, aber in der anderen Richtung, und konnte sie ausgiebig betrachten, als sie stehenblieben, um mit jemandem zu reden. Schließlich verlor ich sie aus den Augen, als sie wieder in die Salons zurückgingen, während Max an der Reling stehenblieb. Ich wartete noch etwas, um sicherzugehen, daß ich ihnen unterwegs nicht begegnete, und ging dann zu ihm hinunter.

Als ich bei ihm ankam, hatte er sich eine Zigarette angezündet und schien in Gedanken verloren. Sein Blick war auf die blauen Wimpel gerichtet, die über uns im Wind flatterten. »Nun?« drängte ich, da er offenbar nicht von sich aus reden wollte.

»Entschuldige«, murmelte er, lächelte schwach und schaute mich an, als erwache er aus einem Traum. »Sie ist es. Aber die Fotos werden ihr beileibe nicht gerecht.«

»Also sieht sie ziemlich gut aus?«

»Das kann man wohl sagen, ja.«

»Was sagst du? Ich konnte nur die Krempe ihres Hutes sehen.«

»Ja. Ich finde, sie sieht gut aus.« Sein Blick glitt wieder von mir weg. »Genaugenommen, alter Knabe, würde ich sagen, daß sie wohl die schönste Frau ist, die ich jemals gesehen habe.«

Der Fluch einer klassischen Erziehung ist, daß einem ungebeten mythologische Parallelen in den Sinn kommen, während man sich mit Alltäglichkeiten auseinandersetzen muß. Kaum hatte Max Diana Charnwoods Schönheit gepriesen, drängte sich mir der Gedanke an das Schicksal von Actaeon auf, der einer anderen Diana nachspioniert hatte. Doch diese Göttin war am Baden, rief ich mir ins Gedächtnis, während die Erbin nur promenierte. Außerdem wußte Max, daß die Jagd nach Reichtum wesentlich lohnender war als die nach Schönheit. Ich war felsenfest davon überzeugt, mich darauf verlassen zu können, daß er diese einfache Wahrheit nicht vergaß.

Man konnte jedoch nicht abstreiten, daß der verführerische Anblick von dem, was unter dem Hut war, ihn in seinem Entschluß bekräftigt hatte, unsere Chance zu nutzen. Wir hatten vereinbart, uns eine Viertelstunde nach Beginn der Party in der Suite der Charnwoods einzufinden, um dem Anschein des Übereifers vorzubeugen. Als ich meine Kabine um zehn nach sechs verließ, lag eine Nachricht am Boden, offensichtlich von jemandem unter dem Türspalt hindurchgeschoben. Sie war von Max.

Habe mich entschieden, vorauszugehen. Wir treffen uns da.

M.

Ich mußte unwillkürlich über seine Gerissenheit lächeln. Die Peinlichkeit, sich selbst vorstellen zu müssen, wog offenbar nichts gegen den Nachteil, im Schatten meines blendenden Aussehens erscheinen zu müssen. Aber der Abend war noch jung. Es bestand kein Grund anzunehmen, daß Max mich auch weiterhin ausmanövrieren würde.

Die Suite der Charnwoods war eine der größten auf dem Schiff. Als ich ankam, waren angenehmerweise bereits viele Leute da. Die Sonne schien durch die Backbordfenster auf die schnatternden Partygäste. Nach einem Spießrutenlauf durch die Champagner- und Appetithäppchentabletts schwenkenden Stewards erreichte ich schließlich die ältere Miss Charnwood, die in ihrem tiefausgeschnittenen pinkfarbigen Satinkleid noch gewaltiger wirkte als in ihrem engen Tweed.

»Mr. Horton!« rief sie aus. »Sie sind also doch gekommen. Das freut mich sehr.«

»Es gab niemals den geringsten Zweifel daran, daß ich kommen würde, Miss Charnwood.«

»Aber Ihr Freund, Mr. Wingate, hatte angedeutet, daß Sie möglicherweise irgendwo aufgehalten würden.«

»Tatsächlich?«

»Vielleicht habe ich ihn ja mißverstanden. Ist auch nicht wichtig. Diana wird ja so erfreut sein, Sie kennenzulernen. Sie ist ... oh ... im Moment auf dem Balkon, glaube ich. Ich möchte Sie zuerst einigen Gästen vorstellen.« Sie wedelte mit der Hand einem bärtigen Mann ungefähr ihres Alters und einer schüchternen Person zu, von der ich annahm, daß sie seine Frau war. »Wir sind Mr. und Mrs. Preece das erste Mal bei den Niagarafällen begegnet. Dann wieder in unserem Hotel in Quebec. Mr. Preece ist Esperantoexperte. Er hat mir gerade alles darüber berichtet.«

Ich hatte nicht die Absicht, Preece zu gestatten, mir irgend etwas zu erzählen, geschweige denn etwas über Esperanto. Deshalb entschlüpfte ich ihm, einige Sekunden nachdem Miss Charnwood dasselbe gelungen war. Überflüssig zu sagen, daß der Balkon mein Ziel war.

Dort, wo die frische Meeresbrise den Lärm und die Hitze im Inneren der Suite linderte, hielt Diana. Hof. Sie war von jungen und älteren Bewunderern umringt, die breitschultrig versuchten, Hinzukömmlinge auszuschließen. Max war ebenfalls dabei. Verkrampft und angespannt von kaum kaschierter Rivalität, bemühten sie sich, die Bemerkungen der anderen zu übertrumpfen. Ich kannte solche Szenen von Parties in New York, auf denen sich ein Hollywood-Starlet die Ehre gegeben hatte. Und ich war klug genug, mich nicht dem Pulk anzuschließen. Wenn man bei solchen Gelegenheiten zu spät kommt, hat man schon verloren. Es war besser, hoffnungsvoll herumzulungern, vielleicht sogar geheimnisvoll zu wirken. Und genau darum bemühte ich mich und zog mich ans andere Ende des Balkons zurück, wo ich das Objekt der allgemeinen Aufmerksamkeit beobachten konnte.

Sie war wunderschön. Man konnte nichts anderes behaupten. Ihr langes braunes Haar war aus ihrem klaren und offenen Gesicht zurückgekämmt und zu einem Zopf gebunden. Normalerweise hat jedes Gesicht, wie schön es auch sein mag, einen Fehler, zum Beispiel etwas zu dünne Lippen oder einen zu starken Kiefer, was die Perfektion vermindert. Doch nicht bei Diana. Ihre Augen, die im Sonnenlicht funkelten, ihr Mund, dessen Lippen sich zu einem leichten Lächeln öffneten, der Hals, den sie gelangweilt streckte: all dies trug zu der Faszination bei, die sie ausstrahlte.

Sie trug ein schlichtes, elegantes ultramarinblaues Kleid, einen Topasanhänger und eine dünne Goldkette an ihrem linken Handgelenk. Eigentlich war dieser Schmuck überflüssig, und die Leichtigkeit, mit der sie sich gab, ließ vermuten, daß sie es wußte. Sie war höflich und liebenswürdig, aber doch zurückhaltend. Ihre unaufdringlichen, aber häufigen Blicke aufs Meer hinaus deuteten an, daß die Gesellschaft, wie geistreich und schmeichelhaft sie auch sein mochte, längst nicht an das heranreichte, was sie verdiente. Ob Max sich besser hielt als die anderen, vermochte ich nicht zu sagen, aber es bestand kein Zweifel daran, daß er wesentlich besser abschnitt als ich.

Ich überlegte gerade, ob ich versuchen sollte, ihn zu verdrängen, als der widerliche Faraday auf dem Balkon erschien und mich sofort in Beschlag nahm.

»Wußte gar nicht, daß Sie mit den Charnwoods bekannt sind, Mr. Horton«, versetzte er lächelnd.

»Gleichfalls, Mr. Faraday.«

»Oh, ich habe der älteren Miss Charnwood während ihres Aufenthaltes in Quebec einige kleinere Dienste erwiesen.«

»Welche Art Dienste?«

Er tippte sich gegen die Nase und lächelte noch selbstgefälliger. »Gefällt Ihnen die Party?«

»Natürlich. Und Ihnen?«

»Nun, ja. Ich finde sie höchst ... lehrreich.«

»Mr. Horton?« Plötzlich stand Diana neben uns und lächelte mich direkt an. Sie hatte sich von ihrem Gefolge befreit, das unruhig auf dem Balkon herumstand und nicht wußte, wie schnell man ihr schicklicherweise folgen konnte.

»Ehm ... ja.« Ich schüttelte ihre Hand. Sie hatte wundervoll geschmeidige Finger. »Sehr erfreut, Sie kennenzulernen.«

»Ich habe Sie aufgrund der Beschreibung meiner Tante erkannt.« Wenn man ihr näher kam, schien ihre Zurückgezogenheit zu schwinden. Ihr herzlicher Blick war geradezu unwiderstehlich. »Und nach der Ihres Freundes.« Sie schaute zu Max zurück, der mich aufmunternd angrinste: halb unschuldig, halb überlegen. »Sie kennen Mr. Faraday?«

»Nur sehr flüchtig.«

»Dann kennen Sie ihn gut genug.« Sie schaute ihn an, während sie das sagte, aber wenn ihre Bemerkung als Provokation gedacht war, hatte sie keinen Erfolg. Seine einzige Reaktion war ein leichtes Heben der Augenbrauen. »Ich bin so froh, daß Sie gestern Tante Vita zu Hilfe gekommen sind«, fügte sie hinzu und schaute mich wieder an.

»Das war wirklich nicht der Rede wert. Teilen Sie ihre Vorliebe für diese Route?«

»Ja. Aber nicht aus denselben Gründen.« Sie wurde plötzlich ernst. »Entschuldigen Sie mich«, sagte sie und verschwand rasch in ihrer Kabine.

Faraday sah, wie ich ihr, verwirrt von ihrer Schroffheit, hinterherschaute, und trat näher an mich heran. »Ich fürchte, das war eine unglückliche Frage, Mr. Horton.«

»Sie kam mir ganz harmlos vor.«

»Ihre Mutter ist auf der Lusitania gestorben. Wußten Sie das nicht?«

»Nein«, erwiderte ich grob. »Offensichtlich nicht.« Ich entschloß mich, soviel Informationen wie möglich zu sammeln. »Sie scheinen bemerkenswert gut über diese Familie informiert zu sein.«

»Eigentlich nicht. Nur besser informiert als Sie.«

Ich wollte mich nicht ärgern lassen und fragte so gelassen wie möglich: »Hat man Miss Charnwood von der Lusitania gerettet? Oder war sie nicht an Bord?«

»Letzteres. Ihre Mutter ist allein gereist, um ihre Familie in Pittsburgh zu besuchen. Sie war eine McGowan, wissen Sie.« Dianas Verbindung zu der berühmten Stahldynastie aus Pennsylvania machte sie zu einer noch begehrenswerteren Partie. Ich merkte, daß Faraday auf meine Reaktion über diese Enthüllung lauerte, und sorgte dafür, daß er sie nicht beurteilen konnte. »Nun«, sagte er nach einer Pause, »jetzt muß ich mich aber ein wenig umsehen.« Mit einer kleinen, herablassenden Verbeugung war er verschwunden.

»Was hältst du von ihm?« fragte Max, der auf dem Balkon geblieben war und jetzt zu mir an die Reling trat.

»Er ist noch hinterlistiger als du, würde ich sagen.«

Er grinste. »Es steht dir nicht gut an, mir deine armseligen Taktiken vorzuwerfen, alter Knabe.«

»Hör zu, Klugscheißer. Ihre Mutter ist mit der Lusitania untergegangen ... Und sie war eine McGowan.«

»Ich weiß.«

»Das weißt du?«

»Klatschspalten, erinnerst du dich?« Sein Grinsen war beinah unerträglich. »Du wirst erfreut sein zu hören, daß ich hervorragend weiterkomme.«

»Wirklich?«

»Ich glaube, sie hat ein Auge auf mich geworfen.«

»Wenn du es sagst.«

»Und ob. Vielleicht bin ich ja genau der Typ, den sie immer schon kennenlernen wollte.« Meine Miene mußte meinen Unglauben verraten haben. Sein Grinsen verflog. »Du hast mich immer für einen schlappen Hund gehalten, wenn es um das andere Geschlecht ging, nicht wahr, Guy? Nun, vielleicht wirst du jetzt feststellen, daß nicht alle Frauen wollen, daß ihre Männer wie Secondhand-Valentinos aussehen.«

»Ach, verdammt noch mal.« Ich schlug wütend auf die Reling. »Sie ist wunderschön. Zugestanden. Sie ist bemerkenswert, in jeder Hinsicht begehrenswert. Aber sie weiß auch genau, was sie will. Ich bezweifle, daß du – oder selbst ich – die geringste Chance haben, ihr Herz zu erobern.«

Max kniff die Augen zusammen. »Das werden wir wohl abwarten müssen, nicht wahr?« Dann drehte er sich auf dem Absatz herum und überließ mich dem Champagner und meinem verletzten Stolz.

Wie sich herausstellte, hatte Max seine Erfolgsaussichten sehr gut eingeschätzt. Als sich die Party allmählich dem Ende zuneigte, war er im Mittelpunkt der bevorzugten Gruppe, die Diana und ihre Tante zum Dinner begleitete. Wie auch – zu meinem Entsetzen – Faraday, dessen Aufmerksamkeit sich allerdings, soweit ich sehen konnte, auf Vita konzentrierte. Vielleicht kannte wenigstens er – im Gegensatz zu Max – seine Grenzen.

Mir hatte man diesbezüglich eine heilsame Lektion erteilt, und ich tröstete mich damit, die Atkinson-Whites zu umschmeicheln, ein unschuldiges Ehepaar aus den Home Counties, den Grafschaften um London. Sie sogen meine Ratschläge, was sie mit einer kürzlich gemachten beträchtlichen Erbschaft anfangen könnten, begierig auf. Es wäre unverzeihlich von mir gewesen, wenn ich ihnen nicht meine Hilfe angeboten hätte. Sie schienen sehr erfreut darüber zu sein, daß ich mich bei ihnen melden würde, sobald wir England erreicht hatten.

Was Max betraf, hatte ich am nächsten Morgen nach einem Tennismatch die erste Gelegenheit, seinen Erfolg mit einem weniger von der Leidenschaft verzerrten Maß zu messen. Er hatte während der Jahre im Tuxedo-Club in New York die meisten unserer Matches gewonnen. Doch der ungewohnt schwankende Platz war nicht der Grund, warum ich bei dieser Gelegenheit einen meiner seltenen Siege verbuchen konnte. Die Wahrheit ist: Eifersucht ist ein sehr guter Trainer.

Max suchte für die Niederlage die den Umständen am besten entsprechende Erklärung: »Die schwere See kommt deinem Spiel zugute, Guy«, bemerkte er anschließend in der Umkleidekabine. »Und vielleicht gibt es da etwas, was mein Spiel beeinträchtigt.«

»Selbstzufriedenheit, meinst du?« konterte ich. »Ich habe dich jedenfalls noch nie so viele Punkte lächelnd verlieren sehen.«

»Ich habe zufällig auch jede Menge Grund zum Lächeln. Eine Herausforderung, die alle Punkte übertrifft, die du da draußen gemacht hast.«

»Also läuft es gut?«

»Ungewöhnlich gut. Sie mag mich. Nenn es Glück oder guten Geschmack. Wie auch immer ...« Er warf mir das feuchte Handtuch an den Kopf, um mein schallendes Gelächter zu unterbrechen. »Wie auch immer, alter Knabe, warum solltest du dich beschweren? Du bekommst deinen Anteil von allem, was ich bei dieser Unternehmung verdiene.«

»Du glaubst, da gibt es für uns etwas zu verdienen?«

»Es ist noch zu früh, um das zu sagen. Aber ich bin ... sehr zuversichtlich.«

Zuversichtlich? Ja, das war er. Doch das war nicht alles. Und es war auch nicht Geld, was er so sicher zu verdienen glaubte. Ich gab es nur zögernd zu, aber Max wirkte und klang so glücklich wie seit Jahren nicht mehr. Er wirkte wie ein Mann, der sich verliebt hatte. Nachdem wir geduscht hatten, nahmen wir einen Drink in dem Café neben dem Tennisplatz. Dort konnte ich Max in aller Muße betrachten. Er schaute verträumt dem Rauch seiner Zigarette nach, beendete seine Sätze nicht und konnte unseren Gesprächen nicht folgen. Die Zeichen waren eindeutig, und ich würde sie nicht ignorieren. Doch noch bestand kein Anlaß, alarmiert zu sein. Wenn er wirklich vernarrt war, wirkte er vielleicht sogar noch glaubwürdiger. Ich kannte ihn zu gut, um befürchten zu müssen, daß diese Vernarrtheit zu den vorherrschenden Prinzipien unseres Lebens in Konkurrenz treten würde.

Abgesehen davon hatte ich keinen Grund zur Klage, worauf Max schon hingewiesen hatte. Während er mit Diana zum Lunch ging, begab ich mich in die Bibliothek des Schiffes und schaute im Who's Who nach.

CHARNWOOD, Fabian Melville, Magister der Philosophie; Friedensrichter Surrey; Inhaber von Charnwood Investments; geb. 17. Mai 1870, Sohn von Andrew Charnwood; geheiratet 1901 Maud (gest. 1915), Tochter von Zachary McGowan, Pittsburgh, USA; eine Tochter; Schule: Christs Hospital; Sidney Sussex College, Cambridge; Diplom 1892; Magister der Philosophie 1897; trat 1893 in die Firma seines Vaters ein, Moss Charnwood Ltd., Gewehr- und Kleinwaffenhersteller London; wurde 1901 Direktor; Aufsichtsratsvorsitzender 1906. Trat ab, um 1907 Charnwood Investments zu gründen.

Adresse: Amber Court, Dorking, Surrey, T: Bookham 258. Clubs: Ambassador, Gresham, St. James'.

Es war, gemessen am üblichen Standard der Publikation, eine kurze und sehr uninformative Biographie. Aber ich fand das eigenartigerweise beruhigend, weil Zurückhaltung oftmals das sicherste Zeichen für Wohlstand ist. Und Wohlstand war das, wonach wir strebten. Max durfte meinetwegen alleine nach der Tochter trachten, der Vater aber war unser gemeinsames Ziel. Fabian Melville Charnwood war zum Greifen nahe.

Kapitel 2

Die Überfahrt verlief ruhig und genauso glatt wie Max' Werben um Diana Charnwood, was mich einigermaßen überraschte. Sie lunchten und dinierten zusammen, gewöhnlich sogar ohne Vita, auf die die ozeanische Phase der Überfahrt die Wirkung hatte, die vorauszusehen war. Tagsüber promenierten die beiden an Deck, und nachts tanzten sie Walzer. Bei jeder denkbaren Gelegenheit zeigten sie dieses ausschließende Vergnügen aneinander, das dem zynischen Beobachter ein unverkennbares Zeichen der psychischen Störung ist, die man gemeinhin Liebe nennt.

Wie jeder Mensch mit einigermaßen ausgeprägter Intelligenz hatte ich schon lange begriffen, daß Liebe auf nichts anderes hinausläuft als auf körperliche Begierde, die man anstandshalber in einige knappe Fetzen Philosophie hüllt. Ich hatte eine gute Anzahl Frauen davon überzeugen können, daß sie mich liebten, aber ich hatte nicht eine Sekunde geglaubt, eine von ihnen zu lieben. Dasselbe galt für Max. Jedenfalls hatte ich das bis jetzt angenommen.

Aber als die Tage verstrichen und Max jedesmal, wenn ich ihn zu Gesicht bekam, verzückt Dianas Schönheit betrachtete, war ich gezwungen, meine Meinung zu revidieren. Vierunddreißig war ein ziemlich hohes Alter für eine derartige Narretei, und zudem war besorgniserregend, daß Kinderkrankheiten wesentlich ernsthaftere Folgen haben, wenn Erwachsene sie sich zuziehen. Aber noch machte ich mir nicht allzuviel Sorgen. Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, daß sie heirateten, würde Max für mich sorgen. Das garantierte der Vertrag, den er unterzeichnet hatte, und unsere langjährige Zusammenarbeit. Im wesentlich wahrscheinlicheren Fall, daß Dianas Vater seine Tochter loszukaufen versuchte, konnte ich mich darauf verlassen, daß Max Vernunft annehmen würde. Was Diana anging, hoffte ich, daß es für sie nicht mehr als eine Schiffsromanze war. Alles, was man tun mußte, war, sie ungehindert blühen zu lassen. Ich überließ also die beiden sich selbst, und nach den paarmal zu urteilen, die ich sie zu Gesicht bekam, tat ich auch gut daran.

Glücklicherweise sah ich noch weniger von Faraday, der sich, wie ich annahm, eifrigst der darniederliegenden Vita annahm. Jedenfalls war er nicht bei den Nachteulen, in deren Gesellschaft ich mich aufhielt. Es waren dies reiche, unter Schlaflosigkeit leidende Männer, die noch schlechter pokerten, als sie schliefen. Als der letzte Tag der Reise anbrach, wünschte ich mir, wir wären auf einer Weltreise. Aber alles Gute geht einmal zu Ende, und ich wollte nicht, daß auch mein Glück dazugehörte. Also war ich unterm Strich recht erfreut, bald wieder zu Hause zu sein – selbst wenn England nicht besonders heimelig wirkte, weder in meiner Erinnerung noch in der Erwartung.

Nachdem ich Mr. Atkinson-White gestattet hatte, mich beim Squash zu schlagen, was alles andere als einfach war, nahm ich ein ausgiebiges Bad, zog mich dann früh für das Dinner um und ging in den Hauptsalon hinab, eine Höhle aus Marmor und Gips, die dem Ritz nachempfunden war ... Dort wollte ich in einem Sessel vor dem Steuerbordfenster in aller Ruhe einen Manhattan genießen, während ich auf die unendliche See und den Himmel hinausschaute. Doch nach einigen Minuten vom lautlosen Auftauchen eines Mr. Faraday überrascht zu werden war alles andere als entspannend.

»Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten, Mr. Horton?« Die Höflichkeit dieses Burschen war eine seiner schärfsten Waffen. »Unsere Wege haben sich in letzter Zeit nicht oft gekreuzt.«

»Das Schiff ist groß«, konterte ich.

»Aber nicht groß genug, um bestimmte . gesellschaftliche Entwicklungen zu verhindern ... die seit ein paar Tagen deutlich geworden sind.« Er ließ sich geschmeidig in den Sessel neben mir sinken. »Finden Sie nicht auch?«

»Ich weiß nicht genau, was Sie meinen.«

»Diana Charnwoods letzte Eroberung, zum Beispiel. Gerade Sie müßten das doch bemerkt haben.«

»Müßte ich?«

»Nun, Sie und Mr. Wingate sind doch alte Freunde, nicht wahr? Schulfreunde, glaube ich sogar.« Er unterbrach sich, als der Steward ihm einen Drink reichte, der verdächtig nach Crème de menthe aussah. Der Schock über die Erkenntnis, daß er mehr über mich wußte als ich über ihn, mischte sich mit dem furchtbaren Verdacht, daß er seinen Drink bestellt hatte, noch während er mich von der anderen Seite des Salons beobachtete. Und der Schock und der Verdacht verstärkten sich noch. »Winchester, nicht wahr?« erkundigte er sich lächelnd.

»Max und ich waren zusammen in Winchester, ja. Aber ...«

»Und während des Krieges in Mazedonien, beim King's Royal Rifle Corps

Ich hielt inne und zündete eine Zigarette an, um meine Gedanken zu sammeln. »Würde es Ihnen etwas ausmachen zu erklären, woher Sie all dies wissen, Mr. Faraday?«

»Ich höre zu und beobachte.« Er nippte an der Crème de menthe.