Hansen, Konrad Die Männer vom Meer

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Motto

Von der Schulter schiebe,

was übel dir scheint,

und richte dich nur

nach dir selber.

 

EDDA; aus dem Zaubergesang der Groa

ERSTES BUCH

1

Ein Mann hieß Bosi. Er war der Sohn des Tryn Halbtroll, der ein berüchtigter Berserker im Dienst der Könige von Uppsala gewesen war. Seinem Vater glich Bosi darin, dass ihn zuweilen, ohne warnende Vorzeichen, der Jähzorn überkam. Sonst war Bosi ein ruhiger und wortkarger Mann. Er sprach selten über Geschehnisse, die länger als zwei oder drei Tage zurücklagen. Deshalb wird es ein Rätsel bleiben, was ihn einst bewogen hatte, seinen Hof in Schonen zu verlassen und sich mit einem Boot, das kaum Platz genug für ihn und seine Familie bot, auf das Meer hinauszuwagen. Der Wind trieb ihn nach Westen, an manchen Inseln vorbei, die mit sattem Grün und fruchtbaren Ackern lockten. Aber Bosi nutzte den steten Ostwind, bis er über sandige Untiefen in einen weit ins Land greifenden Meeresarm gelangt war. Hier ging er an Land.

Zwei Tage und Nächte ließ Bosi seine Frau Vigdis und die Kinder unter dem Laubdach einer Weide allein. Am Morgen des dritten Tages kehrte er gut gelaunt zurück. Wortlos, wie es seine Art war, setzte er das Segel und steuerte das Boot dem Verlauf der Förde folgend nach Südwesten. An einigen Stellen war der Meeresarm schmal wie ein Fluss; dann wieder traten die Ufer weit auseinander, so dass man über einen See zu fahren glaubte. Gegen Abend kamen sie an eine Stelle, wo ein großer, seltsam geformter Stein am Ufer lag. Bosi zog das Boot ins Schilf und gab seiner Familie ein Zeichen, ihm zu folgen.

So kamen sie zu dem Platz, auf dem zuerst Bosis Hof und in späteren Jahren, ein kleines Dorf entstehen sollten. Nach Asmund und Ingegärd, die bereits in Schonen geboren waren, machte Bosi seiner Frau Vigdis noch sieben Kinder, von denen zwei am Leben blieben: Tryn und Björn. Letzterer kam mit einer gespaltenen Oberlippe zur Welt und war sehr schmächtig, weshalb ihn Bosi, ohne ihm einen Namen zu geben, ins Wasser werfen wollte, Aber Vigdis schwor bei Freyr und Freya sowie dem goldborstigen Eber, sie werde ihm von Stund an das Beilager verweigern, falls er von seinem Vaterrecht Gebrauch mache. Dies verschlug dem einsilbigen Mann vollends die Sprache. Stumm benetzte er dem Säugling das Haar und überließ es Vigdis, ihn, nach ihrem Vater, Björn zu nennen. Damit tritt Björn Hasenscharte in unsere Geschichte ein.

Keiner unter denen, die ihn heranwachsen sahen, bezog Vigdis’ Weissagung, von Bosis Söhnen werde einer an der Tafel des Königs sitzen, auf Björn. Denn während Asmund schon im Knabenalter die Blicke der Frauen auf sich zog und Tryn aus jedem Wettkampf als Sieger hervorging, war an Björn keine Eigenschaft zu erkennen, die eine glanzvolle Zukunft erhoffen ließ. Er war weder schön wie Asmund noch stark wie Tryn und musste nicht einmal den Kopf einziehen, wenn er über die Schwelle trat. Seine Brüder nannten ihn, je nach Laune liebevoll oder abschätzig, den Kleinen; Vigdis verhätschelte ihn und ließ ihn, bis diese mannbar wurde, in einem Bett mit Ingegärd schlafen; was Bosi über ihn dachte, wissen wir nicht, denn er hüllte sich, wie üblich, in Schweigen.

Der Hof lag auf einer Lichtung inmitten eines Waldes hochstämmiger Buchen. Nach Norden grenzte der Wald an ein unwegsames Moor, das, wie die Einheimischen erzählten, von Elfen bewohnt war. In der entgegengesetzten Richtung führte ein Pfad durch dorniges Gestrüpp und mannshohes Schilf an die Förde.

Dort sehen wir Björn am Ufer hocken. Er lauscht den Stimmen der Wasservögel, dem Wispern der Wellen. Hechte lauern mit trägem Flossenschlag im Schilf, Schlangen winden sich um funkelnde Kiesel, eine Bö fällt auf die spiegelnde Wasserfläche, macht sie rau und stumpf. Björn, in sich zusammengekauert, noch aus der Nähe betrachtet einem Stein zum Verwechseln ähnlich, ist nur Auge und Ohr.

Lange bevor die Schiffe hinter dem Wald auftauchen, künden die Warnlaute der Vögel ihm ihr Kommen an. Dann vernimmt Björn klatschenden Ruderschlag, das Knarren des Tauwerks, menschliche Stimmen. Nun erst sieht er die Schiffe, sieht die hochaufragenden Steven, die Riemenreihe, die sich gleichmäßig hebt und senkt und auf dem Wasser eine keilförmige Spur rasch sich vergrößernder und ineinanderfließender Ringe hinterlässt.

Die Schiffe gleiten nah an ihm vorüber, er kann die ausgemergelten Gesichter der Ruderer sehen, er hört ihr Keuchen, riecht ihren Schweiß. Wenn der Blick des Mannes am Vordersteven an ihm haftenbleibt, hält Björn den Atem an, sein Herzschlag stockt, und erst, wenn er spürt, dass der Blick ihn loslässt, wagt er wieder zu atmen. Es ist gefährlich, sich am Ufer zu zeigen, wenn die Schiffe vorüberfahren. Björns Spielgefährte Thord, der Sohn des Ivar aus dem Dorf wurde von einem Pfeil durchbohrt, als er seinen Kopf aus dem Schilf steckte. Wenn die Schiffe kommen, ist es das beste, im Wald zu verschwinden, denn nicht jeder weiß, wie Björn, die Reglosigkeit eines Steines vorzutäuschen.

Auf Bosis Hof wurde selten über die Schiffe gesprochen. Sie kamen und gingen wie der Sommer und der Winter, sie forderten ihre Opfer wie das Wasser oder der Blitz, man rief Thor um Beistand an, wenn das Eis im Frühjahr brach und die Förde den Schiffen freigab. Nur ein alter Knecht mit Namen Ubbe, der weit in der Welt herumgekommen war und Wörter wusste, die außer ihm keiner verstand, erzählte Björn von einer Stadt, die am Ende der Förde läge, einer großen Stadt mit vielen Häusern und einem Hafen; dorthin führen die Schiffe und von dorther kämen sie. Als Bosi das hörte, schlug er Ubbe und nannte ihn einen Schwätzer. Seitdem schwieg auch der alte Ubbe, wenn Björn mehr über die Stadt zu wissen begehrte.

Bis zu dem Morgen, als sie den Hof in aller Eile verlassen und sich im Moor verstecken mussten, geschah wenig, über das sich zu berichten lohnt, Vigdis begann zu kränkeln, was Bosi den willkommenen Anlass bot, Öfter als bisher und nunmehr ohne Heimlichtuerei aus dem Ehebett auf das Strohlager der dicken Gudrid hinüberzuwechseln, einer Unfreien, die Bosi gegen eine Kuh eingetauscht hatte. Tryn war inzwischen so stark und gewalttätig geworden, dass Asmund, nachdem er beim Kräftemessen einen Finger eingebüßt hatte, jedem Streit mit seinem jüngeren Bruder aus dem Weg ging. Ingegärd wurde von einem streunenden Hund gebissen, woraufhin sie ein seltsames Gebaren an den Tag legte: Manchmal warf sie sich zu Boden, zuckte an allen Gliedern und ließ ein schrilles Lachen hören. Bosi gab zu verstehen, es könne der Geist ihres Großvaters sein, der sich ihrer bemächtigt habe, Vigdis, in wärmende Felle gehüllt auf dem Krankenbett liegend, meinte griesgrämig, der Geist des Berserkers hätte besser daran getan, in Bosi zu fahren, und es sei nun schwer, einen Mann für Ingegärd zu finden. Von Björn ist nur soviel zu erzählen, dass er eines Tages auf seinen Streifzügen durch den Wald auf eine Halbinsel gelangte, von der aus er gegen Süden hin Rauch aufsteigen sah. Dort musste sie liegen, die Stadt.

2

Sie kamen im Morgengrauen, zehn oder zwölf Männer auf kleinen zottigen Pferden, Ubbe, der seine Netze auslegte, sah sie in einer Reihe am Ufer entlangreiten und hörte, wie sie in einer fremden Sprache miteinander redeten. So schnell ihn seine gichtigen Beine tragen konnten, eilte er zum Hof und weckte Bosi. Schlaftrunken hob der Bauer seinen Kopf von Gudrids Brüsten und griff nach seinem Schwert.

»Mjölnir soll dich zermalmen, wenn du mich ohne Grund aus dem Bett holst«, knurrte er. »Bis jetzt hat noch kein Fremder den Weg zu uns gefunden.«

»Ob es richtig ist, sich auf sein Glück zu verlassen, weiß man immer erst hinterher«, sagte der alte Knecht.

Bosi befahl ihm, seine Söhne Asmund und Tryn zu wecken. Er selbst kleidete sich hastig an und trat auf den Hofplatz hinaus, Es war ein klarer, windstiller Morgen, im Osten begann der Himmel sich schon zu röten. Halbnackt, eine Axt schwingend, stürzte Tryn aus dem Haus; Bosi gebot ihm wortlos, sich ruhig zu verhalten. Gemeinsam horchten sie die Stille ab. Vom Wasser drang Möwengeschrei herüber, weit entfernt im Wald krächzte ein Rabe. Als Asmund sich zu ihnen gesellte, hörten sie Stimmen und das dumpfe Klopfen von Hufen auf weichem Waldboden; ein Pferd schnaubte, Bisen klirrte.

Sie beratschlagten leise, was zu tun sei. Tryn schlug vor, die Reiter in einen Hinterhalt zu locken und sie, einen nach dem anderen, niederzumachen. Asmund stimmte ihm halbherzig zu. Aber Bosi gab zu bedenken, dass es ihnen auch unter günstigen Umständen kaum gelingen werde, sich gegen eine solche Übermacht zu behaupten. Deshalb halte er es für das Klügste, sich im Moor zu verbergen, bis die Gefahr vorüber sei.

Schnaubend vor Zorn hob Tryn die Axt, und einen Augenblick lang schien es, als wolle er seinem Vater den Schädel spalten. »Willst du, dass sie den Hof niederbrennen und dein Vieh rauben?«, fragte er mit mühsam gedämpfter Stimme. »Sollen wir uns verspotten lassen, weil wir kampflos das Feld geräumt haben?«

Da er, Sohn eines Berserkers, die Unberechenbarkeit eines wütenden Mannes zu fürchten gelernt hatte, trat Bosi vorsichtshalber einen Schritt zur Seite, bevor er antwortete; »An Odins Tafel zu sitzen wäre mir ein schwacher Trost, wenn ich wüsste, dass auf meinem Hof der Wald wächst.« Dann schlug er Tryn so heftig auf den Arm, dass diesem die Axt aus der Hand fiel.

Von Ubbe geführt, begab sich Bosi mit seiner Familie und dem Gesinde in das Moor. Tryn trug Vigdis, die, vom Fieber erhitzt, kein Hehl daraus machte, dass sie Bosi für einen Feigling hielt. Als die Sonne aufging, gelangten sie zu einer Hütte, die den Leuten aus dem Dorf als Unterschlupf diente, wenn sie heim Torfstechen vom Regen überrascht wurden. Hier fanden sie, dicht aneinander-gedrängt, Schutz vor dem kalten Wind, der mit Tagesanbruch zu wehen begonnen hatte.

Nach einer Weile stieg dunkler Rauch aus dem Wald empor. Asmund, der draußen Wache hielt, rief seinen Vater aus der Hütte. Bosi sah stumm zu der Rauchwolke hinüber, kein Muskel regte sich in seinem Gesicht. Dann sagte er, und es war der längste Satz, den Asmund jemals von ihm hörte: »Als ich geboren wurde, weissagte mir eine alte Frau, ich würde drei Höfe haben, und jeder würde schöner und größer sein als der vorige. Wenn sich die Weissagung erfüllen soll, werden wir viel zu tun bekommen, Sohn.«

Was Asmund darauf entgegnen wollte, blieb ungesagt, weil ihn, kaum dass er den Mund geöffnet hatte, ein markerschütterndes Gebrüll zusammenfahren ließ.

»Wo ist Tryn?«, fragte Bosi.

Asmund deutete mit dem Kinn in die Richtung, aus der das Brüllen mit gleichbleibender Lautstärke zu ihnen drang. »Wie es scheint, vergnügt er sich auf seine Weise«, antwortete er.

Bosi rief Ubbe zu sich und befahl, ihn selbst, Asmund und einige Knechte auf dem kürzesten Weg zu Tryn zu führen. Von. Grasbüschel zu Grasbüschel springend, eilten sie durch das Moor. Einer der Knechte rutschte aus und versank bis zu den Hüften im Morast, Ihn herauszuziehen, fehle es an Zeit, meinte Bosi; damit er sie aber nicht durch sein Schreien verrate, erschlug er ihn. Bald bekamen sie festen Boden unter die Füße, doch der Pfad war so schmal, dass sie hintereinander gehen mussten. Plötzlich blieb Ubbe stehen.

Ein Mann taumelte rückwärtsgehend auf sie zu. Ubbe stieß ihm seinen Speer zwischen die Schultern, der Mann brach zusammen, und nun sahen sie, dass sein Gesicht vom Haaransatz bis zum Kinn gespalten war. Kurz darauf kam ihnen ein weiterer Mann entgegen, der gleichfalls aus klaffenden Wunden blutete. Seine Augen waren starr vor Entsetzen, und es schien, als böte er sich bereitwillig dem Schwert dar, das ihm den Kopf vom Rumpf trennte.

Dann sahen sie Tryn. Er stand auf einer kleinen Anhöhe zwischen Wald und. Moor, sein nackter Oberkörper war mit Blut bespritzt, in der Linken hielt er den mit Pfeilen gespickten Schild, in der Rechten die Axt, die er gerade jetzt, da Bosi und seine Leute aus dem Moor hervorstürmten, auf den Kopf seines Gegners schmetterte. Dabei lachte er, es war ein heiseres, beinahe lautloses Lachen, und Bosi fühlte sich an. seinen Vater Tryn Halbtroll erinnert.

Von den Männern, die den Spuren der Hofbewohner gefolgt waren, war keiner mehr am Leben; ihre Pferde sprengten reiterlos in den Wald zurück, Bosi zählte vier Tote, und wenn er die beiden hinzurechnete, die in das Moor geflohen waren, hatte Tryn bereits in jungen Jahren eine Tat vollbracht, die seinen Großvater, den Berserker, mit Stolz, wenn nicht gar mit Neid erfüllt hätte.

Tryn öffnete seinen Hosenbund und stellte sich breitbeinig über jenen, den er zuletzt getötet hatte. Während er sein Wasser auf ihn abschlug, sagte er mit einer Stimme, die vom Brüllen rau geworden war: »Nun brauchst du nicht mehr zu rätseln, Vater, welcher deiner Söhne an der Tafel des Königs sitzen wird.«

»Eines Tages wird man dir ins Ohr pissen«, sagte Bosi und wandte sich ab.

Gegen Abend kehrten sie zum Hof zurück. Aus verkohlten Holzstümpfen kroch Rauch, hier und dort züngelten Flammen. Eine Kuh lag mit versengtem Fell in der Asche, aus ihrem Körper waren große Stücke Fleisches herausgeschnitten worden; in dem Topf über der Herdstelle brodelte noch das Wasser, in dem sie gekocht worden waren. Tryn erbot sich, von Asmund und zwei oder drei Knechten unterstützt, den Räubern das Vieh wieder abzujagen, aber Bosi hielt schon nach einem Platz Ausschau, auf dem er das neue Wohnhaus errichten wollte.

»Es wird dort oben stehen«, entschied er und deutete auf eine flache Mulde unterhalb der Hügelkuppe. »Dort ist es besser vor dem Westwind geschützt. Und wenn du aus der Tür schaust«, wandte er sich an Vigdis, »kannst du den ganzen Hof überblicken.«

»Dazu wird es nicht kommen«, antwortete Vigdis, die mehr als alles andere verdross, dass Bosi ihre Tränen sah, »Denn wenn das neue Haus fertig ist, werde ich nicht mehr am Leben sein.« Sie blickte zu Gudrid hinüber, deren Bauch in den letzten Wochen einen Umfang angenommen hatte, wie er mit Gefräßigkeit allein nicht erlangt werden konnte; »Aber freu dich nicht zu früh; es kann sein, dass ich keine Ruhe finde.«

Den Winter über kamen sie bei einem Bauern im Dorf unter, der wie Bosi aus Schonen stammte. Während der Schneesturm um das Haus heulte, saßen sie am Herdfeuer, und der Bauer erzählte von Männern, die vor ihnen Schonen verlassen hatten und nach Westen über das Meer gefahren waren. Einer von ihnen, König Olov, hätte die Stadt am Ende der Förde erobert, und nach ihm hätten dort seine Söhne Knuba und Gyrd und sein Enkel Sigtrygg geherrscht. Nun aber seien sie vom Dänenkönig Gorm vertrieben worden.

3

Vigdis sollte recht behalten: An dem Tag, als Bosi die Runen in den Türbalken des neuen Wohnhauses ritzte, starb sie. Bosi begrub sie mit allem, was ihr an Schmuck und Kleidung gehörte, er versah sie in solcher Fülle mit Nahrung und Getränken, dass es für viele Tagereisen reichte, und häufte alle Steine auf ihre Grabkammer, die er in der Umgebung des Hofes finden konnte. Es wurde der größte Grabhügel weit und breit, den Bosi für Vigdis errichtete, und die Leute im Dorf gelangten, nachdem sie lange darüber gesprochen hatten, zu der Meinung, dass dies wohl die Art sei, wie sich bei einem wortkargen Mann Überheblichkeit äußere.

Drei Wochen, nachdem Bosi seine Frau begraben hatte, trat ein, was er insgeheim befürchtet zu haben schien: Vigdis machte ihre Drohung wahr. Mitten in einer windstillen Nacht brach ein Sturm los, der die Tür aus den Angeln riss und die Herdasche emporwirbelte, Als Bosi aus dem Bett sprang, spürte er, wie jemand ihn packte und gegen die Wand schleuderte. Gudrid wurde mit heißem Wasser übergossen; schreiend lief sie ins Freie, wo sie sich nur mit Mühe dagegen wehren konnte, in den Brunnen gestoßen zu werden.

Aber es sollte noch schlimmer kommen. In der nächsten Nacht setzte sich jemand mit solcher Wucht auf das Dach, daß das Haus zusammenzubrechen drohte. Bosi sah, wie die Pfosten sich bogen und zu splittern begannen, Er weckte Tryn, der als einziger fest geschlafen hatte, und sagte: »Da sitzt einer auf dem Dach, der sich mit einem Berserker messen möchte, Sohn.« Tryn nahm seine Axt und lief aus dem Haus. Für einen Augenblick trat Ruhe ein. Dann war ein Schrei zu hören, der den atemlos Lauschenden durch Mark und Bein drang. Nachdem das Echo des Schreies im Wald verhallt war, setzte ein Getöse ein, von dem Ubbe noch auf dem Sterbebett erzählte, dass es sich angehört habe, als ob zwei Heere aufeinandergeprallt seien. Durch die Dachsparren brach ein Bein und bewegte sich, nach einem Halt suchend, im Kreis. Doch ehe man ausmachen konnte, wem das Bein gehörte, verschwand es wieder und hinterließ ein Loch, durch das sich immer dann, wenn die Kämpfenden in seine Nähe gerieten, ein Blutstrom in die Halle ergoss. In dem Augenblick, als Tryn zu brüllen begann, zerbarst einer der Pfosten mit lautem Knall, kurz; darauf ein zweiter; auf der dem Hofplatz zugewandten Seite stürzte das Dach ein und begrub Bosi und zwei Mägde unter sich. Abermals war der Schrei zu hören. Dann war es still.

Ubbe und Björn zogen Bosi unter dem Dach hervor. Er war bewusstlos, ein Balken hatte sein Nasenbein zerschmettert. Während Ingegärd ihm feuchte Tücher auf die Stirn legte und alte Sprüche murmelte, die sie von Vigdis und diese wiederum von ihrer Mutter gelernt hatte, machten sich die Männer auf die Suche nach Tryn. Sie fanden ihn, lallend vor ohnmächtiger Wut, an einem Pfosten hängen; Arme und Beine waren so ineinander verschlungen, dass er sich nicht aus eigener Kraft befreien konnte.

Asmund betrachtete ihn und sagte: »Wer immer es war, der unser Haus ritt: Er weiß hübsche Knoten zu knüpfen.«

Darauf erwiderte Tryn nichts, aber der Blick, den er seinem Bruder zuwarf, verhieß nichts Gutes.

Ais Bosi wieder zu sich gekommen war, sagte er: »Es ist wenig übrig geblieben, das sich noch zu zerstören lohnt, doch nach der dritten Nacht werden einige von uns nicht mehr am Leben sein.« Dann blickte er Ubbe lange an, während ihm unablässig Blut aus der Nase tropfte.

»Es gibt einen, der Rat wüsste«, sagte endlich der alte Knecht. »Aber er scheut den Umgang mit Menschen, und es ist fraglich, ob man ihn bei guter Laune antrifft.«

»Ich werde dir ein Stück Land geben und dich freilassen, wenn du ihn herbringst«, sagte Bosi. Der Knecht nannte das ein bedenkenswertes Angebot und verschwand im nachtdunklen Wald.

Die Sonne stand schon über den Bäumen, als Ubbe mit einem Mann zurückkehrte, der um vieles älter zu. sein schien als er selbst. Der Greis trug ein löchriges, sackartiges Gewand; sein Gesicht war von verfilztem Haar bedeckt. Er stützte sich auf einen mit seltsamen Figuren verzierten Stock, der die Gestalt einer Schlange hatte.

Ubbe führte den Alten zu Bosi und sagte: »Dies ist Gris der Weise, Herr. Ich habe lange gebraucht, ihn zu überreden, mit mir zu kommen. Sprich leise mit ihm, laute Worte sind ihm zuwider.«

Bosi lud den Greis ein, sich neben ihm auf die Bank zu setzen. Nachdem sie Bier getrunken hatten, berichtete Bosi mit verhaltener Stimme, was sich in den beiden Nächten ereignet hatte. Der Greis hörte ihm schweigend zu; hin und wieder nickte er auf eine Weise, die zu besagen schien, dass ihm derartiges nicht fremd sei. Dann strich er sich mit seiner knochigen Hand das Haar von der Stirn, und jetzt sah Björn, dass der Alte nur ein Auge besaß.

»Ich werde dir sagen, was zu tun ist«, flüsterte der Weise. »Aber es wird der letzte Rat sein, den du von mir bekommst, denn ich hatte mich schon zum Sterben niedergelegt.«

So trugen sie in aller Eile den Grabhügel ab. Vigdis’ Körper war schon in Verwesung begriffen und verbreitete einen üblen Geruch. Björn erbrach sich, als er die Maden in ihren Augenhöhlen sah. Tryn hob ein tiefes Loch unter der Türschwelle aus; dort legten sie Vigdis hinein, Bosi schnitt ihr den Kopf ab und trieb einen spitzen Pfahl durch ihre Brust. Als das Loch zugeschüttet war, ritzte Gris mit seinem Stock geheimnisvolle Zeichen in die festgeklopfte Erde und verwischte sie sogleich wieder.

»Jetzt wird sie euch nicht mehr erschrecken«, sagte er.

»Was verlangst du dafür?«, fragte Bosi.

»Lass mich in Ruhe sterben«, antwortete der Weise. In der Nähe krächzte ein Rabe. Der Alte hob den Kopf und lauschte. »Ist gut, Hugin, ist gut«, sagte er dann und ging, ohne noch ein Wort zu verlieren, in den Wald.

Es kam, wie Gris gesagt hatte: In den folgenden Nächten blieb es ruhig. Die Schäden am Haus waren bald behoben, und nach einigen Wochen hielt nur noch Bosis eingekerbte Nase die Erinnerung an die Schreckensnächte wach.

Gudrid gebar während der Arbeit auf dem Feld einen Sohn. Sie legte ihn unter einen Busch und hätte ihn dort vermutlich seinem Schicksal überlassen, wenn er nicht durch lautes Schreien Bosis Aufmerksamkeit erregt hätte. Der Bauer fand Gefallen an dem kräftigen Knaben, er nahm ihn auf seine Knie und gab ihm den Namen Tore.

»Er wird ein Bauer, wie ich«, sagte Bosi, nachdem er die Hände des Kindes betrachtet hatte.

Nach langwierigen Verhandlungen, die mehr als einmal daran zu scheitern drohten, dass Bosi nicht nur mit Worten geizte, sondern ebenso mit dem für die Ausrichtung der Hochzeit erforderlichen Geld, heiratete Ingegärd den Sohn des Bauern, bei dem sie den Winter verbracht hatten. Von Ingegärd ist noch soviel zu erzählen, dass sie nach dem ersten Kind von den Anfällen verschont blieb und mit den Jahren ihrer Mutter immer ähnlicher wurde. Nun kommt sie in dieser Geschichte nicht mehr vor.

4

Björn war jetzt in dem Alter, in dem Bauernsöhne auf Hof und Feld Mannesarbeit verrichteten, wenn sie es nicht vorzogen, in den Dienst eines Häuptlings zu treten und als Krieger Ruhm zu ernten. Aber sein Vater hielt ihn weder für das eine noch das andere geeignet; er war über Jahre nicht mehr als eine Handbreit gewachsen, und er wirkte so schwächlich, dass Bosi sich seiner schämte und es nicht ungern sah, dass Björn häufiger im Wald als auf dem Hof zu finden war.

Bosi fragte ihn nie, was er dort tat. Er wusste nichts von Björns einsamen Streifzügen durch Wald und Moor, wusste nicht, dass Björn inzwischen die Schiffe zu unterscheiden gelernt hatte nach solchen, die Fracht trugen, und anderen, die, schlank und mit vielen Ruderern bemannt, auf Raub ausfuhren. Wo die Förde nur einen Steinwurf breit war und das Ufer auf beiden Seiten steil zum Wasser hin abfiel, hatte Björn einen Platz gefunden, von dem aus er die Schiffe beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden, Manchmal hallten die Ufer von Geschrei wider, und Björn sah, wie Männer mit Peitschen auf Menschen einschlugen, die aneinander-gekettet auf dem Schiffsboden hockten. Einmal warfen die Männer einen leblosen Körper über Bord, der mit dem Rücken nach oben ans Ufer trieb. Als das Schiff hinter der Halbinsel verschwunden war, stieg Björn zum Strand hinunter und drehte die Leiche um. Es war ein Mädchen mit langen braunen Haaren, vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt; ihre Lippen gaben zwei lückenlose Zahnreihen frei, sodass es aussah, als ob sie ihn anlächelte.

Nicht weit von Björns Versteck entfernt, auf der Spitze der Halbinsel, lag ein mit Palisaden bewehrter Wall, der einige aus rohen Stämmen zusammengefügte und mit Schilf gedeckte Hütten umschloss. Die Burg war ständig mit einer Handvoll bewaffneter Männer besetzt. Wenn Schiffe vom Meer her kamen, stellten sich die Männer an die Sehschlitze, die in den Palisaden eingelassen waren. Meistens kletterten sie, nachdem sie die Schiffe eine Weile beobachtet hatten, auf die Brüstung und schlugen ihre Schilde gegeneinander; zuweilen kam es aber auch vor, dass sie einen Holzstoß in Brand setzten und das Feuer mit feuchtem Laub oder Stroh abdeckten, woraufhin dicke Rauchschwaden emporquollen. Wenig später kam Antwort aus der Richtung, in der die Stadt lag: Auch dort stieg eine Rauchwolke aus dem Wald auf.

An einem der letzten sonnigen Herbsttage, bevor sich der Winter mit Nebel und Regen ankündigte, vernahm Björn Hugins Stimme. Der Rabe saß, zum Greifen nah, auf einem Baumstumpf und blickte ihn mit seitwärts geneigtem Kopf an. Als Björn sich ihm näherte, öffnete er seinen gewaltigen Schnabel, ließ ein Krächzen hören und strich ab, um sich ein Stück entfernt auf einem anderen Baumstumpf niederzulassen. Dies wiederholte sich einige Male, und Björn folgte ihm immer tiefer in den Wald hinein. Durch kniehohes Laub und Dornengestrüpp, über umgestürzte Baumstämme hinweg führte der Rabe ihn zu der riesigen Wurzel einer Esche, deren Stamm in Augenhöhe abgesplittert war und nun, von Ameisen bewohnt, auf dem Waldboden vermoderte.

Unter der Wurzel hauste Gris der Weise. Der Boden und die Wände seiner Höhle waren mit faulendem Laub bedeckt, vom Wurzelgeflecht der Decke hingen Spinnweben herab, in der Mitte brannte ein kleines Feuer, an dem der Greis sich die Hände wärmte. Der Rabe setzte sich auf seine Schulter.

»Ist gut, Hugin, ist gut«, murmelte der Weise. Obwohl er sein Auge nicht sah, spürte Björn, dass der Alte ihn anblickte. Eine Weile war nur das Knistern des Feuers zu hören und der Wind, der durch die Baumwipfel strich. Dann sagte Gris: »Du bist keiner von denen, die ihre Worte vergeuden, das gefällt mir. Es ist auch nicht nötig, mir etwas zu erzählen, denn von Hugin weiß ich genug über dich.« Wieder schwieg der Alte lange, bevor er fortfuhr: »Ich bin von Moder umgeben, in mir selbst breitet sich Fäulnis aus, gestern fielen mir zwei Zehen ab, mein Speichel schmeckt nach Eiter, Gestank kommt mir aus den Poren, alles deutet darauf hin, dass ich bald sterben werde. Aber bevor ich sterbe, will ich erzählen, was ich weiß, Und dich habe ich dazu ausersehen, es zu hören, Sohn des Bosi.« Die Hände immer noch über dem Feuer ausgestreckt, begann er, seinen Oberkörper hin und her zu wiegen und eintönig zu singen:

 

Gehör heisch ich

heilger Sippen,

hoher und niedrer

Heimdallssöhne:

Du willst, Walvater,

Dass wohl ich künde,

was alter Mären

der Menschen ich weiß.

 

Er sang viele Strophen, erzählte von Ginnungagab, der gähnenden Leere, aus der zuerst das Reich der Riesen entstand, erzählte von Bors Söhnen Odin, Wili und We, die den alten Riesen Ymir erschlugen und aus seinem Fleisch die Erde schufen, aus seinen Knochen die Gebirge, aus seinen Haaren die Bäume und aus seiner Schädeldecke den sich über alles wölbenden Himmel. Zwischen den Strophen schwieg der Greis, damit Björn seine Worte nachsprechen und sie sich einprägen konnte.

Das Erzählen schien dem Alten keine Mühe zu bereiten, von seiner Gebrechlichkeit war um so weniger zu spüren, je mehr er die Sache der Götter zu seiner eigenen machte, zuweilen sprang er sogar auf und schlug mit geballten Fäusten auf unsichtbare Riesen ein. Hin und wieder drangen auch Töne durch den filzigen Schleier vor seinem Gesicht, die einem Lachen ähnelten; es waren vor allem Lokis Streiche, die ihn zu erheitern schienen, und als er davon sprach, wie Loki sich in eine rossige Stute verwandelte, um den Hengst Swadilfari von der Arbeit fortzulocken, und Monate später das achtbeinige Fohlen Sleipnir zur Welt brachte, da warf es den Greis rücklings auf das Laub, und sein dürrer Körper bebte vor Lachen.

Aber wenn der Alte einmal guter Laune war, pflegte er gleich darauf um so tiefer in Trübsinn zu versinken. Dann wurde er nicht müde, die Schrecken der Ragnarök auszumalen, der die Götter zum Opfer fielen, er raufte sich wehklagend das Haar, er brüllte, wie sie gebrüllt haben mochten, als sie die tödlichen Wunden empfingen, und er schilderte den Todeskampf eines jeden Gottes so anschaulich, dass Björn mehr als einmal versucht war, entsetzt das Weite zu suchen. Erst allmählich, im Laufe vieler Stunden, die er gebannt lauschend in der Höhle des Weisen verbrachte, lernte er, zwischen der Beschreibung eines Ereignisses und diesem selbst zu unterscheiden.

Wie lange Gris schon unter dem Baumstumpf wohnte, wusste er nicht zu sagen; er erinnerte sich nur, dass Wurzel und Stamm noch eins waren, als er die Höhle entdeckte. Schon damals, sagte Gris, habe er seine besten Jahre hinter sich gehabt, und Odin allein wisse, weshalb der letzte Lebensfunke in seinem von Krankheit und Alter zermürbten Körper nicht schon längst erloschen sei

Über seine Herkunft sprach er nur in wenigen, zudem noch widersprüchlichen Andeutungen. Einmal behauptete er, der Sohn eines Goden zu sein; dann wieder erzählte er von seiner Kindheit auf einer von Eis und Schnee bedeckten Insel im Nordmeer, wo in Notzeiten eine Ratte als Leckerbissen gegolten habe. Um so ausführlicher erging er sich in Schilderungen seines weiteren Lebens. Er rühmte sich, einem König zum Kriegsglück verholfen und einem mächtigen Jarl als Ratgeber gedient zu haben. Eines Tages sei sogar ein Abgesandter des Kaisers von Miklagard zum Hof des Jarls gekommen und habe Gris angeboten, in den Dienst seines Herrn zu treten. Darauf habe der Jarl gesagt: Wenn es dem Kaiser um den Kopf seines Ratgebers zu tun sei, könne er ihn bekommen, nicht aber dessen Rumpf. Manche seiner Geschichten erzählte Gris immer wieder und jedes Mal anders, so dass es Björn schwerfiel, hinter den ständig wechselnden Ausschmückungen ihren wahren Kern zu erkennen.

Weshalb er sich vor vielen Jahren entschlossen hatte, das kärgliche Leben eines Einsiedlers zu führen, darüber ließ Gris nie ein Wort verlauten. Nur soviel erfuhr Björn: Der Alte liebte die Menschen nicht. Statt seinen Lebensunterhalt damit zu bestreiten, dass er Krankheiten bei Mensch und Vieh heilte, Trolle und Wiedergänger bannte oder in die Zukunft sah, zog er es vor, alle Entbehrungen auf sich zu nehmen, die ein Leben in menschenferner Einsamkeit mit sich bringt. Er ernährte sich von Beeren, Pilzen, Kräutern und dem Honig wilder Bienen, er sammelte Möweneier am Ufer der Förde und fing mit den bloßen Händen Kaninchen, wenn sie aus dem Bau schlüpften. Nur im Winter erschien er manchmal, zum Skelett abgemagert, im Dorf und ließ sich von den Bauern bewirten. Keiner wagte es, ihm die Tür zu weisen, denn das, glaubten sie, brächte Unheil für Haus und Hof.

Einmal kam ein Mann in Gris’ Höhle. Er trug weite Pluderhosen, einen Mantel aus schimmerndem Stoff und silberne Armringe. Der Mann rümpfte die Nase, als ihm der Fäulnisgeruch entgegenschlug, aber er setzte sich neben. Gris ans Feuer, Sie redeten lange darüber, wie hart der Winter gewesen und wie spät der Frühling gekommen war, sie unterhielten sich über den Wind, der seit Tagen mit unverminderter Stärke aus Westen wehte, und schließlich kam der Mann darauf zu sprechen, dass er eine weite Schiffsreise plane, für die er des Beistands der Götter, vor allem Njörds, bedürfe. Der Weise senkte den Kopf und dachte lange nach. Dann ritzte er Runen in ein Stück Holz und gab es dem Mann. Dieser legte einen kleinen Beutel in Gris’ Schoß. Der Alte nahm den Beutel, wog ihn in der Hand und sprach:

 

Wertere Last

trägt auf dem Weg man nie

als starken Verstand:

Er frommt dir mehr

in der Fremde als Gold;

er ist der Hilflosen Hort.

 

Nach diesen Worten schnürte er den Beutel auf und verstreute seinen glitzernden Inhalt ringsumher im Laub.

Der Mann schien verärgert und sagte: »Dafür bekommst du mehr, als du in drei langen Wintern essen und trinken kannst.«

»Es mag sein, dass ich heute noch sterben werde, vielleicht auch erst morgen«, antwortete der Alte. »Aber eines weiß ich gewiss: Den Schnee werde ich nicht mehr sehen. Und nun geh, Thormod. Deine Augen sind hart geworden. Ich bin froh, dass wir uns nicht wiedersehen werden.«

Als der Mann gegangen war, fragte Björn, wer er sei und woher Gris ihn kenne.

»Er glaubt, dass ich sein Vater bin, so hat es ihm seine Mutter erzählt«, antwortete der Weise. »Ich aber weiß es besser, deshalb dulde ich es nicht, dass er mich Vater nennt.« Außerdem, meinte Gris, sähe ihm Thormod nicht im geringsten ähnlich – eine Behauptung, die der üppige Haarwuchs des Alten nicht nachzuprüfen erlaubte.

Thormod, erzählte Gris weiter, besitze in der Stadt am Ende der Förde ein Haus und habe es als Händler zu Reichtum gebracht. Aber er sei den alten Göttern untreu geworden; nur vor weiten und gefahrvollen Reisen pflege er sich ihres Beistands zu versichern. Neuerdings trüge er eines jener Amulette, die von geschickten Silberschmieden so gefertigt seien, dass man sie ebenso gut für ein Kreuz wie für Thors Hammer halten könne.

Gris war früher oft in der Stadt gewesen, er erinnerte sich sogar noch an die Zeit, als sie schutzlos Überfällen vom Land oder vom Wasser her preisgegeben war und die Bewohner auf einen nahe gelegenen Hügel flüchten mussten, wenn Gefahr drohte. Er war dort, als der Schwedenkönig Knuba und dessen Söhne den ersten Wall aufschütten ließen, und er war dabei, als die Sachsen und wenig später die Dänen die Stadt eroberten. »Wenn es dir jetzt auch nicht sehr wahrscheinlich vorkommen mag«, sagte er zu Björn, »damals nahm ich es mit zwei Gegnern zugleich auf, und vier waren nötig, mich zu bezwingen und gefesselt vor König Gorm zu bringen, damit er entscheide, was mit mir geschehen sollte.«

»Wie entschied er?«

»Gorm nahm mir eigenhändig die Fesseln ab, gab mir mein Schwelt zurück und ließ mich aus seinem Hörn trinken. Er war der edelmütigste von allen Königen, denen ich begegnet bin.«

 

So verbringen sie viele Wochen miteinander in der Höhle unter dem Eschenstumpf Längst hat der Winter den bunten Laubtep-pich mit einer dicken Schneeschicht zugedeckt, und es wird nicht mehr lange dauern, bis das Eis der Förde mit lautem Krachen zu bersten beginnt, Gris erwartet stündlich den Tod, und jeden Abend, wenn Björn ihn verlässt, nehmen sie Abschied, als würden sie einander nie wiedersehen. Dann kann es vorkommen, dass der Alte leise schluchzt und Tränen aus dem Auge wischt. Aber am nächsten Morgen sieht Björn ihn wieder am Feuer sitzen, mürrisch und mit den Göttern hadernd, weil sie ihn abermals das Tageslicht erblicken ließen. Inzwischen versteht sich Björn darauf, den Weisen von seinen düsteren Gedanken abzulenken, indem er vorgibt, dieses oder jenes nicht verstanden zu haben, oder Fragen stellt, die den Greis zu weitschweifigen Erklärungen verlocken. Und bereits nach den ersten Warten lebt er auf, sein Atem bläht den Haarschleier, seine Hände vollführen immer ausgedehntere Gebärden, und je mehr er sich der Lust des Erzählens hingibt, desto weniger gleicht er einem Sterbenden. Björn erfahrt von ihm vieles über Götter, Riesen, Zwerge und Trolle, er lernt Zaubersprüche, glückbringende und solche, die Schaden stiften, er wird in das Geheimnis der Runen eingeweiht, in der Deutung des Vogelflugs und der Wolkenbildung unterwiesen – nur die Stadt erwähnt der Weise selten. Er weicht aus, wenn Björn ihn danach fragt, und er gerät in Zorn, wenn er auf einer Antwort besteht. Einmal sagt er: »Sie ist voll von Menschen, und mit jedem Tag werden es mehr. Wo viele Menschen beisammen sind, wächst das Böse in jedem einzelnen.«

Gegen Ende des Winters fand Björn den Weisen eines Morgens leblos neben dem schwelenden Feuer liegen. Zuerst glaubte er, der Alte sei nun endlich von den Göttern erhört worden. Als er sich aber über ihn beugte, sah er, dass er noch atmete. Björn bedeckte ihn mit Laub und blies in die Glut, bis das Feuer wieder aufloderte. Dann lief er zum Hof, stahl Bosi zwei seiner besten Felle und hüllte den Alten damit ein. Tagelang lauschte er den schwachen Atemzügen des Weisen, stets bangend, der eben gehörte könnte der letzte gewesen sein, und immer wieder erfreut, wenn diesem ein nächster folgte. Gris schlief so fest, dass Björn ihn nicht zu wecken vermochte. Auch Hugin schlief. Der Rabe hockte mit gespreiztem Gefieder auf der Schulter des Weisen und hatte den Schnabel unter eine seiner Schwingen gesteckt.

Manchmal verließ Björn die Höhle, um Feuerholz zu sammeln. Dabei geriet er eines Tages in die Nähe der Burg. Er hörte, wie die Männer ihre Schilde gegeneinanderschlugen, und schlich, von Neugier gepackt, in sein Versteck. Ein Trupp pelzvermummter Männer kam vom jenseitigen Ufer über das schon von Rissen durchzogene Eis. Einer rief zur Burg hinauf, ob man es wagen könne, über das Eis zur Stadt zu gehen. Die Männer in der Burg erwiderten, es sei gefahrlos, sofern sie die Stellen mieden, wo Bäche in die Förde mündeten. Daraufhin entfernte sich der Trupp in südlicher Richtung über das Eis.

Plötzlich hört Björn einen Zweig knacken. Er schnellt herum und sieht einen Mann mit wurfbereitem Speer hinter sich stehen. Der Mann trägt einen Mantel aus braunem Schaffell; in seinem Bart hängen Eiszapfen.

»Du bist nicht so jung, wie ich dachte, als ich deinen Fußspuren folgte«, sagt der Mann, »Steh auf!«

Björn erhebt sich mit zitternden Knien. Der Mann geht um ihn herum und betastet seine Schultern und Arme. »Viel wirst du mir nicht einbringen«, sagt er unzufrieden, »aber wenig ist mehr als nichts. Also komm!« Er deutet zur Burg hinüber und stößt Björn den Speerschaft in den Rücken.

Den Männern in der Burg schien es nicht zu gefallen, dass Vagn, so hieß der Mann, mit einem Gefangenen zurückkehrte. Einer gab zu bedenken, ob es klug sei, sich die Bauern der umliegenden Höfe zu Feinden zu machen, denn an Björns Kleidung sei unschwer zu erkennen, dass er aus der Gegend stamme. Doch Vagn entgegnete, aus seinen Worten spräche der blanke Neid, und die Bauern hätten sich längst angewöhnt, jene ihrer Söhne und Töchter, an denen ihnen besonders gelegen sei, auf dem Sklavenmarkt freizukaufen. Mehr wurde darüber nicht gesprochen, denn Vagn galt als ein Mann, der Meinungsverschiedenheiten mit der Faust auszutragen liebte.

Die Besatzung der Burg bestand aus sechs Männern, die allesamt ein Alter erreicht hatten, in dem das Verlangen nach Abenteuern allmählich zu schwinden beginnt. Um so wortreicher prahlten sie abends am Feuer von ihren Taten; die Zahl ihrer getöteten Gegner wuchs mit jedem Becher, den sie leerten, und mitunter gerieten sie über die Frage, welcher von. ihnen Odin in Walhall am nächsten sitzen werde, dermaßen in Zorn, dass sie mit glühenden Holzscheiten aufeinander einschlugen.

Mit Björn sprachen sie selten und auch dann nur, um ihm einen Tadel oder einen Befehl zu erteilen. Er musste die Schlafkammer fegen und die Eimer ausleeren, in die sie nachts, weil es ihnen draußen zu kalt war, ihre Notdurft verrichteten. Morgens nahm Björn die Felle von den Schlafstätten und breitete sie im Burghof aus, damit die Läuse erfrören. Da. er dies jeden Morgen tun musste, schien ihm die Arbeit wenig sinnvoll zu sein. Manches Mal erwog er zu fliehen, und es war vor allem die Sorge um Gris, die ihn nach einer günstigen Gelegenheit Ausschau halten ließ.

Kurs nachdem das Eis eine schmale Fahrrinne freigegeben hatte, kam das erste Schiff, Es bewegte sich nur langsam vorwärts, weil die Eisschollen das Rudern erschwerten. Die Männer in der Burg waren unschlüssig, ob sie dem Schiff ihren Willkommensgruß entbieten oder ein Rauchzeichen geben sollten. Während sie erregt beratschlagten, sah Björn den Augenblick für die Flucht gekommen und kletterte auf den rückwärtigen Wall, Als er sich jedoch über die Palisaden schwingen wollte, bemerkte er, dass vom Wald her sechs Reiter auf die Burg zukamen. Er eilte zu den Männern zurück und berichtete ihnen, was er gesehen hatte. Diese brachen in lautes Freudengeschrei aus und öffneten den Reitern das Tor.

Wenig später sehen wir Björn, mit einer Hand an Vagns Pferd gefesselt, die Burg verlassen. Vagn lässt das Pferd traben, so dass Björn laufen muss, um Schritt zu halten. Mehrfach gleitet er aus und stürzt zu Boden, aber Vagn wartet nicht, bis er wieder aufgestanden ist, er schleift ihn durch den verharschten Schnee hinter sich her.

So kam Björn Hasenscharte in die Stadt.

5

Die Stadt lag auf einer sanft geneigten Ebene an einem sich nach Süden erstreckenden Seitenarm der Förde, Sie war von einem halbkreisförmigen Walt umgeben, der ihr mitsamt einem vorgelagerten Wassergraben und einer Reihe mächtiger Pfähle, die man außerhalb des Hafens in das seichte Wasser gerammt hatte, Schutz vor Überfällen bot. In ihrer Mitte wurde die Stadt von einem Bach durchflossen, der die Anlage der Straßen bestimmte: Entweder verliefen sie in derselben Richtung wie et, oder sie führten im rechten Winkel auf ihn zu. Die Häuser standen so nahe beieinander, dass ihre Dächer sich fast berührten und zwischen ihnen kaum Platz genug für einen schmalen, mit Bohlen belegten Durchgang blieb. Sie waren allerdings von unterschiedlicher Größe: Einige Häuser nahmen doppelt oder dreifach soviel Raum ein wie die anderen und waren zudem noch von einem Zaun aus Weidenflechtwerk umgeben. Diese gehörten Händlern, die dort ihre Waren lagerten, oder Männern, die ihrem Ansehen ein weiträumiges Haus schuldig zu sein glaubten. Zwei Gebäude jedoch übertrafen selbst diese noch an Größe: die Kirche des Bischofs und das Haus, in dem der König wohnte, wenn er die Stadt besuchte.

In ihrer Ausdehnung war die Stadt nicht viel größer, als Björn sie sich vorgestellt hatte. Aber nie hatte er geglaubt, dass so viele Häuser innerhalb des Walles Platz finden würden. Und noch mehr erstaunte ihn die Zahl ihrer Bewohner. Während des Sommers herrschte in den Straßen und Gassen bisweilen ein solches Gedränge, dass es unmöglich war, einen Schritt zu tun, ohne jemanden anzurempeln.

In den ersten Monaten bekam er jedoch wenig von der Stadt zu sehen. Vagn verbot ihm, sein Haus zu verlassen, das nahe der Stelle lag, wo der Bach in einer Röhre durch den Wäll floss. Nach starken Regenfällen trat der Bach über die Ufer und ergoss sich in Vagns Hütte, Dann füllte sie sich mit dem beißenden Qualm des erlöschenden Herdfeuers, und der Lehmboden verwandelte sich in klebrigen Schlamm. Vagns Hütte bestand nur aus einem Raum; zu beiden Seiten der Feuerstelle waren Felle ausgebreitet, auf denen Vagn und seine Frau am Tage saßen und nachts schliefen, Björn. bekam ein Strohlager im hinteren Teil der Hütte zugewiesen, wo es kalt und dunkel war.

Wie Vagns Frau hieß, erfuhr Björn nicht, denn Vagn nannte sie nie beim Namen. Sie war noch kleiner als Björn und an den Hüften nicht breiter als Vagns Oberarm, doch sie hatte eine Art, ihren Mann aus schmalen Augenschlitzen anzufunkeln, dass dieser ihr ohne Murren gehorchte. Sobald sie aber aus dem Haus gegangen war, pflegte Vagn auf Björn einzudreschen, als wolle er ihn dafür strafen, dass er Zeuge seiner Erniedrigung geworden war. Besonders grausam konnte er sein, wenn seine Frau ihn in der Nacht abgewiesen hatte und er sich schnaufend selbst Erleichterung verschaffen musste. Dann kam es vor, dass er Björn durch das Rauchloch im Giebel hob und ihn dort hängen ließ, bis seine Kräfte erlahmten und er ins Feuer fiel. Zum ersten Mal in seinem Leben erfuhr Björn, was es heißt, einen Menschen zu hassen, und er schwor sich, es Vagn eines Tages heimzuzahlen.

Zu Beginn des Sommers, als die Zeit der Sklavenmärkte kam, forderte Vagns Frau ihren Mann auf, Björn zu verkaufen. Einer, der selbst von der Hand in den Mund lebe, könne sich keinen Sklaven halten, meinte sie, und wenn dieser auch nur Abfälle zu essen bekäme, sei es nützlicher, an seiner Stelle ein Schwein zu mästen.

Diesmal schien es Vagn schwerer als sonst zu fallen, seiner Frau zu gehorchen. Er wandte ein, zur Zeit sei es mit der Nachfrage noch schlecht bestellt, daher werde sich kein guter Preis erzielen lassen. Aber als seine Frau ihn eine Weile unverwandt angeblickt hatte, fügte er sich und brachte Björn, nachdem er ihm zuvor die Hände auf dem Rucken zusammengebunden hatte, zum Hafen hinunter.

Dort, auf einer freien Fläche zwischen einem Lagerhaus und einer Schiffswerft, fand der Sklavenmarkt statt.

Es war der erste Markt in diesem Jahr. Noch waren die großen Sklavenhändler nicht mit ihrer Beute aus fernen Ländern heimgekehrt, und deshalb musste man mit jenen vorliebnehmen, die entweder aus eigenem Antrieb in die Stadt gekommen waren, weil sie die Knechtschaft dem Hungertod vorzogen, oder die man bei Überfällen auf wendische Dörfer gefangen genommen hatte. In der Mehrzahl waren es junge Männer und Frauen, aber Björn sah unter ihnen auch Kinder, die paarweise aneinandergekettet waren und für den Preis eines Erwachsenen feilgeboten wurden.

Einige Männer gingen zwischen den Sklaven umher, befühlten hier einen Arm, dort eine Brust, verlangten von diesem, die Zähne zu sehen, von jenem, dass er sich nackt ausziehe, jungen Frauen steckten sie einen Finger in die Scheide, um festzustellen, ob sie noch Jungfrauen waren, aber die Erwartung eines größeren und reichhaltigeren Angebots dämpfte ihre Kauflust merklich. Wenn sie den Preis erfragten, bedachten sie die Antwort meist mit einem spöttischen Lächeln. Schließlich kaufte einer der Männer einen kräftigen Jüngling für die Hälfte dessen, was sein Besitzer anfangs verlangt hatte. Und als sich Vagn mit seinem Sklaven, der kaum eines Blickes gewürdigt worden war, schon auf den Heimweg machen wollte, fand sich auch für Björn ein Käufer.

Er war von gedrungener Gestalt; über seinem kugelförmigen Bauch spannte sich ein abgewetzter Kittel. Sein Kopf war fast kahl, nur hinter den Ohren hingen einige sorgfältig geflochtene Haarsträhnen. Er sah nicht aus wie einer, mit dem ein gutes Geschäft zu machen war. Doch Vagn begegnete ihm mit Achtung und, sprach zu ihm in Wendungen, die unter seinesgleichen nicht üblich waten.

»Ich preise meinen Sklaven nicht an, denn wie Swain selber sieht, ist et schwächlich und viel zu klein für sein Alter«, sagte Vagn. »Wenn. Swain ihn aber trotzdem haben will, soll das Geschäft am Preis nicht scheitern.«

»Wie heißt du?«, fragte der Mann, der Swain hieß.

Björn sagte ihm seinen Namen und dass er Bosis Sohn sei.

»Ich nenne ihn Hasenscharte«, warf Vagn beflissen ein. »Und Swain wird mir zustimmen, dass ein Sklave nicht den Namen eines freien Mannes tragen sollte.«

»Ich gebe dir eine Mark Silber für ihn«, sagte Swain, nachdem er nachdenklich eine seiner Haarsträhnen gezwirbelt hatte.

»Könnte Swain möglicherweise noch einen Kamm dazulegen?«, fragte Vagn, ohne sich, wie es schien, Hoffnung auf eine zustimmende Antwort zu machen. »Es fiele mir dann leichter, mich von diesem zwar kleinwüchsigen, ansonsten aber ganz brauchbaren Sklaven zu trennen.«

»Ich bin kein Händler, wie du weißt«, entgegnete Swain. Er wog eine Mark Silber ab und legte die Münzen in Vagns bereitwillig dargebotene Rechte.

»Einem anderen hätte ich mehr abverlangt«, sagte Vagn. »Wie ich Swain kenne, wird er das zu würdigen wissen.«

Darauf erwiderte Swain nichts. Er band Björn die Hände los und ging davon.

Vagn sagte: »Ich bin dir vielleicht kein guter Herr gewesen, aber glaub mir, es gibt schlechtere als mich, und wie du es bei Swain haben wirst, bleibt abzuwarten.« Björn sah Vagn an, bis dieser den Blick senkte. Dann folgte er seinem neuen Herrn, der, ohne sich nach ihm umzublicken, auf sein Haus zuging. Es lag in jenem Teil der Stadt, wo die Handwerker wohnten, und war in drei Räume unterteilt, von denen der größte als Werkstatt diente.

Swain war Kammmacher. Wie Björn bald erfahren sollte, genoss er als solcher ein Ansehen, das sich mit dem der Silberschmiede, Bootsbauer und Holzschnitzer messen konnte. Seine kunstvoll verzierten Kämme hatten ihn weithin berühmt gemacht, und es wurde erzählt, dass Bischof Horath sich seine Pfründe nur dadurch zu erhalten wusste, dass er der Kaiserin zu jedem Namenstag eine von Swain angefertigte Haarnadel überreichen ließ.

An den Wänden seiner Werkstatt hingen Hirschgeweihe und Tierknochen, aus denen er Kamme und Haarnadeln, aber auch Messergriffe, Würfel und Spielsteine schnitzte. Diese Arbeit verrichtete Swain ganz allein, obwohl seine Einkünfte es ihm erlaubt hätten, sich mehrere Gehilfen zu halten. Doch Swain liebte es zwar, Geld einzunehmen, gab es aber ungern wieder her. Es hieß, dass er wahre Schätze an Gold- und Silbermünzen unter dem Holzfußboden seiner Werkstatt horte und dass ihr Anblick ihm größere Freude bereite als ein Lob aus königlichem Mund. Doch Swain kümmerte sich nicht darum, was die Leute über ihn sagten. Er saß von Sonnenaufgang bis zum Dunkelwerden in seiner Werkstatt, immer mit demselben Kittel bekleidet, in dem er auch schlief und auf den Markt ging, er aß trockenes Brot und trank etwas Bier dazu, er wusch sich selten das Gesicht und seinen Körper nie – aber seine Kämme schmückten die Häupter von Königinnen.